Heimat-Rundblick Nr. 104
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Frühjahr 2013<br />
1/2013 · 26. Jahrgang<br />
ISSN 2191-4257<br />
<strong>Nr</strong>. <strong>104</strong><br />
RUNDBLICK<br />
AUS DER REGION HAMME, WÜMME, WESER<br />
II N H A LL T<br />
GESCHICHTE · KULTUR · NATUR<br />
unter anderem:<br />
Salzstock Lesum<br />
Heinrich Schmidt-Barrien<br />
Serie: Vor 100 Jahren<br />
DGzRS – Rausfahren, wenn<br />
andere reinkommen<br />
Der große Brand von Lilienthal 1813<br />
150 Jahre Männergesangverein Concordia<br />
Einzelpreis € 4,50<br />
Lach- und Torfgeschichten<br />
Blume des Jahres 2013<br />
Im Strom der Zeit<br />
Sehens-/Lesenswertes<br />
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Titelbild:<br />
Die Truper Kapelle in Lilienthal.<br />
Foto: Rupprecht Knoop<br />
Foto: Erwin Duwe<br />
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Ja, ich möchte den HEIMAT-RUNDBLICK abonnieren.<br />
Zum Jahresvorzugspreis von € 18,– einschl. Versand.<br />
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Bezahlung:<br />
Überweisung auf Kto. 126 995 Kreissparkasse Lilienthal (BLZ 291 523 00)<br />
oder auf Kto. 73 1778 600 Volksbank Osterholz (BLZ 291 623 94)
Aus dem Inhalt<br />
Aktuelles<br />
Tim Wöbbeking<br />
Redaktionssitzung<br />
Johannes Rehder-Plümpe<br />
Seite 4<br />
Schmidt-Barrien-Preis 2013 Seite 16<br />
Lesenswertes Seite 30, 31<br />
Termine der <strong>Heimat</strong>vereine Seite 35<br />
<strong>Heimat</strong>geschichte<br />
Harald Steinmann<br />
Das Schmiedemuseum Beckedorf Seite 4<br />
Horst Plambeck<br />
Salzstock Lesum Seite 5–7<br />
Ralf Baur<br />
Rausfahren, wenn<br />
andere reinkommen Seite 8 + 9<br />
Peter Richter<br />
100 Jahre alt: Die Lilienthaler<br />
Friedhofskapelle Seite 13<br />
Rupprecht Knoop<br />
Der große Brand in Lilienthal<br />
von 1813 Seite 14 + 15<br />
Impressum<br />
Herausgeber und Verlag: Druckerpresse-Verlag UG (haftungsbeschränkt),<br />
Scheeren 12, 28865 Lilienthal, Tel. 04298/46 99 09,<br />
Fax 04298/3 04 67, E-Mail info@heimat-rundblick.de, Geschäftsführer:<br />
Jürgen Langenbruch M.A., HRB Amtsgericht Walsrode<br />
202140.<br />
Redaktionsteam: Tim Wöbbeking, Lindenallee 25, 27726<br />
Worpswede, Telefon 04792/95 21 48, Wilko Jäger (Schwanewede),<br />
Rupprecht Knoop (Lilienthal), Dr. Christian Lenz<br />
(Teufelsmoor), Ilse Mehnert (Grasberg), Peter Richter (Lilienthal),<br />
Manfred Simmering (Lilienthal), Dr. Helmut Stelljes<br />
(Worpswede).<br />
Beratung und ständige Mitarbeit: Gerhard Behrens (Worpswede),<br />
Prof. Dr. Hermann Cordes (Borgfeld), Hermann Giere<br />
(Schlußdorf), Jürgen Lodemann (Ritterhude), Siegfried Makedanz<br />
(Schwanewede), Rudolf Matzner (Bremen-Lesum), Dieter<br />
Meisner (Worpswede), Hans-Jürgen Paape (Bremen), Johannes<br />
Rehder-Plümpe (Borgfeld), Hans Siewert (Osterholz-Scharmbeck),<br />
Erwin Simon (Ritterhude), Harald Steinmann (Lilienthal).<br />
Für unverlangt zugesandte Manuskripte und Bilder wird keine<br />
Haftung übernommen. Kürzungen vorbehalten.<br />
Leserservice: Telefon 04298/46 99 09, Telefax 04298/3 04 67.<br />
Korrektur: Helmut Strümpler, Harald Steinmann.<br />
Erscheinungsweise: Vierteljährlich.<br />
Bezugspreis: Einzelheft 4,50 €, Abonnement 18,– € jährlich<br />
frei Haus. Bestellungen nimmt der Verlag entgegen; bitte<br />
Scheck, Bargeld, oder Abbuchungsermächtigung beifügen.<br />
Kündigung drei Monate vor Ablauf des Jahresabonnements.<br />
Bankverbindungen: Für Abonnements: Kreissparkasse Lilienthal<br />
(BLZ 291 523 00) Konto-<strong>Nr</strong>. 126 995, Volksbank Osterholz<br />
eG (BLZ 291 623 94) Konto-<strong>Nr</strong>. 731 778 600.<br />
Für Spenden und Fördervereins-Beiträge: Kreissparkasse<br />
Lilienthal (BLZ 291 523 00) Konto-<strong>Nr</strong>. 122 150, Volksbank<br />
Osterholz eG (BLZ 291 623 94) Konto-<strong>Nr</strong>. 732 737 400.<br />
Druck: Langenbruch, Lilienthal.<br />
Erfüllungsort: Lilienthal, Gerichtsstand Osterholz-Scharmbeck.<br />
Der HEIMAT-RUNDBLICK ist in Bremen in der Böttcherstraße/<br />
Ecke Andenkenladen zu bekommen, in Worpswede in der<br />
Buchhandlung Netzel, außerdem liegt er im Philine-Vogeler-<br />
Haus (Tourismus-Info) und dem Barkenhoff aus und ist im Fotoatelier<br />
Dieter Weiser erhältlich, natürlich auch im Verlagshaus<br />
Langenbruch in Lilienthal.<br />
RUNDBLICK Frühjahr 2013<br />
Harald Steinmann<br />
Truper Wappen und Siegel Seite 15<br />
Wilko Jäger<br />
Heinrich Schmidt-Barrien Seite 17<br />
Wilhelm Berger<br />
Die Ortschaft Teufelsmoor<br />
auf der Findorff-Karte Seite 21 – 23<br />
Hermann Pelke<br />
150 Jahre Männergesangverein<br />
Concordia Worpswede Seite 24<br />
Peter Kalmbach<br />
Standgerichte in<br />
Norddeutschland Seite 30<br />
Rudolf Matzner<br />
Ein Lesumer beim Tag der<br />
Deutschen Einheit 2012 Seite 34 + 35<br />
Kultur<br />
Tim Wöbbeking<br />
Im Strom der Zeit Seite 20<br />
Dr. Helmut Stelljes<br />
„Theater Alte Molkerei“<br />
in Worpswede Seite 25<br />
Beate C. Arnold<br />
Willy Meyer-Osburg Seite 26<br />
Natur<br />
Prof. Dr. Hermann Cordes<br />
Die Blume des Jahres 2012:<br />
Das Leberblümchen Seite 28<br />
Siegfried Makedanz<br />
Himmelsziege im Sinkflug Seite 29<br />
Serie<br />
Prof. Dr. Hermann Cordes<br />
Die Schulen in Borgfeld und Timmersloh<br />
– Teil 2: 1891 – 1945 Seite 10 – 12<br />
Peter Richter<br />
Vor 100 Jahren Seite 18 + 19<br />
Johann (Jan) Brünjes<br />
Lach- und Torfgeschichten Seite 23<br />
Mareike Haunschild<br />
Jugendseite –<br />
Kunst in Kinderschuhen Seite 27<br />
Johannes Rehder-Plümpe<br />
Blick in die Nachbarschaft: Wo die<br />
dunklen Tannen ragen Seite 32 + 33<br />
Redaktionsschluss für die nächste<br />
Ausgabe: 15. Mai 2013<br />
Neue<br />
Abonnenten<br />
Liebe Leserinnen<br />
und Leser,<br />
wie es damals vor 200 Jahren in Lilienthal<br />
zur Zeit der französischen<br />
Besatzung war, ist eines der Themen,<br />
welches unser Redaktionsmitglied<br />
Rupprecht Knoop für uns recherchiert<br />
hat und das wir unseren Lesern<br />
unbedingt präsentieren möchten.<br />
Mit dieser Reportage haben wir<br />
einen großen Schritt in die Vergangenheit<br />
gemacht.<br />
Aus der fast 150-jährigen Geschichte<br />
der DGzRS berichtet für uns Ralf Baur<br />
in der Reportage „Rausfahren, wenn<br />
andere reinkommen“ und gibt Auskunft<br />
über Geschichte und Arbeit des<br />
ausschließlich mit Spenden finanzierten<br />
Einsatzes der DGzRS.<br />
Wo die Blume des Jahres 2013 mit<br />
ihren wunderschönen blauen Blüten<br />
zu finden ist, hat Hermann Cordes<br />
für unsere Leser herausgefunden.<br />
Ebenso berichtet er im 2. Teil über<br />
die Schulen in Borgfeld und Timmersloh.<br />
Hier lesen Sie auch, warum<br />
ein Lehrer von Borgfeld nach Timmersloh<br />
versetzt wurde.<br />
Viele andere Berichte aus unserer<br />
<strong>Heimat</strong> und die beliebten Serien finden<br />
Sie wie gewohnt in dieser Ausgabe.<br />
Wir wünschen Ihnen nun viel Spaß<br />
beim Lesen.<br />
Tim Wöbbeking<br />
und Jürgen Langenbruch<br />
Um das weitere Erscheinen unserer<br />
Zeitschrift zu gewährleisten, sind wir<br />
natürlich auf neue Abonnenten angewiesen.<br />
Hiermit möchten wir Ihnen einen kleinen<br />
Anreiz bieten, sich zum Abschluss<br />
eines neuen Abonnements zu entschließen:<br />
Die nächsten fünf neuen Abonnenten<br />
erhalten jeweils zwei Eintrittskarten für<br />
die Große Kunstschau Worpswede.<br />
Die Redaktion Foto: Helmut Stelljes<br />
3
Redaktionssitzung<br />
Mit einer Besichtigung des Schmiedemuseums<br />
Beckedorf begann die Redaktionssitzung<br />
zur vorliegenden Ausgabe. Am<br />
26. Januar 2013 trafen wir uns bei typischem<br />
Winterwetter in der Bremer<br />
Schweiz, in der historischen Schmiede,<br />
welche sich ausschließlich durch Spenden<br />
finanziert. Wir erfuhren vieles über den<br />
Walfang, welcher in unserer Region und<br />
besonders an der Weser damals eine große<br />
Rolle spielte und vielen Menschen Arbeit<br />
gab, sowie von den harten Bedingungen<br />
an Bord der Schiffe, von der kräftezehrenden<br />
Arbeit in den von Rudern angetriebenen<br />
Harpunenschiffen und der oft einseitigen<br />
Ernährung an Bord der Walfangschiffe,<br />
welche oft wochenlang in der eisigen<br />
See unterwegs waren. Anhand von<br />
Harpunen, Filmen und einer Ausstellung<br />
mit Schautafeln und Utensilien der Walfänger<br />
konnten wir uns gut in die Zeit der<br />
Walfänger versetzen. Die Kälte und der<br />
Schneefall ließen uns etwas mehr nachempfinden,<br />
wie hart der Einsatz in der eisigen<br />
See damals war.<br />
Vor Beginn der Redaktionssitzung trafen<br />
sich die Redakteure im Schmiedemuseum<br />
in Beckedorf. Die Anfahrt war gut beschrieben:<br />
Nach dem Verlassen der B 74 auf der<br />
Hammersbecker Straße am Zentralkrankenhaus<br />
Nord vorbei, dann nach links in<br />
die Löhstraße, die in „An der Waldschmiede“<br />
übergeht. Und da liegt rechter<br />
Hand schon das Schmiedemuseum, eine<br />
wohlige Wärme beim Eintreten empfängt<br />
zwanzig wissbegierige Redakteure. Mit<br />
guter Fachkenntnis erläutert Norbert<br />
Krause die ausgestellten Stücke, verbindet<br />
seinen Vortrag mit dem Stummfilm aus<br />
den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts,<br />
der parallel dazu läuft. Man weiß überhaupt<br />
nicht, an welcher Stelle die Spannung<br />
am größten ist! Man hat das Werkzeug,<br />
mit dem die Walfänger vor Grönland<br />
auf die Jagd gingen, hier vor Augen. Die<br />
Schaluppe, gerudert von sechs Männern,<br />
Die historische Schmiede<br />
Im Anschluss wurde uns die eigentliche<br />
Schmiede gezeigt, die sich noch im Originalzustand<br />
befindet und voll funktionstüchtig<br />
ist. Wie hier gearbeitet wurde<br />
und auch noch wird, konnten wir anhand<br />
von Schaustücken und von den ehrenamtlich<br />
arbeitenden Mitarbeitern der<br />
Schmiede erfahren.<br />
Die Schmiede ist freitags von 15–18 Uhr<br />
geöffnet. Anmeldungen können bei Karl-<br />
vom Harpunier im Bug lautstark angetrieben,<br />
folgt dem Wal und nähert sich ihm<br />
auf bis zu 6 m. Mit enormer Kraft schleudert<br />
der Harpunier die Harpune in den Körper<br />
des Grönlandwals, dessen Zunge allein<br />
bis zu 900 kg wiegt. Der Wal hat seinen<br />
Todeskampf beendet, liegt längsseits am<br />
Schiff. Die großen Speckspaten treten in<br />
Aktion, schälen die beim Grönlandwal bis<br />
zu 60 cm dicke Speckschicht ab.<br />
Der eigentlich noch ländliche Raum von<br />
Grohn bis Rekum war Ausgangspunkt der<br />
Hochseeschifffahrt mit Segelschiffen, für<br />
den Bau auf den zahlreichen Werften und<br />
als <strong>Heimat</strong>hafen. Die kleine Dorfschmiede,<br />
die Wilhelm Wildhack betrieb, der aus<br />
Stuttgart als Wandergeselle hier sesshaft<br />
wurde, profitierte davon. Neben den<br />
benötigten Eisenteilen für die ganz aus<br />
Holz gebauten Schiffe, waren es die<br />
Ausrüstungsgegenstände der Walfänger,<br />
Heinz Grube unter Tel. 0421/653281<br />
abgestimmt werden.<br />
Leicht durchgefroren begaben wir uns im<br />
Anschluss in das Restaurant „Zum Rosenbusch“,<br />
wo wir uns erstmal bei heißem Kaffee<br />
und leckerem Kuchen stärkten.<br />
Sehr positiv vermerken konnten wir,<br />
dass alle Anwesenden ein Thema für den<br />
<strong>Heimat</strong>-<strong>Rundblick</strong> <strong>Nr</strong>. <strong>104</strong> parat hatten,<br />
sodass auch diese Ausgabe vielseitig und<br />
abwechslungsreich geworden ist.<br />
Verleger Jürgen Langenbruch bedankte<br />
sich für den Einsatz und verkündete, dass<br />
er mit großer Freude den <strong>Heimat</strong>-<strong>Rundblick</strong><br />
herausgibt. Besonders über Anzeigen<br />
würde er sich freuen, denn damit könne<br />
man auch zukünftig ein größeres Themenspektrum<br />
durch eine weiterhin erhöhte<br />
Seitenanzahl bieten. Motiviert durch die in<br />
den letzten Monaten gestiegene Zahl der<br />
Abonnenten haben wir uns entschlossen,<br />
den nächsten fünf neuen Abonnenten je<br />
zwei Freikarten für die Große Kunstschau<br />
Worpswede zukommen zu lassen.<br />
Text: Tim Wöbbeking<br />
Fotos: Helmut Stelljes<br />
Viele historische Werkzeuge und Techniken geben einen Einblick in die Arbeit des Schmiedes Die Dauerausstellung zum Thema Walfang<br />
Das Schmiedemuseum in Beckedorf<br />
die hier geschmiedet wurden. Natürlich<br />
gehörten auch der Hufbeschlag, bei dem<br />
man jeden Nagel noch einzeln herstellte,<br />
und Reparaturarbeiten auf den Höfen zum<br />
Alltag der Waldschmiede.<br />
Karl Heinz Grube heizt die Esse noch einmal<br />
an, zeigt mit geschickten Händen, wie<br />
sich das warme Eisen formen lässt. Er<br />
betätigt sich als Hufschmied, stellt die Stufen<br />
vom Rohling bis zum fertigen Hufeisen<br />
vor. An der Wand Werkzeuge, die vom<br />
Team des Schmiedemuseums gefertigt<br />
wurden. - Man bekommt ein Empfinden<br />
dafür, wie dieser kleine Raum sich in sommerlicher<br />
Hitze aufheizt.<br />
Ein Besuch dieses kleinen aber feinen<br />
Museums lohnt sich! Öffnungszeit freitags<br />
von 15.00 bis 18.00 Uhr und nach Vereinbarung<br />
mit Karl Heinz Grube unter Tel.<br />
0421-653281.<br />
Harald Steinmann<br />
4 RUNDBLICK Frühjahr 2013
Verborgene Energiereserven im<br />
„Salzstock Lesum“<br />
Bremen-Burg-Grambke. In riesigen<br />
unterirdischen Salzstockspeichern werden<br />
im Nordbremer Stadtteil Burglesum ein<br />
Teil der deutschen Dieselöl-Notvorräte<br />
sowie Erdgas für die Region Bremen gelagert.<br />
Am nordwestlichen Rand Bremens, im<br />
Burglesumer Ortsteil Burg-Grambke, bestehen<br />
drei verschiedene Untergrundspeicher,<br />
in denen große Mengen an Öl und<br />
Gas gelagert werden. Die benachbarten<br />
Betriebsgelände der Speicheranlagen sind<br />
alle in Grambke auf einem Areal zwischen<br />
dem Brokkampweg und dem Lesumdeich<br />
gelegen, nahe der Bundesautobahn 27. Im<br />
geologischen Untergrund befindet sich<br />
dort ein mächtiger Salzstock, der seit mehr<br />
als vierzig Jahren für die Lagerung von<br />
Energiereserven genutzt wird, anfangs für<br />
Öl im Rahmen der gesetzlichen Mineralölbevorratung<br />
für Krisenfälle und inzwischen<br />
auch für Erdgas. Dazu wurden im Grambker<br />
Salzstock seit Ende der 1960er Jahre<br />
insgesamt neun sogenannte Kavernen –<br />
riesige unterirdische, künstlich geschaffene<br />
Hohlräume – gebaut, von denen<br />
heute vier für die Lagerung von Erdgas verwendet<br />
werden. Die Salzstock-Speicherkavernen<br />
liegen in einer Tiefe von bis zu<br />
1.650 Meter.<br />
Der „Kavernenspeicher Lesum“, der von<br />
der Nord-West Kavernengesellschaft für<br />
den Erdölbevorratungsverband betrieben<br />
wird, umfasst fünf Kavernen und dient der<br />
Lagerung von etwa 1,1 Millionen Tonnen<br />
Dieselöl als Teil von Deutschlands Notvorrat.<br />
Die beiden Gasspeicheranlagen, die<br />
jeweils gleichlautend als „Erdgasspeicher<br />
Lesum“ bezeichnet werden, nutzen je zwei<br />
Kavernen. Die größere Anlage hat ein<br />
sogenanntes Arbeitsgasvolumen von etwa<br />
158 Millionen Kubikmeter und wird heute<br />
von der Storengy Deutschland, die zum<br />
RUNDBLICK Frühjahr 2013<br />
Schema einer Kaverne, die zur Zwischenlagerung<br />
von Erdgas dient. Das angelieferte Gas wird komprimiert<br />
und in de Kaverne eingepresst. Beim Entnehmen<br />
findet eine sogenannte Entspannung statt<br />
und das Erdgas muss vorm Einspeisen ins öffentliche<br />
Netz getrocknet werden<br />
französischen Energiekonzern GDF Suez<br />
gehört, betrieben. Betreiber der kleineren<br />
Gasspeicheranlage mit einem Arbeitsgasvolumen<br />
von etwa 75 Millionen Kubikmeter<br />
ist der Bremer Energieversorger swb.<br />
Die Bezeichnung der örtlich in Grambke<br />
und nicht etwa in Bremen-Lesum liegenden<br />
drei Speicheranlagen mit „Lesum“ ist<br />
darauf zurückzuführen, dass der Salzstock,<br />
in dem die Kavernen geschaffen wurden,<br />
Nur weniges lässt vermuten, welch riesige Speicher sich unter der Erde befinden<br />
von den Geologen „Salzstock Lesum“<br />
genannt wurde. Es handelt sich dabei um<br />
die einzige große Ansammlung von festem<br />
Steinsalz im geologischen Untergrund auf<br />
Bremer Gebiet.<br />
Lagerung von Öl und Gas<br />
im Grambker Salzstock<br />
Im Jahr 1969 wurde beim Grambker<br />
Salzstock mit dem „Abbau von Salz“<br />
begonnen und die erste Kavernenbohrung<br />
vorgenommen. Anlass war die sogenannte<br />
Mineralölpflichtbevorratung, die<br />
1966 gesetzlich eingeführt wurde.<br />
Neben dieser strategischen Ölreserve, mit<br />
der für Krisenfälle vorgesorgt werden<br />
sollte, wurde von 1974 bis 1981 zusätzlich<br />
noch eine so genannte Bundesrohölreserve<br />
aufgebaut, die bis 1997 bestand.<br />
Hintergrund war der rapide Anstieg des<br />
Ölpreises in den 1970er Jahren infolge<br />
einer politisch motivierten Minderung der<br />
Erdölförderung durch die Organisation<br />
erdölexportierender Länder (OPEC), dem<br />
entgegen gewirkt werden sollte. 1978<br />
wurde der Erdölbevorratungsverband<br />
geschaffen, dem als Pflichtmitglieder alle<br />
deutschen Unternehmen angehören, die<br />
Öl einführen oder verarbeiten, insbesondere<br />
die großen Mineralkonzerne. Grundlage<br />
war das Erdölbevorratungsgesetz, das<br />
inzwischen mehrmals novelliert wurde. Es<br />
besagt heute, dass der Verband für Krisenfälle<br />
Rohöl, Ottokraftstoff (Motorenbenzin),<br />
Dieselkraftstoff (Dieselöl), leichtes<br />
Heizöl und Flugturbinenkraftstoff (Kerosin)<br />
jeweils in einer Menge bevorraten muss,<br />
die dem Verbrauch Deutschlands von 90<br />
Tagen entspricht. Ein erheblicher Teil der<br />
Vorratsbestände wird unterirdisch in<br />
Kavernen gelagert, und zwar vor allem<br />
Rohöl.<br />
5
Eine der 58 Kavernen, die von der NWKG betrieben werden Die Anlage der Storengy Deutschland Weser GmbH<br />
Nachdem Erdgas zuvor in den USA und<br />
seit den 1960er Jahren auch in Europa<br />
zunehmend an Bedeutung als Energieträger<br />
gewonnen hat, werden Kavernen<br />
inzwischen auch zur Speicherung von Erdgas<br />
genutzt. Erdgas wird vor allem als Wärmeenergie<br />
verwendet und hat deshalb<br />
einen stark schwankenden Bedarf: Im Winterhalbjahr<br />
ist er hoch, im Sommer deutlich<br />
niedriger. Die Förderung von Erdgas<br />
wird allerdings über das Jahr in der Regel<br />
weitgehend konstant betrieben, sodass<br />
eine Zwischenlagerung erforderlich wird,<br />
die vor allem in unterirdischen Kavernen<br />
erfolgt. In Zeiten mit niedrigem Verbrauch<br />
wird es dort eingelagert und bei hohem<br />
Verbrauch wieder in das Verteilernetz eingespeist.<br />
Die Gaszwischenlagerung im<br />
Untertage-Erdgasspeicher ermöglicht so<br />
eine kontinuierliche Belieferung mit entsprechend<br />
kostengünstigeren Lieferkonditionen<br />
und kann zudem zur Überbrückung<br />
von temporären Liefereinschränkungen<br />
beitragen.<br />
Die beiden Erdgasspeicher in Grambke<br />
gehören zu den wenigen Speichern in<br />
Deutschland, in denen sogenanntes L-Gas<br />
(low-calorific gas) bevorratet wird. L-Gas,<br />
das einen etwas geringeren Energiegehalt<br />
als das inzwischen mehr verbreitete und<br />
meist aus der Nordsee oder den GUS-Staaten<br />
stammende, sogenannte H-Gas (highcalorific<br />
gas) aufweist, hat in Deutschland<br />
zurzeit noch einen Anteil von etwa 30 Prozent<br />
am gesamten Gasverbrauch. Es<br />
kommt vor allem in Niedersachsen, Bremen<br />
und Nordrhein-Westfalen zum Einsatz.<br />
Die Hauptfördergebiete liegen in Niedersachsen<br />
und in den Niederlanden.<br />
Die Herstellung von Kavernen in Salzstöcken<br />
beruht auf der chemischen Grundlage<br />
„Wasser löst Salz auf“ und erfolgt bei<br />
jeder Salzkaverne, so auch bei der Grambker<br />
Salzformation, nach dem gleichen Solprozess:<br />
Zunächst wird eine Bohrung<br />
gesetzt, in der zwei sogenannte, zementierte<br />
Rohrtouren zur Stabilisierung oberflächennaher<br />
Schichten und als durchgängige<br />
Verbindung zum Salz eingebracht<br />
werden. Über verschiedene, in den variablen<br />
Rohrtouren eingebaute Rohre wird<br />
dann kontinuierlich Wasser eingepumpt<br />
und zugleich die entstehende Sole ständig<br />
abgepumpt. Das feste Steinsalz wird dabei<br />
allmählich vom Wasser ausgelaugt und<br />
aufgelöst, sodass nach und nach ein<br />
Hohlraum entsteht. Das Aussolen einer<br />
Kaverne, wie Fachleute den Vorgang nennen,<br />
dauert bis zu zweieinhalb Jahre. Die<br />
Sole wird bei den in Norddeutschland liegenden<br />
Kavernenspeichern meist über<br />
Flüsse in die Nordsee abgeleitet. Bei den<br />
Grambker Salzstock-Kavernen erfolgt dies<br />
über eine acht Kilometer lange Solefernleitung,<br />
die durch das Werderland zur Weser<br />
führt und bei Lemwerder in den Fluss mündet.<br />
Das Frischwasser wird in Nähe der drei<br />
Betriebsplätze jeweils aus der Lesum entnommen<br />
und in die Kavernen gepumpt.<br />
Bei der Ölspeicherung wird das Öl dann<br />
mit hohem Druck über ein gesondertes<br />
Rohr in die Salzstock-Kavernen eingepumpt<br />
und verdrängt die Sole nach unten.<br />
Die daraufhin langsam in den Wasserrohren<br />
aufsteigende Sole wird abgeleitet. Das<br />
Öl verbindet sich weder mit der Sole noch<br />
mit dem umgebenden Steinsalz, das wie<br />
eine Tankwand wirkt, und es spült den<br />
Salzstock auch nicht aus. Beim Auslagern<br />
von Öl wird Wasser mit geringem Druck<br />
durch den Befüllrohrstrang in die Kaverne<br />
geleitet. Das „leichtere“ Öl schwimmt auf<br />
und kann mit Hilfe von Pumpen über den<br />
Entnahmerohrstrang an die Oberfläche<br />
befördert werden, von wo aus es zu Tankund<br />
Verteilungslagern weitertransportiert<br />
wird. Bei jeder Öl-Befüllung wird die<br />
Kaverne geringfügig mit der durch die<br />
Wassereinleitung entstehenden Sole ausgespült<br />
und erweitert sich etwas.<br />
Bei der Erstbefüllung einer Salzstock-<br />
Kaverne mit Erdgas, die bis zu einem halben<br />
Jahr dauern kann, verdrängt hingegen<br />
das unter hohem Druck eingepumpte Gas<br />
die Sole, die dann abgeleitet wird. Die<br />
Dichtigkeit und zugleich der Erhalt der<br />
Kaverne wird durch sogenanntes Kissengas<br />
erreicht, das ständig und mit einem<br />
Druck von 30 bar in der Kaverne verbleiben<br />
muss, damit der künstlich geschaffene<br />
Hohlraum dem Gebirgsdruck standhalten<br />
kann und nicht „sofort“ zusammengedrückt<br />
wird. Dennoch schrumpft das Fassungsvolumen<br />
von Erdgaskavernen kontinuierlich,<br />
weil der Gebirgsdruck so hoch<br />
ist, dass sich trotz des in der Kaverne verbleibenden<br />
Kissengases der Hohlraum sehr<br />
langsam wieder schließt.<br />
Die in Grambke geschaffenen Kavernen<br />
sind riesig; sie sind etwa 150 bis 300 Meter<br />
hoch und haben einen Durchmesser von<br />
etwa 30 bis 40 Meter. Ihr Rauminhalt<br />
beträgt ja nach Größe 200.000 bis<br />
300.000 Kubikmeter. Nur die sogenannten<br />
Kavernenköpfe verraten, an welcher<br />
Stelle auf den drei Betriebsgeländen die<br />
Hohlräume liegen. Sie bestehen sowohl<br />
bei der Ölspeicher- als auch bei den beiden<br />
Erdgasspeicheranlagen aus zahlreichen<br />
dicken Metallrohren, Ventilen, Reglern,<br />
Druckpumpen und anderen technischen<br />
Einrichtungen, die sich teils unter containerähnlichen<br />
Abdeckungen verbergen<br />
und teils offenliegen.<br />
Insgesamt wurden neun Hohlräume in<br />
den Grambker Salzstock gebaut. Gesehen<br />
hat die unterirdischen Höhlen indes noch<br />
kein Mensch, es gibt keine Zugänge. Vielmehr<br />
sind die Kavernen komplett befüllt,<br />
entweder mit Sole oder gemäß dem<br />
Bestimmungszweck mit Öl bzw. Gas. Die<br />
Kavernenspeicher unterliegen den Bestimmungen<br />
des Bundesberggesetzes sowie<br />
der Störfallverordnung.<br />
Speicherkavernen<br />
und Betreiber<br />
Wer im Bereich des idyllischen Lesumdeiches<br />
in Grambke einen Spaziergang<br />
unternimmt, wird kaum vermuten, dass<br />
sich tief unter ihm in einem Salzstock verborgene,<br />
riesige Energiereserven befinden.<br />
Zwischen einer Biegung des Flusses Lesum<br />
und der Autobahn 27 liegen am Brokkampweg,<br />
inmitten von grünen Wiesen<br />
die eher unscheinbar wirkenden Betriebs-<br />
6 RUNDBLICK Frühjahr 2013
Eines der unscheinbaren Gebäude<br />
gelände der drei verschiedenen Speicheranlagen.<br />
Außer jeweils einigen Flachbauten<br />
und überschaubaren technischen<br />
Anlagen geben nur die Firmenschilder an<br />
den drei Zufahrten Auskunft darüber, was<br />
sich dort unter der Erde verbirgt:<br />
„Kavernenspeicher Lesum“ der NWKG<br />
Das Betriebsgelände des Öl-Kavernenspeichers,<br />
der von der Nord-West<br />
Kavernengesellschaft mbH (NWKG) betrieben<br />
wird, befindet sich am östlichen<br />
Ende des Brokkampwegs, nahe der A 27.<br />
Der Salzstockspeicher liegt bis zu 1.000<br />
Meter unter der Erdoberfläche und besteht<br />
aus fünf einzelnen Kavernen.<br />
Im Kavernenspeicher Lesum werden<br />
etwa 1,1 Millionen Tonnen Dieselkraftstoff<br />
gelagert. Sie gehören zu den nationalen<br />
Ölreserven, die vom Erdölbevorratungsverband<br />
(EBV) als Selbstverwaltungskörperschaft<br />
öffentlichen Rechts für Krisenfälle<br />
vorgehalten werden. So weit diese<br />
nationalen Notvorräte unterirdisch gelagert<br />
werden, erfolgt dies entweder in<br />
Eigentumskavernen des EBV oder in Kavernen,<br />
die der EBV bei Partnern unter Vertrag<br />
genommen hat. Betrieben werden die<br />
eigenen Kavernen von der NWKG, bei der<br />
es sich um eine 100-prozentige Tochtergesellschaft<br />
des EBV handelt und die ihren<br />
Sitz in Wilhelmshaven hat. Der Erdölbevorratungsverband,<br />
der seinen Sitz in Hamburg<br />
hat, unterhält insgesamt vier Kavernenspeicher,<br />
die in Wilhelmshaven-<br />
Rüstringen, „Bremen-Lesum“ (eigentlich<br />
Bremen-Grambke), Heide in Schleswig-<br />
Holstein und Sottorf bei Hamburg gelegen<br />
sind. Diese Standorte umfassen zurzeit insgesamt<br />
58 Kavernen, womit die NWKG<br />
derzeit der größte Betreiber von Flüssigkeitskavernen<br />
in Europa ist. Nach dem Vorratslager<br />
in Wilhelmshaven-Rüstringen mit<br />
mehr als sechs Millionen Kubikmeter Speichervolumen<br />
ist der Kavernenspeicher<br />
Lesum der zweitgrößte der NWKG.<br />
Zur Entnahme des Öls können bei der<br />
Grambker Speicheranlage durch das<br />
Einpumpen von Wasser aus der Lesum bis<br />
zu 400 Kubikmeter Dieselöl pro Stunde<br />
nach oben befördert und über eine etwa<br />
5,5 Kilometer lange Pipeline direkt zum<br />
Hafenterminal von Weser Tanking an der<br />
Hüttenstraße geleitet werden. In einem<br />
RUNDBLICK Frühjahr 2013<br />
etwaigen Krisenfall stünde das Öl so<br />
schnell zur Verladung und zum Weitertransport<br />
zur Verfügung. Indes sind die<br />
Dieselölreserven in Grambke bislang noch<br />
nie angezapft worden. Zuletzt wurde<br />
Anfang der 2000er Jahre ein Teil des Öls<br />
lediglich ausgetauscht, um die Ölreserve<br />
an die damals geänderten Spezifikationen<br />
für Dieselkraftstoff wie zum Beispiel den<br />
verringerten Schwefelanteil anzupassen.<br />
„Erdgasspeicher Lesum“ der Storengy<br />
Unmittelbar neben sowie westlich von<br />
der NWKG-Ölspeicheranlage liegt am<br />
Brokkampweg das Betriebsgelände des<br />
seit September 2011 zur Storengy<br />
Deutschland gehörenden Erdgasspeichers<br />
Lesum. Die zur Speicherung von L-Gas<br />
genutzte Salzstock-Speicherkaverne verfügt<br />
über 2 Kavernen, die 2002 in Betrieb<br />
genommen wurden. Sie liegen in einer<br />
Tiefe von bis zu 1.650 Meter unter der<br />
Erdoberfläche und haben ein Gesamtvolumen<br />
von etwa 205 Millionen Kubikmeter<br />
Erdgas. Davon sind etwa 159 Mio. Kubikmeter<br />
als Arbeitsgas nutzbar. Die übrigen<br />
etwa 46 Mio. Kubikmeter sind Kissengas,<br />
das zum Erhalt der Gaskaverne dient.<br />
Der Erdgasspeicher Lesum wurde früher<br />
von der ExxonMobil Gasspeicher Deutschland<br />
GmbH (EMGSG) mit Sitz in Hannover<br />
betrieben, die zur Mobil Erdgas Erdöl<br />
GmbH und damit zum internationalen<br />
Mineralölkonzern ExxonMobil gehörte.<br />
2011 wurde die EMGSG an die Storengy<br />
Deutschland Infrastructures GmbH veräußert,<br />
eine Tochtergesellschaft der französischen<br />
Storengy SA, die zum internationalen<br />
Energieversorgungskonzern GDF<br />
Suez SA gehört. Die EMGSG wurde im<br />
September 2011 zur Storengy Deutschland<br />
Weser GmbH umfirmiert, von welcher<br />
der Erdgasspeicher Lesum an ein Tochterunternehmen<br />
verpachtet wurde. Nach firmeninternen<br />
Umstrukturierungen wird<br />
der Erdgasspeicher heute von der Storengy<br />
Deutschland GmbH mit Sitz in Berlin<br />
betrieben, während die technische<br />
Betriebsführung der Speicheranlage bei<br />
der Storengy Deutschland Betrieb Nord<br />
GmbH mit Sitz in Bremen liegt.<br />
„Erdgasspeicher Lesum“ der swb<br />
Westlich von der ExxonMobil-Gasspeicheranlage<br />
und etwa in der Mitte des Brok-<br />
kampwegs befindet sich das Betriebsgelände<br />
der Gasspeicheranlage des Bremer<br />
Energieversorgers swb AG. Die von<br />
der swb genutzte Salzstock-Speicherkaverne<br />
liegt in einer Tiefe zwischen 1.000<br />
und 1.300 Meter unter der Erdoberfläche,<br />
besteht aus zwei Kavernen und fasst etwa<br />
92 Millionen Kubikmeter Erdgas. Davon<br />
sind etwa 75 Mio. Kubikmeter als Arbeitsgas<br />
nutzbar, was ungefähr acht Prozent<br />
des jährlichen Bremer Gasbedarfs entspricht.<br />
Die übrigen etwa 17 Mio. Kubikmeter<br />
Gas dienen als Kissengas zum Erhalt<br />
des Kavernenspeichers. Im Jahr 1987<br />
wurde eine bereits vorhandene, in den<br />
1970er Jahren für die Bevorratung mit<br />
Erdöl geschaffene Kaverne von der swb als<br />
Erdgaskaverne umgerüstet. 1991 wurde<br />
eine weitere Gaskaverne gesolt, die 1993<br />
in Betrieb ging. Betrieben wird der Untergrundspeicher<br />
in Grambke von der swb<br />
Netze GmbH & Co. KG, dem Netzbetreiber<br />
der swb-Unternehmensgruppe in der<br />
Stadt Bremen.<br />
Die Unternehmensgruppe swb AG, die<br />
1999 durch Umwandlung und Privatisierung<br />
aus den früheren Stadtwerken Bremen<br />
hervorging, versorgt über mehrere<br />
Tochtergesellschaften die Städte Bremen<br />
und Bremerhaven nicht nur mit Fernwärme,<br />
Trinkwasser und Strom, sondern<br />
auch mit Erdgas. Außerdem setzt die swb<br />
selbst Erdgas für die Energieerzeugung ein,<br />
wie in ihrem Heizkraftwerk in Bremen-<br />
Hastedt, wo aus Steinkohle und Erdgas<br />
Strom und Fernwärme produziert werden.<br />
Zusätzlich wird das im Bau befindliche<br />
Gas- und Dampfturbinen-Kraftwerk in<br />
Bremen-Mittelsbüren, das so genannte<br />
Gemeinschaftskraftwerk Bremen (GKB),<br />
Strom aus Erdgas produzieren. Das GKB<br />
wird von der swb gemeinsam mit vier Partnern<br />
errichtet, die Inbetriebnahme ist<br />
gegen Ende 2013 geplant. Das Erdgas<br />
wird von der swb von verschiedenen<br />
Vorlieferanten bezogen und stammt<br />
hauptsächlich aus Erdgasfeldern in Niedersachsen,<br />
dem Gebiet um das niederländische<br />
Groningen und Norwegen.<br />
Für die Zwischenlagerung nutzt die swb<br />
ihre Erdgaskaverne in Grambke, wobei<br />
ökonomische Gründe mit eine Rolle spielen.<br />
Vor allem dient der unterirdische Erdgasspeicher<br />
jedoch zur Sicherstellung der<br />
Versorgung, wie dies auch bei den beiden<br />
anderen „verborgenen Energiereserven im<br />
Salzstock Lesum“ – der Erdgasspeicheranlage<br />
der Storengy und der Ölspeicheranlage<br />
der NWKG – der Fall ist.<br />
Text: Horst Plambeck<br />
Fotos: Tim Wöbbeking<br />
Grafik: swb AG, Bremen<br />
Quellenangabe:<br />
Veröffentlichungen und Websites der im Artikel<br />
genannten Unternehmen sowie des Bundesamtes<br />
für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle<br />
(BAFA), Eschborn – Berichte im Weser-<br />
Kurier und in der Norddeutschen, Bremen.<br />
7
Rausfahren, wenn andere reinkommen<br />
Aus der 150-jährigen Geschichte der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS)<br />
In der Elbmündung kollidieren im dichten<br />
Schneesturm zwei Containerschiffe.<br />
Nordöstlich von Rügen kentert im Orkan<br />
eine Fähre in der aufgewühlten Ostsee.<br />
Flensburger Förde: Ein Passagier auf einem<br />
Fahrgastschiff erleidet einen Herzinfarkt.<br />
Vor der Weser treibt ein Fischkutter<br />
manövrierunfähig auf die gefährlichen<br />
Untiefen der Nordergründe zu.<br />
Hinter derartigen Fällen, die sich so oder<br />
ähnlich Jahr für Jahr auf See zutragen, verbirgt<br />
sich nicht selten unermessliches<br />
menschliches Leid. Wann immer vor der<br />
deutschen Nord- und Ostseeküste Menschen<br />
in Gefahr sind, hilft die Deutsche<br />
Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger<br />
(DGzRS). Die DGzRS mit Sitz ihrer Zentrale<br />
in Bremen ist zuständig für den Such- und<br />
Rettungsdienst (SAR = Search and Rescue)<br />
im Seenotfall. Die Gesellschaft führt diesen<br />
SAR-Dienst unabhängig, eigenverantwortlich<br />
und auf privater Basis aus. Sie kann auf<br />
eine lange bewegte und bewegende<br />
Geschichte zurückblicken.<br />
Rückschau: Im November 1854 strandete<br />
vor Spiekeroog im schweren Herbststurm<br />
das Auswandererschiff „Johanne“. 84<br />
Menschen ertranken in der tosenden See.<br />
Sechs Jahre später, im September 1860, lief<br />
die Brigg „Alliance“ auf das gefürchtete<br />
Borkum-Riff und sank. Von der Besatzung<br />
des Seglers überlebte niemand. Nach<br />
Schätzungen gerieten damals jährlich mehr<br />
als 50 Schiffe allein vor den Inseln in der<br />
deutschen Nordsee in Seenot. Mangelnde<br />
Organisation und Ausrüstung und das noch<br />
ausgeübte Strandrecht verhinderten zu<br />
jener Zeit in vielen Fällen Rettungsmaßnahmen<br />
für Schiffbrüchige. Von solchen Katastrophen<br />
bewegt, forderten der Navigationslehrer<br />
Adolph Bermpohl und der Advokat<br />
Carl Kuhlmay aus Vegesack bei Bremen<br />
im Herbst 1860 in einem Appell an die<br />
Bevölkerung erstmals die Gründung eines<br />
Seenotrettungswerks in Deutschland nach<br />
britischem und niederländischem Vorbild.<br />
Sie fanden Mitstreiter in dem Bremer<br />
Redakteur Dr. Arwed Emminghaus und dem<br />
Emder Oberzollinspektor Georg Breusing.<br />
Jener gehörte auch zu dem Kreis, der am 2.<br />
Mit Pferden brachten die Seenotretter in den ersten<br />
Jahrzehnten die Ablaufwagen mit den schweren<br />
Ruderrettungsbooten an den Strand<br />
März 1861 den ersten deutschen regionalen<br />
„Verein zur Rettung Schiffbrüchiger in Ostfriesland“<br />
gründete. Es folgten vergleichbare<br />
Aktivitäten von Hamburg und Bremen<br />
aus sowie an der Ostseeküste. Vier Jahre<br />
darauf waren die Verfechter und Wegbereiter<br />
eines einheitlichen deutschen Seenotrettungswerks<br />
am Ziel: Am 29. Mai 1865<br />
wurde in Kiel die Deutsche Gesellschaft zur<br />
Rettung Schiffbrüchiger ins Leben gerufen.<br />
Sitz der Gesellschaft wurde Bremen, erster<br />
Vorsitzer der Bremer Kaufmann und Gründer<br />
des Norddeutschen Lloyd, Konsul Hermann<br />
Henrich Meier.<br />
Selbstloser Einsatz<br />
für Menschenleben<br />
Damals wie heute ist das Fundament der<br />
DGzRS die ständige Bereitschaft erfahrener<br />
Seenotretter zur selbstlosen und aufopferungsvollen<br />
Hilfe für Menschen in Seenot.<br />
Die heute 181 fest angestellten und über<br />
800 ehrenamtlichen Rettungsmänner und -<br />
frauen fahren Jahr für Jahr mehr als 2.000<br />
Einsätze – bei jedem Wetter, rund um die<br />
Uhr. Seit der Gründung des Rettungswerks<br />
vor fast 150 Jahren haben die DGzRS-Besatzungen<br />
über 80.000 Menschen aus Seenot<br />
gerettet oder aus Gefahren auf See befreit.<br />
Allerdings: 45 Rettungsmänner sind in dieser<br />
Zeit im Einsatz auf See geblieben.<br />
Nur wenige spektakuläre Seenotfälle<br />
können an dieser Stelle kurz geschildert<br />
werden: Am 6. Dezember 1961 strandete<br />
der englische Dampfer „Ondo“ bei einem<br />
schweren Südweststurm mit Wind bis<br />
Orkanstärke auf dem „Großen Vogelsand“.<br />
Die Seenotretter holten die 65<br />
Besatzungsmitglieder in mehreren schwierigen<br />
Anläufen von Bord. Reste des Wracks<br />
der „Ondo“ sind bis heute stumme Zeugen<br />
der gewaltigen Kraft der See.<br />
Ebenfalls im Dezember, diesmal 1984,<br />
verhinderten die Rettungsmänner eine<br />
Katastrophe vor Borkum: Am 2. Weihnachtstag<br />
des Jahres geriet der zypriotische<br />
Frachter „Blue Spirit“ mit Diesel, Gift,<br />
Bitumen und Eisenbahnschwellen an Bord<br />
in Flammen. Die beiden Seenotkreuzer<br />
Im 19. Jahrhundert waren die Seenotretter noch<br />
auf ihre Muskelkraft angewiesen, um zu den<br />
Unglücksstellen zu kommen<br />
GEORG BREUSING und WILHELM KAISEN<br />
löschten in einem stundenlangen Einsatz<br />
die immer wieder auflodernden Brände.<br />
Die großen Gefahren von Feuer an Bord<br />
kennt jeder Seemann: So auch die beiden<br />
Krabbenfischer auf dem Stahlkutter<br />
„Sigrid“, als auf ihm am 2. März 2012<br />
offenbar nach einer Verpuffung Flammen<br />
hochschlugen. Die Mannschaften der beiden<br />
Seenotkreuzer VORMANN LEISS und<br />
MINDEN löschten das Feuer und brachten<br />
die beiden Fischer in Sicherheit.<br />
Motoren ersetzen<br />
Muskelkraft<br />
In den ersten Jahrzehnten nach der<br />
Gründung der DGzRS waren die Rettungsstationen<br />
mit einfachen Raketenapparaten,<br />
Hosenbojen, offenen Ruderbooten<br />
und Segelrettungsbooten ausgestattet.<br />
Erst 1911 begann mit der OBERINSPEC-<br />
TOR PFEIFER die Motorisierung. Die Entscheidung,<br />
motorisierte Einsatzfahrzeuge<br />
nach amerikanischem und britischem Vorbild<br />
bauen und einige vorhandene Segelrettungsboote<br />
entsprechend umrüsten zu<br />
lassen, glich zu Beginn des 20. Jahrhunderts<br />
einer technischen Revolution. Üblich<br />
war seinerzeit die Fortbewegung mit Muskelkraft<br />
und Wind. Der Transport der in<br />
festen Schuppen an Land stationierten<br />
Boote zum Strand geschah mit Hilfe von<br />
Pferdegespannen. Die Einsätze waren gleichermaßen<br />
beschwerlich und gefährlich.<br />
Bereits 1913 verfügte die DGzRS über<br />
14 motorisierte Rettungsboote. Der Erste<br />
Weltkrieg stoppte zunächst die weitere<br />
Modernisierung. Nach dem Krieg baute<br />
die DGzRS halbgedeckte Motorrettungsboote<br />
mit platzsparenden und zuverlässigeren<br />
Dieselaggregaten, die nach und<br />
nach die älteren Rettungsboote ersetzten.<br />
Ein großer Einschnitt war der Zweite Weltkrieg:<br />
Mit der Teilung Deutschlands setzte<br />
die DGzRS den Seenotrettungsdienst in<br />
der Deutschen Bucht und in der westlichen<br />
Ostsee fort. Dagegen war in der DDR<br />
der Seenotrettungsdienst staatlich organisiert.<br />
Technische Revolution: das erste DGzRS-Motorrettungsboot<br />
OBERINSPECTOR PFEIFER, Baujahr<br />
1911<br />
8 RUNDBLICK Frühjahr 2013
Der Seenotkreuzer HANNES GLOGNER ist eines der modernsten Schiffe der DGzRS-Rettungsflotte Foto: DGzRS/Helmut Hofer<br />
In den 1950er Jahren machte die DGzRS<br />
mit der Entwicklung der schnellen Seenotkreuzer<br />
einen entscheidenden Schritt in<br />
Richtung zu einem der modernsten und<br />
leistungsfähigsten Seenotrettungsdienste<br />
der Welt. Die Spezialschiffe waren doppelt<br />
so schnell wie die bisherigen Motorrettungsboote,<br />
dabei unbegrenzt hochseetüchtig<br />
und problemlos in Flachwassergebieten<br />
einsetzbar. Vor allem zwei Neuerungen<br />
markierten einen Durchbruch im<br />
Bau moderner Rettungsschiffe. Zum einen<br />
die Konstruktion als Selbstaufrichter: Die<br />
Fähigkeit sich auch aus größter Schräglage<br />
wieder aufzurichten, war für die Sicherheit<br />
die Mannschaft ein unschätzbarer Gewinn<br />
– bis heute eine grundlegende Eigenschaft<br />
aller DGzRS-Einheiten. Zum anderen<br />
ermöglichte das „huckepack“ mitgeführte<br />
Tochterboot den Einsatz im Flachwasser<br />
und erleichterte zudem die Rettung Schiffbrüchiger<br />
aus dem Wasser. Es ist nach wie<br />
Das Wrack der „Ondo“, gestrandet 1961 auf dem<br />
„Großen Vogelsand“<br />
RUNDBLICK Frühjahr 2013<br />
vor ein unentbehrliches Hilfsmittel aller<br />
DGzRS-Seenotkreuzer.<br />
Mit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik<br />
Deutschland am 3. Oktober 1990<br />
änderte sich das Einsatzgebiet der DGzRS<br />
erneut: Hinzu kam das Seegebiet vor den<br />
zunächst elf Stationen entlang der Küste<br />
Mecklenburg-Vorpommerns. Außerdem<br />
mussten die Rettungsschiffe der DDR<br />
modernisiert werden. Die DGzRS setzte<br />
deutliche Zeichen und stationierte den<br />
seinerzeit modernsten deutschen Seenotkreuzer<br />
1990 in Warnemünde.<br />
Heute verfügt die DGzRS über 60<br />
moderne und leistungsstarke Seenotkreuzer<br />
und Seenotrettungsboote auf 54 Stationen<br />
zwischen der Emsmündung im<br />
Westen und der Pommerschen Bucht im<br />
Osten. Die SAR-Einsätze der Schiffe werden<br />
von der eigenen SEENOTLEITUNG<br />
BREMEN zentral koordiniert und überwacht.<br />
Helfen kann jeder<br />
Die Bereitschaft der Seenotretter, uneigennützig<br />
hinauszufahren, wenn andere<br />
Schiffe den schützenden Hafen anlaufen,<br />
hat sich ebenso wenig geändert wie die<br />
Organisationsform der DGzRS: Damals wie<br />
heute wird die gesamte Arbeit ausschließlich<br />
durch freiwillige Beiträge und Spenden<br />
getragen. Jeder noch so kleine Beitrag<br />
ist darum wichtig, wenn auch in Zukunft<br />
Menschen aus Seenot schnell und effektiv<br />
gerettet werden sollen.<br />
Text: Ralf Baur / Fotos: DGzRS<br />
Weitere Informationen:<br />
www.seenotretter.de<br />
Kontakt: info@seenotretter.de<br />
Spendenkonto:<br />
Sparkasse Bremen<br />
BLZ 290 501 01<br />
Kontonummer 107 2016<br />
Die Kommandozentrale in Bremen Sitz der DGzRS an der Weser in Bremen<br />
9
Serie: Die Schulen in Borgfeld und Timmersloh<br />
Teil 2: 1891 bis 1945<br />
Im ersten Teil dieser Serie wurde dargestellt,<br />
wie sich beide Schulen vom 17. bis<br />
zum Ende des 19. Jahrhunderts entwickelt<br />
haben. Kennzeichnend für diese Zeit war<br />
die enge Verbindung zwischen Kirche und<br />
Schule. So war lange Zeit der Küster<br />
gleichzeitig der Schulmeister. Erst 1844<br />
wurde im Bremer Gebiet die Schulpflicht<br />
angeordnet. 1889 beschloss der Bremer<br />
Senat, dass nunmehr die Landgemeinden<br />
für das Schulwesen zuständig sein sollten.<br />
Dazu wurde ein Schulvorstand eingesetzt,<br />
dem der Ortsvorsteher, der Schulvorsteher,<br />
einige Mitglieder des Gemeindeausschusses<br />
und der Pastor angehörten. Vierzig<br />
Jahre später wurde das Schulwesen zu<br />
einer staatlichen Aufgabe.<br />
In Borgfeld hatte die Kirchengemeinde<br />
1881 noch eine neue Schule gebaut. Sie<br />
erhielt vier Klassenräume, von denen<br />
zunächst nur drei genutzt wurden, und<br />
eine Wohnung für den Schulleiter. Borgfeld<br />
war damals eine typische Landschule,<br />
in der mehrere Jahrgänge in einer Klasse<br />
unterrichtet wurden, in Klasse III die ersten<br />
drei Schuljahrgänge, in Klasse II die Jahrgänge<br />
4 – 6 und in Klasse I die 13- und 14jährigen<br />
Kinder. Die Nebenstellen Timmersloh<br />
und Lehesterdeich waren noch<br />
lange einklassig. Die Unterrichtsqualität in<br />
Stadtschulen galt als deutlich besser. So ist<br />
es nicht überraschend, dass der Borgfelder<br />
Pastor Homann 1902 seine Stelle in Borgfeld<br />
aufgab und ein Amt in Bremen übernahm,<br />
da seine Kinder in eine Stadtschule<br />
gehen sollten.<br />
1908 hatte die Schülerzahl so stark<br />
zugenommen, dass die Anzahl der Klassen<br />
und damit der Lehrer auf vier erhöht<br />
wurde, sodass jetzt in jeder Klasse zwei<br />
Schuljahrgänge unterrichtet wurden.<br />
Als Schulleiter wirkt damals in Borgfeld<br />
Caspar Wefing, der diese Funktion 1881<br />
übernahm und sie mehrere Jahrzehnte<br />
behielt. Er spielte im Gemeindeleben eine<br />
wichtige Rolle. So leitete er ab 1881 den<br />
Chor des Männergesangvereins Borgfeld.<br />
Sein Nachfolger in dieser Arbeit war ab<br />
1914 mit Fritz Rohdenburg ein Borgfelder<br />
Lehrer.<br />
Auf Wefing folgte Ostern 1914 Paul<br />
Scharlach als Schulleiter. Aber schon im<br />
August dieses Jahres wurde er zu Beginn<br />
des 1. Weltkrieges zum Wehrdienst einberufen.<br />
Als seine Vertreter wirkten zuerst<br />
Wilhelm Dunkering, bis der ebenfalls bald<br />
darauf Soldat wurde, und dann Fritz Rohdenburg.<br />
Anfang 1916 wurde Schulleiter<br />
Scharlach vom Wehrdienst freigestellt,<br />
1917 aber erneut eingezogen. Kurz vor<br />
Kriegsende wurde er schwer verwundet<br />
und starb wenig später im Lazarett bei<br />
Köln. Nach dem Ende des Krieges 1918<br />
übernahm nun Wilhelm Dunkering die<br />
Klasse mit Lehrer Wilhelm Dunkering<br />
Schulvorsteher-Stelle in Borgfeld bis zum<br />
Ende des 2. Weltkrieges 1945. Seine damaligen<br />
Schüler haben unterschiedliche Erinnerungen<br />
an ihn. Manche halten ihn für<br />
einen strengen Lehrer, andere meinen, er<br />
schlug nicht so oft wie andere. Mehrfach<br />
kam es allerdings vor, dass sich Borgfelder<br />
bei ihm über Schüler beschwerten. Darauf<br />
reagierte er sehr empfindlich. Hatte ein<br />
Schüler etwa „Äpfel geklaut“, gab es mit<br />
dem Rohrstock 5 Schläge auf den Hosenboden.<br />
Des Öfteren wurde erwähnt, dass<br />
er regelmäßig in den Spucknapf neben seinem<br />
Pult spuckte.<br />
Nach der Machtübernahme 1933 durch<br />
die Nationalsozialisten trat er der NSDAP<br />
bei, weil er befürchtete, dass er sonst sein<br />
Amt verlieren würde. Anscheinend war er<br />
aber nicht aktiver Parteigenosse. Ilse Kaisen,<br />
Tochter des späteren Bremer Bürgermeisters,<br />
der mit seiner Familie 1933 die Stadt<br />
verlassen musste und in Katrepel eine Siedlerstelle<br />
übernahm, schreibt in ihrem Büchlein<br />
„Unser Leben in Borgfeld“ nichts Kritisches<br />
über Lehrer Dunkering. Sie berichtet<br />
sogar: „Er hatte es nicht leicht. Er wurde<br />
von der Behörde mit täglichen langen Telefonaten<br />
malträtiert, mit denen man ihn<br />
gefügig machen wollte.“ Andere erinnerten<br />
sich, dass er oft gezittert hätte, wenn er von<br />
seiner Frau ans Telefon gerufen wurde.<br />
Der Druck zeigte vermutlich Wirkung.<br />
Gut erinnern sich einige, dass am letzten<br />
Schultag vor den Ferien und bei Wiederbeginn<br />
alle Schüler zur Hissung der<br />
Deutschland- und der Hakenkreuzfahne<br />
antreten mussten. Dabei mussten beim<br />
Singen der Nationalhymne und des Horst-<br />
Wessel-Liedes die Schulkinder den Arm<br />
zum Hitlergruß heben. Ließ man dann den<br />
Arm vorzeitig sinken, wurde man von Dunkering<br />
scharf verwarnt. Nach Ende des<br />
Krieges wurde er nicht wieder mit der<br />
Schulleitung betraut, da er schon im Pensionsalter<br />
war. Zur Erinnerung an den<br />
Straße nach<br />
Dunkering benannt<br />
langjährigen Schulleiter wurde in Borgfeld-<br />
West eine Straße nach ihm benannt.<br />
Neben dem Schulleiter waren bis 1945<br />
auch Fräulein Martha Wilshusen, Fräulein<br />
Charlotte Berg und Friedrich Nölting längere<br />
Zeit als Lehrkräfte und Fräulein Faber<br />
als Handarbeitslehrerin in Borgfeld tätig.<br />
Die erste weibliche Lehrkraft in Borgfeld<br />
war ab 1908 Fräulein Müller. Sie legte<br />
besonderen Wert darauf, dass sie mit Fräulein<br />
angeredet wurde. Sie soll eine strenge,<br />
ernste Lehrerin gewesen sein. Dieses galt<br />
ebenso für Fräulein Hummert, die in den<br />
40iger Jahren erst in Borgfeld und dann in<br />
der Holzschule am Lehester Deich unterrichtete.<br />
Sie muss aber auch eine mutige<br />
Frau gewesen sein, denn sie demonstrierte<br />
mit einer kleinen Gruppe auf dem Hauptbahnhof<br />
gegen den Abtransport der Juden<br />
in ein Konzentrationslager. Das war damals<br />
sehr gefährlich.<br />
Wenn man damalige Schüler nach ihren<br />
Erinnerungen an die Schulzeit befragte,<br />
wurde oft zuerst genannt, womit und wie<br />
die Lehrer und auch manche Lehrerinnen<br />
gestraft haben, mit dem Rohrstock, dem<br />
Zeigestock, dem Lineal auf die flache<br />
10 RUNDBLICK Frühjahr 2013
Klasse mit Lehrerin Frl. Hummert<br />
Hand, mit „Ohrfeigen“ und „Backpfeifen“<br />
oder dem Ziehen an den Haaren.<br />
In Borgfeld erteilten außer in den Kriegszeiten<br />
vor allem Lehrer den Unterricht,<br />
Lehrerinnen unterrichteten in der Regel<br />
nur in den ersten Schuljahren. Es gibt<br />
einen relativ guten Überblick darüber, welche<br />
Lehrkräfte ab 1932 in welchen Klassen<br />
tätig waren, da Teile der damaligen „Klassenbücher“<br />
mit den Namen der Lehrer<br />
und Schüler bis heute in der Borgfelder<br />
Schule aufbewahrt werden. Leider gibt es<br />
dabei größere Lücken, die teilweise durch<br />
Aussagen von Zeitzeugen ausgefüllt werden<br />
konnten.<br />
An zwei Lehrer hatten diese besonders<br />
lebhafte Erinnerungen. Anfang der 30er<br />
Jahre fiel ein Lehrer dadurch auf, dass er<br />
mehrfach in SA-Uniform zur Schule kam.<br />
In seinem rechten Lederstiefel steckte stets<br />
ein Rohrstock, den er des Öfteren blitzschnell<br />
hervorzog und damit kräftig<br />
zuschlug. In den Pausen besuchte er nicht<br />
selten den nahen Dorfkrug. Letzteres<br />
führte zur Freude der Schüler dazu, dass er<br />
schon bald aus Borgfeld versetzt wurde.<br />
Noch aufregender war ein Erlebnis im<br />
Jahre 1937. Da erschienen mehrere Polizisten<br />
in der Schule und verhafteten einen<br />
Lehrer, weil er bei der Verwaltung der Gelder<br />
für das Winterhilfswerk Gelder unterschlagen<br />
haben soll.<br />
Mädchen schnitten<br />
besser ab<br />
Im Unterricht wurde auch schon vor<br />
1933 großer Wert auf Disziplin und Gehorsam<br />
gelegt, dann aber noch mehr. Das<br />
zeigte sich etwa daran, das im Zeugnis<br />
großer Wert auf die „Kopfnoten“ gelegt<br />
wurde, also auf die Beurteilung von Betragen,<br />
Ordnung, Fleiß und Aufmerksamkeit.<br />
Dabei schnitten die Mädchen in der Regel<br />
RUNDBLICK Frühjahr 2013<br />
besser ab. Unterricht wurde im Sommer<br />
von 7 bis 12 Uhr erteilt, im Winter von 8 bis<br />
13 Uhr. Die Schulkinder saßen in Zweierbänken.<br />
Vorne gab es eine Rille für Griffel,<br />
Bleistifte und Federhalter, daneben eine<br />
Öffnung für das Tintenfass. Die Bänke<br />
waren alle in Richtung Pult ausgerichtet, da<br />
in der Regel Frontalunterricht erteilt wurde.<br />
In den ersten Schuljahren gab es Schiefertafeln<br />
und Griffel. Dazu musste jedes Kind<br />
einen Schwamm in einer Dose und einen<br />
Lappen zum Wegwischen haben.<br />
Bis Mitte der 30er Jahre wurde die Sütterlin-<br />
oder „deutsche“ Schrift erlernt, die<br />
dann durch die weniger eckige „lateinische“<br />
Schrift abgelöst wurde. Im „3.<br />
Reich“ wurde großer Wert auf das Fach<br />
Geschichte gelegt, in den unteren Klassenstufen<br />
auf <strong>Heimat</strong>kunde sowie auf „Leibesübungen“.<br />
Ab 1936 wurde es für Kinder<br />
ab 10 Jahren Pflicht, Mitglied im Jungvolk<br />
bzw. bei den Jungmädchen zu werden.<br />
Bei den Hausaufgaben musste dann<br />
Neue Schule von 1881 von der Straße aus<br />
Rücksicht auf den „Dienst“ genommen<br />
werden. Hin und wieder erschienen<br />
Schüler und Schülerinnen auch in Uniform<br />
zum Unterricht.<br />
Überraschenderweise gab es damals<br />
auch schon eine Schulreform. An die Stelle<br />
der Fächer Schreiben, Lesen, Rechnen und<br />
Sachkunde trat der Gesamtunterricht in<br />
den ersten Schuljahren. Die Grundfertigkeiten<br />
wurden also in Verbindung mit<br />
einem gemeinsamen Hauptthema erlernt,<br />
z.B. dem Thema Bauernhof. Über ein<br />
besonderes Projekt wird aus den Jahren<br />
1935 bis 1938 berichtet. Um Deutschland<br />
für die Gewinnung von Seide möglichst<br />
unabhängig zu machen, wurden in den<br />
Schulen Seidenraupen gezüchtet. Das<br />
geschah auch in Borgfeld. Für die Pflanzung<br />
und Pflege von Maulbeerbäumen<br />
sowie das Ernten der Blätter als Nahrung<br />
für die Raupen waren die Jungen zuständig.<br />
Die Mädchen mussten in Terrarien die<br />
Seidenraupen betreuen und die Kokons<br />
nach der Verpuppung ernten. Bei einer<br />
Ausstellung 1936 zeigte die Borgfelder<br />
Schule 12.000 Raupen. Allerdings scheint<br />
noch vor Beginn des 2. Weltkrieges die<br />
Zucht eingestellt worden zu sein.<br />
Nach dem Beginn des Krieges 1939 zeigten<br />
sich schon bald erste Auswirkungen auf<br />
den Unterricht in Borgfeld. Jüngere Lehrer<br />
wurden zur Wehrmacht eingezogen. Auf<br />
dem Schulgebäude wurde eine Sirene<br />
montiert und dann bald Luftschutzübungen<br />
durchgeführt. 1940 begannen die<br />
ersten Bombenangriffe auf Bremen.<br />
Während in anderen Bremer Schulen die<br />
Keller zu Luftschutzräumen ausgebaut wurden,<br />
hob man in Borgfeld auf dem Schulhof<br />
einen Luftschutzgraben in Zickzackform<br />
aus, der durch Sandwälle zusätzlich<br />
geschützt wurde. Als die Flugzeugangriffe<br />
zunahmen, wurde der Graben zu einem<br />
Bunker umgebaut, der ebenfalls diese Zickzackform<br />
aufwies. Bei Voralarm wurden<br />
Kinder, die in der Nähe der Schule wohnten,<br />
nach Hause geschickt. Immer häufiger<br />
kündigten die Sirenen Angriffe an, sodass<br />
11
Die Schule in Timmersloh wurde 1970 aufgelöst Foto: Erwin Duwe<br />
immer öfter Unterricht ausfiel. Mehrfach<br />
konnten auch die Lehrerinnen nicht nach<br />
Borgfeld, da sie selbst in ihren Wohnungen<br />
Bombenschäden erlitten oder Bahn und<br />
Bus nicht mehr fuhren. Als im Dezember<br />
1943 an der Heerstraße eine große Zahl<br />
von Bomben fiel, zersprangen alle Fensterscheiben<br />
der Schule. Sie konnten erst nach<br />
einiger Zeit ersetzt werden, sodass es verlängerte<br />
Weihnachtsferien gab.<br />
Die Zahl der Schulkinder nahm in diesem<br />
Zeitraum deutlich zu, da ausgebombte<br />
Familien aus Bremen hier Unterkunft<br />
fanden. Daher wurden infolgedessen<br />
die ersten Schuljahrgänge in zwei Klassen<br />
geteilt. In Bremen wurden wegen der vielen<br />
Luftangriffe die Klassen mit den Lehrkräften<br />
nach Österreich, Bayern oder Sach-<br />
Schulmeisterkomfort<br />
In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg<br />
(1939 – 1945) lag in Deutschland<br />
alles danieder.<br />
Die Engländer hatten, das Leben musste<br />
weitergehen, in ihrer Besatzungszone<br />
noch 1945 damit begonnen, in den<br />
Gemeinden und Städten Ratsmitglieder<br />
und für die Kreistage Abgeordnete jeweils<br />
für eine Übergangszeit zu ernennen.<br />
Die ersten freien Gemeinde- und Stadtratswahlen<br />
fanden in der britischen Zone<br />
am 15. September 1946 statt. Kreistagswahlen<br />
waren am 13. Oktober 1946.<br />
Nach damaliger Kommunalverwaltung<br />
durfte sich der Ratsvorsitzende im englischen<br />
Hoheitsgebiet Bürgermeister nennen.<br />
Der Vorsitzende im Kreistag hieß<br />
Landrat. Die Verwaltungen wurden von<br />
den Gemeindedirektoren/Stadtdirektoren<br />
bzw. vom Oberkreisdirektor geleitet. In<br />
den kleinen Gemeinden war der Bürgermeister<br />
fast regelmäßig ehrenamtlich auch<br />
als Gemeindedirektor tätig und stempelte<br />
auch in diesem Ehrenamt mit „Der Bürgermeister“.<br />
Niemanden störte das.<br />
sen geschickt. Für die Landschulen war die<br />
Teilnahme an der „Kinderlandverschickung“<br />
(KLV) freiwillig und wurde nur<br />
vereinzelt genutzt.<br />
Im April 1945 endete mit der Besetzung<br />
durch englische Truppen diese Katastrophen-Zeit.<br />
Wenden wir uns zum Abschluss dieses<br />
Berichts der Entwicklung in Timmersloh<br />
zu. Die Schule hier blieb bis Ende 1945 einklassig,<br />
das heißt alle 8 Schuljahrgänge<br />
wurden in einer Klasse unterrichtet.<br />
Schwerhörig geworden –<br />
nach Timmersloh versetzt<br />
Oberlehrer war bis 1881 August Bleidorn,<br />
der vorher Lehrer in Borgfeld war. Da er<br />
Es waren häufig energische Männer und<br />
Frauen, die damals in den Jahren des<br />
Elends und der Not die Initiative ergriffen<br />
und sich der demokratischen Verantwortung<br />
stellten. Was sie zu Hause gelernt hatten,<br />
das praktizierten sie auch im Ehrenamt.<br />
Sie wussten, dass sie die Mark nur einmal<br />
ausgeben können.<br />
Schulmeister Z, so wollen wir ihn nennen,<br />
bewohnte in einer kleinen Landgemeinde<br />
die Lehrerdienstwohnung II, die<br />
von der Gemeinde gestellt worden war. So<br />
etwas gab es damals noch.<br />
Z meinte nun, dass der Fußboden in seinem<br />
Wohnzimmer gestrichen werden<br />
müsse. Auch alte Leute hätten ihm erzählt,<br />
dass die Fußböden in der Lehrerdienstwohnung<br />
in den letzten 30 Jahren nur<br />
gelegentlich mal geölt worden seien. In<br />
allen Zimmern habe es danach dann<br />
immer übel gerochen. „Gestunken“, hatte<br />
der Schulmeister geschrieben.<br />
Bürgermeister und ehrenamtlicher<br />
Gemeindedirektor X konnte sich mit dem<br />
Wunsch und mit dem Stil des Pädagogen<br />
schwerhörig geworden war, wurde er nach<br />
Timmersloh versetzt. „Dafür war er noch<br />
gut genug“ , sagten die Timmersloher.<br />
Er wurde nicht besonders geliebt, denn<br />
er galt als ungerecht und misstrauisch, und<br />
er schlug oft und ohne Grund. Eltern drohten<br />
daraufhin mit Beschwerden bei der<br />
vorgesetzten Behörde. 1904 übernahm<br />
Adolf Kessemeier die Lehrerstelle und<br />
behielt sie bis 1938. Er wurde im Gegensatz<br />
zu seinem Vorgänger von Schulkindern<br />
und Eltern sehr geschätzt. Er sprach<br />
vor allem mit den Älteren Plattdeutsch und<br />
kannte wohl alle Timmersloher Familien.<br />
Bei Notfällen oder Problemen mit den<br />
Behörden wurde er zur Hilfe gerufen.<br />
Begabtere Schüler förderte er auch individuell,<br />
sodass in dieser Zeit relativ viele<br />
Schüler zu weiterführenden Schulen in<br />
Bremen gehen konnten. Einer seiner<br />
Schwerpunkte war die Musik. 1910 gründete<br />
er den Timmersloher Gemischten<br />
Chor und trat mit ihm bei Liederabenden<br />
auf. Kessemeier schrieb auch zwei Theaterstücke,<br />
die er mit Timmerslohern aufführte.<br />
Ebenfalls ein beliebter Lehrer war ab<br />
1938 Adolf Schauwienold. Er kam aus Bayern,<br />
fand aber durch seine offene Art<br />
schnell in Timmersloh Zutrauen. Er war um<br />
einen interessanten Unterricht bemüht<br />
und machte häufige Hausbesuche. Zu<br />
Beginn des 2. Weltkrieges wurde er Soldat.<br />
Zuerst vertrat ihn seine Frau, die auch Lehrerin<br />
war. Später gab es auch mehrere Vertretungslehrer.<br />
Insgesamt war Timmersloh von den<br />
Kriegsfolgen weniger betroffen als Borgfeld.<br />
Prof. Dr. Hermann Cordes<br />
nicht anfreunden. Die Zeit stellte Aufgaben<br />
mit mehr Gewicht. Sollte der Schulmeister<br />
seine Hefte doch in der Küche korrigieren,<br />
wenn ihn dabei im Wohnzimmer<br />
der Fußboden störte. In der kalten Jahreszeit<br />
wäre dann zudem kostensparend zum<br />
Wohl der Lehrerfamilie auch ein Ofen<br />
weniger zu heizen.<br />
Trotz des Ärgers über die nicht vorhergesehene<br />
und deshalb im Gemeindehaushalt<br />
nicht eingeplante Schulmeisterforderung<br />
verkannte X nicht, dass das Streichen<br />
eines nur grob gehobelten Fußbodens in<br />
einem Wohnzimmer nicht der allergrößte<br />
Luxus ist. X wird sicherlich viele Wohnzimmer<br />
in den Häusern seines Dorfes gekannt<br />
haben.<br />
X ließ den Gemeinderat abstimmen. Der<br />
fasste den angeblich salomonischen<br />
Beschluss:<br />
„Der Fußboden im Wohnzimmer der Lehrerdienstwohnung<br />
II wird gestrichen, …..,<br />
aber nicht unter dem Teppich und nicht<br />
unterm Schrank.“<br />
Jürgen Lodemann<br />
12 RUNDBLICK Frühjahr 2013
100 Jahre alt:<br />
Die Lilienthaler Friedhofskapelle<br />
Lilienthal. Über Jahrzehnte verbreitete<br />
ihr Geläut die untrügliche Nachricht, dass<br />
wieder ein Mensch sein irdisches Dasein<br />
beendet hatte. Wer über ihre Schwelle trat,<br />
tat dies mit einem Gefühl der Trauer und<br />
Beklemmung. Denn stets war mit dem Eintreten<br />
in den Kirchenraum auch die<br />
Gewissheit verbunden, sich einer Gemeinschaft<br />
von Trauernden anzuschließen, um<br />
von einem geliebten Angehörigen oder<br />
einem besonderen Menschen Abschied zu<br />
nehmen. So erfüllte denn auch die Kapelle<br />
auf dem Friedhof an der Falkenberger<br />
Landstraße die ganz besondere Aufgabe,<br />
Menschen für einige andächtige Momente<br />
zum Innehalten zu bewegen und Einkehr<br />
bei sich selbst zu halten. Mit ihrer anmutigen,<br />
überwiegend funktionalen Architektur,<br />
und mit den Namen der Gefallenen<br />
zweier Weltkriege versehenen Fenstern, ist<br />
sie für den interessierten Betrachter auch<br />
ein Teil der jüngeren Geschichte Lilienthals.<br />
Kaum jemand wird sich aber Gedanken<br />
gemacht haben, seit wann denn dieses<br />
Bauwerk für die trauernden Menschen<br />
nicht nur einen Ort der Andacht bedeutete,<br />
sondern auch einen Raum, der Schutz<br />
vor Regen, Kälte und Hitze bot. Denn<br />
früher wurde der Ablauf einer Beerdigung<br />
anders gestaltet als heute. Es gab die<br />
„Trauerfeier vom Hause aus“ zu Ehren der<br />
Verstorbenen. Der oder die Tote wurde im<br />
Trauerhaus aufgebahrt, dort meist vom<br />
Lehrer des Ortes im feierlichen Rahmen<br />
verabschiedet und dann von der Trauergemeinde<br />
zu Fuß hinter dem Leichenwagen<br />
bis zum Friedhof begleitet. Erst hier<br />
begann dann die kirchliche Zeremonie mit<br />
der sich anschließenden Grablegung.<br />
Im Laufe der Zeit aber vollzog sich eine<br />
Wandlung in diesem Ablauf; viele Trauerfeiern<br />
wurden nur noch auf dem Friedhof<br />
abgehalten. Die Zunahme der Einwohnerzahl<br />
Lilienthals machte eine Aufgabe des<br />
Friedhofes sowohl bei der Klosterkirche St.<br />
Marien als auch bei der Truper Kapelle<br />
unumgänglich und eine Neuanlegung an<br />
der Falkenberger Landstraße notwendig.<br />
Schon bald regte sich der Wunsch, hier<br />
ein Gotteshaus zu bauen, um die begonnene<br />
Umstrukturierung sinnvoll zu ergänzen.<br />
Am 2. November 1912 konnte<br />
schließlich die Friedhofskapelle eingeweiht<br />
werden. In der Wümme-Zeitung vom<br />
Montag, 4. November d. J., ist dazu Folgendes<br />
zu lesen:<br />
„Am Sonnabendnachmittag fand die<br />
Einweihung der auf dem hiesigen Friedhof<br />
erbauten Kapelle statt. An der Feier nahmen<br />
mehrere Geistliche der Umgebung,<br />
Landrat Dr. Becker, der Bauleiter, die Architekten<br />
und Handwerker, welche an dem<br />
RUNDBLICK Frühjahr 2013<br />
Die eindrucksvolle Friedhofskapelle Foto: B. Richter<br />
Bau beschäftigt gewesen sind, und viele<br />
Gemeindemitglieder teil. Die Kapelle vermochte<br />
alle Teilnehmer kaum aufzunehmen.<br />
100 Personen fanden Platz auf den<br />
Sitzbänken, mehr noch mussten stehend<br />
der Feier beiwohnen.<br />
Die neue Glocke auf dem Türmchen der<br />
Kapelle kündigte den Beginn der Feier an.<br />
Der Bauleiter, Architekt Strohkirch aus Bremen,<br />
überreichte dem Geistlichen der<br />
Gemeinde, Superintendent Krull, den<br />
Schlüssel des Gebäudes und nachdem das<br />
Tor geöffnet worden war, begaben sich<br />
alle in den Kirchenraum. Nachdem die Kinder<br />
und die Gemeinde Lieder gesungen,<br />
hielt Herr Superintendent Krull die Festpredigt.<br />
Nach Verlesung des 84. Psalms<br />
benutzte der Redner die Worte Johannis:<br />
,Im Namen unseres Herrn Jesu Christi, der<br />
da war und der da ist und der da sein wird‘,<br />
als ersten Gruß in dem neuen Gotteshause<br />
an die Gemeinde und Freunde und alle,<br />
die am Bau gerüstet und geholfen haben.<br />
Der neue Raum spreche zum ersten Male<br />
in ganz besonderer Weise zu unserem<br />
Empfinden. Lange schon hätten viele<br />
Gemeindemitglieder den Wunsch gehabt,<br />
bei der Bestattung ihrer lieben Toten einen<br />
Raum, einen Schutz für Feier und Andacht<br />
zu haben, und in einmütiger Opferwilligkeit<br />
sei der Beschluß, diese Kirche zu<br />
bauen, von der kirchlichen Vertretung der<br />
beiden Gemeinden Trupe und Lilienthal<br />
gefaßt worden. Gottes Gnade habe von<br />
jenem ersten Augenblick des Entschlusses<br />
an bis zu dieser Stunde Unfall und Schaden<br />
von dem Bau und allen daran Beschäftigten<br />
ferngehalten. Diese hätten ihr Können,<br />
ihr bestes Vermögen dem Bau gewidmet.<br />
Die Gemeinde wolle allen danken, die mitgeholfen<br />
haben, daß dieses Bauwerk nun<br />
vollendet worden sei, daß es nun hier<br />
stehe, nicht als Prunkgebäude, nicht als<br />
ragender Dom, aber doch als edles, trauliches<br />
Heiligtum, voll von besonderer<br />
Schönheit. Fortan würden nun hier die<br />
Glieder der Gemeinde sich sammeln. Es<br />
solle ihnen hier eine Andachtsstätte geboten<br />
werden, eine Stätte zu kurzer Rast der<br />
Entschlafenen und den Gemeindemitgliedern<br />
eine Stätte der Erbauung, damit hier,<br />
den Lebenden zur Mahnung, den Toten<br />
zum Gedächtnis, das Wort Gottes verkündet<br />
werde, das Wort vom Sterben, vom<br />
Auferstehen und vom Leben.“<br />
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die<br />
Kapelle für viele Jahre von der durch die<br />
Kriegswirren angewachsenen katholischen<br />
Gemeinde Lilienthals als Gotteshaus<br />
genutzt.<br />
Inzwischen mehrmals restauriert, vor<br />
einigen Jahren mit einem neuen Türmchen<br />
versehen, hat die Friedhofskapelle nunmehr<br />
über 100 Jahre im Sinne der Initiatoren<br />
und Erbauer den nachfolgenden Generationen<br />
gedient.<br />
Peter Richter<br />
13
Der große Brand in Lilienthal von 1813<br />
Lilienthal unter französischer Besatzung<br />
Lilienthal. Obwohl die verheerende Lilienthaler<br />
Brandnacht, bei der ein Großteil<br />
des Ortes zerstört wurde, nun schon 200<br />
Jahre zurückliegt, so ist das schreckliche<br />
Geschehen heute noch ein besonderes<br />
Merkmal in der Lilienthaler Ortsgeschichte.<br />
Der Druck der Franzosenherrschaft, der<br />
1803 mit der Besetzung des Kurfürstentums<br />
Hannovers durch die napoleonische<br />
Truppen begann, war auch in Lilienthal zu<br />
spüren. Obwohl Lilienthal noch bis Anfang<br />
1813 von jeglichen kriegerischen Handlungen<br />
verschont blieb, so war es doch die<br />
zeitweise Einquartierung durch die Fremdherrschaft<br />
und die damit verbundenen<br />
Repressalien, unter der die Bevölkerung zu<br />
leiden hatte. Die neuen Herren bestimmten<br />
durch neue Gesetze und Verordnungen den<br />
Ablauf des täglichen Lebens. Um Ausschreitungen<br />
zwischen den Besetzern und der<br />
Bevölkerung zu vermeiden, wurde anfangs<br />
sogar die Schließung aller Gasthäuser ab<br />
9.00 Uhr abends angeordnet und alle festlichen<br />
Veranstaltungen verboten.<br />
Die Zivilgewalt wurde aber bald wieder<br />
hergestellt und der Oberamtmann und neu<br />
ernannte Justizrat Hieronymus Schroeter<br />
konnte sogar unter besonderem Schutz des<br />
Generalleutnants Rivaud seine astronomischen<br />
Beobachtungen und den Kontakt mit<br />
den Größen der Astronomie fortsetzen.<br />
Die Jahre 1805/06 waren sehr wechselhaft.<br />
Die Besatzer kamen und gingen.<br />
Anfangs waren es die Franzosen, die das<br />
Land besetzten, dann kurzzeitig die<br />
Preußen durch die Übernahme des Kurfürstentums<br />
Hannovers und dann, nach der<br />
verlorenen Schlacht der Preußen gegen die<br />
Franzosen, wieder die Franzosen. Aber auch<br />
in den Folgejahren war die Fremdherrschaft<br />
mit den Einquartierungen, den Rekrutenaushebungen<br />
sogar für das Amt Lilienthal<br />
durch die Einführung des Code de Napoleon<br />
zu einer schweren Bürde geworden.<br />
1810 kam die große<br />
Gebietsveränderung<br />
Das Amt Lilienthal, dem Department<br />
Wesermünde zugehörig, wurde Kanton mit<br />
drei Mairien (Lilienthal, St. Jürgen, und<br />
Worpswede) im Königreich Westfalen. Und<br />
im Februar 1811, nachdem nun auch das<br />
Königreich Westfalen dem französischen<br />
Kaiserreich einverleibt worden war, erhielt<br />
das Amt Lilienthal die Mitteilung, dass Kaiser<br />
Napoleon das Amt Lilienthal dem Grafen<br />
und Kultusminister Bigot de Prèameneau<br />
geschenkt habe und dass der Graf das<br />
Amt zu verpachten wünsche. Schroeter, der<br />
ohnehin schon im September 1810 als<br />
Oberamtmann in den Ruhestand versetzt<br />
worden war, verließ nun schleunigst seinen<br />
Wohnsitz im Amtshof und richtete sich in<br />
Die Truper Kapelle Foto: Rupprecht Knoop<br />
dem von ihm früher erworbenen Hof auf<br />
dem Hohenlande (heute Amtmann Schroeter<br />
Haus) ein. Für die Amtsgeschäfte wurde<br />
sein Sohn Johann Friedrich, der unter anderem<br />
durch die Fürsprache von Olbers vom<br />
Militärdienst befreit worden war, bestimmt.<br />
Hieronymus Schroeter hingegen widmete<br />
sich in aller Stille und Zurückgezogenheit ,<br />
bis zum Ende der französischen Besetzung,<br />
nur noch seinen astronomischen Beobachtungen.<br />
1812 begann dann der<br />
große politische Wirrwarr<br />
Obwohl der Rückzug der geschlagenen<br />
französischen Armee aus Russland, verfolgt<br />
von der großen Befreiungsarmee, schon<br />
den Beginn der Freiheit ankündigte, erhielten<br />
die Maires immer wieder strenge Weisungen,<br />
sich an der Suche von Deserteuren<br />
zu beteiligen und junge Leute für Napoleons<br />
Armee zu rekrutieren. Anfang März<br />
1813 wurde bereits Berlin von den Franzosen<br />
befreit. Der Rückzug der französischen<br />
Truppen nach Westen ging weiter. Kleinere<br />
Einheiten der Kosaken unter Führung des<br />
russischen Generals Tettenborn mit einigen<br />
Hanseaten kamen schon bis nach Ottersberg<br />
und in kleineren Abteilungen noch<br />
weiter bis nach Lilienthal und Achim.<br />
Es war am 15. April 1813, am Gründonnerstag,<br />
als die ersten Kosaken mit einigen<br />
Hanseaten aus der Befreiungsarmee in Lilienthal<br />
erschienen, um die in Borgfeld liegenden<br />
französischen Vorposten anzugreifen.<br />
Abends verzogen sie sich dann wieder,<br />
kamen jedoch am nächsten Tag mit einer<br />
verstärkten Einheit zurück, um die Franzosen,<br />
die sich hinter dem Warfdeich verschanzt<br />
hatten, erneut anzugreifen.<br />
Dabei benutzten einige der Kosaken<br />
Vogelflinten mit gehackter Bleimunition,<br />
Inschrift über dem Eingang Foto: Rupprecht Knoop<br />
was beim Militär überhaupt nicht üblich<br />
war, sodass die Franzosen, nach der Art<br />
ihrer Verwundungen, annahmen, sie seien<br />
auch von Lilienthaler Einwohnern angegriffen<br />
und beschossen worden.<br />
Diese irrige Meinung löste bei den Franzosen<br />
arge Verbitterung aus, und General<br />
Vandamme, als oberster Kommandeur der<br />
französischen Truppe im Raum Bremen, soll<br />
nach Vorlage des Berichtes sofort bestimmt<br />
haben, die Einwohnern Lilienthals durch die<br />
Zerstörung einiger ihrer Häuser dafür züchtigen<br />
zu müssen. Doch bis der endgültige<br />
Befehl zur Durchführung einer solchen<br />
militärischen Aktion kam, vergingen noch<br />
einige Tage und die Kosaken und die Franzosen<br />
lieferten sich weiterhin an der<br />
Wümmebrücke kleinere unbedeutende<br />
Gefechte.<br />
Am 2. Ostertag hatten sich die Kosaken<br />
wieder zurückgezogen und die Franzosen<br />
waren wieder in Lilienthal eingerückt, um<br />
nun die Lilienthaler Einwohner, Trupe und<br />
Truperdeich mit eingeschlossen, zu entwaffnen.<br />
Jeder der Einwohner gab daraufhin<br />
gewissenhaft seine Flinte ab, die dann zum<br />
Abtransport auf einen Wagen geladen wurden.<br />
Doch dazu kam es nicht. Die Kosaken,<br />
die sich nicht weit von Lilienthal entfernt<br />
hatten, kamen zurück und griffen die Franzosen<br />
erneut an, die auch unverzüglich die<br />
Flucht ergriffen. Danach zogen sich die<br />
Kosaken, es war der 20. April 1813, gänzlich<br />
zurück.<br />
In der Nacht zum 21. April, kaum war die<br />
Mitternacht vorüber, wurden die schlafenden<br />
Einwohner durch ein heftiges Gewehrfeuer<br />
aus nahezu 600 Büchsen aufgeschreckt.<br />
Einige Hundert Mann französischer<br />
Linieninfanterie waren auf Befehl des<br />
Generals Vandamme von Borgfeld aus in 3<br />
Abteilungen angerückt, um den geplanten<br />
Racheakt, den großen Brand von Lilienthal,<br />
auszuführen. Die eine Abteilung nahm sich<br />
die Häuser an der Warf vor, die anderen beiden<br />
Abteilungen Lilienthal und Trupe. In<br />
Trupe wurde auch das Pfarrhaus, die Truper<br />
Kirche und das Schulhaus völlig niedergebrannt.<br />
Auch Lilienthal brannte. Von der<br />
Wörpebrücke, zur Warf bis tief in den Ort<br />
hinein wurde jedes Haus niedergebrannt.<br />
Auch das Amtshaus fiel diesem Wahnsinn<br />
14 RUNDBLICK Frühjahr 2013
Französische Soldaten belagern Lilienthal, dargestellt im Jubiläumsjahr 1932 Foto: Julius Frank<br />
zum Opfer. Nur die Kirche und die Schroetersche<br />
Sternwarte blieben von dem Brand<br />
verschont.<br />
Die Franzosen wollten den Einwohnern<br />
noch weiteres Leid antun. Sie nahmen von<br />
den Männern gefangen, wer ihnen gerade<br />
über den Weg lief. Auf der Schweineweide,<br />
zwischen Borgfeld und Lilienthal, stellten<br />
die Franzosen einige Gefangene auf, die<br />
erschossen werden sollten. Doch dank<br />
eines mutigen Lilienthalers, der in französischer<br />
Sprache vermitteln konnte, wurden<br />
RUNDBLICK Frühjahr 2013<br />
die Gefangenen erst einmal zum Verhör<br />
nach Bremen gebracht. Dann stellte sich<br />
jedoch bald heraus, dass die Lilienthaler<br />
gänzlich unschuldig waren und man setzte<br />
die Gefangenen bald wieder frei. Nach dem<br />
Brand ließen sich keine Kosaken in Lilienthal<br />
mehr sehen und es konnte, ganz abgesehen<br />
von der großen Zerstörung, wieder<br />
etwas Normalität eintreten. Erst im Herbst<br />
1813 rückten die Verbündeten in Bremen<br />
ein. Die endgültige Befreiung kam aber<br />
dann im Frühjahr 1814, nachdem auch die<br />
Siegel vom 8. Mai 1505, rund, aus grünem Wachs,<br />
die außen umlaufende Schrift lautet: S[igillum]<br />
johan van der trupe. Es hängt an einem Pergamentstreifen,<br />
das inliegende Wappen ist von links<br />
oben nach rechts unten durch eine gerade Linie<br />
geteilt, Johann van der Trupe ist zu dem Zeitpunkt<br />
Bremer Bürger<br />
Festungen Hamburg und Magdeburg<br />
befreit wurden.<br />
Heute erinnert nur noch die Inschrift<br />
über der Eingangstür der Truper Kirche an<br />
die Franzosenzeit, und die große Wümmebrücke,<br />
im Volksmund Franzosenbrücke<br />
genannt, die Anfang November 1813 von<br />
den Russen zum Teil gesprengt wurde, um<br />
den aus der Festung Hamburg abziehenden<br />
Franzosen den Weg nach Bremen zu versperren.<br />
Rupprecht Knoop<br />
Kaum bekannt: Truper Wappen und Siegel<br />
Lilienthal. Im Jahr 2000 hat Hans G.<br />
Trüper in seinem Buch „Ritter und Knappen<br />
zwischen Weser und Elbe“ in einem<br />
Katalog mit über 500 Wappen auch zwei<br />
Exemplare der Bremer Ratmannenfamilie<br />
van/von der Trupe vorgestellt.<br />
In der Abteilung „Siegel“ des Staatsarchivs<br />
Bremen werden zwei Stücke mit<br />
besonderer Bedeutung für Lilienthal<br />
bewahrt. Der ehemalige Bremer Bürgermeister<br />
Johann Trupe, dessen Familienname<br />
im Jahr 1505 noch „van der Trupe“<br />
Hinweis:<br />
„Mit Napoleon nach Russland<br />
– Die französische<br />
Herrschaft im Elbe-Weser-<br />
Dreieck“<br />
Vortrag von Dr. Hans-Eckard Dannenberg,<br />
Historiker, Landschaftsverband<br />
Stade<br />
Termin: 23. April 2013, 20.00 Uhr<br />
Ort: Worpsweder Rathaus, Ratsdiele,<br />
Bauernreihe 1<br />
Veranstalter: Arbeitskreis Kultur Worpswede<br />
in der GEWO<br />
lautet, nutzte das eine Siegel noch als Bremer<br />
Bürger, das andere während seiner<br />
Amtszeit als Bürgermeister von 1512 bis<br />
1531. Auffällig ist, dass beim Siegel aus<br />
dem Jahr 1520 nur noch das Wappen<br />
ohne Umschrift zu sehen ist, zu dieser Zeit<br />
benutzte er nicht mehr das Adelsprädikat<br />
„van der“ vor dem Familiennamen.<br />
Die Ableitung des Familiennamens van<br />
der Trupe vom gleichnamigen Ort Trupe,<br />
jetzt Teil von Lilienthal, ist unbestritten.<br />
Harald Steinmann<br />
Dieses Siegel vom 19. Mai 1520 hat eine runde<br />
Form und ist aus braunem Wachs. An einem Pergamentstreifen<br />
anhängend sieht man in der Mitte<br />
ein Wappen, das von einer Welle durchlaufen wird,<br />
und zwar wieder von oben links nach unten rechts,<br />
der Rand weist umlaufend Verzierungen auf. Inhaber<br />
ist der Bremer Bürgermeister Johan Trupe<br />
15
„Nee´e Padden för de nedderdüütsche Spraak“<br />
Der „Heinrich-Schmidt-Barrien-Preis“ 2013<br />
Der Heinrich-Schmidt-Barrien-Preis wird<br />
seit dem Jahr 2000 verliehen.<br />
Die Preisträger, die ab 2007 vom Freundeskreis<br />
„Dat Huus op´n Bulten e.V.“ in der<br />
Kirche in Lilienthal-St.Jürgen ausgezeichnet<br />
wurden, waren die Musik-Kabarettistin und<br />
Fernsehmoderatorin Ina Müller, der Autor<br />
und Pädagoge Jürgen Ludwigs aus Lilienthal-Worphausen,<br />
„De Filmemoker“ aus<br />
Sulingen mit ihren plattdeutschen Science-<br />
Fiction-Filmen, der plattdeutsche Pastor<br />
und Autor Dr. Heinrich Kröger aus Soltau,<br />
„De Plattmüüs“ der „Scharmbecker Speeldeel“,<br />
die plattdeutsche Elektro-Hip-Hop-<br />
Band „De Fofftig Penns“ (50-Penns) und in<br />
diesem Jahr die plattdeutsche Autorin Birgit<br />
Lemmermann aus Rotenburg an der<br />
Wümme.<br />
„Heinrich Schmidt-Barrien (1902 – 1996)<br />
höört to de meist kennten nedderdüütschen<br />
Schrievers in den Noorden vun Düütschland.<br />
Ut de Sicht vun enen, den Bodendenkmalen<br />
pleegt hett, as Schriever vun<br />
Dramas un Höörspelen, as Sammler vun<br />
Leder, as Snacker in´t Radio, as de Böverste<br />
vun de Kulturafdeel vun de Böttcherstraat<br />
in Bremen un ok as enen vun de Grünners<br />
vun dat Institut för Nedderdüütsche Spraak<br />
keek he in un op de Welt un möök Lituratur<br />
vun dat, wat he finnen dee. He hett jümmers<br />
dat Eernsthaftige mit Achtersinnig´s<br />
mengeleert, op Platt un op Hoch. Siene<br />
Novellen, de Romanen, siene Sakentexten<br />
oder dat, wat he to´n Ünnerholen schreven<br />
hett, wiest Mannigfaltigkeet un Karaasch in<br />
sien Ümgahn mit Spraak.“<br />
„Mit den Pries, de na em nöömt is, warrt<br />
Minschen uttekent, de dor an warken<br />
doot, de nedderdüütsche Spraak to beleven<br />
un de nee´e Padden inslaat, mit disse<br />
Spraak ümtogahn, of dat nu schreven,<br />
snackt oder sungen is.“ So heißt es im<br />
Urkundentext vom Freundeskreis „Dat<br />
Huus op´n Bulten“ und vom Schirmherrn,<br />
dem Bürgermeister der Gemeinde Lilienthal,<br />
der seit 2007 mit dem Preis Geehrten.<br />
In der Begründung der Jury heißt es:<br />
„Birgit Lemmermann is de kreativste<br />
plattdüütsche Autorin in uns Tiet. Ehr<br />
Prosa is vull Fantasie, ehr Lyrik verbinnt<br />
depe Geföhlen mit Spraakkraft. Vörallen<br />
aver: Birgit Lemmermann hett dat plattdüütsche<br />
Kinnerbook sien Rang geven.<br />
Ehre „Emil“-Böker gellt hüüt as Klassikers.<br />
Se sünd Grundlaag un Vörbild för all de<br />
annern Kinnergeschichten, de wi in de<br />
Hand nehmen köönt. Mit „Ebbe un Hehn“<br />
hett se den eersten richtigen plattdüütschen<br />
Jugendroman schreven. Un to den<br />
Text hett se, jüst as bi „Emil“, ok de Biller<br />
sülvst dorto maakt.<br />
Birgit Lemmermann hett Kraasch: Se<br />
schrifft över Saken, de dat vörher so op<br />
Platt noch nich geven hett. Se waagt sik<br />
Nach der Preisverleihung, vorne von links: Willy Hollatz (Bürgermeister Lilienthal), Jürgen Ludwigs (Preisträger<br />
2008), Birgit Lemmermann (Preisträgerin), Heiner Egge (Laudator), Dr. Heinrich Kröger (Preisträger<br />
2010), hinten von links: Bernd de Reese (Plattdeutsch-Lehrer der “Fofftig Penns”, Preisträger 2012), Heinz<br />
Behrens (Kirchenvorstand St.Jürgen), Christa Kolster-Bechmann (Jury-Mitglied), Johannes Rehder-Plümpe<br />
(Moderator und Jury-Mitglied)<br />
dat, un se maakt dat goot. Man se steiht ok<br />
mit beide Been fast op de Eer. Un se weet,<br />
woneem se henhöört: Na de Gegend twüschen<br />
Werser un Elv. – Birgit Lemmermann<br />
steiht mit ehr Schrieven un ehr Persönlichkeit<br />
för de nee´e plattdüütsche Literatur,<br />
de in Tokunft noch veel to seggen hett.“<br />
Birgit Lemmermann wurde 1962 in<br />
Ahlerstedt auf der Stader Geest geboren<br />
und wuchs dort auf. Sie machte in Buxtehude<br />
das Abitur und studierte dann in Hessen.<br />
Ab 1991 war sie Lehrerin an der Waldorfschule<br />
in Ottersberg. Heute arbeitet<br />
sie als Kunst-, Sport- und Werklehrerin am<br />
Ratsgymnasium in Rotenburg an der<br />
Wümme, leitet dort die Plattdeutsch-AG<br />
und lebt in Unterstedt bei Rotenburg.<br />
Mit dem Schreiben auf Platt hat Birgit<br />
Lemmermann nach 1992 angefangen. Sie<br />
wollte ihren Sohn Plattdeutsch aufziehen,<br />
jedoch gab es kaum Kinderbücher auf<br />
Platt. So fing sie an, selber welche zu<br />
schreiben. Es wurden vier Kinderbücher<br />
und ein Jugendbuch.<br />
Reinhard Goltz vom Institut für Niederdeutsche<br />
Sprache (INS) in Bremen schreibt<br />
an diesem Punkt weiter: „Angefangen hat<br />
alles mit „Emil“, dem kleinen Bären, der wie<br />
ein Kind denkt, fühlt und handelt – das erste<br />
plattdeutsche Kinderbuch. In „Ebbe un<br />
Hehn“ geht es um das Erwachsenwerden,<br />
da werden Werte und Rollen freundlich<br />
aber nachdrücklich in Frage gestellt. Mittlerweile<br />
überwiegen die Texte für Erwachsene<br />
– aber dann kommt wieder die unbändige<br />
Lust am Fabulieren für Kinder durch:<br />
Erst im vergangenen Herbst legte die Autorin<br />
mit „Black Hex“ ein anregendes und<br />
wunderschönes Kinderbuch vor.“<br />
Und so heißt es in der Einladung des<br />
Freundeskreises „Dat Huus op´n Bulten“<br />
und der Gemeinde Lilienthal zur Preisverleihung<br />
im Februar 2013: „Unangepasst und<br />
fantasiereich – das ist Birgit Lemmermann.<br />
Als Lehrerin, als Autorin, als Mensch. Ihr<br />
schriftstellerisches Werk besticht durch Vielfalt.<br />
Die 50-Jährige findet für alle den richtigen<br />
Ton: für Kinder, für Jugendliche, aber<br />
auch für erwachsene Leser. Mit großer<br />
Leichtigkeit brilliert sie in ihren Kindergeschichten,<br />
sie hat einen überzeugenden<br />
Jugendroman vorgelegt, hat sich an einer<br />
Kürthy-Übersetzung erprobt, hat Lyrik von<br />
psychologischer Tiefe und beachtlicher<br />
Sprachkraft geschrieben. – Sie zeichnet<br />
Menschen von heute aus der Mitte der<br />
Gesellschaft. Und sie gestaltet ihre Bücher<br />
wenn möglich selbst.“<br />
„Im Elbe-Weser-Dreieck zählt sie längst<br />
zu den erfolgreichsten plattdeutschen<br />
Autorinnen. Doch man kennt sie weit über<br />
ihre engere <strong>Heimat</strong> hinaus.“<br />
2004 errang sie beim Freudenthal-Preis<br />
den dritten, 2007 den zweiten Platz, 2008<br />
den Förderpreis und 2012 erhielt sie den<br />
„Freudenthal-Preis“. 2006 erreichte sie bei<br />
einem Schreibwettbewerb von „Vertell<br />
doch mol“ beim NDR den ersten Preis.<br />
2007 erhielt sie im September den „Lüttjepütt-Pries“,<br />
im November den Preis für<br />
das „Plattdeutsche Buch des Jahres“ und<br />
2011 den „Klaus-Groth-Preis“.<br />
Und weiter mit Goltz: „Dass Birgit Lemmermann<br />
nun für ihr abwechslungsreiches<br />
und immer überraschendes Werk mit dem<br />
„Heinrich Schmidt-Barrien-Preis“ ausgezeichnet<br />
wird, ist nur konsequent.“<br />
Text: Johannes Rehder-Plümpe<br />
Foto: Erwin Duwe<br />
Quelle: Internet-Recherche und eigenes Archiv<br />
16 RUNDBLICK Frühjahr 2013
Heinrich Schmidt-Barrien<br />
* 19. 1. 1902 Uthlede, † 9. 12. 1996 Lilienthal, Freier Schriftsteller<br />
Eine persönliche Rückbetrachtung<br />
Sein kräftiges, „Kumm rin!“ klingt mir<br />
noch heute in den Ohren, wenn ich gelegentlich<br />
durch Frankenburg fahre, wo das<br />
alte Reetdachhaus neben der Straße auf<br />
einem Bulten thront. Dort fühlte er sich,<br />
umsorgt von seiner Ehefrau Katrin, auch<br />
noch in seinen letzten Lebensjahren so ausnehmend<br />
wohl:<br />
„Hier sind wi bestallt, solang dat Gott<br />
gefallt“, ließ er als Hausspruch über der Tür<br />
schnitzen. Wenn ich ihn besuchte und in<br />
leicht gebückter Haltung durch die Seitentür<br />
auf die Diele trat, umfing mich<br />
sogleich diese anheimelnde Atmosphäre,<br />
durchsetzt von einem hauseigenen Geruch,<br />
der mir schon wohlig vertraut war. Zumeist<br />
saßen wir uns in der Dons, der „Guten<br />
Stube“ gegenüber, tauschten zunächst einmal<br />
aus, was uns neuerlich bewegte, und<br />
wurden in der Regel gleich darauf mit Kaffee<br />
oder Tee und Gebäck verwöhnt. Es<br />
schien immer so, als ob die Hausfrau zaubern<br />
konnte. Mobiliar, Bilder und was uns<br />
sonst noch umgab, bestand aus liebevoll<br />
ausgesuchten Dingen, unter denen sich<br />
auch manch kostbare Antiquität befand.<br />
Und dann reizte mich immer wieder der<br />
Blick durchs Blumenfenster in den wunderhübschen<br />
Bauerngarten, der, von ihr ständig<br />
gehegt und gepflegt, Frau Katrins<br />
ganzer Stolz war.<br />
Heinrich zeigte sich mir als ein väterlicher<br />
Freund, mit dem mich ein prägendes<br />
gegenseitiges Vertrauen verband.<br />
Er gehörte zu den wenigen Literaten in<br />
unserer <strong>Heimat</strong>region, die beachtliche<br />
Werke in beiden Sprachen, Niederdeutsch<br />
und Hochdeutsch, zu Papier brachten.<br />
Romane, Novellen, Hörspiele und vielerlei<br />
volkskundliche Beiträge entstammen seiner<br />
Feder. Als <strong>Heimat</strong>dichter wollte er sich aber<br />
ganz und gar nicht verstanden wissen.<br />
Bis kurz vor seinem Tode saß er stets in<br />
den Morgenstunden im Arbeitszimmer an<br />
seiner Schreibmaschine und schrieb, was<br />
ihn literarisch bewegte. Scherzhafterweise<br />
erzählte er mir einmal, dass seine Katrin ihn,<br />
als er tatsächlich eines Tages verschlafen<br />
hatte, lautstark mit den Worten weckte:<br />
„Heinrich, steh‘ auf, du musst dichten!“<br />
Neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit<br />
fungierte er als Sprecher bei Radio Bremen,<br />
profilierte sich als Bodendenkmalpfleger<br />
und war lange Jahre Baas (Vorsitzender)<br />
beim „Plattdeutschen Kring“ in Bremen.<br />
Als ihm im Jahre 1954 der Bremer Literaturpreis<br />
verliehen wurde, hielt sein von ihm<br />
so geschätzter Freund Rudolf Alexander<br />
Schröder die Laudatio im altehrwürdigen<br />
Rathaus und beendete sie mit den Worten:<br />
„Lieber Freund und Meister Schmidt-Barrien,<br />
die Deutschen verfügen über zweierlei<br />
Arten von Ruhm. Die eine ist der frühe<br />
RUNDBLICK Frühjahr 2013<br />
Jugendruhm, dem dann sehr oft beim<br />
Autor wie beim Publikum der moralische<br />
Katzenjammer nachfolgt. Die andere ist der<br />
späte Ruhm. Er kann sehr lange auf sich<br />
warten lassen. Da steht denn vor ihm ein<br />
per aspera ad astra. Nun, was das betrifft,<br />
bekenne ich mich zum Sternenglauben<br />
Ihres Abdul Fortunas und seines Schülers<br />
Thomas Krut und sehe für Sie und Ihr Werk<br />
einen Abendhimmel voller Sterne voraus.“<br />
Schmidt-Barrien war zeitlebens ein konsequenter<br />
Verfechter der Reinheit unserer<br />
niederdeutschen Sprache, erforschte ihre<br />
Geschichte und beharrte auf Regeln in Aussprache<br />
und Rechtschreibung. Bei Verstößen<br />
konnte er in seiner spontanen Kritik<br />
oft sehr ungehalten und sichtlich gnatterig<br />
reagieren. Ich war Zeuge, als er einmal<br />
einen Vortragenden jäh unterbrach und<br />
ihm zurief: „Dat heet nich Scharmbäkk, dat<br />
heet Scharmbeek. Im Plattdeutschen gilt<br />
das Dehnungs-c!“<br />
Lyrische Gedichte finden sich höchst selten<br />
in seinen Schriften. Man muss sie förmlich<br />
mit der Lupe suchen. Deshalb noch<br />
schnell diese Rarität:<br />
Sommerdag<br />
Dat Gras is gröön, de Roggen hell,<br />
Blaublomen staht un bleuht.<br />
Oh, Sommerwind, vertell, vertell!<br />
Kummt bald de Lee un meiht?<br />
Mien Kleed is gröön, mien Haar is hell,<br />
Blauogen gaht na mi.<br />
Höörst du den Wind m't Koorn, Gesell?<br />
Singt he von mi un di?<br />
Dien Gaarn is gröön, dien Dag is hell,<br />
de Heben hoch un blau.<br />
Den Wind, noch höörst du em in’t Feld.<br />
Bald fallt de Abenddau.<br />
Die uralte Kirche in St. Jürgen, die in<br />
ihrem strahlenden Weiß wie ein Leuchtturm<br />
als Wahrzeichen im „Meer der Gräser“<br />
wacht, zählte zu seinen Lieblingsorten. Dort<br />
auch auf dem stillen Kirchhof fand er seine<br />
letzte Ruhestätte. Ich erinnere mich noch<br />
deutlich an jenen Herbsttag, als wir beide<br />
hier anlässlich eines Fototermins alte Grabsteine<br />
aufsuchten und er plötzlich den Arm<br />
ausstreckte und mir anvertraute: „Kiek,<br />
Jägersmann, daar will ick mal liggen.“<br />
Es vergeht kein Jahr, in dem ich nicht<br />
wenigstens einmal in St. Jürgen weile. Ein<br />
tiefgründiger Zauber scheint über dieser<br />
einsamen Stätte zu liegen. Dieser so<br />
bedeutsame Ort unserer <strong>Heimat</strong>geschichte<br />
motiviert mich mit meiner Fotokamera<br />
ständig aufs Neue. Ein Blick auf Heinrichs<br />
Grab, ein kurzes Innehalten und im gleichen<br />
Augenblick die unweigerliche Einbildung,<br />
ihn wieder vor mir stehen zu seh’n,<br />
wie er mir mit einem einladenden Wink<br />
zuruft: „Kumm rin!“ Wilko Jäger<br />
Jan Heinerich Heinerich<br />
Sien un Schien<br />
„Bo mi doch mal en lütten Schuppen“, see<br />
Mama an Papa. Sowat müss se woll hebben,<br />
för de Harken un ehren Platthaker un de anner<br />
Saken för den Gaarden. Ik kunn dat al sehn,<br />
disse Schuppen schull ok dögen, ehr Instellen<br />
to de Welt to wiesen. Allens Öko, typisch Ma.<br />
Un se dach ok, dissen lütten<br />
Schuppen kunnen wi,<br />
dat heet, ehr Keerl, jo sülvst<br />
maken. Oolt Boholt, en paar<br />
Dören vun ’n Sparrmüll un<br />
den buntig anmalen. „Köst<br />
meist nix un süht individuell<br />
ut“, see Ma. Un: „De<br />
Ferdig-Gaardenhüüs ut en<br />
Kataloog, de mag ik woso<br />
nich lieden. De hebbt de Navers allemann.“<br />
Oolt Holt harrn wi noog, denn wi, dat heet,<br />
mien Öllern, de sammelt egens allens. Dorför<br />
weer so en Schuppen allemalen goot to bruken,<br />
as dröög Lager för all jüm ehren Schiet.<br />
Dat döög as Argument för Papa. De egens<br />
keen Praktiker is, wat en aver as Kind beter<br />
nich seggt, to en Papa. Ik denk, en Minschen<br />
kann an sien Opgaven wassen. Hebb ik aver<br />
ok nich luut seggt.<br />
Un denn weern twee Wekenennen för den<br />
Familienfreden perdü. De Ollen kregen sik<br />
över den rechten Pleck för den Schuppen in<br />
de Wull, dat Sagen vun dat Holt köst mienen<br />
Vadder acht nee Saagblädder un denn en nee<br />
Stichsaag dorto, ik wull nich mehr mit Papa<br />
snacken, wieldat he mi nich sagen leet, un in<br />
de Köök brenn Mama de nee Pann swatt, as<br />
se wat dorto seggen wull. As de Eckpielers fast<br />
stünnen, kreeg mien Papa den Gevel op ‘n<br />
Dööz un as dat hele Dings torecht weer, pass<br />
de Döör nich. De Finsters harrn se ok vergeten,<br />
man dat maakt woll nix: Wat bruukt en<br />
Hark Licht för?<br />
Güstern Avend is mien Vadder torecht worrn.<br />
Aver schöön is dit Schuppendings egens<br />
nich,un ok nich bannig individuell. Ik holl mienen<br />
Babbel. Minschliche Motivatioon dröffst<br />
du nich angriepen. Blangenbi laat sik woso al<br />
so veel Öllern scheden.<br />
Ik glööv, Mama töövt nu op den Wedderbericht.<br />
Störm schall dat geven, un Störm,<br />
soveel kann ik sehn, hollt disse Schuppen nich<br />
alltolang ut. Un wenn doch, denn geiht, glööv<br />
ik, mien Mudder mit en Vörslaghamer in ’n<br />
Gaarden, wenn Papa bi sienen Football is.<br />
Nu bün wiss ik an de Tuur. Dat se blots allebeide<br />
mien Öllern blievt. Enen lütten Schuppen<br />
för de Hark warrd ik woll kriegen. Mien<br />
Grootöllern, de hebbt dat geern en beten ornlich<br />
in unsen Gaarden, dat dat ok wat hermaakt,<br />
för de Lüüd. De möögt disse Gaardenhüüs<br />
ut en Kataloog lieden. Ik ok. Un Mama<br />
hett bald Boortsdag.<br />
Birgit Lemmermann<br />
17
Vor 100<br />
Jahren ...<br />
<strong>Heimat</strong>rückblick:<br />
Presseberichte von<br />
Januar bis März 1913<br />
Das neue Jahr hat begonnen. Aber im<br />
Gegensatz zu unserer Zeit ist dies vor einhundert<br />
Jahren nichts, was besonders hervorgehoben<br />
oder gefeiert wird. Zu sehr<br />
sind die Menschen damals damit beschäftigt,<br />
ihr tägliches Auskommen zu sichern.<br />
Gefeiert wird aber auch: Die Einladungen<br />
zu den traditionellen Bällen der verschiedensten<br />
Vereine als jeweiliger Höhepunkt<br />
des Vereinslebens nehmen in der Anzeigenlandschaft<br />
einen breiten Raum ein und …<br />
Kaisers Geburtstag. Die Würdigung dieses<br />
besonderen Tages zeigt uns heute, wie<br />
damals mit Euphorie und großem Respekt<br />
der Person Wilhelms II. Anerkennung auch<br />
in der Provinz gezollt wurde. – Die Berichte<br />
zu den Ereignissen werden ausführlicher<br />
und damit informativer. Für die Bewohner<br />
der Moorgebiete östlich Bremens stehen<br />
Veränderungen an, von denen sie in der vor<br />
ihnen liegenden Zeit besonders betroffen<br />
sein werden…<br />
Neues Moorschutzgesetz<br />
Landkreis. „Es wird uns geschrieben: Der<br />
Entwurf des neuen Moorschutzgesetzes ist<br />
für diejenigen Gegenden, in denen Moor<br />
vorkommt, von besonderem Interesse. Der<br />
Entwurf bestimmt, daß Moorgrundstücke<br />
in Zukunft, soweit es das Gemeinwohl verlangt,<br />
zur Gewinnung von Torf nur in der<br />
Weise benutzt werden dürfen, daß die<br />
Möglichkeit ihrer späteren land- und forstwirtschaftlichen<br />
Benutzung gewährleistet<br />
ist. Nach der dem Gesetzentwurf beigegebenen<br />
Begründung soll der regellose Torfstich,<br />
welcher nicht an der Bank entlang<br />
oder an der Wand entlang geschieht, in<br />
Zukunft nicht mehr gestattet sein, ferner<br />
nicht das Torfstechen bis unter den Wasser-<br />
18<br />
spiegel. Mit der ersteren Beschränkung<br />
wird man einverstanden sein können;<br />
dagegen ist es doch bedenklich, ´das Torfstechen<br />
bis unter den Wasserspiegel´ zu<br />
verbieten. Es ist im Niederungsmoor üblich,<br />
den Torf in der Weise zu gewinnen, daß<br />
man Kuhlen bis zu 3 Meter Tiefe gräbt und<br />
aus diesen Torf ausschachtet, so daß nachher<br />
die Kuhlen voll Wasser stehen, bis sie im<br />
Laufe der Jahre wieder zuwachsen. Es gibt<br />
im Niederungsmoor viele Torfstichrechte,<br />
welche von Moorarbeitern für teures Geld<br />
gekauft sind, in dem Vertrauen darauf, daß<br />
der Torf 2 – 3 Meter tief ausgegraben werden<br />
dürfe. Wenn ihnen dies in Zukunft<br />
nicht mehr gestattet ist, so werden sie auf<br />
das empfindlichste geschädigt. (…) Die<br />
Interessenten müssen nun, nachdem der<br />
Entwurf in dritter Lesung angenommen<br />
worden ist, versuchen, daß sie bei Ausführung<br />
des Gesetzes im Kreise ihr Recht<br />
geltend machen.“<br />
Bremen: Zuschüttung<br />
des Torfbassins?<br />
Bremen. „ Die Zuschüttung des Torfbassins<br />
vor der Neukirchstraße im Findorff-<br />
Viertel ist in der letzten Zeit wiederholt in<br />
interessierten Kreisen, auch in der Bürgerschaft,<br />
zur Sprache gebracht worden. Das<br />
gibt Veranlassung, einmal durch ziffernmäßige<br />
Belege darzutun, in welchem<br />
Umfange die Anfuhr des Torfes in Schiffen<br />
allmählich nachgelassen hat. Der meiste<br />
Torf gelangt bekanntlich jetzt auf Fuhrwerken<br />
oder mit der Kleinbahn in die Stadt;<br />
außerdem wird jetzt sehr viel weniger Torf<br />
gebrannt als in früheren Jahren. In den Jahren,<br />
als das Torfbassin fertiggestellt wurde<br />
(1873 – 74), wurden auf dem alten Torfkanal,<br />
der bei der Schleifmühle endigte, etwa<br />
15 000 Schiffe im Jahr gezählt, auf dem<br />
neuen Torfkanal 17 000. Das Verhältnis<br />
blieb ungefähr das gleiche bis zum Jahre<br />
1881; dann aber sanken die Zahlen von<br />
Jahr zu Jahr. 1891 wurde der sogenannte<br />
Kuhgraben an der östlichen Seite des Bürgerparks<br />
zugeschüttet, darauf die Parkallee<br />
angelegt und nach und nach bebaut. Der<br />
gesamte Verkehr der Torfschiffe übersiedelte<br />
dann nach dem Torfbassin an der<br />
Neukirchstraße. Um zu zeigen, wie sehr der<br />
Verkehr seit jener Zeit nachgelassen hat,<br />
fügen wir die Zahl der bei Kuhsiel durchgeschleusten<br />
Schiffe an: 1902: 9280; 1903:<br />
8167; 1904: 6293; (…); 1911: 1567; 1912:<br />
1896. Bei dem Torfschiffverkehr über Kuhsiel<br />
ist der Rückgang besonders auffällig.“<br />
Weser-Vertiefung<br />
nicht unproblematisch<br />
Landkreis. „ Zur Weservertiefung erhalten<br />
wir aus sachverständigen Kreisen eine<br />
längere Zuschrift, in der betont wird, daß<br />
die weitere Vertiefung der Unterweser auch<br />
für die Besitzer der Wiesen und Weiden an<br />
den Hamme-, Wümme- und Lesumniederungen<br />
großen Schaden mit sich bringe.<br />
Schon jetzt steht in den Gräben, die die<br />
Weideländer durchziehen, in der trockenen<br />
RUNDBLICK Frühjahr 2013
Jahreszeit nur wenig Wasser, so daß es oftmals<br />
an Wasser für die Tränkung des Viehes<br />
fehlt. Der Zustand wird sich noch bedeutend<br />
verschlechtern, sobald die Weser weiter<br />
vertieft wird, da dann noch weniger<br />
Wasser in die Nebenflüsse und die Weiden<br />
gelangen kann. Auch der Graswuchs wird<br />
lange nicht mehr die Erträgnisse liefern können,<br />
die er jetzt liefert. Trostlos wird es auch<br />
mit dem Vegesacker Hafen werden, dessen<br />
Einfahrt schon heute unter starken Versandungen<br />
zu leiden hat. Nach erfolgreicher<br />
weiterer Vertiefung der Weser werden die<br />
Sandablagerungen infolge der raschen<br />
Strömung der Lesum an ihrer Mündungsstelle<br />
rapide zunehmen(…). Es dürfte dann<br />
nur noch eine Frage der Zeit sein, ob man<br />
den Schiffsverkehr auf der Lesum nicht<br />
durch eine Schleusenanlage in der Nähe<br />
von Grohn für die Zukunft sicherstellen will.<br />
Jedenfalls muß die Allgemeinheit den Vorteil,<br />
den Bremen-Stadt durch die weitere<br />
Weservertiefung erlangt, teuer bezahlen.“<br />
Blumenthal wächst!<br />
Blumenthal. „Blumenthal wächst!<br />
konnte Herr Gemeindevorsteher Stürken in<br />
der gestrigen Gemeinderatssitzung feststellen,<br />
und die Vertreter konnten bei der<br />
Beschlußfassung über den Gemeindehaushalt<br />
ihm beistimmen. Die Zahl der Einwohner<br />
ist auf über 12 000 angewachsen und<br />
dementsprechend nimmt auch die Zahl der<br />
Häuser stetig zu. Das Gemeindevermögen<br />
hat einen Wert von rund 2 Millionen Mark,<br />
aber auch die Schuldenlast ist auf rund 922<br />
000 Mark gestiegen. (…) Die Entwicklung<br />
des Ortes stellt an die Arbeitsfreudigkeit der<br />
Gemeindevertreter stetig neue Anforderungen,<br />
so stehen die Verbesserung der<br />
Straßen, der Bebauungsplan und ein Kanalisationsprojekt<br />
in Aussicht.“<br />
Kurz berichtet<br />
Lilienthal. „Beaufsichtigung des Lesestoffes<br />
der Schüler. Im preußischen Kultusministerium<br />
wird zurzeit ein Erlaß vorbereitet,<br />
der sich in Gestalt eines Aufrufs an die<br />
Eltern wendet und in dem um bessere<br />
RUNDBLICK Frühjahr 2013<br />
Beaufsichtigung des Lesestoffes der Schuljugend<br />
gebeten wird. Der Erlaß verweist auf<br />
die verhängnisvollen Wirkungen, die sich<br />
als Folgen einer schlechten Jugendlektüre<br />
gezeigt haben, und betont, daß von Seiten<br />
der Schule alles geschieht, um die Jugendlektüre<br />
zu bessern. Aber die Schule sei<br />
machtlos, wenn sie vom Elternhause nicht<br />
ausreichend unterstützt werde. Nur wenn<br />
die Eltern in klarer Erkenntnis der ihren Kindern<br />
drohenden Gefahren und im Bewußtsein<br />
ihrer Verantwortung die Lesestoffe<br />
ihrer Kinder einschließlich der Tagespresse<br />
sorgsam überwachen, das versteckte Wandern<br />
häßlicher Schriften von Hand zu Hand<br />
verbieten und verhindern, das Betreten<br />
aller Buch- und Schreibwarenhandlungen,<br />
in denen Schundliteratur feilgeboten wird,<br />
nicht gestatten und selbst überall gegen<br />
Schundliteratur tatkräftig Stellung nehmen,<br />
ist die Hoffnung vorhanden, daß dem Übel<br />
gegengesteuert werden kann.“<br />
Ritterhude. „Neulich lief durch die Tageszeitungen<br />
unserer Gegend die Notiz, daß<br />
der garbadische Anteil des Stoteler Waldes<br />
der Axt zum Opfer fallen soll. Diese Nachricht,<br />
die jeder Liebhaber eines schönen<br />
Waldes mit lebhaftem Bedauern vernahm,<br />
bestätigt sich zur Freude aller Naturfreunde<br />
nicht. Die Herren Georg von Gröning, hier,<br />
und Georg Bornemann, Hude, haben das<br />
fragliche Gehölz käuflich erworben.<br />
Dadurch wird erfreulicher Weise dem Niederschlagen<br />
des ganzen Waldes Einhalt<br />
geboten.“<br />
Neues aus dem<br />
Gerichtssaal …<br />
„(Schöffengericht Lilienthal vom 17.<br />
Februar) Die Ehefrau M. aus Trupermoor<br />
hatte gegen die Ehefrau K. daselbst eine Privatklage<br />
erhoben. Frau K. hatte im Herbst<br />
beim Kartoffelausroden über Frau M., die<br />
damals noch Braut war, eine schwere Beleidigung<br />
ausgesprochen. Frau K. bestritt solches<br />
entschieden. Die Zeugin behauptete<br />
aber bestimmt, daß Frau K. die beleidigenden<br />
Worte ausgesprochen habe. Der Verteidiger<br />
der Frau M. beantragte gegen Frau K.<br />
eine exemplarische Strafe. Die Angeklagte<br />
wurde nach § 186 zu 25 Mark Geldstrafe,<br />
eventuell 5 Tage Gefängnis verurteilt. – Die<br />
Haussöhne E. und Sch. aus Trupermoor<br />
waren wegen Jagdvergehens angeklagt. Sie<br />
sollten am Sonntag, den 24. November<br />
1912, in Heidberg einen Schuß abgefeuert<br />
haben. Der Jagdpächter und der Jagdaufseher<br />
wollten die Angeklagten auf dem Wege<br />
von Heidberg nach Trupermoor mit Flinten<br />
gesehen und der Jagdaufseher den E.<br />
bestimmt erkannt haben, obwohl die Entfernung<br />
einige 100 Meter betragen hat. Die<br />
beiden Angeklagten bestritten ganz entschieden,<br />
dort mit Jagdgewehren gewesen<br />
zu sein. Da ihnen nicht bestimmt ein Jagdvergehen<br />
nachgewiesen werden konnte,<br />
wurden beide kostenlos freigesprochen. –<br />
Der Arbeiter L. in Kleinmoor hatte sich<br />
wegen Hausfriedensbruchs, Körperverletzung<br />
und Sachbeschädigung zu verantworten.<br />
Am 25. November v. J. kam L. wegen<br />
Erbstreitigkeiten in das Haus des Stallbesitzers<br />
B. in Kleinmoor. Mit dem Ellenbogen<br />
stieß er eine Haustürscheibe ein. Als Frau B.<br />
ihm dafür Vorwürfe machte, schlug er sie<br />
mit dem Handstock über den Arm, daß derselbe<br />
blutete. Trotz mehrmaliger Aufforderung<br />
wollte er das Grundstück nicht verlassen,<br />
sondern schlug noch einmal nach Frau<br />
B.. Wegen Hausfriedensbruchs und Körperverletzung<br />
wurde er zu 45 Mark Geldstrafe<br />
oder 15 Tagen Gefängnis verurteilt.“<br />
Peter Richter<br />
Quelle: Zeitungsarchiv des <strong>Heimat</strong>vereins Lilienthal<br />
19
Im Strom der Zeit<br />
Die reizvolle Landschaft zwischen Lilienthal,<br />
Worpswede und Fischerhude, seit<br />
Urzeiten von den Flüssen Wümme, Wörpe<br />
und Hamme geprägt, zieht seit jeher die<br />
Menschen in den Bann. Urige Dörfer und<br />
Hofstellen, weite, oft raue Landschaften,<br />
spannende Lichtverhältnisse, Nebel und<br />
Überschwemmungen aber auch saftige<br />
Wiesen und blaue, wolkenbehangene Himmel<br />
machen diese vielseitige Landschaft zu<br />
einem einzigartigen Ökosystem. Unzählige<br />
Maler und Künstler haben sich von dieser<br />
Region inspirieren lassen, viele sind von<br />
weither gekommen und geblieben und<br />
haben Mensch, Natur, Alltag und Traditionen<br />
in ihren Werken festgehalten. Aber<br />
auch viele Maler aus der Region, die hier<br />
aufwuchsen, haben ihre <strong>Heimat</strong> in meisterlichen<br />
Werken auf Leinwand festgehalten.<br />
Die vor zehn Jahren von Monika und<br />
Hans Adolf Cordes gegründete Lilienthaler<br />
Kunststiftung präsentiert in der Ausstellung<br />
„Im Strom der Zeit“ die Werke von<br />
über 70 Malern aus der gesamten Region<br />
um Fischerhude, Lilienthal, Bremen und<br />
Worpswede erstmalig in einer Ausstellung.<br />
Dabei werden eindrucksvolle Werke aus<br />
über 125 Jahren Malerei gezeigt und ein<br />
beachtlicher Beitrag zur <strong>Heimat</strong>geschichte<br />
geleistet.<br />
Emmy Meyer (1866–1940), Die Hamme bei<br />
Nacht<br />
Heinrich Breling (1849–1914), Sattelpflege auf<br />
Fischerhuder Diele<br />
Das Leben der Menschen, Familien und<br />
Kinder, die Dörfer und Ortsteile damals,<br />
die Landschaft zu allen Jahreszeiten<br />
machen diese Ausstellung zu einem einzigartigen<br />
Lehrpfad für Kunst- und <strong>Heimat</strong>interessierte.<br />
Zu sehen sind unter anderem Werke von<br />
Christian Ludwig Bokelmann, Heinrich<br />
Breling, Udo Peters, Carl Jörres, Toni Elster,<br />
Fritz Mackensen, Lisel Oppel und Sophie<br />
Wencke, Heinrich Vogeler, Otto Modersohn,<br />
Hans am Ende, Albert Schiestl-<br />
Arding, Olga Bontjes van Beek.<br />
Mit den Büchern „...und sie malten<br />
doch – Geschichte der Malerinnen -<br />
Worpswede, Fischerhude, Bremen” sowie<br />
„Im Strom der Zeit – Geschichte der Malerei<br />
Worpswede Fischerhude Lilienthal“<br />
sind zwei Werke entstanden, die sich ausführlich<br />
mit den Künstlerinnen und Künstlern<br />
der Ausstellung befassen.<br />
Die Ausstellung in der Lilienthaler Kunststiftung,<br />
Lilienthal, Trupe 6, ist noch bis<br />
September 2013 zu besichtigen.<br />
Öffnungszeiten:<br />
Dienstag bis Sonnabend 14-18 Uhr,<br />
Sonntag 10-18 Uhr, Montag Ruhetag.<br />
Text: Tim Wöbbeking<br />
Bilder mit frdl. Genehmigung<br />
der Lilienthaler Kunststiftung<br />
Hermann Angermeyer (1876–1955), Morgenstimmung<br />
an der Wümme<br />
Fritz Mackensen (1866–1953), Mädchen auf<br />
Hocker<br />
Alfred Lichtenford (1902–1986), Stadt im Licht<br />
Eduard Scotland (1885–1945), An der Schlachte<br />
Bernhard Huys (1896–1973), Worpsweder Mühle<br />
Christian Ludwig Bokelmann (1844–1894), Bauernkate<br />
im Mondlicht<br />
20 RUNDBLICK Frühjahr 2013
Die Ortschaft Teufelsmoor auf der Findorff-Karte<br />
Gestalt und Entstehung<br />
Findorff vermittelt uns auf seiner Karte<br />
von 1755 ein detailliertes Bild des Dorfes<br />
Teufelsmoor mit den damals vorhandenen<br />
Gebäuden sowie den Flurstücken und<br />
ihren Besitzern.<br />
Die Ortschaft Teufelsmoor beginnt im W<br />
hinter der Beek, die dort überbrückt wird;<br />
eingezeichnet ist die hohe Beek-Brücke.<br />
Die damals vorhandenen Hofstellen –<br />
der Bauleute – sind mit Großbuchstaben<br />
eingetragen. Sie beginnen hinter der Beek-<br />
Brücke mit dem Hof A und erstrecken sich<br />
entlang des Querdamms. Die Gemarkung<br />
besteht in ihrer Grundstruktur aus unregelmäßigen<br />
Langstreifen, die mit den auf<br />
ihnen liegenden Hofstellen eine Besitzeinheit<br />
bilden. Diese Besitzeinheiten verlaufen<br />
streifenförmig quer zu beiden Seiten des<br />
Damms, sind aber nicht genau rechteckig<br />
und auch nicht von identischer Größe.<br />
Einige der Streifen tragen keinen eigenen<br />
Hof, sondern sind anderen Hofstellen<br />
zugeschlagen. Es finden sich in der Karte<br />
die Buchstaben A – T, d. h. es gab damals<br />
insgesamt 19 Vollbauernstellen. Die Besitzer<br />
der Hofstellen werden in einer Tabelle<br />
am Rande der Karte namentlich erwähnt,<br />
ebenso die Größe ihres Besitzes; ferner<br />
sind die Namen der dem Hof zugeordneten<br />
Häuerlinge und Häuslinge angegeben.<br />
1 )<br />
Auffällig ist, dass sämtliche Bauleute ihre<br />
Hofstelle südlich des Dammes, also zur<br />
Hamme hin haben. Die Wohnstätten der<br />
Häuerlinge und Häuslinge befinden sich<br />
auf der gegenüberliegenden Seite. 2 )<br />
Insofern bildet die Ortschaft zum einen<br />
ein langgestrecktes Reihendorf – die Länge<br />
beträgt immerhin fast 5 km – zum anderen<br />
sind die Häuer- und Häuslingsstellen relativ<br />
unregelmäßig angeordnet. Aber auch<br />
die Bauleutehöfe sind nicht so angelegt,<br />
dass man von einem exakten Schema sprechen<br />
könnte. So liegt der Hof R unmittelbar<br />
am Querdamm, die Höfe A, B, P und S<br />
sind ca. 200 m vom Damm entfernt, die<br />
Höfe F, G, N, O, Q und T etwa 300 m, die<br />
Höfe C, D, E, H, I und K etwa 400 – 500 m,<br />
während der Hof M fast 1 km vom Damm<br />
entfernt liegt.<br />
Die Gemarkung erstreckt sich noch über<br />
die letzte Hofstelle (T) hinaus. Eingezeichnet<br />
ist eine Scheidungs-Linie vom Günne-<br />
Moor, danach folgen noch weitere, i. w.<br />
unbebaute Langstreifen, die den Oberender<br />
Bauern zugeordnet sind, und zwar<br />
(von T aus) P, Q, R, T, S und O.<br />
Es stellt sich hiermit die Frage, wie eine<br />
derartige Siedlung entstanden ist und wie<br />
sie sich entwickelt hat.<br />
Die grundsätzlich gegebene Regelhaftigkeit<br />
der Dorfstruktur kann nur dadurch<br />
erklärt werden, dass es sich um eine Siedlung<br />
handelt, die planmäßig angelegt<br />
RUNDBLICK Frühjahr 2013<br />
worden ist. Die vorliegenden Quellen nennen<br />
übereinstimmend das Jahr 1335 mit<br />
der ersten schriftlichen Überlieferung,<br />
sodass sich auch die Dorfjubiläen daran<br />
orientieren. 3 )<br />
Zum einen schreibt Lenz: „Die Ortschaft<br />
Teufelsmoor wurde bereits 1335…als<br />
„Sowene Klampe“ erwähnt“ 3a ), zum anderen:<br />
„Am 25 Juli 1335 verkaufte der Ritter<br />
Heino von Westerbeck…eine Landfläche<br />
„Im Moor“ und am 3. August 1335 verkaufte<br />
Henricus von Ouvemunde Flächen<br />
an das Kloster in Osterholz, die „Up dem<br />
Beek“ liegen und „Sweenekamp“ genannt<br />
werden.“ 3b )<br />
Bei Menkhoff 4 ) finden wir folgende<br />
Angabe für das Jahr 1335: „Ritter Heino<br />
von Westerbeck verkauft Landflächen im<br />
Moor an das Kloster in Osterholz, vermutlich<br />
im Bereich des Dorfes Teufelsmoor.<br />
Das Kloster will hier – up dem Sweenekampe<br />
– Meier zu Lehen ansiedeln, die die<br />
Existenzgrundlage des Klosters bilden sollen.“<br />
Er geht dabei von 25 – 26 Hofstellen<br />
vor 1350 aus.<br />
Folgt man diesen Angaben, dann wäre<br />
die Siedlung zwischen 1335 und 1350<br />
angelegt worden, und zwar vom Kloster<br />
Osterholz, das hier als Lokator aufgetreten<br />
wäre.<br />
Die zu Grunde liegende Urkunde datiert<br />
vom 25. Juli 1335 und lautet (in Auszügen):<br />
„Nos, Heyno, miles, et Iohannes,<br />
famulus, fratres, dicti de Westerbecke,<br />
…dimisimus et dimittimus hororabili viro<br />
domino Thiderico, preposito, et suo conventui<br />
monasterii in Osterholte, Bremensis<br />
diocesis, unam aream, sitam in Vlice, id est<br />
Moer, quam nunc pro tempore colit Hen-<br />
ricus, dictus Semene, que annuatim solvit<br />
dimidiam urnatam butyri.“ 5 )<br />
„Wir, die Brüder Heyno, Ritter, und<br />
Johannes, Knappe, von Westerbeck 6 ),<br />
…haben übereignet und übereignen dem<br />
ehrenhaften Mann, dem Herrn Propst<br />
Theodor 7 ), und seinem Konvent des Klosters<br />
Osterholz in der Diözese Bremen eine<br />
Fläche (Hofstelle), gelegen in Vlice, das<br />
heißt Moor; diese wird momentan von<br />
Heinrich, genannt Semene, bewirtschaftet<br />
und erbringt (als Abgabe) jährlich ein halbes<br />
Maß (urna) Butter.“ 8 )<br />
Ob damit tatsächlich eine Hofstelle in<br />
Teufelsmoor gemeint ist, wird aus dem<br />
Urkundentext nicht wirklich deutlich. Es<br />
finden sich keinerlei nähere Ortsangaben.<br />
Deutlich wird allerdings, dass es sich um<br />
eine Fläche handelt, die zu der Zeit bereits<br />
bewirtschaftet wurde und abgabenpflichtig<br />
war. Wenn man dabei zugrundelegt,<br />
dass die Höfe zu Anfang in der Regel Freijahre<br />
(oft 12) besaßen, muss dieser Hof<br />
schon etliche Jahre bestanden haben. Dies<br />
scheint mir die Verortung in Teufelsmoor<br />
nicht unbedingt wahrscheinlicher zu<br />
machen.<br />
Die Ablieferung von Butter deutet darauf<br />
hin, dass der Betrieb seinen Schwerpunkt<br />
auf der Rindviehhaltung hatte.<br />
Ausführlich und – wie er selbst ausführt<br />
– erstmalig widmet sich Fliedner 9 ) der<br />
Siedlung Teufelsmoor und führt umfangreiche<br />
Untersuchungsergebnisse an. Er<br />
erkennt die Dorfanlage als Moorhufendorf<br />
10 ), wobei er die Größe der zugeteilten<br />
Hufen mit rund 25 ha angibt und diese<br />
damit die Größe einer Fränkischen Königshufe<br />
erreichen würden. Dabei deutet er die<br />
Verhältnisse so, dass die Streifen von der<br />
Hamme ausgehen, ca. 200 m breit sind<br />
und am Querdamm enden, dem er die<br />
Funktion eines Achterdeichs zuschreibt. 11 )<br />
Später schreibt er jedoch, dass „zunächst<br />
…ein Querdamm…angelegt wurde. Dann<br />
konnten die Kolonisten die Breite der<br />
Hufen abmessen…“ 12 )<br />
Nach Ansicht von Fliedner war es auch<br />
nicht das Kloster selbst, das kolonisierend<br />
auftrat; er nennt als mögliche Kolonisatoren<br />
die Herren von Westerbeck oder die<br />
Herren von Aumund 13 ), er hält es aber<br />
auch für möglich, dass die Siedlungen 14 )<br />
„durchaus genossenschaftlich geplant und<br />
angelegt worden sein“ könnten. 15 )<br />
Karte 16 ):<br />
Die Karte ist natürlich nicht 1350 entstanden,<br />
sondern zeigt, wie Fliedner sich<br />
die Entstehung der Siedlung vorstellt. Ausgehend<br />
vom Siedlungsbild von 1755 versucht<br />
er, die Primäranlage zu rekonstruieren,<br />
indem er auch den Streifen ohne<br />
Hausstelle einen Hof – wenn auch nur vermutet<br />
– zuordnet. So kommt er auf insge-<br />
21
Hofstellen hinter der Beek-Brücke Häuslings- und Häuerlingsstellen im Ortsteil Niederende<br />
samt 28 Stellen, 11 in Niederende und 17<br />
in Oberende. Getrennt werden die beiden<br />
Teile durch die Müssen. Durch die Kartenzeichnung<br />
wird auch deutlich, dass Fliedner<br />
offenbar dazu tendiert, die Leitlinie der<br />
Siedlung und damit ihren Ursprung am<br />
Querdamm zu suchen.<br />
Dies macht auch durchaus Sinn, wenn<br />
man an die wahrscheinlichen Beziehungen<br />
von Teufelsmoor in den Anfangsjahren<br />
denkt. Sowohl die Ritter von Westerbeck<br />
als auch das Kloster Osterholz sind auf der<br />
Geest beheimatet. Die Ortschaft Pennigbüttel<br />
wurde 1216 erstmals urkundlich<br />
erwähnt 17 ) und taucht in den Folgezeiten<br />
in Urkunden des Klosters Osterholz häufig<br />
auf. So ist es nicht abwegig anzunehmen,<br />
dass der Vorstoß ins Moor über Pennigbüttel<br />
erfolgt sein könnte. Allerdings führt<br />
der Heudamm, die Verbindung zur Geest,<br />
nicht direkt auf Pennigbüttel zu, sondern<br />
endet im Bereich von Myhle.<br />
Diese Landverbindung, die dann in den<br />
Querdamm übergeht, führt als Erstes an<br />
der Wulfsburg vorbei, die auch in der Fliedner-Karte<br />
verzeichnet ist. Diese Einzelhofsiedlung<br />
war später nicht Teil der Ortschaft<br />
Teufelsmoor, könnte aber seinerzeit der<br />
herausgehobene Sitz des Lokators gewesen<br />
sein. Zur Errichtung eines tragfähigen<br />
Baugrundes soll extra eine große Menge<br />
Sand vom Wolfsberg in Pennigbüttel dorthin<br />
transportiert worden sein. 18 )<br />
Andererseits finden sich Zeugnisse von<br />
Hofstellen in Hammenähe. 3a ) Fliedner verweist<br />
dabei auf Killmann, der „unmittelbar<br />
an der Hamme einige mittelalterliche Wurten<br />
festgestellt“ habe, aber „nur sehr<br />
wenige Hofplätze“. 19 )<br />
Auch Schulz hat eine Reihe von archäologischen<br />
Untersuchungen durchgeführt<br />
und ist dabei auf eine Vielzahl von mittelalterlichen<br />
Keramikscherben gestoßen, die<br />
für ihn ein eindeutiges Zeichen darstellen,<br />
dass der Ursprung der Siedlung nahe bei<br />
der Hamme zu suchen sei, zumindest im<br />
Ortsteil Niederende. 18 )<br />
Dann müsste die Hamme Leitlinie für die<br />
Ansiedlung und Verkehrsweg gewesen<br />
sein. Dies erscheint fraglich. Denn einerseits<br />
sind die Gebiete in Hammenähe<br />
regelmäßig überflutet worden; erst der<br />
Bau der Ritterhuder Schleuse 1874 ermöglichte<br />
eine Regulierung der Wasserstände.<br />
Auch bot das Hammeufer keinen<br />
tragfähigen Baugrund, andererseits war<br />
durch den Verlauf der Hamme keine<br />
direkte Anbindung zu den Grundherren in<br />
Osterholz bzw. Sand- oder Westerbeck hin<br />
gegeben. Und Kolonisations- und Handelsbeziehungen<br />
in das St.-Jürgens-Land<br />
bzw. Hollerland gehen aus den Urkunden<br />
nicht hervor.<br />
Zwar erstreckt sich auch die zweite von<br />
Fliedner als Moorhufendorf bezeichnete<br />
Siedlung Waakhausen/Viehland parallel<br />
zur Hamme. 20 ) In der Karte, die Fliedner<br />
dazu im Anhang (Abb. 19a) für die Zeit vor<br />
1350 präsentiert, liegen die Hofstellen<br />
jedoch auch bis zu einem Kilometer vom<br />
Fluss entfernt entlang eines Weges.<br />
Die erste Erwähnung von Waakhausen<br />
findet sich in einer Urkunde aus dem Jahr<br />
1355, als die Brüder Henning und Gevehard<br />
von Westerbeck „dem Kloster Osterholz<br />
alle ihre Güter in Waakhausen“ verkaufen.<br />
21 ) Henning und Gevehard sind<br />
Neffen des o. g. Heino, zwei der Söhne seines<br />
Bruders Johannes. Heinos Söhne<br />
Johannes, Christian, Berthold und Heino<br />
werden ebenfalls in der Urkunde genannt.<br />
Damit ist auch die zeitliche Zuordnung<br />
eindeutig dem Jahre 1355 zuzuschreiben<br />
und nicht – wie aus einigen Urkunden zu<br />
entnehmen ist – dem Jahre 1255. 22 ), 23 )<br />
Für die Zeit vom späten 13. bis zur Mitte<br />
des 14. Jahrhunderts sieht Fliedner einige<br />
regionale Entwicklungen, die einen Impuls<br />
für die Gründung der beiden Moorsiedlungen<br />
geliefert haben können: Eine allgemeine<br />
Bevölkerungszunahme führte zu<br />
Landknappheit und damit der Suche nach<br />
noch erschließbaren Flächen. Dadurch<br />
ergab sich eine günstige landwirtschaftli-<br />
che Konjunkturlage. Ein Teil des Bevölkerungswachstums<br />
wurde durch den Zuzug<br />
nach Bremen kompensiert, wo vor der Pest<br />
1349/50 zwischen 10.000 und 20.000 Einwohner<br />
lebten. Daraus folgte eine erhöhte<br />
Nachfrage nach Lebensmitteln und Brennmaterial.<br />
20 ) So mag – auch durch den<br />
Erfolg der Holler Kolonisation – das Wagnis<br />
eingegangen worden sein, im Moor Siedlungen<br />
zu gründen, wenn auch unter<br />
geänderten Bedingungen, da Privatinitiative<br />
und bäuerliche Genossenschaften an<br />
Bedeutung gewonnen hatten. Fliedner<br />
geht also davon aus, dass die Stadt Bremen<br />
damals einen derartig großen Markt<br />
dargestellt und so weit ins Umland ausgestrahlt<br />
hat, dass trotz schwieriger Transportverhältnisse<br />
über Land oder die unregulierte,<br />
wild mäandrierende Hamme, die<br />
erst ein gutes Stück von Bremen entfernt<br />
weserabwärts mündet, eine Siedlungsgründung<br />
wirtschaftlichen Erfolg versprach.<br />
Wilhelm Berger<br />
Anmerkungen<br />
1 ) In der Karte heißt es hierzu in der Legende<br />
u. a.:<br />
1. Die Wohn-Gebäude derer Bau-Leute<br />
sind dunkelroth und die Neben-<br />
Gebäude hellroth angeleget<br />
2. Häuerlinge sind hier diejenigen, deren<br />
Wohnungen der Baustelle eigenthümlich<br />
zustehen, diese sind gleichfals hellroth<br />
angeleget<br />
3. Der Häußlinge Häuser sind bläulich<br />
2 ) Auf der Karte sind 2 Tabellen zu finden; die<br />
erste enthält sämtliche Namen der Stellenbesitzer.<br />
Als Auszug hieraus werden<br />
hier nur die Namen der Bauleute angegeben.<br />
Angabe der Bauleute<br />
A Marten Welbrok sen.<br />
B Daniel Welbrok<br />
C Johann Welbrok jun.<br />
D Gevert Welbrok<br />
E Marten Tietjen<br />
F Carsten Schriever<br />
22 RUNDBLICK Frühjahr 2013
G Renken Schriever<br />
H Marten Welbrok jun.<br />
I Marten Tietjen jun.<br />
K Hinrich Wendelken<br />
L Johann Welbrok sen.<br />
M Johann Tietjen sen.<br />
N Marten Vinken jun.<br />
O Hinrich Schmonsees<br />
P Marten Vinken sen.<br />
Q Marten Schmonsees<br />
R Johann Tietjen jun.<br />
S Gevert Lütjen<br />
T Johann Semken<br />
3a ) Groß begangen wurde die 650-Jahr-Feier<br />
im Jahre 1985, zu der auch eine Festschrift<br />
herausgegeben wurde. Auch das 675jährige<br />
Dorfjubiläum wurde 2010 ausgiebig<br />
gefeiert; s. hierzu: a) Franz-Christian<br />
Lenz, Unser Dorf Teufelsmoor wird bald<br />
675 Jahre alt!; in: <strong>Heimat</strong>-<strong>Rundblick</strong> <strong>Nr</strong>.<br />
89 (2/2009), S. 16. Der Name ist hier<br />
allerdings falsch übermittelt; auch wenn<br />
die Deutung plausibel klingt, heißt es in<br />
den Urkunden Sweneklampe bzw.<br />
Sveneclampe. Die erste urkundliche<br />
Erwähnung dieses Namens erfolgt erst<br />
1365.<br />
3b ) ders., Dorfjubiläum 2010; ebd. <strong>Nr</strong>. 92 (1/<br />
2010), S. 15. Zu Sweenekamp s. Anm. o.<br />
RUNDBLICK Frühjahr 2013<br />
4 ) Reelf Menkhoff, Chronik von Osterholz-<br />
Scharmbeck, Band I; Osterholz-Scharmbeck<br />
2004, S. 22; ferner wie Anm. o.<br />
5 ) Hans-Heinrich Jarck, Urkundenbuch des<br />
Klosters Osterholz; Hildesheim 1982, <strong>Nr</strong>.<br />
107 (S. 93); Johann Hinrich Pratje, Altes<br />
und Neues IX, <strong>Nr</strong>. 8 (S. 173)<br />
6 ) Rittergeschlecht von Westerbeck taucht in<br />
Urkunden von 1182 – 1357 auf<br />
7 ) Propst des Klosters von 1331 – 1352<br />
8 ) Für Übersetzung und Erläuterung danke<br />
ich Herrn P. Wichmann, Osterholz-<br />
Scharmbeck<br />
9 ) Dietrich Fliedner, Die Kulturlandschaft der<br />
Hamme-Wümme-Niederung; Göttingen<br />
1970; (Göttinger Geographische Abhandlungen,<br />
Heft 55)<br />
10 ) ebd., S. 67/68<br />
11 ) ebd., S. 69<br />
12 ) ebd., S. 74<br />
13 ) ebd., S. 75<br />
14 ) als (einzige) weitere im Untersuchungsgebiet<br />
gelegene Moorhufensiedlung, die<br />
etwa gleichzeitig – ggf. einige Jahre später<br />
– entstanden ist, wird Waakhausen von<br />
Fliedner mit Teufelsmoor verglichen<br />
15 ) Fliedner, a. a. O., S. 76<br />
16 ) ebd., Abb. 16a<br />
17 ) Menkhoff, a. a. O., S. 19<br />
Lach- und Torfgeschichten<br />
Wie kummt so een Sandhopen mitten in us Weid bien „Breden Woter“?<br />
Datt iss jo een putzige Froog, nich wohr!<br />
Ober de Reeg no will ick se nu vortellen un<br />
upklorn. Wie hebbt dütt Johr in’n Januar<br />
un Februar jo uck woller so een hatte,<br />
düstere un smuddelige Wintertiet mett<br />
veel Regen achter us broch. De Hamm un<br />
de Beek wören bordkant full, de Wischen<br />
un Weiden güngen in’n Woter ünner. Alln’s<br />
Wör blank un een grode Woterwüste. In de<br />
fröhen Johr’n iss datt meist jeden Winter<br />
posseert.<br />
Von 1950 bitt in de 70iger Johr’n harrn<br />
wie een Stück Weideland von 16 Morgen<br />
an de Hamm bien „Breden Woter“<br />
topacht. Dor moken wie Hau, un dorno<br />
grosen wie dor us Jungbeester. Ass lüttje<br />
Bengel bünn ick dor all jümmer gern mett<br />
Opa un Vadder henföhrt un hebb jemm<br />
bie de Arbeit hulpen. Ick wett datt noch<br />
eenmol in’n Förjohr löpen wie dör de erste<br />
Weid, un dor in de Mitt weer so een platten<br />
Bulten ut Sand. Opa wies mie düssen<br />
Bulten, de weer man bloot’s son por Meter<br />
groot, un frog mie: „Watt meenst du wol,<br />
wie kummt de Bulten hierher, datt gifft<br />
doch gor keen Sand an’n ,Breden Woter‘?“<br />
Ick muss lang nodenken un segg: „Hebbt<br />
jie den and mett een Ackerwoggen hierher<br />
föhrt?“ Ober worum mitten in’ne Weid?<br />
Opa grien un smuster: „Dor kummst du<br />
nich up mien Jung, ober ick will die datt<br />
vortellen. Fröhere Johr’n in’n Winter, wenn<br />
all de Weiden ünner Woter weern, hebbt<br />
wie mett us Torfscheep Sand von de Geest<br />
un von Weyerbarg holt. De Sand weer<br />
too’n Huusboo’n, up de Wege un de Huussteer’n<br />
ganz wichtig un kostbor.<br />
So weer’n wie Moorbuer’n all mett us<br />
Torfscheep ünnerwegs un holen Sand<br />
wenn ,Land ünner‘ weer. De Torfscheep<br />
woren jümmer düchtig full load, datt<br />
schull jo watt bringen. Nu kööm datt bi<br />
rusigen Wind un Wellenslag foken mol for,<br />
datt Woter öber Bord slög. Datt bruuk nich<br />
18 ) mündl. Mitteilung von Herrn K.-P. Schulz,<br />
Osterholz-Scharmbeck<br />
19 ) Fliedner, a. a. O. S. 70; der genannte Killmann<br />
taucht nicht im Literaturverzeichnis<br />
auf, hat also möglicherweise seine Ergebnisse<br />
nicht veröffentlicht<br />
20 ) Fliedner, a. a. O., S. 70/71<br />
21 ) H.-H. Jarck, a. a. O., S. 135<br />
22 ) Joh. Hinr. Pratje, Die Herzogthümer Bremen<br />
und Verden oder vermischte Abhandlungen<br />
zur Erläuterung der Politischen-<br />
Kirchen- Gelehrten- und Naturgeschichte<br />
wie auch Geographie dieser beiden Herzogthümer.<br />
Sechste Sammlung, Bremen<br />
1762, S. 526 und 414/5<br />
23 ) Jarck (s. Anm. 17) hat auch diese – mit der<br />
o. a. gleichlautende – Urkunde übernommen<br />
(auf S. 52/53). Er geht davon aus,<br />
dass diese das richtige Datum enthält und<br />
führt als Beleg dafür die in der Urkunde<br />
genannte Priorin des Osterholzer Klosters<br />
– Margarethe – an, die tatsächlich ab<br />
1255 Priorin des Klosters war. Die Herren<br />
von Westerbeck weisen aber – wie oben<br />
gesagt – auf das Jahr 1355. Auch zu der<br />
Zeit hieß die Priorin des Klosters Margarethe<br />
(von 1348 – 1357). Die Namen finden<br />
sich bei Menkhoff (s. Anm. 4)<br />
24 ) Fliedner, a. a. O., S. 166ff<br />
veel, un de Kohn sööp af. So mussen wie<br />
Jan von Moor’s us Schipp mett Sand in de<br />
Weid lingen loten bitt datt Woter in Föhrjohr<br />
woller aflopen weer. Denn muss de<br />
Sand in’ne Weid schuppt weer’n, un wie<br />
kunnen denn Kohn in’n Groben na Huus<br />
schippern. Een Sauarbeit! Süst du wol<br />
mien Jung, un dorum finn’st du hier mennigmol<br />
mitten in de Hammwischen eenfach<br />
so een Bulten Sand!<br />
De Weyerbarg iss uck so een Sandbulten,<br />
datt schall domols een grotet Segelschipp<br />
wesen sien.“ Opa keek mie an un<br />
lach luut: „Glööf datt nich, datt weer’n<br />
Döntje!“<br />
An düsse lüttje Begebenheit mit Opa<br />
muss ick vondog denken, ass ick bi us in<br />
Düwelsmoor ober de Hammbrügg föhrt<br />
bin. De Weiden weer woller grön un de lüttjen<br />
Sandbulten liegt dor jümmer noch.<br />
Jan (Johann) Brünjes<br />
„Land unter“ in den Hammewiesen Foto: Jan Bünjes<br />
23
150 Jahre Männergesangverein<br />
Concordia Worpswede (1863 – 2013)<br />
Carl Otto Ferdinand Stolte (1825–1887)<br />
Vor 150 Jahren wurde der Männergesangverein<br />
Concordia Worpswede<br />
gegründet. Gründer des Chores war Carl<br />
Otto Ferdinand Stolte. Er wurde 1825 in<br />
Herford geboren und erwarb den in<br />
Worpswede heute noch existierenden<br />
Kaufmannsladen „ Stolte“. Er war ein rühriger<br />
Mann, wurde zum Gemeindevorsteher<br />
gewählt und sorgte für eine Verbindungsstraße<br />
von Worpswede nach Lilienthal. Er<br />
war bis zu seinem Todesjahr 1887 Vorsitzender<br />
und Dirigent des Chores.<br />
Unter Stolte blühte<br />
das Vereinsleben auf<br />
In diesen Jahren blühte das Vereinsleben<br />
auf. Sein Tod hinterließ eine große<br />
Lücke, die der Chor nur mühsam schließen<br />
konnte. Immer wieder gab es Zeiten ohne<br />
Dirigenten und somit auch keine regelmäßigen<br />
Singabende. Man tat sich<br />
schließlich mit Sängern aus Wörpedahl<br />
zusammen, konnte den einen oder anderen<br />
örtlichen Lehrer als Dirigenten gewinnen,<br />
sodaß wieder Chorproben abgehalten<br />
werden konnten und der Chor zu<br />
neuem Leben erwachte. Große Einschnitte<br />
Hinweis:<br />
Jubiläumsveranstaltung<br />
16. Juni 2013: Konzert aller Worpsweder<br />
Chöre in der Zions-Kirche.<br />
April<br />
Wenn der April wie ein Löwe kommt,<br />
geht er wie ein Lamm.<br />
Der April treibt sein Spiel.<br />
Treibt er´s toll, wird die Tenne voll.<br />
Chor unter Leitung von Organist Riggers (nach<br />
1906) – Hochzeit von Gottlieb Sämann, Kutscher<br />
von Heinrich Vogeler<br />
waren die beiden Weltkriege und die<br />
jeweilige Nachkriegszeit. Großes Aufsehen<br />
erregten unsere Auftritte seit 1983. Unser<br />
Dirigent war nämlich zu dieser Zeit eine<br />
Dirigentin: Frau Professor Dr. Adelheid<br />
Geck. Publikum und Chor waren von ihrer<br />
Vor dem „Kaffee Worpswede“ – Günter Hildebrandt in Aktion<br />
In Planung:<br />
Leserreise 2013 in die Eulenspiegelstadt Mölln<br />
Chor Pfingsten 1985 mit unserer Dirigentin Frau<br />
Dr. Adelheit Geck Foto: Dieter Weiser<br />
fröhlichen Art, den Chor zu leiten und zu<br />
führen, begeistert. 1990 ging diese schöne<br />
Zeit leider zu Ende, da sie in ihre alte <strong>Heimat</strong><br />
nach Mecklenburg-Vorpommern<br />
zurückkehrte. Seit vielen Jahren ist Günter<br />
Hildebrandt unser Dirigent und tut sein<br />
Möglichstes, um die inzwischen ganz<br />
überwiegend grau melierten Herren in<br />
Trab zu halten.<br />
Hermann Pelke<br />
Auch in diesem Jahr plant der <strong>Heimat</strong>-<strong>Rundblick</strong> eine Leserreise, die in die Eulenspiegelstadt<br />
Mölln führen wird. Weitere Informationen hierzu in der nächsten Ausgabe. Die Redaktion<br />
Bauernregeln April – Mai – Juni<br />
Mai<br />
Warmer und trockener Mai, hört an,<br />
hat manchmal schon sehr gut getan.<br />
Maienfrost die Blüten das Leben kost´.<br />
Juni<br />
Soll gedeihen Korn und Wein,<br />
muss im Juni Wärme sein.<br />
Solange der Kuckuck schreit,<br />
fürchte die Trockenheit.<br />
24 RUNDBLICK Frühjahr 2013
„Theater Alte Molkerei“ in Worpswede<br />
„End of the Rainbow“, Mary C. Bernet „Heinz-Erhardt-Abend – Was bin ich wieder für ein Schelm“, Christian Schliehe<br />
Worpswede. Am 24. September 2010<br />
begann in Worpswede das „Theater Alte<br />
Molkerei“ mit der erfolgreichen Aufführung<br />
„Loriots Dramatische Werke“. Der Schauspieler<br />
und Theatermacher Knut Schakinnis,<br />
der die „Komödie Kassel“ und die Theaterschiffe<br />
in Bremen und Lübeck ideenreich<br />
betreibt, eröffnete im Künstlerdorf mit dem<br />
„Theater Alte Molkerei“ eine vierte Spielstätte,<br />
die sich für Worpswede als eine kulturelle<br />
Bereicherung erweist (siehe <strong>Heimat</strong>-<br />
<strong>Rundblick</strong> <strong>Nr</strong>. 95, 4/2010, Seite 16).<br />
Das „Kunstcentrum Alte Molkerei“, das<br />
in Worpswede als Begegnungsstätte für<br />
Kunst, Kultur, Antiquariat und Gastronomie<br />
bekannt ist, bietet nun seit 2010 freitags<br />
und sonnabends sowohl abwechs-<br />
„Abba Hallo“, Sonja Hebestadt, David Wehle, Erika Best<br />
„Suche impotenten Mann fürs Leben“, Juliette Groß, Olaf Napp<br />
RUNDBLICK Frühjahr 2013<br />
lungsreiches Boulevardtheater als auch<br />
Comedy mit Niveau. In den fast zweieinhalb<br />
Jahren des Worpsweder Theaters mit<br />
seinen 120 Sitzplätzen konnte Knut Schakinnis<br />
trefflich ausgesuchte Unterhaltung<br />
im Künstlerdorf etablieren.<br />
Das „Edith-Piaf-Stück“ mit der hervorragenden<br />
Schauspielerin und Sängerin Mary<br />
C. Bernet war ein ausgesprochener „Renner“.<br />
Die satirische Kult-Komödie „Ekel<br />
Alfred“ erreichte wiederholt ein ausverkauftes<br />
Haus. Die glänzend musikalischdramatischen<br />
Theaterabende „End oft he<br />
Rainbow“ zeigten mit weltberühmten<br />
Songs „die turbulenten letzten Monate im<br />
Leben der Judy Garland“. Die unvergesslichen<br />
Verse, Wortspiele und Lieder mit<br />
dem „Heinz-Erhardt-Abend - was bin ich<br />
wieder für ein Schelm“ boten unterhaltsame<br />
Stunden für die Lachmuskeln des<br />
Publikums. Die Bühne des „Theater Alte<br />
Molkerei“ wurde 2012 durch die glänzenden<br />
Tanz- und Gesangseinlagen in einen<br />
„Revuepalast der schönsten ABBA-Melodien“<br />
verwandelt. Während der Komödie<br />
„Gatte gegrillt“ wurden die Zuschauer<br />
durch schwarzen Humor zu einem makabren<br />
„Abendessen zu Dritt“ geführt. Seit<br />
Februar 2013 läuft im Theater die Inszenierung<br />
„Suche impotenten Mann fürs<br />
Leben“. Die Aufführung betört das Publikum<br />
mit skurrilen und amüsanten Lebenssituationen.<br />
Text und Fotos: Dr. Helmut Stelljes<br />
„Gatte gegrillt“, Ingrid Steeger, Juliette Groß, Jens Ache<br />
„Ekel Alfred“, Tom Keidel, Paul Wallner, Martina Ruggebrecht, Marcus<br />
Rudolph, Berit Möller<br />
25
Willy Meyer-Osburg<br />
Ausstellung im Barkenhoff vom 10. Februar bis 2. Juni 2013<br />
12 Materialdrucke von Willy Meyer-Osburg, um<br />
2001<br />
Worpswede. Die neue Sonderausstellung<br />
im Barkenhoff ist dem Künstler Willy<br />
Meyer-Osburg gewidmet.<br />
Meyer-Osburg wurde 1934 in Bremen<br />
geboren. Nach Abschluss eines zweijährigen<br />
Studiums an der Staatlichen Kunstschule<br />
Bremen zog er 1957 in das Künstlerdorf<br />
Worpswede. Hier wohnte er<br />
zunächst bei Martha Vogeler im Haus im<br />
Schluh, später in unmittelbarer Nachbarschaft<br />
zum Barkenhoff im Haus von Hans<br />
am Ende und im Eichenhof. Dort richtete<br />
er sein erstes Atelier ein, das er sich mit<br />
dem Literaten Rolf Morstein teilte.<br />
„Abstrakte erobern<br />
Worpswede“<br />
Künstlerisches Umfeld von Meyer-<br />
Osburg war die „Junge Gruppe Worpswede“,<br />
zu der die Maler Henry Garde, Helmut<br />
Heinken, Winhard Lumma, Egon-Karl<br />
Nicolaus und Dieter Wallert zählten.<br />
„Abstrakte erobern Worpswede“ titelte<br />
1957 DIE WELT über eine Ausstellung dieser<br />
Künstler in der Worpsweder Kunsthalle<br />
Friedrich Netzel und konstatierte<br />
„Zunächst war es ein Schock.“<br />
Auch die erste Ausstellung der abstrakten<br />
Arbeiten von Meyer-Osburg fand in<br />
der Worpsweder Kunsthalle statt – sie stieß<br />
auf positive Kritik. Von Januar bis Februar<br />
1958 wurden seine Werke gemeinsam mit<br />
Gemälden von Peter Hahn gezeigt, der<br />
ebenfalls an der Kunstschule Bremen studiert<br />
hatte. Bereits im November des gleichen<br />
Jahres folgte eine Gemeinschaftsausstellung<br />
mit dem befreundeten Maler Herbert<br />
Düerkop und dem damals bereits<br />
international bekannten amerikanischen<br />
Bildhauer Duane Hanson, bei der Meyer-<br />
Osburg unter dem Pseudonym Will Arné<br />
auftrat.<br />
Blick in die Ausstellung im Barkenhoff Fotos: Dr. Helmut Stelljes<br />
Der eigentliche künstlerische Durchbruch<br />
und damit eine umfangreiche<br />
nationale und internationale Ausstellungstätigkeit<br />
gelang Meyer-Osburg nach<br />
seiner Übersiedlung nach Köln im Jahr<br />
1960. Initiiert wurde der Umzug durch<br />
den aus Köln stammenden Grafiker Hannes<br />
Jähn – mit ihm und seiner Frau, der<br />
amerikanischen Malerin Eila Hershon, verband<br />
Meyer-Osburg eine lebenslange<br />
Freundschaft. Gemeinsam reisten sie<br />
unter anderem nach New York, wo Meyer-<br />
Osburg Kontakte zu Künstlern wie dem<br />
berühmten Pop Art-Vertreter Robert Indiana<br />
knüpfte.<br />
Für fast vier Jahrzehnte blieb Köln der<br />
Lebensmittelpunkt von Meyer-Osburg;<br />
1998 kehrte er nach Worpswede zurück,<br />
wo er im Jahr 2005 starb.<br />
Werk umfasst<br />
Arbeiten aller Genres<br />
Das umfangreiche Werk von Willy<br />
Meyer-Osburg umfasst Arbeiten aller Genres.<br />
Neben grafischen Blättern wie Zeichnungen,<br />
Radierungen, Lithografien oder<br />
Linolschnitten existieren zahlreiche Collagen<br />
und Materialdrucke; auch die Buchgestaltung,<br />
beispielsweise das Illustrieren von<br />
Gedichten, waren für den Künstler von<br />
großem Interesse. Im Zentrum seines<br />
Schaffens steht jedoch die Malerei, die<br />
unter anderem durch ihre starke Farbigkeit<br />
beeindruckt.<br />
Bei den frühen Gemälden aus den späten<br />
1950er Jahren, von denen nur noch<br />
wenige existieren, wählte Meyer-Osburg<br />
einen eher dunklen Farbgrund, den er mit<br />
feinen Linien und kleinen Farbflächen<br />
überzog und zudem durch die Bearbeitung<br />
mit einem Spachtel strukturierte. Die<br />
Gemälde, aber auch grafische Blätter aus<br />
den 1960er und 1970er Jahren zeigen<br />
dagegen in ihrer intensiven Farbigkeit ein<br />
typisches Charakteristikum des gesamten<br />
weiteren Werkes von Meyer-Osburg.<br />
Menschliche Figur taucht<br />
nur abstrahiert auf<br />
In verschiedenen Bildkompositionen finden<br />
sich dabei Ansätze zum Figurativen,<br />
die menschliche Figur taucht jedoch<br />
zumeist nur abstrahiert auf. Auch (Alltags-)<br />
Gegenstände, die zu Stillleben<br />
arrangiert sind, werden lediglich fragmentarisch<br />
dargestellt; die Flächigkeit steht im<br />
Verhältnis zur Perspektive dabei im Vordergrund.<br />
Insbesondere in seinem Spätwerk<br />
ab den 1990er Jahren verzichtete der<br />
Künstler zugunsten des Eigenwertes der<br />
Farbe und den abstrahierten, häufig collagenhaft<br />
aneinander gefügten Flächen fast<br />
vollständig auf gegenständliche Anklänge.<br />
Lediglich in den Materialdrucken, die<br />
nach 1997 entstanden, nutzte Meyer-<br />
Osburg alltägliche Gegenstände wie<br />
Blechdosen, Pappschachteln, Plastikbecher<br />
oder einfache Holzstücke als Ausgangsform<br />
seiner Bildgestaltung. Durch<br />
ihre Bearbeitung – wie das Walzen durch<br />
die Druckerpresse oder die Demontage –<br />
und das anschließende farbige Drucken<br />
und Collagieren verfremdete er sie jedoch<br />
so stark, dass sie häufig kaum noch erkennbar<br />
sind. Vielmehr stehen wiederum Farbund<br />
Formensprache, vor allem aber auch<br />
die Materialität im Vordergrund.<br />
Beate C. Arnold<br />
Öffnungszeiten und weitere Informationen:<br />
www.worpswede-museen.de<br />
26 RUNDBLICK Frühjahr 2013
Jugendseite Kunst in Kinderschuhen Teil 1<br />
Im Herzen der Künstlerkolonie<br />
Worpswede bildet ein weitläufiges, bewaldetes<br />
Areal den Rahmen für das Hoetger-<br />
Ensemble. Ein Gebäudekomplex wird in<br />
der Zeit von 1924 bis 1927 von Bernhard<br />
Hoetger, dem Maler, Bildhauer und Architekten<br />
(1874-1949) errichtet und besteht<br />
aus dem Restaurationsbetrieb Kaffee<br />
Worpswede, einem Logierhaus für die<br />
Unterkunft von Gästen und Künstlern<br />
(heute Geschäftsstelle der Kulturstiftung<br />
Landkreis Osterholz) sowie der Großen<br />
Kunstschau. Die Kolonie wird 1889<br />
begründet und maßgeblich von Heinrich<br />
Vogeler und seinen Künstlerkollegen Fritz<br />
Mackensen, Otto Modersohn, Fritz Overbeck<br />
und Hans am Ende geprägt. Am<br />
Anfang des 20. Jahrhunderts kommen<br />
Schüler und Schülerinnen hinzu, deren<br />
bekannteste Vertreterin Paula Becker ist,<br />
die 1901 Otto Modersohn heiratet. Auch<br />
Clara Westhoff und Rainer Maria Rilke sind<br />
bekannte Bewohner von Worpswede in<br />
jener Zeit. Die Kunstschau besteht inzwischen<br />
aus zwei Gebäudeteilen, ein zweiter<br />
Teil wurde Anfang der 1970er Jahre<br />
erbaut. Diese architektonische Vielfalt lässt<br />
es zu, alte und neue Kunst in entsprechendem<br />
Ambiente zu zeigen. In dem alten Teil<br />
wird Kunst von Bernhard Hoetger ausgestellt,<br />
in dem neuen Gebäudeteil finden<br />
RUNDBLICK Frühjahr 2013<br />
regelmäßig wechselnde Ausstellungen<br />
statt.<br />
Die Kunstschau Worpswede veranstaltet<br />
in regelmäßigen Abständen Aktionen für<br />
Kinder und Jugendliche. Das Projekt, mit<br />
Jugendlichen und Kindern zu arbeiten,<br />
steckt noch in den Kinderschuhen, soll<br />
aber im Sommer 2013 weiter ausgebaut<br />
werden.<br />
Üblicherweise werden diese Aktionen<br />
passend zu einer aktuellen Ausstellung der<br />
Großen Kunstschau Worpswede gestaltet.<br />
Die Kinder erhalten eine kindgerechte<br />
Führung durch die Ausstellung und sollen<br />
danach selbst kreativ werden und das<br />
Gesehene bildnerisch nach ihren Vorstellungen<br />
darstellen.<br />
Seit 2011 stehen zwei Atelierräume zur<br />
Verfügung, die abseits des Ausstellungsbereichs<br />
und damit ohne Gefährdung von<br />
wertvollen Gemälden oder Skulpturen<br />
genutzt werden können. Hier ist Platz für<br />
bis zu 20 Personen, beispielsweise eine<br />
Kindergruppe mit Betreuerinnen und<br />
Betreuern. Hier finden auch die Geburtstagsfeiern<br />
für Kinder statt, zu denen ein<br />
schön gedeckter Tisch für die mitgebrachten<br />
Speisen und Getränke bereitgestellt<br />
wird.<br />
Folgende Aktionen werden derzeit auf<br />
Nachfrage durchgeführt:<br />
– Führungen speziell für Kinder oder<br />
Jugendliche<br />
– Kinder malen Bilder oder formen Figuren<br />
Die Kinder beim Malen … … angeleitet von Betreuerinnen<br />
Kreativität fördern schon im Kindesalter<br />
– Malaktionen zu einem vorgegebenen<br />
Anlass<br />
Eine Aktion findet zum Beispiel immer<br />
am 18. Oktober von 15.30 – 17.00 Uhr<br />
statt. Da ist nämlich der St. Lukas Tag, an<br />
dem Malaktionen für Kinder stattfinden.<br />
Zur vorbereitenden Organisation bittet<br />
die Kunstschau Worpswede, sich ca. eine<br />
Woche vorher anzumelden. Der Kostenbeitrag<br />
beträgt üblicherweise 5,– € pro<br />
Teilnehmer (bei mindestens zehn Personen).<br />
Eine gute Idee, die sich auch auf<br />
andere übertragen hat, die ebenfalls Aktionen<br />
für Kinder anbieten.<br />
Mareike Haunschild<br />
Mit freundlicher Unterstützung von Andreas<br />
Pirner (Kunstschau Worpswede)<br />
Die Räume bieten Platz für 20 Personen … … und jede Menge Kreativität Fotos: Andreas Pirner (Kunstschau Worpswede)<br />
27
Das Leberblümchen –<br />
die Blume des Jahres 2013<br />
Im letzten Jahr wurde die Heidenelke,<br />
eine Pflanze der bei uns selten gewordenen<br />
Heide- und Sandmagerrasen, von der<br />
Loki-Schmidt-Stiftung zur Blume des Jahres<br />
bestimmt. Für 2013 fiel die Wahl auf<br />
das Leberblümchen, das in Buchen- und<br />
Eichen-Hainbuchen-Wäldern zu finden ist.<br />
Es ist, wie viele Kräuter unserer Laubwälder,<br />
ein Frühblüher, der zwischen Mitte<br />
März und Mitte April seine blauen Blüten<br />
dicht über dem Boden entfaltet. Alle diese<br />
Blumen blühen so früh, da zu dieser Zeit<br />
die Sonne noch den Waldboden erreichen<br />
und damit erwärmen kann, weil Bäume<br />
und Sträucher noch ohne Laub sind oder<br />
gerade erst ihre Knospen öffnen. Jetzt fliegen<br />
auch bereits die ersten Insekten, um<br />
die Blüten des Leberblümchens zu bestäuben.<br />
Diese besitzen sechs bis acht Blütenhüllblätter,<br />
unter denen drei kelchartige<br />
grüne Hochblätter angeordnet sind. Von<br />
Vorteil ist es in dieser frühen Jahreszeit,<br />
dass sich die Blüten bei Kälte oder Regen<br />
schließen und bei Wärme wieder öffnen<br />
können. Die Früchte sind Nüsschen mit je<br />
einem Samen, die wie bei Buschwindröschen,<br />
mit denen Leberblümchen nahe<br />
verwandt sind, zu mehreren zu einem<br />
Fruchtstand vereinigt sind. Diese Nüsschen<br />
Ameisen helfen<br />
bei der Verbreitung<br />
besitzen kleine ölhaltige Anhängsel, die<br />
Ameisen verlocken, die Früchte wegzutragen<br />
und damit zu verbreiten. Bei der<br />
Fruchtreife neigt sich der Blütenstengel<br />
zum Boden, sodass sich häufig Tochter-<br />
Kennzeichnend sind die dreilappigen Blätter<br />
Die Farbenpracht des Leberblümchens<br />
pflanzen in der Nähe der Mutterpflanze<br />
entwickeln können. Daher wachsen Leberblümchen<br />
oft truppweise. Sie kommen<br />
übrigens fast nur in Wäldern vor, die hier<br />
seit Jahrhunderten wachsen, da eine Fernverbreitung<br />
durch Ameisen nicht stattfinden<br />
kann.<br />
Kennzeichnend für diese Pflanzenart<br />
sind neben den auffälligen Blüten die dreilappigen<br />
Blätter, die zu mehreren eine<br />
Rosette bilden. Neue Blätter erscheinen<br />
erst nach der Blütezeit. Sie überwintern<br />
und schützen so die Blütenknospen. Die<br />
Form der Blätter und auch deren rötlich-<br />
braune Unterseite erinnern bei etwas Fantasie<br />
an eine menschliche Leber. Daher hat<br />
das Leberblümchen sowohl seinen deutschen<br />
Namen als auch den lateinischen<br />
Namen Hepatica erhalten. Früher glaubte<br />
man, dass Gott damit anzeigen wollte, dass<br />
diese Pflanze bei Lebererkrankungen helfen<br />
kann. So wurde sie zu einer anerkannten<br />
Heilpflanze, worauf auch ihr zweiter<br />
lateinischer Name nobilis = edel hinweist.<br />
Heute wird diese Wirkung in Frage gestellt.<br />
Kommt in Nordwestdeutschland<br />
nur in den<br />
Landkreisen Rotenburg,<br />
Stade und Cuxhaven vor<br />
Das Leberblümchen bevorzugt frische,<br />
nährstoff- und kalkreiche Mullböden. In<br />
Nordwestdeutschland kommt es nur sehr<br />
zerstreut in den Landkreisen Rotenburg<br />
und Stade sowie im Osten des Kreises Cuxhaven<br />
vor, und zwar in größeren Wäldern.<br />
Es erreicht hier die Westgrenze seiner Verbreitung<br />
und gilt im Tiefland nach der<br />
Roten Liste Niedersachsen/Bremen als<br />
gefährdet. Westlich der Weser fehlt die Art<br />
in Niedersachsen, ebenso in Nordrhein-<br />
Westfalen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland.<br />
Dagegen ist sie im niedersächsischen<br />
Hügelland und in den östlichen und südlichen<br />
Bundesländern nicht selten. Gefährdet<br />
ist sie bei uns vor allem dadurch, dass<br />
sie als Gartenpflanze beliebt ist und daher<br />
ausgegraben wird.<br />
Text: Prof. Dr. Hermann Cordes<br />
Fotos mit frdl. Genehmigung der Loki-<br />
Schmidt-Stiftung<br />
28 RUNDBLICK Frühjahr 2013
Himmelsziege im Sinkflug?<br />
Die Bekassine zwischen Osterstader Marsch und Teufelsmoor<br />
Vom Naturschutzbund Deutschland<br />
wurde die Bekassine zum Vogel des Jahres<br />
2013 ernannt. Diese Schnepfenvogelart<br />
repräsentiert die Lebensräume Moore und<br />
Feuchtwiesen und ist im Bestand bundesund<br />
landesweit bedroht. Wie der Kiebitz,<br />
der Große Brachvogel und die Uferschnepfe<br />
gehört sie zu den Watvögeln. Sie<br />
alle sind Opfer einer systematischen Zerstörung<br />
ihrer Brut- und Nahrungshabitate<br />
durch Entwässerung, intensive Landwirtschaft<br />
und Torfabbau.<br />
Den Beinamen Himmelsziege verdankt<br />
die Bekassine dem „Meckern“ während<br />
des Balzfluges. Dieses typische Geräusch<br />
ist kein Ruf oder Gesang, die Flügel werden<br />
wie ein Instrument genutzt. Vor allem das<br />
balzende Männchen zeigt den charakteristischen<br />
Sturzflug. Dabei winkelt es die Flügel<br />
an, spreizt die Schwanzfedern fächerförmig<br />
ab. Der Luftstrom versetzt die<br />
äußeren Schwanzfedern in Vibration.<br />
Durch rasche, zitternde Flügelbewegungen<br />
erhält der Ton sein Tremolo, das sich<br />
ähnlich wie das Meckern einer Ziege<br />
anhört.<br />
Die Bekassine entspricht in der Größe<br />
einer Singdrossel. Das Gefieder besitzt eine<br />
gute Tarnfärbung mit deutlichen Längsstreifen<br />
auf Kopf und Rumpf. Der gerade<br />
Schnabel, doppelt so lang wie der Kopf, ist<br />
besonders markant. Damit kann sie im<br />
Untergrund gleichzeitig stochern, tasten<br />
und Nahrung aufnehmen. Die Schnabelspitze<br />
ist biegsam, sodass sich der<br />
geschlossene Schnabel leicht in den weichen<br />
Boden bohren lässt. Kleine Beutetiere<br />
kann der Vogel aufnehmen, ohne ihn erst<br />
aus der Erde ziehen zu müssen.<br />
Über neunzig Prozent der Moore und<br />
des Grünlandes in Deutschland sind abgebaut,<br />
entwässert oder werden intensiv<br />
bewirtschaftet. Im Laufe der letzten zwanzig<br />
Jahre hat sich der Bestand der Bekassine<br />
halbiert. In Deutschland wird er heutzutage<br />
auf nur noch etwa 5.500 – 8.500<br />
Brutpaare geschätzt.<br />
Je „nässer“ desto besser<br />
Lange Schnäbel brauchen weiche<br />
Böden und flache Gewässer, in denen nach<br />
Beute gestochert werden kann. Je „nässer“<br />
desto besser. Solche Lebensräume finden<br />
sich heute fast nur noch in geschützten<br />
Bereichen, in Naturschutz- oder Vogelschutzgebieten.<br />
Dabei sind diese Flächen<br />
meist immer noch zu klein, um den<br />
Bestand zu sichern.<br />
Das gilt auch für den Landkreis Osterholz.<br />
Im Süden der Osterstader Marsch ist<br />
in den letzten Jahren kein Brutnachweis<br />
der Bekassine mehr gelungen. Die letzten<br />
Balzflüge wurden im Jahr 2010 am Geest-<br />
RUNDBLICK Frühjahr 2013<br />
Die Bekassine, Charaktervogel des Teufelsmoores<br />
Foto: NABU/W. Rolfes<br />
rand bei Meyenburg und im Garlstedter<br />
Moor beobachtet. In diesem Gebiet sind<br />
einzelne Bekassinen ganzjährig und<br />
größere Trupps gelegentlich anzutreffen.<br />
Bestand als Brutvogel<br />
akut bedroht<br />
Noch in den 80er und 90er Jahren übernachteten<br />
im Herbst große Bekassinen-<br />
Trupps mit mehr als 100 Vögeln in den<br />
Schwaden des Wasserknöterichs an der<br />
großen Neuenkirchener Pütte. Solche<br />
Beobachtungen hat es in den letzten Jahren<br />
nicht mehr gegeben. Auch aus dem<br />
St. Jürgensland und den Truper Blänken<br />
gibt es keine guten Nachrichten. Hier ist<br />
der Bestand der Bekassine als Brutvogel<br />
akut vom Erlöschen bedroht. Es fehlt der<br />
Lebensraum, um Jungtiere großzuziehen.<br />
In der Hammeniederung sah es lange<br />
Zeit besser aus. Die Bekassine wurde dort<br />
bereits in den 1960er Jahren von Franz<br />
Heike als Charaktervogel beschrieben.<br />
Seither hat sie sich unter den Watvögeln<br />
am besten behaupten können und ist mittlerweile<br />
die häufigste Schnepfenvogelart<br />
in diesem Gebiet. Sie besiedelt vorwiegend<br />
die nassesten, sumpfartig ausgeprägten<br />
Bereiche, darunter die wenigen<br />
Grünlandsenken, sehr feuchtes oder nasses<br />
Grünland, Binsenflächen, Schwadensümpfe,<br />
wollgrasgeprägtes Grünland<br />
(Kleinseggenrasen), Röhrichtränder und<br />
lichte, schüttere Erlenbestände innerhalb<br />
des Grünlandes.<br />
Offenbar war die Art um 1986 noch<br />
häufiger. Inzwischen sind intensiver<br />
bewirtschaftete Flächen nicht mehr besiedelt.<br />
Zwischen 1998 und 2006 hat die Art<br />
im Bestand wieder deutlich zugenommen.<br />
Das Gebiet hatte sich gut entwickelt. Ein<br />
großer Teil der Hammeniederung ist im<br />
Rahmen eines Naturschutzgroßprojektes<br />
seitens des Landkreises extensiviert worden.<br />
Das Räumen der Gräben und das Verfüllen<br />
von Senken haben nachgelassen, im<br />
Grünland wurden zahlreiche Blänken wieder<br />
angelegt.<br />
Die Bekassine hat im südlichen Teufelsmoor<br />
großflächig eine hohe Siedlungsdichte.<br />
Der Bestand in den Postwiesen,<br />
den Hofleuteweiden, am Breiten Wasser<br />
und in der Oberen Beekniederung ist landesweit<br />
als einer der bedeutendsten anzusehen.<br />
Durch intensive Zählarbeiten konnten<br />
im Durchschnitt 8,6 Reviere pro 100<br />
Hektar innerhalb einer rund 1160 Hektar<br />
großen Kernfläche identifiziert werden.<br />
Damit erreicht sie in unserem Raum noch<br />
höchste Siedlungsdichten. Die Hamme-<br />
Wümmeniederung ist deutschlandweit ein<br />
Schwerpunktlebensraum der Art.<br />
Seit 2006 zeigen sich jedoch auch in<br />
der Hammeniederung zurückgehende<br />
Bestandszahlen. Schutzmaßnahmen am<br />
Dümmer haben gezeigt, dass Watvögel<br />
zum langfristigen Überleben großflächige<br />
Gebiete benötigen, die bis in den Sommer<br />
hinein überschwemmt sind. Außerhalb des<br />
Projektgebietes besteht in der Hammeniederung<br />
weiteres Potenzial, den Siedlungsraum<br />
dieser stark bestandsgefährdeten<br />
Vogelart zu erweitern.<br />
Erlebnis Bekassine:<br />
Ende Februar/Anfang März treffen die<br />
ersten Bekassinen ein, im April bis Anfang<br />
Mai sind dann die charakteristischen Balzflüge<br />
vor allem in den Dämmerungsphasen<br />
zu beobachten.<br />
Die Biologische Station Osterholz bietet<br />
im Rahmen der „Wege ins Moor 2013“ am<br />
20. April 2013 die Fahrrad-Exkursion „Fliegende<br />
Ziegen in der Hammeniederung?“<br />
an. Tasso Schikore übernimmt die Leitung.<br />
Treffpunkt ist die BioS, Lindenstraße 40 in<br />
Osterholz-Scharmbeck, um 16 Uhr. Fahrrad,<br />
wetterfeste Kleidung und möglichst<br />
ein Fernglas sind mitzubringen.<br />
Siegfried Makedanz und Tasso Schikore<br />
Die Autoren danken Ekkehard Jähme für<br />
Informationen zur Bestandsentwicklung im<br />
Westen des Landkreises.<br />
Weitere Informationen:<br />
www.biologische-station-osterholz.de<br />
29
Standgerichte in Norddeutschland<br />
Mit dem Auf- und Ausbau der Wehrmacht<br />
etablierte sich ab 1934 auch eine<br />
eigene Gerichtsbarkeit der deutschen<br />
Streitkräfte, die sich stetig vergrößerte und<br />
– vor allem mit Kriegsbeginn – an Einfluss<br />
gewann. Neben deutschen Soldaten war<br />
sie für Kriegsgefangene, aber auch für die<br />
Aburteilung von deutschen und ausländischen<br />
Zivilisten zuständig. Stetig arbeiteten<br />
die Juristen der Wehrmacht dabei an<br />
Novellierungen des althergebrachten<br />
Militärstrafrechts und setzten neben der<br />
verstärkten Politisierung der Tatbestände<br />
sowie der Rechtsprechung auch auf eine<br />
Einbeziehung derjenigen Schlüsse, die sie<br />
aus der Tätigkeit von Militärstrafgerichten<br />
während des Ersten Weltkrieges gezogen<br />
hatten. Dazu gehörte die Möglichkeit, dass<br />
Kriegsgerichte auch in der Form eines<br />
sogenannten Standgerichts Prozesse<br />
führen konnten. Die Bedeutung von<br />
Standgerichten lag in erster Linie in der<br />
Gelegenheit, sofort – das heißt an Ort und<br />
Stelle – urteilen zu können, also ohne langwierige<br />
Ermittlungen abzuwarten, und<br />
darin, das Urteil im Anschluss an die Verhandlung<br />
auch umgehend vollstrecken zu<br />
lassen, statt eine Bestätigung durch eine<br />
hohe Kommandoebene oder gar ein Gnadenverfahren<br />
abzuwarten. Diese Schnellgerichte<br />
waren entsprechend von der NS-<br />
Führung als wirkungsvolles Mittel hochgeschätzt,<br />
um in als krisenhaft angesehenen<br />
Situationen für eine nachhaltige Disziplinierung<br />
zu sorgen. Insbesondere ab Herbst<br />
1944 wurden Standgerichte daher zunehmend<br />
in dem Glauben genutzt, die<br />
schwankenden und ständig bedrohten<br />
Fronten zu stabilisieren – vor allem durch<br />
die massive Aussprache von Todesstrafen.<br />
Neben dem strafenden Charakter hatten<br />
sie nun auch vornehmlich abschreckend<br />
zu wirken. Nachdem sich die Kämpfe mehr<br />
und mehr auf deutschen Boden verlagert<br />
hatten, sollten die harten Urteile nicht<br />
Lesenswertes<br />
Peter Kalmbach -<br />
Wehrmachtsjustiz<br />
Geheime Feldpolizei, Wehrmachtsgefängnisse,<br />
Sondereinheiten, Straflager,<br />
Bewährungsbataillone - die Justizorganisation<br />
der Wehrmacht unterhielt ein weitverzweigtes<br />
System, um Verfolgte zu bestrafen<br />
und zu brandmarken. Zehntausende<br />
Todesurteile und Hunderttausende Freiheitsstrafen<br />
sind das Resultat dieses Apparates,<br />
dessen Machtfülle sogar die Kompetenzen<br />
des Justizministeriums mit seinen<br />
politischen Sondergerichten übertraf.<br />
Die Studie beschäftigt sich mit dem Aufstieg<br />
der Wehrmachtjustiz und den fieber-<br />
Drei Männer stehen in einem Garten vor einem<br />
Standgericht. Diese undatierte Aufnahme stammt<br />
aus einem privaten Album und trägt nur den Hinweis<br />
„Kriegsgericht“. Wo sie entstand, ist unklar. Allerdings<br />
ist sie ein seltenes Dokument, denn Fotografieren<br />
war während der Verhandlungen verboten<br />
allein durch Bekanntmachungen verbreitet<br />
werden, sondern nun kam es auch darauf<br />
an, dass die Gerichteten für viele – Soldaten<br />
und Zivilisten – sichtbar gemacht wurden.<br />
An etlichen Orten konnte man nun<br />
Tote sehen, die, wie zur Schau gestellt, eindringlich<br />
an die starre Einhaltung gegebener<br />
Durchhaltebefehle mahnen sollten.<br />
Zivile, Sonder- und<br />
fliegende Standgerichte<br />
wurden eingesetzt<br />
Ab Februar 1945 vervielfältigte sich<br />
dann diese maßlose Justiz: Neben die bis<br />
dahin bestehende Möglichkeit, dass Regiments-<br />
oder Divisionskommandeure solche<br />
Tribunale einsetzen konnten, kamen in<br />
den folgenden Wochen -zig weitere ähnliche<br />
Einrichtungen hinzu. Nicht nur SSund<br />
Polizei-, sondern auch „zivile“ Standgerichte<br />
wurden eingesetzt; hinzu kamen<br />
Sonder- und „fliegende“ Standgerichte,<br />
die praktisch für sich, losgelöst von militärischen<br />
Verbänden, durch die Gegend<br />
zogen und Todesurteile aussprachen. So<br />
gab es beispielsweise ein von Großadmiral<br />
Dönitz eingesetztes „fliegendes Standgericht<br />
für die Wehrmacht“, das im gesamten<br />
norddeutschen Raum tätig war. Auch<br />
Kommandanten von strategisch wichtigen<br />
Straßen, von Ortschaften, selbst von<br />
Brücken hatten nun Richter bei sich, um<br />
Fahnenflüchtige – häufig waren es nur Versprengte<br />
– , „Wehrkraftzersetzer“ und<br />
andere zu richten. Die Toten lagen<br />
erschossen neben den Wegen oder hingen<br />
an Bäumen und Laternen. Meistens hatten<br />
sie ein Schild um den Hals, das ihr angebliches<br />
Vergehen anprangerte und jeden<br />
Vorbeikommenden einschüchtern sollte.<br />
So geschah es auch im April 1945 in Tarmstedt,<br />
wo – je nach Wahrnehmung einzelner<br />
Zeitzeugen – ein, zwei oder gleich<br />
mehrere Landser im Ort und/oder an der<br />
Einfallstraße hingen. Selbiges geschah in<br />
Osterholz-Scharmbeck, in Seedorf, in<br />
Nordholz und in -zig anderen deutschen<br />
Dörfern, Städten und Landstrichen<br />
Deutschlands. Diese „Urteile“ wurden nur<br />
in seltenen Fällen noch schriftlich dokumentiert,<br />
häufig wurden den Toten die<br />
Erkennensmarken abgenommen, sodass<br />
Angehörige bis jetzt im Unklaren über<br />
deren Schicksal belassen wurden. Überhaupt<br />
gibt es kaum Anhaltspunkte, in welchem<br />
Umfang und an welchen einzelnen<br />
Orten derartige Gerichte Exekutionen<br />
anordneten.<br />
Tausende von Menschen haben das Wirken<br />
dieser Kriegs- und Standgerichte erleben<br />
müssen. Wer darüber berichten kann<br />
und mag, kann durch jeden Hinweis zur<br />
Aufklärung beitragen und wird gebeten,<br />
sich zu wenden an Peter Kalmbach, Fliederweg<br />
9, 26919 Brake, E-Mail peter.kalmbach@gmx.de,<br />
Tel. 04401/7079731 oder<br />
0421/244442040. Vertraulichkeit ist dabei<br />
selbstverständlich.<br />
Peter Kalmbach<br />
haft betriebenen Mobilmachungsplänen<br />
der „furchtbaren Juristen“ bis zum blutigen<br />
Finale, in dem die vorherigen Schreibtischtäter<br />
sich zum Teil persönlich als Richter<br />
und Henker gleichzeitig betätigten.<br />
Erschienen im Metropol Verlag , Berlin<br />
ISBN: 978-3-86331-053-0<br />
Der Autor:<br />
Peter Lutz Kalmbach, Dr. jur, geboren<br />
1976 in Stade, 1996 Abitur, kaufmännische<br />
Ausbildung, 2000-2005 Studium der<br />
Rechts- und Wirtschaftswissenschaften,<br />
2007-2009 Rechtsrefendariat, 2009 Promotion,<br />
seit 2008 Lehrbeauftragter an der<br />
Universität Bremen, seit 2010 als Rechtsanwalt<br />
tätig.<br />
Tim Wöbbeking<br />
30 RUNDBLICK Frühjahr 2013
Lesenswertes<br />
Stalag XB Sandbostel<br />
Die nunmehr 4. Auflage des Buches<br />
Stalag XB Sandbostel, erschienen im Temmen-Verlag<br />
in Bremen, ist nun mit einem<br />
ergänzenden Anhang von Andreas Ehresmann<br />
und Klaus Volland im Buchhandel<br />
erhältlich.<br />
Das Buch schildert das Schicksal von<br />
mehr als einer Million internierter Menschen<br />
aus 45 Ländern, größtenteils aus der<br />
Sowjetunion. Das Lager Sandbostel, ca. 15<br />
Minuten Autofahrt von Gnarrenburg entfernt,<br />
erschreckt noch heute durch die Vielzahl<br />
der präsenten Baracken. Unerwartet<br />
tauchen die Baracken unweit der Landstraße<br />
auf und lassen nur erahnen, welches<br />
Grauen sich hier zur Nazizeit abgespielt hat.<br />
Dass hier im April 1945 auch ein Gefangenenlager<br />
für 10.000 KZ-Insassen war,<br />
von denen Tausende den Tod fanden und<br />
unter menschenunwürdigen Bedingungen<br />
lebten, ist vielen Menschen ein noch immer<br />
unbekanntes Geheimnis düsterster Vergangenheit<br />
und zeigt, dass es auch in unserer<br />
Sehenswertes<br />
Liebeserklärung an die <strong>Heimat</strong><br />
Auf ganz beeindruckende Weise stellt<br />
<strong>Heimat</strong>-<strong>Rundblick</strong>-Redakteur Wilko Jäger<br />
auf einer Foto-DVD die Gemeinde Schwanewede<br />
vor. In professionellen Fotos zeigt<br />
er dabei die einzelnen Ortschaften mit<br />
historischen Bauernhöfen, Herrenhäusern<br />
und den oft noch dörflich geprägten Ortskernen<br />
sowie die Vielfältigkeit der Landschaft<br />
mit Buchenwäldern, einsamen<br />
Bächen, weiten Wiesen sowie Deichen und<br />
Stränden vor.<br />
Die unmittelbare Nähe zur Weser verleiht<br />
dieser Region einen maritimen Touch, der<br />
mit der weiten Landschaft und den noch<br />
großen, unverbauten Flächen einen ganz<br />
besonderen Charme versprüht.<br />
Hörenswertes<br />
Hohehorst auf DVD<br />
In dem von August Hoinka herausgegebenen<br />
Film von 68 Minuten Dauer wird<br />
dem Betrachter vieles aus der wechselvollen<br />
Geschichte des einst so prächtigen<br />
Gutes Hohehorst nähergebracht. Dabei<br />
berichtet Hans-Werner Liebig vieles über<br />
die Beweggründe der Familie Lahusen,<br />
warum sie ein für damalige Verhältnisse so<br />
modernes Gutshaus und Unternehmen<br />
mit Ländereien, Fischzucht und Schweinezucht<br />
errichtet haben.<br />
Hans-Werner Liebig geht auch auf die<br />
einstige Pracht des Anwesens und die Folgezeit<br />
ein und zeigt dabei seltene Fotos<br />
aus vergangenen Tagen. Auch wird über<br />
den heutigen Zustand und den Zerfall der<br />
RUNDBLICK Frühjahr 2013<br />
Region Menschen vernichtende Lager gab.<br />
Die Autoren Werner Borgsen und Klaus<br />
Volland haben in diesem Buch alles zusammengetragen,<br />
was Befragungen zahlreicher<br />
Zeitzeugen und die Sichtung von Originaldokumenten<br />
nach sorgfältiger Recherche<br />
ans Tageslicht befördert haben.<br />
Dabei schildern die Autoren die Vorkommnisse<br />
im Lager zwischen 1939 und<br />
1945 und zeigen erstmalig in diesem Buch<br />
veröffentlichte Fotos, Texte und Doku-<br />
Wilko Jäger geht auch auf die Menschen<br />
ein, die versuchen, diese Landschaft mit<br />
ihren alten Ortskernen zu erhalten und auf<br />
die damit verbundenen Schwierigkeiten.<br />
Die Vermaisung der Kulturlandschaft, der<br />
Bau von Biokraftanlagen und die Entste-<br />
Parkanlagen, notwendige Investitionen<br />
am Herrenhaus und verlorengegangene<br />
Schätze aus Park und Herrenhaus berichtet.<br />
Mit seltenen Innenaufnahmen werden<br />
die Pracht von damals und der üppige<br />
Luxus für kurze Zeit wieder lebendig. Doch<br />
Hans-Werner Liebig erzählt auch von dem<br />
mente. Auf 308 Seiten liest man von<br />
der Entwicklung des Lagers, von der<br />
Ernährung der Insassen, vom Arbeitseinsatz<br />
der Kriegsgefangenen, von unterschiedlicher<br />
Behandlung der Nationalitäten, von<br />
missglückten Fluchten, Bestrafungen und<br />
von der Überlebensstrategie der Gefangenen.<br />
Erschreckende Fotos zeigen verhungerte<br />
Menschen und Leichenkommandos<br />
auf dem Weg zu den Massengräbern.<br />
In einem weiteren Kapitel behandelt das<br />
Buch die Befreiung des Lagers durch britische<br />
Truppen und den Zwangsdienst der<br />
Bewohner der umliegenden Dörfer, welche<br />
zur Pflege der ehemaligen Insassen und zum<br />
Ausheben von Massengräbern herangezogen<br />
wurden. Auf welche Weise sich die ehemaligen<br />
Lagerinsassen an der Bevölkerung<br />
der umliegenden Ortschaften rächten, wird<br />
in diesem Buch ebenfalls geschildert.<br />
Das Buch Stalag XB Sandbostel ist im<br />
Temmen-Verlag erschienen mit 308 Seiten<br />
und 137 Abbildungen im Format 17 x<br />
24 cm mit Hardcover-Einband und im<br />
Buchhandel zum Preis von 19,90 Euro<br />
erhältlich (ISBN 978-3-926958-65-5).<br />
Tim Wöbbeking<br />
hung von Windkraftanlagen verändern<br />
auch hier zunehmends das Gesicht der<br />
Landschaft. Die DVD „<strong>Heimat</strong> zwischen<br />
Geest und Strom“ zeigt ausführlich und<br />
informativ die Gemeinde Schwanewede<br />
mit all ihren Attrraktionen, beschreibt deren<br />
Entwicklung und geht auch auf Geschichtliches<br />
ein. Der Betrachter dieser DVD wird<br />
mit Sicherheit noch viele neue Gesichter<br />
dieser Region entdecken.<br />
<strong>Heimat</strong>forscher Wilko Jäger und die Sprecher<br />
Marie Rubach und Peter Otto haben<br />
hier ein sorgfältig abgestimmtes Werk<br />
erstellt, welches als sehr sehenswert eingestuft<br />
werden kann.<br />
Erhältlich ist diese DVD in der Buchhandlung<br />
„Lesezeichen in Schwanewede“.<br />
Tim Wöbbeking<br />
einstigen Schloss, welches nach nur knapp<br />
60-jährigem Bestehen dem neuen Herrenhaus<br />
weichen musste. In einem spannenden<br />
Rundgang werden die einst zum Gut<br />
gehörenden Höfe, Stallungen und Gutshäuser<br />
vorgestellt und über die Nutzung<br />
von damals bis in die Gegenwart berichtet.<br />
Der gelungenen DVD liegt eine Kurzhistorie<br />
über Höhen und Tiefen des Guts Hohehorst<br />
bei.<br />
Dem Engagement von Hans-Werner Liebig<br />
ist es zu verdanken, dass heute so viel<br />
Wissenswertes über Hohehorst erhalten<br />
geblieben ist.<br />
In Kürze wird noch ein zweiter Teil des<br />
Films zu erwarten sein.<br />
Die DVD ist zum Preis von 12 Euro bei<br />
Hans-Werner Liebig (Tel. 0421-622273)<br />
und bei August Hoinka (Tel. 0421-601853)<br />
erhältlich. Tim Wöbbeking<br />
31
„Wo die dunklen Tannen ragen …“<br />
„Auf die Berge will ich steigen, „Lebet wohl, ihr glatten Säle !<br />
wo die dunklen Tannen ragen, Glatte Herren ! Glatte Frauen !<br />
Bäche rauschen, Vögel singen, Auf die Berge will ich steigen,<br />
und die stolzen Wolken jagen.“ lachend auf euch niederschauen.“ (Heinrich Heine (1797–1856),<br />
aus „Die Harzreise“ 1824)<br />
Der <strong>Heimat</strong>verein Lilienthal lud zu einer<br />
Ton-Dia-Schau mit <strong>Heimat</strong>-<strong>Rundblick</strong>-<br />
Redakteur Wilko Jäger in den Schroetersaal<br />
von Murkens Hof ein. Und der Lehrer im<br />
(Un-)Ruhestand, Autor, Fotograf und <strong>Heimat</strong>forscher<br />
aus Meyenburg versprach<br />
den Zuhörern und Zuschauern eine Harzreise<br />
durch Geschichte und Gegenwart.<br />
Es wurde eine gelungene Veranstaltung<br />
mit vielen stimmungsvollen Bildern und<br />
ebensolchen Texten. 300 großformatige<br />
Dias des Fotografen Jäger, eingeteilt in vier<br />
Abschnitte, untermalt mit Texten des<br />
Autors Jäger, mit Anleihen bei Goethe,<br />
Heine und anderen deutschen Romantikern,<br />
gesprochen von professionellen<br />
Sprechern, vermittelten Wissens- und<br />
Sehenswertes. Und es gab auch reichlich<br />
Balsam für Auge und Seele. Es kamen Erinnerungen<br />
auf an Klassenfahrten in der<br />
Jugendzeit mit romantischen Erlebnissen<br />
und belebten den Wunsch, doch wieder<br />
eine Harzreise zu unternehmen.<br />
Der Vortrag begann mit einem Einblick<br />
in die reiche Geschichte und in die<br />
eindrucksvolle Geologie des Harzes,<br />
beschrieb den Wasserreichtum und die<br />
Bergwälder des Harzes, bestehend aus hellen,<br />
lichtdurchfluteten Laub- und dunklen,<br />
gespenstischen Nadelwäldern.<br />
Der Harz ist ein Hochgebirge mitten im<br />
Flachland der Norddeutschen Tiefebene<br />
und zeigt in seiner geologischen Zusammensetzung<br />
eine Vielfalt, wie kein anderes<br />
Gebirge in Mitteleuropa. Hier finden<br />
wir die „klassische geologische Quadratmeile“.<br />
Senkrecht gestellte Gesteins-<br />
Teufelsmauer bei Blankenburg<br />
schichten durchstoßen die Erdoberfläche<br />
und ermöglichen spannende Einblicke in<br />
die Erdgeschichte. Der Harz wurde im Verlaufe<br />
der Erdgeschichte in seiner Entstehung<br />
„mehrfach angehoben, abgetragen,<br />
gesenkt und überflutet.“<br />
Der Harz zeichnet sich durch eine Vielfalt<br />
landschaftlicher Formen aus. Es gibt weite<br />
Buchenwälder und düstere Fichtenwälder,<br />
schroffe Felsklippen, rauschende Wasserfälle,<br />
tief eingeschnittene Flusstäler, sanfte<br />
Hochebenen mit weiten Wiesenflächen,<br />
einsame Hochmoore mit blühendem Wollgras<br />
und schwankendem Boden, über 70<br />
Teiche aus alter Bergbauzeit, 17 Talsperren<br />
und Stauseen der heutigen Wasserwirtschaft,<br />
zahlreiche Aussichtspunkte mit Fernblicken<br />
von unbeschreiblicher Schönheit<br />
und 7 „kleinste Städte“ mit dem Privileg<br />
„Bergstadt“: Altenau, Clausthal, Grund,<br />
Lautenthal, St. Andreasberg, Wildemann,<br />
Zellerfeld.<br />
Im 10. Jahrhundert<br />
Mittelpunkt des Reiches<br />
Durch die exponierte Lage des Harzes,<br />
durch Wasser-, Holz-, Wildreichtum, durch<br />
Bodenschätze und Bergbau blickt die Harzregion<br />
auf eine lange Geschichte zurück.<br />
Viele germanische Stammesverbände<br />
haben hier Spuren hinterlassen. Thüringer,<br />
Sachsen, Franken besiedelten das Harzgebirge<br />
und im Mittelalter, im 10. Jahrhundert,<br />
war der Harz gar Mittelpunkt des<br />
Deutschen Reiches. Dem sächsischen Herzog<br />
Heinrich I. (876-936) wurde hier 919<br />
beim Vogelfang im Harz von den deutschen<br />
Fürsten die Königswürde angetragen.<br />
(Ballade: „Heinrich der Vogler“) Sein<br />
Sohn, der spätere Otto der I. oder Otto der<br />
Große (912-973) wurde hier geboren.<br />
Heinrich der II. (973-1024), ein Urenkel<br />
von Heinrich dem I., wurde 1014 vom<br />
Papst zum römisch-deutschen Kaiser<br />
gekrönt. Die Ottonen, dann die Salier, später<br />
verschiedene Grafengeschlechter und<br />
Fürstenhäuser, wie die Welfen und Anhalter,<br />
gründeten ihre Macht auf die Erzbergwerke<br />
im Harz, wie beispielsweise den<br />
Rammelsberg bei Goslar (seit 968).<br />
Hier entstand das „Gesetzbuch“<br />
des Mittelalters<br />
Im Harz entstand auch das „Gesetzbuch“<br />
des Mittelalters. Von 1220-1230<br />
verfasste der Edelmann Eike von Repgow<br />
den „Sachsenspiegel“ auf der Burg Falkenstein<br />
über dem Selketal im Ostharz.<br />
Die Harzregion ist reich an Sagen und<br />
Geschichten, an Mythen und Poesie und<br />
der Harz ist in der deutschen Kulturgeschichte<br />
fest verankert. Der Harz und der<br />
Brocken, der höchste Gipfel des Harzes,<br />
hinterließen Spuren bei Goethe, Schiller<br />
und Heine, aber auch bei Eichendorff,<br />
Fichte, Gleim, Hoffmann, Klopstock, Koch,<br />
Leibniz, Löns, Novalis (Hardenberg), Telemann,<br />
Riemenschneider. Goethes literarische<br />
und wissenschaftliche Bereisungen<br />
des Harzes 1777, 1783, 1784 lieferten<br />
Anregungen, die von ihm in seinem „Doktor<br />
Faust“ verarbeitet wurden und der<br />
Brocken ging mit der Walpurgisfeier und<br />
als Blocksberg in die Literatur ein.<br />
Zur Kulturgeschichte des Harzes<br />
gehören jedoch auch die der bedeutenden<br />
Pfalz- und Klosterbauten. Dazu zählen die<br />
Pfalz Goslar und Werla am Rand des Harzes<br />
und die Klöster Walkenried (1129), auch<br />
bekannt geworden durch die Zerstörung<br />
1525 während des Bauernkrieges (Thomas<br />
Münzer), Wendhausen (9. Jh.), Drubeck<br />
(10. Jh.), Ilsenburg (11. Jh.), Himmelpforten<br />
(1253), bekannt durch einen Besuch<br />
Martin Luthers im August 1517 und durch<br />
Plünderung im Bauernkrieg 1525. .<br />
Durch den Vortrag zog sich wie ein kleiner<br />
roter Faden die Heine´sche „Harzreise“,<br />
unterlegt mit stimmungsvollen und<br />
zum Teil außergewöhnlichen Fotografien<br />
von Wilko Jäger, die die eindrucksvolle<br />
Natur des Harzes und die anheimelnde<br />
Gemütlichkeit in den Harzstädten treffend<br />
wiedergaben.<br />
32 RUNDBLICK Frühjahr 2013
Schloss und Stiftskirche in Quedlinburg<br />
Das waren nach Heine „die bunten<br />
Fäden, die so hübsch hineingesponnen<br />
sind, um sich im Ganzen harmonisch zu<br />
verschlingen“.<br />
Heinrich Heines literarischer Reisebericht<br />
„Die Harzreise“ beschreibt „mit brillianter<br />
Erzählkunst“ die Wanderung des Dichters<br />
als junger Student durch den Harz im Jahre<br />
1824. Diese Reise ging von Göttingen aus<br />
gen Norden und führte über Nörten und<br />
Hardenberg nach Osterode, Clausthal und<br />
Zellerfeld, Goslar und zum nahen Rammelsberg.<br />
Dann zum und über den Brocken<br />
mit Aufstieg und Übernachtung, ging weiter<br />
nach Osten nach Ilsenburg, Wernigerode,<br />
Elbingerode und über Rübeland, Treseburg<br />
nach Harzgerode. Von dort aus<br />
wandte er sich nach Süden und kam über<br />
Roßla und Kelbra, mit einem Abstecher<br />
zum Kyffhäuser zur berühmten Rotheburg<br />
und Burg Kyffhausen, nach Sangerhausen.<br />
Heine fing 1824 mit „liebevollen Worten“,<br />
„voller Witz und Ironie“, aufgelockert<br />
durch einige Gedichte den „Zauber des<br />
Harzes“ ein. Beispiel sind die Schilderungen<br />
der Natur in den Flusstälern des Harzes,<br />
in dem der „lieben, süßen Ilse“, der<br />
Selke, dieser „schönen, liebenswürdigen<br />
Dame“, der „herrlichen Bode“. In „Die<br />
Harzreise“ wird schon der kommende<br />
literarische Stil von Heinrich Heine erkennbar,<br />
bestehend aus „romantischen Sehnsüchten<br />
und Enttäuschungen, Illusionen<br />
und Ironien“. Er arbeitete später als „kritischer,<br />
politisch engagierter Journalist,<br />
Essayist, Satiriker“. „Er brachte Lyrik in die<br />
Alltagssprache und ließ der deutschen<br />
Literatur eine nie zuvor gekannte Leichtigkeit<br />
zuteil werden.“ Heine wurde einer der<br />
größten deutschen Dichter und Journalisten<br />
des 19.Jahrhunderts und zählt zu den<br />
letzten Dichtern der deutschen Romantik.<br />
Wilko Jäger fasste zusammen: Seit dem<br />
Mittelalter waren im Harz Bergbau und<br />
Köhlerei, der Holzabbau und die Wasserwirtschaft<br />
die wirtschaftliche Grundlage.<br />
RUNDBLICK Frühjahr 2013<br />
Stabkirche in Hahnenklee<br />
Schloss und Stiftskirche in Quedlinburg<br />
Heute Tourismus wichtiger<br />
Wirtschaftszweig<br />
Im 18. Jahrhundert kamen die Forstwirtschaft<br />
und kleine Industriebetriebe<br />
hinzu und im 19.Jahrhundert mit dem<br />
wohlhabenden Bürgertum das Bäder- und<br />
Wanderwesen, man fuhr in den Harz zur<br />
„Sommerfrische“. Heute ist der Tourismus<br />
ein wichtiger Wirtschaftszweig im Harz.<br />
Wilko Jäger wusste in Wort und Bild über<br />
weitere Sehenswürdigkeiten im Harz zu<br />
berichten. Über die 1897 erbaute kleinste<br />
Holzkirche Deutschlands im kleinen Harzort<br />
Elend, über die 1637 bis 1642 erstellte<br />
größte Holzkirche Mitteleuropas in Clausthal-Zellerfeld<br />
und über die 1908 fertiggestellte<br />
nordische Stabkirche in Goslar-Hahnenklee.<br />
Er berichtete über die in den letzten<br />
Jahren auch weltweit beachteten<br />
Sehenswürdigkeiten des Harzes, die als<br />
Weltkulturerbe mit dem Titel „UNESCO-<br />
Welterbe“ ausgezeichnet wurden. Dazu<br />
avancierten 1992 der Rammelsberg und<br />
die Altstadt Goslar, 1994 die Stadt Quedlinburg,<br />
als eines der größten Flächendenkmale,<br />
und 2010 das Kloster Walkenried<br />
und die Oberharzer Wasserwirtschaft,<br />
das „Harzer Wasserregal“.<br />
Zur Wasserwirtschaft und zum Tourismus<br />
im Harz gehören heute nicht nur das „Harzer<br />
Wasserregal“ mit den sich durch den<br />
Harz ziehenden Wasserkanälen und Teichen<br />
aus historischer Bergbauzeit (Oderteich),<br />
sondern auch die neuzeitlichen Talsperren<br />
und Stauseen, die vor allem in den 1930er<br />
Jahren und nach dem Kriege in den 50er<br />
und 60er Jahren errichtet wurden. Dazu<br />
gehören die Sösetalsperre (1928-1931),<br />
Odertalsperre (1931-1933), Eckertalsperre<br />
(1938-1942), Okertalsperre (1952-1956),<br />
Innerste-Talsperre (1963-1966), Granetalsperre<br />
(1966-1969). Eingebettet in die<br />
umliegende Landschaft geben diese<br />
großen Wasserflächen stimmungsvolle und<br />
malerische Bilder. Auch das bewiesen die<br />
Fotos von Wilko Jäger an diesem Abend.<br />
Text: Johannes Rehder-Plümpe<br />
Bilder: Wilko Jäger<br />
33
Ein Lesumer als Delegierter beim „Tag der<br />
Deutschen Einheit 2012“ in München<br />
Man hätte es wie einen Lottogewinn<br />
empfinden können, als Mitte Juli 2012 die<br />
Einladung zur Teilnahme an den offiziellen<br />
Feierlichkeiten zum „Tag der Deutschen<br />
Einheit“ aus dem Bremer Rathaus eintraf.<br />
Zuerst ist man unsicher, ob das auch seine<br />
Richtigkeit hat und man fragt sich, was der<br />
Anlass sein könnte für diese ehrenvolle Einladung.<br />
Bei einer Vorbesprechung im Bremer<br />
Rathaus am 6. September wurde von der<br />
Protokollchefin der Senatskanzlei das<br />
umfangreiche Programm in München<br />
erläutert und auf den hochoffiziellen Charakter<br />
der Veranstaltungen hingewiesen. In<br />
einer Teilnehmerliste war kurz vermerkt,<br />
durch welche Aktivitäten jeder Einzelne<br />
aufgefallen war, die dann zu den Einladungen<br />
führten.<br />
„Schreiberei“ gab<br />
den Ausschlag<br />
Meine Schreiberei, Vorträge und die<br />
Anregung, in Lesum ein Gräfin-Emma-<br />
Denkmal zu schaffen, gaben wohl den<br />
Ausschlag.<br />
Am Dienstag, dem 2. Oktober, fuhren<br />
wir frühmorgens vom Bremer Hauptbahnhof<br />
Richtung Süddeutschland, 11 Bremer<br />
und 4 Bremerhavener. Nach einer sechsstündigen<br />
Fahrt im ICE trafen wir gegen<br />
Mittag in München ein. Auf dem dortigen<br />
Hauptbahnhof erwartete uns eine hübsche<br />
ortskundige Gästeführerin, die in einem<br />
Dirndlkleid freundlich lächelnd mit einer<br />
kleinen Bremenfahne wedelte. Ein Bus<br />
brachte uns zum Hilton-Hotel am Tucherpark.<br />
Den überreichten Einladungsschreiben<br />
nach waren die Delegationen zuerst vom<br />
bayrischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer<br />
ab 16.00 Uhr zu einer Brotzeit im<br />
Hofgarten eingeladen. Die Tischreihe war<br />
Empfang beim Bundespräsidenten<br />
über 100 m lang, bestückt mit Brot aus<br />
allen Bundesländern, sowie verschiedene<br />
Käse- und Wurstauflagen auf großen Holzplatten<br />
aus der süddeutschen Region. Bier<br />
und Wein wurde je nach Wunsch ausgeschenkt<br />
und Horst Seehofer und einige seiner<br />
Minister waren mittendrin.<br />
Die Stimmung war fröhlich, das Wetter<br />
konnte nicht besser sein und die Münchener<br />
Politiker beim Gespräch locker, volksnah<br />
und zum Anfassen.<br />
Staatsminister Thomas Kreuzer, Leiter<br />
der bayerischen Staatskanzlei, hatte zu<br />
einem Empfang in die BMW-Welt eingeladen.<br />
Aus bayerischer Sicht war das ein<br />
wichtiger Programmpunkt, denn hier<br />
konnte man die neuesten und auch die<br />
teuersten Automobile bewundem und sich<br />
über die Geschichte der Bayerischen<br />
Motoren Werke informieren.<br />
Ein kurzer Gang zum nahen Olympiaturm<br />
war notwendig, um in zwei großen<br />
Personenaufzügen auf den etwa 190 m<br />
hohen Aussichtsrundgang zu gelangen.<br />
Die Gesamthöhe des Olympiaturms beträgt<br />
290 m. Mit einem unbeschreiblichen<br />
Blick von oben auf das Lichtermeer dieser<br />
rund 1,4 Mio. Einwohner zählenden Stadt,<br />
endete gegen 22.00 Uhr der erste Tag in<br />
der bayrischen Hauptstadt.<br />
Der 3. Oktober, der eigentliche Anlass<br />
unserer Reise, stand ganz im Zeichen der<br />
Feier der deutschen Einheit. 2.500 Polizeibeamte<br />
sorgten für die Sicherheit der Festteilnehmer.<br />
Auf Einladung des Erzbischofs Reinhard<br />
Kardinal Marx und des Landesbischofs der<br />
Evangelisch-Lutherischen Kirche, Heinrich<br />
Bedford-Strohm, war ab 10.00 Uhr ein<br />
ökumenischer Gottesdienst in der St.<br />
Michaels-Kirche anberaumt. Zuvor aber<br />
mussten die Eingeladenen durch Kontrollen<br />
und von Polizei gesicherte Straßen<br />
gehen. Um 9.00 Uhr mussten die Plätze<br />
eingenommen sein.<br />
Die Jesuiten-Kirche St. Michael, die im<br />
HB-Bildatlas als die größte Renaissance-Kirche<br />
nördlich der Alpen beschrieben wird,<br />
wurde in den Jahren 1583 -1597 erbaut.<br />
Für geschichtsinteressierte Bremer ist es<br />
bemerkenswert, wenn auswärts Hinweise<br />
auf unsere alte Hansestadt zu finden sind,<br />
so auch in diesem Gotteshaus. Noch weit<br />
vor Beginn der Hansezeit wurden im Jahre<br />
965 die Gebeine der beiden Arztheiligen<br />
Cosmas und Damian als Reliquien von<br />
Rom nach Bremen gebracht. Hier war man<br />
sich im Laufe der Zeit der Bedeutung der<br />
Reliquien nicht voll bewusst, denn sie verschwanden<br />
im Bremer Dom hinter einer<br />
Mauer. Um 1400, durch einen Zufall entdeckt,<br />
wurde im Auftrag des Bürgermeisters<br />
Johann Hemling - der auch den Bremer<br />
Roland mitfinanziert hat - ein silbervergoldeter<br />
Reliquienschrein angefertigt,<br />
der das kostbarste Stück des Domschatzes<br />
war. Das Domkapitel allerdings war auf<br />
Geld bedacht und verkaufte den Reliquienschrein<br />
1648 an Kurfürst Maximilian<br />
von Bayern, der ihn 1649 in die Münchener<br />
St. Michaels-Kirche überführen ließ.<br />
Dort ist er noch heute zu sehen. Auf einer<br />
kleinen Messingplatte ist die Herkunft aus<br />
Bremen kurz beschrieben.<br />
Text von Rudolf Alexander<br />
Schröder, Melodie von<br />
Christian Lahusen<br />
Nun aber zum Gottesdienst, der mit<br />
einer Bläserintrade und dem gemeinsam<br />
gesungenen Lied „Nun danket alle Gott<br />
...“ begann. Es folgten ein liturgischer<br />
Gruß, Psalmenworte, Lesung und das Lied<br />
„Wir glauben Gott im höchsten Thron ...“,<br />
Text: Rudolf Alexander Schröder, Melodie:<br />
Christian Lahusen. Beide Namen sind mit<br />
Bremen eng verbunden. Nach der Predigt,<br />
natürlich dem Tag angepasst, sangen Chor<br />
Unser Redaktionsmitglied Rudolf Matzner (r), Kurt Beck (Mitte) und der Bremer<br />
Muritala Awolola<br />
34 RUNDBLICK Frühjahr 2013
und Kirchenbesucher „Großer Gott, wir<br />
loben Dich ...“.<br />
Auf dem anschließenden Weg zum<br />
Nationaltheater standen zahlreiche<br />
Zuschauer hinter der Absperrung, grüßten,<br />
fotografierten und zeigten sich in<br />
fröhlicher Stimmung. Abermals über einen<br />
roten Teppich gehend, betrat man einen<br />
Prachtbau, der in den Jahren 1811-1818<br />
errichtet und im letzten Weltkrieg zerstört<br />
worden ist. 1963 im alten Glanz wieder<br />
eröffnet, zählt das Haus mit seinen 2100<br />
Plätzen und fünf Rängen zu den größten<br />
Opernhäusern Europas.<br />
Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer<br />
war in seiner lockeren Art bemüht, bei<br />
der Begrüßung auch niemand von den<br />
vielen prominenten Gästen zu vergessen.<br />
Das Bayerische Staatsorchester und im<br />
Hintergrund der Chor des Opernhauses,<br />
sorgten für die musikalische Begleitung.<br />
Bundestagspräsident Norbert Lammert<br />
erinnerte in seiner Festansprache, wie sehr<br />
wir Deutschen dankbar sein können, dass<br />
die deutsche Wiedervereinigung unblutig<br />
herbeigeführt worden ist. Genauso wichtig<br />
sei es nun, ein vereintes Europa anzustreben.<br />
Es waren wohl- und gutgesetzte<br />
Termine der<br />
<strong>Heimat</strong>vereine<br />
Findorff-<strong>Heimat</strong>verein Grasberg<br />
Findorff-Hof Grasberg, Am Schiffgraben 7<br />
Kontakt: Hilde Bibelhausen<br />
Tel.: 04208 / 12 44<br />
Sonntag, 28. April 2013<br />
15.00 Uhr, Kaffeenachmittag, Findorff-<br />
Hof Grasberg<br />
Donnerstag, 9. Mai 2013<br />
10.0 Uhr, Plattdeutscher Himmelfahrts-<br />
Gottesdienst, Findorff-Hof Grasberg<br />
Sonntag, 26. Mai 2013<br />
15.00 Uhr, Kaffeenachmittag mit den<br />
Plattsnackers, Findorff-Hof Grasberg<br />
Sonntag, 30. Juni 2013<br />
15.00 Uhr, Kaffeenachmittag, Findorff-<br />
Hof Grasberg<br />
<strong>Heimat</strong>verein Lilienthal e.V.<br />
Klosterstraße 16 b, 28865 Lilienthal, Tel.:<br />
04298 / 60 11<br />
Mittwoch, 10. April 2013<br />
20.00 Uhr, „Im nassen Dreieck – Zwischen<br />
Hamburg und Bremen 1866 –<br />
1959“, Filmabend, <strong>Heimat</strong>museum, Klosterstraße<br />
16 B, Info-Telefon 04298 / 54 72 (K.-H.<br />
Sammy)<br />
RUNDBLICK Frühjahr 2013<br />
Worte, die Beifall verdienten. Ein großer<br />
Kinderchor sang ein altes deutsches Volkslied<br />
und erntete viel Applaus. Abschließend<br />
wurden die bayerische Staatshymne<br />
und danach das Deutschlandlied<br />
gesungen. Ich kann nicht verhehlen, dass<br />
das bei vielen Anwesenden unter die Haut<br />
ging und der Festakt als eine würdige Veranstaltung<br />
empfunden wurde. Man war<br />
emotional berührt.<br />
Und dann begann der Empfang der<br />
Gäste und der Bürgerdelegationen beim<br />
Bundespräsidenten. Die schlossähnlichen<br />
großen Räume boten einen exzellenten<br />
Rahmen für viele Begegnungen, Händeschütteln<br />
und zwanglose Gespräche. Der<br />
Bundespräsident Joachim Gauck hielt eine<br />
kurze Rede.<br />
Oft und viel wurde fotografiert und als<br />
ein jüngerer Mann abermals den Bundespräsidenten<br />
aufnehmen wollte, sagte dieser:<br />
„Na, denn kommen Sie her, dann lassen<br />
wir uns beide fotografieren, denn die<br />
Oma zu Hause möchte doch wissen, ob Sie<br />
auch wirklich den Bundespräsidenten<br />
gesehen haben und nun sind wir beide<br />
zusammen auf einem Bild.“ - Freudiges<br />
Gelächter von allen Seiten.<br />
Sonntag, 21. April 2013<br />
Gedenkveranstaltung aus Anlass des<br />
200. Jahrestages des großen Lilienthaler<br />
Brandes 1813.<br />
Mittwoch, 24. April 2013<br />
14.00 Uhr, Besichtigung der Kaffeerösterei<br />
„de Koffiemann“, Am Wolfsberg 24<br />
(Gewerbegebiet Moorhausen), mit Kaffeeverkostung,<br />
anschl. gemeinsame Kaffeetafel,<br />
Anmeldung bis 19. April erforderlich, Info-Telefon<br />
04298 / 83 80 (H. Kühn)<br />
Sonnabend, 25. Mai 2013<br />
13.30 Uhr, Besuch der „Museumsanlage<br />
Moorkate“ des <strong>Heimat</strong>vereins Ströhe-<br />
Spreddig e.V. mit Kaffee und Kuchen, Hinund<br />
Rückfahrt in PKW-Fahrgemeinschaften,<br />
Anmeldung bis 21. Mai erforderlich, Info-Telefon<br />
04298 / 54 72 (K.-H. Sammy)<br />
Sonnabend, 22. Juni 2013<br />
13.30 Uhr, Radtour nach Rautendorf,<br />
Führung durch Teile der Ortschaft, Informationen<br />
zur Geschichte, Kaffee und Kuchen, Anmeldung<br />
bis 18. Juni erforderlich, Info-Telefon<br />
04298 / 91 52 11 (H. Kohlmann)<br />
<strong>Heimat</strong>- und Bürgerverein Ritterhude e.V.<br />
Hannelore und Gerhard Monsees<br />
Tel.: 04292 / 27 15<br />
Sonnabend, 27. April 2013<br />
9.00 Uhr, Tagesfahrt nach Neuenkirchen<br />
Vörden<br />
Bleibende Eindrücke<br />
hinterlassen<br />
Das waren einmalige Erlebnisse, die<br />
gewiss bei allen Teilnehmern bleibende<br />
Eindrücke hinterlassen haben.<br />
Den offiziellen Abschluss der Feier zum<br />
„Tag der Deutschen Einheit“ bildete eine<br />
aufwendig gestaltete Laserschau in der Ludwigstraße.<br />
Eine Erinnerung an die Teilung<br />
und Wiedervereinigung Deutschlands.<br />
Am Donnerstag, dem 4. Oktober, standen<br />
wir mittags wieder auf dem Münchener<br />
Hauptbahnhof und wir verabschiedeten<br />
uns von unserem wimpelschwingenden<br />
Münchener Kindl, das seine Aufgabe<br />
gut gemacht hat. Mit unseren weißblauen<br />
Rucksäcken auf dem Rücken verabschiedeten<br />
wir uns von unserer bayerischen<br />
Begleiterin.<br />
Ebenso herzlichen Dank an Frau<br />
Lührßen und Frau Ludewigs von der Protokollabteilung<br />
der Bremer Senatskanzlei,<br />
die uns freundlich betreut haben.<br />
Tschüß, Grüß Gott und herzlichen Dank,<br />
liebes München.<br />
Text und Fotos: Rudolf Matzner<br />
Sonnabend, 18. Mai 2013<br />
13.00 Uhr, Fahrradtour<br />
Sonntag, 26. Mai 2013<br />
4-Tagesfahrt nach Usedom<br />
Sonnabend, 15. Juni 2013<br />
9.00 Uhr, Spargelfahrt zum Spargelhof<br />
Thielmann mit Führung<br />
Worphüser Heimotfrünn e.V.<br />
Hofanlage Lilienhof, Worphauser Landstr. 26 a,<br />
Kontakt: Hinrich Tietjen, Tel. 04792 / 76 79<br />
Mittwoch, 1. Mai 2013<br />
ab 11.00 Uhr, Backtag, Beginn der Saison<br />
auf dem Lilienhof<br />
Sonntag, 23. Juni 2013<br />
10.00 Uhr, Fahrradtour ab Lilienhof<br />
Sonntag, 30. Juni 2013<br />
15.00 Uhr, Offenes Singen, Gem. Chor<br />
Moorende<br />
Um diese Rubrik immer auf dem<br />
neuesten Stand zu haben, sind wir<br />
auf die Angaben der Vereine angewiesen.<br />
Wir bitten deshalb um Ihre<br />
Mithilfe.<br />
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(04298 / 3 04 67) oder per E-Mail<br />
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Die Redaktion<br />
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