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Beelitzer Nachrichten - September 2013

Wittbrietzen hat aufgetafelt: Neue DorfGemeinschaftsMitte, Beelitz-Tag, Neubauern-Jubiläum: Eine Woche lang hat das Dorf gefeiert - und sich dabei neu erfunden. Auf Beeren-Jagd: Nach Spargel und Heidelbeeren wird jetzt die Aroniabeere zum Beelitzer Exportschlager. Landwirt Gerhard Jochen hat insgesamt fünf Tonnen geerntet. Unter Strom: Die Schlingnatter, Reptil des Jahres, kommt auch in Beelitz vor. Ihr Lebensraum unter einer Starkstromtrasse soll jetzt noch besser geschützt werden.

Wittbrietzen hat aufgetafelt: Neue DorfGemeinschaftsMitte, Beelitz-Tag, Neubauern-Jubiläum: Eine Woche lang hat das Dorf gefeiert - und sich dabei neu erfunden.
Auf Beeren-Jagd: Nach Spargel und Heidelbeeren wird jetzt die Aroniabeere zum Beelitzer Exportschlager. Landwirt Gerhard Jochen hat insgesamt fünf Tonnen geerntet.
Unter Strom: Die Schlingnatter, Reptil des Jahres, kommt auch in Beelitz vor. Ihr Lebensraum unter einer Starkstromtrasse soll jetzt noch besser geschützt werden.

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BEELITZER NACHRICHTEN<br />

hörten, flohen sie weiter zu Verwandten<br />

nach Rottstock und als auch<br />

hier am nächsten Tag gekämpft wurde,<br />

ging die Flucht weiter nach Freienthal.<br />

Herr Kaplick berichtet, dass sie zwei<br />

Tage nach diesen Kämpfen das Dorf<br />

verließen: „Die Deutschen sagten:<br />

´Also, ihr müsst verschwinden!´ Der<br />

Wagen stand ja schon fertig beladen<br />

unter dem Torhaus. Das kann man<br />

sich gar nicht vorstellen. Nur das<br />

Nötigste – und dann ab in Richtung<br />

Elbe. Zuerst sind wir bis nach Neuendorf<br />

gefahren. Dort waren wir –<br />

ich weiß nicht – zwei oder drei Tage.<br />

Mein Vater ist dann immer mit dem<br />

Fahrrad von Neuendorf nach Reesdorf<br />

gefahren, um die Kühe zu füttern.<br />

Dann kam die Front immer näher<br />

und wir mussten weiterfahren.<br />

Wir sind dann von Neuendorf in<br />

Richtung Brück gefahren. Vor Brück<br />

stand mitten in der Nacht alles voller<br />

Armee. Mit Autos. Wir mussten<br />

dann mit den Pferden durch den<br />

Wald durch. Unser Vater ist vorgegangen<br />

und hat geschaut, wo die<br />

Bäume breit genug auseinander standen,<br />

dass wir da durchkamen. Erst<br />

bis nach Freienthal und dann nach<br />

Damelang.“<br />

So war auch kaum ein Bewohner im<br />

Dorf, als ein Wagen mit Munition,<br />

der auf dem Hof der Familie H.<br />

(Dorfstraße 5) stand, von russischen<br />

Tieffliegern beschossen wurde. Die<br />

Explosion löste ein Feuer aus, das<br />

Haus und Wirtschaftsgebäude bis auf<br />

die Grundmauern niederbrennen ließ.<br />

Herr Thietke, dessen Familie als eine<br />

der wenigen nicht geflohen war, sah<br />

das gerade heruntergebrannte Gehöft:<br />

„Ich sehe noch heute vor mir<br />

die rote Glut und die beiden Schornsteine.<br />

Das war an dem Tag, als der<br />

Krieg dann vorbei war. (Anm.: Gemeint<br />

ist der Tag an dem die Kampfhandlungen<br />

im Bereich Reesdorf<br />

endeten – also der 1. Mai 1945.) Da<br />

sind wir ins Dorf gegangen (Anm.:<br />

Die Familie wohnte außerhalb des<br />

Rundlings.) – es hingen überall<br />

Drähte. Das Bild geht mir bis heute<br />

Der vorliegende Text<br />

basiert zu großen Teilen<br />

auf den Erinnerungen von<br />

Zeitzeugen, die in Reesdorf<br />

leben oder lebten<br />

und uns im Rahmen von<br />

mehrstündigen Interviews<br />

an ihren Lebensgeschichten<br />

teilhaben ließen.<br />

Durch Sie bleibt Reesdorfer<br />

Geschichte lebendig!<br />

Wir freuen uns auch wei-<br />

NR. 8 / 24. JAHRGANG<br />

nicht aus dem Kopf. Es ist noch genau<br />

so wie an dem Tag, als es passiert<br />

war.“<br />

Alle anderen Wohnhäuser des Ortes<br />

blieben weitgehend unversehrt, aber<br />

es brannten neun Scheunen, vier<br />

Ställe und ein Schuppen nieder. Darüber<br />

hinaus waren verschiedene Gebäude<br />

teilweise zerstört oder beschädigt.<br />

Der Großteil dieser Zerstörungen<br />

war auf Bomben oder massiven<br />

Tieffliegerbeschuss zurückzuführen.<br />

„Wir hatten unseren Wagen gepackt<br />

und waren mit den Pferden bis nach<br />

Neuendorf geflohen“ erzählt Frau<br />

Brüning. „Dann wollten wir wieder<br />

zurück, als uns Leute aus Beelitz<br />

begegneten, die sagten: ´Fahrt bloß<br />

nicht nach Reesdorf, ganz Reesdorf<br />

brennt!´ Dann wollten wir zu Verwandten<br />

nach Neschholz, als uns<br />

zwischen Brück und Trebitz Tiefflieger<br />

beschossen. Meine Schwester<br />

hatte ein Baby. Das hielt sie immer<br />

unter sich, um es zu schützen.“<br />

Am 1. Mai um 17.00 Uhr wurde mit<br />

der Losung „Y+3 Sommernachtstraum“<br />

vom Divisionsstab der Belziger<br />

Kommandantur der allgemeine<br />

Rückzugsbefehl der 12. Armee<br />

durchgegeben. Daraufhin verließ am<br />

späten Abend die Schwere Artillerie<br />

Reesdorf; auch die anderen noch im<br />

Bereich des Dorfes agierenden deutschen<br />

Soldaten zogen ab. Nun war<br />

der Weg für die endgültige Besetzung<br />

des Dorfes durch die Rote Armee<br />

frei. Da diese praktisch kampflos<br />

erfolgte, kam es zu keinen weiteren<br />

Zerstörungen im Dorf. Für die<br />

Reesdorfer ging der Krieg aber weiter.<br />

Viele waren noch auf der Flucht<br />

und kehrten häufig erst zurück, als<br />

sie von der Roten Armee eingeholt<br />

wurden, so dass sich das Dorf erst ab<br />

dem 4. oder 5. Mai langsam wieder<br />

füllte. Die Rückkehrer waren entsetzt<br />

über den Zustand ihres Reesdorf,<br />

denn sie hatten in den letzten Apriltagen<br />

ein Dorf verlassen, dessen Gebäude<br />

zwar Spuren der Kampfhandlungen<br />

aufwiesen, aber sonst weitgehend<br />

intakt waren. Nun waren nicht<br />

nur Scheunen und Ställe abgebrannt,<br />

terhin über Lebenserinnerungen<br />

oder Hinweise zur<br />

Reesdorfer Geschichte.<br />

Bitte kontaktieren Sie<br />

uns!<br />

Die Autorinnen<br />

Der Beitrag erscheint als<br />

Serie. Vollständig f indet<br />

man ihn auf beelitz.de.<br />

25. SEPTEMBER <strong>2013</strong>, SEITE 21<br />

sondern auch das komplette Gehöft<br />

der Familie H. Dieser Umstand verstärkte<br />

wahrscheinlich noch das Gefühl<br />

totaler Verwüstung, denn es<br />

handelte sich um eines der größeren<br />

Gehöfte im Dorf und es ist bis heute<br />

das erste, das man sieht, wenn man<br />

in den Rundling kommt, da es dem<br />

Eingang gegenüber liegt. Darüber<br />

hinaus hatten nicht nur die sowjetischen<br />

Soldaten, sondern auch die<br />

endlich befreiten Zwangsarbeiter, die<br />

auf ihrem Weg in die Heimat durch<br />

Reesdorf zogen, die Häuser nach<br />

Brauchbarem durchwühlt. „Als wir<br />

zurückkamen“ erinnert sich Frau<br />

Brüning „war aus den Stuben alles<br />

rausgeschmissen worden. Auf dem<br />

Hof lag ein großer Haufen – Knöpfe<br />

und Bratpfannen und sonstwas alles.<br />

In der Stube hatten sie eine große<br />

Tafel aufgebaut – Bettdecken und<br />

sowas hatten sie als Tischdecken<br />

genommen. Da haben sie gegessen<br />

und manche hatten ja noch Vieh dabei,<br />

das sie wohl geschlachtet und<br />

bei der Rast unterwegs hier gegessen<br />

haben. Und scheinbar haben sie hier<br />

auch übernachtet.“<br />

Für die Dorfbewohner war nun die<br />

Angst vor den Besatzern, die – geprägt<br />

durch den deutschen Vernichtungskrieg<br />

im Osten – nur wenig<br />

Veranlassung sahen, die deutsche<br />

Zivilbevölkerung zu schonen, das<br />

bestimmende Gefühl. Die Frauen des<br />

Dorfes versteckten sich Nacht für<br />

Nacht vor den sowjetischen Soldaten,<br />

die auch in Reesdorf Frauen<br />

vergewaltigten. Alle Reesdorferinnen,<br />

die zum Kriegsende keine kleinen<br />

Kinder mehr waren, berichten<br />

übereinstimmend, dass sie ständig in<br />

der Angst lebten, „dass die Soldaten<br />

kommen“ und viele Nächte (und<br />

wohl auch Tage) in kleinen Verschlägen,<br />

Löchern oder sonstigen<br />

Verstecken zusammengekauert verbrachten.<br />

Das Treiben ihrer Soldaten<br />

veranlasste die Rote-Armee-Führung<br />

zu Maßnahmen der Gesundheitsfürsorge.<br />

„Und dann haben sie alle<br />

Frauen aus dem Dorf zusammengeholt<br />

– ob alt oder jung. Wir mussten<br />

uns alle nackt ausziehen und dann<br />

haben sie uns da untersucht (Anm.:<br />

Die Untersuchungen fanden im Haus<br />

Dorfstraße 15 statt.),“ berichtet Frau<br />

Schone. Diese Untersuchung diente<br />

aber mit Sicherheit nicht der Gesunderhaltung<br />

der Dorfbevölkerung,<br />

sondern wurde aus Sorge um das<br />

Wohlergehen der Soldaten durchgeführt.<br />

Fortsetzung folgt

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