25.09.2013 Aufrufe

Einführung in das epische Theater mit handlungs - Ex-cathedra.de

Einführung in das epische Theater mit handlungs - Ex-cathedra.de

Einführung in das epische Theater mit handlungs - Ex-cathedra.de

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

STUDIENSEMINAR FÜR DAS LEHRAMT FÜR DIE SEKUNDARSTUFE II<br />

- NEUSS -<br />

Schriftliche Hausarbeit im Rahmen <strong>de</strong>r Zweiten Staatsprüfung<br />

für <strong>das</strong> Lehramt für die Sekundarstufe II<br />

Referendar<strong>in</strong>: Iris Schme<strong>in</strong>k<br />

Thema: <strong>E<strong>in</strong>führung</strong> <strong>in</strong> die Theorie <strong>de</strong>s <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong>s nach<br />

Brecht <strong>mit</strong> Hilfe produktions- und <strong>handlungs</strong>orientierter<br />

Metho<strong>de</strong>n<br />

Ausbildungsjahr: 1998-2000<br />

Schulformschwerpunkt: Gymnasium<br />

Fach: Deutsch<br />

Fachleiter: Herr Hillen, StD<br />

Kurs: GK 11 D9<br />

Fachlehrer<strong>in</strong>: Frau L<strong>in</strong>k, StR’ i. K.<br />

Schule: Schule Marienberg - Erzbischöfliches Gymnasium für<br />

Mädchen


1E<strong>in</strong>leitung.........................................................................................................................3<br />

2Didaktische Vorüberlegungen......................................................................................... 4<br />

2.1Überlegungen zur Lerngruppe...................................................................................... 4<br />

2.1.1Beschreibung <strong>de</strong>s Kurses...........................................................................................4<br />

2.1.2Äußere Rahmenbed<strong>in</strong>gungen.....................................................................................5<br />

2.1.3Lernvoraussetzungen <strong>in</strong> Bezug auf <strong>das</strong> Thema......................................................... 5<br />

2.2Überlegungen zur Sache............................................................................................... 7<br />

2.2.1Brechts Theorie <strong>de</strong>s <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong>s......................................................................7<br />

2.2.2Zum Drama Der gute Mensch von Sezuan..............................................................12<br />

2.3Legitimation <strong>de</strong>s Themas............................................................................................14<br />

2.4Didaktische Schwerpunktsetzung - Überblick über die Gesamtreihe........................ 16<br />

2.5Grundsätzliche methodische Vorüberlegungen..........................................................19<br />

3 Planung, Darstellung und Reflexion <strong>de</strong>r E<strong>in</strong>zelstun<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Sequenz.......................... 23<br />

3.1Die erste und zweite Stun<strong>de</strong> (3. und 4. Stun<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Gesamtreihe).............................. 23<br />

3.1.1Planung <strong>de</strong>r Unterrichtsstun<strong>de</strong>.................................................................................23<br />

3.1.2Durchführung und begleiten<strong>de</strong> Reflexion <strong>de</strong>r Doppelstun<strong>de</strong>.................................. 30<br />

3.2Die dritte Stun<strong>de</strong> (5. Stun<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Gesamtreihe)...........................................................38<br />

3.2.1Planung <strong>de</strong>r Unterrichtsstun<strong>de</strong>.................................................................................38<br />

3.2.2Durchführung und begleiten<strong>de</strong> Reflexion <strong>de</strong>r Unterrichtsstun<strong>de</strong>............................ 44<br />

3.3Die vierte und fünfte Stun<strong>de</strong> (12. und 13. Stun<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Gesamtreihe)..........................48<br />

3.3.1Planung <strong>de</strong>r Unterrichtsstun<strong>de</strong>.................................................................................48<br />

3.3.2Durchführung und begleiten<strong>de</strong> Reflexion <strong>de</strong>r Doppelstun<strong>de</strong>.................................. 53<br />

3.4Die sechste Stun<strong>de</strong> (16. Stun<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Gesamtreihe)......................................................57<br />

3.4.1Planung <strong>de</strong>r Unterrichtsstun<strong>de</strong>.................................................................................57<br />

3.4.2Durchführung und begleiten<strong>de</strong> Reflexion <strong>de</strong>r Unterrichtsstun<strong>de</strong>............................ 59<br />

4Abschlussreflexion........................................................................................................ 63<br />

4.1Handlungs- und Produktonsorientierung versus Analyse?.........................................63<br />

4.2Zum E<strong>in</strong>satz <strong>de</strong>s szenischen Spiels............................................................................ 66<br />

4.3Zum Aufbau <strong>de</strong>r Reihe............................................................................................... 67<br />

5Literaturverzeichnis....................................................................................................... 69<br />

5.1Primärliteratur.............................................................................................................69<br />

5.2Sekundärliteratur........................................................................................................ 69<br />

5.3Didaktische Literatur und Schulbücher...................................................................... 70<br />

6 Anhang...........................................................................................................................I<br />

2


1 E<strong>in</strong>leitung<br />

In dieser Arbeit wird e<strong>in</strong>e sechsstündige Sequenz vorgestellt, <strong>in</strong> <strong>de</strong>r <strong>mit</strong> <strong>handlungs</strong>- und<br />

produktionsorientierten Metho<strong>de</strong>n <strong>in</strong> die Theorie <strong>de</strong>s <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong>s nach Brecht e<strong>in</strong>-<br />

geführt wird. Diese Sequenz ist Teil e<strong>in</strong>er Unterrichtsreihe zum Drama Der gute<br />

Mensch von Sezuan von Bertolt Brecht.<br />

Aus <strong>de</strong>r Themenstellung ergibt sich folgen<strong>de</strong> Vorgehensweise:<br />

Im ersten Teil dieser Arbeit, <strong>de</strong>n didaktischen Vorüberlegungen, wird ausgehend von<br />

Überlegungen zur Lerngruppe und zur Sache, die Gesamtplanung <strong>de</strong>r Reihe vorgestellt<br />

<strong>mit</strong> <strong>de</strong>r entsprechen<strong>de</strong>n didaktischen sowie methodischen Schwerpunktsetzung. Hier<br />

entfalte ich me<strong>in</strong> Verständnis von Handlungs- und Produktionsorientierung. Bei <strong>de</strong>n<br />

Überlegungen zur Reihenplanung wird <strong>de</strong>utlich wer<strong>de</strong>n, <strong>das</strong>s die dargestellte Sequenz,<br />

die dritte von <strong>in</strong>sgesamt vier Teilsequenzen, nicht an e<strong>in</strong>em Stück unterrichtet wer<strong>de</strong>n<br />

kann, son<strong>de</strong>rn <strong>mit</strong> <strong>de</strong>r zweiten verschränkt wer<strong>de</strong>n muss.<br />

Im zweiten Teil wer<strong>de</strong> ich die E<strong>in</strong>zelstun<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Sequenz <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Planung ausführlich<br />

darstellen und nach je<strong>de</strong>r E<strong>in</strong>zel- bzw. Doppelstun<strong>de</strong> <strong>de</strong>ren tatsächlichen Verlauf dar-<br />

stellen und begleitend reflektieren. Ich habe mich für die Verschränkung von Planung,<br />

Darstellung und Reflexion entschie<strong>de</strong>n, da ich dies für übersichtlicher und da<strong>mit</strong> besser<br />

darstell- und lesbar halte.<br />

Dadurch können große Teile <strong>de</strong>r nötigen Reflexion bereits vorweggenommen wer<strong>de</strong>n,<br />

so <strong>das</strong>s ich mich im dritten Teil, <strong>de</strong>r Abschlussreflexion, auf wesentliche Aspekte be-<br />

schränken kann. Hier wird v.a. noch e<strong>in</strong>mal <strong>das</strong> Verhältnis von <strong>handlungs</strong>- bzw. pro-<br />

duktionsorientierten Metho<strong>de</strong>n und analytischen Verfahren näher beleuchtet wer<strong>de</strong>n<br />

3


2 Didaktische Vorüberlegungen<br />

2.1 Überlegungen zur Lerngruppe<br />

2.1.1 Beschreibung <strong>de</strong>s Kurses<br />

Der Deutsch-Grundkurs (11 GK 9) am katholischen Mädchengymnasium Marienberg<br />

besteht aus 21 Schüler<strong>in</strong>nen.<br />

Ich unterrichte <strong>de</strong>n Kurs seit Beg<strong>in</strong>n <strong>de</strong>s zweiten Schulhalbjahres 1998/99 <strong>mit</strong> Ausnah-<br />

me von vier Stun<strong>de</strong>n, die die Kurslehrer<strong>in</strong> übernommen hat. Der Kurs ist erst zu diesem<br />

Halbjahr e<strong>in</strong>gerichtet wor<strong>de</strong>n, so <strong>das</strong>s sich die Schüler<strong>in</strong>nen nur zum Teil kannten. Des-<br />

halb habe ich <strong>in</strong> <strong>de</strong>r ersten Stun<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Halbjahres zusammen <strong>mit</strong> <strong>de</strong>r Lehrer<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e aus-<br />

führliche Kennenlernrun<strong>de</strong> durchgeführt, <strong>in</strong> <strong>de</strong>r sich die Schüler<strong>in</strong>nen auf <strong>de</strong>r Grundlage<br />

von Partner<strong>in</strong>terviews gegenseitig vorgestellt haben. Hierbei wur<strong>de</strong>n sowohl persönliche<br />

Interessen als auch Erfahrungen <strong>mit</strong> <strong>de</strong>m und Wünsche an <strong>das</strong> Fach Deutsch ausge-<br />

tauscht. Schon <strong>in</strong> dieser Kennenlernrun<strong>de</strong> wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>utlich, <strong>das</strong>s die Schüler<strong>in</strong>nen auf<br />

e<strong>in</strong>e offene Gesprächsatmosphäre Wert legen und selbst dafür Verantwortung zu über-<br />

nehmen bereit s<strong>in</strong>d.<br />

Insgesamt erwies sich <strong>de</strong>r Kurs als ausgesprochen leistungsbereit und -fähig. Der Groß-<br />

teil <strong>de</strong>r Schüler<strong>in</strong>nen ist konstant am Unterrichtsgeschehen beteiligt. Nur e<strong>in</strong>e Schüler<strong>in</strong>-<br />

nen verbirgt ihr offensichtliches Des<strong>in</strong>teresse am Deutschunterricht mehr o<strong>de</strong>r m<strong>in</strong><strong>de</strong>r<br />

geschickt. Zwei weitere Schüler<strong>in</strong>nen s<strong>in</strong>d im Unterrichtsgespräch sehr still, bei<strong>de</strong> s<strong>in</strong>d<br />

jedoch ke<strong>in</strong>e <strong>de</strong>utschen Muttersprachler<strong>in</strong>nen und haben oftmals Schwierigkeiten, ei-<br />

nem regen Gespräch zu folgen. Ich achte jedoch darauf, sie über vorbereitete Aufgaben<br />

bzw. Stillarbeitsphasen zu aktivieren. Bei<strong>de</strong> zeigten sich im Übrigen sehr engagiert bei<br />

<strong>de</strong>r szenischen Erarbeitung von Sequenzen aus <strong>de</strong>m im vergangenen Quartal besproche-<br />

nen Drama „Nathan <strong>de</strong>r Weise“. Gera<strong>de</strong> bei <strong>de</strong>r pantomimischen Umsetzung <strong>de</strong>r<br />

Schlussszene nutzten sie die Gelegenheit, auf diese nonverbale Art ihre Leistungsbereit-<br />

schaft und -fähigkeit zu zeigen. Zwei stillere und z.T. lustlose Schüler<strong>in</strong>nen konnten<br />

durch persönliche E<strong>in</strong>zelgespräche zu mehr Mitarbeit motiviert wer<strong>de</strong>n. Insgesamt er-<br />

gänzen sich die Schüler<strong>in</strong>nen sehr gut dadurch, <strong>das</strong>s sie - typisch für e<strong>in</strong>en Grundkurs -<br />

<strong>mit</strong> unterschiedlichen außerfachlichen Interessen und Wissensvoraussetzungen die Ar-<br />

beit bereichern konnten. So erwies es sich bei <strong>de</strong>r Arbeit am „Nathan“ als hilfreich, <strong>das</strong>s<br />

e<strong>in</strong>e historisch <strong>in</strong>teressierte Schüler<strong>in</strong> ihr - offensichtlich z. T. privat erworbenes - Wis-<br />

sen über die Kreuzzüge an passen<strong>de</strong>n Stellen e<strong>in</strong>brachte, so <strong>das</strong>s auf e<strong>in</strong> Referat zum<br />

Thema verzichtet wer<strong>de</strong>n konnte.<br />

Zwei <strong>de</strong>r Schüler<strong>in</strong>nen s<strong>in</strong>d sogenannte „Spr<strong>in</strong>ger<strong>in</strong>nen“, die zu Beg<strong>in</strong>n <strong>de</strong>s Halbjahres<br />

von <strong>de</strong>r 10.2 direkt <strong>in</strong> die 11.2 versetzt wor<strong>de</strong>n s<strong>in</strong>d. Sie erhalten seit Mitte <strong>de</strong>s ersten<br />

Schulhalbjahres e<strong>in</strong>en Ergänzungsunterricht, um <strong>mit</strong> ihnen evtl. fehlen<strong>de</strong>n Stoff nachzu-<br />

arbeiten. Die bei<strong>de</strong>n Schüler<strong>in</strong>nen gehören jedoch schon jetzt zur Spitze <strong>de</strong>s Kurses,<br />

4


was im Laufe <strong>de</strong>r Zusammenarbeit bei e<strong>in</strong>igen Schüler<strong>in</strong>nen zu Unmut führte, weil sie<br />

fürchteten, <strong>das</strong>s die bei<strong>de</strong>n durch <strong>de</strong>n Ergänzungsunterricht im Vorteil s<strong>in</strong>d. Hier ist e<strong>in</strong>e<br />

beson<strong>de</strong>re Sensibilität <strong>de</strong>r Lehrperson v.a. im Unterrichtsgespräch nötig; es ist darauf zu<br />

achten, <strong>das</strong>s diese bei<strong>de</strong>n Schüler<strong>in</strong>nen zwar angemessen geför<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n, jedoch die<br />

an<strong>de</strong>ren dadurch nicht zu kurz kommen.<br />

2.1.2 Äußere Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />

Der Unterricht <strong>de</strong>s Grundkurses f<strong>in</strong><strong>de</strong>t <strong>mit</strong>twochs <strong>in</strong> <strong>de</strong>r 7. Stun<strong>de</strong> und freitags <strong>in</strong> <strong>de</strong>r<br />

ersten und zweiten Stun<strong>de</strong> statt. Es ist grundsätzlich s<strong>in</strong>nvoll, die Inhalte <strong>de</strong>r Unter-<br />

richtsreihe die <strong>mit</strong> <strong>handlungs</strong>- bzw. produktionsorientierten Metho<strong>de</strong>n erarbeitet wer-<br />

<strong>de</strong>n, <strong>in</strong> die Doppelstun<strong>de</strong>n zu verlegen, weil diese Metho<strong>de</strong>n zum e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>en höheren<br />

Zeitaufwand erfor<strong>de</strong>rn und es zum an<strong>de</strong>ren wünschenswert ist, <strong>handlungs</strong>- bzw. produk-<br />

tionsorientiert Erarbeitetes <strong>mit</strong> möglichst ger<strong>in</strong>gem zeitlichen Abstand vorzustellen und<br />

auszuwerten. Die E<strong>in</strong>zelstun<strong>de</strong>n eignen sich <strong>de</strong>mgegenüber zur analytischen Auswer-<br />

tung <strong>de</strong>s Erarbeiteten bzw. zu stärker analytisch orientierten Stofferarbeitung, etwa e<strong>in</strong>er<br />

Textanalyse. Dabei ergibt sich allerd<strong>in</strong>gs die Schwierigkeit, <strong>das</strong>s die E<strong>in</strong>zelstun<strong>de</strong> <strong>in</strong> <strong>de</strong>r<br />

7. Stun<strong>de</strong> liegt und die Motivation bzw. Arbeitsbereitschaft und -fähigkeit nicht mehr so<br />

hoch ist wie zu früheren Tageszeiten. Allerd<strong>in</strong>gs zeigten sich die Schüler<strong>in</strong>nen <strong>in</strong> <strong>de</strong>r<br />

vorausgegangenen Unterrichtsreihe auch <strong>in</strong> <strong>de</strong>r 7. Stun<strong>de</strong> erstaunlich leistungsfähig.<br />

Der zugewiesene Unterrichtsraum ist lei<strong>de</strong>r sehr kle<strong>in</strong>, wodurch Gruppenarbeit und Rol-<br />

lenspiele extrem erschwert wer<strong>de</strong>n. Allerd<strong>in</strong>gs bef<strong>in</strong><strong>de</strong>n sich im Treppenhaus <strong>de</strong>r Schule<br />

e<strong>in</strong>ige Sitzecken <strong>mit</strong> Sofas und Sesseln, die von <strong>de</strong>n Schüler<strong>in</strong>nen für die Gruppenarbei-<br />

ten gerne genutzt wer<strong>de</strong>n. Dadurch wird zwar für die Lehrperson die Begleitung <strong>de</strong>r<br />

Gruppenarbeit erschwert, sie bleibt aber möglich.<br />

2.1.3 Lernvoraussetzungen <strong>in</strong> Bezug auf <strong>das</strong> Thema<br />

Im vorigen Quartal habe ich <strong>mit</strong> <strong>de</strong>n Schüler<strong>in</strong>nen bereits e<strong>in</strong> Drama bearbeitet, Nathan<br />

<strong>de</strong>r Weise von G. E. Less<strong>in</strong>g. In diesem Zusammenhang haben die Schüler<strong>in</strong>nen sich<br />

auch <strong>mit</strong> dramentheoretischen Fragen ause<strong>in</strong>an<strong>de</strong>rgesetzt, v. a. <strong>mit</strong> Less<strong>in</strong>gs Aristoteles-<br />

Rezeption sowie <strong>mit</strong> <strong>de</strong>n Regeln <strong>de</strong>r normativen Poetik (drei E<strong>in</strong>heiten, Schicklichkeits-<br />

regel, Stän<strong>de</strong>klausel, Postulat <strong>de</strong>r Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit <strong>de</strong>s Dargestellten) wie sie v. a. im<br />

Humanismus entstan<strong>de</strong>n s<strong>in</strong>d. Außer<strong>de</strong>m wur<strong>de</strong> anhand e<strong>in</strong>er Untersuchung <strong>de</strong>s Auf-<br />

baus <strong>de</strong>s gelesenen Dramas <strong>das</strong> Fünf-Akt-Schema nach Freytag erarbeitet. Außer<strong>de</strong>m<br />

wur<strong>de</strong>n im Rahmen <strong>de</strong>r <strong>in</strong>terpretatorischen Arbeit gattungstypische Strukturelemente<br />

wie Dialog, Monolog, Figurenkonstellation und Zuschauerrolle erarbeitet.<br />

Die Schüler<strong>in</strong>nen s<strong>in</strong>d also <strong>mit</strong> grundlegen<strong>de</strong>n Inhalten <strong>de</strong>r Theorie <strong>de</strong>s Dramas <strong>de</strong>r ge-<br />

schlossenen Form vertraut, aufgrund <strong>de</strong>rer sie <strong>das</strong> Neue an <strong>de</strong>r Brechtschen Konzeption<br />

ohne größere Schwierigkeiten nachvollziehen können.<br />

5


Die Schüler<strong>in</strong>nen s<strong>in</strong>d v. a. analytischen Unterricht gewohnt und verfügen über wenig<br />

Erfahrung <strong>mit</strong> produktions- und <strong>handlungs</strong>orientierten Metho<strong>de</strong>n. Dennoch zeigten sie<br />

sich sehr offen auch für ihnen neue Unterrichtsmetho<strong>de</strong>n. So haben sie sich größtenteils<br />

sehr engagiert auf szenische Interpretationsverfahren e<strong>in</strong>gelassen. Zu diesem Zeitpunkt<br />

war auch für mich die Metho<strong>de</strong> neu, was ich <strong>de</strong>n Schüler<strong>in</strong>nen nicht verschwiegen habe,<br />

um <strong>de</strong>utlich zu machen, <strong>das</strong>s wir geme<strong>in</strong>sam <strong>mit</strong> dieser Metho<strong>de</strong> zu e<strong>in</strong>em besseren<br />

Textverständnis zu kommen versuchen. Die Schüler<strong>in</strong>nen zeigten sich sehr <strong>in</strong>teressiert<br />

an <strong>de</strong>m Verfahren und haben von sich aus Alternativvorschläge gemacht und sich zum<br />

Ertrag <strong>de</strong>r Metho<strong>de</strong> geäußert. Die meisten Schüler<strong>in</strong>nen bewerteten dieses Verfahren als<br />

„schwierig“, aber s<strong>in</strong>nvoll, „weil man sich vieles besser vorstellen kann“, <strong>in</strong><strong>de</strong>m man<br />

sich <strong>in</strong> die Personen e<strong>in</strong>fühlt, durch Stellproben Beziehungsgefüge erarbeitet usw. Aller-<br />

d<strong>in</strong>gs ist es e<strong>in</strong>igen Schüler<strong>in</strong>nen auch schwer gefallen, bei <strong>de</strong>r Präsentation <strong>de</strong>n Ernst<br />

zu wahren. Es war ihnen offensichtlich pe<strong>in</strong>lich, sich auf diese Weise vor <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren<br />

zu präsentieren, obwohl angesichts <strong>de</strong>r guten Atmosphäre im Kurs eigentlich ke<strong>in</strong> Aus-<br />

lachen befürchtet wer<strong>de</strong>n muss. Dennoch ziehe ich e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>sgesamt positive Bilanz aus<br />

<strong>de</strong>r Anwendung dieser Verfahren <strong>in</strong> diesem Kurs, was mich ermutigt, auch für die hier<br />

dokumentierte Unterrichtssequenz da<strong>mit</strong> zu arbeiten. Allerd<strong>in</strong>gs legen die Schüler<strong>in</strong>nen<br />

auch Wert auf analytische Verfahren, nicht zuletzt weil sie z. T. selbst wissen, <strong>das</strong>s sie<br />

sich zwar mündlich gut bis sehr gut äußern können, sich <strong>mit</strong> ausführlichen schriftlichen<br />

Analysen teilweise recht schwer tun, weil sie arbeitstechnische Probleme haben, z. B.<br />

beim Entwickeln und Belegen e<strong>in</strong>er Deutungshypothese bei <strong>de</strong>r schriftlichen Szenen<strong>in</strong>-<br />

terpretation. Nicht wenigen fiel es hierbei schwer, die im Unterricht gesammelten Stich-<br />

punkte zu e<strong>in</strong>em flüssigen Text zu verarbeiten und ihre Deutungen am Drama zu bele-<br />

gen. Deshalb ist dabei darauf zu achten, <strong>das</strong>s neben <strong>de</strong>n <strong>handlungs</strong>- und produktionsori-<br />

entierten Verfahren auch analytische nicht zu kurz kommen.<br />

6


2.2 Überlegungen zur Sache<br />

Die hier dokumentierte Sequenz ist Teil e<strong>in</strong>er größeren Unterrichtsreihe zum Thema:<br />

„Verehrtes Publikum, los, such dir selbst <strong>de</strong>n Schluß. Es muß e<strong>in</strong> guter da se<strong>in</strong>, muß,<br />

muß, muß 1 - Die dramaturgische Konzeption Brechts und ihre Realisierung am Beispiel<br />

<strong>de</strong>s Dramas Der gute Mensch von Sezuan“. Über die hier dokumentierte Sequenz h<strong>in</strong>aus<br />

soll es also nicht nur um Fragen <strong>de</strong>r Dramentheorie gehen, son<strong>de</strong>rn auch - ausgehend<br />

von e<strong>in</strong>er <strong>de</strong>taillierten Interpretation ausgewählter Szenen <strong>de</strong>s Dramas - um <strong>de</strong>ren Um-<br />

setzung.<br />

2.2.1 Brechts Theorie <strong>de</strong>s <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong>s<br />

Mit se<strong>in</strong>er Auffassung <strong>de</strong>s <strong>Theater</strong>s als Lehrtheater steht Brecht zunächst <strong>in</strong> guter auf-<br />

klärerischer Tradition, allerd<strong>in</strong>gs <strong>mit</strong> ganz an<strong>de</strong>ren Prämissen und Intentionen. Hatte<br />

Less<strong>in</strong>g die Aufgabe <strong>de</strong>r Tragödie etwa <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Erweiterung <strong>de</strong>r „Fähigkeit, Mitleid zu<br />

fühlen“ 2 gesehen, so g<strong>in</strong>g er davon aus, <strong>das</strong>s <strong>de</strong>r Zuschauer durch die kathartische Wir-<br />

kung <strong>de</strong>s Fühlens von Furcht und Mitleid als besserer Mensch <strong>das</strong> <strong>Theater</strong> verlässt („<strong>de</strong>r<br />

<strong>mit</strong>leidigste Mensch ist <strong>de</strong>r beste Mensch“ 3 ), wobei die Katharsis <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Verwandlung<br />

<strong>de</strong>r Lei<strong>de</strong>nschaften <strong>in</strong> tugendhafte Fertigkeiten bestehe. Less<strong>in</strong>gs erzieherisches Ziel <strong>de</strong>s<br />

allseits gebil<strong>de</strong>ten Bürgers suchte Gefühl und Ratio zu verb<strong>in</strong><strong>de</strong>n. Durch <strong>das</strong> Mitfühlen<br />

<strong>mit</strong> <strong>de</strong>m Hel<strong>de</strong>n auf <strong>de</strong>r Bühne und <strong>de</strong>r Wendung dieses Mitfühlens auf sich selbst im<br />

S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>es Transfers auf die eigene Situation wird <strong>de</strong>r e<strong>in</strong>zelne Mensch geläutert.<br />

V. a. diese E<strong>in</strong>fühlung ist es, die Brecht als „Grundpfeiler“ <strong>de</strong>r von Aristoteles bestimm-<br />

ten „herrschen<strong>de</strong>n Ästhetik“ 4 ablehnt, weil sie <strong>de</strong>m mo<strong>de</strong>rnen wissenschaftlichen Zeital-<br />

ter nicht mehr angemessen sei. Statt sich <strong>mit</strong> <strong>de</strong>m Bühnenhel<strong>de</strong>n zu i<strong>de</strong>ntifizieren, soll<br />

<strong>de</strong>r Zuschauer die distanzierte Beobachtungshaltung <strong>de</strong>s forschen<strong>de</strong>n Wissenschaftlers<br />

e<strong>in</strong>nehmen. Dementsprechend kritisiert Brecht <strong>das</strong> <strong>Theater</strong> etwa e<strong>in</strong>es Max Re<strong>in</strong>hardt,<br />

<strong>de</strong>r alle theatralischen Mittel - neben Schauspielkunst auch die durch technischen Fort-<br />

schritt erweiterten Möglichkeiten bei Bühnenbild, Geräusch- und Lichteffekten - zum<br />

E<strong>in</strong>satz brachte, um die Zuschauer <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Bann zu ziehen. 5 Brechts „Erziehungsziel“ ist<br />

<strong>de</strong>r kritisch-<strong>in</strong>telligente Zuschauer, <strong>de</strong>r nie vergisst, <strong>das</strong>s er im <strong>Theater</strong> sitzt und <strong>das</strong> Ge-<br />

schehen auf <strong>de</strong>m <strong>Theater</strong> vor <strong>de</strong>m H<strong>in</strong>tergrund <strong>de</strong>r gesellschaftlichen Situation reflektie-<br />

ren kann.<br />

H<strong>in</strong>tergrund für Brechts neue <strong>Theater</strong>auffassung ist se<strong>in</strong>e Ause<strong>in</strong>an<strong>de</strong>rsetzung <strong>mit</strong> <strong>de</strong>m<br />

Marxismus, die sich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Dramen erstmals <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Lehrstücken nie<strong>de</strong>rschlägt. Etwa<br />

ab 1926 zieht sich die Frage nach Bed<strong>in</strong>gungen und Möglichkeiten e<strong>in</strong>es von Freund-<br />

lichkeit und Solidarität getragenen menschlichen Zusammenlebens durch <strong>das</strong> Brecht-<br />

1 Brecht, B: Der gute Mensch von Sezuan, S. 144.<br />

2 Less<strong>in</strong>g, G.E.: Brief vom Nov. 1759 an Friedrich Nicolai, S. 78<br />

3 Ebd.<br />

4 Brecht: Das <strong>epische</strong> <strong>Theater</strong>, GW 15, 289.<br />

5 Vgl. Brech, U, S. 61.<br />

7


sche Werk. Nun ist se<strong>in</strong> Adressat nicht mehr primär <strong>das</strong> bürgerliche Publikum, son<strong>de</strong>rn<br />

<strong>das</strong> revolutionäre Proletariat. 6 Insbeson<strong>de</strong>re die Lehrstücke haben immer wie<strong>de</strong>r die Er-<br />

kenntnis <strong>de</strong>r Verän<strong>de</strong>rbarkeit <strong>de</strong>r Zustän<strong>de</strong> zur Intention, hier allerd<strong>in</strong>gs nicht über <strong>das</strong><br />

Zuschauen, son<strong>de</strong>rn <strong>das</strong> eigene Spiel. Leitmotiv <strong>de</strong>r <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Folgezeit entstan<strong>de</strong>nen Stü-<br />

cke ist die These, <strong>das</strong>s die gesellschaftlichen Verhältnisse Härte for<strong>de</strong>rn und <strong>de</strong>r Gute<br />

unter diesen Bed<strong>in</strong>gungen nichts zu erreichen, ja nicht e<strong>in</strong>mal zu überleben vermag: Jo-<br />

hanna Dark (Die heilige Johanna <strong>de</strong>r Schlachthöfe) scheitert <strong>mit</strong> ihren Ver<strong>mit</strong>tlungsver-<br />

suchen zwischen Arbeitern und Chicagos ‘Fleischkönigen’, Shen Tes Güte ist auf die<br />

Verwandlung <strong>in</strong> <strong>de</strong>n ausbeuterischen Vetter Shui Ta angewiesen (Der gute Mensch von<br />

Sezuan), die stumme Kattr<strong>in</strong> (Mutter Courage und ihre K<strong>in</strong><strong>de</strong>r) muss die Rettung <strong>de</strong>s<br />

Dorfes <strong>mit</strong> ihrem Leben bezahlen.<br />

Brecht legt Wert darauf, <strong>das</strong>s die <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Stücken dargestellten gesellschaftlichen Zu-<br />

stän<strong>de</strong> nicht als unverän<strong>de</strong>rlich präsentiert wer<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn im S<strong>in</strong>ne <strong>de</strong>s historischen<br />

Materialismus als historisch bed<strong>in</strong>gt und da<strong>mit</strong> verän<strong>de</strong>rbar. „Der Gedanke <strong>de</strong>r Verän-<br />

<strong>de</strong>rung bestimmt nun die gesamte <strong>Theater</strong>arbeit Brechts: Verän<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s <strong>Theater</strong>s,<br />

Verän<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Publikums, Demonstration e<strong>in</strong>er sich verän<strong>de</strong>rn<strong>de</strong>n Welt auf <strong>de</strong>r Büh-<br />

ne und nicht zuletzt Anstöße geben zur Verän<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Gesellschaft - <strong>das</strong> alles wollte<br />

<strong>de</strong>r Stückeschreiber.“ 7<br />

Das von Brecht abgelehnte E<strong>in</strong>fühlungstheater war ihm hierfür nicht geeignet. „Der Zu-<br />

schauer <strong>de</strong>s dramatischen <strong>Theater</strong>s sagt: Ja, <strong>das</strong> habe ich auch schon gefühlt. - So b<strong>in</strong><br />

ich - Das ist nur natürlich - Das wird immer so se<strong>in</strong>.“ 8 Die I<strong>de</strong>ntifikation <strong>mit</strong> <strong>de</strong>m Büh-<br />

nengeschehen, die Illusion, auf <strong>de</strong>r Bühne e<strong>in</strong> reales Geschehen zu sehen, mache <strong>de</strong>n<br />

Zuschauer passiv. Er f<strong>in</strong><strong>de</strong> sich <strong>mit</strong> <strong>de</strong>r dargestellten Tragik ab und wer<strong>de</strong> nicht zum<br />

Nach<strong>de</strong>nken o<strong>de</strong>r gar erst aktiven Verän<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Verhältnisse motiviert. Brechts Theorie<br />

<strong>de</strong>s <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong>s zielt auf e<strong>in</strong>en <strong>Theater</strong>stil, <strong>de</strong>r durch verän<strong>de</strong>rte Mittel <strong>de</strong>r Schau-<br />

spielkunst, Inszenierung und Textgestaltung e<strong>in</strong>e an<strong>de</strong>re Beziehung zwischen Publikum<br />

und Bühne hervorbr<strong>in</strong>gt, die die aktive Teilnahme <strong>de</strong>s Zuschauers am Bühnengeschehen<br />

und <strong>das</strong> Ziehen <strong>handlungs</strong>relevanter Konsequenzen anregt. In<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Zuschauer nicht<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Handlung h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>versetzt, son<strong>de</strong>rn ihr gegenübergesetzt wird 9 , macht Brecht ihm<br />

zum distanzierten Betrachter, <strong>de</strong>r sich <strong>de</strong>r Inszeniertheit <strong>de</strong>s Bühnengeschehens stets be-<br />

wusst bleibt. Wichtigstes Element s<strong>in</strong>d hier die verschie<strong>de</strong>nen Mittel <strong>de</strong>r Verfremdung -<br />

die von Brecht so genannten V-Effekte, durch die <strong>de</strong>m Zuschauer die vertraute Wirk-<br />

lichkeit auffällig gemacht wer<strong>de</strong>n soll: „Das ‘Natürliche’ mußte <strong>das</strong> Moment <strong>de</strong>s Auf-<br />

fälligen bekommen. Nur so konnten die Gesetze von Ursache und Wirkung zu Tage tre-<br />

6 Vgl. Volckmann 441.<br />

7 Volckmann 442.<br />

8 Brecht: Das <strong>epische</strong> <strong>Theater</strong>. GW 15, 265.<br />

9 Vgl. Brechts Gegenüberstellung <strong>de</strong>r dramatischen und <strong>de</strong>r <strong>epische</strong>n Form <strong>de</strong>s <strong>Theater</strong>s <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Anmerkungen<br />

zur Oper „Aufstieg und Fall <strong>de</strong>r Stadt Mahagonny“, GW 17, 1009. Der vere<strong>in</strong>fachen<strong>de</strong>n Gegenüberstellung<br />

verdankt <strong>de</strong>r Text se<strong>in</strong>e Berücksichtigung <strong>in</strong> zahlreichen Lehrbüchern für die gymnasiale<br />

Oberstufe. Vgl. Biermann/Schurf, 131; Pelster/Krebs 126; Fritzsche (1995) 143; Mettenleiter/Knöbl<br />

366f.<br />

8


ten. Das Han<strong>de</strong>ln <strong>de</strong>r Menschen mußte zugleich so se<strong>in</strong> und mußte zugleich an<strong>de</strong>rs se<strong>in</strong><br />

können.“ 10 Die V-Effekte s<strong>in</strong>d zunächst als konkrete Anweisungen zur Inszenierung und<br />

Schauspielkunst zu verstehen:<br />

Der Schauspieler soll se<strong>in</strong>e Rolle nicht so spielen, <strong>das</strong>s er sich vollkommen <strong>in</strong> die darge-<br />

stellte Figur verwan<strong>de</strong>lt, son<strong>de</strong>rn beim Spiel immer <strong>de</strong>utlich machen, <strong>das</strong>s er spielt. Er<br />

zitiert se<strong>in</strong>e Rolle, <strong>in</strong><strong>de</strong>m er se<strong>in</strong>en Körper entsprechend, durch Mimik und Gestik un-<br />

terstützt, zeigt bzw. vorführt. Das verlangt nach Brecht jedoch nicht weniger Schau-<br />

spielkunst, son<strong>de</strong>rn mehr: Der Schauspieler muss zugleich die Figur verkörpern und<br />

sich neben sie stellen, auf sie zeigen. 11 Dadurch wird <strong>de</strong>r Zuschauer stets zur Distanzie-<br />

rung und Kritik angehalten. Ähnliches wird durch die Überführung <strong>de</strong>r Figurenre<strong>de</strong> von<br />

<strong>de</strong>r ersten <strong>in</strong> die dritte Person erreicht und <strong>das</strong> Überführen <strong>de</strong>r Handlung <strong>in</strong> die Vergan-<br />

genheit, wie etwa im achten Bild <strong>in</strong> Der gute Mensch von Sezuan: Dadurch <strong>das</strong>s die zu<br />

vergegenwärtigen<strong>de</strong> Handlung im Spielverlauf als vergangene dargestellt wird, soll <strong>de</strong>m<br />

Zuschauer diese als e<strong>in</strong>e von möglichen Alternativen, d. h. verän<strong>de</strong>rbar vorgeführt wer-<br />

<strong>de</strong>n.<br />

Des weiteren for<strong>de</strong>rte Brecht die strikte Trennung <strong>de</strong>r <strong>in</strong>szenatorischen Mittel, so <strong>das</strong>s<br />

sich z. B. Text und Musik nicht ergänzen dürfen, son<strong>de</strong>rn konträre Wirkung anstreben<br />

sollen. So s<strong>in</strong>d die Songs auch nicht organisch bzw. die Handlung untermalend <strong>in</strong>s Dra-<br />

ma e<strong>in</strong>gewoben, son<strong>de</strong>rn s<strong>in</strong>d wie Musik und Bühnenbild als „Ausstellung selbständiger<br />

Künste“ 12 zu betrachten. Bei <strong>de</strong>n Lie<strong>de</strong><strong>in</strong>lagen soll <strong>de</strong>r Wechsel vom Dramatischen <strong>in</strong>s<br />

Lyrische nicht überspielt, son<strong>de</strong>rn gera<strong>de</strong> bewusst ver<strong>de</strong>utlicht wer<strong>de</strong>n, da<strong>mit</strong> erkennbar<br />

wird, <strong>das</strong>s im Lied die gera<strong>de</strong> präsentierte Handlung kommentiert wird.<br />

Auch im Bühnenaufbau muss die verän<strong>de</strong>rte Beziehung zwischen Bühne und Publikum<br />

Konsequenzen haben: Brecht ersetzte <strong>de</strong>n schweren Samtvorhang („vierte Wand“)<br />

durch e<strong>in</strong>e „halbhohe, leicht flattern<strong>de</strong> Gard<strong>in</strong>e“. Dadurch wird e<strong>in</strong>erseits <strong>de</strong>r Überra-<br />

schungseffekt etwa <strong>in</strong> Umbaupausen gewahrt, weil <strong>de</strong>r Vorhang nicht völlig wegfällt;<br />

an<strong>de</strong>rerseits - und <strong>das</strong> ist <strong>das</strong> Wichtige - wird die strikte Trennung von Bühne und Pu-<br />

blikum aufgehoben. Der Zuschauer ist nicht <strong>de</strong>r Voyeur, <strong>de</strong>r ab und zu durch die „vierte<br />

Wand“ <strong>de</strong>s Bühnenraums sehen darf, son<strong>de</strong>rn <strong>das</strong>, was die Bühne zeigt, wird ausgestellt<br />

und zur Beurteilung an bewusst Sehen<strong>de</strong> übergeben. 13<br />

V-Effekte s<strong>in</strong>d jedoch auch und v. a. Mittel <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Gestaltung <strong>de</strong>r Stücke selbst: Die<br />

Bühne erzählt, d. h. sie benutzt <strong>epische</strong> Darstellungsweisen, durch die <strong>de</strong>r zielstrebige<br />

Verlauf <strong>de</strong>r Handlung immer wie<strong>de</strong>r unterbrochen wer<strong>de</strong>n kann: Am augenfälligsten<br />

s<strong>in</strong>d hier die vielfachen, direkt zum Publikum gesprochenen Textteile und die Songs, <strong>in</strong><br />

<strong>de</strong>nen sich e<strong>in</strong>e Figur vorstellt, <strong>das</strong> Bühnengeschehen zusammenfasst und reflektiert<br />

o<strong>de</strong>r zum eigenen Han<strong>de</strong>ln Stellung nimmt. Dies kann von e<strong>in</strong>em nicht zur Handlung<br />

10 Brecht: Das <strong>epische</strong> <strong>Theater</strong>. GW 15, 265.<br />

11 Vgl. Brecht, Neue Technik <strong>de</strong>r Schauspielkunst, GW 15,343.<br />

12 Brecht, B.: Anmerkungen zur Oper „Aufstieg und Fall <strong>de</strong>r Stadt Mahagonny“, GW 17, 1012.<br />

13 Vgl. Knopf (1980), 392.<br />

Vgl. auch Brecht: Neue Technik <strong>de</strong>r Schauspielkunst. GW 16, 759<br />

9


gehören<strong>de</strong>n Erzähler übernommen wer<strong>de</strong>n, meistens s<strong>in</strong>d es jedoch die Figuren selbst,<br />

die aus <strong>de</strong>m Spiel heraustreten und sich ans Publikum wen<strong>de</strong>n. Dieser Perspektiven-<br />

wechsel for<strong>de</strong>rt auch die Zuschauer auf, selbst e<strong>in</strong>e beobachten<strong>de</strong>, reflektieren<strong>de</strong> Per-<br />

spektive e<strong>in</strong>zunehmen.<br />

E<strong>in</strong> weiteres Mittel s<strong>in</strong>d die Vor- und Rückblen<strong>de</strong>n, e<strong>in</strong> im Roman unproblematisches<br />

Verfahren, <strong>das</strong> erst im Film auch szenisch umgesetzt wer<strong>de</strong>n konnte und von Brecht nun<br />

auch für <strong>das</strong> <strong>Theater</strong> angewen<strong>de</strong>t wur<strong>de</strong>. Auch hierbei ist es nötig, <strong>das</strong>s e<strong>in</strong>e Spielfigur<br />

für <strong>das</strong> Publikum die Zeitebenen ause<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r hält. Beson<strong>de</strong>rs <strong>de</strong>utlich wird dieses Ver-<br />

fahren im 8. Bild von Der gute Mensch von Sezuan, wenn Frau Yang aus ihrer Perspek-<br />

tive <strong>de</strong>n Aufstieg ihres Sohnes Sun schil<strong>de</strong>rt: In ihrer Schil<strong>de</strong>rung allerd<strong>in</strong>gs kommt Sun<br />

auffällig besser weg als im szenisch Dargestellten, wodurch die Perspektivität von Frau<br />

Yangs Wahrnehmung <strong>de</strong>utlich wird, um da<strong>mit</strong> <strong>de</strong>m Zuschauer erneut die Möglichkeit<br />

zur eigenen Beurteilung <strong>de</strong>s Geschehens zu geben.<br />

Verfrem<strong>de</strong>nd wirkt auch die Montage von Sprichwörtern, Re<strong>de</strong>nsarten, Bibel- und Lite-<br />

raturzitaten. Mitten aus <strong>de</strong>r Rolle heraus gesprochen, unterschei<strong>de</strong>n sie sich stilistisch<br />

über<strong>de</strong>utlich vom Sprachgestus <strong>de</strong>r dargestellten Figur, so <strong>das</strong>s sie auffällig wer<strong>de</strong>n und<br />

<strong>de</strong>r Zuschauer eher auf <strong>de</strong>ren Inhalt achtet.<br />

Das wohl wichtigste Stilelement <strong>in</strong> Der gute Mensch von Sezuan wie auch <strong>in</strong> Herr Pun-<br />

tila und se<strong>in</strong> Knecht Matti ist die Aufspaltung e<strong>in</strong>er Bühnenperson <strong>in</strong> zwei konträre Ver-<br />

haltensweisen. Näheres hierzu <strong>in</strong> <strong>de</strong>n fachlichen Überlegungen zum Drama selbst.<br />

Folge e<strong>in</strong>er solchen <strong>Theater</strong>theorie ist e<strong>in</strong>e gewisse Konstruiertheit <strong>de</strong>r Dramen. Die ge-<br />

sellschaftspolitische Zielsetzung wird so über<strong>de</strong>utlich. Der Verzicht auf jegliche Illusion<br />

kann - so die z. T. von Brecht bereits vorhergesehene Kritik - <strong>de</strong>n ästhetischen Genuss<br />

schmälern. Brecht g<strong>in</strong>g jedoch davon aus, <strong>das</strong>s se<strong>in</strong>e Zuschauer - auch wenn sie auf <strong>de</strong>n<br />

ästhetischen Genuss <strong>de</strong>s Illusionstheaters verzichten müssen - durch die gewonnenen<br />

Erkenntnisse e<strong>in</strong>en Lustgew<strong>in</strong>n erzielen, <strong>de</strong>n Genuss <strong>de</strong>s Lernens, wo<strong>mit</strong> Brechts Auf-<br />

fassung <strong>de</strong>s Genusses sich <strong>de</strong>utlich von alltagssprachlichen Füllungen <strong>de</strong>s Begriffs un-<br />

terschei<strong>de</strong>t. Der Genuss besteht für ihn weniger <strong>in</strong> <strong>de</strong>r ästhetischen Kunsterfahrung als<br />

vielmehr <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Handlungskonsequenzen, die <strong>de</strong>r Zuschauer ziehen soll. Brecht geht es<br />

darum, „die Produktivität zur Hauptquelle <strong>de</strong>r Unterhaltung zu machen“ 14 . Dennoch for-<br />

<strong>de</strong>rt diese Konzeption e<strong>in</strong>e entsprechen<strong>de</strong> Genussfähigkeit, <strong>in</strong>tellektuelle Fähigkeiten<br />

nämlich. Die gefor<strong>de</strong>rte Distanzierung und Reflexion setzt e<strong>in</strong>e an<strong>de</strong>re Rezeptionshal-<br />

tung voraus, die <strong>de</strong>n Erwartungen <strong>de</strong>s Zuschauers aufgrund se<strong>in</strong>er bisherigen Rezepti-<br />

onserfahrungen zuwi<strong>de</strong>rlaufen kann. Es ist fraglich, ob sich die von Brecht so gegeißelte<br />

E<strong>in</strong>fühlung <strong>in</strong> die Figuren überhaupt verh<strong>in</strong><strong>de</strong>rn lässt und ob dies s<strong>in</strong>nvoll ist.<br />

Überdies ist Brechts <strong>Theater</strong> <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Praxis gar nicht so unaristotelisch, wie se<strong>in</strong>e theore-<br />

tischen Schriften - <strong>in</strong>sbeson<strong>de</strong>re die Gegenüberstellung <strong>de</strong>r Merkmale <strong>de</strong>s dramatischen<br />

14 Brecht, B.: Kle<strong>in</strong>es Organon für <strong>das</strong> <strong>Theater</strong>. GW 16, 672. Vgl. dazu auch Sp<strong>in</strong>ner 19: „Wenn er<br />

[Brecht, I.S.] sagt, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> <strong>Theater</strong> belehren und Vergnügen ver<strong>mit</strong>teln soll, dann me<strong>in</strong>t er da<strong>mit</strong> nicht,<br />

<strong>das</strong>s zwei sich eigentlich wi<strong>de</strong>rsprechen<strong>de</strong> Zielsetzungen im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>es Sowohl-als-Auch <strong>mit</strong>e<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r zu<br />

verb<strong>in</strong><strong>de</strong>n seien; vielmehr ist für ihn <strong>das</strong> Lernen selbst genussvoll.“<br />

10


und <strong>de</strong>s <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong>s <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Anmerkungen zur Oper „Aufstieg und Fall <strong>de</strong>r Stadt<br />

Mahagonny“ 15 - glauben machen. Zwar relativiert Brecht selbst durch die Fußnote<br />

„Dieses Schema zeigt nicht absolute Gegensätze, son<strong>de</strong>rn lediglich Akzentverschiebun-<br />

gen“ 16 diese Gegenüberstellung, doch ist sie <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Rezeption se<strong>in</strong>er Theorie vielfach<br />

verabsolutiert wor<strong>de</strong>n, worauf z. B. Walter H. Sokel <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Aufsatz über die Brecht-<br />

sche Dramentheorie h<strong>in</strong>weist, <strong>in</strong> welchem er <strong>de</strong>n Versuch unternimmt, diese ausgehend<br />

von traditionellen Grundbegriffen <strong>de</strong>r Dramaturgie zu erläutern. 17 Diese Verabsolutie-<br />

rung f<strong>in</strong><strong>de</strong>t sich auch <strong>in</strong> <strong>de</strong>n diversen Unterrichtsmo<strong>de</strong>llen zu Brechts Dramen bzw. Dra-<br />

mentheorie, z. B. <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Arbeitshilfe von Maria Mitschke, die zwar e<strong>in</strong>erseits e<strong>in</strong>e sehr<br />

differenzierte, vergleichen<strong>de</strong> Erarbeitung diverser Dramentheorien anstrebt, an<strong>de</strong>rerseits<br />

aber <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Vorschlag für e<strong>in</strong> Schülerarbeitsblatt die genannte Brechtsche Gegenüber-<br />

stellung (ohne die relativieren<strong>de</strong> Fußnote!) übernimmt und <strong>de</strong>n Gegensatz <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n<br />

Formen <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Gegenüberstellung „Appell an <strong>das</strong> Gefühl“ vs. „Appell an <strong>de</strong>n Verstand“<br />

zusammenfasst 18 - e<strong>in</strong>e naheliegen<strong>de</strong> Vere<strong>in</strong>fachung, die e<strong>in</strong>er genaueren Analyse je-<br />

doch nicht standhält. Wenn man z. B. Less<strong>in</strong>gs Dramentheorie <strong>mit</strong> <strong>de</strong>r Brechts ver-<br />

gleicht, so wird man zwar <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Tat große Gegensätze feststellen: Less<strong>in</strong>g will die<br />

Lehrwirkung <strong>de</strong>s Dramas über <strong>das</strong> Gefühl, <strong>in</strong>sbeson<strong>de</strong>re <strong>das</strong> Mitleid, transportiert sehen,<br />

während Brecht dies konsequenterweise von se<strong>in</strong>em Menschen- und Gesellschaftsbild<br />

her ablehnen muss. Doch be<strong>de</strong>utet dies nicht, <strong>das</strong>s Less<strong>in</strong>g die Verstan<strong>de</strong>sebene bzw.<br />

Brecht die Gefühlsebene ausblen<strong>de</strong>t. H<strong>in</strong>tergrund dieser Gegenüberstellung ist vielmehr<br />

<strong>das</strong> unterschiedliche Menschenbild: Während <strong>das</strong> Drama <strong>in</strong> aristotelischer Tradition,<br />

beim Individuum ansetzend, <strong>de</strong>n Menschen <strong>mit</strong> se<strong>in</strong>em Charakter als <strong>handlungs</strong>auslö-<br />

send und -bestimmend <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Mittelpunkt rückt, so ist <strong>de</strong>r Mensch bei Brecht Kollektiv-<br />

wesen, <strong>de</strong>ssen Han<strong>de</strong>ln weniger vom Charakter als vielmehr durch gesellschaftspoliti-<br />

sche und ökonomisch Über- und Unterordnungsstrukturen geprägt ist. Deshalb s<strong>in</strong>d die<br />

Brechtschen Figuren auch ke<strong>in</strong>e Charaktere, son<strong>de</strong>rn Typen, <strong>in</strong> die sich e<strong>in</strong>zufühlen <strong>in</strong><br />

<strong>de</strong>r Tat schwierig ist. Dennoch wird die Botschaft <strong>de</strong>r Brechtschen Stücke <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Rezep-<br />

tion nicht alle<strong>in</strong> über die Verstan<strong>de</strong>sebene ver<strong>mit</strong>telt. Der von Brecht postulierte rational<br />

reflektieren<strong>de</strong> Zuschauer ist letztlich Fiktion und dieser Tatsache trägt Brecht <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Ge-<br />

staltung se<strong>in</strong>er Stücke unausgesprochen Rechnung. Der Zuschauer kommt nicht umh<strong>in</strong>,<br />

<strong>mit</strong> Shen Te <strong>mit</strong>zufühlen, auch wenn die I<strong>de</strong>ntifikation durch die unrealistische masken-<br />

hafte Spaltung <strong>de</strong>r Figur immer wie<strong>de</strong>r konterkariert wird. Und umgekehrt wird auch<br />

<strong>de</strong>r Zuschauer e<strong>in</strong>es Less<strong>in</strong>g-Dramas nicht bei <strong>de</strong>r affektiven Ebene verharren, son<strong>de</strong>rn<br />

über <strong>de</strong>n Umweg über <strong>de</strong>n Affekt soll er zu rational diskursivierbaren Erkenntnissen<br />

kommen.<br />

15 GW 17, 1009 f.<br />

16 Ebd. 1009.<br />

17 Als Beispiel für e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>seitige Brecht-Rezeption nennt er Helge Hulbergs Arbeit Die ästhetischen Anschauungen<br />

Bertolt Brechts. Kopenhagen 1962. Vgl. Sokel 208.<br />

18 Mitschke (1990) 38.<br />

11


2.2.2 Zum Drama Der gute Mensch von Sezuan<br />

Thema <strong>de</strong>s Brechtschen Parabelstücks, unter <strong>de</strong>r Mitarbeit von Ruth Berlau und Marga-<br />

rete Steff<strong>in</strong> zwischen 1926 und 1941 <strong>mit</strong> e<strong>in</strong>igen Unterbrechungen entstan<strong>de</strong>n, ist die<br />

These, <strong>das</strong>s <strong>de</strong>r Mensch unter <strong>de</strong>n gegenwärtigen gesellschaftlichen Bed<strong>in</strong>gungen nicht<br />

gut se<strong>in</strong> kann, ohne selbst zugrun<strong>de</strong> zu gehen. Das Vorspiel hat <strong>in</strong>sofern <strong>Ex</strong>positions-<br />

funktion: Drei Götter besuchen die Hauptstadt <strong>de</strong>r Prov<strong>in</strong>z Sezuan, um zu untersuchen,<br />

ob die Welt so bleiben kann, wie sie ist. Sie könne es, so <strong>de</strong>r Beschluss aller Götter,<br />

„wenn genügend gute Menschen gefun<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n, die e<strong>in</strong> menschenwürdiges Dase<strong>in</strong><br />

leben können“ (S. 10 19 ). Die problematische Suche nach e<strong>in</strong>er Unterkunft zeigt schon,<br />

<strong>das</strong>s <strong>de</strong>r Auftrag schwierig ist; auch wenn die Götter alles tun, um <strong>das</strong> Bestehen<strong>de</strong> zu le-<br />

gitimieren und ihren Auftrag schon erfüllt sehen, als sie <strong>in</strong> Shen Te e<strong>in</strong>en guten Men-<br />

schen gefun<strong>de</strong>n zu haben glauben (es reichte hierfür bereits die Bereitstellung e<strong>in</strong>er Un-<br />

terkunft), so offenbart bereits Shen Tes Antwort, <strong>das</strong>s die Göttermission aller Wahr-<br />

sche<strong>in</strong>lichkeit nach scheitern muss: „Halt, Erleuchtete, ich b<strong>in</strong> gar nicht sicher, daß ich<br />

gut b<strong>in</strong>. Ich möchte es wohl se<strong>in</strong>, nur, wie soll ich me<strong>in</strong>e Miete bezahlen? [...] Selbst<br />

wenn ich e<strong>in</strong>ige Gebote nicht halte, kann ich kaum durchkommen.“ (S. 16). Sie gesteht,<br />

<strong>das</strong>s sie ihren Lebensunterhalt durch Prostitution verdient und macht <strong>de</strong>utlich, <strong>das</strong>s die<br />

Verhältnisse, unter <strong>de</strong>nen sie leben muss, gutes Han<strong>de</strong>ln, nämlich <strong>das</strong> E<strong>in</strong>halten <strong>de</strong>r Ge-<br />

bote, die sich auf <strong>das</strong> menschliche Zusammenleben beziehen, verh<strong>in</strong><strong>de</strong>rn, also nicht<br />

etwa schlechte Veranlagung o<strong>de</strong>r Bequemlichkeit. Das Folgen<strong>de</strong> dient <strong>de</strong>r immer wie<strong>de</strong>r<br />

neuen Amplifikation dieser Grundthese, auch wenn im Zuschauer angesichts <strong>de</strong>s Geld-<br />

geschenks die trügerische Hoffnung aufkeimen mag, <strong>das</strong>s Shen Te tatsächlich gut se<strong>in</strong><br />

kann, ohne selbst zugrun<strong>de</strong> zu gehen. Es zeigt sich aber, <strong>das</strong>s ihr <strong>das</strong> nur gel<strong>in</strong>gt, wenn<br />

sie - betrogen von <strong>de</strong>r Vorbesitzer<strong>in</strong> <strong>de</strong>s von ihr erworbenen Tabakla<strong>de</strong>ns, bedrängt von<br />

<strong>de</strong>n schmarotzen<strong>de</strong>n Armen und <strong>de</strong>m von ihr e<strong>in</strong>seitig geliebten Sun - sich regelmäßig<br />

<strong>in</strong> ihren geschäftstüchtigen, an Gesetze und Moral <strong>de</strong>r Gesellschaft angepassten Vetter<br />

Shui Ta verwan<strong>de</strong>lt. Ihre bed<strong>in</strong>gungslose Nächstenliebe führt sie <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Ru<strong>in</strong>, <strong>de</strong>r nur<br />

durch <strong>das</strong> rücksichtslose Han<strong>de</strong>ln <strong>de</strong>s erfun<strong>de</strong>nen Vetters abgewen<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n kann.<br />

Schließlich ist sie gezwungen, vor Gericht <strong>de</strong>n Göttern ihr Doppelspiel preis zu geben<br />

und fleht die Götter um Hilfe an. Sche<strong>in</strong>bar kompromissbereit erlauben sie ihr, e<strong>in</strong>mal<br />

im Monat <strong>de</strong>n Vetter e<strong>in</strong>zusetzen, und verschw<strong>in</strong><strong>de</strong>n, bevor „<strong>de</strong>r schöne Fund“ (142)<br />

dah<strong>in</strong> schw<strong>in</strong><strong>de</strong>t. Doch <strong>de</strong>r Zuschauer hat <strong>in</strong>zwischen h<strong>in</strong>reichend begriffen, <strong>das</strong>s dies<br />

ke<strong>in</strong> Ausweg ist. Erst wenn die Verhältnisse sich verän<strong>de</strong>rn, s<strong>in</strong>d gutes Han<strong>de</strong>ln, Men-<br />

schenliebe und Freundlichkeit möglich. Dass Shen Te immer noch auf die Hilfe <strong>de</strong>r<br />

Götter hofft, ist angesichts <strong>de</strong>ren lächerlichen Auftretens für <strong>de</strong>n Zuschauer uns<strong>in</strong>nig. Es<br />

muss ihm längst <strong>de</strong>utlich gewor<strong>de</strong>n se<strong>in</strong>, <strong>das</strong>s die Menschen selbst für e<strong>in</strong>e Verbesse-<br />

rung <strong>de</strong>r Verhältnisse sorgen müssen, und hat er es nicht begriffen, so hilft ihm <strong>de</strong>r Epi-<br />

log auf die Sprünge: „Der e<strong>in</strong>zige Ausweg wär aus diesem Ungemach:/Sie selber däch-<br />

19 Zitate aus <strong>de</strong>m Drama Der gute Mensch von Sezuan beziehen sich auf die Suhrkamp-Taschenbuchaus-<br />

gabe.<br />

12


ten auf <strong>de</strong>r Stelle nach/Auf welche Weis <strong>de</strong>m guten Menschen man/Zu e<strong>in</strong>em guten<br />

En<strong>de</strong> helfen kann“ (144).<br />

Insofern wird <strong>de</strong>r Auftrag <strong>de</strong>r Götter wie e<strong>in</strong> wissenschaftliches <strong>Ex</strong>periment vorgestellt:<br />

Wenn sich die im Auftrag formulierten Bed<strong>in</strong>gungen erfüllen lassen, nämlich erstens<br />

genügend gute Menschen zu f<strong>in</strong><strong>de</strong>n, die zweitens menschenwürdig leben können, so<br />

muss sich auch <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Welt nichts verän<strong>de</strong>rn. Dass <strong>das</strong> <strong>Ex</strong>periment scheitern muss, wird<br />

schon daran <strong>de</strong>utlich, <strong>das</strong>s die Götter es gleich zu Beg<strong>in</strong>n durch die Geldgabe zu mani-<br />

pulieren suchen und darüber h<strong>in</strong>aus auch später noch die genannten Bed<strong>in</strong>gungen redu-<br />

zieren: Im Zwischenspiel nach <strong>de</strong>m 6. Bild reicht ihnen <strong>das</strong> Gut-Se<strong>in</strong> an sich, vom zwei-<br />

ten Teil <strong>de</strong>r Bed<strong>in</strong>gung - <strong>de</strong>m menschenwürdigen Leben - ist nicht mehr die Re<strong>de</strong>.<br />

Die Spaltung Shen Te/Shui Ta ist hier nicht psychologisch als pathologische Persönlich-<br />

keitsspaltung o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Kampf zweier Seelen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Brust zu verstehen, son<strong>de</strong>rn wird<br />

parabolisch als Produkt <strong>de</strong>r herrschen<strong>de</strong>n Verhältnisse geschil<strong>de</strong>rt: im gespaltenen Men-<br />

schen <strong>de</strong>s Stückes zeigt Brecht „die reale Spaltung <strong>de</strong>s bürgerlichen [...] Menschen <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>e private (moralische) und e<strong>in</strong>e öffentliche (geschäftliche) Hälfte [...], <strong>das</strong>s recht-<br />

schaffenes und würdiges Leben <strong>in</strong> dieser Welt nur durch rigorose Geschäfte möglich ist,<br />

[...] er ist [...] <strong>das</strong> sichtbar gemachte Bild <strong>de</strong>s objektiven Wi<strong>de</strong>rspruchs <strong>de</strong>r Menschen <strong>in</strong><br />

<strong>de</strong>r bürgerlich-kapitalistischen Welt, er ist e<strong>in</strong> Bild <strong>de</strong>r Entfremdung.“ 20<br />

20 Knopf (1980) 206.<br />

13


2.3 Legitimation <strong>de</strong>s Themas<br />

Die Unterrichtsreihe orientiert sich h<strong>in</strong>sichtlich <strong>de</strong>r methodischen und thematischen<br />

Konzeption an <strong>de</strong>n Richtl<strong>in</strong>ien für <strong>de</strong>n Deutschunterricht <strong>de</strong>r gymnasialen Oberstufe so-<br />

wie am schul<strong>in</strong>ternen Curriculum <strong>de</strong>r Fachkonferenz Deutsch <strong>de</strong>r Schule Marienberg,<br />

<strong>das</strong> für die Jahrgangsstufe 11.2 die vergleichen<strong>de</strong> Analyse und Interpretation thematisch<br />

verwandter Texte sowie unterschiedlicher Dramentypen vorsieht.<br />

Auf <strong>de</strong>r Basis <strong>de</strong>r allgeme<strong>in</strong>en Lernziele <strong>de</strong>r gymnasialen Oberstufe - wissenschaftspro-<br />

pä<strong>de</strong>utische Ausbildung und Hilfen zur Selbstverwirklichung <strong>in</strong> sozialer Verantwor-<br />

tung 21 - sehen die Richtl<strong>in</strong>ien für <strong>das</strong> Fach Deutsch, <strong>das</strong> unter <strong>de</strong>n drei Aufgabenfel<strong>de</strong>rn<br />

<strong>de</strong>r Unterrichtsfächer <strong>de</strong>s Gymnasiums zum sprachlich-literarisch-künstlerischen Aufga-<br />

benfeld gehört, <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Sekundarstufe II die Ause<strong>in</strong>an<strong>de</strong>rsetzung <strong>mit</strong> Gegenstän<strong>de</strong>n vor,<br />

die beschrieben wer<strong>de</strong>n als<br />

„durch sprachliche, akustische und visuelle Zeichen und Zeichensysteme bestimmte Gestaltungen (als<br />

Darstellung, Deutung, Kritik, Entwurf etc.), <strong>in</strong> <strong>de</strong>nen Wirklichkeit als ver<strong>mit</strong>telte Wirklichkeit ersche<strong>in</strong>t,<br />

sowie die Verfahrens- und Erkenntnisweisen, die <strong>de</strong>r Ause<strong>in</strong>an<strong>de</strong>rsetzung <strong>mit</strong> diesen Gestaltungen<br />

dienen“ 22 ,<br />

wobei Inhalte <strong>de</strong>s Faches Deutsch gegenüber <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Fächern dieses Aufgabenfel-<br />

<strong>de</strong>s wie Musik und Kunst vorrangig Texte, d.h. gesprochene o<strong>de</strong>r schriftlich fixierte<br />

sprachlich strukturierte Gefüge s<strong>in</strong>d. 23 Die drei traditionellen Lernbereiche <strong>de</strong>s Deutsch-<br />

unterrichts - mündliche und schriftliche Kommunikation, Umgang <strong>mit</strong> Texten, Reflexi-<br />

on über Sprache - berücksichtigend, wer<strong>de</strong>n diese für die Oberstufe unter <strong>de</strong>n zwei<br />

Lernbereichen „I. Verstehen und Verfassen von Texten im Bereich ‘nichtfiktionale Tex-<br />

te’“ und „II. Verstehen und Verfassen von Texten im Bereich ‘fiktionale Texte’ subsu-<br />

miert, wobei die hier dargestellte Unterrichtsreihe gemäß ihres Schwerpunkts <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Be-<br />

reich II gehört, <strong>in</strong>sofern die Ause<strong>in</strong>an<strong>de</strong>rsetzung <strong>mit</strong> e<strong>in</strong>em literarischen Text Ausgangs-<br />

punkt <strong>de</strong>r unterrichtlichen Arbeit ist, wobei allerd<strong>in</strong>gs zu <strong>de</strong>ren Unterstützung gera<strong>de</strong> im<br />

Bereich <strong>de</strong>r <strong>E<strong>in</strong>führung</strong> <strong>in</strong> die Brechtsche Dramentheorie nichtfiktionale Texte herange-<br />

zogen wer<strong>de</strong>n.<br />

Die Ause<strong>in</strong>an<strong>de</strong>rsetzung <strong>mit</strong> fiktionalen Texten soll nach <strong>de</strong>n Richtl<strong>in</strong>ien die Schüler<strong>in</strong>-<br />

nen und Schüler zur Teilnahme am kulturellen Leben ihrer Zeit befähigen und sie darü-<br />

ber h<strong>in</strong>aus zu S<strong>in</strong>nfragen führen und ihnen „Möglichkeiten zur Wertorientierung, <strong>de</strong>r<br />

kritischen Reflexion und <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>ntitätsf<strong>in</strong>dung eröffnen.“ 24 Im Umgang <strong>mit</strong> ihnen soll<br />

<strong>de</strong>r Verstehenshorizont <strong>de</strong>r Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler erweitert wer<strong>de</strong>n, wobei sich Ver-<br />

stehen als Ergebnis <strong>de</strong>r Konfrontation <strong>de</strong>s Vorverständnisses <strong>de</strong>s Lesers - im H<strong>in</strong>blick<br />

auf <strong>de</strong>n Unterricht also <strong>de</strong>s Vorverständnisses <strong>de</strong>r Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler - <strong>mit</strong> <strong>de</strong>r<br />

durch <strong>de</strong>n Text ver<strong>mit</strong>telten Welt- und Dase<strong>in</strong>s<strong>de</strong>utung konstituiert. Für die konkrete<br />

21 Vgl. Richtl<strong>in</strong>ien 16ff.<br />

22 Ebd. 28.<br />

23 Vgl. ebd. 34.<br />

24 Ebd. 56.<br />

14


Auswahl von Texten be<strong>de</strong>utet dies, <strong>das</strong>s diese sowohl <strong>mit</strong> <strong>de</strong>m Verstehenshorizont <strong>de</strong>r<br />

Schüler<strong>in</strong>nen konfrontierbar se<strong>in</strong>, als auch e<strong>in</strong>e „<strong>Ex</strong>emplarität und geschichtliche Rele-<br />

vanz“ 25 besitzen müssen. Diesem dreifachen Anspruch wird <strong>de</strong>r ausgewählte Text Der<br />

gute Mensch von Sezuan gerecht. 26 Thema <strong>de</strong>s Dramas ist e<strong>in</strong>e <strong>das</strong> Leben aller Men-<br />

schen betreffen<strong>de</strong> Fragestellung: Kann man <strong>in</strong> dieser Welt gut se<strong>in</strong> bzw. han<strong>de</strong>ln und<br />

gleichzeitig menschenwürdig leben? Es geht um die Bed<strong>in</strong>gungen <strong>de</strong>r Möglichkeit von<br />

Humanität im konkreten Zusammenleben von Menschen. Diese Fragestellung ist nicht<br />

nur Schwerpunkt <strong>de</strong>r Ause<strong>in</strong>an<strong>de</strong>rsetzung <strong>mit</strong> diesem Text, son<strong>de</strong>rn bil<strong>de</strong>t gleichzeitig<br />

die thematische Klammer <strong>de</strong>r Gegenstän<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Halbjahres - <strong>de</strong>r Humanitätsgedanke ist<br />

ja auch Thema <strong>de</strong>s im letzten Unterrichtsvorhaben bearbeiteten Dramas Nathan <strong>de</strong>r<br />

Weise von Less<strong>in</strong>g. <strong>Ex</strong>emplarisch ist <strong>das</strong> für dieses Unterrichtsvorhaben ausgewählte<br />

Brecht-Drama <strong>in</strong>sofern, als es für <strong>das</strong> Unterthema <strong>de</strong>s Lernbereichs II „E<strong>in</strong>blick <strong>in</strong> die<br />

Entfaltung und Differenzierung von Textarten und literarischen Gattungen <strong>in</strong> ihrem ge-<br />

sellschaftlichen Zusammenhang“ 27 e<strong>in</strong> hervorragen<strong>de</strong>r Gegenstand ist, um sowohl die<br />

gesellschaftliche und historische Bed<strong>in</strong>gtheit von Literatur als auch die Entwicklungsli-<br />

nien vom aristotelischen zum nichtaristotelischen Drama zu behan<strong>de</strong>ln. Außer<strong>de</strong>m ist<br />

<strong>das</strong> behan<strong>de</strong>lte Drama selbst exemplarisch für die Struktur <strong>de</strong>r dramatischen Werke<br />

Brechts. Se<strong>in</strong>e geschichtliche Relevanz erhält es durch die Thematik, also die bereits ge-<br />

nannte Frage nach Bed<strong>in</strong>gungen <strong>de</strong>r Möglichkeit humanen Han<strong>de</strong>lns, sowie durch <strong>de</strong>n<br />

spezifischen Beitrag Brechts zur Ause<strong>in</strong>an<strong>de</strong>rsetzung <strong>de</strong>r großen Systeme Kommunis-<br />

mus/Sozialismus vs. Marktwirtschaft/Kapitalismus. Es stellt sich natürlich die Frage, ob<br />

10 Jahre nach <strong>de</strong>m Zusammenbruch <strong>de</strong>r kommunistischen Staaten diese Thematik noch<br />

für die Schüler<strong>in</strong>nen relevant ist. Doch ist die Ause<strong>in</strong>an<strong>de</strong>rsetzung <strong>mit</strong> <strong>de</strong>r marxistischen<br />

Gesellschaftskritik nicht obsolet gewor<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn kann weiterh<strong>in</strong> als Möglichkeit <strong>de</strong>r<br />

Ause<strong>in</strong>an<strong>de</strong>rsetzung <strong>mit</strong> <strong>de</strong>m eigenen Wertsystem durch <strong>de</strong>ssen Kontrastierung <strong>mit</strong> ei-<br />

nem an<strong>de</strong>ren betrachtet wer<strong>de</strong>n. Der Text for<strong>de</strong>rt also die Schüler<strong>in</strong>nen als Lesen<strong>de</strong> und<br />

Betrachten<strong>de</strong> heraus, „selbst Norm- und Wertvorstellungen zu reflektieren und zu ent-<br />

wickeln“. 28<br />

Zur <strong>in</strong>haltlich-<strong>in</strong>terpretatorischen Ause<strong>in</strong>an<strong>de</strong>rsetzung <strong>mit</strong> <strong>de</strong>m Stück gehört jedoch<br />

auch <strong>de</strong>ssen ästhetische Realisierung. Um diese untersuchen zu können, müssen die<br />

Schüler<strong>in</strong>nen auch Kenntnis von <strong>de</strong>r ihm zugrun<strong>de</strong> liegen<strong>de</strong>n dramaturgischen Theorie,<br />

also <strong>de</strong>s <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong>s, haben. Dabei sollen sie Anliegen, Ziele und Mittel <strong>de</strong>s epi-<br />

schen <strong>Theater</strong>s <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Ause<strong>in</strong>an<strong>de</strong>rsetzung <strong>mit</strong> <strong>de</strong>m literarischen Text und unter H<strong>in</strong>zu-<br />

ziehung e<strong>in</strong>schlägiger theoretischer Texte erhalten. Ohne diese Kenntnisse ist e<strong>in</strong> kriti-<br />

sches Verstehen <strong>de</strong>r Brechtschen Dramen nicht möglich.<br />

25 Ebd. 67.<br />

26 Die Richtl<strong>in</strong>ien schlagen diesen Text <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Vorschlag für e<strong>in</strong>e Unterrichtsreihe <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Jahrgangsstufe<br />

12 unter <strong>de</strong>m Thema „Humanität als gesellschaftliche Aufgabe <strong>in</strong> Brechts ‘Der gute Mensch von Sezuan’<br />

- Struktur und Funktion e<strong>in</strong>es nichtaristotelischen Dramas“ vor. Vgl. Richtl<strong>in</strong>ien 128.<br />

27 Ebd. 65.<br />

28 Ebd. 68.<br />

15


2.4 Didaktische Schwerpunktsetzung - Überblick über die Gesamtreihe<br />

Aus <strong>de</strong>n Überlegungen zur Sache und zum Bezug zur Lebenswelt <strong>de</strong>r Schüler<strong>in</strong>nen er-<br />

gibt sich folgen<strong>de</strong> <strong>in</strong>haltliche Schwerpunktsetzung für die Gesamtreihe: Nach <strong>de</strong>m Auf-<br />

greifen erster Lesee<strong>in</strong>drücke und e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>führen<strong>de</strong>n Arbeit am Text (Vorspiel) ist es<br />

notwendig, <strong>das</strong>s die Schüler<strong>in</strong>nen als Hilfe zu e<strong>in</strong>em fundierten Textverständnis sich ei-<br />

nen Wissensh<strong>in</strong>tergrund zur Brechtschen <strong>Theater</strong>theorie verschaffen. Ohne dieses Theo-<br />

riewissen s<strong>in</strong>d Missverständnisse vorprogrammiert. Die Gesamtreihe wird also folgen<strong>de</strong><br />

Schwerpunkte behan<strong>de</strong>ln müssen:<br />

1. Sequenz:<br />

E<strong>in</strong> <strong>Ex</strong>periment <strong>de</strong>r Götter <strong>mit</strong> <strong>de</strong>n Menschen: Ist es möglich <strong>in</strong> dieser Welt gut zu<br />

se<strong>in</strong> und gut zu leben? - E<strong>in</strong>e <strong>E<strong>in</strong>führung</strong> <strong>in</strong> die Grundfrage <strong>de</strong>s Stücks<br />

2. Sequenz:<br />

Untersuchung <strong>de</strong>s Verlaufs <strong>de</strong>s „<strong>Ex</strong>periments“ und se<strong>in</strong>e ästhetische Realisierung an-<br />

hand ausgewählter Szenen<br />

3. Sequenz:<br />

<strong>E<strong>in</strong>führung</strong> <strong>in</strong> die Theorie <strong>de</strong>s <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong>s<br />

4. Sequenz:<br />

Die Frage nach <strong>de</strong>r Aktualität <strong>de</strong>s Stücks als Mo<strong>de</strong>ll, <strong>das</strong> zur selbständigen Suche<br />

nach e<strong>in</strong>em guten Schluss auffor<strong>de</strong>rt.<br />

Die zweite und dritte Sequenz wer<strong>de</strong>n <strong>in</strong>e<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r greifen müssen, da es nicht s<strong>in</strong>nvoll<br />

ist, e<strong>in</strong>e sechsstündige Sequenz nur zur Theorie durchzuführen, ohne weiter <strong>in</strong>haltlich<br />

am Text zu arbeiten. Nicht nur muss die <strong>Theater</strong>theorie - auch analytisch - am Text<br />

nachgewiesen wer<strong>de</strong>n, auch muss <strong>in</strong>haltlich an wichtigen Fragestellungen <strong>de</strong>s Textes<br />

weitergearbeitet wer<strong>de</strong>n.<br />

In <strong>de</strong>r Praxis ist also folgen<strong>de</strong>r Aufbau <strong>de</strong>r Reihe geplant: In <strong>de</strong>n ersten bei<strong>de</strong>n Stun<strong>de</strong>n<br />

<strong>de</strong>r Reihe (es han<strong>de</strong>lt sich hier um zwei E<strong>in</strong>zelstun<strong>de</strong>n, da die dazwischen liegen<strong>de</strong><br />

Doppelstun<strong>de</strong> wegen <strong>de</strong>s letzten Schultags <strong>de</strong>r Abiturient<strong>in</strong>nen ausfällt), soll nach <strong>de</strong>m<br />

Sammeln von Lesee<strong>in</strong>drücken - die <strong>in</strong>dividuelle Lektüre <strong>de</strong>s Stücks soll bis zum Beg<strong>in</strong>n<br />

<strong>de</strong>r Reihe bereits abgeschlossen se<strong>in</strong> - anhand <strong>de</strong>s Vorspiels <strong>das</strong> Thema <strong>de</strong>s Stückes er-<br />

arbeitet wer<strong>de</strong>n. Dies wird erreicht über die Fragestellung, <strong>in</strong>wiefern <strong>das</strong> Vorspiel <strong>Ex</strong>po-<br />

sitionsfunktion hat. Es ist <strong>in</strong>sofern expositorisch, als hier <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Selbstvorstellung<br />

Wangs die Vorgeschichte geliefert wird, <strong>de</strong>r Zuschauer <strong>mit</strong> <strong>de</strong>n wichtigsten Figuren be-<br />

kannt gemacht und eben <strong>in</strong> die Thematik e<strong>in</strong>geführt wird. Gera<strong>de</strong> letzteres wird im Mit-<br />

telpunkt dieser e<strong>in</strong>führen<strong>de</strong>n Kurzsequenz stehen. Die Mission <strong>de</strong>r Götter besteht dar<strong>in</strong>,<br />

zu überprüfen, ob die Welt so bleiben kann, wie sie ist. Sie kann es, wenn zwei Bed<strong>in</strong>-<br />

gungen erfüllt s<strong>in</strong>d, nämlich sich erstens genügend gute Menschen f<strong>in</strong><strong>de</strong>n lassen, die<br />

zweitens menschenwürdig leben können. Ich wer<strong>de</strong> die Schüler<strong>in</strong>nen nach <strong>de</strong>m Heraus-<br />

arbeiten dieser Mission <strong>mit</strong> <strong>de</strong>r <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Sekundärliteratur häufig geäußerten These kon-<br />

frontieren, <strong>das</strong>s <strong>mit</strong> <strong>de</strong>m Vorspiel e<strong>in</strong>e Situation geschaffen wird, die e<strong>in</strong>em wissen-<br />

16


schaftlichen <strong>Ex</strong>periment gleicht. In Partnerarbeit sollen sie dann <strong>de</strong>n Verlauf <strong>de</strong>s <strong>Ex</strong>peri-<br />

ments <strong>de</strong>r Götter <strong>mit</strong> <strong>de</strong>n Menschen bzw. <strong>mit</strong> <strong>de</strong>m Menschen Shen Te beschreiben. Auf<br />

diese Weise verschaffen sich die Schüler<strong>in</strong>nen e<strong>in</strong>en guten Überblick über <strong>das</strong> Stück<br />

und es kann zugleich <strong>das</strong> Verständnis <strong>de</strong>r Lektüre überprüft wer<strong>de</strong>n.<br />

An diese Sequenz schließen sich drei Stun<strong>de</strong>n zur ersten <strong>E<strong>in</strong>führung</strong> <strong>in</strong> die Theorie <strong>de</strong>s<br />

<strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong>s an. Ich halte es nicht für s<strong>in</strong>nvoll, die Theorie erst an die <strong>in</strong>haltliche<br />

Erarbeitung <strong>de</strong>s Stückes anzuschließen, wie es <strong>in</strong> <strong>de</strong>n meisten e<strong>in</strong>schlägigen Unter-<br />

richtsmo<strong>de</strong>llen vorgesehen ist 29 , da e<strong>in</strong>e gründliche <strong>in</strong>haltliche Interpretation ohne<br />

Kenntnis <strong>de</strong>r Theorie <strong>de</strong>s <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong>s und <strong>de</strong>r ihr zugrun<strong>de</strong> liegen<strong>de</strong>n marxisti-<br />

schen Auffassung Brechts nicht leistbar und auch nicht s<strong>in</strong>nvoll ist. In e<strong>in</strong>er ersten Dop-<br />

pelstun<strong>de</strong> sollen daher zunächst e<strong>in</strong>ige typische Mittel <strong>de</strong>s <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong>s über von<br />

<strong>de</strong>n Schüler<strong>in</strong>nen zu leisten<strong>de</strong> kurze Inszenierungen e<strong>in</strong>er Alltagssituation erarbeitet<br />

wer<strong>de</strong>n, an die sich dann die Analyse zweier theoretischer Schriften Brechts anschließt.<br />

In <strong>de</strong>r dann folgen<strong>de</strong>n exemplarischen Interpretation ausgewählter Szenen (1., 2., 5., 8.<br />

und 10. Bild sowie <strong>de</strong>r Zwischenspiele nach <strong>de</strong>m 3., 6. und 7. Bild) sollen dann die <strong>in</strong><br />

<strong>de</strong>r <strong>E<strong>in</strong>führung</strong> erworbenen Kenntnisse vertieft wer<strong>de</strong>n. Die für die exemplarische Be-<br />

handlung ausgewählten Szenen s<strong>in</strong>d solche, die für die Interpretation <strong>de</strong>s Stückes zentral<br />

s<strong>in</strong>d: So soll anhand <strong>de</strong>s 1. und 2. Bil<strong>de</strong>s neben <strong>de</strong>r Erarbeitung <strong>de</strong>r Figurenkonstellation<br />

auch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>ige Grundlagen <strong>de</strong>r marxistischen Theorie e<strong>in</strong>geführt wer<strong>de</strong>n. Das zweite und<br />

<strong>das</strong> fünfte Bild s<strong>in</strong>d für die zentrale Frage nach <strong>de</strong>r Spaltung <strong>de</strong>s guten Menschen wich-<br />

tig. Das 8. Bild wird als Musterszene <strong>de</strong>s <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong>s e<strong>in</strong>gehend im H<strong>in</strong>blick auf<br />

die Verwendung V-Effekte untersucht wer<strong>de</strong>n. Die Gerichtsszene (10. Bild) muss be-<br />

han<strong>de</strong>lt wer<strong>de</strong>n, weil hier die Details <strong>de</strong>r Handlung zusammengeführt wer<strong>de</strong>n und nicht<br />

nur Shen Te/Shui Ta hier vor Gericht stehen, son<strong>de</strong>rn letztlich die Welt als solche beur-<br />

teilt bzw. verurteilt wird. Die Aktualität <strong>de</strong>s Stückes soll anhand <strong>de</strong>r Behandlung <strong>de</strong>s<br />

Epilogs diskutiert wer<strong>de</strong>n. E<strong>in</strong>e Diskussion über die Tragfähigkeit <strong>de</strong>r Brechtschen<br />

Theorie wird die Reihe abschließen.<br />

Ich habe mich bewusst gegen e<strong>in</strong>e an Schlüsselthemen orientierte Behandlung <strong>de</strong>s Dra-<br />

mas und für e<strong>in</strong>e sukzessive Bearbeitung ausgewählter Szenen entschie<strong>de</strong>n. Ersteres<br />

wür<strong>de</strong> zwar <strong>de</strong>m Drama eher gerecht, da je<strong>de</strong> e<strong>in</strong>zelne Szene ja letztlich <strong>de</strong>r immer wie-<br />

<strong>de</strong>r neuen Amplifikation <strong>de</strong>s bereits im Vorspiel angelegten Grundthese ist, doch setzt<br />

diese Art <strong>de</strong>r Bearbeitung e<strong>in</strong>en guten Überblick über <strong>de</strong>n Text voraus, <strong>de</strong>r von Schüle-<br />

r<strong>in</strong>nen <strong>de</strong>r Klasse 11 noch nicht erwartet wer<strong>de</strong>n kann, da sie <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Behandlung von<br />

29 Die Unterrichtshilfen <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Reihe Ol<strong>de</strong>nbourg Interpretationen (Schnei<strong>de</strong>w<strong>in</strong>d/Sow<strong>in</strong>ski) z.B. sehen<br />

e<strong>in</strong>e an Schlüsselthemen (z.B. „Shen Tes Programm“, „Sezuan: Mo<strong>de</strong>ll e<strong>in</strong>er schlechten Gesellschaft“,<br />

„Das Verhalten <strong>de</strong>r Deklassierten und <strong>de</strong>r herrschen<strong>de</strong>n Klasse“) orientierte <strong>in</strong>haltliche Erarbeitung <strong>de</strong>s<br />

Stückes vor und liefern die Dramentheorie erst <strong>in</strong> <strong>de</strong>r 13./14. Stun<strong>de</strong> anhand <strong>de</strong>r Analyse <strong>de</strong>s 8. Bil<strong>de</strong>s<br />

nach. Die Unterrichshilfen von H. Kerber aus <strong>de</strong>r ParkKörner-Reihe schlagen e<strong>in</strong>e exemplarische Bearbeitung<br />

e<strong>in</strong>zelner Bil<strong>de</strong>r vor und die anschließen<strong>de</strong> Behandlung <strong>de</strong>r Theorie anhand e<strong>in</strong>er Zusammenstellung<br />

von Textauszügen aus Brechts theatertheoretischen Schriften. Maria Mitschkes Unterrichsmo<strong>de</strong>ll im<br />

Rahmen <strong>de</strong>r pb-Arbeitshilfen (Mitschke 1992) liefert zum Vorspiel allen zehn Bil<strong>de</strong>rn Unterrichtsvorschläge,<br />

spart aber die Zwischenspiele aus und behan<strong>de</strong>lt die Theorie <strong>de</strong>s <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong>s nur am Ran<strong>de</strong><br />

im Rahmen <strong>de</strong>r Szenen<strong>in</strong>terpretationen.<br />

17


Ganzschriften noch <strong>das</strong> sukzessive Erlesen gewohnt s<strong>in</strong>d. Außer<strong>de</strong>m war ich an die<br />

Vorgabe <strong>de</strong>r Kurslehrer<strong>in</strong> gebun<strong>de</strong>n, <strong>das</strong>s die Klausur <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Szenen<strong>in</strong>terpretation be-<br />

stehen sollte.<br />

Aus dieser Gesamtreihe wer<strong>de</strong> ich diejenigen Stun<strong>de</strong>n ausführlich darstellen, <strong>in</strong> <strong>de</strong>nen<br />

Aspekte <strong>de</strong>r Theorie <strong>de</strong>s <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong>s <strong>in</strong> beson<strong>de</strong>rer Weise im Mittelpunkt stehen,<br />

<strong>mit</strong>h<strong>in</strong> also die dritte Sequenz, die jedoch <strong>mit</strong> <strong>de</strong>r zweiten verbun<strong>de</strong>n ist, so <strong>das</strong>s ich hier<br />

ke<strong>in</strong>e zusammenhängen<strong>de</strong> Sequenz, son<strong>de</strong>rn mehrere über die Reihe verteilte E<strong>in</strong>zel-<br />

bzw. Doppelstun<strong>de</strong>n darstellen wer<strong>de</strong>.<br />

18


2.5 Grundsätzliche methodische Vorüberlegungen<br />

Die Didaktik <strong>de</strong>r letzten zwanzig Jahre ist durch e<strong>in</strong>e H<strong>in</strong>wendung zu han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>n und<br />

produktiven Verfahren im Unterricht gekennzeichnet. Für die Literaturdidaktik heißt<br />

dies <strong>in</strong>sbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>r traditionellen Textanalyse - also <strong>de</strong>m Re<strong>de</strong>n über <strong>de</strong>n Text - e<strong>in</strong>e<br />

produktive und praktische Arbeit <strong>mit</strong> <strong>de</strong>m Text gegenüber zu stellen. In ihrem Basisarti-<br />

kel <strong>in</strong> Praxis Deutsch über <strong>handlungs</strong>- und produktionsorientierten Literaturunterricht<br />

erklären Haas, Menzel und Sp<strong>in</strong>ner <strong>de</strong>n Doppelbegriff: Bei<strong>de</strong> Bestandteile <strong>de</strong>s Begriffs<br />

umfassen <strong>de</strong>n „vielfältigen, durch praktisches Han<strong>de</strong>ln und <strong>de</strong>n aktiven Gebrauch <strong>de</strong>r<br />

S<strong>in</strong>ne bestimmten Umgang <strong>mit</strong> gegebenen Texten und an<strong>de</strong>rerseits <strong>das</strong> produktive Er-<br />

zeugen von neuen Texten bzw. Textteilen und Textvarianten.“ 30 Handlungsorientiert<br />

nennen dabei die „bildlich-illustrativen, musikalischen, darstellen<strong>de</strong>n und spielen<strong>de</strong>n<br />

Arbeitsformen“, produktionsorientiert nennen sie die „stärker <strong>das</strong> kognitive Vermögen<br />

beanspruchen<strong>de</strong> Erzeugung von neuen Texten.“ 31 Ich wer<strong>de</strong> diese begriffliche Differen-<br />

zierung i.S. e<strong>in</strong>er Klarheit <strong>de</strong>r Begriffe <strong>in</strong> dieser Arbeit übernehmen, auch wenn es na-<br />

türlich möglich ist, „Produktionsorientierung“ als Überbegriff zu verstehen, da ja auch<br />

die <strong>handlungs</strong>orientiert genannten Verfahren immer auf Produktion (<strong>das</strong> sog. Hand-<br />

lungsprodukt) zielen. 32<br />

Als Vorteil <strong>de</strong>r <strong>handlungs</strong>- und produktionsorientierten Verfahren wird immer wie<strong>de</strong>r<br />

angeführt, <strong>das</strong>s sie durch die stärkere Aktivierung <strong>de</strong>r Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler gegen-<br />

über <strong>de</strong>m Unterrichtsgespräch motivationssteigernd wirken, so <strong>das</strong>s sie engagierter bei<br />

<strong>de</strong>r Sache seien, nicht zuletzt <strong>de</strong>shalb, weil sie sie zu persönlichen Deutungen veranlas-<br />

sen und überdies nicht nur e<strong>in</strong>seitig kognitiv, son<strong>de</strong>rn auch affektiv und emotional for-<br />

<strong>de</strong>rn und för<strong>de</strong>rn. Dadurch wird <strong>das</strong> Verständnis <strong>de</strong>r Gegenstän<strong>de</strong> erleichtert: „Man ver-<br />

steht e<strong>in</strong>e Sache besser, wenn man sie selbst gemacht hat“. 33 Allerd<strong>in</strong>gs dürfen die ent-<br />

sprechen<strong>de</strong>n Metho<strong>de</strong>n nicht zum Selbstzweck wer<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn stehen im Literaturun-<br />

terricht immer im Dienste <strong>de</strong>r Interpretation <strong>de</strong>s Gegenstands, d.h. <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Regel <strong>de</strong>s lite-<br />

rarischen Textes. 34<br />

Bei <strong>de</strong>r Behandlung e<strong>in</strong>es Dramas bieten sich unter <strong>de</strong>n <strong>handlungs</strong>orientierten Metho<strong>de</strong>n<br />

v.a. die <strong>de</strong>r szenischen Interpretation an. Dramen s<strong>in</strong>d nicht primär für Lektüre, son<strong>de</strong>rn<br />

30 Vgl. auch Haas’ (1997: 39f.) Def<strong>in</strong>ition: „die allgeme<strong>in</strong>ste und grundlegendste Bestimmung für <strong>de</strong>n Begriff<br />

‘<strong>handlungs</strong>- und produkt<strong>in</strong>sorientierter Umgang <strong>mit</strong> Texten’ [...]: Texte <strong>in</strong> an<strong>de</strong>re Medien, Aussageformen<br />

und Situationen h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>übersetzen, sie variieren, modifizieren, ergänzen, verän<strong>de</strong>rn, ihnen wi<strong>de</strong>rsprechen,<br />

sie spielen, aktualisieren, verfrem<strong>de</strong>n - alles <strong>in</strong> allem sie ohne falsche Ehrfurcht, aber <strong>mit</strong> wachsen<strong>de</strong>r<br />

Sensibilität als etwas Gemachtes und da<strong>mit</strong> auch zum<strong>in</strong><strong>de</strong>st versuchs- und probeweise Verän<strong>de</strong>rbares<br />

verstehen [...], auf sie <strong>in</strong> je<strong>de</strong>r realisierbaren Form reagieren.“<br />

31 Haas/Menzel/Sp<strong>in</strong>ner 18.<br />

32 Fritzsche (1994) argumentiert genau umgekehrt: „Der ‘han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong> Umgang <strong>mit</strong> Literatur’ [...] hat e<strong>in</strong>en<br />

weiteren Begriffsumfang als ‘produktive Verfahren’ [...] o<strong>de</strong>r auch ‘produktionsorientierter Literaturunterricht’<br />

[...], weil er auch solche Tätigkeiten wie Kommentieren und Rezensieren umfaßt“ (S. 197).<br />

33 Fritzsche (1994) 198; vgl. zum ganzen Abschnitt ebd. 197ff.<br />

34 Vgl. etwa Waldmann (1984), 125 u.ö. sowie Fritzsche 198f.<br />

19


für die Aufführung geschrieben. 35 Dieser Aspekt sollte grundsätzlich <strong>in</strong> <strong>de</strong>r unterrichtli-<br />

chen Arbeit <strong>mit</strong> <strong>de</strong>m Drama e<strong>in</strong>e tragen<strong>de</strong> Rolle spielen.<br />

Das Thema <strong>de</strong>r Arbeit „<strong>E<strong>in</strong>führung</strong> <strong>in</strong> die Theorie <strong>de</strong>s <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong>s nach Brecht<br />

<strong>mit</strong> Hilfe produktions- und <strong>handlungs</strong>orientierter Metho<strong>de</strong>n“ birgt allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong>e große<br />

Schwierigkeit. Brechts Stücke s<strong>in</strong>d über<strong>de</strong>utlich auf ihre gesellschaftspolitische Aussage<br />

h<strong>in</strong> konzipiert. Sie enthalten ke<strong>in</strong>e wirklichen <strong>in</strong>terpretatorischen Leerstellen, die etwa<br />

durch produktionsorientiere Arbeitsaufträge gefüllt wer<strong>de</strong>n könnten. Selbst die Auffor-<br />

<strong>de</strong>rung ans Publikum im Epilog <strong>de</strong>s Stückes Der gute Mensch von Sezuan, sich selbst<br />

<strong>de</strong>n Schluss zu suchen, darf nicht als Produktionsauftrag für e<strong>in</strong>e Fortsetzung <strong>de</strong>s Stücks<br />

verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n. Was Brecht for<strong>de</strong>rt, ist nicht die Fortsetzung <strong>de</strong>s Kunstwerkes, son-<br />

<strong>de</strong>rn die analytische Reflexion <strong>de</strong>s Gesehenen und <strong>das</strong> Ziehen von Konsequenzen <strong>mit</strong><br />

entsprechen<strong>de</strong>m verän<strong>de</strong>rn<strong>de</strong>n eigenem Han<strong>de</strong>ln.<br />

Auf ähnliche Schwierigkeiten stößt, wer Brechts Stücke <strong>handlungs</strong>orientiert, <strong>in</strong>sbeson-<br />

<strong>de</strong>re szenisch erarbeiten will. Gera<strong>de</strong> <strong>das</strong> Konzept <strong>de</strong>r szenischen Interpretation, wie es<br />

Ingo Scheller 36 entwickelt hat, verlangt von <strong>de</strong>n Schüler<strong>in</strong>nen und Schülern E<strong>in</strong>fühlung<br />

<strong>in</strong> die Figuren. Zu Beg<strong>in</strong>n <strong>de</strong>r szenischen Interpretationsarbeit wird hierbei je<strong>de</strong>m Schü-<br />

ler e<strong>in</strong>e Figur zugeteilt, die er bearbeiten soll, <strong>in</strong><strong>de</strong>m er e<strong>in</strong>e Rollenbiografie entwirft<br />

und <strong>mit</strong>tels verschie<strong>de</strong>ner Arbeitsaufträge <strong>das</strong> Geschehen aus <strong>de</strong>r Perspektive se<strong>in</strong>er Fi-<br />

gur bewertet. Doch die Brechtschen Figuren s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Regel völlig ungeeignet für e<strong>in</strong>e<br />

solche E<strong>in</strong>fühlung, die ja gera<strong>de</strong> nach <strong>de</strong>r Brechtschen Theorie ausgeschlossen bzw. im-<br />

mer wie<strong>de</strong>r durchkreuzt wer<strong>de</strong>n soll; sie s<strong>in</strong>d re<strong>in</strong>e Typen; im Sezuan-Stück lassen sich<br />

alle Figuren <strong>de</strong>n Klassen Proletarier (von <strong>de</strong>nen Shen Te und Sun e<strong>in</strong> gewisser Aufstieg<br />

ermöglicht wird), Kle<strong>in</strong>bürger (die jedoch alle <strong>in</strong>s Proletariat absteigen) und Kapitalis-<br />

ten zuordnen.<br />

Dass Scheller <strong>de</strong>nnoch auch für <strong>das</strong> Sezuan-Stück e<strong>in</strong> Mo<strong>de</strong>llbeispiel <strong>de</strong>r szenischen In-<br />

terpretation entwickelt, ist ihm nur durch e<strong>in</strong>e bestimmte verengen<strong>de</strong> und zum<strong>in</strong><strong>de</strong>st aus<br />

<strong>de</strong>r Perspektive <strong>de</strong>r Autoren<strong>in</strong>tention verfälschen<strong>de</strong> <strong>in</strong>terpretatorische Prämisse möglich.<br />

Scheller zufolge „führt <strong>das</strong> Stück <strong>de</strong>n Kampf und <strong>das</strong> Scheitern e<strong>in</strong>er Frau bei <strong>de</strong>m Ver-<br />

such vor, ihren spezifisch weiblichen Fähigkeiten öffentlich Geltung zu verschaffen“ 37 .<br />

Unter spezifisch weiblichen Fähigkeiten versteht er Shen Tes Nächstenliebe, Sensibilität<br />

für die Bedürfnisse <strong>de</strong>r Menschen ihrer Umgebung, ihre Spontaneität, Impulsivität und<br />

Emotionalität. 38 Abgesehen davon, <strong>das</strong>s es ausgesprochen problematisch ist, diese bezie-<br />

hungsorientierten Eigenschaften als spezifisch weibliche zu charakterisieren (es sei<br />

<strong>de</strong>nn, man untersucht die gesellschaftliche Bed<strong>in</strong>gtheit dieser Zuordnung, welches<br />

Scheller jedoch nicht vorsieht) läuft e<strong>in</strong>e solche Interpretation <strong>de</strong>r Brechtschen Intention<br />

völlig zuwi<strong>de</strong>r. Scheller macht auch ke<strong>in</strong>en Hehl daraus, <strong>das</strong>s er die Haltung Brechts<br />

35 Vgl. dazu z.B. Göbel 515 u.ö.<br />

36 Vgl. dazu Scheller (1993a) sowie <strong>de</strong>rs. (1996)<br />

37 Scheller (1993b) 85.<br />

38 Vgl. ebd.<br />

20


„verfrem<strong>de</strong>t“ (sic!) 39 , <strong>in</strong><strong>de</strong>m er e<strong>in</strong> „gegenwärtig gesellschaftlich relevantes Problem <strong>in</strong><br />

<strong>de</strong>n Mittelpunkt [stellt], nämlich die Frage, wie Frauen <strong>in</strong> männlich <strong>de</strong>f<strong>in</strong>ierten Berufs-<br />

fel<strong>de</strong>rn e<strong>in</strong>e eigene Position entwickeln können.“ 40 So <strong>in</strong>teressant und lebensbezogen<br />

diese Fragestellung auch se<strong>in</strong> mag, <strong>mit</strong> Interpretation hat dies nicht mehr viel zu tun.<br />

E<strong>in</strong>e Arbeit am Text muss sich auch immer an ihm selbst rechtfertigen lassen können.<br />

Dennoch ist es möglich, bei <strong>de</strong>r Erarbeitung <strong>de</strong>r <strong>Theater</strong>theorie Brechts <strong>mit</strong> szenischen<br />

Verfahren zu arbeiten. Die Darstellungsweisen <strong>de</strong>s <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong>s, <strong>in</strong>sbeson<strong>de</strong>re die<br />

Verfremdungselemente s<strong>in</strong>d bei <strong>de</strong>r re<strong>in</strong>en Textlektüre leicht zu übersehen; erst die sze-<br />

nische Darstellung macht sie <strong>in</strong> ihrer gewollten Künstlichkeit <strong>de</strong>utlich. Dies ist aller-<br />

d<strong>in</strong>gs auch durch aufführungsbezogene Lektüre 41 möglich und erfor<strong>de</strong>rt nicht unbed<strong>in</strong>gt<br />

<strong>de</strong>n Aufwand <strong>de</strong>s selbständigen Inszenierens. In <strong>de</strong>r hier dokumentierten Reihe geht es<br />

mir vielmehr zunächst darum zu zeigen, wie die Theorie selbst szenisch erarbeitet wer-<br />

<strong>de</strong>n kann. In<strong>de</strong>m die Schüler<strong>in</strong>nen ausgehend von zwei Thesen zum dramatischen bzw.<br />

zum <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong> selbst kurze Alltagsszenen erspielen, ent<strong>de</strong>cken sie die unter-<br />

schiedlichen Darstellungs- und Wirkungsweisen <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n <strong>Theater</strong>formen im selbstän-<br />

digen Tun. Dieses so ent<strong>de</strong>ckte Wissen bedarf freilich e<strong>in</strong>er theoretischen Fundierung<br />

und wird durch analytische Textarbeit an theatertheoretischen Texten Brechts sowie am<br />

Drama selbst gesichert und vertieft.<br />

Darüber h<strong>in</strong>aus möchte ich <strong>das</strong> als Musterszene <strong>de</strong>s <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong>s bezeichnete 8.<br />

Bild <strong>de</strong>s Dramas u.a. produktionsorientiert durch e<strong>in</strong>en transformieren<strong>de</strong>n Schreibauf-<br />

trag von <strong>de</strong>n Schüler<strong>in</strong>nen erabeiten lassen, durch <strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Verfremdungseffekt durch<br />

<strong>de</strong>ssen Aufhebung <strong>mit</strong>tels <strong>de</strong>s transformieren<strong>de</strong>n Verfahrens um so <strong>de</strong>utlicher hervortre-<br />

ten soll.<br />

Die <strong>E<strong>in</strong>führung</strong> <strong>in</strong> die Theorie <strong>de</strong>s <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong>s erfolgt <strong>in</strong> <strong>de</strong>r hier dokumentierten<br />

Reihe also verschränkt <strong>mit</strong> <strong>de</strong>r Behandlung e<strong>in</strong>es Dramas von Brecht. E<strong>in</strong>e mögliche<br />

Alternative zu dieser Bearbeitungsform wäre die arbeitsteilige Behandlung mehrerer<br />

Dramen, um so <strong>mit</strong> <strong>de</strong>r Lerngruppe <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>es umfangreicheren Unterrichtsvorha-<br />

bens vergleichend die wesentlichen Formtypen zu erarbeiten, also nicht e<strong>in</strong>en Formtyp<br />

<strong>in</strong> <strong>de</strong>n Mittelpunkt zu stellen. So schlägt z.B. Waldmann <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em dramendidaktischen<br />

Werk im Kapitel über die Erarbeitungen von Formtypen <strong>de</strong>s Dramas vor, <strong>das</strong>s die Schü-<br />

ler<strong>in</strong>nen und Schüler nach <strong>de</strong>m arbeitsteiligen Bearbeiten analytischer Aufgaben je wie-<br />

<strong>de</strong>rum arbeitsteilig zu verschie<strong>de</strong>nen Dramentypen selbst e<strong>in</strong> Kurzdrama <strong>de</strong>r jeweiligen<br />

Form schreiben. 42 Diese Vorgehensweise ist aber ausgesprochen zeitaufwendig und sehr<br />

komplex. Die Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler müssen sich selbstständig je e<strong>in</strong> Drama e<strong>in</strong>es<br />

Formtyps erarbeiten, theoretische Texte dazu verstehen und dann e<strong>in</strong> eigenes Drama <strong>de</strong>s<br />

entsprechen<strong>de</strong>n Typs entwerfen. Ich halte dies für e<strong>in</strong>e Überfor<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Schüler<strong>in</strong>nen<br />

und Schüler und bezweifle <strong>de</strong>n Erfolg <strong>de</strong>s Verfahrens für die gesamte Lerngruppe, da<br />

39 Scheller (1993b) 86.<br />

40 Ebd.<br />

41 Vgl. dazu Payrhuber 76ff.<br />

42 Vgl. Waldmann (1999), S. 47-117.<br />

21


auf diese Weise je<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>zelne Schüler bzw. je<strong>de</strong> e<strong>in</strong>zelne Schüler<strong>in</strong> nur e<strong>in</strong>en Dramen-<br />

typ kennengelernt hat und die an<strong>de</strong>ren Formen nur über die ja sicher aus Zeitgrün<strong>de</strong>n re-<br />

lativ knappe Präsentation <strong>de</strong>r Ergebnisse e<strong>in</strong>e nur sehr ansatzweise Ahnung über Intenti-<br />

on und Beson<strong>de</strong>rheiten <strong>de</strong>r jeweils bearbeiteten und selbst erstellten Texte erhalten.<br />

22


3 Planung, Darstellung und Reflexion <strong>de</strong>r E<strong>in</strong>zelstun<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Sequenz<br />

3.1 Die erste und zweite Stun<strong>de</strong> (3. und 4. Stun<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Gesamtreihe)<br />

Thema: <strong>E<strong>in</strong>führung</strong> <strong>in</strong> <strong>das</strong> <strong>epische</strong> <strong>Theater</strong> anhand <strong>de</strong>r kontrastieren<strong>de</strong>n Gegen-<br />

überstellung von Inszenierungen e<strong>in</strong>er Alltagsszene und <strong>de</strong>r Analyse e<strong>in</strong>es pro-<br />

grammatischen Textes zur Abgrenzung <strong>de</strong>s <strong>epische</strong>n vom „dramatischen“ <strong>Theater</strong>.<br />

3.1.1 Planung <strong>de</strong>r Unterrichtsstun<strong>de</strong><br />

Ich wer<strong>de</strong> die bei<strong>de</strong>n Stun<strong>de</strong>n, die zwar zwei unterschiedliche Schwerpunkte haben, je-<br />

doch eng zusammen gehören, als e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>heit darstellen, nicht zuletzt <strong>de</strong>shalb, weil <strong>de</strong>r<br />

erste Teil <strong>de</strong>r Stun<strong>de</strong> - die szenische Erarbeitung wichtiger Elemente <strong>de</strong>r Brechtschen<br />

<strong>Theater</strong>theorie - <strong>in</strong>klusive <strong>de</strong>r E<strong>in</strong>stiegsphase ca. 60 M<strong>in</strong>uten dauern wird und die Be-<br />

sprechung <strong>de</strong>s Brecht-Textes, die am Beg<strong>in</strong>n <strong>de</strong>r ersten Stun<strong>de</strong> durch die daraus ent-<br />

nommenen bei<strong>de</strong>n E<strong>in</strong>gangsthesen e<strong>in</strong>geleitet wird, auch <strong>in</strong> kürzerer Zeit zu bewältigen<br />

ist. Daher wer<strong>de</strong> ich <strong>mit</strong> <strong>de</strong>n Schüler<strong>in</strong>nen e<strong>in</strong>e entsprechen<strong>de</strong> Verschiebung <strong>de</strong>r Fünf-<br />

m<strong>in</strong>utenpause vere<strong>in</strong>baren.<br />

3.1.1.1 Lernziele<br />

Stun<strong>de</strong>nziel:<br />

Die Schüler<strong>in</strong>nen lernen Grundzüge <strong>de</strong>s <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong>s nach Brecht kennen, <strong>in</strong><strong>de</strong>m<br />

sie durch Gegenüberstellung verschie<strong>de</strong>ner selbst entwickelter szenischer Umsetzungen<br />

e<strong>in</strong>er Alltagssituation Elemente <strong>epische</strong>n und dramatischen <strong>Theater</strong>s vorführen und ana-<br />

lysieren und ihre so erworbenen Kenntnisse an <strong>de</strong>m Text „Die dramatische und die epi-<br />

sche Form <strong>de</strong>s <strong>Theater</strong>s“ von B. Brecht vertiefen.<br />

Teilziele:<br />

1) Die Schüler<strong>in</strong>nen äußern sich spontan zu zwei ihnen präsentierten Thesen Brechts<br />

zur Kontrastierung <strong>de</strong>r dramatischen und <strong>de</strong>r <strong>epische</strong>n Form <strong>de</strong>s <strong>Theater</strong>s und entwi-<br />

ckeln hier aufgrund ihrer Leseerfahrung erste Vermutungen über <strong>de</strong>ren Be<strong>de</strong>utung.<br />

2) Die Schüler<strong>in</strong>nen klären im Gespräch über die bei<strong>de</strong>n Thesen die Begriffe ‘drama-<br />

tisch’ und ‘episch’ und erkennen dabei wesentliche Grundzüge <strong>de</strong>s <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong>s<br />

gegenüber <strong>de</strong>m dramatischen.<br />

3) Die Schüler<strong>in</strong>nen vollziehen <strong>das</strong> Gelernte im szenischen Spiel nach und vertiefen da-<br />

durch ihre erworbenen Kenntnisse, <strong>in</strong><strong>de</strong>m sie e<strong>in</strong>e vorgegebene Alltagssituation ent-<br />

we<strong>de</strong>r <strong>mit</strong> Mitteln <strong>de</strong>s <strong>epische</strong>n o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s dramatischen <strong>Theater</strong>s <strong>in</strong>szenieren.<br />

4) Die Schüler<strong>in</strong>nen wen<strong>de</strong>n ihre Kenntnisse an, <strong>in</strong><strong>de</strong>m sie bei <strong>de</strong>r Vorführung <strong>de</strong>r erar-<br />

beiteten Szenen die jeweilige Spielweise begrün<strong>de</strong>t benennen und die jeweilige Wir-<br />

kung auf <strong>de</strong>n Zuschauer analysieren.<br />

23


5) Die Schüler<strong>in</strong>nen vertiefen und erweitern ihre erworbenen Kenntnisse am Text, <strong>in</strong>-<br />

<strong>de</strong>m sie die Brechtsche Gegenüberstellung, die ihnen als Lückentext vorliegt, selb-<br />

ständig ergänzen und durch Anwendung auf ihnen bekannte Dramen bei<strong>de</strong>r Formen<br />

erläutern.<br />

3.1.1.2 Überlegungen zur Sache und didaktische Reduktion<br />

Zur Darlegung <strong>de</strong>r Brechtschen <strong>Theater</strong>theorie verweise ich auf die Sachanalyse im<br />

zweiten Kapitel und beschränke mich hier auf die Elemente <strong>de</strong>r Theorie, die Schwer-<br />

punkt dieser Stun<strong>de</strong> se<strong>in</strong> wer<strong>de</strong>n. In <strong>de</strong>r heutigen Stun<strong>de</strong> sollen die Schüler<strong>in</strong>nen we-<br />

sentliche Elemente <strong>de</strong>s <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong>s gegenüber <strong>de</strong>m von Brecht so titulierten „dra-<br />

matischen“ <strong>Theater</strong> kennen lernen. Es ersche<strong>in</strong>t mir s<strong>in</strong>nvoll, <strong>in</strong> die Brechtsche <strong>Theater</strong>-<br />

theorie anhand <strong>de</strong>s Textes Die dramatische und die <strong>epische</strong> Form <strong>de</strong>s <strong>Theater</strong>s aus<br />

Brechts Anmerkungen zur Oper „Aufstieg und Fall <strong>de</strong>r Stadt Mahagonny“ 43 e<strong>in</strong>zufüh-<br />

ren, da dieser Text zu <strong>de</strong>n ersten programmatischen Schriften Brechts zu se<strong>in</strong>er <strong>Theater</strong>-<br />

theorie gehört und überdies durch die Kontrastierung <strong>de</strong>s Neuen am <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong><br />

gegenüber <strong>de</strong>n traditionellen Formen sehr plakativ - und da<strong>mit</strong> auch kritisierbar - darge-<br />

stellt wird. Es ist allerd<strong>in</strong>gs ob <strong>de</strong>r dürren sprachlichen Form <strong>de</strong>s Textes kaum möglich,<br />

diese Thesen wirklich zu verstehen, weil je<strong>de</strong> e<strong>in</strong>zelne e<strong>in</strong>er Erläuterung bedarf, die von<br />

<strong>de</strong>n Schüler<strong>in</strong>nen nur durch starke Lenkung <strong>de</strong>r Lehrperson leistbar ist. Daher lege ich<br />

<strong>de</strong>n Schwerpunkt <strong>de</strong>r Doppelstun<strong>de</strong> auf die Erarbeitung <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Grundthesen: „Die<br />

Bühne verkörpert e<strong>in</strong>en Vorgang.“ vs. „sie erzählt ihn“. Anhand dieser Thesen können<br />

die Schüler<strong>in</strong>nen bereits erste Vermutungen über weitere E<strong>in</strong>zelheiten <strong>de</strong>r Brechtschen<br />

<strong>Theater</strong>auffassung anstellen: die Vermischung <strong>epische</strong>r (i. S. v. erzählend, d.h. durch<br />

Wendung an <strong>das</strong> Publikum <strong>mit</strong>tels <strong>in</strong> die Handlung e<strong>in</strong>führen<strong>de</strong>r bzw. diese nachträg-<br />

lich reflektieren<strong>de</strong> Elemente, Songs, lyrische E<strong>in</strong>lagen, Zwischenspiele ) und dramati-<br />

scher (i.S. v. szenisch, d.h. alle<strong>in</strong> durch Re<strong>de</strong> und Gegenre<strong>de</strong> dargestellte Handlung)<br />

Elemente <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em <strong>Theater</strong>stück. Nach dieser Klärung sollen diese Grundthesen durch<br />

szenisches Spiel nachvollzogen wer<strong>de</strong>n, um anschließend ihre Wirkung zu analysieren.<br />

Brecht geht davon aus, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> dramatische <strong>Theater</strong> durch se<strong>in</strong> Bestreben nach realisti-<br />

scher Darstellung, <strong>de</strong>r totalen I<strong>de</strong>ntifikation <strong>de</strong>r Zuschauer <strong>mit</strong> <strong>de</strong>r Rolle e<strong>in</strong>e suggestive<br />

Wirkung auf <strong>de</strong>n Zuschauer hat, die ihn <strong>de</strong>rart <strong>in</strong> die Handlung <strong>in</strong>volviert, <strong>das</strong>s er unfä-<br />

hig ist, diese zu reflektieren und nach Handlungsalternativen zu fragen. Das <strong>epische</strong><br />

<strong>Theater</strong> <strong>mit</strong> se<strong>in</strong>er befremdlichen Wirkung auf <strong>de</strong>n Zuschauer reißt ihn h<strong>in</strong>gegen immer<br />

wie<strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>r Spielhandlung h<strong>in</strong>aus, verh<strong>in</strong><strong>de</strong>rt so<strong>mit</strong> E<strong>in</strong>fühlung, um <strong>de</strong>n Zuschauer<br />

statt <strong>de</strong>ssen zur rationalen Reflexion zu zw<strong>in</strong>gen. Die Schüler<strong>in</strong>nen wer<strong>de</strong>n nicht <strong>in</strong> <strong>de</strong>r<br />

Lage se<strong>in</strong>, diese Intention, die ja auch <strong>mit</strong> <strong>de</strong>m Transport e<strong>in</strong>er bestimmten i<strong>de</strong>ologi-<br />

schen Botschaft verbun<strong>de</strong>n ist, <strong>in</strong> voller Gänze nachzuvollziehen; doch sollte es ihnen<br />

möglich se<strong>in</strong> zu ent<strong>de</strong>cken, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> <strong>epische</strong> <strong>Theater</strong> E<strong>in</strong>fühlung und Illusion von realis-<br />

43 Brecht, B: Anmerkungen zur Oper „Aufstieg und Fall <strong>de</strong>r Stadt Mahagonny“, GW 17, S. 1009 f.<br />

24


tischer Darstellung verh<strong>in</strong><strong>de</strong>rn und Abstandnahme sowohl <strong>de</strong>s Schauspielers von se<strong>in</strong>er<br />

Rolle als auch <strong>de</strong>s Zuschauers vom Dargestellten provozieren will. Zur Klärung <strong>de</strong>r ge-<br />

sellschaftspolitischen Intention <strong>de</strong>r Theorie wird man <strong>in</strong> dieser Stun<strong>de</strong> nicht kommen<br />

können; dies wird ansatzweise Inhalt <strong>de</strong>r folgen<strong>de</strong>n E<strong>in</strong>zelstun<strong>de</strong> anhand e<strong>in</strong>es weiteren<br />

theatertheoretischen Textes Brechts se<strong>in</strong> und anhand <strong>de</strong>r Analyse <strong>de</strong>s ersten Bil<strong>de</strong>s <strong>de</strong>s<br />

behan<strong>de</strong>lten Dramas vertieft wer<strong>de</strong>n, an <strong>de</strong>m sich recht gut Brechts marxistische Welt-<br />

auffassung zeigen lässt.<br />

3.1.1.3 Geplanter Stun<strong>de</strong>nverlauf und Begründung <strong>de</strong>r methodischen Entscheidungen<br />

E<strong>in</strong>stieg<br />

Zu Beg<strong>in</strong>n <strong>de</strong>r Stun<strong>de</strong> konfrontiere ich die Schüler<strong>in</strong>nen <strong>mit</strong> <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n ersten Thesen<br />

<strong>de</strong>s o.g. Textes, <strong>in</strong> <strong>de</strong>m ich folgen<strong>de</strong>s Tafelbild vorgebe:<br />

Zwei Formen <strong>de</strong>s <strong>Theater</strong>s<br />

Das dramatische <strong>Theater</strong>: Das <strong>epische</strong> <strong>Theater</strong>:<br />

Die Bühne verkörpert e<strong>in</strong>en Vorgang Die Bühne erzählt e<strong>in</strong>en Vorgang.<br />

(z.B. Less<strong>in</strong>g) (Brecht)<br />

Die Schüler<strong>in</strong>nen sollen als erstes frei zu <strong>de</strong>n Thesen assoziieren. Es wird ihnen möglich<br />

se<strong>in</strong>, diese zu erläutern, da ich <strong>mit</strong> <strong>de</strong>n Schüler<strong>in</strong>nen bereits im vergangenen Quartal<br />

ausführlich Less<strong>in</strong>gs <strong>Theater</strong>auffassung erarbeitet habe und sie auch <strong>mit</strong> <strong>de</strong>r gängigen<br />

Unterscheidung „Epik-Dramatik-Lyrik“ vertraut s<strong>in</strong>d. Daher ersche<strong>in</strong>t mir diese recht<br />

plakative Vorgehensweise s<strong>in</strong>nvoll. Die Schüler<strong>in</strong>nen können auf diese Weise ihr Vor-<br />

wissen für die Erarbeitung neuer Inhalte selbständig anwen<strong>de</strong>n. Ich erwarte, <strong>das</strong>s sie zu-<br />

nächst die Begriffe „dramatisch“ und „episch“ bzw. „verkörpern“ und „erzählen“ vonei-<br />

nan<strong>de</strong>r abzugrenzen versuchen. Ich wer<strong>de</strong> dabei auch ggf. nach typischen Beispielen für<br />

Epik und <strong>de</strong>ren Merkmalen fragen. Als Ergebnis dieser ersten Klärung, für die ich etwa<br />

zehn M<strong>in</strong>uten Zeit veranschlage, erwarte ich, <strong>das</strong>s die Schüler<strong>in</strong>nen erkennen, <strong>das</strong>s es<br />

<strong>de</strong>m dramatischen <strong>Theater</strong> darum geht, durch die Anlage <strong>de</strong>s Textes, <strong>das</strong> Agieren <strong>de</strong>r<br />

Schauspieler, bühnentechnischer Mittel e<strong>in</strong>e Handlung so <strong>in</strong> Szene zu setzen, <strong>das</strong>s <strong>de</strong>m<br />

Zuschauer e<strong>in</strong> Geschehen so realistisch wie möglich szenisch dargestellt wird, so <strong>das</strong>s<br />

<strong>de</strong>r Zuschauer die Illusion hat, e<strong>in</strong>em tatsächlichen bzw. real möglichen Vorgang beizu-<br />

wohnen, woh<strong>in</strong>gegen im <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong> die szenische Darstellung immer wie<strong>de</strong>r<br />

durch erzählen<strong>de</strong> Elemente unterbrochen wird, bei <strong>de</strong>nen die Darsteller <strong>de</strong>utlich ver-<br />

schie<strong>de</strong>n von <strong>de</strong>r eigentlichen Handlung agieren müssen. Dieses Ergebnis ist auch <strong>de</strong>s-<br />

halb erreichbar, weil beim Äußern <strong>de</strong>r ersten Lesee<strong>in</strong>drücke viele Schüler<strong>in</strong>nen bereits<br />

eben diese Auffälligkeiten <strong>de</strong>s Brecht-Dramas gegenüber ihnen bekannten an<strong>de</strong>ren Dra-<br />

men erkannt hatten.<br />

25


Erarbeitung<br />

Nach <strong>de</strong>r Klärung <strong>de</strong>r Grundthesen Brechts zu <strong>de</strong>n von ihm gegenübergestellten Formen<br />

<strong>de</strong>s <strong>Theater</strong>s sollen die Schüler<strong>in</strong>nen <strong>in</strong> vier Gruppen e<strong>in</strong>e Alltagssituation <strong>in</strong> Szene set-<br />

zen: „Rita begegnet zufällig Margret, <strong>mit</strong> <strong>de</strong>r sie sich vor fünf Jahren wegen e<strong>in</strong>es Man-<br />

nes zerstritten hat.“ Dabei dürfen sie sich selbst für e<strong>in</strong>e Inszenierungsform entschei<strong>de</strong>n.<br />

Ich lasse die Situation bewusst offen, da<strong>mit</strong> die Schüler<strong>in</strong>nen viel Raum haben, ihre<br />

Phantasie zu entfalten. Die Situation wird ihnen <strong>in</strong> ähnlicher Weise bekannt se<strong>in</strong>, weil<br />

Jugendliche dieses Alters (die Schüler<strong>in</strong>nen s<strong>in</strong>d <strong>mit</strong> e<strong>in</strong>er Ausnahme zwischen 17 und<br />

19 Jahren) bereits e<strong>in</strong>ige Erfahrungen <strong>mit</strong> Partnerschaft und Eifersucht gemacht haben.<br />

Die Schüler<strong>in</strong>nen haben durch die Offenheit <strong>de</strong>r vorgegebenen Situation viele Möglich-<br />

keiten <strong>de</strong>r Umsetzung. Sie könnten z.B. die Begegnung selbst spielen und die Vorge-<br />

schichte durch e<strong>in</strong>e Spieler<strong>in</strong> - sei es e<strong>in</strong>e <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Frauen o<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>e zusätzlich e<strong>in</strong>ge-<br />

führte Figur - erläutern, also durch E<strong>in</strong>fügen e<strong>in</strong>es <strong>epische</strong>n Elements. Die Vorgeschich-<br />

te kann aber auch unter Verzicht auf <strong>epische</strong> Elemente durch <strong>de</strong>n Dialog selbst <strong>de</strong>utlich<br />

wer<strong>de</strong>n Es ist aber ebenso möglich, die Vorgeschichte selbst auch <strong>mit</strong>tels e<strong>in</strong>er Rück-<br />

blen<strong>de</strong> szenisch darzustellen usw.<br />

Ich habe mich gegen die Alternative entschie<strong>de</strong>n, e<strong>in</strong>e Situation vorzugeben, <strong>in</strong> <strong>de</strong>r e<strong>in</strong>e<br />

politische Position transportiert wer<strong>de</strong>n muss, anhand <strong>de</strong>rer die von Brecht angestrebte<br />

gesellschaftspolitische Relevanz <strong>de</strong>s <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong>s ver<strong>de</strong>utlicht wer<strong>de</strong>n könnte.<br />

Dies halte ich für e<strong>in</strong>e Überfor<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Schüler<strong>in</strong>nen, da sie unterschiedliche und vom<br />

mir kaum e<strong>in</strong>schätzbare politische Kenntnisse, Ansichten und Interessen haben. Außer-<br />

<strong>de</strong>m reicht e<strong>in</strong>e solche Alltagssituation aus, um <strong>das</strong> von mir angestrebte Ziel, die we-<br />

sentlichen Mittel <strong>de</strong>s <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong>s kennenzulernen und selbst anzuwen<strong>de</strong>n, zu er-<br />

reichen.<br />

Ebenso habe ich mich dagegen entschie<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>n Schüler<strong>in</strong>nen verschie<strong>de</strong>ne Situationen<br />

vorzugeben. Dies wür<strong>de</strong> zwar mögliche Wie<strong>de</strong>rholungen vermei<strong>de</strong>n, aber <strong>de</strong>n Vergleich<br />

<strong>de</strong>r Wirkung <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n <strong>Theater</strong>formen erschweren.<br />

Durch die Metho<strong>de</strong> <strong>de</strong>s freien szenischen Spiels sollen die Schüler<strong>in</strong>nen <strong>das</strong> Gelernte<br />

zunächst anwen<strong>de</strong>n, aber <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Entwicklung ihrer Szene zu weiteren Erkenntnissen<br />

über Mittel und Wirkung <strong>de</strong>s <strong>epische</strong>n bzw. <strong>de</strong>s dramatischen <strong>Theater</strong>s kommen. Ich<br />

habe mich für dieses ent<strong>de</strong>cken<strong>de</strong> Verfahren entschie<strong>de</strong>n, weil ich davon ausgehe, <strong>das</strong>s<br />

es motivieren<strong>de</strong>r ist als e<strong>in</strong> re<strong>in</strong> analytisches Erarbeiten <strong>de</strong>r Theorie am Text bzw. e<strong>in</strong>er<br />

theatertheoretischen Schrift Brechts selbst ist und <strong>de</strong>r Lerneffekt auf diese Weise nach-<br />

haltiger ist.<br />

Im Übrigen wählt Brecht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er se<strong>in</strong>er theoretischen Schriften e<strong>in</strong>en ähnlichen An-<br />

satz. 44 In diesem Text erklärt er die Techniken <strong>de</strong>s <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong>s an <strong>de</strong>r Demonstra-<br />

tion e<strong>in</strong>er je<strong>de</strong>m bekannten Alltagsszene: So wie e<strong>in</strong> Zeuge e<strong>in</strong>en von ihm beobachteten<br />

Unfall beschreibt, <strong>in</strong><strong>de</strong>m er e<strong>in</strong>ige Sequenzen vorführt, an<strong>de</strong>res berichtend nachträgt<br />

bzw. se<strong>in</strong>e „szenische“ Demonstration durch Erläuterungen verständlicher macht, arbei-<br />

44 Vgl. B. Brecht: Die Straßenszene, GW 16, S. 546-558.<br />

26


tet auch <strong>das</strong> <strong>epische</strong> <strong>Theater</strong>. E<strong>in</strong> Geschehen soll nicht <strong>mit</strong> Mitteln <strong>de</strong>r Illusion darge-<br />

stellt wer<strong>de</strong>n, weil dies pure Emotionen wecken wür<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn es soll so wie<strong>de</strong>rholt<br />

wer<strong>de</strong>n, <strong>das</strong>s <strong>de</strong>r Demonstrationscharakter nicht verborgen bleibt.<br />

Aus Zeitgrün<strong>de</strong>n kann ich <strong>de</strong>n Schüler<strong>in</strong>nen maximal zwanzig M<strong>in</strong>uten für die Erarbei-<br />

tung <strong>de</strong>r Szenen e<strong>in</strong>räumen, da diese sonst nicht mehr angemessen ausgewertet wer<strong>de</strong>n<br />

können. Die E<strong>in</strong>fachheit <strong>de</strong>r vorgegebenen Situation spricht aber dafür, <strong>das</strong>s die e<strong>in</strong>ge-<br />

räumte Erarbeitungszeit ausreichen wird.<br />

Auswertung<br />

Die vier Gruppen spielen nache<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r ihre Szenen vor. Nach je<strong>de</strong>m Spiel wird <strong>das</strong><br />

Dargestellte zunächst beschrieben und dann begrün<strong>de</strong>t entschie<strong>de</strong>n, ob es sich um e<strong>in</strong>e<br />

<strong>epische</strong> o<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>e dramatische Darstellungsweise han<strong>de</strong>lt. Dadurch kann <strong>das</strong> bisher er-<br />

worbene Wissen über die Merkmale bei<strong>de</strong>r Formen überprüft und gesichert wer<strong>de</strong>n.<br />

Vermutlich wer<strong>de</strong>n sich die meisten Schüler<strong>in</strong>nen für die <strong>epische</strong> Darstellungsform ent-<br />

schei<strong>de</strong>n, weil sie weniger Darstellungskunst erfor<strong>de</strong>rt und es e<strong>in</strong>facher ist, die Vorge-<br />

schichte zu erzählen. Doch die Schüler<strong>in</strong>nen wer<strong>de</strong>n die <strong>epische</strong>n Mittel auf verschie<strong>de</strong>-<br />

ne Weise und <strong>in</strong> unterschiedlicher Intensität anwen<strong>de</strong>n, so <strong>das</strong>s die Auswertung je<strong>de</strong>r<br />

e<strong>in</strong>zelnen Szene auch im ungünstigsten Fall, <strong>das</strong>s ke<strong>in</strong>e Gruppe die dramatische Form<br />

wählt, trotz<strong>de</strong>m Lerneffekte zeitigen wird, <strong>in</strong><strong>de</strong>m etwa Darstellungsalternativen disku-<br />

tiert wer<strong>de</strong>n.<br />

Nach<strong>de</strong>m alle Gruppen ihre Szenen vorgeführt haben, sollen abschließend zusammen-<br />

fassend die jeweiligen Mittel <strong>de</strong>r Darstellung und die unterschiedliche Wirkung <strong>de</strong>r bei-<br />

<strong>de</strong>n Formtypen diskutiert wer<strong>de</strong>n. Ich erwarte, <strong>das</strong>s die Schüler<strong>in</strong>nen für die dramatische<br />

Form v.a. auf die Bereiche<br />

· realistische Darstellung<br />

· Wecken von Illusion<br />

· Möglichkeit <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>ntifikation und E<strong>in</strong>fühlung<br />

· Wie<strong>de</strong>rerkennungseffekt<br />

e<strong>in</strong>gehen wer<strong>de</strong>n und für die <strong>epische</strong> Form<br />

· Distanznahme <strong>de</strong>s Spielers von <strong>de</strong>r Rolle<br />

· Distanznahme <strong>de</strong>s Zuschauers vom Gesehenen<br />

· Fremdheit<br />

· Möglichkeit <strong>de</strong>s Nach<strong>de</strong>nkens über <strong>das</strong> Dargestellte<br />

· Be<strong>de</strong>nken von Alternativen<br />

Möglicherweise wer<strong>de</strong>n die Schüler<strong>in</strong>nen aber auch bemängeln, <strong>das</strong>s die <strong>epische</strong> Form<br />

durch die ständige Unterbrechung <strong>de</strong>r Handlung durch e<strong>in</strong>geschobene Erklärungen ver-<br />

wirrend o<strong>de</strong>r langweilig wirkt.<br />

27


Inwieweit dieses Ziel erreicht wer<strong>de</strong>n kann, hängt stark von <strong>de</strong>r Qualität <strong>de</strong>s Vorgeführ-<br />

ten ab und von <strong>de</strong>r Fähigkeit <strong>de</strong>r Schüler<strong>in</strong>nen von <strong>de</strong>r spielerischen Erarbeitung wie<strong>de</strong>r<br />

zur analytischen Reflexion zu kommen.<br />

Vertiefung und Auswertung II<br />

Im bisherigen Verlauf <strong>de</strong>r Stun<strong>de</strong> konnten nicht alle von Brecht genannten Unterschei-<br />

dungskriterien <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Formtypen erarbeitet wer<strong>de</strong>n. Auch die genannten bedürfen<br />

e<strong>in</strong>er weiteren Reflexion. Daher sollen die Schüler<strong>in</strong>nen <strong>de</strong>n - leicht gekürzten - Text 45<br />

nun doch kennenlernen. Ich wähle hier wie<strong>de</strong>r e<strong>in</strong> ent<strong>de</strong>cken<strong>de</strong>s Verfahren <strong>de</strong>r Erarbei-<br />

tung <strong>de</strong>s Textes, <strong>in</strong> <strong>de</strong>m ich auf bei<strong>de</strong>n Seiten <strong>de</strong>r tabellarischen Gegenüberstellung<br />

Textteile weggelassen habe, die die Schüler<strong>in</strong>nen <strong>in</strong> Partnerarbeit ergänzen sollen. E<strong>in</strong>i-<br />

ge <strong>de</strong>r Thesen wer<strong>de</strong>n die Schüler<strong>in</strong>nen bereits durch <strong>das</strong> bisher Erarbeitete leicht füllen<br />

können, bei <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren hilft ihnen <strong>de</strong>r von mir gegebene H<strong>in</strong>weis, <strong>das</strong>s sie versuchen<br />

sollen, <strong>das</strong> jeweilige Gegenteil <strong>de</strong>r nebenstehen<strong>de</strong>n These zu formulieren. Zur Erleichte-<br />

rung <strong>de</strong>r auswerten<strong>de</strong>n Besprechung s<strong>in</strong>d die Thesen auf <strong>de</strong>m Arbeitsblatt im Gegensatz<br />

zum Orig<strong>in</strong>altext - nummeriert.<br />

Für die Auswertung präsentiere ich <strong>de</strong>n gekürzten Orig<strong>in</strong>altext als OHP-Folie, wobei<br />

nach <strong>de</strong>n jeweiligen Vorschlägen <strong>de</strong>r Schüler<strong>in</strong>nen These für These aufge<strong>de</strong>ckt wird.<br />

Der vervollständigte Text 46 wird <strong>de</strong>n Schüler<strong>in</strong>nen am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Stun<strong>de</strong> zu Sicherheit<br />

noch e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> Kopie ausgehändigt.<br />

Die ersten bei<strong>de</strong>n Thesen s<strong>in</strong>d natürlich nicht <strong>mit</strong> Lücken versehen wor<strong>de</strong>n, da sie be-<br />

reits zu Beg<strong>in</strong>n <strong>de</strong>r Doppelstun<strong>de</strong> geklärt wur<strong>de</strong>n. Auch die Lücke <strong>in</strong> <strong>de</strong>r zweiten These<br />

(dramatische Form) wer<strong>de</strong>n sie füllen können, wenn <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Auswertung <strong>de</strong>r Spielszenen<br />

<strong>de</strong>r Begriff <strong>de</strong>r E<strong>in</strong>fühlung geklärt wor<strong>de</strong>n ist, wo<strong>mit</strong> auch die dritte These Gefühl vs.<br />

Verstand ke<strong>in</strong>e größeren Schwierigkeiten bereiten dürfte. Allerd<strong>in</strong>gs stellt Brecht <strong>de</strong>r<br />

These „[Die dramatische Form <strong>de</strong>s <strong>Theater</strong>s] ermöglicht ihm [<strong>de</strong>m Zuschauer] Gefühle“<br />

nicht die möglicherweise erwartbare These „Sie regt se<strong>in</strong>en Verstand/se<strong>in</strong> Denken an“,<br />

son<strong>de</strong>rn „erzw<strong>in</strong>gt von im Entscheidungen“. Doch an dieser Stelle ist es s<strong>in</strong>nvoll, e<strong>in</strong>en<br />

Lernumweg <strong>in</strong> Kauf zu nehmen, da die von <strong>de</strong>n Schülern wahrsche<strong>in</strong>lich eher gewählte<br />

Gegenüberstellung Gefühl vs. Verstand ja nicht falsch ist. Es lässt sich leicht herausstel-<br />

len, <strong>das</strong>s die Aktivierung <strong>de</strong>s Verstan<strong>de</strong>s Entscheidungen und Urteile über <strong>das</strong> Bühnen-<br />

geschehen erzw<strong>in</strong>gt. Die fünfte These dürfte aufgrund <strong>de</strong>r Auswertung <strong>de</strong>s szenischen<br />

Spiels ke<strong>in</strong>e Schwierigkeiten bereiten. Die sechste These kann durch Fragen nach <strong>de</strong>m<br />

Gegenteil von Suggestion, nämlich Argumentation leicht entwickelt wer<strong>de</strong>n.<br />

Probleme s<strong>in</strong>d bei <strong>de</strong>r siebten und achten These zu erwarten, da diese sich auf die Ge-<br />

samtstruktur <strong>de</strong>s Dramas bezieht, die ja erst im Ansatz besprochen wur<strong>de</strong>. Während im<br />

dramatischen <strong>Theater</strong> die Szenen klar aufe<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r aufbauen und so<strong>mit</strong> e<strong>in</strong>e Spannungs-<br />

kurve, die sich erst am En<strong>de</strong> löst, sei es durch Scheitern o<strong>de</strong>r Sieg <strong>de</strong>s Hel<strong>de</strong>n, bil<strong>de</strong>n,<br />

45 S. Anhang Arbeitsblatt 1a.<br />

46 S. Anhang Arbeitsblatt 1b.<br />

28


steht im <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong> - ähnlich wie im Roman - <strong>de</strong>r Gang <strong>de</strong>r Handlung im Vor<strong>de</strong>r-<br />

grund. Da <strong>de</strong>n Schüler<strong>in</strong>nen aber schon durch die Analyse <strong>de</strong>s Vorspiels <strong>de</strong>utlich gewor-<br />

<strong>de</strong>n ist, <strong>das</strong>s bereits hier<strong>in</strong> die Grundthese <strong>de</strong>s Stücks enthalten ist, die im Folgen<strong>de</strong>n im-<br />

mer wie<strong>de</strong>r auf verschie<strong>de</strong>ne Weise amplifiziert wird, halte ich auch diese These <strong>in</strong> <strong>de</strong>r<br />

Besprechung für klärbar.<br />

Die neunte These wie<strong>de</strong>rholt im Pr<strong>in</strong>zip <strong>das</strong> bereits <strong>in</strong> These 3 Genannte - die Gegen-<br />

überstellung von Emotionalität und Rationalität, so <strong>das</strong>s sie nicht lange besprochen wer-<br />

<strong>de</strong>n muss. Wichtiger s<strong>in</strong>d die letzten drei Thesen: Hieran soll <strong>de</strong>utlich wer<strong>de</strong>n, <strong>das</strong>s <strong>das</strong><br />

dramatische <strong>Theater</strong> nach Brechts Auffassung <strong>de</strong>m Zuschauer <strong>das</strong> Schicksalhafte <strong>de</strong>s<br />

Dramenverlaufs suggeriert wird, was er als etwas Selbstverständliches und da<strong>mit</strong> unver-<br />

än<strong>de</strong>rliches begreifen soll, während <strong>das</strong> <strong>epische</strong> <strong>Theater</strong> durch se<strong>in</strong>e spezifischen Mittel<br />

e<strong>in</strong>e Situation als auffällig und eben nicht selbstverständlich son<strong>de</strong>rn verän<strong>de</strong>rbar dar-<br />

stellt. Um dies <strong>de</strong>n Schüler<strong>in</strong>nen verständlich zu machen, ist wohl lenken<strong>de</strong>s bzw. erläu-<br />

tern<strong>de</strong>s Han<strong>de</strong>ln <strong>de</strong>r Lehrperson nötig.<br />

Hausaufgabe<br />

Um die Intention und die H<strong>in</strong>tergrün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Entwicklung <strong>de</strong>s <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong>s besser zu<br />

verstehen, sollen die Schüler<strong>in</strong>nen <strong>de</strong>n Text „Das <strong>epische</strong> <strong>Theater</strong>“ 47 nach e<strong>in</strong>em bereits<br />

früher von <strong>de</strong>r Fachlehrer<strong>in</strong> e<strong>in</strong>geführten Verfahren analysieren. Sie sollen e<strong>in</strong>e Tabelle<br />

<strong>mit</strong> <strong>de</strong>n Elementen 1) Glie<strong>de</strong>rung, 2) Überschrift/Funktion, 3) Inhalt, 4)Erklärung erstel-<br />

len. Die ersten drei Spalten sollen die Schüler<strong>in</strong>nen auf je<strong>de</strong>n Fall ausfüllen, für die vier-<br />

te Spalte nur I<strong>de</strong>en sammeln. Diese wird <strong>in</strong> <strong>de</strong>r ausführlichen Besprechung <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Folge-<br />

stun<strong>de</strong> <strong>mit</strong> Hilfe <strong>de</strong>r Lehrperson und <strong>de</strong>r Mitschüler<strong>in</strong>nen ausgefüllt.<br />

47 B. Brecht: Das <strong>epische</strong> <strong>Theater</strong>. GW 15, S. 263-265 (gekürzt), s. Anhang Arbeitsblatt 2, S. IV.<br />

29


3.1.1.4 Verlaufsplan<br />

Phase/Ziel Unterrichtsgeschehen Arbeitsformen/<br />

E<strong>in</strong>stieg<br />

TZ 1<br />

TZ 2<br />

10’<br />

Erarbeitung<br />

TZ 3<br />

20’<br />

Auswertung<br />

TZ 4<br />

20’<br />

Vertiefung<br />

TZ 5<br />

10’<br />

Auswert. II<br />

TZ 6<br />

20’<br />

Hausaufgabe<br />

L. schreibt zwei Thesen nebene<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r an die Tafel:<br />

Das dramatische <strong>Theater</strong>:<br />

Die Bühne spielt und verkörpert e<strong>in</strong>en Vorgang (z.B.<br />

Less<strong>in</strong>g)<br />

Das <strong>epische</strong> <strong>Theater</strong>:<br />

Die Bühne erzählt (z.B. Brecht)<br />

spontane Schüler<strong>in</strong>nenäußerungen<br />

genauere Erläuterung <strong>de</strong>r Thesen<br />

L. gibt Situation vor:<br />

Rita begegnet auf <strong>de</strong>r Straße Margret, <strong>mit</strong> <strong>de</strong>r sie sich vor<br />

fünf Jahren wegen e<strong>in</strong>es Mannes zerstritten hat.<br />

Sch. erarbeiten <strong>in</strong> vier Gruppen kurzes szen. Spiel, wobei<br />

sie sich für e<strong>in</strong>en Formtyp entschei<strong>de</strong>n können<br />

Gruppen spielen ihre Szenen vor, die jeweiligen Zuschauer<strong>in</strong>nen<br />

beschreiben <strong>das</strong> Dargestellte, benennen jeweilige<br />

Spielweise (dramatisch o<strong>de</strong>r episch?) und begrün<strong>de</strong>n<br />

ihre Entscheidung,<br />

wenn alle gespielt haben:<br />

Zusammenfassung <strong>de</strong>r Techniken <strong>de</strong>s jeweiligen Formtyps<br />

Diskussion <strong>de</strong>r Wirkung auf <strong>de</strong>n Zuschauer<br />

fünf M<strong>in</strong>uten Pause (außerplanmäßig)<br />

L. teilt Text v. Brecht aus (<strong>mit</strong> Lücken)<br />

Sch. füllen Lücken im Text<br />

Zusammentragen <strong>de</strong>r Ergebnisse;<br />

Vgl. <strong>mit</strong> Orig<strong>in</strong>altext<br />

Evtl. Nachweis <strong>de</strong>r Thesen an <strong>de</strong>n Sch. bekannten Dra-<br />

men <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Formen<br />

Medien<br />

Impulsunt.<br />

UG<br />

TA<br />

GA<br />

Requisiten:<br />

Hüte,<br />

Masken<br />

SV/UG<br />

PA<br />

AB<br />

UG<br />

AB<br />

Text<br />

Analyse <strong>de</strong>s Textes: B. Brecht: Das <strong>epische</strong> <strong>Theater</strong> AB, Sch.-<br />

Hefte<br />

3.1.2 Durchführung und begleiten<strong>de</strong> Reflexion <strong>de</strong>r Doppelstun<strong>de</strong><br />

E<strong>in</strong>stieg<br />

Die Schüler<strong>in</strong>nen haben erwartungsgemäß die Thesen durch Klärung e<strong>in</strong>zelner Wörter<br />

erschlossen. 48 Sie <strong>de</strong>f<strong>in</strong>ierten unaufgefor<strong>de</strong>rt die Begriffe Epik und Drama und kamen<br />

zu <strong>de</strong>m Schluss, <strong>das</strong>s im Drama e<strong>in</strong> Geschehen durch Re<strong>de</strong> und Gegenre<strong>de</strong> dargestellt<br />

48 Bei <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rgabe von Schüler<strong>in</strong>nenäußerungen sowie <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>n Schüler<strong>in</strong>nen entwickelten Szenen<br />

beziehe ich mich auf die Mitschrift me<strong>in</strong>er Mentor<strong>in</strong> sowie auf - lei<strong>de</strong>r schwer verständliche - Tonband<strong>mit</strong>schnitte.<br />

30


wird, während Epik - auf Auffor<strong>de</strong>rung nannten sie die Formen Roman, Erzählung, No-<br />

velle, Kurzgeschichte - e<strong>in</strong> Geschehen erzählt, schil<strong>de</strong>rt, beschreibt. Der Ort <strong>de</strong>s Dramas<br />

ist die Bühne, Epik wird <strong>in</strong> Buchform präsentiert. Sogleich formulierte e<strong>in</strong>e Schüler<strong>in</strong>,<br />

<strong>das</strong>s dann doch die Formulierung „<strong>epische</strong>s <strong>Theater</strong>“ paradox sei. Die Schüler<strong>in</strong>nen ka-<br />

men jedoch schnell darauf, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> doch <strong>de</strong>r „Clou“ an Brechts Stück sei: die szenische<br />

Darstellung wird immer wie<strong>de</strong>r unterbrochen. Als Beispiel nannten sie <strong>de</strong>n ersten Auf-<br />

tritt Wangs im Vorspiel, wo er sich selbst und die katastrophale Lage Sezuans vorstellt<br />

und se<strong>in</strong>e Erwartungen an die Götter formuliert, was im Roman z.B. Sache <strong>de</strong>s Erzäh-<br />

lers sei. E<strong>in</strong>e an<strong>de</strong>re Schüler<strong>in</strong> äußerte richtig, <strong>das</strong>s auf diese Weise auch Zeitsprünge<br />

möglich wären, die Handlung sei nicht auf e<strong>in</strong>en kont<strong>in</strong>uierlichen Zeitablauf festgelegt,<br />

son<strong>de</strong>rn zwischenzeitlich Geschehenes könne e<strong>in</strong>fach durch Erzählung nachgetragen<br />

wer<strong>de</strong>n. Außer<strong>de</strong>m, so e<strong>in</strong>e weitere Schüler<strong>in</strong>, hat <strong>de</strong>r Zuschauer durch die Unterbre-<br />

chung <strong>de</strong>r Spielhandlung Zeit zum Nach<strong>de</strong>nken.<br />

Ich b<strong>in</strong> <strong>mit</strong> <strong>de</strong>m Verlauf dieser Phase sehr zufrie<strong>de</strong>n. Die Schüler<strong>in</strong>nen konnten diese<br />

Thesen nicht zuletzt <strong>de</strong>shalb so gut erklären, weil die allermeisten <strong>das</strong> Stück gründlich<br />

gelesen haben und beim Lesen e<strong>in</strong> Szenenprotokoll angefertigt und im Text Auffällig-<br />

keiten markiert haben. Es hat sich also bewährt, <strong>das</strong>s die Schüler<strong>in</strong>nen bereits <strong>in</strong> <strong>de</strong>r vo-<br />

rausgegangenen Unterrichtsreihe <strong>mit</strong> hilfreichen Arbeitstechniken für die Dramenlektü-<br />

re vertraut gemacht wur<strong>de</strong>n und diese selbständig auch <strong>in</strong> dieser Unterrichtsreihe ge-<br />

nutzt haben. So war es möglich, ohne Überschreitung <strong>de</strong>r angesetzten Zeit von zehn Mi-<br />

nuten zur nächsten Phase überzuleiten.<br />

Erarbeitung<br />

Die Schüler<strong>in</strong>nen haben hochmotiviert - wohl weil sie <strong>das</strong> szenische Spiel bereits durch<br />

die vorausgegangene Unterrichtsreiche zum „Nathan“ kannten - sofort <strong>mit</strong> <strong>de</strong>r Erfüllung<br />

<strong>de</strong>s Arbeitsauftrags begonnen. Sie haben sich dazu auf Sitzecken bzw. Plattformen im<br />

Treppenhaus verteilt, um ungestört arbeiten zu können. In <strong>de</strong>m sehr kle<strong>in</strong>en Klassen-<br />

raum hätten sie ke<strong>in</strong>e Möglichkeit zum Proben gehabt. Ich b<strong>in</strong> während <strong>de</strong>r Erarbeitung<br />

herumgegangen. Drei Gruppen hatten sich schnell für e<strong>in</strong>en Plot und für e<strong>in</strong>en Formtyp<br />

entschie<strong>de</strong>n und sehr engagiert an <strong>de</strong>r Umsetzung gearbeitet. Alle drei haben sich für<br />

<strong>de</strong>n <strong>epische</strong>n Formtyp entschie<strong>de</strong>n. Die vierte Gruppe, die aus eher zurückhalten<strong>de</strong>n<br />

Schüler<strong>in</strong>nen bestand, tat sich zunächst etwas schwer <strong>mit</strong> <strong>de</strong>m Arbeitsauftrag; auf me<strong>in</strong><br />

Nachfragen h<strong>in</strong> merkten sie aber schnell, <strong>das</strong>s sie sehr wohl schon I<strong>de</strong>en im Kopf hatten<br />

und konnten durch e<strong>in</strong>ige Hilfen me<strong>in</strong>erseits die Aufgabe bewältigen.<br />

Die Schüler<strong>in</strong>nen s<strong>in</strong>d nach <strong>de</strong>r vere<strong>in</strong>barten Zeit wie<strong>de</strong>r <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Klassenraum zurückge-<br />

kehrt.<br />

31


Auswertung<br />

Die erste Gruppe verlegte die Begegnung <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Frauen <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Café - <strong>das</strong> „Café <strong>de</strong>s<br />

Frie<strong>de</strong>ns“, wie sie es an <strong>de</strong>r Tafel <strong>de</strong>utlich gemacht haben.<br />

Das Bühnenarrangement besteht aus zwei Tischen <strong>mit</strong> Stühlen. An e<strong>in</strong>em Tisch sitzt bereits Margret <strong>mit</strong><br />

e<strong>in</strong>er Freund<strong>in</strong> <strong>in</strong>s Gespräch vertieft. Der an<strong>de</strong>re Tisch wird von Rita <strong>mit</strong> zwei Freund<strong>in</strong>nen besetzt. Die<br />

bei<strong>de</strong>n erkennen sich sofort, sprechen aber nicht <strong>mit</strong>e<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r, son<strong>de</strong>rn <strong>mit</strong> ihren jeweiligen Freund<strong>in</strong>nen.<br />

Das Gespräch <strong>de</strong>r Zweiergruppe ist unverständliches Getuschel, während Rita sich lautstark über Margret<br />

echauffiert und <strong>de</strong>n Freund<strong>in</strong>nen die Vorgeschichte erzählt. Als Margret nicht reagiert, son<strong>de</strong>rn weiter<br />

tuschelt, wen<strong>de</strong>t sich Rita kurz ans Publikum:<br />

Rita: „Haben Sie <strong>das</strong> gesehen! Die lästern über mich!“.<br />

Ritas Freund<strong>in</strong>nen versuchen sie zu beruhigen, auch Margret versucht, e<strong>in</strong> Gespräch <strong>mit</strong> Rita zu beg<strong>in</strong>nen.<br />

Diese reagiert aber nur <strong>mit</strong>:<br />

Rita: „Ich will aber nicht <strong>mit</strong> dir re<strong>de</strong>n! Wir gehen.“ Die Dreiergruppe verlässt <strong>das</strong> Café.<br />

Die Schüler<strong>in</strong>nen haben die Szene ohne größere Schwierigkeiten beschreiben können;<br />

beson<strong>de</strong>rs hoben sie lobend die realistische Darstellungsweise, <strong>das</strong> Entwerfen e<strong>in</strong>es<br />

Bühnenarrangements sowie die Beteiligung aller fünf Personen und <strong>de</strong>ren klare Auftei-<br />

lung <strong>in</strong> zwei Gruppen hervor. Schwieriger wur<strong>de</strong> jedoch die Entscheidung, um welchen<br />

Formtyp es sich <strong>de</strong>nn nun han<strong>de</strong>le. Die Schüler<strong>in</strong>nen arbeiteten heraus, <strong>das</strong>s die Gruppe<br />

wohl <strong>de</strong>n <strong>epische</strong>n Formtyp darstellen wür<strong>de</strong>, an<strong>de</strong>rs sei die plötzliche Wendung <strong>de</strong>r<br />

Rita-Darsteller<strong>in</strong> ans Publikum nicht zu erklären. Allerd<strong>in</strong>gs hätte sie dies auch zu <strong>de</strong>n<br />

Freund<strong>in</strong>nen sagen können. Die Wendung ans Publikum sei kaum erkennbar gewesen,<br />

alle Darsteller<strong>in</strong>nen, <strong>in</strong>sbeson<strong>de</strong>re die <strong>de</strong>r Rita haben ihre Rolle wirklich verkörpert. In-<br />

sofern sei die Darstellung <strong>de</strong>r Gruppe gegen ihre Intention <strong>de</strong>m dramatischen Formtyp<br />

zuzuordnen. Die Gruppe selbst sah dies e<strong>in</strong>: „Stimmt, wir wollten eigentlich <strong>das</strong> <strong>epische</strong><br />

<strong>Theater</strong> mal ausprobieren, haben aber selbst gemerkt, <strong>das</strong>s unsere Szene auf dramatische<br />

Weise besser spielbar ist.“ Trotz dieser Schwierigkeiten brachte die Vorführung e<strong>in</strong>en<br />

großen Lerngew<strong>in</strong>n. An dieser Stelle kam nämlich bereits die von <strong>de</strong>n Darstellern <strong>de</strong>s<br />

<strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong>s gefor<strong>de</strong>rte Spielweise zum Ausdruck: Die Schüler<strong>in</strong>nen kritisierten,<br />

<strong>das</strong>s die Rita-Darsteller<strong>in</strong> bei <strong>de</strong>r Wendung ans Publikum ihre Rolle hätte verlassen und<br />

ihre Spielweise än<strong>de</strong>rn müssen.<br />

Die zweite Gruppe ließ zunächst nur zwei Spieler<strong>in</strong>nen auftreten, Rita und Margret.<br />

Die Spieler<strong>in</strong>nen stellen sich <strong>mit</strong> großem Abstand zue<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r auf, gehen e<strong>in</strong>ige Schritte aufe<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r zu,<br />

wobei Rita Margret erkennt, während Margret die an<strong>de</strong>re nicht wahrzunehmen sche<strong>in</strong>t.<br />

Rita: Oh, Gott! Ist <strong>das</strong> nicht...? Die sieht doch aus wie... Oh, Gott!<br />

Rita tritt vor <strong>das</strong> Publikum, während Margret <strong>in</strong> ihrer Haltung erstarrt.<br />

Rita: Vor zehn Jahren haben wir uns wegen e<strong>in</strong>em Mann zerstritten, e<strong>in</strong>em dicken Mann. Der war es gar<br />

nicht wert, unsere Freundschaft zu zerstören. Vielleicht sollte ich ja versuchen...<br />

Rita tritt <strong>in</strong> die Szene zurück, läuft auf Margret zu.<br />

Margret: Rita! Wie schön, dich zu wie<strong>de</strong>r zu sehen! (zum Publikum gesprochen). Oh je, diese dumme<br />

Kuh!<br />

Es folgt e<strong>in</strong> offensichtlich unehrlicher Dialog über Nebensächlichkeiten (Haustiere, E<strong>in</strong>kaufstipps etc.),<br />

wobei die Spieler<strong>in</strong>nen im Beiseitesprechen die gegenseitige Verachtung für <strong>das</strong> Publikum <strong>de</strong>utlich machen.<br />

Sie vere<strong>in</strong>baren, geme<strong>in</strong>sam Kaffee tr<strong>in</strong>ken zu gehen, wobei durch Mimik und Gestik <strong>de</strong>utlich wird,<br />

<strong>das</strong>s ke<strong>in</strong>e von bei<strong>de</strong>n dies wirklich will. E<strong>in</strong> Mann tritt auf. Durch Ritas entsetzten Blick wird <strong>de</strong>utlich,<br />

<strong>das</strong>s es sich um <strong>de</strong>n Mann han<strong>de</strong>lt, um <strong>de</strong>ssentwillen die Freundschaft <strong>de</strong>r Frauen zerbrochen war. Rita<br />

32


und <strong>de</strong>r Mann begrüßen sich wie vorher die bei<strong>de</strong>n Frauen <strong>mit</strong> herzlichen Worten aber kühler Gestik und<br />

Mimik. Rita verabschie<strong>de</strong>t sich schnell.<br />

Im auswerten<strong>de</strong>n Gespräch nannten die Schüler<strong>in</strong>nen zunächst beschreiben<strong>de</strong> und <strong>in</strong>ter-<br />

pretatorische Aspekte auf <strong>de</strong>r Inhaltsebene: Rita suchte Wie<strong>de</strong>rannäherung an Margret,<br />

<strong>das</strong>s dies aber nicht gel<strong>in</strong>gen kann, wird durch die Art <strong>de</strong>s belanglosen Gesprächs sofort<br />

<strong>de</strong>utlich, als noch <strong>de</strong>r Mann, <strong>das</strong> Streitobjekt, h<strong>in</strong>zukommt, erweist sich Ritas Wunsch<br />

nach Versöhnung als unrealistisch. Die Schüler<strong>in</strong>nen charakterisierten die Spielweise als<br />

klar episch, weil die Rita-Darsteller<strong>in</strong> <strong>de</strong>m Publikum die Vorgeschichte erzählt. Als sie<br />

aber auch die Äußerung <strong>de</strong>r wahren Gedanken <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Frauen während ihres Dialogs<br />

als Argument für diese Charakterisierung anführten, musste ich korrigierend e<strong>in</strong>greifen,<br />

<strong>in</strong><strong>de</strong>m ich fragte, ob es nicht auch im dramatischen Formtyp möglich sei, die Figuren<br />

ihre wahren Gedanken und Gefühle äußern zu lassen. Die Schüler<strong>in</strong>nen er<strong>in</strong>nerten sich<br />

hierbei <strong>de</strong>r diversen Monologe im „Nathan“ (als Beispiel wur<strong>de</strong> die Szene III,6 genannt)<br />

und <strong>de</strong>r Möglichkeit <strong>de</strong>s Beiseitesprechens. Im Unterschied zum <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong> ver-<br />

lassen die Schauspieler dabei aber niemals ihre Rolle. Im <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong> h<strong>in</strong>gegen tre-<br />

ten die Darsteller aus ihrer Rolle heraus, bzw. „spielen e<strong>in</strong>e Rolle <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Rolle“. Diese<br />

Formulierung e<strong>in</strong>er Schüler<strong>in</strong> habe ich lobend akzentuiert, weil durch <strong>das</strong> Spiel dieser<br />

Gruppe und <strong>de</strong>ssen Auswertung die Anfor<strong>de</strong>rungen an die Darsteller, die ja bereits <strong>in</strong><br />

<strong>de</strong>r Kritik am Spiel <strong>de</strong>r ersten Gruppe angesprochen wor<strong>de</strong>n waren, noch e<strong>in</strong>mal genau-<br />

er geklärt wer<strong>de</strong>n konnte.<br />

Ähnlich <strong>de</strong>utlich wur<strong>de</strong> dieser Aspekt bei <strong>de</strong>r Vorführung <strong>de</strong>r dritten Gruppe, die - ge-<br />

messen am bisherigen Wissensstand <strong>de</strong>r Schüler<strong>in</strong>nen - die Mittel <strong>de</strong>s <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong>s<br />

am besten e<strong>in</strong>gesetzt hat. Hier haben drei Schüler<strong>in</strong>nen gespielt.<br />

Zu Beg<strong>in</strong>n <strong>de</strong>r Szene stehen sich auf <strong>de</strong>r l<strong>in</strong>ken Seite e<strong>in</strong> Paar (e<strong>in</strong>e Frau -Margret - und e<strong>in</strong> Mann, letzterer<br />

durch e<strong>in</strong>en Herrenhut als solcher kenntlich gemacht) und auf <strong>de</strong>r rechten Seite e<strong>in</strong>e Frau (Rita) <strong>in</strong><br />

großem Abstand gegenüber. Rita erkennt Margret und macht durch e<strong>in</strong>en von entsprechen<strong>de</strong>r Mimik und<br />

Gestik begleiteten Ausruf „Oh Gott!“ <strong>de</strong>utlich, <strong>das</strong>s ihr die Begegnung sehr unangenehm ist. Sie verläßt<br />

daraufh<strong>in</strong> ihren Standort, macht e<strong>in</strong>en Schritt <strong>in</strong> Richtung Publikum und erläutert diesem die Vorgeschichte:<br />

Rita: „Ja, Sie müssen wissen, wir haben uns ziemlich zerstritten vor e<strong>in</strong>igen Jahren - klar, wegen e<strong>in</strong>em<br />

Mann, Udo. Hoffentlich macht die mir jetzt ke<strong>in</strong>e Szene.“<br />

Die Spieler<strong>in</strong> tritt wie<strong>de</strong>r an ihren ursprünglichen Standort zurück, dann gehen die Figuren aufe<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r<br />

zu. Rita (verlegen): Hallo Margret!<br />

Margret: Hallo Rita, wie geht’s?<br />

Rita: Eeeh, gut.. (ihre Gestik und Mimik sprechen dagegen)<br />

Margret (wirkt selbstzufrie<strong>de</strong>n): Darf ich dir Horst, me<strong>in</strong>en Verlobten vorstellen! Wie geht’s eigentlich<br />

zwischen dir und Udo?“<br />

Rita: Och ja, alles prima zwischen uns. (Schnell:) Ich muss jetzt weg. Tschüs!<br />

Das Paar verlässt die Bühne, während Rita sich wie<strong>de</strong>r ans Publikum wen<strong>de</strong>t:<br />

Rita: E<strong>in</strong> Glück, <strong>das</strong>s die nicht gemerkt haben, <strong>das</strong>s wir nicht mehr zusammen s<strong>in</strong>d. Diese Erniedrigung!<br />

Wo die wohl immer ihre Männer herkriegt. Aber <strong>das</strong> ist ja mal wie<strong>de</strong>r typisch. Schön, aber nix <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Birne.<br />

Und ich...?<br />

Die Schüler<strong>in</strong>nen charakterisierten diese Szene als e<strong>in</strong><strong>de</strong>utig <strong>de</strong>m <strong>epische</strong>n Formtyp zu-<br />

gehörig. Sie beschrieben <strong>de</strong>n Aufbau richtig: Rita erzählt <strong>in</strong> <strong>de</strong>utlicher H<strong>in</strong>wendung zum<br />

33


Publikum die Vorgeschichte, allerd<strong>in</strong>gs nur <strong>in</strong> Ansätzen. Es folgt e<strong>in</strong> Dialog, <strong>in</strong> <strong>de</strong>m<br />

Rita aus Unsicherheit und Scham unehrlich ist und <strong>de</strong>r Situation entflieht, was <strong>in</strong> <strong>de</strong>r ab-<br />

schließen<strong>de</strong>n Re<strong>de</strong> zum Publikum <strong>de</strong>utlich wird. Sie wollte ihre Enttäuschung, ihre<br />

Selbstzweifel und <strong>de</strong>n Neid auf Margrets Partnerschaft verbergen und überdies nicht zu-<br />

geben, <strong>das</strong>s die Beziehung <strong>mit</strong> Udo längst gescheitert ist. E<strong>in</strong>ige Schüler<strong>in</strong>nen kritisier-<br />

ten die Spielweise allerd<strong>in</strong>gs als zu aufgesetzt, die Gruppe hätte „<strong>mit</strong> <strong>de</strong>m Brecheisen“<br />

versucht, <strong>epische</strong> Elemente e<strong>in</strong>zubauen. An<strong>de</strong>re wandten aber dagegen e<strong>in</strong>, <strong>das</strong>s dies<br />

doch bei Brecht genauso sei. Die Spielhandlung wer<strong>de</strong> unterbrochen, um die Gedanken<br />

und Gefühle <strong>de</strong>r Figur zu ver<strong>de</strong>utlichen. Überdies wäre gera<strong>de</strong> durch Ritas Schlussmo-<br />

nolog ihr Problem <strong>de</strong>utlich gewor<strong>de</strong>n. Der Schluss bleibe offen, so <strong>das</strong>s <strong>de</strong>r Zuschauer<br />

selbst <strong>in</strong>s Nach<strong>de</strong>nken darüber gerät, <strong>das</strong>s Rita unter Beziehungsunfähigkeit lei<strong>de</strong>t und<br />

e<strong>in</strong>sam ist. Dies sei e<strong>in</strong>e Anregung zum Nach<strong>de</strong>nken über Partnerschaft und Liebe.<br />

Natürlich ist auch an diesem m. E. sehr gelungenen Spiel nur im Ansatz die Intention<br />

Brechts verwirklicht wor<strong>de</strong>n, doch konnten hieran schon wichtige Darstellungstechni-<br />

ken <strong>de</strong>s <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong>s erkannt wer<strong>de</strong>n.<br />

Die vierte Gruppe spielte zunächst e<strong>in</strong>en re<strong>in</strong>en Dialog zwischen <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n Frauen.<br />

Zwei Frauen gehen aufe<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r zu, bleiben wie angewurzelt stehen, als sie e<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r erkennen.<br />

Rita (aggressiv): Du hier?<br />

Margret (gereizt): Ja und?<br />

Rita: Was Dur mir vor drei Jahren angetan hast, <strong>das</strong> wer<strong>de</strong> ich dir nie verzeihen.<br />

Margret: Du warst es doch, die mir Wolfgang <strong>in</strong> die Arme getrieben hat.<br />

Rita: Ich? Unverschämtheit! - Seid ihr etwa immer noch zusammen?<br />

Margret (spitz, <strong>mit</strong> Genugtuung): Überzeug’ dich selbst!<br />

Wolfgang tritt h<strong>in</strong>zu<br />

Margret: Hallo, me<strong>in</strong> Schatz, hast du schöne Sachen gefun<strong>de</strong>n?<br />

Wolfgang: Och ja... Sag mal, ist <strong>das</strong> nicht Rita. Oh je.<br />

Margret: Komm, lass uns gehen!<br />

In <strong>de</strong>r Auswertung bemerkten die Schüler<strong>in</strong>nen, <strong>das</strong>s diese Gruppe als e<strong>in</strong>zige <strong>de</strong>n Streit<br />

zwischen <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n Frauen direkt <strong>in</strong>szeniert hat. Dabei kam <strong>de</strong>r tiefsitzen<strong>de</strong> Hass zwi-<br />

schen <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n am stärksten heraus. Die Darstellungsweise erkannten sie als klar dra-<br />

matisch. Erfreulicherweise nannten sie auch - unbewusst - die passen<strong>de</strong>n Stichworte:<br />

„Man konnte sich total da h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>versetzen!“ - „Ich hätte ähnlich reagiert.“ Dadurch<br />

konnte ich darauf h<strong>in</strong>weisen, <strong>das</strong> Brecht <strong>de</strong>n Aspekt <strong>de</strong>r E<strong>in</strong>fühlung als wesentlichen<br />

Bestandteil <strong>de</strong>s dramatischen <strong>Theater</strong>s stark hervorgehoben hat.<br />

Nach <strong>de</strong>m Vorspielen und Auswerten aller Szenen blieb noch wenig Zeit für e<strong>in</strong>e Zu-<br />

sammenfassung, die <strong>de</strong>nnoch recht ertragreich verlief. Aus Zeitgrün<strong>de</strong>n habe ich darauf<br />

verzichtet, die geplante Frage nach <strong>de</strong>n jeweiligen Darstellungs<strong>mit</strong>teln <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Form-<br />

typen zu stellen. Dies war aber auch nicht nötig, da die Schüler<strong>in</strong>nen ohneh<strong>in</strong> nur die<br />

Wendung <strong>de</strong>r Spieler ans Publikum als Mittel e<strong>in</strong>setzen konnten, weil ihnen zum e<strong>in</strong>en<br />

nicht mehr Mittel bekannt waren und sie die an<strong>de</strong>ren (Songs, lyrische E<strong>in</strong>lagen etc.) oh-<br />

neh<strong>in</strong> <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Kürze <strong>de</strong>r Zeit nicht hätten umsetzen können. Viel wichtiger war die Frage<br />

34


nach <strong>de</strong>r unterschiedlichen Wirkung, die die Schüler<strong>in</strong>nen m.E. sehr gut herausarbeiten<br />

konnten. Unter <strong>de</strong>m E<strong>in</strong>druck <strong>de</strong>r letzten Szene äußerten sie, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> dramatische<br />

<strong>Theater</strong> wohl <strong>mit</strong>reißend wirken wolle, die Handlung wer<strong>de</strong> nicht unterbrochen und <strong>das</strong><br />

Spiel wirke <strong>in</strong>sgesamt überzeugen<strong>de</strong>r und realistischer, während <strong>das</strong> <strong>epische</strong> <strong>Theater</strong> zu-<br />

nächst befremdlich und bisweilen (unfreiwillig?) komisch wirke. Das hätte <strong>de</strong>n Effekt,<br />

<strong>das</strong>s sich <strong>de</strong>r Zuschauer stärker vom Gesehenen distanziere. Um diese gute Schüler<strong>in</strong>-<br />

nenäußerung zu akzentuieren, fragte ich nach, was Brecht <strong>de</strong>nn wohl <strong>mit</strong> <strong>de</strong>m <strong>epische</strong>n<br />

<strong>Theater</strong> bezwecken wolle. Darauf antworteten die Schüler<strong>in</strong>nen, <strong>das</strong>s durch die Mittel<br />

<strong>de</strong>s <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong>s die Absicht <strong>de</strong>s Autors viel <strong>de</strong>utlicher zum Ausdruck käme, um<br />

sicher zu stellen, <strong>das</strong>s <strong>de</strong>r Zuschauer sie auch wirklich versteht. Die im Unterricht <strong>in</strong>sze-<br />

nierte Situation sei ja relativ e<strong>in</strong>fach gewesen und auch durch die re<strong>in</strong> dramatische Form<br />

leicht umsetzbar gewesen, doch Brecht gehe es doch um die Kritik an <strong>de</strong>n gesellschaftli-<br />

chen Zustän<strong>de</strong>n und <strong>de</strong>n Umgang <strong>de</strong>r Menschen da<strong>mit</strong>. Dazu braucht er die <strong>epische</strong>n<br />

E<strong>in</strong>schübe als Erklärung z.B. <strong>de</strong>r Zustän<strong>de</strong> <strong>in</strong> Sezuan und <strong>de</strong>r vergeblichen Hoffnung<br />

auf die Hilfe <strong>de</strong>r Götter.<br />

E<strong>in</strong>e Schüler<strong>in</strong> fasste <strong>das</strong> Gespräch hervorragend zusammen: „Diese E<strong>in</strong>schübe reißen<br />

<strong>de</strong>n Zuschauer aus diesem Mitfiebern <strong>mit</strong> <strong>de</strong>n Personen heraus. Wenn er die ganze Zeit<br />

nur <strong>mit</strong>fühlt, kommt er ja gar nicht zum Nach<strong>de</strong>nken. Aber durch <strong>das</strong> <strong>epische</strong> <strong>Theater</strong><br />

wird er zum Nach<strong>de</strong>nken gezwungen.“<br />

Ich b<strong>in</strong> <strong>mit</strong> <strong>de</strong>m Ertrag <strong>de</strong>r sechzig M<strong>in</strong>uten sehr zufrie<strong>de</strong>n. Die Ergebnisse waren, ge-<br />

messen an <strong>de</strong>m ger<strong>in</strong>gen Vorwissen <strong>de</strong>r Schüler<strong>in</strong>nen - immerh<strong>in</strong> wur<strong>de</strong> ja bisher nur<br />

<strong>das</strong> Vorspiel ausführlich besprochen, ohne auf die V-Effekte e<strong>in</strong>zugehen - hervorragend.<br />

Die Schüler<strong>in</strong>nen konnten durch die Metho<strong>de</strong>, die ihnen sichtliche Freu<strong>de</strong> bereitet hat,<br />

zu eigenständiger Arbeit motiviert wer<strong>de</strong>n und konnten durch <strong>das</strong> eigene Spiel und <strong>das</strong><br />

Auswertungsgespräch wichtige Mittel <strong>de</strong>s <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong>s selbst ent<strong>de</strong>cken. Die guten<br />

Ergebnisse s<strong>in</strong>d allerd<strong>in</strong>gs nicht alle<strong>in</strong> auf die richtige Metho<strong>de</strong>nwahl zurückzuführen.<br />

Es hat sich als Vorteil erwiesen, <strong>das</strong>s e<strong>in</strong>e Reihe von Schüler<strong>in</strong>nen Sekundärliteratur<br />

zum Drama gelesen hat, wozu ich sie bereits <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Unterrichtsreihe zum Nathan ange-<br />

regt habe.<br />

Es stellt sich hier natürlich die Frage, ob <strong>de</strong>r Ertrag nicht auch über e<strong>in</strong>e analytische Ar-<br />

beitsform <strong>in</strong> kürzerer Zeit zu erreichen gewesen wäre. Ich b<strong>in</strong> allerd<strong>in</strong>gs <strong>de</strong>r Me<strong>in</strong>ung,<br />

<strong>das</strong>s <strong>in</strong> diesem Fall die Erarbeitung <strong>de</strong>r <strong>Theater</strong>theorie Brechts sehr viel stärker von <strong>de</strong>n<br />

wenigen e<strong>in</strong>zelnen Schüler<strong>in</strong>nen dom<strong>in</strong>iert gewesen wäre, die schon Sekundärliteratur<br />

h<strong>in</strong>zugezogen haben. Auf die von mir gewählte Weise waren alle Schüler<strong>in</strong>nen an <strong>de</strong>r<br />

Erarbeitung aktiv beteiligt.<br />

Vertiefung und Auswertung II<br />

Für die Erarbeitung <strong>de</strong>s Brecht-Textes blieben dann, wie erwartet, nur noch 30 M<strong>in</strong>uten.<br />

Die Zeit hat sich als zu knapp erwiesen, so <strong>das</strong>s <strong>de</strong>n Schüler<strong>in</strong>nen sicherlich nicht alle<br />

35


Thesen wirklich klar gewor<strong>de</strong>n s<strong>in</strong>d. Ich muss selbstkritisch e<strong>in</strong>gestehen, <strong>das</strong>s ich dies<br />

hätte voraussehen können und <strong>de</strong>n Text auf noch weniger Thesen hätte reduzieren müs-<br />

sen, was ob e<strong>in</strong>iger Redundanzen durchaus möglich gewesen wäre.<br />

Die meisten Schüler<strong>in</strong>nen haben jedoch alle Lücken gefüllt, ohne natürlich stets die je-<br />

weilige Orig<strong>in</strong>alformulierung zu f<strong>in</strong><strong>de</strong>n. Die Lücke <strong>in</strong> <strong>de</strong>r zweiten These zu füllen berei-<br />

tete <strong>de</strong>n Schüler<strong>in</strong>nen erwartungsgemäß wenig Schwierigkeiten, so schlug e<strong>in</strong>e Schüle-<br />

r<strong>in</strong> vor: „verwickelt <strong>de</strong>n Zuschauer <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Handlung und ermöglicht ihm Gefühle“, was<br />

<strong>de</strong>r Orig<strong>in</strong>alformulierung sehr nahe kam. Die Schüler<strong>in</strong>nen konnten <strong>de</strong>n Satz nach Auf-<br />

<strong>de</strong>cken <strong>de</strong>r Orig<strong>in</strong>alversion auch gut erklären: Brecht me<strong>in</strong>t wohl, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Mitfühlen<br />

<strong>de</strong>s Zuschauers se<strong>in</strong>e komplette Energie verbraucht und nicht mehr zum Denken, ge-<br />

schweige <strong>de</strong>nn Han<strong>de</strong>ln komme, beim <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong> wür<strong>de</strong> er gera<strong>de</strong>zu zum Nach-<br />

<strong>de</strong>nken gezwungen, <strong>in</strong><strong>de</strong>m er immer Abstand vom szenisch Dargestellten nehmen müs-<br />

se.<br />

Für die dritte These wur<strong>de</strong> vorgeschlagen „ermöglicht ihm Gedanken“. Wie erwartet,<br />

konnten die Schüler<strong>in</strong>nen hier die Brechtsche Formulierung nicht treffen, wohl aber<br />

nach Präsentation <strong>de</strong>r Orig<strong>in</strong>alversion erklären: Während Less<strong>in</strong>g durch <strong>das</strong> Wecken<br />

von Furcht und Mitleid <strong>de</strong>n Menschen moralisch läutern wollte, hält Brecht dies über<br />

die re<strong>in</strong>e Gefühlsebene nicht für möglich.<br />

Die vierte These enthielt ke<strong>in</strong>e Lücke, so <strong>das</strong>s ich diese wegen <strong>de</strong>r Zeitnot überschlagen<br />

habe, da ihre Aussage auch durch die sechste These geklärt wer<strong>de</strong>n kann. Die fünfte<br />

These bereitete <strong>de</strong>n Schüler<strong>in</strong>nen ke<strong>in</strong>e Schwierigkeiten, da schon am Vergleich <strong>de</strong>r ge-<br />

spielten Szenen <strong>de</strong>utlich wur<strong>de</strong>, <strong>das</strong>s sich <strong>de</strong>r Zuschauer im dramatischen <strong>Theater</strong> von<br />

<strong>de</strong>r Handlung <strong>mit</strong>reißen lassen soll, während er im <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong> zur Distanznahme<br />

gezwungen wird.<br />

Als mögliche Formulierung für die sechste These wur<strong>de</strong> vorgeschlagen: „Der Zuschauer<br />

wird dazu angeregt, sich selbst Gedanken zu machen.“ Hier musste ich nachhaken, um<br />

diese sehr allgeme<strong>in</strong>e Äußerung zu präzisieren. Über die Formulierung <strong>de</strong>s Gegenteils<br />

von Suggestion kamen die Schüler<strong>in</strong>nen aber auf die richtige Lösung: Brecht behauptet,<br />

<strong>das</strong>s <strong>de</strong>r Zuschauer <strong>de</strong>s dramatischen <strong>Theater</strong>s gar nicht merkt, zu was man „ihn erzie-<br />

hen“ wolle, im <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong> soll <strong>de</strong>r Zuschauer durch Argumente von <strong>de</strong>r Richtig-<br />

keit <strong>de</strong>s vom Autor Intendierten überzeugt wer<strong>de</strong>n.<br />

Die siebte These bereitete <strong>de</strong>n Schüler<strong>in</strong>nen erwartungsgemäß Schwierigkeiten. Zwar<br />

konnten sie die Lücke über die Formulierung <strong>de</strong>s Gegenteils gut füllen, doch die Erklä-<br />

rung <strong>de</strong>r Gegenüberstellung fiel ihnen schwer, wur<strong>de</strong> aber durch kle<strong>in</strong>e Hilfestellungen<br />

me<strong>in</strong>erseits schließlich geleistet.<br />

Auch <strong>mit</strong> <strong>de</strong>r achten These taten sich die Schüler<strong>in</strong>nen schwer. Über me<strong>in</strong>en Rat, diese<br />

<strong>mit</strong> <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n zu verb<strong>in</strong><strong>de</strong>n, war es ihnen, allerd<strong>in</strong>gs erst nach Auf<strong>de</strong>cken<br />

<strong>de</strong>r Orig<strong>in</strong>alversion möglich, sie zu erklären. Als Hilfestellung habe ich sie an <strong>das</strong> Frey-<br />

tagsche Schema <strong>de</strong>s Aufbaus e<strong>in</strong>es fünfaktigen Dramas er<strong>in</strong>nert. Dadurch konnten die<br />

Schüler<strong>in</strong>nen erklären, <strong>das</strong>s es im „Nathan“ etwa e<strong>in</strong>en <strong>de</strong>utlichen Spannungsbogen<br />

36


gebe, man warte gespannt auf die Lösung <strong>de</strong>r <strong>in</strong> <strong>de</strong>r <strong>Ex</strong>position e<strong>in</strong>geleiteten Problem-<br />

stellung, die sich im Verlauf <strong>de</strong>r Handlung bis zum Höhepunkt verschärft und Schritt<br />

für Schritt zur Lösung führe. Bei unserem Brecht-Drama sei ja die Grundthese schon am<br />

Anfang klar, man ist weniger gespannt darauf, wie <strong>das</strong> Drama ausgeht, son<strong>de</strong>rn wie<br />

Shen Te <strong>mit</strong> <strong>de</strong>n von <strong>de</strong>n Göttern gestellten Anfor<strong>de</strong>rungen zurecht kommt. Nicht ganz<br />

zu Unrecht fan<strong>de</strong>n dies e<strong>in</strong>ige Schüler<strong>in</strong>nen jedoch nicht überzeugend. Sie hätten sehr<br />

wohl auf e<strong>in</strong>e Lösung <strong>de</strong>r Probleme am Schluss gehofft und fän<strong>de</strong>n <strong>das</strong> En<strong>de</strong> daher sehr<br />

unbefriedigend. Diese spannen<strong>de</strong> Diskussion konnte ich jedoch lei<strong>de</strong>r nicht führen und<br />

wer<strong>de</strong> hierauf am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Reihe noch e<strong>in</strong>mal zurückkommen.<br />

Spannend wur<strong>de</strong> dann noch e<strong>in</strong>mal die Diskussion <strong>de</strong>r letzten drei Thesen, die ich, da<br />

die Stun<strong>de</strong> fast zu En<strong>de</strong> war, ohne Vorschläge <strong>de</strong>r Schüler<strong>in</strong>nen abzuwarten, zusammen<br />

aufge<strong>de</strong>ckt habe. Es wur<strong>de</strong> herausgearbeitet, <strong>das</strong>s <strong>de</strong>r Zuschauer <strong>de</strong>s dramatischen Thea-<br />

ters nach Brechts Auffassung die Situation als gegeben h<strong>in</strong>nehme, wohl weil er so <strong>mit</strong><br />

<strong>de</strong>n Figuren <strong>mit</strong>gefiebert habe. Im <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong> stelle er die Handlung je<strong>de</strong>r Figur <strong>in</strong><br />

Frage, weil er immer wie<strong>de</strong>r darüber nach<strong>de</strong>nken müsse. Da<strong>mit</strong> wür<strong>de</strong> ihm schnell <strong>de</strong>ut-<br />

lich, <strong>das</strong>s die Personen nur <strong>de</strong>shalb so und nicht an<strong>de</strong>rs han<strong>de</strong>ln, weil die äußeren Ver-<br />

hältnisse ihn daran h<strong>in</strong><strong>de</strong>rten. Er müsse darüber nach<strong>de</strong>nken, ob sie nicht verän<strong>de</strong>rbar<br />

seien.<br />

Es wird <strong>de</strong>m erfahrenen Leser dieser Arbeit schnell auffallen, <strong>das</strong>s <strong>in</strong>sbeson<strong>de</strong>re die Er-<br />

gebnisse zu <strong>de</strong>n letzten drei Thesen nur durch starke Lenkung erreicht wer<strong>de</strong>n konnten.<br />

Insgesamt muss ich zu dieser Phase <strong>de</strong>r Doppelstun<strong>de</strong> zugeben, <strong>das</strong>s ich die Schüler<strong>in</strong>-<br />

nen überfor<strong>de</strong>rt habe. Die mögliche Alternative, diesen Text an <strong>das</strong> En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Behand-<br />

lung <strong>de</strong>s Dramas zu stellen und von dort her zu problematisieren, bleibt mir jedoch er-<br />

halten, gera<strong>de</strong> weil die Besprechung noch oberflächlich war.<br />

37


3.2 Die dritte Stun<strong>de</strong> (5. Stun<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Gesamtreihe)<br />

Thema: Vertiefung <strong>de</strong>r Kenntnisse über <strong>das</strong> <strong>epische</strong> <strong>Theater</strong> anhand <strong>de</strong>r Analyse<br />

<strong>de</strong>s Textes „Das <strong>epische</strong> <strong>Theater</strong>“ von Bertolt Brecht<br />

3.2.1 Planung <strong>de</strong>r Unterrichtsstun<strong>de</strong><br />

3.2.1.1 Lernziele<br />

Stun<strong>de</strong>nziel:<br />

Die Schüler<strong>in</strong>nen untermauern ihre Kenntnisse über <strong>das</strong> <strong>epische</strong> <strong>Theater</strong> theoretisch<br />

durch die Analyse <strong>de</strong>s Textes „Das <strong>epische</strong> <strong>Theater</strong>“ von B. Brecht und erkennen so <strong>das</strong><br />

politische Anliegen <strong>de</strong>s <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong>s.<br />

Teilziele:<br />

1) Die Schüler<strong>in</strong>nen verschaffen sich e<strong>in</strong>e grobe Übersicht über die Struktur <strong>de</strong>s Textes,<br />

<strong>in</strong><strong>de</strong>m sie sich auf e<strong>in</strong>e mögliche Glie<strong>de</strong>rung und Teilüberschriften e<strong>in</strong>igen.<br />

2) Die Schüler<strong>in</strong>nen beschreiben Abschnitt für Abschnitt <strong>de</strong>n Inhalt und entwickeln Er-<br />

klärungsansätze. Sie erkennen dabei <strong>das</strong> Neue <strong>de</strong>s <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong>s und <strong>de</strong>ssen von<br />

Brecht <strong>in</strong>tendierten gesellschaftspolitischen Relevanzanspruch.<br />

3) Die Schüler<strong>in</strong>nen lernen die Technik <strong>de</strong>r Verfremdung als Hauptmerkmal <strong>de</strong>s epi-<br />

schen <strong>Theater</strong>s kennen und wen<strong>de</strong>n diese Kenntnis an, <strong>in</strong><strong>de</strong>m sie Wangs ersten Re<strong>de</strong>-<br />

beitrag h<strong>in</strong>sichtlich se<strong>in</strong>er verfrem<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Wirkung untersuchen.<br />

4) Die Schüler<strong>in</strong>nen wen<strong>de</strong>n <strong>das</strong> Gelernte <strong>in</strong> häuslicher Arbeit selbständig an, <strong>in</strong><strong>de</strong>m sie<br />

<strong>das</strong> erste Bild nach V-Effekten und <strong>de</strong>ren Wirkung untersuchen.<br />

3.2.1.2 Überlegungen zur Sache und didaktische Reduktion<br />

Gegenstand <strong>de</strong>r heutigen Stun<strong>de</strong> ist <strong>de</strong>r Text „Das <strong>epische</strong> <strong>Theater</strong>“ 49 von Bertolt<br />

Brecht. Dieser Text ist <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Werkausgabe Teil <strong>de</strong>r Sammlung <strong>de</strong>r Schriften Über <strong>das</strong><br />

nichtaristotelische <strong>Theater</strong>, die zwischen 1933 und 1941 entstan<strong>de</strong>n. Dieser Text fasst<br />

<strong>das</strong> (politische) Anliegen <strong>de</strong>s <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong>s am <strong>de</strong>utlichsten zusammen, sicherlich<br />

e<strong>in</strong> Grund, weshalb er auch <strong>in</strong> <strong>de</strong>n meisten Schulbüchern für die Sekundarstufe II abge-<br />

druckt ist.<br />

Im ersten Abschnitt (Z. 1-13) 50 weist Brecht vor <strong>de</strong>m H<strong>in</strong>tergrund <strong>de</strong>r Tatsache, <strong>das</strong>s die<br />

Grenzen zwischen Epik und Dramatik ohneh<strong>in</strong> fließend s<strong>in</strong>d, <strong>das</strong> mögliche Missver-<br />

ständnis, bei <strong>de</strong>m Begriff „<strong>epische</strong>s <strong>Theater</strong>“ han<strong>de</strong>le es sich um e<strong>in</strong> Paradoxon, zurück.<br />

Dieser Abschnitt wird <strong>de</strong>n Schüler<strong>in</strong>nen wenig Schwierigkeiten bereiten, da dies bereits<br />

zu <strong>de</strong>n Ergebnissen <strong>de</strong>r vorausgegangenen Doppelstun<strong>de</strong> gehörte.<br />

Der zweite Abschnitt (Z. 14-19) h<strong>in</strong>gegen wird für die Schüler<strong>in</strong>nen erklärungsbedürftig<br />

se<strong>in</strong>. Brecht spielt <strong>mit</strong> <strong>de</strong>n für se<strong>in</strong>e neuen Mitteln <strong>de</strong>r Bühnentechnik auf die <strong>de</strong>n Schü-<br />

49 B. Brecht: Das <strong>epische</strong> <strong>Theater</strong>, GW 15, 263-265. S. Anhang Arbeitsblatt 2<br />

50 Ich zitiere hier nach <strong>de</strong>m <strong>de</strong>n Schüler<strong>in</strong>nen augehändigten Arbeitsblatt. S. Anhang Arbeitsblatt 2<br />

38


ler<strong>in</strong>nen bereits längst bekannten Techniken Drehbühne, Projektion, Verwendung filmi-<br />

scher Mittel auf die Inszenierungstechniken Max Re<strong>in</strong>hardts an, <strong>de</strong>r diese aber zur Per-<br />

fektionierung <strong>de</strong>r Illusion e<strong>in</strong>setzte. Es wird me<strong>in</strong>e Aufgabe se<strong>in</strong>, <strong>de</strong>n Schüler<strong>in</strong>nen dies<br />

zu erläutern, um ihnen verständlich zu machen, <strong>das</strong>s Brecht sie <strong>mit</strong> völlig an<strong>de</strong>ren Moti-<br />

ven e<strong>in</strong>setzt, was im folgen<strong>de</strong>n Abschnitt (Z. 20-26) <strong>de</strong>utlich wird. Während es für<br />

Re<strong>in</strong>hardt darum g<strong>in</strong>g, die neuen Bühnentechniken quasi als Untermalung <strong>de</strong>r Handlung<br />

und als Mittel zur Schaffung <strong>de</strong>r Illusion, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Dargestellte e<strong>in</strong> wirklich so stattf<strong>in</strong>-<br />

<strong>de</strong>n<strong>de</strong>r bzw. möglicher Vorgang ist, will Brecht sie e<strong>in</strong>setzen, um die „Umwelt“ selb-<br />

ständig <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung treten zu lassen. Der Begriff „Umwelt“ muss zum besseren Ver-<br />

ständnis durch die Schüler<strong>in</strong>nen konkretisiert wer<strong>de</strong>n <strong>in</strong> <strong>de</strong>m S<strong>in</strong>ne, <strong>das</strong>s hier die sozia-<br />

len und politischen Verhältnisse, unter <strong>de</strong>nen viele Menschen lei<strong>de</strong>n und wenige profi-<br />

tieren durch E<strong>in</strong>satz <strong>de</strong>r Bühnentechniken als Kontrast zur bzw. erklären<strong>de</strong> Ver<strong>de</strong>utli-<br />

chung <strong>de</strong>r dargestellten Bühnenhandlung e<strong>in</strong>gesetzt wer<strong>de</strong>n.<br />

Der folgen<strong>de</strong> Abschnitt (27-33) geht auf die konkreten Mittel <strong>de</strong>s <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong>s e<strong>in</strong>.<br />

Der erste Satz „Die Bühne begann zu erzählen.“ ist <strong>de</strong>n Schüler<strong>in</strong>nen bereits aus <strong>de</strong>r<br />

Vorstun<strong>de</strong> bekannt, ebenso <strong>de</strong>r H<strong>in</strong>weis auf die verän<strong>de</strong>rte Schauspieltechnik und <strong>de</strong>ren<br />

Wirkung, so <strong>das</strong>s dieser Abschnitt für die Schüler<strong>in</strong>nen leicht verstehbar ist, aber die<br />

Möglichkeit bietet, im geplanten zusammenfassen<strong>de</strong>n Tafelbild diese Mittel und <strong>de</strong>ren<br />

Wirkungen noch e<strong>in</strong>mal gründlich zu sichern.<br />

Der letzte Abschnitt behan<strong>de</strong>lt die von Brecht <strong>in</strong>tendierte Wirkung dieser Mittel - e<strong>in</strong>e<br />

verän<strong>de</strong>rte Haltung <strong>de</strong>s Zuschauers. Brechts Hauptkritik an <strong>de</strong>r Haltung <strong>de</strong>s Zuschauers<br />

im „dramatischen <strong>Theater</strong>“ bezieht sich darauf, <strong>das</strong>s die dort <strong>in</strong>tendierte E<strong>in</strong>fühlung <strong>in</strong><br />

die Figuren folgenlos bleibt, weil auf diese Weise <strong>de</strong>r Verlauf <strong>de</strong>r Handlung, <strong>in</strong>sbeson-<br />

<strong>de</strong>re <strong>in</strong> Tragödien als selbstverständlich und da<strong>mit</strong> unverän<strong>de</strong>rbar dargestellt wer<strong>de</strong>. Im<br />

<strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong> wird eben diese E<strong>in</strong>fühlung verh<strong>in</strong><strong>de</strong>rt, weil <strong>de</strong>r spezifische, nicht-illu-<br />

sorische E<strong>in</strong>satz <strong>de</strong>r neuen Bühnentechniken sowie die Verfremdungseffekte (lei<strong>de</strong>r lie-<br />

fert <strong>de</strong>r Text diesen von Brecht erst später verwen<strong>de</strong>ten Begriff nicht, son<strong>de</strong>rn muss an<br />

dieser Stelle e<strong>in</strong>geführt wer<strong>de</strong>n) <strong>das</strong> Han<strong>de</strong>ln <strong>de</strong>r Menschen als von Zwängen <strong>de</strong>s Ge-<br />

sellschaftssystems, aber nicht etwa durch schicksalhafte Gesetzmäßigkeiten, bestimmt<br />

zeigt. Der Zuschauer soll nicht <strong>mit</strong>fühlen, son<strong>de</strong>rn <strong>das</strong> Geschehen wie e<strong>in</strong> Wissenschaft-<br />

ler distanziert verfolgen und auf diese Weise <strong>das</strong> sche<strong>in</strong>bar Selbstverständliche als ver-<br />

än<strong>de</strong>rbar erkennen und zur Mitarbeit an eben dieser Verän<strong>de</strong>rung aufgefor<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n.<br />

Es ist natürlich extrem fragwürdig, ob dies gel<strong>in</strong>gt. Die zeitgenössischen Zuschauer wa-<br />

ren durch <strong>das</strong> von Brecht kritisierte „kul<strong>in</strong>arische <strong>Theater</strong>“ etwa e<strong>in</strong>es Max Re<strong>in</strong>hardt<br />

und die lange Tradition <strong>de</strong>r von Aristoteles be<strong>in</strong>flussten Dramatik auf e<strong>in</strong>e bestimmte<br />

Zuschauerhaltung konditioniert, die so e<strong>in</strong>fach nicht verlassen wer<strong>de</strong>n kann. Sehge-<br />

wohnheiten heutiger Zuschauer s<strong>in</strong>d darüber h<strong>in</strong>aus durch <strong>de</strong>n Spielfilm, <strong>de</strong>r ebenfalls<br />

<strong>mit</strong> illusorischen Techniken arbeitet, bestimmt. Diese Kritik ist jedoch nicht Thema <strong>de</strong>r<br />

heutigen Stun<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn wird <strong>in</strong> <strong>de</strong>r fünften und sechsten <strong>de</strong>r hier ausführlich doku-<br />

mentierten Stun<strong>de</strong>n sowie <strong>in</strong> <strong>de</strong>r letzten Stun<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Gesamtreihe zur Sprache kommen.<br />

39


3.2.1.3 Geplanter Stun<strong>de</strong>nverlauf und Begründung <strong>de</strong>r methodischen Entscheidungen<br />

Die Schüler<strong>in</strong>nen hatten als Hausaufgabe <strong>de</strong>n Text vorbereitend zu analysieren. Ihnen<br />

ist <strong>das</strong> gefor<strong>de</strong>rte Verfahren bereits bekannt, so <strong>das</strong>s es mir s<strong>in</strong>nvoll erschien, anstelle<br />

konkreter Erarbeitungsfragen e<strong>in</strong>e gründliche Textanalyse nach diesem Schema zu er-<br />

stellen. Sie sollten e<strong>in</strong>e Tabelle <strong>mit</strong> <strong>de</strong>n Überschriften Glie<strong>de</strong>rung (Angabe <strong>de</strong>r Zeilen-<br />

nummern), Überschrift, Inhalt und Erklärung erstellen, wobei die letzte Spalte bei Ver-<br />

ständnisschwierigkeiten teilweise offenbleiben durfte. E<strong>in</strong> solches Verfahren erfor<strong>de</strong>rt<br />

e<strong>in</strong>e sehr gründliche Ause<strong>in</strong>an<strong>de</strong>rsetzung <strong>mit</strong> je<strong>de</strong>m e<strong>in</strong>zelnen Abschnitt <strong>de</strong>s Textes und<br />

macht <strong>de</strong>n Schüler<strong>in</strong>nen schnell <strong>de</strong>utlich, wo sie konkrete Verständnisfragen haben, so<br />

<strong>das</strong>s es genügend Gesprächsanlässe für die Auswertung <strong>de</strong>r Hausaufgabe im Unterricht<br />

gibt. Die Schüler<strong>in</strong>nen lernen so auch, e<strong>in</strong>en schwierigen Text selbständig zu bearbeiten,<br />

so <strong>das</strong>s e<strong>in</strong> solches Verfahren auch e<strong>in</strong> Schritt zum Erwerb <strong>de</strong>r Studierfähigkeit ist. Es<br />

besteht natürlich die Gefahr <strong>de</strong>r Demotivierung, wenn zu viele Textteile <strong>in</strong> <strong>de</strong>r häusli-<br />

chen Vorarbeit ungeklärt bleiben, doch haben sie bereits mehrfach die Erfahrung ma-<br />

chen dürfen, <strong>das</strong>s diese Verständnisprobleme klärbar s<strong>in</strong>d und solche Formen häuslicher<br />

Vorarbeit noch ke<strong>in</strong>em Perfektionsanspruch unterliegen. Allerd<strong>in</strong>gs ist es möglich und<br />

be<strong>in</strong>ahe unvermeidlich, <strong>das</strong>s <strong>de</strong>r Großteil dieser Stun<strong>de</strong> vom Unterrichtsgespräch be-<br />

stimmt se<strong>in</strong> wird, weil die Schüler<strong>in</strong>nen auf <strong>de</strong>r Klärung ihrer vielen Fragen bestehen<br />

wer<strong>de</strong>n.<br />

E<strong>in</strong>stieg<br />

Zunächst sollen die Schüler<strong>in</strong>nen Vorschläge zu e<strong>in</strong>er s<strong>in</strong>nvollen Glie<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Textes<br />

<strong>mit</strong>tels Zeilenangaben und Überschriften machen, die <strong>de</strong>r besseren Übersichtlichkeit<br />

halber an <strong>de</strong>r Tafel festgehalten wer<strong>de</strong>n.<br />

Erarbeitung<br />

Da<strong>mit</strong> wird e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>heitliche Gesprächsgrundlage geschaffen, von <strong>de</strong>r aus <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Erar-<br />

beitungsphase <strong>de</strong>r Text abschnittweise besprochen wer<strong>de</strong>n kann. Hier sollen die Schüle-<br />

r<strong>in</strong>nen jeweils <strong>de</strong>n Inhalt je<strong>de</strong>s Abschnittes angeben und Vorschläge zur Erläuterung<br />

machen, die von mir fragend-entwickelnd bzw. durch me<strong>in</strong>e Erläuterungen ergänzt wer-<br />

<strong>de</strong>n.<br />

Es ist aus Zeitgrün<strong>de</strong>n nicht möglich, die komplette Tabelle an <strong>de</strong>r Tafel zu dokumen-<br />

tieren, son<strong>de</strong>rn Inhaltsbeschreibung und Erklärung können auch mündlich gesichert<br />

wer<strong>de</strong>n.<br />

Im Laufe <strong>de</strong>r Erarbeitungsphase wird e<strong>in</strong> Tafelbild angefertigt wer<strong>de</strong>n, <strong>in</strong> <strong>de</strong>m Anliegen,<br />

Mittel und Wirkung <strong>de</strong>s <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong>s zusammengefasst dargestellt s<strong>in</strong>d. Auf diese<br />

Weise haben die Schüler<strong>in</strong>nen e<strong>in</strong>en Überblick, <strong>de</strong>r zwar ke<strong>in</strong>en Anspruch auf Vollstän-<br />

digkeit erhebt, aber auf <strong>de</strong>r Grundlage <strong>de</strong>s Textes und <strong>de</strong>s <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Vorstun<strong>de</strong> erarbeiteten,<br />

e<strong>in</strong>en Überblick über wesentliche Bestandteile <strong>de</strong>r Theorie <strong>de</strong>s <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong>s liefert.<br />

Um <strong>de</strong>n kompletten geplanten Verlauf <strong>de</strong>r Stun<strong>de</strong> gewährleisten zu können, dürfte die<br />

Erarbeitungsphase nicht wesentlich länger als zwanzig M<strong>in</strong>uten <strong>in</strong> Anspruch nehmen.<br />

Es ist aber möglich, <strong>das</strong>s sie die gesamte Stun<strong>de</strong> beansprucht, zum e<strong>in</strong>en wegen <strong>de</strong>r<br />

40


Schwierigkeiten <strong>de</strong>s Textes, zum an<strong>de</strong>ren, weil die Schüler<strong>in</strong>nen bereits sechs Stun<strong>de</strong>n<br />

h<strong>in</strong>ter sich haben und ihre Konzentrationsfähigkeit ger<strong>in</strong>ger se<strong>in</strong> wird als zu e<strong>in</strong>er frühe-<br />

ren Tageszeit. Ich möchte <strong>de</strong>n Text aber auf je<strong>de</strong>n Fall <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>zelstun<strong>de</strong> bearbeiten,<br />

da ich die Doppelstun<strong>de</strong>n für die <strong>handlungs</strong>orientierte und daher zeit<strong>in</strong>tensivere Erarbei-<br />

tung <strong>de</strong>s Textes verwen<strong>de</strong>n muss, zumal <strong>in</strong> diesem Quartal zwei Doppelstun<strong>de</strong>n ausfal-<br />

len (Abi-Streich und verlängertes Himmelsfahrtswochenen<strong>de</strong>).<br />

Vertiefung<br />

Es wäre natürlich wünschenswert, zur Vertiefung <strong>de</strong>r erarbeiteten Theorie noch <strong>in</strong> <strong>de</strong>r<br />

Stun<strong>de</strong> selbst diese Kenntnisse auf <strong>de</strong>n Dramentext selbst anzuwen<strong>de</strong>n, doch ist es auch<br />

vertretbar, bei Zeitmangel darauf zu verzichten, da dies auch Bestandteil <strong>de</strong>r Hausaufga-<br />

be se<strong>in</strong> wird und <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Folgestun<strong>de</strong> noch e<strong>in</strong>mal thematisiert wird. Sollte <strong>de</strong>nnoch Zeit<br />

dafür verbleiben, sollen die Schüler<strong>in</strong>nen Wangs ersten Re<strong>de</strong>beitrag, <strong>de</strong>r bereits <strong>in</strong> <strong>de</strong>r<br />

Vorstun<strong>de</strong> als Beispiel für e<strong>in</strong> „<strong>epische</strong>s“ Element genannt wur<strong>de</strong> h<strong>in</strong>sichtlich se<strong>in</strong>er<br />

verfrem<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Wirkung untersuchen. Falls die Zeit ausreicht, soll dies <strong>in</strong> E<strong>in</strong>zelarbeit<br />

geschehen, da<strong>mit</strong> auch die weniger leistungsstarken Schüler<strong>in</strong>nen genügend Be<strong>de</strong>nkzeit<br />

erhalten; zur Not ist dies aber auch im Unterrichtsgespräch möglich.<br />

Auswertung<br />

In <strong>de</strong>r Auswertungsphase wird Wangs erster Re<strong>de</strong>beitrag h<strong>in</strong>sichtlich se<strong>in</strong>er Funktion<br />

für <strong>das</strong> Stück und se<strong>in</strong>er verfrem<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Wirkung analysiert.<br />

Er tritt hier vor <strong>das</strong> Publikum, stellt sich selbst sowie die erbärmliche Situation Sezuans<br />

vor. Hierbei erfährt <strong>de</strong>r Zuschauer bereits wichtige Elemente <strong>de</strong>r Vorgeschichte, die im<br />

„dramatischen <strong>Theater</strong>“ <strong>in</strong> Re<strong>de</strong> und Gegenre<strong>de</strong> präsentiert wor<strong>de</strong>n wären. Dies wur<strong>de</strong><br />

bereits <strong>in</strong> <strong>de</strong>r ersten Stun<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Reihe anhand <strong>de</strong>r Frage, ob <strong>das</strong> Vorspiel <strong>Ex</strong>position-<br />

scharakter hat, angesprochen, so <strong>das</strong>s die Schüler<strong>in</strong>nen hieran schnell <strong>de</strong>n <strong>epische</strong>n Cha-<br />

rakter dieses Re<strong>de</strong>beitrags erkennen wer<strong>de</strong>n. Wang stelllt sich als armen Menschen vor,<br />

wie auch die Armut <strong>in</strong> Sezuan überhaupt so groß ist, <strong>das</strong>s „uns nur noch die Götter hel-<br />

fen können.“ Im H<strong>in</strong>tergrund wird dies durch vorübergehen<strong>de</strong> Personen - vom Lasten-<br />

tragen gedrückte Arbeiter, e<strong>in</strong> Angestellter und zwei „Herren“, <strong>mit</strong> e<strong>in</strong>em „brutalen<br />

Ausdruck wie Leute, die viel prügeln“ - ver<strong>de</strong>utlicht. Der H<strong>in</strong>tergrund bekommt also<br />

hier die Funktion, die Schil<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Lage Sezuans zu ver<strong>de</strong>utlichen, wobei <strong>de</strong>r Blick<br />

<strong>de</strong>r Zuschauer von <strong>de</strong>r re<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Figur ausdrücklich dorth<strong>in</strong> gelenkt wird. Des weiteren<br />

aber ist <strong>das</strong> Folgen<strong>de</strong> - <strong>das</strong> Auftreten <strong>de</strong>r Götter - e<strong>in</strong> komischer Kontrast zu <strong>de</strong>n von<br />

Wang geäußerten Erwartungen an dieselben. Wangs Treten vor <strong>das</strong> Publikum hat also<br />

die Funktion, <strong>de</strong>n Zuschauer <strong>in</strong> die Handlung e<strong>in</strong>zuführen, an<strong>de</strong>rerseits wer<strong>de</strong>n Teile<br />

se<strong>in</strong>er Schil<strong>de</strong>rung durch <strong>das</strong> Folgen<strong>de</strong>, <strong>das</strong> überwiegend <strong>in</strong> szenischer Darstellung, d.h.<br />

<strong>mit</strong> „dramatischen“ Mitteln dargestellt wird, konterkariert.<br />

Hausaufgabe<br />

Als Hausaufgabe sollen die Schüler<strong>in</strong>nen <strong>das</strong> erste Bild nach V-Effekten und <strong>de</strong>ren Wir-<br />

kung untersuchen, um <strong>das</strong> bisher über die Theorie <strong>de</strong>s <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong>s Gelernte anzu-<br />

wen<strong>de</strong>n. In <strong>de</strong>r Regel wird vor allem <strong>das</strong> achte Bild als Musterszene für die Untersu-<br />

41


chung <strong>de</strong>r V-Effekte herangezogen, doch wür<strong>de</strong> dies e<strong>in</strong>en zu weiten Vorgriff auf die <strong>in</strong><br />

<strong>de</strong>r Gesamtreihe geplante exemplarische Analyse e<strong>in</strong>zelner Bil<strong>de</strong>r und Zwischenspiele<br />

be<strong>de</strong>uten. Es ist m.E. unbed<strong>in</strong>gt nötig, <strong>das</strong> erste Bild auch unter <strong>de</strong>m Gesichtspunkt <strong>de</strong>r<br />

dort dargestellten Situation <strong>de</strong>r Besitzlosen und ihrer typischen Verhaltensweisen zu un-<br />

tersuchen, um auf dieser Grundlage <strong>in</strong> die Brechts Werken zugrun<strong>de</strong>liegen<strong>de</strong> Theorie<br />

<strong>de</strong>s Marxismus e<strong>in</strong>zuführen, die nur wenigen Schüler<strong>in</strong>nen bekannt ist.<br />

Im günstigsten Falle erwarte ich folgen<strong>de</strong>s Ergebnis <strong>de</strong>r Hausaufgabe:<br />

1)Wendung ans Publikum, z.B.<br />

- S. 18: Shen Te berichtet <strong>de</strong>m Publikum, was <strong>in</strong> <strong>de</strong>n drei Tagen seit <strong>de</strong>m Götterbesuch<br />

geschehen ist ® Zeitraffung, Rückblen<strong>de</strong><br />

- S. 19: Shen Te klärt Publikum über die Familie auf ®E<strong>in</strong>bezug <strong>de</strong>r Vorgeschichte<br />

- S. 21: Shen Te <strong>in</strong> freien Rhythmen ans Publikum ® Rechtfertigung <strong>de</strong>s eigennützi-<br />

gen Verhaltens <strong>de</strong>r Bittsteller<br />

2.“Lied vom Rauch“ (S. 27f.):<br />

Das Lied ist e<strong>in</strong>erseits Teil <strong>de</strong>r Szenenhandlung (Die Frau for<strong>de</strong>rt ihre Familie auf, et-<br />

was zu unterhalten, an<strong>de</strong>rerseits unterbricht sie diese: Der Inhalt <strong>de</strong>s Lie<strong>de</strong>s nicht unter-<br />

haltend, son<strong>de</strong>rn ernsthaft; Als Lied über die traurige Lebensgeschichte <strong>de</strong>r achtköpfi-<br />

gen Familie, die Not zur Krim<strong>in</strong>alität zwang, fasst es die Aussage <strong>de</strong>r Szene zusammen.<br />

Das Publikum wird durch die V-Effekte immer wie<strong>de</strong>r zur Distanzierung vom Bühnen-<br />

geschehen aufgefor<strong>de</strong>rt; die Botschaft <strong>de</strong>s Stücks wird zusammengefasst und <strong>de</strong>utlich<br />

präsentiert. Der Zuschauer soll die Situation, die auf <strong>de</strong>r Bühne dargestellt wird, nicht<br />

als gegeben h<strong>in</strong>nehmen, son<strong>de</strong>rn über Mittel zu <strong>de</strong>ren Überw<strong>in</strong>dung nach<strong>de</strong>nken.<br />

42


3.2.1.4 Verlaufsplan<br />

Phase/Ziele Unterrichtsgeschehen Arbeitsformen/<br />

E<strong>in</strong>stieg<br />

TZ 1<br />

5’<br />

Erarbeitung<br />

TZ 2<br />

TZ 3<br />

20’<br />

Vertiefung<br />

TZ 4<br />

10’<br />

Auswertung<br />

TZ 5<br />

10’<br />

Hausaufgabe<br />

3.2.1.5 Geplantes Tafelbild<br />

Besprechung <strong>de</strong>r Hausaufgabe:<br />

Vorschläge zur Glie<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Textes <strong>mit</strong> Überschriften<br />

abschnittweise Analyse <strong>de</strong>s Inhalts <strong>de</strong>s Textes:<br />

Schüler<strong>in</strong>nen beschreiben <strong>de</strong>n Inhalt und erläutern evtl.<br />

<strong>mit</strong> Hilfe von Impulsen und Lehrer<strong>in</strong>formationen unklare<br />

bzw. erklärungsbedürftige Textbestandteile<br />

Hierbei wer<strong>de</strong>n wesentliche Ziele und Mittel <strong>de</strong>s epi-<br />

schen <strong>Theater</strong>s an <strong>de</strong>r Tafel zusammengefasst<br />

Schüler<strong>in</strong>nen untersuchen Wangs ersten Re<strong>de</strong>beitrag h<strong>in</strong>sichtlich<br />

se<strong>in</strong>er verfrem<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Wirkung<br />

Medien<br />

SV/UG<br />

SV/UG<br />

TA<br />

PA<br />

Dramentext:<br />

Vorspiel<br />

Schüler<strong>in</strong>nen tragen ihre Ergebnisse zusammen UG<br />

Dramentext:<br />

Vorspiel<br />

Untersuchen Sie <strong>das</strong> erste Bild <strong>epische</strong>n Mitteln und erläutern<br />

Sie <strong>de</strong>ren Wirkung!<br />

Das <strong>epische</strong> <strong>Theater</strong>: Mittel, Ziele und Wirkung<br />

Sch.Hefte<br />

Anliegen <strong>de</strong>s <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong>s: Die Umwelt (soziales und politisches System), selbständig<br />

<strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung treten lassen<br />

Mittel <strong>de</strong>s <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong>s:<br />

- E<strong>in</strong>satz neuer Bühnentechniken (Projektion, Drehbühne, filmische Techniken)<br />

- neue Schauspieltechniken: Schauspieler soll sich nicht völlig <strong>mit</strong> Rolle i<strong>de</strong>ntifizieren<br />

- Wendung <strong>de</strong>r Schauspieler ans Publikum (Selbstvorstellung, Songs, lyrische E<strong>in</strong>lagen)<br />

- Projektion von zusätzlichen H<strong>in</strong>tergrund<strong>in</strong>formationen Þ Stück präsentiert nicht nur<br />

e<strong>in</strong>e Geschichte, son<strong>de</strong>rn steht im Zusammenhang <strong>mit</strong> <strong>de</strong>m Zeitgeschehen<br />

Wirkung auf <strong>de</strong>n Zuschauer: VERFREMDUNGSEFFEKT<br />

Þ je<strong>de</strong>r Versuch sich <strong>in</strong> die Figur e<strong>in</strong>zufühlen wird durch V-Effekte zunichte gemacht<br />

Þ wird ständig aufgefor<strong>de</strong>rt, über <strong>das</strong> Dargestellte nachzu<strong>de</strong>nken und Kritik zu üben<br />

Þ er erkennt, <strong>das</strong>s die dargestellte Handlung unter an<strong>de</strong>ren gesellschaftlichen Bed<strong>in</strong>gungen<br />

an<strong>de</strong>rs verlaufen wäre<br />

43


3.2.2 Durchführung und begleiten<strong>de</strong> Reflexion <strong>de</strong>r Unterrichtsstun<strong>de</strong><br />

Die Stun<strong>de</strong> ist im Wesentlichen wie geplant verlaufen; die gesetzten Lernziele habe ich<br />

erreicht. Wie ich bereits <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Planung befürchtet hatte, nahm jedoch die Besprechung<br />

<strong>de</strong>s Textes gut 35 M<strong>in</strong>uten <strong>in</strong> Anspruch, allerd<strong>in</strong>gs nicht aufgrund von Verständnis-<br />

schwierigkeiten, son<strong>de</strong>rn weil e<strong>in</strong>ige Schüler<strong>in</strong>nen Kritik an <strong>de</strong>r Tragfähigkeit <strong>de</strong>r<br />

Brechtschen Theorie geäußert haben, <strong>de</strong>ren kurze Diskussion ich nicht unterb<strong>in</strong><strong>de</strong>n<br />

wollte. Dadurch fand die Anwendung <strong>de</strong>r Theorie auf <strong>de</strong>n Wang-Auftritt im Vorspiel<br />

nur noch im Unterrichtsgespräch statt.<br />

E<strong>in</strong>stieg<br />

In <strong>de</strong>r E<strong>in</strong>stiegsphase zeigte sich, <strong>das</strong>s die Schüler<strong>in</strong>nen <strong>de</strong>n Text gründlich bearbeitet<br />

haben. E<strong>in</strong>ige wollten zunächst Verständnisfragen klären, die ich aber zurückgestellt<br />

und auf die abschnittsweise Besprechung <strong>de</strong>s Textes verwiesen habe. Die Schüler<strong>in</strong>nen<br />

erklärten sich <strong>mit</strong> <strong>de</strong>m von mir vorgeschlagenen Verlauf <strong>de</strong>r Stun<strong>de</strong> e<strong>in</strong>verstan<strong>de</strong>n. Re-<br />

lativ schnell e<strong>in</strong>igten sich die Schüler<strong>in</strong>nen auf e<strong>in</strong>e Glie<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Textes <strong>mit</strong> entspre-<br />

chen<strong>de</strong>n Überschriften, die ich <strong>de</strong>r besseren Übersichtlichkeit halber an <strong>de</strong>r Tafel doku-<br />

mentiert habe:<br />

1) Z. 1-13: Epik und Dramatik als nur sche<strong>in</strong>bare Gegensätze<br />

2) Z. 14-21: neue Bühnentechniken verän<strong>de</strong>rn <strong>das</strong> <strong>Theater</strong><br />

3) Z. 22-26: Neue Rolle <strong>de</strong>r Umwelt im <strong>Theater</strong><br />

4) Z. 27-33: Mittel <strong>de</strong>s <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong>s<br />

5) Z. 34-38: Wirkung <strong>de</strong>s <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong>s auf die Zuschauer (Entfremdung)<br />

6) Z. 39-42: Zusammenfassung: Das „Natürliche“ wird auffällig<br />

Erarbeitung<br />

Die Inhaltsangabe und Erklärung <strong>de</strong>s ersten Abschnittes bereitete <strong>de</strong>n Schüler<strong>in</strong>nen kei-<br />

ne Schwierigkeiten. Sie grenzten zur Erläuterung noch e<strong>in</strong>mal die Begriffe „Epik“ und<br />

„Dramatik“ vone<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r ab und erläuterten, <strong>das</strong>s Brecht sich hier gegen die Kritik<br />

wehrt, <strong>de</strong>r Begriff „<strong>epische</strong>s <strong>Theater</strong>“ enthalte e<strong>in</strong>en Wi<strong>de</strong>rspruch, da auch <strong>epische</strong> Tex-<br />

te dramatische Elemente enthielten und umgekehrt.<br />

Zur Beschreibung <strong>de</strong>s Inhalts <strong>de</strong>s zweiten Abschnitts stellten die Schüler<strong>in</strong>nen fest, <strong>das</strong>s<br />

mo<strong>de</strong>rne Bühnentechniken dazu dienen, die Begrenztheit <strong>de</strong>r Darstellungsmöglichkeiten<br />

auf <strong>de</strong>r Bühne zu erweitern, <strong>in</strong><strong>de</strong>m z.B. die Begrenzung <strong>de</strong>r dargestellten Zeit durch er-<br />

zählen<strong>de</strong> Elemente aufgehoben wer<strong>de</strong>n kann. Auf Nachfrage konkretisierten sie diese<br />

Techniken (Projektion, Drehbühne, filmische Techniken wie Rückblen<strong>de</strong>n). An dieser<br />

Stelle erklärte ich <strong>de</strong>n Schüler<strong>in</strong>nen, <strong>das</strong>s diese Techniken natürlich nicht nur Mittel <strong>de</strong>s<br />

<strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong>s seien. Als Beispiel erzählte ich ihnen von Inszenierungen Max Re<strong>in</strong>-<br />

hardts, <strong>de</strong>r diese Mittel zur Perfektionierung <strong>de</strong>r szenischen Darstellung auf <strong>de</strong>r Bühne<br />

e<strong>in</strong>setzte, was Brecht als „kul<strong>in</strong>arisches <strong>Theater</strong>“ kritisiert hat. Um dies zu ver<strong>de</strong>utli-<br />

chen, leitete ich zum dritten Abschnitt über, <strong>in</strong> <strong>de</strong>m <strong>das</strong> Anliegen <strong>de</strong>s <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong>s,<br />

nämlich die „Umwelt“ selbstständig zur Geltung zu br<strong>in</strong>gen, zur Sprache kommt. Hier<br />

musste zunächst <strong>de</strong>r Begriff „Umwelt“ geklärt wer<strong>de</strong>n. In e<strong>in</strong>em kurzen Gespräch e<strong>in</strong>ig-<br />

ten wir uns darauf, <strong>das</strong>s da<strong>mit</strong> die soziale Lage <strong>de</strong>r Menschen und <strong>das</strong> politische System<br />

44


geme<strong>in</strong>t seien, <strong>de</strong>ssen kritikauslösen<strong>de</strong> Darstellung <strong>das</strong> Hauptanliegen Brechts sei. Auf<br />

me<strong>in</strong>e Frage, was <strong>de</strong>nn <strong>das</strong> Neue daran sei, äußerten die Schüler<strong>in</strong>nen, <strong>das</strong>s <strong>de</strong>r Zu-<br />

schauer die Umwelt nicht nur aus <strong>de</strong>r Perspektive <strong>de</strong>r Figuren wahrnimmt, son<strong>de</strong>rn sich<br />

e<strong>in</strong> eigenes Urteil bil<strong>de</strong>n kann, sowohl über <strong>das</strong> Verhalten <strong>de</strong>r Figuren, die dieser Um-<br />

welt ausgesetzt s<strong>in</strong>d als auch über diese Umwelt selbst.<br />

An dieser Stelle begann ich <strong>mit</strong> <strong>de</strong>m zusammenfassen<strong>de</strong>n Tafelanschrieb. Als stummen<br />

Impuls habe ich bei <strong>de</strong>r Zwischenüberschrift „Mittel <strong>de</strong>s <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong>s“ <strong>de</strong>n An-<br />

schrieb unterbrochen und abwechselnd auf die vorher angeschriebenen Glie<strong>de</strong>rungs-<br />

punkte 2) und 4) ge<strong>de</strong>utet. Dadurch wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>n Schüler<strong>in</strong>nen <strong>de</strong>utlich, <strong>das</strong>s <strong>de</strong>r E<strong>in</strong>satz<br />

<strong>de</strong>r neuen Bühnentechniken durch Brecht zu diesen Mitteln gehört, allerd<strong>in</strong>gs <strong>mit</strong> ganz<br />

an<strong>de</strong>rer Intention als bei Re<strong>in</strong>hardts Inszenierungen. Es gehe nicht um die Perfektionie-<br />

rung <strong>de</strong>r Illusion (was so wörtlich von e<strong>in</strong>er Schüler<strong>in</strong> geäußert wur<strong>de</strong>!), son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>m<br />

genannten Anliegen <strong>de</strong>s <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong>s zu dienen, die Umwelt selbstständig <strong>in</strong> Er-<br />

sche<strong>in</strong>ung treten zu lassen, etwa durch die Projektion von H<strong>in</strong>tergrund<strong>in</strong>formationen,<br />

die <strong>das</strong> Verhalten <strong>de</strong>r Figuren vor <strong>de</strong>m H<strong>in</strong>tergrund <strong>de</strong>r sozialen und politischen Lage<br />

<strong>de</strong>r dargestellten Gesellschaft erklärbar machen. An dieser Stelle habe ich die Schüler<strong>in</strong>-<br />

nen noch e<strong>in</strong>mal auf <strong>das</strong> En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s zweiten Abschnittes zurückverwiesen (Z. 19-21). Da<br />

die Schüler<strong>in</strong>nen bei <strong>de</strong>r Unterrichtsreihe zum „Nathan“ auch <strong>de</strong>n Begriff „Tragik“ ken-<br />

nengelernt hatten, kamen sie rasch darauf, <strong>das</strong>s es Brechts Anliegen ist, <strong>de</strong>n Verlauf <strong>de</strong>r<br />

Dramenhandlung nur <strong>in</strong>sofern als tragisch verstan<strong>de</strong>n zu wissen, als <strong>das</strong>s die Figuren<br />

aufgrund <strong>de</strong>r gesellschaftlichen Umstän<strong>de</strong> scheitern, die aber gera<strong>de</strong> nicht schicksalhaft<br />

und unausweichlich, son<strong>de</strong>rn verän<strong>de</strong>rbar s<strong>in</strong>d.<br />

Nach dieser Klärung wur<strong>de</strong> anhand <strong>de</strong>s vierten Abschnitts <strong>de</strong>r Tafelanschrieb um die<br />

Mittel <strong>de</strong>s <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong>s erweitert. Hierbei wur<strong>de</strong> die von Brecht gefor<strong>de</strong>rte Schau-<br />

spieltechnik erörtert: Nach<strong>de</strong>m e<strong>in</strong>e Schüler<strong>in</strong> bei <strong>de</strong>r Inhaltswie<strong>de</strong>rgabe <strong>de</strong>s Textes er-<br />

läuterte, <strong>das</strong>s sich <strong>de</strong>r Schauspieler nach Brecht <strong>mit</strong> se<strong>in</strong>er Rolle nicht vollkommen<br />

i<strong>de</strong>ntifizieren solle, son<strong>de</strong>rn immer wie<strong>de</strong>r Abstand zur Figur nehmen müsse, wandte<br />

e<strong>in</strong>e an<strong>de</strong>re e<strong>in</strong>, <strong>das</strong>s <strong>de</strong>r Schauspieler sich aber dann erst recht beson<strong>de</strong>rs stark <strong>in</strong> die Fi-<br />

gur e<strong>in</strong>fühlen müsse. Im Gespräch darüber erkannten die Schüler<strong>in</strong>nen, <strong>das</strong>s bei<strong>de</strong>s rich-<br />

tig sei: Die Schauspieler müssen im szenischen Spiel die Figur tatsächlich möglichst<br />

real repräsentieren, aber <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Wendung zum Publikum ihre Spielweise verän<strong>de</strong>rn und<br />

aus <strong>de</strong>r Rolle treten. Ich verwies <strong>in</strong> diesem Zusammenhang auf, <strong>das</strong>s Brecht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

an<strong>de</strong>ren Zusammenhang 51 genau diese Problematik erörtert: Die Schauspieler müssen<br />

sich <strong>in</strong>soweit <strong>in</strong> die Figuren e<strong>in</strong>fühlen, <strong>das</strong>s sie ihre Eigenschaften darstellen können, je-<br />

doch nicht, um <strong>de</strong>m Zuschauer <strong>de</strong>n E<strong>in</strong>druck zu ver<strong>mit</strong>teln, <strong>das</strong>s <strong>de</strong>r Bühnenvorgang <strong>in</strong><br />

<strong>de</strong>r Wirklichkeit stattf<strong>in</strong><strong>de</strong>. Er muss nach Brecht je<strong>de</strong>n Versuch <strong>de</strong>r E<strong>in</strong>fühlung <strong>de</strong>s Zu-<br />

schauers <strong>in</strong> die Figur immer wie<strong>de</strong>r durch Distanznahme unterbrechen.<br />

Nach <strong>de</strong>r Sammlung <strong>de</strong>r Mittel <strong>de</strong>s <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong>s leitete ich zur Wirkung dieser<br />

Mittel auf <strong>de</strong>n Zuschauer über. Es fiel <strong>de</strong>n Schüler<strong>in</strong>nen leicht, diese Wirkung zu be-<br />

51 Vgl. B. Brecht, Neue Technik <strong>de</strong>r Schauspielkunst. GW 15, 341-357, hier 341f.<br />

45


schreiben („<strong>de</strong>r Zuschauer soll sich nicht kritiklos <strong>in</strong> die Figur e<strong>in</strong>fühlen“; „er soll sich<br />

nicht e<strong>in</strong>fach wie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em romantischen Film berieseln lassen“; „er wird aus <strong>de</strong>r Illusi-<br />

on herausgerissen“; „er wird <strong>mit</strong> <strong>de</strong>r Nase darauf gestoßen, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Stück <strong>de</strong>r Gesell-<br />

schaftskritik dient und <strong>das</strong> er <strong>mit</strong><strong>de</strong>nken muss und Schlüsse für <strong>das</strong> reale Leben daraus<br />

ziehen muss“).<br />

Auch <strong>de</strong>n Inhalt letzten Abschnitt <strong>de</strong>s Textes konnten die Schüler<strong>in</strong>nen als <strong>in</strong>tendierte<br />

Wirkung <strong>de</strong>r <strong>epische</strong>n Mittel <strong>in</strong>terpretieren: Durch <strong>de</strong>n Zwang zum Nach<strong>de</strong>nken über<br />

die Bühnenhandlung nimmt <strong>de</strong>r Zuschauer diese nicht als selbstverständlich wahr, son-<br />

<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>nkt über mögliche Ursachen <strong>de</strong>s Han<strong>de</strong>lns <strong>de</strong>r Figuren nach. Dieser Aspekt<br />

konnte durch die Frage e<strong>in</strong>er Schüler<strong>in</strong>, was <strong>de</strong>nn <strong>mit</strong> <strong>de</strong>m „Natürlichen“ geme<strong>in</strong>t sei,<br />

noch vertieft wer<strong>de</strong>n, die ich an die Lerngruppe zurückgegeben habe. Die Schüler<strong>in</strong>nen<br />

erkannten, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> „Natürliche“ <strong>das</strong> sche<strong>in</strong>bar Selbstverständliche ist, z.B. die sozialen<br />

Umstän<strong>de</strong>, <strong>de</strong>nen die Figuren ausgeliefert s<strong>in</strong>d, die aber nach Brecht alles an<strong>de</strong>re als na-<br />

türlich, son<strong>de</strong>rn verän<strong>de</strong>rbar s<strong>in</strong>d.<br />

An dieser Stelle habe ich <strong>de</strong>n Begriff Verfremdungseffekt e<strong>in</strong>geführt <strong>mit</strong> <strong>de</strong>m Impuls<br />

„Brecht hat die Wirkung dieser Mittel als Verfremdungseffekt bezeichnet.“ Durch darauf<br />

folgen<strong>de</strong>n Schüler<strong>in</strong>nenäußerungen wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>utlich, <strong>das</strong>s sie <strong>de</strong>n Begriff auf die genann-<br />

ten Aspekte anwen<strong>de</strong>n konnten.<br />

E<strong>in</strong>e Schüler<strong>in</strong> kritisierte, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> <strong>epische</strong> <strong>Theater</strong> aber doch nur Menschen anspreche,<br />

die ohneh<strong>in</strong> reflexionsfähig seien, und diejenigen, „die es eigentlich nötig hätten“, da-<br />

von eher abgestoßen wür<strong>de</strong>n. Dies wur<strong>de</strong> von an<strong>de</strong>ren Schüler<strong>in</strong>nen bekräftigt, die z.B.<br />

feststellten, <strong>das</strong>s man sich im <strong>Theater</strong> ja auch amüsieren wolle und Brechts <strong>Theater</strong> doch<br />

sehr gezwungen und plakativ wirke. Ich habe dies durch <strong>de</strong>n H<strong>in</strong>weis akzentuiert, <strong>das</strong>s<br />

die Schüler<strong>in</strong>nen hier e<strong>in</strong>e oft gegen Brecht geäußerte Kritik geäußert hätten, <strong>das</strong>s<br />

Brecht aber <strong>de</strong>r Me<strong>in</strong>ung sei, <strong>das</strong>s auch <strong>das</strong> <strong>epische</strong> <strong>Theater</strong>, wie er es wörtlich formu-<br />

liert, e<strong>in</strong>en Genuss biete, nämlich <strong>de</strong>n Genuss <strong>de</strong>r Erkenntnis, was die Schüler<strong>in</strong>nen z.T.<br />

nachvollziehen konnten, größtenteils aber <strong>mit</strong> Gr<strong>in</strong>sen quittierten. Es zeigt sich hier<br />

also, <strong>das</strong>s die Schüler<strong>in</strong>nen bereits jetzt <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Lage s<strong>in</strong>d, auch Anfragen an die Theorie<br />

<strong>de</strong>s <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong>s zu formulieren, auf die ich am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r gesamten Reihe noch<br />

e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>gehen wer<strong>de</strong>, da<strong>mit</strong> die Argumente besser am Drama selbst belegt wer<strong>de</strong>n<br />

können.<br />

Vertiefung/Auswertung<br />

Die Vertiefungsphase konnte nicht wie geplant <strong>in</strong> <strong>in</strong>tensiver Partnerarbeit durchgeführt<br />

wer<strong>de</strong>n, doch blieb noch genügend Zeit, zum<strong>in</strong><strong>de</strong>st im Gespräch e<strong>in</strong>ige Aspekte <strong>de</strong>s An-<br />

liegens <strong>de</strong>s <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong>s im ersten Auftritt Wangs wie<strong>de</strong>rent<strong>de</strong>cken zu können. Die<br />

Schüler<strong>in</strong>nen nannten alle Aspekte, die ich auch als Ergebnis <strong>de</strong>r Partnerarbeit erwartet<br />

hätte: Als erstes wur<strong>de</strong> die direkte Wendung ans Publikum thematisiert („Wang stellt<br />

sich und die Situation Sezuans vor“), was e<strong>in</strong>e Schüler<strong>in</strong> hervorragend erläuterte: „Er<br />

tritt vor die Bühne, als wäre er ke<strong>in</strong> Spieler, son<strong>de</strong>rn tut so, als wür<strong>de</strong> er auf die an<strong>de</strong>ren<br />

46


Figuren zeigen“, woraufh<strong>in</strong> an<strong>de</strong>re Schüler<strong>in</strong>nen bemerkten, <strong>das</strong>s Wang dadurch <strong>de</strong>n<br />

Zuschauer zum e<strong>in</strong>en dazu br<strong>in</strong>gt, <strong>das</strong>s <strong>de</strong>r Zuschauer die Vorübergehen<strong>de</strong>n genau beob-<br />

achtet und sich fragt, welche davon wohl die Götter se<strong>in</strong> könnten und dabei gleichzeitig<br />

feststellt, <strong>das</strong>s hier Vertreter verschie<strong>de</strong>ner gesellschaftlicher Gruppen vorgestellt wer-<br />

<strong>de</strong>n, was man ohne Wangs zeigen<strong>de</strong> Haltung vielleicht übersehen hätte. E<strong>in</strong>e Schüler<strong>in</strong><br />

äußerte sehr treffend, <strong>das</strong>s Brecht ja schließlich wolle, <strong>das</strong>s man über <strong>das</strong> Gesehene<br />

nach<strong>de</strong>nkt und Wang mache „eben mal vor, wie <strong>das</strong> geht.“<br />

Zusammenfassen<strong>de</strong> Stun<strong>de</strong>nkritik<br />

Ich b<strong>in</strong> nur <strong>in</strong>sofern <strong>mit</strong> <strong>de</strong>r Stun<strong>de</strong> zufrie<strong>de</strong>n, als <strong>das</strong> die <strong>in</strong>haltlichen Ziele erreicht wer-<br />

<strong>de</strong>n konnten, doch lei<strong>de</strong>t sie natürlich darunter, <strong>das</strong>s dies ausschließlich im Unterrichts-<br />

gespräch geschah. Das Gespräch verlief zwar lebhaft und wohl auch für alle Schüler<strong>in</strong>-<br />

nen <strong>mit</strong> Erkenntnisgew<strong>in</strong>n, doch war die Stun<strong>de</strong> sowohl für mich als auch für die Schü-<br />

ler<strong>in</strong>nen sehr anstrengend. Gegen En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Stun<strong>de</strong> ließ die Aufmerksamkeit stark nach,<br />

so <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Gespräch nur noch von weniger als <strong>de</strong>r Hälfte <strong>de</strong>r Schüler<strong>in</strong>nen getragen<br />

wur<strong>de</strong> und an<strong>de</strong>re sich auch auf Auffor<strong>de</strong>rung nicht mehr äußerten. Ich b<strong>in</strong> mir zwar si-<br />

cher, <strong>das</strong>s die Schüler<strong>in</strong>nen <strong>de</strong>n Text gut verstan<strong>de</strong>n haben, doch die konkrete Anwen-<br />

dung auf <strong>das</strong> Drama wird e<strong>in</strong>igen sicherlich noch Schwierigkeiten bereiten.<br />

Ich sehe allerd<strong>in</strong>gs noch immer ke<strong>in</strong>e Alternative zum Verlauf dieser Stun<strong>de</strong>, weil ich<br />

die gründliche Analyse <strong>de</strong>s Textes für unabd<strong>in</strong>gbar halte. E<strong>in</strong>e schnellere Erarbeitung<br />

<strong>de</strong>s Textes anhand von Leitfragen hätte sicherlich nicht bei allen Schüler<strong>in</strong>nen zu e<strong>in</strong>er<br />

so <strong>in</strong>tensiven Ause<strong>in</strong>an<strong>de</strong>rsetzung <strong>mit</strong> ihm geführt, die durch die häusliche Vorbereitung<br />

verlangt war, dadurch aber auch e<strong>in</strong>er ausführlichen Besprechung bedurfte. Allerd<strong>in</strong>gs<br />

hätte bei <strong>de</strong>r Besprechung <strong>de</strong>s Textes Zeit e<strong>in</strong>sparen können, wenn ich die Abschnitts-<br />

glie<strong>de</strong>rung selbst vorgegeben hätte, doch halte ich die <strong>in</strong>haltliche Strukturierung e<strong>in</strong>es<br />

Textes durch <strong>das</strong> Aufsuchen von S<strong>in</strong>nabschnitten und Formulieren von Überschriften<br />

für e<strong>in</strong>en wichtigen ersten Schritt zur Analyse e<strong>in</strong>es Textes und daher für e<strong>in</strong>e Leistung,<br />

die die Schüler<strong>in</strong>nen selbst erbr<strong>in</strong>gen müssen.<br />

47


3.3 Die vierte und fünfte Stun<strong>de</strong> (12. und 13. Stun<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Gesamtreihe)<br />

Thema: Der Aufstieg Suns auf <strong>de</strong>r Grundlage kapitalistischer Ausbeuterei- Das 8.<br />

Bild als Musterszene <strong>de</strong>s <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong>s<br />

3.3.1 Planung <strong>de</strong>r Unterrichtsstun<strong>de</strong><br />

3.3.1.1 Lernziele<br />

Stun<strong>de</strong>nziel:<br />

Die Schüler<strong>in</strong>nen wen<strong>de</strong>n ihre Kenntnisse zur Theorie <strong>de</strong>s <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong>s an, <strong>in</strong><strong>de</strong>m<br />

sie <strong>das</strong> 8. Bild als Musterszene <strong>de</strong>r Theorie <strong>mit</strong>tels verschie<strong>de</strong>ner Verfahren analysieren<br />

und <strong>in</strong>terpretieren.<br />

Teilziele:<br />

1) Die Schüler<strong>in</strong>nen erkennen die Funktion <strong>de</strong>s Bühnenbil<strong>de</strong>s zur Ver<strong>de</strong>utlichung <strong>de</strong>r<br />

Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen <strong>in</strong> Shui Tas Fabrik, <strong>in</strong><strong>de</strong>m sie e<strong>in</strong> Szenenfoto aus e<strong>in</strong>er Inszenie-<br />

rung <strong>de</strong>s Dramas beschreiben und bewerten.<br />

2) Die Schüler<strong>in</strong>nen erkennen die Struktur <strong>de</strong>r Szene (Montagetechnik, ähnlich wie bei<br />

Dokumentarfilmen), <strong>in</strong><strong>de</strong>m sie sie glie<strong>de</strong>rn.<br />

3) Die Schüler<strong>in</strong>nen ent<strong>de</strong>cken durch produktives Umarbeiten <strong>de</strong>r Szene sowie <strong>de</strong>n Ver-<br />

gleich <strong>mit</strong> <strong>de</strong>m Orig<strong>in</strong>al die Perspektivität von Frau Yangs Bericht und verstehen so-<br />

<strong>mit</strong> <strong>de</strong>n durch die Wi<strong>de</strong>rsprüchlichkeit <strong>de</strong>r Darstellungsebenen erreichten V-Effekt.<br />

4) Die Schüler<strong>in</strong>nen erkennen, <strong>das</strong>s <strong>de</strong>r Song e<strong>in</strong>e doppelte Funktion <strong>in</strong>nerhalb <strong>de</strong>r Sze-<br />

ne hat (Parabel auf Sun, Mittel zur Steigerung <strong>de</strong>s Arbeitstempos).<br />

3.3.1.2 Überlegungen zur Sache und didaktische Reduktion<br />

Nicht wenige Schüler<strong>in</strong>nen haben sich, wie im Verlauf <strong>de</strong>r Unterrichtsreihe <strong>de</strong>utlich<br />

wur<strong>de</strong>, schwer da<strong>mit</strong> getan, Shui Tas Handlungsweise zu verstehen. Sie <strong>in</strong>terpretierten<br />

se<strong>in</strong> Verhalten als angemessen und vernünftig; so fan<strong>de</strong>n sie es z.B. durchaus vertretbar,<br />

<strong>das</strong>s Shui Ta im 2. Bild die For<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>s Schre<strong>in</strong>ers herunterhan<strong>de</strong>lt und begriffen<br />

erst nach langer Diskussion, <strong>das</strong>s Shui Ta ihn durch Erpressung um se<strong>in</strong>en verdienten<br />

Lohn und da<strong>mit</strong> <strong>in</strong> schwere <strong>Ex</strong>istenznot gebracht hat. E<strong>in</strong>e Schüler<strong>in</strong> äußerte sich auch<br />

lobend über die Errichtung <strong>de</strong>r Tabakfabrik: Shui Ta habe <strong>de</strong>n Armen Arbeit gegeben,<br />

was doch s<strong>in</strong>nvoller sei als Almosen. Dabei übersahen sie völlig die unmenschlichen<br />

Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen, die im 7. Bild bereits ange<strong>de</strong>utet wer<strong>de</strong>n und im 8. Bild v.a. <strong>in</strong> <strong>de</strong>n<br />

Regieanweisungen zum Bühnenbild („H<strong>in</strong>ter Gittern hocken, entsetzlich zusammenge-<br />

pfercht, e<strong>in</strong>ige Familien“, S. 111) erkennbar wer<strong>de</strong>n. Sie haben <strong>mit</strong> ihrem Urteil unkri-<br />

tisch Frau Yangs Perspektive übernommen und nicht begriffen, <strong>das</strong>s Frau Yangs Bericht<br />

im völligen Kontrast zum Bühnenbild und <strong>de</strong>n szenischen Rückblen<strong>de</strong>n steht. Diese<br />

Verständnisschwierigkeiten s<strong>in</strong>d vor <strong>de</strong>m H<strong>in</strong>tergrund <strong>de</strong>r Lebenssituation <strong>de</strong>r Schüle-<br />

r<strong>in</strong>nen nachvollziehbar. Als K<strong>in</strong><strong>de</strong>r <strong>de</strong>r sozialen Marktwirtschaft ist ihnen die marxisti-<br />

48


sche Kapitalismuskritik nicht mehr e<strong>in</strong>leuchtend. Außer<strong>de</strong>m kann durch bloßes Lesen<br />

<strong>de</strong>r Szene ihre Bauart - die gegenseitige Verfremdung <strong>de</strong>r verschie<strong>de</strong>nen Darstellungs-<br />

ebenen Bühnenbild, Bericht, szenische Handlung und Song - übersehen wer<strong>de</strong>n. Dies<br />

ließe sich leicht durch <strong>das</strong> Ansehen e<strong>in</strong>er Inszenierung korrigieren, doch die e<strong>in</strong>zige<br />

z.Zt. zugängliche Inszenierung <strong>de</strong>s Weimarer Nationaltheaters von 1988 beruht auf <strong>de</strong>r<br />

Santa Monica-Fassung, <strong>in</strong> <strong>de</strong>r <strong>das</strong> 8. Bild völlig an<strong>de</strong>rs gestaltet ist. Daher müssen an<strong>de</strong>-<br />

re Wege zum besseren Verständnis <strong>de</strong>s Textes gefun<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n. Möglich wäre es hier-<br />

bei, die Schüler<strong>in</strong>nen Vorschläge zu Bühnenbild und Inszenierung <strong>de</strong>s 8. Bil<strong>de</strong>s sam-<br />

meln o<strong>de</strong>r es gar selbst <strong>in</strong>szenieren zu lassen, doch halte ich dieses Verfahren für zu<br />

zeitaufwendig. Ich habe mich daher dafür entschie<strong>de</strong>n, die Schüler<strong>in</strong>nen e<strong>in</strong>mal die Per-<br />

spektive e<strong>in</strong>es Arbeiters <strong>in</strong> Shui Tas Fabrik e<strong>in</strong>zunehmen, <strong>in</strong><strong>de</strong>m sie die Kommentare<br />

Frau Yangs zu Suns Aufstieg aus <strong>de</strong>ssen Sicht umformulieren. Da<strong>mit</strong> wird ihnen <strong>de</strong>ut-<br />

lich, <strong>das</strong>s Frau Yangs Bericht parteiisch ist und im Kontrast zur dargestellten szenischen<br />

Handlung steht. Auf dieser Grundlage erkennen die Schüler<strong>in</strong>nen die verfrem<strong>de</strong>n<strong>de</strong><br />

Wirkung dieser Kontrastierung. Ursprünglich hatte ich diese Umgestaltung als vorberei-<br />

ten<strong>de</strong> Hausaufgabe geplant, was aber schon aus organisatorischen Grün<strong>de</strong>n nicht mög-<br />

lich war, da die Schüler<strong>in</strong>nen <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Vorstun<strong>de</strong> die Klausur geschrieben haben. Darüber<br />

h<strong>in</strong>aus hätte dieser Produktionsauftrag vor <strong>de</strong>m H<strong>in</strong>tergrund <strong>de</strong>r dargestellten Verständ-<br />

nisschwierigkeiten e<strong>in</strong>e Überfor<strong>de</strong>rung e<strong>in</strong>iger Schüler<strong>in</strong>nen be<strong>de</strong>utet, weil er voraus-<br />

setzt, <strong>das</strong>s es ihnen klar ist (bzw. bei <strong>de</strong>r Bearbeitung klar wird), <strong>das</strong>s e<strong>in</strong> Arbeiter zu ei-<br />

ner an<strong>de</strong>ren Beurteilung <strong>de</strong>s Aufstiegs Suns kommen muss. Deshalb möchte ich ihnen<br />

<strong>mit</strong>tels e<strong>in</strong>es Szenenfotos aus <strong>de</strong>r Mailän<strong>de</strong>r Inszenierung e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>druck von <strong>de</strong>n Ar-<br />

beitsbed<strong>in</strong>gungen <strong>in</strong> Shui Tas Fabrik ver<strong>mit</strong>teln. Vor diesem H<strong>in</strong>tergrund wird ihnen <strong>de</strong>r<br />

S<strong>in</strong>n <strong>de</strong>s Produktionsauftrages sicherlich <strong>de</strong>utlicher wer<strong>de</strong>n.<br />

3.3.1.3 Geplanter Verlauf und Begründung <strong>de</strong>r methodischen Entscheidungen<br />

E<strong>in</strong>stieg<br />

Zu Beg<strong>in</strong>n <strong>de</strong>r Stun<strong>de</strong> präsentiere ich <strong>de</strong>n Schüler<strong>in</strong>nen als stummen Impuls e<strong>in</strong> Szenen-<br />

foto zum 8. Bild aus <strong>de</strong>r Mailän<strong>de</strong>r Inszenierung <strong>de</strong>s Dramas von 1981 durch Giorgio<br />

Strehler. 52 Strehler hat die Fabrik Shui Tas wie e<strong>in</strong> KZ auf die Bühne gebracht. Man<br />

sieht gebeugte Menschen h<strong>in</strong>ter e<strong>in</strong>em Gitterzaun, an <strong>de</strong>m <strong>in</strong> drei riesige Schil<strong>de</strong>r <strong>mit</strong><br />

<strong>de</strong>r Aufschrift „SHUI-TA TOBACCO“, die an amerikanische Leuchtreklamen er<strong>in</strong>nern,<br />

angebracht s<strong>in</strong>d. Durch diese plakative Art <strong>de</strong>r Bühnenbildgestaltung wer<strong>de</strong>n die un-<br />

menschlichen Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen <strong>in</strong> Shui Tas Fabrik über<strong>de</strong>utlich. Die Schüler<strong>in</strong>nen<br />

können sich zunächst spontan zu <strong>de</strong>m Foto äußern. Dabei erwarte ich, <strong>das</strong>s sie es relativ<br />

schnell <strong>de</strong>m 8. Bild zuordnen wer<strong>de</strong>n. E<strong>in</strong>e genauere Beschreibung <strong>de</strong>s Fotos soll zur<br />

Diskussion über die Angemessenheit von Strehlers Bühnenbild überleiten. Gera<strong>de</strong> die<br />

Schüler<strong>in</strong>nen, die Shui Tas Aktionen positiv bewertet haben, wer<strong>de</strong>n möglicherweise<br />

die KZ-ähnliche Gestaltung <strong>de</strong>r Fabrik für überzogen halten, doch e<strong>in</strong> Blick <strong>in</strong> die erste<br />

52 Abgedruckt <strong>in</strong>: Knopf, Jan (1982), 217. S. Anhang S. V.<br />

49


Regieanweisung zum 8. Bild wird zeigen, <strong>das</strong>s Strehlers Interpretation durchaus <strong>de</strong>m<br />

Text entspricht. Da<strong>mit</strong> ist bereits e<strong>in</strong> wesentlicher Teil <strong>de</strong>r Komposition <strong>de</strong>s 8. Bil<strong>de</strong>s<br />

geklärt: Das Bühnenbild, <strong>das</strong> bereits zu Beg<strong>in</strong>n <strong>de</strong>r Szene <strong>de</strong>n Zuschauer die Perspekti-<br />

vität von Frau Yangs Darstellung wahrnehmen lässt.<br />

Im Rahmen <strong>de</strong>r Besprechung <strong>de</strong>s Fotos soll zugleich e<strong>in</strong>e kurze Inhaltsbeschreibung und<br />

E<strong>in</strong>ordnung <strong>de</strong>r Szene <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Handlungszusammenhang <strong>in</strong> die Detail<strong>in</strong>terpretation <strong>de</strong>r<br />

Szene e<strong>in</strong>leiten.<br />

Erarbeitung I<br />

Zunächst sollen die Schüler<strong>in</strong>nen sich e<strong>in</strong>en Überblick über die Szene verschaffen, <strong>in</strong>-<br />

<strong>de</strong>m sie <strong>in</strong> Partnerarbeit <strong>de</strong>ren Aufbau untersuchen. Dazu gebe ich ihnen <strong>de</strong>n Auftrag,<br />

die Szene zu glie<strong>de</strong>rn. Dieser Arbeitsschritt ist ihnen bereits als vorbereiten<strong>de</strong>s Verfah-<br />

ren <strong>de</strong>r Text<strong>in</strong>terpretation bekannt. Ich wähle für diese Untersuchung die Partnerarbeit<br />

als Sozialform, weil die Schüler<strong>in</strong>nen dadurch e<strong>in</strong>erseits Zeit haben, <strong>de</strong>n Text noch e<strong>in</strong>-<br />

mal <strong>in</strong> Ruhe zu lesen und an<strong>de</strong>rerseits sich gegenseitig bei <strong>de</strong>r Glie<strong>de</strong>rung unterstützen<br />

können.<br />

Auswertung<br />

Die Ergebnisse wer<strong>de</strong>n zusammengetragen und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e schematische Darstellung <strong>de</strong>r<br />

Komposition <strong>de</strong>r Szene überführt (vgl. TA 1). Dabei wird <strong>de</strong>utlich, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> 8. Bild wie<br />

e<strong>in</strong> Dokumentarfilm aufgebaut ist, e<strong>in</strong> kommentieren<strong>de</strong>r Bericht, unterbrochen durch<br />

vier szenische Rückblen<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>ren letzte durch e<strong>in</strong>en Song wie<strong>de</strong>rum unterbrochen<br />

wird. Dieses Schema ist zunächst nur beschreibend; <strong>de</strong>r Kontrast <strong>de</strong>r Kommentare Frau<br />

Yangs zur szenischen Bühnenhandlung wird <strong>de</strong>n meisten Schüler<strong>in</strong>nen an dieser Stelle<br />

noch nicht <strong>de</strong>utlich se<strong>in</strong>.<br />

Erarbeitung II<br />

Als nächstes sollen die Schüler<strong>in</strong>nen alle Textteile <strong>de</strong>s 8. Bil<strong>de</strong>s, <strong>in</strong> <strong>de</strong>nen sich Frau<br />

Yang ans Publikum wen<strong>de</strong>t, durch Kommentare <strong>de</strong>s ehemaligen Schre<strong>in</strong>ers L<strong>in</strong> To er-<br />

setzen. Dieser gehört zu <strong>de</strong>n Opfern sowohl <strong>de</strong>s Aufstiegs Shui Tas als auch Suns. Er ist<br />

daher die Figur, die am geeignetsten ist, die Perspektivität von Frau Yangs Bericht<br />

durch Kontrastierung <strong>mit</strong> <strong>de</strong>ren Perspektive herauszustellen. Dadurch wird natürlich ge-<br />

ra<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Kontrast von Frau Yangs Bericht zur gezeigten Handlung nivelliert, so <strong>das</strong>s die<br />

Umgestaltung <strong>de</strong>s Textes durch die Schüler<strong>in</strong>nen <strong>de</strong>n V-Effekt zerstört. Aber gera<strong>de</strong> da-<br />

durch kann dieser im Vergleich <strong>de</strong>r Umgestaltungsvorschläge <strong>mit</strong> <strong>de</strong>m Orig<strong>in</strong>altext um<br />

so <strong>de</strong>utlicher hervortreten. Mittels dieses Produktionsauftrages tun die Schüler<strong>in</strong>nen<br />

nämlich genau <strong>das</strong>, was Brecht von se<strong>in</strong>em Publikum for<strong>de</strong>rt. Die Kommentierung <strong>de</strong>r<br />

Szenen aus <strong>de</strong>r Perspektive e<strong>in</strong>er Figur nötigt <strong>de</strong>n Zuschauer <strong>de</strong>n „Bericht <strong>mit</strong> <strong>de</strong>m Be-<br />

richteten, <strong>das</strong> Gehörte <strong>mit</strong> <strong>de</strong>m Sichtbaren, <strong>das</strong> Vergangene <strong>mit</strong> <strong>de</strong>m Gegenwärtigen zu<br />

vergleichen“ 53 und dadurch zu e<strong>in</strong>er eigenen Position zu kommen, die freilich klar ge-<br />

lenkt ist: er soll die unmenschlichen Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen im Kapitalismus erkennen und<br />

kritisieren.<br />

53 Schnei<strong>de</strong>w<strong>in</strong>d/Sow<strong>in</strong>ski, 106.<br />

50


Auswertung II<br />

Zur Auswertung <strong>de</strong>r Ergebnisse zu Beg<strong>in</strong>n <strong>de</strong>s zweiten Teils <strong>de</strong>r Doppelstun<strong>de</strong> sollen<br />

die Schüler<strong>in</strong>nen <strong>de</strong>n Text <strong>mit</strong> verteilten Rollen lesen. Dabei wird die Lesung jeweils an<br />

<strong>de</strong>n Stellen unterbrochen, an <strong>de</strong>nen Textteile zu verän<strong>de</strong>rn waren, um verschie<strong>de</strong>ne Lö-<br />

sungen zu hören, auf ihre Angemessenheit zu überprüfen und <strong>mit</strong> <strong>de</strong>m Orig<strong>in</strong>al zu ver-<br />

gleichen. Anschließend soll zusammenfassend diskutiert wer<strong>de</strong>n, warum Brecht gera<strong>de</strong><br />

Frau Yang die Bühnenhandlung kommentieren lässt. Wäre se<strong>in</strong>e Intention nicht viel<br />

<strong>de</strong>utlicher gewor<strong>de</strong>n, wenn Kommentar und Bühnenhandlung e<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r ergänzen anstatt<br />

sich zu wi<strong>de</strong>rsprechen? Durch die Erörterung dieser Fragestellung sollen die Schüler<strong>in</strong>-<br />

nen erkennen, <strong>das</strong>s die <strong>in</strong>tendierte Wirkung gera<strong>de</strong> durch die Wi<strong>de</strong>rsprüchlichkeit <strong>de</strong>r<br />

Darstellungsebenen erreicht wer<strong>de</strong>n soll: Durch die gegenseitige Verfremdung <strong>de</strong>r Dar-<br />

stellungsebenen wer<strong>de</strong>n die katastrophalen Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen erst augenfällig und nö-<br />

tigen <strong>de</strong>n Zuschauer zu e<strong>in</strong>er von Frau Yang abweichen<strong>de</strong>n Stellungnahme zum Gesehe-<br />

nen. Umgekehrt wird da<strong>mit</strong> die Beurteilung <strong>de</strong>s Frau Yangs als systemerhaltend ent-<br />

larvt.<br />

Vertiefung<br />

Nach<strong>de</strong>m nun bereits die Beziehung dreier verschie<strong>de</strong>ner Darstellungsebenen dieser<br />

Szene - Bühnenbild, Bericht Frau Yangs und szenische Rückblen<strong>de</strong>n - erarbeitet wor<strong>de</strong>n<br />

s<strong>in</strong>d, muss nun noch zu Vervollständigung <strong>de</strong>r Gestaltung <strong>de</strong>s 8. Bil<strong>de</strong>s <strong>das</strong> „Lied vom<br />

achten Elefanten“ untersucht wer<strong>de</strong>n, welches auf e<strong>in</strong>e weitere Weise <strong>das</strong> Bühnenge-<br />

schehen kommentiert. Auf e<strong>in</strong>e genauere Analyse h<strong>in</strong>sichtlich <strong>de</strong>r stilistischen Kompo-<br />

sition <strong>de</strong>s Lie<strong>de</strong>s kann verzichtet wer<strong>de</strong>n; wichtiger ist es, Inhalt und dramatische Funk-<br />

tion <strong>de</strong>s Lie<strong>de</strong>s zu untersuchen. Dies kann aus Zeitgrün<strong>de</strong>n nur im Unterrichtsgespräch<br />

geschehen. Dabei soll herausgearbeitet wer<strong>de</strong>n, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Lied im doppelten S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>e<br />

Parabel ist, textimmanent ist es als Kritik an Sun und <strong>de</strong>m Ausbeuter Shui Ta zu verste-<br />

hen, textübersteigend als Kritik am System <strong>de</strong>r Ausbeutung überhaupt. Dies soll durch<br />

Gegenüberstellung von Bild- und Deutungsebene im Tafelanschrieb visualisiert wer<strong>de</strong>n.<br />

Anschließend soll <strong>das</strong> Gespräch auf die Funktion <strong>de</strong>s Lie<strong>de</strong>s für die Szene gelenkt wer-<br />

<strong>de</strong>n. Zunächst ist es e<strong>in</strong> weiterer Kommentar <strong>de</strong>r Szenenhandlung, diesmal aus <strong>de</strong>r Ar-<br />

beiterperspektive, darüber h<strong>in</strong>aus ist er aber auf befremdliche Weise <strong>mit</strong> <strong>de</strong>r Szenen-<br />

handlung verfugt, befremdlich <strong>in</strong>sofern, als Sun lachend <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Gesang e<strong>in</strong>fällt und<br />

durch Hän<strong>de</strong>klatschen <strong>das</strong> Tempo nicht nur <strong>de</strong>s Lie<strong>de</strong>s, son<strong>de</strong>rn auch <strong>de</strong>r Arbeitsleis-<br />

tung beschleunigt. Er funktioniert also <strong>de</strong>n Protest <strong>de</strong>r Arbeiter zu Steigerung <strong>de</strong>s Ar-<br />

beitstempos um.<br />

51


Zusammenfassung<br />

Zur mündlichen Ergebnissicherung sollen die Schüler<strong>in</strong>nen zum Abschluss <strong>de</strong>r Doppel-<br />

stun<strong>de</strong> zusammenfassen, <strong>in</strong>wiefern <strong>das</strong> 8. Bild als Musterszene <strong>de</strong>s <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong>s<br />

gelten kann. Hierdurch wer<strong>de</strong>n die e<strong>in</strong>zelnen Arbeitsschritte <strong>de</strong>r <strong>in</strong> dieser Doppelstun<strong>de</strong><br />

geleisteten Interpretation zusammengeführt.<br />

3.3.1.4 Verlaufsplan<br />

Phase/Ziele Unterrichtsgeschehen Arbeitsformen/<br />

E<strong>in</strong>stieg<br />

TZ 1<br />

5’<br />

Erarbeit. I<br />

TZ 2<br />

10’<br />

Auswert. I<br />

TZ 2<br />

10’<br />

Erarb. II<br />

TZ 3<br />

20’<br />

Auswert. II<br />

TZ 3<br />

20’<br />

Vertiefung<br />

TZ 4<br />

20’<br />

Zusammenf.<br />

5’<br />

L. präsentiert Szenenfoto zum 8. Bild aus <strong>de</strong>r Mailän<strong>de</strong>r<br />

Inszenierung<br />

spontane Sch.-äußerungen<br />

Sch. beschreiben <strong>das</strong> Bild<br />

Sch. ordnen es <strong>de</strong>m 8. Bild begrün<strong>de</strong>t zu<br />

Sch. beschreiben kurz <strong>de</strong>n Inhalt <strong>de</strong>s 8. Bil<strong>de</strong>s und ordnen<br />

es <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Handlungszusammenhang e<strong>in</strong><br />

Sch. beurteilen Angemessenheit <strong>de</strong>s dargestellten Büh-<br />

nenbilds<br />

Sch. erarbeiten stichpunktartig <strong>de</strong>n Aufbau <strong>de</strong>s 8. Bil<strong>de</strong>s<br />

durch Erstellen e<strong>in</strong>er Glie<strong>de</strong>rung<br />

Sch. tauschen ihre Ergebnisse aus; Entwicklung e<strong>in</strong>es Tafelbil<strong>de</strong>s<br />

zum Aufbau <strong>de</strong>s 8. Bil<strong>de</strong>s<br />

Sch. ersetzen alle Textteile, <strong>in</strong> <strong>de</strong>nen Frau Yang sich ans<br />

Publikum wen<strong>de</strong>t, durch Kommentare <strong>de</strong>s Schre<strong>in</strong>ers L<strong>in</strong><br />

To<br />

3.3.1.5 geplante Tafelbil<strong>de</strong>r<br />

Szen. Lesen <strong>de</strong>s Textes <strong>mit</strong> verteilten Rollen, dabei wird<br />

Lektüre jeweils an <strong>de</strong>n zu verän<strong>de</strong>rten Textstellen unterbrochen,<br />

um mehrere Umarbeitungsvorschläge zu hören<br />

und sie nach ihrer Angemessenheit zu bewerten und <strong>mit</strong><br />

<strong>de</strong>m Orig<strong>in</strong>al zu vergleichen<br />

Diskussion <strong>de</strong>r verfrem<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Wirkung <strong>de</strong>r Kontrastierung<br />

von Frau Yangs Bericht <strong>mit</strong> <strong>de</strong>n szenischen Rückblen<strong>de</strong>n<br />

im H<strong>in</strong>blick auf die Autoren<strong>in</strong>tention<br />

Sch. liest „Lied vom achten Elefanten“ vor<br />

kurzes Gespräch über Thema <strong>de</strong>s Lie<strong>de</strong>s und Charakterisierung<br />

als Parabel<br />

Analyse <strong>de</strong>s Lie<strong>de</strong>s im H<strong>in</strong>blick auf Bild- und Deutungsebene<br />

Erörterung <strong>de</strong>r Stellung <strong>de</strong>s Lie<strong>de</strong>s <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Szene (dramat.<br />

Funktion, Wirkungsabsicht)<br />

Sch. fassen zusammen, <strong>in</strong>wiefern <strong>das</strong> 8. Bild als Musterszene<br />

<strong>de</strong>s <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong>s angesehen wer<strong>de</strong>n kann<br />

Medien<br />

Impulsunt.<br />

Dramentext:<br />

Vorspiel<br />

UG<br />

PA<br />

Text<br />

Sch.Hefte<br />

UG<br />

Text<br />

Sch.Hefte<br />

TA 1<br />

PA<br />

Text,<br />

Sch.Hefte<br />

SV/UG<br />

Text,<br />

Sch.Hefte<br />

SV<br />

UG<br />

TA 2,<br />

Sch.Hefte<br />

UG<br />

52


TA 1:<br />

TA 2:<br />

Aufbau <strong>de</strong>s 8. Bil<strong>de</strong>s<br />

Bericht Frau Yangs über <strong>de</strong>n Aufstieg Suns <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Tabakfabrik<br />

Szene 1 Szene 2 Szene 3 Szene 4<br />

Song<br />

Vorstellung Suns Sun als Arbeiter Sun bei <strong>de</strong>r Lohn- Sun als Aufseher<br />

bei Shui Ta auszahlung<br />

Lied vom 8. Elefanten<br />

Bil<strong>de</strong>bene Deutungsebene<br />

textimmanent textübersteigend<br />

Herr Dsch<strong>in</strong> Shui Ta Fabrikbesitzer<br />

7 Elefanten Arbeiter <strong>in</strong> Shui Tas abhängige Arbeiter<br />

Fabrik<br />

8. Elefant Sun Verräter <strong>de</strong>r Arbeiterklasse<br />

3.3.2 Durchführung und begleiten<strong>de</strong> Reflexion <strong>de</strong>r Doppelstun<strong>de</strong><br />

Die Doppelstun<strong>de</strong> ist <strong>in</strong> ihren wesentlichen Teilen wie geplant verlaufen, wobei aller-<br />

d<strong>in</strong>gs die Besprechung <strong>de</strong>s Songs e<strong>in</strong> wenig zu kurz kam, weil die Produktionsphase et-<br />

was länger gedauert hat als geplant.<br />

E<strong>in</strong>stieg<br />

Die Schüler<strong>in</strong>nen begannen nach kurzem Überlegen <strong>mit</strong> <strong>de</strong>r Äußerung spontaner Asso-<br />

ziationen („Man sieht schwer arbeiten<strong>de</strong> Menschen“, „Stacheldraht und Gitter er<strong>in</strong>nern<br />

an e<strong>in</strong> Arbeitslager, Gefangenenlager“; „ebenso die Sche<strong>in</strong>werfer“; „Schild Shui Ta To-<br />

bacco“ steht für Shui Tas Aufstieg und se<strong>in</strong> Ansehen im wirtschaftlichen Bereich“).<br />

Über die Assoziationen und Beschreibungsansätze formulierte e<strong>in</strong>e Schüler<strong>in</strong> die zu-<br />

sammenfassen<strong>de</strong> Beschreibung, <strong>das</strong>s Shui Tas Fabrik als Gefängnis dargestellt wird, wo<br />

die Arbeiter von <strong>de</strong>m nunmehr mächtigen Shui Ta unterdrückt wer<strong>de</strong>n. Auf me<strong>in</strong>e Auf-<br />

for<strong>de</strong>rung ordneten die Schüler<strong>in</strong>nen <strong>das</strong> Szenenfoto problemlos <strong>de</strong>m 8. Bild zu, wo<strong>mit</strong><br />

ich zur Frage <strong>de</strong>r Textgemäßheit <strong>de</strong>r Bühnenbildgestaltung überleiten konnte. Die kurze<br />

Diskussion leitete e<strong>in</strong>e Schüler<strong>in</strong> e<strong>in</strong>, die sich überrascht von <strong>de</strong>r drastischen Darstel-<br />

lung zeigte; sie me<strong>in</strong>te, <strong>das</strong>s <strong>de</strong>r Vergleich <strong>de</strong>r Fabrik <strong>mit</strong> e<strong>in</strong>em Arbeitslager unange-<br />

messen sei, schließlich sei Shui Ta doch e<strong>in</strong> gerechter Arbeitgeber, <strong>de</strong>r se<strong>in</strong>e Arbeiter<br />

53


gut behandle. Dieser Ansicht wur<strong>de</strong> aber von e<strong>in</strong>er an<strong>de</strong>ren Schüler<strong>in</strong> heftig wi<strong>de</strong>rspro-<br />

chen; die Regieanweisung zum Bühnenbild sei hier e<strong>in</strong><strong>de</strong>utig, sie habe sich die Fabrik<br />

sogar noch schlimmer vorgestellt. Die meisten Schüler<strong>in</strong>nen hielten <strong>das</strong> Bühnenbild für<br />

angemessen.<br />

Es hat sich als s<strong>in</strong>nvoll erwiesen, über <strong>das</strong> Szenenfoto <strong>in</strong> die Bearbeitung <strong>de</strong>s 8. Bil<strong>de</strong>s<br />

e<strong>in</strong>zusteigen. Dadurch konnten die erwarteten Missverständnisse problematisiert wer-<br />

<strong>de</strong>n, wo<strong>mit</strong> die Schüler<strong>in</strong>nen e<strong>in</strong>e gute Basis für <strong>de</strong>n Produktionsauftrag hatten.<br />

Erarbeitung und Auswertung I<br />

Die Erstellung e<strong>in</strong>er Glie<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Szene und die Entwicklung e<strong>in</strong>es Schemas zum<br />

Aufbau <strong>de</strong>s 8. Bil<strong>de</strong>s erwies sich <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Auswertung als unproblematisch. Allerd<strong>in</strong>gs ha-<br />

ben nicht wenige Schüler<strong>in</strong>nen sich <strong>mit</strong> <strong>de</strong>m Benennen <strong>de</strong>r Beson<strong>de</strong>rheiten dieser Szene<br />

schwer getan. So äußerten sie während <strong>de</strong>r Erarbeitung, <strong>das</strong>s ihnen <strong>das</strong> Glie<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r<br />

Szene wegen <strong>de</strong>r verschie<strong>de</strong>nen Zeitebenen schwer fiele, woraufh<strong>in</strong> ich <strong>de</strong>n H<strong>in</strong>weis<br />

gab, <strong>das</strong>s dies gera<strong>de</strong> e<strong>in</strong>e Hilfestellung für die Glie<strong>de</strong>rung sei. In <strong>de</strong>r Auswertungsphase<br />

wur<strong>de</strong> jedoch allen Schüler<strong>in</strong>nen <strong>de</strong>r Aufbau <strong>de</strong>r Szene <strong>de</strong>utlich. E<strong>in</strong>e Schüler<strong>in</strong> verglich<br />

die Szene <strong>mit</strong> e<strong>in</strong>er Hörspielkassette für K<strong>in</strong><strong>de</strong>r. Frau Yang erzähle vom Aufstieg ihres<br />

Sohnes wie <strong>de</strong>r Erzähler im Hörspiel, <strong>de</strong>r <strong>in</strong> immer neue Szenen e<strong>in</strong>leite. Ich habe die-<br />

sen Vergleich übernommen und die Schüler<strong>in</strong>nen aufgefor<strong>de</strong>rt, diesen Aufbau - Erzäh-<br />

lung und Szenen - genauer zu beschreiben, so <strong>das</strong>s rasch <strong>das</strong> geplante Tafelbild entwi-<br />

ckelt wer<strong>de</strong>n konnte und ich zum geplanten Produktionsauftrag überleiten konnte.<br />

Die Zwischenschaltung e<strong>in</strong>es eher formalen Arbeitsauftrages - <strong>in</strong> diesen bei<strong>de</strong>n Phasen<br />

wur<strong>de</strong> ja nicht <strong>in</strong>terpretiert zwischen <strong>de</strong>m assoziativen E<strong>in</strong>stieg und <strong>de</strong>m Produktions-<br />

auftrag wirkte e<strong>in</strong> wenig wie e<strong>in</strong> Fremdkörper <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Stun<strong>de</strong>. Während <strong>in</strong> <strong>de</strong>r E<strong>in</strong>stiegs-<br />

phase, wenn auch nur kurz, <strong>in</strong>haltlich diskutiert wer<strong>de</strong>n durfte, musste diese Diskussion<br />

zugunsten e<strong>in</strong>es analytischen Auftrages abgebrochen wer<strong>de</strong>n. Doch dieser Zwischen-<br />

schritt war nötig, da <strong>das</strong> erarbeitete Schema zum Aufbau e<strong>in</strong>e Hilfestellung für <strong>de</strong>n Pro-<br />

duktionsauftrag war. Dadurch wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>n Schüler<strong>in</strong>nen nämlich <strong>de</strong>utlich, <strong>das</strong>s Frau<br />

Yangs Beiträge Kommentare zu <strong>de</strong>n vier Spielszenen s<strong>in</strong>d. In dieser Phase ist jedoch<br />

ke<strong>in</strong>e Schüler<strong>in</strong> auf <strong>de</strong>n Kontrast von Frau Yangs Kommentaren zu <strong>de</strong>n Spielszenen<br />

e<strong>in</strong>gegangen.<br />

Erarbeitung und Auswertung II<br />

Die Ergebnisse <strong>de</strong>s Produktionsauftrages zeigten jedoch, <strong>das</strong>s <strong>de</strong>n Schüler<strong>in</strong>nen entwe-<br />

<strong>de</strong>r während <strong>de</strong>r Arbeit daran o<strong>de</strong>r bereits vorher <strong>de</strong>utlich wur<strong>de</strong>, <strong>das</strong>s die Darstellung<br />

<strong>de</strong>s Geschehens sich erheblich verän<strong>de</strong>rn muss, wenn man e<strong>in</strong>e an<strong>de</strong>re Perspektive e<strong>in</strong>-<br />

nimmt. Am besten gelungen s<strong>in</strong>d sicherlich die im Anhang unter Nr. 1 und 2 abgedruck-<br />

ten Arbeiten von Katr<strong>in</strong> und Ruth bzw. von Carol<strong>in</strong>, Larissa und Kathar<strong>in</strong>a, die sowohl<br />

<strong>de</strong>utliche Worte für Suns Verrat an se<strong>in</strong>en Kollegen (o<strong>de</strong>r im marxistischen Sprachge-<br />

brauch an se<strong>in</strong>er Klasse) fan<strong>de</strong>n, als auch Shui Ta als Ausbeuter darstellten. Angemes-<br />

sen <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Beurteilung von Suns Verhalten ist auch die Arbeit von Georg<strong>in</strong>a, Helen und<br />

Anna (Nr. 3), die jedoch Shui Ta als ahnungsloses Opfer <strong>de</strong>r List Suns betrachteten und<br />

54


dabei übersahen, <strong>das</strong>s sich Shui Ta sehr bewusst die Mechanismen <strong>de</strong>r Konkurrenz und<br />

mangeln<strong>de</strong>r Solidarität <strong>de</strong>r Arbeiter für se<strong>in</strong>e Zwecke nutzt. Erfreulich ist die Arbeit von<br />

Diana (Nr. 4), die zwar qualitativ gegenüber <strong>de</strong>n Arbeiten 1 und 2 abfällt, aber gemes-<br />

sen an Dianas üblicher Leistung gut gelungen ist. Während sie sich <strong>mit</strong> analytischen<br />

Aufträgen schwer tut und auch beim szenischen Spiel zurückhaltend ist, schien ihr <strong>das</strong><br />

produktionsorientierte Arbeiten Spaß zu machen. Die bei<strong>de</strong>n Schüler<strong>in</strong>nen Klara und<br />

Su-Hyoun (bei<strong>de</strong> nicht <strong>de</strong>utsche Muttersprachler<strong>in</strong>nen) haben, <strong>de</strong>n Arbeitsauftrag modi-<br />

fizierend, e<strong>in</strong>en zusammenhängen<strong>de</strong>n Text geschrieben (Nr. 5).<br />

Trotz <strong>de</strong>r <strong>in</strong>sgesamt erfreulichen Ergebnisse <strong>de</strong>r Produktionsphase verlief die Auswer-<br />

tung schleppend. Während die Schüler<strong>in</strong>nen e<strong>in</strong>erseits gute Ergebnisse präsentierten, ta-<br />

ten sie sich schwer <strong>mit</strong> <strong>de</strong>m jeweils gefor<strong>de</strong>rten Vergleich <strong>de</strong>r Umarbeitungen <strong>mit</strong> <strong>de</strong>m<br />

Orig<strong>in</strong>al. Die Auswertungsphase war wohl zu kle<strong>in</strong>schrittig angelegt; nach <strong>de</strong>r Bespre-<br />

chung weniger ersetzter Stellen war die Perspektivität von Frau Yangs Bericht <strong>de</strong>utlich<br />

gewor<strong>de</strong>n, so <strong>das</strong>s es unnötig war, bei je<strong>de</strong>r Ersetzung wie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Vergleich <strong>mit</strong> <strong>de</strong>m<br />

Orig<strong>in</strong>al e<strong>in</strong>zufor<strong>de</strong>rn. Ich habe mich aber gescheut, dies zu unterlassen, da ich alle<br />

Schüler<strong>in</strong>nenäußerungen würdigen wollte. Dennoch wäre es s<strong>in</strong>nvoller gewesen, diese<br />

Phase abzukürzen.<br />

Die die Auswertung zusammenfassen<strong>de</strong> Diskussion <strong>de</strong>r verfrem<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Wirkung konnte<br />

nach <strong>de</strong>r ausführlichen Besprechung relativ kurz ausfallen. Auf me<strong>in</strong>e Frage, welche<br />

Perspektive <strong>de</strong>nn nun besser zu <strong>de</strong>n Spielszenen passe, äußerten die Schüler<strong>in</strong>nen, <strong>das</strong>s<br />

bei<strong>de</strong>, sowohl Frau Yang als auch <strong>de</strong>r Schre<strong>in</strong>er, die Ereignisse vore<strong>in</strong>genommen dar-<br />

stellten, die Kommentare L<strong>in</strong> Tos „<strong>de</strong>r Sache jedoch näher“ kämen. Erfreulicherweise<br />

brachten e<strong>in</strong>ige Schüler<strong>in</strong>nen im Rahmen dieser Diskussion <strong>de</strong>n Verfremdungsbegriff<br />

<strong>mit</strong> e<strong>in</strong>, so <strong>das</strong>s die Schüler<strong>in</strong>nen die Wirkung <strong>de</strong>r Kontrastierung von Bericht und<br />

Spielszenen zutreffend benennen konnten.<br />

Vertiefung<br />

Da die Produktionsphase e<strong>in</strong> wenig länger als geplant dauerte, blieb für die Bearbeitung<br />

<strong>de</strong>s Songs noch e<strong>in</strong>e knappe Viertelstun<strong>de</strong>, doch erkannten die Schüler<strong>in</strong>nen schnell <strong>de</strong>n<br />

parabolischen Charakter <strong>de</strong>s Songs und konnten Bild- und Deutungsebene leicht benen-<br />

nen, so <strong>das</strong>s ich auf <strong>das</strong> geplante Tafelbild ohne Schwierigkeiten verzichten konnten.<br />

Schwieriger war natürlich <strong>das</strong> Erkennen <strong>de</strong>r doppelten Funktion <strong>de</strong>s Songs. Ich fragte<br />

dazu die Schüler<strong>in</strong>nen, wie <strong>de</strong>r Song <strong>in</strong> die Handlung e<strong>in</strong>gebun<strong>de</strong>n sei, woraufh<strong>in</strong> die<br />

Schüler<strong>in</strong>nen zwar richtig äußerten, <strong>das</strong>s <strong>de</strong>r Song die Me<strong>in</strong>ung <strong>de</strong>r Arbeiter wie<strong>de</strong>rge-<br />

be, doch dauerte es e<strong>in</strong> wenig, bis sie auch hier die verfrem<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Wirkung beschreiben<br />

konnten.<br />

Zusammenfassen<strong>de</strong> Stun<strong>de</strong>nkritik<br />

Insgesamt b<strong>in</strong> ich <strong>mit</strong> <strong>de</strong>m Verlauf <strong>de</strong>r Doppelstun<strong>de</strong> zwar zufrie<strong>de</strong>n, da ich me<strong>in</strong>e<br />

Lernziele erreicht habe, doch hat sich die Auswertung <strong>de</strong>r Produktionsphase negativ auf<br />

die Motivation <strong>de</strong>r Schüler<strong>in</strong>nen ausgewirkt, da sie schlicht zu lange dauerte und da<strong>mit</strong><br />

langweilig wur<strong>de</strong>. Alternativ dazu hätte man <strong>de</strong>n Produktionsauftrag auf nur e<strong>in</strong>en Aus-<br />

55


schnitt <strong>de</strong>s Bil<strong>de</strong>s beschränken können. Ich habe mich aber schon bei <strong>de</strong>r Planung dage-<br />

gen entschie<strong>de</strong>n, weil so für die Schüler<strong>in</strong>nen <strong>de</strong>r Überblick über <strong>das</strong> ganze Bild er-<br />

schwert wür<strong>de</strong>. Dennoch wür<strong>de</strong> ich rückblickend <strong>in</strong> Zukunft die Schüler<strong>in</strong>nen arbeitstei-<br />

lig <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er kürzeren Produktionsphase je nur Ausschnitte aus <strong>de</strong>m 8. Bild bearbeiten<br />

lassen, so <strong>das</strong>s <strong>de</strong>r Kurs dann <strong>in</strong>sgesamt <strong>das</strong> ganze Bild umgearbeitet hätte. Dies wür<strong>de</strong><br />

zwar nicht <strong>das</strong> Problem <strong>de</strong>r langwierigen Auswertung lösen, aber zum<strong>in</strong><strong>de</strong>st die Produk-<br />

tionsphase selbst abkürzen.<br />

56


3.4 Die sechste Stun<strong>de</strong> (16. Stun<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Gesamtreihe)<br />

Thema: Wie aristotelisch ist <strong>das</strong> <strong>epische</strong> <strong>Theater</strong>?<br />

3.4.1 Planung <strong>de</strong>r Unterrichtsstun<strong>de</strong><br />

In dieser Stun<strong>de</strong> soll noch e<strong>in</strong>mal zusammenfassend die Theorie <strong>de</strong>s <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong>s<br />

kritisch reflektiert wer<strong>de</strong>n. Dazu bietet sich ke<strong>in</strong> <strong>handlungs</strong>- o<strong>de</strong>r produktionsorientier-<br />

tes Arbeiten an. Die Schüler<strong>in</strong>nen sollen die bereits zu Beg<strong>in</strong>n <strong>de</strong>r Reihe behan<strong>de</strong>lte Ge-<br />

genüberstellung <strong>de</strong>s <strong>Theater</strong>s <strong>de</strong>r dramatischen und <strong>epische</strong>n Form (vgl. Arbeitsblatt 1b<br />

im Anhang) noch e<strong>in</strong>mal untersuchen. Auf diese Weise können die Schüler<strong>in</strong>nen ihr im<br />

Laufe <strong>de</strong>r Reihe durch <strong>handlungs</strong>- und produktionsorientierte wie auch durch analyti-<br />

sche Verfahren erworbenes Wissen noch e<strong>in</strong>mal zusammentragen und für e<strong>in</strong>e kritische<br />

Würdigung <strong>de</strong>r Theorie <strong>de</strong>s <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong>s anwen<strong>de</strong>n.<br />

3.4.1.1 Lernziele<br />

Stun<strong>de</strong>nziel: Die Schüler<strong>in</strong>nen sollen die Brechtsche Gegenüberstellung von <strong>epische</strong>m<br />

und dramatischem <strong>Theater</strong> kritisch prüfen ihre (gewollt) plakative E<strong>in</strong>seitigkeit erken-<br />

nen und benennen.<br />

Teilziele:<br />

1) Die Schüler<strong>in</strong>nen bewerten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er kurzen Diskussionsrun<strong>de</strong> vergleichend die ästhe-<br />

tische Qualität <strong>de</strong>s <strong>epische</strong>n und <strong>de</strong>s dramatischen <strong>Theater</strong>s.<br />

2) Die Schüler<strong>in</strong>nen überprüfen <strong>in</strong> arbeitsteiliger Gruppenarbeit je e<strong>in</strong>zelne Thesen <strong>de</strong>r<br />

Brechtschen Gegenüberstellung von <strong>epische</strong>r und dramatischer Form <strong>de</strong>s <strong>Theater</strong>s an<br />

ihnen bekannten Texten bei<strong>de</strong>r Formen.<br />

3) Die Schüler<strong>in</strong>nen nehmen kritisch Stellung zu <strong>de</strong>r Gegenüberstellung und diskutieren<br />

<strong>de</strong>ren Angemessenheit.<br />

4) Die Schüler<strong>in</strong>nen erkennen die (gewollt) plakative E<strong>in</strong>seitigkeit <strong>de</strong>r Brechtschen Ge-<br />

genüberstellung.<br />

3.4.1.2 Überlegungen zur Sache und didaktische Reduktion<br />

In <strong>de</strong>n bisherigen Unterrichtsstun<strong>de</strong>n zur Brechtschen <strong>Theater</strong>theorie wur<strong>de</strong> v.a. <strong>das</strong><br />

Neue, Nichtaristotelische <strong>de</strong>s <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong>s herausgearbeitet. Doch wie bereits <strong>in</strong><br />

<strong>de</strong>n Überlegungen zur Sache im ersten Kapitel angemerkt, s<strong>in</strong>d Brechts Dramen <strong>in</strong> <strong>de</strong>r<br />

Praxis aristotelischer als die vielfach verabsolutierte Gegenüberstellung <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n For-<br />

men glauben macht. Daher soll <strong>in</strong> <strong>de</strong>r heutigen Abschlussstun<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Sequenz über die<br />

<strong>E<strong>in</strong>führung</strong> <strong>in</strong> die Brechtsche Dramentheorie die bereits <strong>in</strong> <strong>de</strong>r ersten Doppelstun<strong>de</strong> <strong>de</strong>r<br />

Sequenz bearbeitete Gegenüberstellung <strong>de</strong>r dramatischen und <strong>de</strong>r <strong>epische</strong>n Form <strong>de</strong>s<br />

57


<strong>Theater</strong>s noch e<strong>in</strong>mal zur Diskussion stehen. Auf diese Weise können die Schüler<strong>in</strong>nen<br />

ihre dramentheoretischen Kenntnisse noch e<strong>in</strong>mal zusammenführen und vertiefen.<br />

3.4.1.3 Geplanter Stun<strong>de</strong>nverlauf und Begründung <strong>de</strong>r methodischen Entscheidungen<br />

E<strong>in</strong>stieg<br />

Um die Schüler<strong>in</strong>nen auf die kritische Überprüfung <strong>de</strong>r Theorie <strong>de</strong>s <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong>s<br />

e<strong>in</strong>zustimmen, sollen sie sich kurz und spontan zu <strong>de</strong>r Frage äußern, welche <strong>Theater</strong>-<br />

form sie nach <strong>de</strong>r Lektüre <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n <strong>in</strong> diesem Halbjahr gelesenen Dramen bevorzugen.<br />

Ich erwarte hierbei, <strong>das</strong>s die Me<strong>in</strong>ungen im Kurs gespalten se<strong>in</strong> wer<strong>de</strong>n, was schon bei<br />

<strong>de</strong>r Äußerung <strong>de</strong>r ersten Lesee<strong>in</strong>drücke zu Beg<strong>in</strong>n <strong>de</strong>r Unterrichtsreihe <strong>de</strong>r Fall war. Da<br />

diese Phase ausschließlich <strong>de</strong>r E<strong>in</strong>stimmung dient, ist zu diesem Zeitpunkt noch ke<strong>in</strong>e<br />

differenzierte, begrün<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Stellungnahme erwartbar.<br />

Erarbeitung<br />

Um <strong>de</strong>r begonnenen Diskussion e<strong>in</strong> besseres <strong>in</strong>haltliches Fundament zu verleihen, sol-<br />

len sich die Schüler<strong>in</strong>nen nun <strong>in</strong> arbeitsteiliger Gruppenarbeit <strong>mit</strong> je drei bis fünf Thesen<br />

aus <strong>de</strong>m Brecht-Text ause<strong>in</strong>an<strong>de</strong>rsetzen. Hierbei sollen die Thesen anhand <strong>de</strong>r gelese-<br />

nen Dramen bei<strong>de</strong>r Formen erläutert und gegebenenfalls kritisch überprüft wer<strong>de</strong>n. Da-<br />

bei wer<strong>de</strong>n die Schüler<strong>in</strong>nen erkennen, <strong>das</strong>s die plakative Gegenüberstellung e<strong>in</strong>er kriti-<br />

schen Überprüfung nur bed<strong>in</strong>gt standhält. Ich wähle als Arbeitsform für diese Phase ar-<br />

beitsteilige Gruppenarbeit, weil die Schüler<strong>in</strong>nen sich auf diese Weise <strong>in</strong>tensiver <strong>mit</strong><br />

e<strong>in</strong>zelnen Thesen ause<strong>in</strong>an<strong>de</strong>rsetzen können als bei e<strong>in</strong>er Plenumsdiskussion <strong>de</strong>s Ge-<br />

samttextes.<br />

Auswertung<br />

Beim Zusammentragen <strong>de</strong>r Ergebnisse <strong>de</strong>r Gruppenarbeit wer<strong>de</strong>n die Thesen gruppen-<br />

weise zur Diskussion gestellt, <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Weise, <strong>das</strong>s je e<strong>in</strong>e Gruppe ihre Überlegungen vor-<br />

stellt und die Mitschüler<strong>in</strong>nen evtl. unter E<strong>in</strong>bezug eigener Ergebnisse diese diskutieren.<br />

Abschluss<br />

Um die Diskussion abzurun<strong>de</strong>n, sollen sich die Schüler<strong>in</strong>nen zu <strong>de</strong>r Frage äußern, ob<br />

Brechts Dramentheorie <strong>in</strong> ihrem Anspruch durch unsere Überlegungen zur Relativie-<br />

rung <strong>de</strong>r Gegenüberstellung nun wi<strong>de</strong>rlegt sei. Diese Frage ist natürlich suggestiv; es<br />

soll dabei herausgestellt wer<strong>de</strong>n, <strong>das</strong>s Brecht selbst <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Fußnote die Gegenüberstel-<br />

lung relativiert.<br />

58


3.4.1.4 Verlaufsplan<br />

Phase/Ziel Unterrichtsgeschehen Arbeitsformen/<br />

E<strong>in</strong>stieg<br />

TZ 1<br />

5’<br />

Erarbeitung<br />

TZ 2/3<br />

Auswertung<br />

TZ 2-4<br />

Abschluss<br />

TZ 4<br />

Sch. diskutieren kurz darüber, welcher Dramenform sie<br />

selbst <strong>de</strong>n Vorzug geben.<br />

Sch. überprüfen <strong>in</strong> arbeitsteiliger Gruppenarbeit je e<strong>in</strong>zelne<br />

Thesen <strong>de</strong>r Brechtschen Gegenüberstellung <strong>de</strong>r dra-<br />

matischen und <strong>de</strong>r <strong>epische</strong>n Form <strong>de</strong>s <strong>Theater</strong>s<br />

Die Schüler<strong>in</strong>nen tragen ihre Ergebnisse zusammen und<br />

diskutieren sie<br />

Die Schüler<strong>in</strong>nen nehmen zu <strong>de</strong>r Frage Stellung, ob<br />

Brechts Dramentheorie durch unsere Relativierung <strong>de</strong>r<br />

Gegenüberstellung wi<strong>de</strong>rlegt ist.<br />

3.4.2 Durchführung und begleiten<strong>de</strong> Reflexion <strong>de</strong>r Unterrichtsstun<strong>de</strong><br />

Die Unterrichtsstun<strong>de</strong> ist im Wesentlichen wie geplant verlaufen.<br />

E<strong>in</strong>stieg<br />

Medien<br />

UG<br />

GA<br />

AB<br />

Sch. Hefte<br />

UG<br />

AB<br />

Sch. Hefte<br />

UG<br />

Wie erwartet, waren die Schüler<strong>in</strong>nen <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Beurteilung <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Dramenformen ge-<br />

spalten. E<strong>in</strong>ige Schüler<strong>in</strong>nen konnten <strong>de</strong>m <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong> mehr abgew<strong>in</strong>nen, weil es<br />

kritischer und realitätsbezogener sei. Auch sei es durch <strong>de</strong>n erzeugten Zwang zum kriti-<br />

schen Reflektieren <strong>de</strong>s Geschehens anspruchsvoller. An<strong>de</strong>re wandten dagegen e<strong>in</strong>, <strong>das</strong>s<br />

gera<strong>de</strong> <strong>de</strong>r angestrebte Lerneffekt <strong>de</strong>s <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong>s auch und vielleicht besser <strong>mit</strong><br />

dramatischen Mitteln zu erreichen sei, weil es <strong>de</strong>n Zuschauer <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Innersten mehr<br />

anspreche. Gera<strong>de</strong> diese Schüler<strong>in</strong>nen fan<strong>de</strong>n <strong>das</strong> <strong>epische</strong> <strong>Theater</strong> <strong>mit</strong> se<strong>in</strong>em unver-<br />

<strong>de</strong>ckten Lehranspruch zu schulmäßig; <strong>de</strong>r Unterhaltungsaspekt, <strong>de</strong>n man doch auch vom<br />

<strong>Theater</strong> erwarte, käme zu kurz. Dagegen wandten an<strong>de</strong>re e<strong>in</strong>, <strong>das</strong>s sie, wenn sie <strong>das</strong><br />

Stück nicht <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Schule so ausführlich behan<strong>de</strong>lt hätten, sich als Zuschauer sehr wohl<br />

unterhalten gefühlt hätten, <strong>de</strong>r plakative Lehranspruch wäre ihnen dann gar nicht so<br />

stark aufgefallen. Die Schüler<strong>in</strong>nen stellten fest, <strong>das</strong>s dies sowohl e<strong>in</strong> Argument für als<br />

auch gegen die Theorie <strong>de</strong>s <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong>s se<strong>in</strong> könne. E<strong>in</strong>erseits könnte dies be<strong>de</strong>u-<br />

ten, <strong>das</strong>s die Theorie nicht funktioniert, weil <strong>de</strong>r Zuschauer <strong>in</strong> <strong>de</strong>r passiven Haltung <strong>de</strong>s<br />

Unterhaltenwer<strong>de</strong>ns verharrt, an<strong>de</strong>rerseits könnte dies aber be<strong>de</strong>uten, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Stück<br />

besser als die ihm zugrun<strong>de</strong> liegen<strong>de</strong> Theorie sei: wer sich unterhalten fühlt, steht <strong>de</strong>m<br />

Stück und da<strong>mit</strong> se<strong>in</strong>em <strong>in</strong>haltlichen Anspruch positiver gegenüber.<br />

Erarbeitung<br />

Alle Gruppen haben erfreulich <strong>in</strong>tensiv an <strong>de</strong>n e<strong>in</strong>zelnen Thesen gearbeitet; beim He-<br />

rumgehen wur<strong>de</strong> ich Zeug<strong>in</strong> sehr reger differenzieren<strong>de</strong>r Diskussionen, wobei jedoch<br />

die erste Gruppe, die sich aus eher schwachen Schüler<strong>in</strong>nen zusammensetzte, <strong>de</strong>n<br />

59


Hauptteil ihrer Arbeit auf die unkritische Erläuterung <strong>de</strong>r Thesen („Was ist überhaupt<br />

da<strong>mit</strong> geme<strong>in</strong>t?“) verwandte und sich <strong>mit</strong> e<strong>in</strong>er Relativierung <strong>de</strong>r Gegenüberstellung<br />

schwer tat.<br />

Auswertung<br />

Die Ergebnisse <strong>de</strong>r ersten Gruppe, die sich <strong>mit</strong> <strong>de</strong>n Thesen 1-3 ause<strong>in</strong>an<strong>de</strong>rgesetzt hatte,<br />

fielen erwartungsgemäß aufgrund <strong>de</strong>r Schwierigkeiten <strong>de</strong>r Gruppe zunächst mager aus,<br />

doch konnten im Plenumsgespräch die Thesen erläutert und kritisiert wer<strong>de</strong>n. Dabei<br />

stellten die Schüler<strong>in</strong>nen heraus, <strong>das</strong>s <strong>mit</strong> <strong>de</strong>r Gegenüberstellung von Verkörpern und<br />

Erzählen die Beson<strong>de</strong>rheit <strong>de</strong>r Mittel <strong>de</strong>s <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong>s betont wer<strong>de</strong>, also die stän-<br />

dige Unterbrechung <strong>de</strong>r Handlung durch erzählen<strong>de</strong> und reflektieren<strong>de</strong> Elemente. Den-<br />

noch überwiegt szenische, also verkörpern<strong>de</strong> Handlung, die allerd<strong>in</strong>gs durch die V-Ef-<br />

fekte gebrochen wird. Umgekehrt enthält auch <strong>das</strong> dramatische <strong>Theater</strong> <strong>epische</strong> Elemen-<br />

te, z.B. Monologe o<strong>de</strong>r längere Erzählteile e<strong>in</strong>er Figur, z.B. die R<strong>in</strong>gparabel im Nathan,<br />

wobei diese jedoch <strong>in</strong> die Handlung e<strong>in</strong>gewoben s<strong>in</strong>d und <strong>de</strong>r Schauspieler nicht aus <strong>de</strong>r<br />

Rolle tritt. Auch die Thesen 2 und 3 stellten die Schüler<strong>in</strong>nen <strong>in</strong> Frage; auf Auffor<strong>de</strong>-<br />

rung konnten sie die Gegenüberstellung von Gefühl und Verstand <strong>in</strong> diesen Thesen un-<br />

ter Rückgriff auf Less<strong>in</strong>gs Dramentheorie erläutern, stellten sie aber gleich wie<strong>de</strong>r <strong>in</strong><br />

Frage. Dabei stellten sie fest, <strong>das</strong>s Less<strong>in</strong>g zwar tatsächlich „se<strong>in</strong>e Botschaft über die<br />

Gefühlsschiene transportiert“, d.h. durch die För<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Mitleidsfähigkeit <strong>de</strong>s Zu-<br />

schauers, <strong>das</strong>s dies aber se<strong>in</strong>e Aktivität verbrauche, war ihnen verständlicherweise nicht<br />

e<strong>in</strong>sichtig, zumal gera<strong>de</strong> <strong>das</strong> besprochene Less<strong>in</strong>g-Drama <strong>de</strong>utlich auch an <strong>de</strong>n Verstand<br />

appelliert. Umgekehrt fühlt sich <strong>de</strong>r Zuschauer auch gera<strong>de</strong> dadurch, <strong>das</strong>s <strong>de</strong>r Mitleid<br />

<strong>mit</strong> Shen Te empf<strong>in</strong><strong>de</strong>t, durch <strong>das</strong> Drama angesprochen. Allerd<strong>in</strong>gs ist <strong>de</strong>r Hauptunter-<br />

schied <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Formen, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> dramatische <strong>Theater</strong>, auch wenn es didaktische Ab-<br />

sichten hat, beim Individuum ansetzt, während Brecht <strong>das</strong> soziale System zur Dispositi-<br />

on stellt.<br />

Die zweite Gruppe, die sich <strong>mit</strong> <strong>de</strong>n Thesen 4-6 ause<strong>in</strong>an<strong>de</strong>rzusetzen hatte, konnte ihre<br />

Ergebnisse gut an die erste Gruppe anschließen: zwar unterschei<strong>de</strong>n sich die bei<strong>de</strong>n<br />

Dramenformen tatsächlich gera<strong>de</strong> dadurch, <strong>das</strong>s <strong>de</strong>r Zuschauer <strong>de</strong>r dramatischen Form<br />

<strong>de</strong>s <strong>Theater</strong>s von <strong>de</strong>r Handlung <strong>mit</strong>gerissen wird, während dies im <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong><br />

durch die V-Effekte verh<strong>in</strong><strong>de</strong>rt wird, doch <strong>in</strong>sbeson<strong>de</strong>re die Gegenüberstellung von Sug-<br />

gestion und Argumentation kritisierten die Schüler<strong>in</strong>nen als e<strong>in</strong>seitig. Auch Brecht be-<br />

e<strong>in</strong>flusse die Zuschauer unbemerkt durch die Art <strong>de</strong>r Darstellung, <strong>in</strong><strong>de</strong>m die Handlung<br />

so komponiert ist, <strong>das</strong>s e<strong>in</strong>e Verän<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Gesellschaft im marxistischen S<strong>in</strong>ne als<br />

e<strong>in</strong>zige Lösung ersche<strong>in</strong>t.<br />

Bei <strong>de</strong>r Besprechung <strong>de</strong>r Ergebnisse <strong>de</strong>r dritten Gruppe, die die Thesen 7-10 zu bearbei-<br />

ten hatte, wur<strong>de</strong> zur 7. These herausgestellt, <strong>das</strong>s Brecht hier <strong>de</strong>n Unterschied im Men-<br />

schenbild anspricht. Während im dramatische <strong>Theater</strong> laut Brecht <strong>das</strong> Geschehen als<br />

durch Schicksal und Beschaffenheit <strong>de</strong>r dargestellten Kriterien bestimmt ist, so soll im<br />

<strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong> <strong>de</strong>utlich wer<strong>de</strong>n, <strong>das</strong>s <strong>de</strong>r Mensch sich verän<strong>de</strong>rn kann. Unter E<strong>in</strong>be-<br />

60


ziehung ihrer im Laufe <strong>de</strong>r Reihe erworbenen Kenntnisse zur marxistischen Theorie<br />

nannten die Schüler<strong>in</strong>nen auch <strong>de</strong>n von mir aus <strong>de</strong>m Text herausgekürzten Satz „Das<br />

Se<strong>in</strong> bestimmt <strong>das</strong> Bewusstse<strong>in</strong>“ und wandten ihn richtig auf <strong>das</strong> Drama an: Die wirt-<br />

schaftlichen und politischen Verhältnisse und nicht <strong>das</strong> Schicksal bestimmen Bewusst-<br />

se<strong>in</strong> und Han<strong>de</strong>ln <strong>de</strong>s Menschen, hat er diesen Zusammenhang erkannt, kann er sich und<br />

die ihn bestimmen<strong>de</strong>n Umstän<strong>de</strong> verän<strong>de</strong>rn. Doch auch diese Gegenüberstellung bleibt<br />

theoretisch. Gera<strong>de</strong> im Nathan wer<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Mensch doch als verän<strong>de</strong>rbar dargestellt, aller-<br />

d<strong>in</strong>gs wie<strong>de</strong>r vom Individuum und nicht von <strong>de</strong>r Gesellschaftsstruktur her gedacht. Die<br />

Thesen 8-10 wur<strong>de</strong>n zusammenhängend besprochen: Sie spielen auf die geschlossene,<br />

meist fünfaktige Struktur <strong>de</strong>s Dramas <strong>in</strong> <strong>de</strong>r aristotelischen Tradition an, wobei die Dra-<br />

men auf <strong>das</strong> En<strong>de</strong> h<strong>in</strong> konzipiert seien, <strong>mit</strong> e<strong>in</strong>er allmählichen Spannungssteigerung auf<br />

<strong>de</strong>n Höhepunkt <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Mitte h<strong>in</strong>, während <strong>das</strong> Drama <strong>de</strong>r <strong>epische</strong>n Form e<strong>in</strong>e offene<br />

Struktur hat, ke<strong>in</strong>en Höhepunkt und auch ke<strong>in</strong>e zwangsläufige Lösung o<strong>de</strong>r e<strong>in</strong> tragi-<br />

sches En<strong>de</strong> enthalte. Während im <strong>Theater</strong> <strong>de</strong>r dramatischen Form die Szenen aufe<strong>in</strong>an-<br />

<strong>de</strong>r aufbauen, präsentiert im <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong> je<strong>de</strong> E<strong>in</strong>zelszene auf ihre Weise die Lehre<br />

<strong>de</strong>s Stückes. Allerd<strong>in</strong>gs, so stellte die Gruppe fest, sei <strong>de</strong>r Handlungsverlauf bei Brecht<br />

ebenfalls wohlkomponiert, auch wenn man je<strong>de</strong> Szene als eigene abgeschlossene Hand-<br />

lung betrachten könne, kann man nicht e<strong>in</strong>fach e<strong>in</strong>zelne Szenen weglassen, da <strong>in</strong> <strong>de</strong>r<br />

Gerichtsszene alle Details wie<strong>de</strong>r zusammenlaufen und <strong>de</strong>r Zuschauer gera<strong>de</strong> wegen <strong>de</strong>s<br />

offenen En<strong>de</strong>s erst durch Verb<strong>in</strong>dung <strong>de</strong>r e<strong>in</strong>zelnen Details se<strong>in</strong>en eigenen Schluss zie-<br />

hen kann.<br />

Die vierte Gruppe, die sich <strong>mit</strong> <strong>de</strong>n Thesen 11-15 ause<strong>in</strong>an<strong>de</strong>rgesetzt hatte, stellte rich-<br />

tig fest, <strong>das</strong>s hier noch e<strong>in</strong>mal zusammenfassend die Wirkung <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Formen <strong>de</strong>s<br />

<strong>Theater</strong>s auf <strong>de</strong>n Zuschauer thematisiert wird. Während <strong>de</strong>m Zuschauer <strong>de</strong>s dramati-<br />

schen dadurch, <strong>das</strong>s er sich <strong>mit</strong> <strong>de</strong>m Hel<strong>de</strong>n i<strong>de</strong>ntifiziert, <strong>de</strong>r Verlauf <strong>de</strong>s Geschehens<br />

realistisch und vorhersehbar ersche<strong>in</strong>t, weil es <strong>in</strong> Übere<strong>in</strong>stimmung <strong>mit</strong> ihm Bekannten<br />

steht, so soll <strong>de</strong>r Zuschauer <strong>de</strong>s <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong>s durch die V-Effekte überrascht, <strong>das</strong><br />

sche<strong>in</strong>bar Normale und Natürliche wird dadurch <strong>in</strong> Frage gestellt, so <strong>das</strong>s <strong>de</strong>r Zuschauer<br />

im Gegensatz zum dramatischen <strong>Theater</strong>s nicht positiv zustimmend, son<strong>de</strong>rn <strong>mit</strong> Ab-<br />

wehr und Kritik am Gesehenen reagiert. Zur letzten These stellten die Schüler<strong>in</strong>nen fest,<br />

<strong>das</strong>s sie sich für <strong>das</strong> dramatische <strong>Theater</strong> auf die Tragödie beziehe, die suggeriert, <strong>das</strong>s<br />

<strong>de</strong>r Held nur scheitern kann, weil se<strong>in</strong>e Situation aus Schicksalsgrün<strong>de</strong>n ausweglos ist.<br />

Im <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong> jedoch soll die Situation <strong>de</strong>r Figuren als Folge verän<strong>de</strong>rbarer ge-<br />

sellschaftlicher Zwänge dargestellt wer<strong>de</strong>n und da<strong>mit</strong> untragisch se<strong>in</strong>. Es erwies sich als<br />

Glücksfall, <strong>das</strong>s e<strong>in</strong>ige Schüler<strong>in</strong>nen auch <strong>das</strong> Less<strong>in</strong>gsche Trauerspiel Emilia Galotti<br />

kannten. Auch Emilias Situation ist nur aufgrund <strong>de</strong>r bestehen<strong>de</strong>n Verhältnisse tragisch,<br />

nur aufgrund <strong>de</strong>r Macht <strong>de</strong>s Pr<strong>in</strong>zen war ihr <strong>de</strong>r Tod die e<strong>in</strong>zige Möglichkeit, sich <strong>de</strong>m<br />

Pr<strong>in</strong>zen zu entziehen. Insofern ist die Situation <strong>de</strong>r weiblichen Protagonist<strong>in</strong>nen <strong>in</strong> bei-<br />

<strong>de</strong>n Dramen nur aufgrund <strong>de</strong>r sozialen Verhältnisse ausweglos, <strong>de</strong>nn auf <strong>de</strong>r Handlungs-<br />

61


ebene ist auch für Shen Te die Vertröstung auf e<strong>in</strong>e bessere - klassenlose - Gesellschaft<br />

ke<strong>in</strong>e Lösung.<br />

Abschluss<br />

Zusammenfassend konnte festgestellt wer<strong>de</strong>n, <strong>das</strong>s die Gegenüberstellung <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n<br />

<strong>Theater</strong>formen nicht absolut zu verstehen ist, son<strong>de</strong>rn, wie Brecht es selbst <strong>in</strong> <strong>de</strong>r e<strong>in</strong>-<br />

schränken<strong>de</strong>n Fußnote feststellt, „lediglich Akzentverschiebungen“ zeigt.<br />

Zusammenfassen<strong>de</strong> Stun<strong>de</strong>nkritik<br />

Ich b<strong>in</strong> <strong>mit</strong> <strong>de</strong>m Verlauf <strong>de</strong>r Stun<strong>de</strong> sehr zufrie<strong>de</strong>n. Die Ergebnisse <strong>de</strong>r Gruppenarbeit<br />

und <strong>de</strong>s Auswertungsgespräches zeigen, <strong>das</strong>s die Schüler<strong>in</strong>nen im Laufe <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Un-<br />

terrichtsreihen genügen<strong>de</strong> dramentheoretische Kenntnisse erworben haben. An<strong>de</strong>rnfalls<br />

wären sie nicht <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Lage gewesen, <strong>de</strong>n Text <strong>in</strong> dieser differenzierten Form kritisch zu<br />

reflektieren. Auch zeigte sich, <strong>das</strong>s sie die Thesen gut auf die behan<strong>de</strong>lten Dramen an-<br />

wen<strong>de</strong>n konnten. Ihre Äußerungen zeigten, <strong>das</strong>s sie im Verlauf <strong>de</strong>s Halbjahres ihr Be-<br />

schreibungspotential erweitert haben. Die Diskussion verlief sehr lebendig, <strong>de</strong>r größte<br />

Teil <strong>de</strong>r Schüler<strong>in</strong>nen war beteiligt.<br />

62


4 Abschlussreflexion<br />

4.1 Handlungs- und Produktonsorientierung versus Analyse?<br />

Schwerpunkt <strong>de</strong>r hier dargestellten Sequenz müsste es doch eigentlich gemäß <strong>de</strong>r The-<br />

menstellung „E<strong>in</strong>leitung <strong>in</strong> die Theorie <strong>de</strong>s <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong>s nach Brecht <strong>mit</strong> hand-<br />

lungs- und produktionsorientierten Metho<strong>de</strong>n“ se<strong>in</strong>, zu zeigen, wie es möglich ist, alle<strong>in</strong><br />

<strong>mit</strong> <strong>handlungs</strong>- und produktionsorientierten Metho<strong>de</strong>n e<strong>in</strong>e Theorie zu erarbeiten. Doch<br />

kann es nicht darum gehen, dies völlig unter Verzicht von analytischen Arbeitstechniken<br />

zu tun. Zum e<strong>in</strong>en erfor<strong>de</strong>rn <strong>handlungs</strong>- und produktionsorientierte Metho<strong>de</strong>n immer<br />

auch e<strong>in</strong>e - <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Regel zwangsläufig analytische - Auswertungsphase, <strong>in</strong> <strong>de</strong>r die erstell-<br />

ten Arbeiten vorgestellt und erörtert wer<strong>de</strong>n. Gera<strong>de</strong> bei <strong>de</strong>r Erarbeitung <strong>de</strong>r Theorie <strong>de</strong>s<br />

<strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong>s jedoch kann auf die Lektüre und Analyse <strong>de</strong>r theatertheoretischen<br />

Schriften Brechts nicht verzichtet wer<strong>de</strong>n. Hier bietet es sich schon von <strong>de</strong>r Sache her<br />

an, diese <strong>mit</strong> Hilfe textanalytischer Verfahren zu behan<strong>de</strong>ln. Es g<strong>in</strong>g mir also <strong>in</strong> dieser<br />

Arbeit v.a. darum zu zeigen, wie <strong>handlungs</strong>- und produktionsorientierte Verfahren <strong>mit</strong><br />

analytischen verknüpft wer<strong>de</strong>n können.<br />

Von <strong>de</strong>n <strong>in</strong> dieser Arbeit dargestellten Stun<strong>de</strong>n war die erste Doppelstun<strong>de</strong> schwer-<br />

punktmäßig <strong>handlungs</strong>orientiert. Die Schüler<strong>in</strong>nen sollten Spielszenen entwickeln und<br />

vorstellen. Dieses ent<strong>de</strong>ckend-experimentelle Verfahren war erfolgreich. Die Schüler<strong>in</strong>-<br />

nen konnten nach kurzer Erörterung <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n zu Beg<strong>in</strong>n <strong>de</strong>r Doppelstun<strong>de</strong> präsentier-<br />

ten Thesen ihre Kenntnisse zum aristotelischen <strong>Theater</strong> und ihre zu diesem Zeitpunkt<br />

noch vagen Vorstellungen zum <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong> anwen<strong>de</strong>n. Hierbei konnten sie die<br />

Mittel <strong>de</strong>s <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong>s durch die Entwicklung <strong>de</strong>r Szenen unter Rückgriff auf ihre<br />

Kenntnis <strong>de</strong>s Brecht-Stückes selbst ent<strong>de</strong>cken. Beson<strong>de</strong>re Be<strong>de</strong>utung kam hierbei <strong>de</strong>n<br />

Auswertungsgesprächen zu, <strong>in</strong> <strong>de</strong>nen durch die Reflexion <strong>de</strong>s von <strong>de</strong>n Schüler<strong>in</strong>nen<br />

Dargestellten die jeweils angewen<strong>de</strong>ten Mittel <strong>de</strong>utlicher herausgestellt wer<strong>de</strong>n konnten.<br />

Es hat sich als Glücksfall erwiesen, <strong>das</strong>s je<strong>de</strong> <strong>de</strong>r präsentierten Spielszenen auf unter-<br />

schiedliche Weise dazu geeignet war. So hatte die erste Gruppe zwar e<strong>in</strong>e Szene nach<br />

<strong>de</strong>m <strong>epische</strong>n Formtyp zeigen wollen, doch konnten die Schüler<strong>in</strong>nen <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Bespre-<br />

chung <strong>de</strong>r Szene erkennen, <strong>das</strong>s die Gruppe v.a. Mittel <strong>de</strong>s dramatischen Formtyps ver-<br />

wen<strong>de</strong>t haben. Die zweite Szene eignete sich zur Erörterung <strong>de</strong>r Möglichkeit <strong>epische</strong>r<br />

Elemente auch im dramatischen Formtyp. Die dritte Gruppe schließlich setzte die Mittel<br />

<strong>de</strong>s <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong>s am besten e<strong>in</strong>, so <strong>das</strong>s sich konstatieren lässt, <strong>das</strong>s bei <strong>de</strong>r Präsen-<br />

tation <strong>de</strong>r drei ersten Spielszenen Schritt für Schritt wichtige Mittel <strong>de</strong>s <strong>epische</strong>n Thea-<br />

ters herausgestellt wer<strong>de</strong>n konnten. Da die vierte Gruppe sich als e<strong>in</strong>zige für <strong>de</strong>n drama-<br />

tischen Formtyp entschie<strong>de</strong>n hatte, war <strong>de</strong>ren Spiel gut geeignet, um <strong>de</strong>n Unterschied<br />

63


<strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Formtypen herauszuarbeiten und daran die Frage nach <strong>de</strong>r je unterschiedli-<br />

chen Wirkung <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Formen anzuschließen.<br />

In <strong>de</strong>r vierten und fünften Stun<strong>de</strong> <strong>de</strong>r dargestellten Sequenz stand e<strong>in</strong> im besten S<strong>in</strong>ne<br />

produktionsorientiertes Verfahren im Mittelpunkt: die Verfremdung e<strong>in</strong>es Textes, <strong>mit</strong><br />

<strong>de</strong>m Ziel, durch <strong>de</strong>n Vergleich <strong>de</strong>r Umarbeitungen <strong>mit</strong> <strong>de</strong>m Orig<strong>in</strong>al <strong>de</strong>ssen Beson<strong>de</strong>r-<br />

heiten: Verfremdung e<strong>in</strong>es Textes, um durch Vergleich <strong>mit</strong> Orig<strong>in</strong>al <strong>de</strong>ssen Beson<strong>de</strong>r-<br />

heiten herauszustellen zu können. Die Produktionsphase an sich hat sich als s<strong>in</strong>nvoll er-<br />

wiesen, doch war <strong>das</strong> Auswertungsgespräch im Vergleich zur ersten Doppelstun<strong>de</strong> zwar<br />

<strong>in</strong>haltlich durchaus ertragreich, doch verlief es wegen <strong>de</strong>s großen Umfangs <strong>de</strong>s zu be-<br />

sprechen<strong>de</strong>n Textmaterials schleppend.<br />

Es hat sich wie<strong>de</strong>r gezeigt, <strong>das</strong>s die Auswertung die Achillesferse <strong>de</strong>r <strong>handlungs</strong>- und<br />

produktionsorientierten Metho<strong>de</strong>n ist. Sie sollen sie durch <strong>de</strong>n Wechsel <strong>de</strong>r Arbeitsform<br />

die Schüler<strong>in</strong>nen stärker motivieren und aktivieren und v.a. an<strong>de</strong>re als re<strong>in</strong> kognitive<br />

Lerntypen ansprechen, an<strong>de</strong>rerseits können sie aber auch nicht auf die notwendig ver-<br />

bal-analytische Auswertung verzichten. Hier stellt sich aber <strong>das</strong> Problem, wie die Aus-<br />

wertungsphase <strong>de</strong>rgestalt geplant wer<strong>de</strong>n kann, <strong>das</strong>s möglichst e<strong>in</strong>erseits viele Schüler-<br />

arbeiten gewürdigt wer<strong>de</strong>n können und trotz<strong>de</strong>m <strong>das</strong> Gespräch nicht redundant o<strong>de</strong>r<br />

langweilig wird. Im Falle <strong>de</strong>r ersten Doppelstun<strong>de</strong> ist dies gelungen, da je<strong>de</strong> Gruppe <strong>de</strong>n<br />

Auftrag auf je verschie<strong>de</strong>ne Weise gelöst hat, so <strong>das</strong>s schon alle<strong>in</strong> durch die verschie<strong>de</strong>-<br />

nen Umsetzungsi<strong>de</strong>en aber auch dadurch, <strong>das</strong>s an je<strong>de</strong>r Szene je verschie<strong>de</strong>ne theater-<br />

theoretische Aspekte herausgearbeitet wer<strong>de</strong>n konnten, <strong>das</strong> Gespräch abwechslungs-<br />

reich verlief und ke<strong>in</strong>e Langeweile auftrat. Außer<strong>de</strong>m wur<strong>de</strong>n durch die Aufführung <strong>de</strong>r<br />

Szenen mehr S<strong>in</strong>ne angesprochen als beim re<strong>in</strong>en Vorlesen <strong>de</strong>r Ergebnisse <strong>de</strong>s Produkti-<br />

onsauftrags zum 8. Bild.<br />

E<strong>in</strong> häufig genanntes Argument für die Anwendung <strong>handlungs</strong>- und produktionsorien-<br />

tierter Metho<strong>de</strong>n ist, <strong>das</strong>s dadurch die Schüler<strong>in</strong>nen nicht nur e<strong>in</strong>seitig kognitiv, son<strong>de</strong>rn<br />

auch affektiv und pragmatisch gefor<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n. Da<strong>mit</strong> verb<strong>in</strong><strong>de</strong>t sich <strong>de</strong>r Optimismus,<br />

<strong>das</strong>s diese Verfahren an<strong>de</strong>re als re<strong>in</strong> kognitive Lerntypen ansprechen. Für die erste Dop-<br />

pelstun<strong>de</strong> sche<strong>in</strong>t dieses Argument bestätigt. Durch die Arbeitsform Gruppenarbeit wa-<br />

ren alle Schüler<strong>in</strong>nen beteiligt; erfreulicherweise konnten auch die sonst schwächeren<br />

Schüler<strong>in</strong>nen sich <strong>in</strong> beson<strong>de</strong>rem Maße e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen. Bei <strong>de</strong>n Schüler<strong>in</strong>nenarbeiten zum<br />

8. Bild zeigte sich jedoch, <strong>das</strong>s die besten Arbeiten von <strong>de</strong>n Schüler<strong>in</strong>nen erbracht wur-<br />

<strong>de</strong>n, die auch bei analytischen Verfahren die leistungsstärksten s<strong>in</strong>d und die Arbeiten<br />

<strong>de</strong>r schwächeren Schüler<strong>in</strong>nen auch <strong>in</strong> diesem Fall weniger gut ausgefallen waren (vgl.<br />

z.B. die Arbeit von Katr<strong>in</strong> und Ruth, die zu <strong>de</strong>n leistungsstarken Schüler<strong>in</strong>nen gehören,<br />

<strong>mit</strong> <strong>de</strong>r von Su-Hyon und Klara), <strong>de</strong>nnoch g<strong>in</strong>gen die schwächeren Schüler<strong>in</strong>nen die<br />

produktionsorientierten Arbeitsaufträge <strong>mit</strong> mehr Motivation und auch Erfolg an, was<br />

sich v.a. bei <strong>de</strong>r <strong>in</strong> Kap. 3.3.2 besprochenen Arbeit von Diana zeigte.<br />

64


E<strong>in</strong> weiteres Grundproblem <strong>de</strong>r <strong>handlungs</strong>- und produktionsorientierten Verfahren ist,<br />

<strong>das</strong>s sie meist zeit<strong>in</strong>tensiver s<strong>in</strong>d als analytische Verfahren; letztere haben aber <strong>de</strong>n<br />

Nachteil, <strong>das</strong>s diese meist nur von <strong>de</strong>n ohneh<strong>in</strong> stärkeren Schüler<strong>in</strong>nen getragen wer<strong>de</strong>n;<br />

<strong>in</strong>sbeson<strong>de</strong>re <strong>handlungs</strong>orientierte Verfahren sollen es allen Schüler<strong>in</strong>nen ermöglichen,<br />

sich <strong>mit</strong> ihren jeweiligen Stärken e<strong>in</strong>zubr<strong>in</strong>gen. So war <strong>in</strong> <strong>de</strong>r ersten Doppelstun<strong>de</strong> <strong>de</strong>ut-<br />

lich zu beobachten, <strong>das</strong>s zwar häufig e<strong>in</strong> o<strong>de</strong>r zwei Schüler<strong>in</strong>nen die Gruppenarbeit do-<br />

m<strong>in</strong>iert haben, <strong>in</strong><strong>de</strong>m hauptsächlich sie <strong>de</strong>n Plot entwickelten und Vorschläge zur Um-<br />

setzung machten, aber für die tatsächliche Umsetzung wur<strong>de</strong>n alle Schüler<strong>in</strong>nen ge-<br />

braucht. In e<strong>in</strong>er Gruppe hat e<strong>in</strong>e Schüler<strong>in</strong>, die nicht selbst spielen wollte die „Regie“<br />

übernommen und so auf ihre Weise zum Gel<strong>in</strong>gen <strong>de</strong>r Aufführung beigetragen.<br />

Neben <strong>de</strong>r Notwendigkeit <strong>de</strong>r Auswertung ist jedoch gera<strong>de</strong> bei <strong>handlungs</strong>orientierten<br />

Verfahren e<strong>in</strong>e theoretische Fundierung <strong>de</strong>s Erlernten notwendig. Bei <strong>de</strong>r dargestellten<br />

Doppelstun<strong>de</strong> konnte die Theorie <strong>de</strong>s <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong>s natürlich nur <strong>in</strong> Ansätzen erar-<br />

beitet wer<strong>de</strong>n. Es konnten lediglich e<strong>in</strong>ige Mittel <strong>de</strong>s <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong>s erarbeitet wer-<br />

<strong>de</strong>n; im Wesentlichen beschränkte sich dies auf die Wendung <strong>de</strong>r Figuren bzw. <strong>de</strong>r<br />

Schauspieler an <strong>das</strong> Publikum. Weitere Mittel mussten durch Textanalyse bzw. anhand<br />

von <strong>de</strong>n Schüler<strong>in</strong>nen präsentierten Ausschnitten aus <strong>de</strong>r Weimarer Fernseh<strong>in</strong>szenierung<br />

erarbeitet wer<strong>de</strong>n. Was vor allem bei <strong>de</strong>m szenischen Verfahren nicht erarbeitet wer<strong>de</strong>n<br />

konnte, ist die gesellschaftspolitische Intention <strong>de</strong>r Brechtschen <strong>Theater</strong>theorie, für die,<br />

wie gezeigt, zwei theatertheoretische Texte Brechts herangezogen wer<strong>de</strong>n mussten. Die-<br />

ses Verfahren hat <strong>de</strong>n Nachteil, <strong>das</strong>s es als re<strong>in</strong> analytisches nicht von allen Schüler<strong>in</strong>-<br />

nen gleichermaßen bewältigt wer<strong>de</strong>n konnte, gera<strong>de</strong> <strong>in</strong> <strong>de</strong>r dritten hier dokumentierten<br />

Stun<strong>de</strong> wur<strong>de</strong>n die Nachteile <strong>de</strong>s Verfahrens <strong>de</strong>utlich: Angesichts <strong>de</strong>s Schwierigkeits-<br />

gra<strong>de</strong>s <strong>de</strong>s zu bearbeiteten Textes hatten die Schüler<strong>in</strong>nen <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Unterrichtsstun<strong>de</strong> viel<br />

Klärungs- und Diskussionsbedarf, so <strong>das</strong>s die Stun<strong>de</strong> vom Unterrichtsgespräch domi-<br />

niert wur<strong>de</strong>, welches v.a. von <strong>de</strong>n leistungsstarken Schüler<strong>in</strong>nen getragen wur<strong>de</strong>. Den-<br />

noch bleibt bei <strong>de</strong>r Erarbeitung <strong>de</strong>r Theorie <strong>de</strong>s <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong>s die Analyse zentraler<br />

theoretischer Texte Brechts unabd<strong>in</strong>gbar, nicht zuletzt auch, um die Metho<strong>de</strong>nkompe-<br />

tenz <strong>de</strong>r Schüler<strong>in</strong>nen im H<strong>in</strong>blick auf <strong>das</strong> Erlangen <strong>de</strong>r Studierfähigkeit um textanalyti-<br />

sche Fertigkeiten zu erweitern. Angesichts <strong>de</strong>r Leistungsfähigkeit und Diszipl<strong>in</strong> <strong>de</strong>r<br />

Schüler<strong>in</strong>nen hat sich jedoch <strong>de</strong>r hohe Anteil <strong>de</strong>s Unterrichtsgesprächs <strong>in</strong> dieser Stun<strong>de</strong><br />

jedoch weitgehend unproblematisch erwiesen.<br />

Es stellt sich hier die Frage, ob unter Verzicht auf die <strong>handlungs</strong>- und produktionsorien-<br />

tierten Verfahren zugunsten e<strong>in</strong>er Ausweitung <strong>de</strong>r textanalytischen Arbeit nicht die glei-<br />

chen o<strong>de</strong>r gar bessere Ergebnisse hätten erzielt wer<strong>de</strong>n können. So litt <strong>in</strong> <strong>de</strong>r ersten hier<br />

dokumentierten Doppelstun<strong>de</strong> die Auswertung <strong>de</strong>r Arbeit an Brechts Gegenüberstellung<br />

<strong>de</strong>r dramatischen und <strong>epische</strong>n Form <strong>de</strong>s <strong>Theater</strong>s am Zeitmangel. Hätte ich auf die Pro-<br />

duktion <strong>de</strong>r Spielszenen verzichtet, wäre mehr Zeit verblieben, um diese wichtige Ge-<br />

genüberstellung sowie <strong>de</strong>n zweiten e<strong>in</strong>gesetzten theoretischen Text genauer zu bespre-<br />

chen. Dennoch wür<strong>de</strong> ich auch <strong>in</strong> Zukunft aus mehreren Grün<strong>de</strong>n nur ungern auf dieses<br />

65


Verfahren verzichten. Zunächst war es e<strong>in</strong> motivieren<strong>de</strong>r E<strong>in</strong>stieg <strong>in</strong> die Erarbeitung <strong>de</strong>r<br />

Theorie, die vielen Schüler<strong>in</strong>nen <strong>de</strong>n Zugang zu <strong>de</strong>n theoretischen Texten und auch zum<br />

Drama selbst erleichtert hat. Durch <strong>das</strong> szenische Spiel wur<strong>de</strong> e<strong>in</strong>e Verständnisgrundla-<br />

ge für diese Texte geschaffen, die nicht zuletzt durch die Doppelstun<strong>de</strong> zum 8. Bild ver-<br />

tieft wer<strong>de</strong>n konnte.<br />

4.2 Zum E<strong>in</strong>satz <strong>de</strong>s szenischen Spiels<br />

Diese Metho<strong>de</strong> <strong>de</strong>s szenischen Spiels wur<strong>de</strong> <strong>in</strong> dieser Unterrichtsreihe nicht zur Inter-<br />

pretation <strong>de</strong>s Dramas e<strong>in</strong>gesetzt, son<strong>de</strong>rn zur Erarbeitung von Theorieelementen <strong>de</strong>s<br />

<strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong>s. Daher wur<strong>de</strong> sie unter an<strong>de</strong>ren Prämissen verwen<strong>de</strong>t als etwa im<br />

Konzept Ingo Schellers, <strong>das</strong> stark psychologisierend ist, zum e<strong>in</strong>en, <strong>in</strong> <strong>de</strong>m S<strong>in</strong>ne, <strong>das</strong>s<br />

sich die Teilnehmer<strong>in</strong>nen und Teilnehmer <strong>in</strong> die Figuren e<strong>in</strong>fühlen sollen und von daher<br />

ihre Gefühlslage, ihre Charaktereigenschaften und die Motive ihrer Handlungen besser<br />

verstehen können, zum an<strong>de</strong>ren aber auch dadurch, <strong>das</strong>s die Teilnehmer<strong>in</strong>nen durch<br />

Übernahme e<strong>in</strong>er Rolle - dazu gehören z.B. <strong>das</strong> Schreiben von Rollenbiografien, psy-<br />

chodramatische Verfahren wie die <strong>E<strong>in</strong>führung</strong> e<strong>in</strong>es Hilfs-Ichs, <strong>das</strong> szenische Spiel<br />

selbst, die Reflexion von Handlungen an<strong>de</strong>rer Figuren aus <strong>de</strong>r Perspektive <strong>de</strong>r übernom-<br />

menen Rolle - auch über ihr eigenes Selbstbild sich Klarheit verschaffen sollen. Bezugs-<br />

punkt <strong>de</strong>r szenischen Interpretation bleibt zwar <strong>de</strong>r Text, doch bei <strong>de</strong>r Reflexion von<br />

Gefühlen, <strong>de</strong>m gestischen und mimischen Ausdruck <strong>de</strong>r Rolle usw. wird von <strong>de</strong>n Dar-<br />

stellern zwangsläufig auf eigene Erfahrungen o<strong>de</strong>r Handlungsmuster zurückgegriffen.<br />

Im Schutzraum <strong>de</strong>r Rolle können die Teilnehmer<strong>in</strong>nen ihre eigenen Erfahrungen unbe-<br />

merkt e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen. Dies ist allerd<strong>in</strong>gs, wie bereits <strong>in</strong> Kap. 2.5 erörtert, bei <strong>de</strong>n Dramen<br />

Brechts nicht s<strong>in</strong>nvoll. An<strong>de</strong>rs verhält es sich allerd<strong>in</strong>gs bei <strong>de</strong>m von mir gewählten<br />

Verfahren. Ich habe bewusst e<strong>in</strong>e Situation vorgegeben, die <strong>de</strong>n Schüler<strong>in</strong>nen z.T. aus<br />

eigener Erfahrung o<strong>de</strong>r Beobachtung bekannt ist. So hatten sie also auch hier im Schutz<br />

<strong>de</strong>r Rolle die Möglichkeit, eigene Persönlichkeitsanteile, Erfahrungen und Gefühle <strong>in</strong><br />

<strong>das</strong> Spiel e<strong>in</strong>zubr<strong>in</strong>gen, ohne <strong>das</strong>s dies thematisiert wur<strong>de</strong>. Dennoch: Dies gehört nicht<br />

primär zur Intention dieses Verfahrens; gera<strong>de</strong> die Anwendung psychodramatischer<br />

Techniken halte ich im Unterricht für fragwürdig, weil die Schüler<strong>in</strong>nen dadurch ge-<br />

zwungen wer<strong>de</strong>n könnten, mehr von sich preiszugeben, als sie eigentlich bereit wären<br />

und sich dadurch vor <strong>de</strong>r Lehrperson und <strong>de</strong>n Mitschüler<strong>in</strong>nen bloßgestellt fühlen könn-<br />

ten. Dadurch, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> szenische Spiel ausdrücklich im Dienste <strong>de</strong>r Erarbeitung <strong>de</strong>r<br />

<strong>Theater</strong>theorie stand und die Schüler<strong>in</strong>nen viel Freiheit hatten, die Szene und die Rollen<br />

auszugestalten, konnte dieser Gefahr begegnet wer<strong>de</strong>n.<br />

66


4.3 Zum Aufbau <strong>de</strong>r Reihe<br />

Ich habe im ersten Teil <strong>de</strong>r Arbeit begrün<strong>de</strong>t, warum ich die Erarbeitung <strong>de</strong>r Theorie <strong>de</strong>s<br />

<strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong>s schon am Anfang <strong>de</strong>r Reihe begonnen habe. Inhaltlich habe ich mich<br />

also für e<strong>in</strong> <strong>de</strong>duktives Verfahren entschie<strong>de</strong>n. Es wäre auch möglich gewesen, im Rah-<br />

men <strong>de</strong>r Interpretation <strong>de</strong>s Dramas <strong>de</strong>ssen formale Beson<strong>de</strong>rheiten herauszuarbeiten und<br />

im Anschluss daran erst <strong>in</strong> die ihm zugrun<strong>de</strong> liegen<strong>de</strong> Theorie e<strong>in</strong>zuführen. Schließlich<br />

ist auch Brecht nicht davon ausgegangen, <strong>das</strong>s die Zuschauer se<strong>in</strong>e Dramen nur <strong>in</strong><br />

Kenntnis <strong>de</strong>r Theorie verstehen können.<br />

Doch ist <strong>de</strong>n Schüler<strong>in</strong>nen <strong>de</strong>r gesellschaftspolitische H<strong>in</strong>tergrund <strong>de</strong>r Dramen Brechts<br />

im Gegensatz zu zeitgenössischen Zuschauern nicht mehr un<strong>mit</strong>telbar verständlich. So<br />

kann heute e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>terpretatorische Arbeit am Drama ohne Kenntnis dieses H<strong>in</strong>tergrun<strong>de</strong>s<br />

nur ansatzhaft bleiben. Dadurch <strong>das</strong>s jedoch die vorgeschaltete Kurzsequenz, ausgehend<br />

von <strong>de</strong>n Leseerfahrungen <strong>de</strong>r Schüler<strong>in</strong>nen, sehr textnah war und auch die Unterrichts-<br />

stun<strong>de</strong>n zur Theorie <strong>de</strong>s <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong>s immer wie<strong>de</strong>r auch unter Rückgriff auf <strong>das</strong><br />

gelesene Drama erfolgten, haben die Schüler<strong>in</strong>nen diese nicht als Unterbrechung <strong>de</strong>r Ar-<br />

beit am Dramentext begriffen, son<strong>de</strong>rn als organisch dar<strong>in</strong> e<strong>in</strong>gebun<strong>de</strong>n. Daher sehe ich<br />

mich <strong>in</strong> dieser Grun<strong>de</strong>ntscheidung <strong>de</strong>r Vorplanung durch <strong>de</strong>n Verlauf <strong>de</strong>r Unterrichts-<br />

reihe bestätigt.<br />

An<strong>de</strong>rs wür<strong>de</strong> ich <strong>in</strong> Zukunft jedoch bei <strong>de</strong>r Textanalyse selbst vorgehen. Die <strong>in</strong> Kap.<br />

2.4 ausgewiesene zweite Sequenz g<strong>in</strong>g ja eher kle<strong>in</strong>schrittig <strong>mit</strong> <strong>de</strong>r exemplarischen Be-<br />

handlung e<strong>in</strong>zelner Szenen chronologisch am Text entlang. Für die schwächeren Schü-<br />

ler<strong>in</strong>nen war dies sicherlich s<strong>in</strong>nvoll, da sie auf diese Weise angeregt wur<strong>de</strong>n, die Lektü-<br />

re <strong>de</strong>s Dramas schrittweise zu wie<strong>de</strong>rholen, um dadurch zu e<strong>in</strong>er besseren Kenntnis <strong>de</strong>s<br />

Textes zu gelangen, doch zeigte die Behandlung <strong>de</strong>r E<strong>in</strong>zelszenen e<strong>in</strong>e Reihe von Re-<br />

dundanzen, wodurch <strong>de</strong>r große Anteil <strong>de</strong>r leitstungsstarken Schüler<strong>in</strong>nen <strong>de</strong>s Kurses un-<br />

terfor<strong>de</strong>rt war. Die meisten Schüler<strong>in</strong>nen zeigten bereits zu Beg<strong>in</strong>n <strong>de</strong>r Unterrichtsreihe<br />

e<strong>in</strong>en hervorragen<strong>de</strong>n Überblick über <strong>de</strong>n Text, <strong>de</strong>r ja auch durch <strong>de</strong>n Arbeitsauftrag <strong>in</strong><br />

<strong>de</strong>r zweiten Stun<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Gesamtreihe, <strong>de</strong>n Verlauf <strong>de</strong>s „<strong>Ex</strong>periments“ <strong>de</strong>r Götter nachzu-<br />

zeichnen, gesichert wer<strong>de</strong>n konnte. Daher wäre e<strong>in</strong>e auf diesen Überblick über <strong>das</strong> Dra-<br />

ma bauen<strong>de</strong>, stärker an <strong>in</strong>haltlichen Grundproblemen orientierte Behandlung <strong>de</strong>s Dra-<br />

mas möglich und s<strong>in</strong>nvoll gewesen.<br />

Dies hätte auch e<strong>in</strong>e Schwierigkeit <strong>de</strong>r hier dokumentierten dritten Sequenz relativiert.<br />

Die Theorie <strong>de</strong>s <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong>s lässt sich im Sezuan-Stück am besten am 8. Bild er-<br />

arbeiten. Durch die textchronologische Vorgehensweise konnte aber <strong>das</strong> 8. Bild erst <strong>mit</strong><br />

großem Abstand zur Erarbeitung <strong>de</strong>r Grundlagen <strong>de</strong>r Theorie <strong>de</strong>s <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong>s er-<br />

folgen. Zwar wur<strong>de</strong> auch bei <strong>de</strong>r Behandlung <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Bil<strong>de</strong>r und <strong>in</strong>sbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>r<br />

Zwischenspiele immer wie<strong>de</strong>r darauf e<strong>in</strong>gegangen, doch zum Schwerpunkt wur<strong>de</strong> die<br />

Brechtsche <strong>Theater</strong>theorie nach <strong>de</strong>n drei <strong>E<strong>in</strong>führung</strong>sstun<strong>de</strong>n erst wie<strong>de</strong>r sieben Unter-<br />

richtsstun<strong>de</strong>n später. Es wäre unter Verzicht auf die textchronologische Vorgehensweise<br />

67


möglich gewesen, die Behandlung <strong>de</strong>s 8. Bil<strong>de</strong>s vorzuziehen und da<strong>mit</strong> <strong>in</strong> größere Nähe<br />

zu <strong>de</strong>n drei <strong>in</strong> die Theorie e<strong>in</strong>führen<strong>de</strong>n Stun<strong>de</strong>n zu rücken.<br />

Allerd<strong>in</strong>gs war ich hier an die Vorgabe <strong>de</strong>r Kurslehrer<strong>in</strong> gebun<strong>de</strong>n, <strong>das</strong>s die Klausur <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er Szenen<strong>in</strong>terpretation bestehen sollte, so <strong>das</strong>s ich, um diese zu üben, szenenweise<br />

vorgehen musste.<br />

68


5 Literaturverzeichnis<br />

5.1 Primärliteratur<br />

BRECHT, Bertold.: Schriften zum <strong>Theater</strong> I-III (=Gesammelte Werke 15-17). Frankfurt<br />

a.M. 1967 [zit. als GW + Bandangabe]<br />

DERS.: Anmerkungen zur Oper „Auftstieg und Fall <strong>de</strong>r Stadt Mahagonny“, GW 17, 1004-<br />

1016<br />

<strong>de</strong>rs.: Das <strong>epische</strong> <strong>Theater</strong>, GW 15, S. 263-316<br />

DERS.:, B: Der gute Mensch von Sezuan. Frankfurt a.M. 1964<br />

DERS.: Die Straßenszene. Grundmo<strong>de</strong>ll e<strong>in</strong>er Szene <strong>de</strong>s <strong>epische</strong>n <strong>Theater</strong>s. In: Der Mes-<br />

s<strong>in</strong>gkauf. GW 16, S. 546-558<br />

DERS.: Kle<strong>in</strong>es Organon für <strong>das</strong> <strong>Theater</strong>. GW 16, S. 661-709<br />

DERS.: Neue Technik <strong>de</strong>r Schauspielkunst, GW 15,339-379<br />

DERS.: Über experimentelles <strong>Theater</strong>. In: GW 15, 285-305<br />

LESSING, G.E.: Brief vom Nov. 1759 an Friedrich Nicolai. In: DERS.: Gesammelte Werke<br />

<strong>in</strong> 10 Bän<strong>de</strong>n. Hrsg. von Paul Rilla. Berl<strong>in</strong>/Weimar 1968, S. 74-80<br />

5.2 Sekundärliteratur<br />

BRECH, Ursula: Lektürehilfen Bertold Brecht „Der gute Mensch von Sezuan“. Stuttgart<br />

1987<br />

KNOPF, Jan: Brecht-Handbuch <strong>Theater</strong>. E<strong>in</strong>e Ästhetik <strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>rsprüche. Stuttgart 1980<br />

[zit. als Knopf (1980)]<br />

KNOPF, Jan (Hrsg.): Brechts Guter Mensch von Sezuan. Materialien. Frankfurt a.M.<br />

1982 [zit. als Knopf 1982]<br />

SOKEL, Walter H.: Figur, Handlung, Perspektive. Die Dramentheorie Bertolt Brechts. In:<br />

Grimm, Re<strong>in</strong>hold (Hrsg.): Deutsche Dramentheorien II. Beiträge zu e<strong>in</strong>er histori-<br />

schen Poetik <strong>de</strong>s Dramas <strong>in</strong> Deutschland. Wiesba<strong>de</strong>n 3 1981, S. 208-231<br />

VOLCKMANN, Silvia: Brechts <strong>Theater</strong> zwischen Abbild und Utopie. In: H<strong>in</strong>ck, Walter<br />

(Hrsg.): Handbuch <strong>de</strong>s <strong>de</strong>utschen Dramas. Düsseldorf 1980. S. 440-452<br />

69


5.3 Didaktische Literatur und Schulbücher<br />

BIERMANN, He<strong>in</strong>rich/SCHURF, Bernd (Hrsg.): Texte, Themen und Strukturen. Grundband<br />

Deutsch für die Oberstufe. Berl<strong>in</strong> 1997<br />

FRITZSCHE, Joachim (Hrsg.): Überschrift Deutsch. Arbeitsbuch Literatur und Kommuni-<br />

kation Sekundarstufe II. Hannover 1995 [zit. als Fritzsche (1995)]<br />

FRITZSCHE, Joachim: Zur Didaktik und Methodik <strong>de</strong>s Deutschunterrichts. Band 3: Um-<br />

gang <strong>mit</strong> Literatur. Stuttgart 1994 [zit. als Fritzsche (1994)]<br />

GÖBEL, Klaus: Das Drama im Unterricht. In: HINCK, Walter (Hrsg.): Handbuch <strong>de</strong>s <strong>de</strong>ut-<br />

schen Dramas. Düsseldorf 1980, S. 515-524.<br />

HAAS, Gerhard: Handlungs- und produktionsorientierter Literaturunterricht. Theorie ei-<br />

nes „an<strong>de</strong>ren“ Literaturunterrichts für die Primar- und Sekundarstufe. Seelze<br />

1997<br />

HAAS, Gerhard/MENZEL, Wolfgang/SPINNER, Kaspar H.: Handlungs- und produktionsori-<br />

entierter Literaturunterricht. In: Praxis Deutsch. Zeitschrift für <strong>de</strong>n Deutschunter-<br />

richt 123(1994), S. 17-25<br />

KERBER, Helmut: Unterrichsmo<strong>de</strong>ll zu Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“. Mün-<br />

chen 1998<br />

DER KULTUSMINISTER DES LANDES NORDRHEIN-WESTFALEN: Richtl<strong>in</strong>ien für die gymnasiale<br />

Oberstufe <strong>in</strong> Nordrhe<strong>in</strong>-Westfalen. Düsseldorf 1982 [zit. als Richtl<strong>in</strong>ien]<br />

METTENLEITER, Peter/KNÖBL, Stefan (Hrsg.): Blickfeld Deutsch. Oberstufe. Pa<strong>de</strong>rborn<br />

1991<br />

MITSCHKE, Maria: Bertolt Brecht „Der gute Mensch von Sezuan“. Unterrichtse<strong>in</strong>heiten<br />

zur Literatur. Puchheim 1992 [zit. als Mitschke 1992]<br />

DIES.: Das <strong>epische</strong> <strong>Theater</strong>. Aspekte zur Theorie. Puchheim 1990 [zit. als Mitschke<br />

1990]<br />

PELSTER, THEODOR/KREBS, Klaus: Deutsch Oberstufe. Sprache und Literatur. München<br />

3 1995<br />

PAYRHUBER, Franz-Josef: Das Drama im Unterricht. Aspekte e<strong>in</strong>er Didaktik <strong>de</strong>s Dramas.<br />

Analysen und empirische Befun<strong>de</strong> - Begründungen - Unterrichtsmo<strong>de</strong>lle. Rhe<strong>in</strong>-<br />

breitbach 1991<br />

SCHELLER, Ingo: Szenische Interpretation. In: Praxis Deutsch. Zeitschrift für <strong>de</strong>n<br />

Deutschunterricht. 136(1992)<br />

70


DERS,: Wir machen unsere Inszenierungen selber (I). Szenische Interpretation von Dra-<br />

mentexten. Theorie und Verfahren zum erfahrungsbezogenen Umgang <strong>mit</strong> Lite-<br />

ratur und Alltagsgeschichte(n). Ol<strong>de</strong>nburg 1993 [zit. als Scheller 1993a]<br />

DERS.: Wir machen unsere Inszenierungen selber (II). Szen. Interpretation von Dramen-<br />

texten. Verlaufspläne und Materialien für e<strong>in</strong>en erfahrungsbezogenen Umgang<br />

<strong>mit</strong> Literatur und Alltagsgeschichte(n). Ol<strong>de</strong>nburg 1993 [zit. als Scheller 1993b]<br />

SCHNEIDEWIND, Wolf-Egmar/SOWINSKI, Bernhard: Bertolt Brecht, Der gute Mensch von<br />

Sezuan (= Ol<strong>de</strong>nbourg Interpretationen 31). München 2 1996<br />

SPINNER, Kaspar H.: Brecht didaktisch. In: Praxis Deutsch. Zeitschrift für <strong>de</strong>n Deutsch-<br />

unterricht 148(1998) S. 16-22<br />

WALDMANN, Günter: Grundzüge von Theorie und Praxis e<strong>in</strong>es prokuktionsorientierten<br />

Literaturunterrichts. In: HOPSTER, Norbert (Hrsg.): Handbuch „Deutsch“ Sekun-<br />

darstufe I. Pa<strong>de</strong>rborn 1984 [zit. als Waldmann (1984)]<br />

WALDMANN, Günter: Produktiver Umgang <strong>mit</strong> <strong>de</strong>m Drama. Baldmannsweiler 2 1999 [zit.<br />

als Waldmann (1999)]<br />

71

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!