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Heimat-Rundblick Nr. 104

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Frühjahr 2013<br />

1/2013 · 26. Jahrgang<br />

ISSN 2191-4257<br />

<strong>Nr</strong>. <strong>104</strong><br />

RUNDBLICK<br />

AUS DER REGION HAMME, WÜMME, WESER<br />

II N H A LL T<br />

GESCHICHTE · KULTUR · NATUR<br />

unter anderem:<br />

Salzstock Lesum<br />

Heinrich Schmidt-Barrien<br />

Serie: Vor 100 Jahren<br />

DGzRS – Rausfahren, wenn<br />

andere reinkommen<br />

Der große Brand von Lilienthal 1813<br />

150 Jahre Männergesangverein Concordia<br />

Einzelpreis € 4,50<br />

Lach- und Torfgeschichten<br />

Blume des Jahres 2013<br />

Im Strom der Zeit<br />

Sehens-/Lesenswertes<br />

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Telefon 0 47 91 / 27 72<br />

Titelbild:<br />

Die Truper Kapelle in Lilienthal.<br />

Foto: Rupprecht Knoop<br />

Foto: Erwin Duwe<br />

Siebdruck<br />

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Ja, ich möchte den HEIMAT-RUNDBLICK abonnieren.<br />

Zum Jahresvorzugspreis von € 18,– einschl. Versand.<br />

Datum Unterschrift<br />

Name / Vorname<br />

Straße / Hausnummer<br />

PLZ / Ort<br />

Bezahlung:<br />

Überweisung auf Kto. 126 995 Kreissparkasse Lilienthal (BLZ 291 523 00)<br />

oder auf Kto. 73 1778 600 Volksbank Osterholz (BLZ 291 623 94)


Aus dem Inhalt<br />

Aktuelles<br />

Tim Wöbbeking<br />

Redaktionssitzung<br />

Johannes Rehder-Plümpe<br />

Seite 4<br />

Schmidt-Barrien-Preis 2013 Seite 16<br />

Lesenswertes Seite 30, 31<br />

Termine der <strong>Heimat</strong>vereine Seite 35<br />

<strong>Heimat</strong>geschichte<br />

Harald Steinmann<br />

Das Schmiedemuseum Beckedorf Seite 4<br />

Horst Plambeck<br />

Salzstock Lesum Seite 5–7<br />

Ralf Baur<br />

Rausfahren, wenn<br />

andere reinkommen Seite 8 + 9<br />

Peter Richter<br />

100 Jahre alt: Die Lilienthaler<br />

Friedhofskapelle Seite 13<br />

Rupprecht Knoop<br />

Der große Brand in Lilienthal<br />

von 1813 Seite 14 + 15<br />

Impressum<br />

Herausgeber und Verlag: Druckerpresse-Verlag UG (haftungsbeschränkt),<br />

Scheeren 12, 28865 Lilienthal, Tel. 04298/46 99 09,<br />

Fax 04298/3 04 67, E-Mail info@heimat-rundblick.de, Geschäftsführer:<br />

Jürgen Langenbruch M.A., HRB Amtsgericht Walsrode<br />

202140.<br />

Redaktionsteam: Tim Wöbbeking, Lindenallee 25, 27726<br />

Worpswede, Telefon 04792/95 21 48, Wilko Jäger (Schwanewede),<br />

Rupprecht Knoop (Lilienthal), Dr. Christian Lenz<br />

(Teufelsmoor), Ilse Mehnert (Grasberg), Peter Richter (Lilienthal),<br />

Manfred Simmering (Lilienthal), Dr. Helmut Stelljes<br />

(Worpswede).<br />

Beratung und ständige Mitarbeit: Gerhard Behrens (Worpswede),<br />

Prof. Dr. Hermann Cordes (Borgfeld), Hermann Giere<br />

(Schlußdorf), Jürgen Lodemann (Ritterhude), Siegfried Makedanz<br />

(Schwanewede), Rudolf Matzner (Bremen-Lesum), Dieter<br />

Meisner (Worpswede), Hans-Jürgen Paape (Bremen), Johannes<br />

Rehder-Plümpe (Borgfeld), Hans Siewert (Osterholz-Scharmbeck),<br />

Erwin Simon (Ritterhude), Harald Steinmann (Lilienthal).<br />

Für unverlangt zugesandte Manuskripte und Bilder wird keine<br />

Haftung übernommen. Kürzungen vorbehalten.<br />

Leserservice: Telefon 04298/46 99 09, Telefax 04298/3 04 67.<br />

Korrektur: Helmut Strümpler, Harald Steinmann.<br />

Erscheinungsweise: Vierteljährlich.<br />

Bezugspreis: Einzelheft 4,50 €, Abonnement 18,– € jährlich<br />

frei Haus. Bestellungen nimmt der Verlag entgegen; bitte<br />

Scheck, Bargeld, oder Abbuchungsermächtigung beifügen.<br />

Kündigung drei Monate vor Ablauf des Jahresabonnements.<br />

Bankverbindungen: Für Abonnements: Kreissparkasse Lilienthal<br />

(BLZ 291 523 00) Konto-<strong>Nr</strong>. 126 995, Volksbank Osterholz<br />

eG (BLZ 291 623 94) Konto-<strong>Nr</strong>. 731 778 600.<br />

Für Spenden und Fördervereins-Beiträge: Kreissparkasse<br />

Lilienthal (BLZ 291 523 00) Konto-<strong>Nr</strong>. 122 150, Volksbank<br />

Osterholz eG (BLZ 291 623 94) Konto-<strong>Nr</strong>. 732 737 400.<br />

Druck: Langenbruch, Lilienthal.<br />

Erfüllungsort: Lilienthal, Gerichtsstand Osterholz-Scharmbeck.<br />

Der HEIMAT-RUNDBLICK ist in Bremen in der Böttcherstraße/<br />

Ecke Andenkenladen zu bekommen, in Worpswede in der<br />

Buchhandlung Netzel, außerdem liegt er im Philine-Vogeler-<br />

Haus (Tourismus-Info) und dem Barkenhoff aus und ist im Fotoatelier<br />

Dieter Weiser erhältlich, natürlich auch im Verlagshaus<br />

Langenbruch in Lilienthal.<br />

RUNDBLICK Frühjahr 2013<br />

Harald Steinmann<br />

Truper Wappen und Siegel Seite 15<br />

Wilko Jäger<br />

Heinrich Schmidt-Barrien Seite 17<br />

Wilhelm Berger<br />

Die Ortschaft Teufelsmoor<br />

auf der Findorff-Karte Seite 21 – 23<br />

Hermann Pelke<br />

150 Jahre Männergesangverein<br />

Concordia Worpswede Seite 24<br />

Peter Kalmbach<br />

Standgerichte in<br />

Norddeutschland Seite 30<br />

Rudolf Matzner<br />

Ein Lesumer beim Tag der<br />

Deutschen Einheit 2012 Seite 34 + 35<br />

Kultur<br />

Tim Wöbbeking<br />

Im Strom der Zeit Seite 20<br />

Dr. Helmut Stelljes<br />

„Theater Alte Molkerei“<br />

in Worpswede Seite 25<br />

Beate C. Arnold<br />

Willy Meyer-Osburg Seite 26<br />

Natur<br />

Prof. Dr. Hermann Cordes<br />

Die Blume des Jahres 2012:<br />

Das Leberblümchen Seite 28<br />

Siegfried Makedanz<br />

Himmelsziege im Sinkflug Seite 29<br />

Serie<br />

Prof. Dr. Hermann Cordes<br />

Die Schulen in Borgfeld und Timmersloh<br />

– Teil 2: 1891 – 1945 Seite 10 – 12<br />

Peter Richter<br />

Vor 100 Jahren Seite 18 + 19<br />

Johann (Jan) Brünjes<br />

Lach- und Torfgeschichten Seite 23<br />

Mareike Haunschild<br />

Jugendseite –<br />

Kunst in Kinderschuhen Seite 27<br />

Johannes Rehder-Plümpe<br />

Blick in die Nachbarschaft: Wo die<br />

dunklen Tannen ragen Seite 32 + 33<br />

Redaktionsschluss für die nächste<br />

Ausgabe: 15. Mai 2013<br />

Neue<br />

Abonnenten<br />

Liebe Leserinnen<br />

und Leser,<br />

wie es damals vor 200 Jahren in Lilienthal<br />

zur Zeit der französischen<br />

Besatzung war, ist eines der Themen,<br />

welches unser Redaktionsmitglied<br />

Rupprecht Knoop für uns recherchiert<br />

hat und das wir unseren Lesern<br />

unbedingt präsentieren möchten.<br />

Mit dieser Reportage haben wir<br />

einen großen Schritt in die Vergangenheit<br />

gemacht.<br />

Aus der fast 150-jährigen Geschichte<br />

der DGzRS berichtet für uns Ralf Baur<br />

in der Reportage „Rausfahren, wenn<br />

andere reinkommen“ und gibt Auskunft<br />

über Geschichte und Arbeit des<br />

ausschließlich mit Spenden finanzierten<br />

Einsatzes der DGzRS.<br />

Wo die Blume des Jahres 2013 mit<br />

ihren wunderschönen blauen Blüten<br />

zu finden ist, hat Hermann Cordes<br />

für unsere Leser herausgefunden.<br />

Ebenso berichtet er im 2. Teil über<br />

die Schulen in Borgfeld und Timmersloh.<br />

Hier lesen Sie auch, warum<br />

ein Lehrer von Borgfeld nach Timmersloh<br />

versetzt wurde.<br />

Viele andere Berichte aus unserer<br />

<strong>Heimat</strong> und die beliebten Serien finden<br />

Sie wie gewohnt in dieser Ausgabe.<br />

Wir wünschen Ihnen nun viel Spaß<br />

beim Lesen.<br />

Tim Wöbbeking<br />

und Jürgen Langenbruch<br />

Um das weitere Erscheinen unserer<br />

Zeitschrift zu gewährleisten, sind wir<br />

natürlich auf neue Abonnenten angewiesen.<br />

Hiermit möchten wir Ihnen einen kleinen<br />

Anreiz bieten, sich zum Abschluss<br />

eines neuen Abonnements zu entschließen:<br />

Die nächsten fünf neuen Abonnenten<br />

erhalten jeweils zwei Eintrittskarten für<br />

die Große Kunstschau Worpswede.<br />

Die Redaktion Foto: Helmut Stelljes<br />

3


Redaktionssitzung<br />

Mit einer Besichtigung des Schmiedemuseums<br />

Beckedorf begann die Redaktionssitzung<br />

zur vorliegenden Ausgabe. Am<br />

26. Januar 2013 trafen wir uns bei typischem<br />

Winterwetter in der Bremer<br />

Schweiz, in der historischen Schmiede,<br />

welche sich ausschließlich durch Spenden<br />

finanziert. Wir erfuhren vieles über den<br />

Walfang, welcher in unserer Region und<br />

besonders an der Weser damals eine große<br />

Rolle spielte und vielen Menschen Arbeit<br />

gab, sowie von den harten Bedingungen<br />

an Bord der Schiffe, von der kräftezehrenden<br />

Arbeit in den von Rudern angetriebenen<br />

Harpunenschiffen und der oft einseitigen<br />

Ernährung an Bord der Walfangschiffe,<br />

welche oft wochenlang in der eisigen<br />

See unterwegs waren. Anhand von<br />

Harpunen, Filmen und einer Ausstellung<br />

mit Schautafeln und Utensilien der Walfänger<br />

konnten wir uns gut in die Zeit der<br />

Walfänger versetzen. Die Kälte und der<br />

Schneefall ließen uns etwas mehr nachempfinden,<br />

wie hart der Einsatz in der eisigen<br />

See damals war.<br />

Vor Beginn der Redaktionssitzung trafen<br />

sich die Redakteure im Schmiedemuseum<br />

in Beckedorf. Die Anfahrt war gut beschrieben:<br />

Nach dem Verlassen der B 74 auf der<br />

Hammersbecker Straße am Zentralkrankenhaus<br />

Nord vorbei, dann nach links in<br />

die Löhstraße, die in „An der Waldschmiede“<br />

übergeht. Und da liegt rechter<br />

Hand schon das Schmiedemuseum, eine<br />

wohlige Wärme beim Eintreten empfängt<br />

zwanzig wissbegierige Redakteure. Mit<br />

guter Fachkenntnis erläutert Norbert<br />

Krause die ausgestellten Stücke, verbindet<br />

seinen Vortrag mit dem Stummfilm aus<br />

den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts,<br />

der parallel dazu läuft. Man weiß überhaupt<br />

nicht, an welcher Stelle die Spannung<br />

am größten ist! Man hat das Werkzeug,<br />

mit dem die Walfänger vor Grönland<br />

auf die Jagd gingen, hier vor Augen. Die<br />

Schaluppe, gerudert von sechs Männern,<br />

Die historische Schmiede<br />

Im Anschluss wurde uns die eigentliche<br />

Schmiede gezeigt, die sich noch im Originalzustand<br />

befindet und voll funktionstüchtig<br />

ist. Wie hier gearbeitet wurde<br />

und auch noch wird, konnten wir anhand<br />

von Schaustücken und von den ehrenamtlich<br />

arbeitenden Mitarbeitern der<br />

Schmiede erfahren.<br />

Die Schmiede ist freitags von 15–18 Uhr<br />

geöffnet. Anmeldungen können bei Karl-<br />

vom Harpunier im Bug lautstark angetrieben,<br />

folgt dem Wal und nähert sich ihm<br />

auf bis zu 6 m. Mit enormer Kraft schleudert<br />

der Harpunier die Harpune in den Körper<br />

des Grönlandwals, dessen Zunge allein<br />

bis zu 900 kg wiegt. Der Wal hat seinen<br />

Todeskampf beendet, liegt längsseits am<br />

Schiff. Die großen Speckspaten treten in<br />

Aktion, schälen die beim Grönlandwal bis<br />

zu 60 cm dicke Speckschicht ab.<br />

Der eigentlich noch ländliche Raum von<br />

Grohn bis Rekum war Ausgangspunkt der<br />

Hochseeschifffahrt mit Segelschiffen, für<br />

den Bau auf den zahlreichen Werften und<br />

als <strong>Heimat</strong>hafen. Die kleine Dorfschmiede,<br />

die Wilhelm Wildhack betrieb, der aus<br />

Stuttgart als Wandergeselle hier sesshaft<br />

wurde, profitierte davon. Neben den<br />

benötigten Eisenteilen für die ganz aus<br />

Holz gebauten Schiffe, waren es die<br />

Ausrüstungsgegenstände der Walfänger,<br />

Heinz Grube unter Tel. 0421/653281<br />

abgestimmt werden.<br />

Leicht durchgefroren begaben wir uns im<br />

Anschluss in das Restaurant „Zum Rosenbusch“,<br />

wo wir uns erstmal bei heißem Kaffee<br />

und leckerem Kuchen stärkten.<br />

Sehr positiv vermerken konnten wir,<br />

dass alle Anwesenden ein Thema für den<br />

<strong>Heimat</strong>-<strong>Rundblick</strong> <strong>Nr</strong>. <strong>104</strong> parat hatten,<br />

sodass auch diese Ausgabe vielseitig und<br />

abwechslungsreich geworden ist.<br />

Verleger Jürgen Langenbruch bedankte<br />

sich für den Einsatz und verkündete, dass<br />

er mit großer Freude den <strong>Heimat</strong>-<strong>Rundblick</strong><br />

herausgibt. Besonders über Anzeigen<br />

würde er sich freuen, denn damit könne<br />

man auch zukünftig ein größeres Themenspektrum<br />

durch eine weiterhin erhöhte<br />

Seitenanzahl bieten. Motiviert durch die in<br />

den letzten Monaten gestiegene Zahl der<br />

Abonnenten haben wir uns entschlossen,<br />

den nächsten fünf neuen Abonnenten je<br />

zwei Freikarten für die Große Kunstschau<br />

Worpswede zukommen zu lassen.<br />

Text: Tim Wöbbeking<br />

Fotos: Helmut Stelljes<br />

Viele historische Werkzeuge und Techniken geben einen Einblick in die Arbeit des Schmiedes Die Dauerausstellung zum Thema Walfang<br />

Das Schmiedemuseum in Beckedorf<br />

die hier geschmiedet wurden. Natürlich<br />

gehörten auch der Hufbeschlag, bei dem<br />

man jeden Nagel noch einzeln herstellte,<br />

und Reparaturarbeiten auf den Höfen zum<br />

Alltag der Waldschmiede.<br />

Karl Heinz Grube heizt die Esse noch einmal<br />

an, zeigt mit geschickten Händen, wie<br />

sich das warme Eisen formen lässt. Er<br />

betätigt sich als Hufschmied, stellt die Stufen<br />

vom Rohling bis zum fertigen Hufeisen<br />

vor. An der Wand Werkzeuge, die vom<br />

Team des Schmiedemuseums gefertigt<br />

wurden. - Man bekommt ein Empfinden<br />

dafür, wie dieser kleine Raum sich in sommerlicher<br />

Hitze aufheizt.<br />

Ein Besuch dieses kleinen aber feinen<br />

Museums lohnt sich! Öffnungszeit freitags<br />

von 15.00 bis 18.00 Uhr und nach Vereinbarung<br />

mit Karl Heinz Grube unter Tel.<br />

0421-653281.<br />

Harald Steinmann<br />

4 RUNDBLICK Frühjahr 2013


Verborgene Energiereserven im<br />

„Salzstock Lesum“<br />

Bremen-Burg-Grambke. In riesigen<br />

unterirdischen Salzstockspeichern werden<br />

im Nordbremer Stadtteil Burglesum ein<br />

Teil der deutschen Dieselöl-Notvorräte<br />

sowie Erdgas für die Region Bremen gelagert.<br />

Am nordwestlichen Rand Bremens, im<br />

Burglesumer Ortsteil Burg-Grambke, bestehen<br />

drei verschiedene Untergrundspeicher,<br />

in denen große Mengen an Öl und<br />

Gas gelagert werden. Die benachbarten<br />

Betriebsgelände der Speicheranlagen sind<br />

alle in Grambke auf einem Areal zwischen<br />

dem Brokkampweg und dem Lesumdeich<br />

gelegen, nahe der Bundesautobahn 27. Im<br />

geologischen Untergrund befindet sich<br />

dort ein mächtiger Salzstock, der seit mehr<br />

als vierzig Jahren für die Lagerung von<br />

Energiereserven genutzt wird, anfangs für<br />

Öl im Rahmen der gesetzlichen Mineralölbevorratung<br />

für Krisenfälle und inzwischen<br />

auch für Erdgas. Dazu wurden im Grambker<br />

Salzstock seit Ende der 1960er Jahre<br />

insgesamt neun sogenannte Kavernen –<br />

riesige unterirdische, künstlich geschaffene<br />

Hohlräume – gebaut, von denen<br />

heute vier für die Lagerung von Erdgas verwendet<br />

werden. Die Salzstock-Speicherkavernen<br />

liegen in einer Tiefe von bis zu<br />

1.650 Meter.<br />

Der „Kavernenspeicher Lesum“, der von<br />

der Nord-West Kavernengesellschaft für<br />

den Erdölbevorratungsverband betrieben<br />

wird, umfasst fünf Kavernen und dient der<br />

Lagerung von etwa 1,1 Millionen Tonnen<br />

Dieselöl als Teil von Deutschlands Notvorrat.<br />

Die beiden Gasspeicheranlagen, die<br />

jeweils gleichlautend als „Erdgasspeicher<br />

Lesum“ bezeichnet werden, nutzen je zwei<br />

Kavernen. Die größere Anlage hat ein<br />

sogenanntes Arbeitsgasvolumen von etwa<br />

158 Millionen Kubikmeter und wird heute<br />

von der Storengy Deutschland, die zum<br />

RUNDBLICK Frühjahr 2013<br />

Schema einer Kaverne, die zur Zwischenlagerung<br />

von Erdgas dient. Das angelieferte Gas wird komprimiert<br />

und in de Kaverne eingepresst. Beim Entnehmen<br />

findet eine sogenannte Entspannung statt<br />

und das Erdgas muss vorm Einspeisen ins öffentliche<br />

Netz getrocknet werden<br />

französischen Energiekonzern GDF Suez<br />

gehört, betrieben. Betreiber der kleineren<br />

Gasspeicheranlage mit einem Arbeitsgasvolumen<br />

von etwa 75 Millionen Kubikmeter<br />

ist der Bremer Energieversorger swb.<br />

Die Bezeichnung der örtlich in Grambke<br />

und nicht etwa in Bremen-Lesum liegenden<br />

drei Speicheranlagen mit „Lesum“ ist<br />

darauf zurückzuführen, dass der Salzstock,<br />

in dem die Kavernen geschaffen wurden,<br />

Nur weniges lässt vermuten, welch riesige Speicher sich unter der Erde befinden<br />

von den Geologen „Salzstock Lesum“<br />

genannt wurde. Es handelt sich dabei um<br />

die einzige große Ansammlung von festem<br />

Steinsalz im geologischen Untergrund auf<br />

Bremer Gebiet.<br />

Lagerung von Öl und Gas<br />

im Grambker Salzstock<br />

Im Jahr 1969 wurde beim Grambker<br />

Salzstock mit dem „Abbau von Salz“<br />

begonnen und die erste Kavernenbohrung<br />

vorgenommen. Anlass war die sogenannte<br />

Mineralölpflichtbevorratung, die<br />

1966 gesetzlich eingeführt wurde.<br />

Neben dieser strategischen Ölreserve, mit<br />

der für Krisenfälle vorgesorgt werden<br />

sollte, wurde von 1974 bis 1981 zusätzlich<br />

noch eine so genannte Bundesrohölreserve<br />

aufgebaut, die bis 1997 bestand.<br />

Hintergrund war der rapide Anstieg des<br />

Ölpreises in den 1970er Jahren infolge<br />

einer politisch motivierten Minderung der<br />

Erdölförderung durch die Organisation<br />

erdölexportierender Länder (OPEC), dem<br />

entgegen gewirkt werden sollte. 1978<br />

wurde der Erdölbevorratungsverband<br />

geschaffen, dem als Pflichtmitglieder alle<br />

deutschen Unternehmen angehören, die<br />

Öl einführen oder verarbeiten, insbesondere<br />

die großen Mineralkonzerne. Grundlage<br />

war das Erdölbevorratungsgesetz, das<br />

inzwischen mehrmals novelliert wurde. Es<br />

besagt heute, dass der Verband für Krisenfälle<br />

Rohöl, Ottokraftstoff (Motorenbenzin),<br />

Dieselkraftstoff (Dieselöl), leichtes<br />

Heizöl und Flugturbinenkraftstoff (Kerosin)<br />

jeweils in einer Menge bevorraten muss,<br />

die dem Verbrauch Deutschlands von 90<br />

Tagen entspricht. Ein erheblicher Teil der<br />

Vorratsbestände wird unterirdisch in<br />

Kavernen gelagert, und zwar vor allem<br />

Rohöl.<br />

5


Eine der 58 Kavernen, die von der NWKG betrieben werden Die Anlage der Storengy Deutschland Weser GmbH<br />

Nachdem Erdgas zuvor in den USA und<br />

seit den 1960er Jahren auch in Europa<br />

zunehmend an Bedeutung als Energieträger<br />

gewonnen hat, werden Kavernen<br />

inzwischen auch zur Speicherung von Erdgas<br />

genutzt. Erdgas wird vor allem als Wärmeenergie<br />

verwendet und hat deshalb<br />

einen stark schwankenden Bedarf: Im Winterhalbjahr<br />

ist er hoch, im Sommer deutlich<br />

niedriger. Die Förderung von Erdgas<br />

wird allerdings über das Jahr in der Regel<br />

weitgehend konstant betrieben, sodass<br />

eine Zwischenlagerung erforderlich wird,<br />

die vor allem in unterirdischen Kavernen<br />

erfolgt. In Zeiten mit niedrigem Verbrauch<br />

wird es dort eingelagert und bei hohem<br />

Verbrauch wieder in das Verteilernetz eingespeist.<br />

Die Gaszwischenlagerung im<br />

Untertage-Erdgasspeicher ermöglicht so<br />

eine kontinuierliche Belieferung mit entsprechend<br />

kostengünstigeren Lieferkonditionen<br />

und kann zudem zur Überbrückung<br />

von temporären Liefereinschränkungen<br />

beitragen.<br />

Die beiden Erdgasspeicher in Grambke<br />

gehören zu den wenigen Speichern in<br />

Deutschland, in denen sogenanntes L-Gas<br />

(low-calorific gas) bevorratet wird. L-Gas,<br />

das einen etwas geringeren Energiegehalt<br />

als das inzwischen mehr verbreitete und<br />

meist aus der Nordsee oder den GUS-Staaten<br />

stammende, sogenannte H-Gas (highcalorific<br />

gas) aufweist, hat in Deutschland<br />

zurzeit noch einen Anteil von etwa 30 Prozent<br />

am gesamten Gasverbrauch. Es<br />

kommt vor allem in Niedersachsen, Bremen<br />

und Nordrhein-Westfalen zum Einsatz.<br />

Die Hauptfördergebiete liegen in Niedersachsen<br />

und in den Niederlanden.<br />

Die Herstellung von Kavernen in Salzstöcken<br />

beruht auf der chemischen Grundlage<br />

„Wasser löst Salz auf“ und erfolgt bei<br />

jeder Salzkaverne, so auch bei der Grambker<br />

Salzformation, nach dem gleichen Solprozess:<br />

Zunächst wird eine Bohrung<br />

gesetzt, in der zwei sogenannte, zementierte<br />

Rohrtouren zur Stabilisierung oberflächennaher<br />

Schichten und als durchgängige<br />

Verbindung zum Salz eingebracht<br />

werden. Über verschiedene, in den variablen<br />

Rohrtouren eingebaute Rohre wird<br />

dann kontinuierlich Wasser eingepumpt<br />

und zugleich die entstehende Sole ständig<br />

abgepumpt. Das feste Steinsalz wird dabei<br />

allmählich vom Wasser ausgelaugt und<br />

aufgelöst, sodass nach und nach ein<br />

Hohlraum entsteht. Das Aussolen einer<br />

Kaverne, wie Fachleute den Vorgang nennen,<br />

dauert bis zu zweieinhalb Jahre. Die<br />

Sole wird bei den in Norddeutschland liegenden<br />

Kavernenspeichern meist über<br />

Flüsse in die Nordsee abgeleitet. Bei den<br />

Grambker Salzstock-Kavernen erfolgt dies<br />

über eine acht Kilometer lange Solefernleitung,<br />

die durch das Werderland zur Weser<br />

führt und bei Lemwerder in den Fluss mündet.<br />

Das Frischwasser wird in Nähe der drei<br />

Betriebsplätze jeweils aus der Lesum entnommen<br />

und in die Kavernen gepumpt.<br />

Bei der Ölspeicherung wird das Öl dann<br />

mit hohem Druck über ein gesondertes<br />

Rohr in die Salzstock-Kavernen eingepumpt<br />

und verdrängt die Sole nach unten.<br />

Die daraufhin langsam in den Wasserrohren<br />

aufsteigende Sole wird abgeleitet. Das<br />

Öl verbindet sich weder mit der Sole noch<br />

mit dem umgebenden Steinsalz, das wie<br />

eine Tankwand wirkt, und es spült den<br />

Salzstock auch nicht aus. Beim Auslagern<br />

von Öl wird Wasser mit geringem Druck<br />

durch den Befüllrohrstrang in die Kaverne<br />

geleitet. Das „leichtere“ Öl schwimmt auf<br />

und kann mit Hilfe von Pumpen über den<br />

Entnahmerohrstrang an die Oberfläche<br />

befördert werden, von wo aus es zu Tankund<br />

Verteilungslagern weitertransportiert<br />

wird. Bei jeder Öl-Befüllung wird die<br />

Kaverne geringfügig mit der durch die<br />

Wassereinleitung entstehenden Sole ausgespült<br />

und erweitert sich etwas.<br />

Bei der Erstbefüllung einer Salzstock-<br />

Kaverne mit Erdgas, die bis zu einem halben<br />

Jahr dauern kann, verdrängt hingegen<br />

das unter hohem Druck eingepumpte Gas<br />

die Sole, die dann abgeleitet wird. Die<br />

Dichtigkeit und zugleich der Erhalt der<br />

Kaverne wird durch sogenanntes Kissengas<br />

erreicht, das ständig und mit einem<br />

Druck von 30 bar in der Kaverne verbleiben<br />

muss, damit der künstlich geschaffene<br />

Hohlraum dem Gebirgsdruck standhalten<br />

kann und nicht „sofort“ zusammengedrückt<br />

wird. Dennoch schrumpft das Fassungsvolumen<br />

von Erdgaskavernen kontinuierlich,<br />

weil der Gebirgsdruck so hoch<br />

ist, dass sich trotz des in der Kaverne verbleibenden<br />

Kissengases der Hohlraum sehr<br />

langsam wieder schließt.<br />

Die in Grambke geschaffenen Kavernen<br />

sind riesig; sie sind etwa 150 bis 300 Meter<br />

hoch und haben einen Durchmesser von<br />

etwa 30 bis 40 Meter. Ihr Rauminhalt<br />

beträgt ja nach Größe 200.000 bis<br />

300.000 Kubikmeter. Nur die sogenannten<br />

Kavernenköpfe verraten, an welcher<br />

Stelle auf den drei Betriebsgeländen die<br />

Hohlräume liegen. Sie bestehen sowohl<br />

bei der Ölspeicher- als auch bei den beiden<br />

Erdgasspeicheranlagen aus zahlreichen<br />

dicken Metallrohren, Ventilen, Reglern,<br />

Druckpumpen und anderen technischen<br />

Einrichtungen, die sich teils unter containerähnlichen<br />

Abdeckungen verbergen<br />

und teils offenliegen.<br />

Insgesamt wurden neun Hohlräume in<br />

den Grambker Salzstock gebaut. Gesehen<br />

hat die unterirdischen Höhlen indes noch<br />

kein Mensch, es gibt keine Zugänge. Vielmehr<br />

sind die Kavernen komplett befüllt,<br />

entweder mit Sole oder gemäß dem<br />

Bestimmungszweck mit Öl bzw. Gas. Die<br />

Kavernenspeicher unterliegen den Bestimmungen<br />

des Bundesberggesetzes sowie<br />

der Störfallverordnung.<br />

Speicherkavernen<br />

und Betreiber<br />

Wer im Bereich des idyllischen Lesumdeiches<br />

in Grambke einen Spaziergang<br />

unternimmt, wird kaum vermuten, dass<br />

sich tief unter ihm in einem Salzstock verborgene,<br />

riesige Energiereserven befinden.<br />

Zwischen einer Biegung des Flusses Lesum<br />

und der Autobahn 27 liegen am Brokkampweg,<br />

inmitten von grünen Wiesen<br />

die eher unscheinbar wirkenden Betriebs-<br />

6 RUNDBLICK Frühjahr 2013


Eines der unscheinbaren Gebäude<br />

gelände der drei verschiedenen Speicheranlagen.<br />

Außer jeweils einigen Flachbauten<br />

und überschaubaren technischen<br />

Anlagen geben nur die Firmenschilder an<br />

den drei Zufahrten Auskunft darüber, was<br />

sich dort unter der Erde verbirgt:<br />

„Kavernenspeicher Lesum“ der NWKG<br />

Das Betriebsgelände des Öl-Kavernenspeichers,<br />

der von der Nord-West<br />

Kavernengesellschaft mbH (NWKG) betrieben<br />

wird, befindet sich am östlichen<br />

Ende des Brokkampwegs, nahe der A 27.<br />

Der Salzstockspeicher liegt bis zu 1.000<br />

Meter unter der Erdoberfläche und besteht<br />

aus fünf einzelnen Kavernen.<br />

Im Kavernenspeicher Lesum werden<br />

etwa 1,1 Millionen Tonnen Dieselkraftstoff<br />

gelagert. Sie gehören zu den nationalen<br />

Ölreserven, die vom Erdölbevorratungsverband<br />

(EBV) als Selbstverwaltungskörperschaft<br />

öffentlichen Rechts für Krisenfälle<br />

vorgehalten werden. So weit diese<br />

nationalen Notvorräte unterirdisch gelagert<br />

werden, erfolgt dies entweder in<br />

Eigentumskavernen des EBV oder in Kavernen,<br />

die der EBV bei Partnern unter Vertrag<br />

genommen hat. Betrieben werden die<br />

eigenen Kavernen von der NWKG, bei der<br />

es sich um eine 100-prozentige Tochtergesellschaft<br />

des EBV handelt und die ihren<br />

Sitz in Wilhelmshaven hat. Der Erdölbevorratungsverband,<br />

der seinen Sitz in Hamburg<br />

hat, unterhält insgesamt vier Kavernenspeicher,<br />

die in Wilhelmshaven-<br />

Rüstringen, „Bremen-Lesum“ (eigentlich<br />

Bremen-Grambke), Heide in Schleswig-<br />

Holstein und Sottorf bei Hamburg gelegen<br />

sind. Diese Standorte umfassen zurzeit insgesamt<br />

58 Kavernen, womit die NWKG<br />

derzeit der größte Betreiber von Flüssigkeitskavernen<br />

in Europa ist. Nach dem Vorratslager<br />

in Wilhelmshaven-Rüstringen mit<br />

mehr als sechs Millionen Kubikmeter Speichervolumen<br />

ist der Kavernenspeicher<br />

Lesum der zweitgrößte der NWKG.<br />

Zur Entnahme des Öls können bei der<br />

Grambker Speicheranlage durch das<br />

Einpumpen von Wasser aus der Lesum bis<br />

zu 400 Kubikmeter Dieselöl pro Stunde<br />

nach oben befördert und über eine etwa<br />

5,5 Kilometer lange Pipeline direkt zum<br />

Hafenterminal von Weser Tanking an der<br />

Hüttenstraße geleitet werden. In einem<br />

RUNDBLICK Frühjahr 2013<br />

etwaigen Krisenfall stünde das Öl so<br />

schnell zur Verladung und zum Weitertransport<br />

zur Verfügung. Indes sind die<br />

Dieselölreserven in Grambke bislang noch<br />

nie angezapft worden. Zuletzt wurde<br />

Anfang der 2000er Jahre ein Teil des Öls<br />

lediglich ausgetauscht, um die Ölreserve<br />

an die damals geänderten Spezifikationen<br />

für Dieselkraftstoff wie zum Beispiel den<br />

verringerten Schwefelanteil anzupassen.<br />

„Erdgasspeicher Lesum“ der Storengy<br />

Unmittelbar neben sowie westlich von<br />

der NWKG-Ölspeicheranlage liegt am<br />

Brokkampweg das Betriebsgelände des<br />

seit September 2011 zur Storengy<br />

Deutschland gehörenden Erdgasspeichers<br />

Lesum. Die zur Speicherung von L-Gas<br />

genutzte Salzstock-Speicherkaverne verfügt<br />

über 2 Kavernen, die 2002 in Betrieb<br />

genommen wurden. Sie liegen in einer<br />

Tiefe von bis zu 1.650 Meter unter der<br />

Erdoberfläche und haben ein Gesamtvolumen<br />

von etwa 205 Millionen Kubikmeter<br />

Erdgas. Davon sind etwa 159 Mio. Kubikmeter<br />

als Arbeitsgas nutzbar. Die übrigen<br />

etwa 46 Mio. Kubikmeter sind Kissengas,<br />

das zum Erhalt der Gaskaverne dient.<br />

Der Erdgasspeicher Lesum wurde früher<br />

von der ExxonMobil Gasspeicher Deutschland<br />

GmbH (EMGSG) mit Sitz in Hannover<br />

betrieben, die zur Mobil Erdgas Erdöl<br />

GmbH und damit zum internationalen<br />

Mineralölkonzern ExxonMobil gehörte.<br />

2011 wurde die EMGSG an die Storengy<br />

Deutschland Infrastructures GmbH veräußert,<br />

eine Tochtergesellschaft der französischen<br />

Storengy SA, die zum internationalen<br />

Energieversorgungskonzern GDF<br />

Suez SA gehört. Die EMGSG wurde im<br />

September 2011 zur Storengy Deutschland<br />

Weser GmbH umfirmiert, von welcher<br />

der Erdgasspeicher Lesum an ein Tochterunternehmen<br />

verpachtet wurde. Nach firmeninternen<br />

Umstrukturierungen wird<br />

der Erdgasspeicher heute von der Storengy<br />

Deutschland GmbH mit Sitz in Berlin<br />

betrieben, während die technische<br />

Betriebsführung der Speicheranlage bei<br />

der Storengy Deutschland Betrieb Nord<br />

GmbH mit Sitz in Bremen liegt.<br />

„Erdgasspeicher Lesum“ der swb<br />

Westlich von der ExxonMobil-Gasspeicheranlage<br />

und etwa in der Mitte des Brok-<br />

kampwegs befindet sich das Betriebsgelände<br />

der Gasspeicheranlage des Bremer<br />

Energieversorgers swb AG. Die von<br />

der swb genutzte Salzstock-Speicherkaverne<br />

liegt in einer Tiefe zwischen 1.000<br />

und 1.300 Meter unter der Erdoberfläche,<br />

besteht aus zwei Kavernen und fasst etwa<br />

92 Millionen Kubikmeter Erdgas. Davon<br />

sind etwa 75 Mio. Kubikmeter als Arbeitsgas<br />

nutzbar, was ungefähr acht Prozent<br />

des jährlichen Bremer Gasbedarfs entspricht.<br />

Die übrigen etwa 17 Mio. Kubikmeter<br />

Gas dienen als Kissengas zum Erhalt<br />

des Kavernenspeichers. Im Jahr 1987<br />

wurde eine bereits vorhandene, in den<br />

1970er Jahren für die Bevorratung mit<br />

Erdöl geschaffene Kaverne von der swb als<br />

Erdgaskaverne umgerüstet. 1991 wurde<br />

eine weitere Gaskaverne gesolt, die 1993<br />

in Betrieb ging. Betrieben wird der Untergrundspeicher<br />

in Grambke von der swb<br />

Netze GmbH & Co. KG, dem Netzbetreiber<br />

der swb-Unternehmensgruppe in der<br />

Stadt Bremen.<br />

Die Unternehmensgruppe swb AG, die<br />

1999 durch Umwandlung und Privatisierung<br />

aus den früheren Stadtwerken Bremen<br />

hervorging, versorgt über mehrere<br />

Tochtergesellschaften die Städte Bremen<br />

und Bremerhaven nicht nur mit Fernwärme,<br />

Trinkwasser und Strom, sondern<br />

auch mit Erdgas. Außerdem setzt die swb<br />

selbst Erdgas für die Energieerzeugung ein,<br />

wie in ihrem Heizkraftwerk in Bremen-<br />

Hastedt, wo aus Steinkohle und Erdgas<br />

Strom und Fernwärme produziert werden.<br />

Zusätzlich wird das im Bau befindliche<br />

Gas- und Dampfturbinen-Kraftwerk in<br />

Bremen-Mittelsbüren, das so genannte<br />

Gemeinschaftskraftwerk Bremen (GKB),<br />

Strom aus Erdgas produzieren. Das GKB<br />

wird von der swb gemeinsam mit vier Partnern<br />

errichtet, die Inbetriebnahme ist<br />

gegen Ende 2013 geplant. Das Erdgas<br />

wird von der swb von verschiedenen<br />

Vorlieferanten bezogen und stammt<br />

hauptsächlich aus Erdgasfeldern in Niedersachsen,<br />

dem Gebiet um das niederländische<br />

Groningen und Norwegen.<br />

Für die Zwischenlagerung nutzt die swb<br />

ihre Erdgaskaverne in Grambke, wobei<br />

ökonomische Gründe mit eine Rolle spielen.<br />

Vor allem dient der unterirdische Erdgasspeicher<br />

jedoch zur Sicherstellung der<br />

Versorgung, wie dies auch bei den beiden<br />

anderen „verborgenen Energiereserven im<br />

Salzstock Lesum“ – der Erdgasspeicheranlage<br />

der Storengy und der Ölspeicheranlage<br />

der NWKG – der Fall ist.<br />

Text: Horst Plambeck<br />

Fotos: Tim Wöbbeking<br />

Grafik: swb AG, Bremen<br />

Quellenangabe:<br />

Veröffentlichungen und Websites der im Artikel<br />

genannten Unternehmen sowie des Bundesamtes<br />

für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle<br />

(BAFA), Eschborn – Berichte im Weser-<br />

Kurier und in der Norddeutschen, Bremen.<br />

7


Rausfahren, wenn andere reinkommen<br />

Aus der 150-jährigen Geschichte der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS)<br />

In der Elbmündung kollidieren im dichten<br />

Schneesturm zwei Containerschiffe.<br />

Nordöstlich von Rügen kentert im Orkan<br />

eine Fähre in der aufgewühlten Ostsee.<br />

Flensburger Förde: Ein Passagier auf einem<br />

Fahrgastschiff erleidet einen Herzinfarkt.<br />

Vor der Weser treibt ein Fischkutter<br />

manövrierunfähig auf die gefährlichen<br />

Untiefen der Nordergründe zu.<br />

Hinter derartigen Fällen, die sich so oder<br />

ähnlich Jahr für Jahr auf See zutragen, verbirgt<br />

sich nicht selten unermessliches<br />

menschliches Leid. Wann immer vor der<br />

deutschen Nord- und Ostseeküste Menschen<br />

in Gefahr sind, hilft die Deutsche<br />

Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger<br />

(DGzRS). Die DGzRS mit Sitz ihrer Zentrale<br />

in Bremen ist zuständig für den Such- und<br />

Rettungsdienst (SAR = Search and Rescue)<br />

im Seenotfall. Die Gesellschaft führt diesen<br />

SAR-Dienst unabhängig, eigenverantwortlich<br />

und auf privater Basis aus. Sie kann auf<br />

eine lange bewegte und bewegende<br />

Geschichte zurückblicken.<br />

Rückschau: Im November 1854 strandete<br />

vor Spiekeroog im schweren Herbststurm<br />

das Auswandererschiff „Johanne“. 84<br />

Menschen ertranken in der tosenden See.<br />

Sechs Jahre später, im September 1860, lief<br />

die Brigg „Alliance“ auf das gefürchtete<br />

Borkum-Riff und sank. Von der Besatzung<br />

des Seglers überlebte niemand. Nach<br />

Schätzungen gerieten damals jährlich mehr<br />

als 50 Schiffe allein vor den Inseln in der<br />

deutschen Nordsee in Seenot. Mangelnde<br />

Organisation und Ausrüstung und das noch<br />

ausgeübte Strandrecht verhinderten zu<br />

jener Zeit in vielen Fällen Rettungsmaßnahmen<br />

für Schiffbrüchige. Von solchen Katastrophen<br />

bewegt, forderten der Navigationslehrer<br />

Adolph Bermpohl und der Advokat<br />

Carl Kuhlmay aus Vegesack bei Bremen<br />

im Herbst 1860 in einem Appell an die<br />

Bevölkerung erstmals die Gründung eines<br />

Seenotrettungswerks in Deutschland nach<br />

britischem und niederländischem Vorbild.<br />

Sie fanden Mitstreiter in dem Bremer<br />

Redakteur Dr. Arwed Emminghaus und dem<br />

Emder Oberzollinspektor Georg Breusing.<br />

Jener gehörte auch zu dem Kreis, der am 2.<br />

Mit Pferden brachten die Seenotretter in den ersten<br />

Jahrzehnten die Ablaufwagen mit den schweren<br />

Ruderrettungsbooten an den Strand<br />

März 1861 den ersten deutschen regionalen<br />

„Verein zur Rettung Schiffbrüchiger in Ostfriesland“<br />

gründete. Es folgten vergleichbare<br />

Aktivitäten von Hamburg und Bremen<br />

aus sowie an der Ostseeküste. Vier Jahre<br />

darauf waren die Verfechter und Wegbereiter<br />

eines einheitlichen deutschen Seenotrettungswerks<br />

am Ziel: Am 29. Mai 1865<br />

wurde in Kiel die Deutsche Gesellschaft zur<br />

Rettung Schiffbrüchiger ins Leben gerufen.<br />

Sitz der Gesellschaft wurde Bremen, erster<br />

Vorsitzer der Bremer Kaufmann und Gründer<br />

des Norddeutschen Lloyd, Konsul Hermann<br />

Henrich Meier.<br />

Selbstloser Einsatz<br />

für Menschenleben<br />

Damals wie heute ist das Fundament der<br />

DGzRS die ständige Bereitschaft erfahrener<br />

Seenotretter zur selbstlosen und aufopferungsvollen<br />

Hilfe für Menschen in Seenot.<br />

Die heute 181 fest angestellten und über<br />

800 ehrenamtlichen Rettungsmänner und -<br />

frauen fahren Jahr für Jahr mehr als 2.000<br />

Einsätze – bei jedem Wetter, rund um die<br />

Uhr. Seit der Gründung des Rettungswerks<br />

vor fast 150 Jahren haben die DGzRS-Besatzungen<br />

über 80.000 Menschen aus Seenot<br />

gerettet oder aus Gefahren auf See befreit.<br />

Allerdings: 45 Rettungsmänner sind in dieser<br />

Zeit im Einsatz auf See geblieben.<br />

Nur wenige spektakuläre Seenotfälle<br />

können an dieser Stelle kurz geschildert<br />

werden: Am 6. Dezember 1961 strandete<br />

der englische Dampfer „Ondo“ bei einem<br />

schweren Südweststurm mit Wind bis<br />

Orkanstärke auf dem „Großen Vogelsand“.<br />

Die Seenotretter holten die 65<br />

Besatzungsmitglieder in mehreren schwierigen<br />

Anläufen von Bord. Reste des Wracks<br />

der „Ondo“ sind bis heute stumme Zeugen<br />

der gewaltigen Kraft der See.<br />

Ebenfalls im Dezember, diesmal 1984,<br />

verhinderten die Rettungsmänner eine<br />

Katastrophe vor Borkum: Am 2. Weihnachtstag<br />

des Jahres geriet der zypriotische<br />

Frachter „Blue Spirit“ mit Diesel, Gift,<br />

Bitumen und Eisenbahnschwellen an Bord<br />

in Flammen. Die beiden Seenotkreuzer<br />

Im 19. Jahrhundert waren die Seenotretter noch<br />

auf ihre Muskelkraft angewiesen, um zu den<br />

Unglücksstellen zu kommen<br />

GEORG BREUSING und WILHELM KAISEN<br />

löschten in einem stundenlangen Einsatz<br />

die immer wieder auflodernden Brände.<br />

Die großen Gefahren von Feuer an Bord<br />

kennt jeder Seemann: So auch die beiden<br />

Krabbenfischer auf dem Stahlkutter<br />

„Sigrid“, als auf ihm am 2. März 2012<br />

offenbar nach einer Verpuffung Flammen<br />

hochschlugen. Die Mannschaften der beiden<br />

Seenotkreuzer VORMANN LEISS und<br />

MINDEN löschten das Feuer und brachten<br />

die beiden Fischer in Sicherheit.<br />

Motoren ersetzen<br />

Muskelkraft<br />

In den ersten Jahrzehnten nach der<br />

Gründung der DGzRS waren die Rettungsstationen<br />

mit einfachen Raketenapparaten,<br />

Hosenbojen, offenen Ruderbooten<br />

und Segelrettungsbooten ausgestattet.<br />

Erst 1911 begann mit der OBERINSPEC-<br />

TOR PFEIFER die Motorisierung. Die Entscheidung,<br />

motorisierte Einsatzfahrzeuge<br />

nach amerikanischem und britischem Vorbild<br />

bauen und einige vorhandene Segelrettungsboote<br />

entsprechend umrüsten zu<br />

lassen, glich zu Beginn des 20. Jahrhunderts<br />

einer technischen Revolution. Üblich<br />

war seinerzeit die Fortbewegung mit Muskelkraft<br />

und Wind. Der Transport der in<br />

festen Schuppen an Land stationierten<br />

Boote zum Strand geschah mit Hilfe von<br />

Pferdegespannen. Die Einsätze waren gleichermaßen<br />

beschwerlich und gefährlich.<br />

Bereits 1913 verfügte die DGzRS über<br />

14 motorisierte Rettungsboote. Der Erste<br />

Weltkrieg stoppte zunächst die weitere<br />

Modernisierung. Nach dem Krieg baute<br />

die DGzRS halbgedeckte Motorrettungsboote<br />

mit platzsparenden und zuverlässigeren<br />

Dieselaggregaten, die nach und<br />

nach die älteren Rettungsboote ersetzten.<br />

Ein großer Einschnitt war der Zweite Weltkrieg:<br />

Mit der Teilung Deutschlands setzte<br />

die DGzRS den Seenotrettungsdienst in<br />

der Deutschen Bucht und in der westlichen<br />

Ostsee fort. Dagegen war in der DDR<br />

der Seenotrettungsdienst staatlich organisiert.<br />

Technische Revolution: das erste DGzRS-Motorrettungsboot<br />

OBERINSPECTOR PFEIFER, Baujahr<br />

1911<br />

8 RUNDBLICK Frühjahr 2013


Der Seenotkreuzer HANNES GLOGNER ist eines der modernsten Schiffe der DGzRS-Rettungsflotte Foto: DGzRS/Helmut Hofer<br />

In den 1950er Jahren machte die DGzRS<br />

mit der Entwicklung der schnellen Seenotkreuzer<br />

einen entscheidenden Schritt in<br />

Richtung zu einem der modernsten und<br />

leistungsfähigsten Seenotrettungsdienste<br />

der Welt. Die Spezialschiffe waren doppelt<br />

so schnell wie die bisherigen Motorrettungsboote,<br />

dabei unbegrenzt hochseetüchtig<br />

und problemlos in Flachwassergebieten<br />

einsetzbar. Vor allem zwei Neuerungen<br />

markierten einen Durchbruch im<br />

Bau moderner Rettungsschiffe. Zum einen<br />

die Konstruktion als Selbstaufrichter: Die<br />

Fähigkeit sich auch aus größter Schräglage<br />

wieder aufzurichten, war für die Sicherheit<br />

die Mannschaft ein unschätzbarer Gewinn<br />

– bis heute eine grundlegende Eigenschaft<br />

aller DGzRS-Einheiten. Zum anderen<br />

ermöglichte das „huckepack“ mitgeführte<br />

Tochterboot den Einsatz im Flachwasser<br />

und erleichterte zudem die Rettung Schiffbrüchiger<br />

aus dem Wasser. Es ist nach wie<br />

Das Wrack der „Ondo“, gestrandet 1961 auf dem<br />

„Großen Vogelsand“<br />

RUNDBLICK Frühjahr 2013<br />

vor ein unentbehrliches Hilfsmittel aller<br />

DGzRS-Seenotkreuzer.<br />

Mit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik<br />

Deutschland am 3. Oktober 1990<br />

änderte sich das Einsatzgebiet der DGzRS<br />

erneut: Hinzu kam das Seegebiet vor den<br />

zunächst elf Stationen entlang der Küste<br />

Mecklenburg-Vorpommerns. Außerdem<br />

mussten die Rettungsschiffe der DDR<br />

modernisiert werden. Die DGzRS setzte<br />

deutliche Zeichen und stationierte den<br />

seinerzeit modernsten deutschen Seenotkreuzer<br />

1990 in Warnemünde.<br />

Heute verfügt die DGzRS über 60<br />

moderne und leistungsstarke Seenotkreuzer<br />

und Seenotrettungsboote auf 54 Stationen<br />

zwischen der Emsmündung im<br />

Westen und der Pommerschen Bucht im<br />

Osten. Die SAR-Einsätze der Schiffe werden<br />

von der eigenen SEENOTLEITUNG<br />

BREMEN zentral koordiniert und überwacht.<br />

Helfen kann jeder<br />

Die Bereitschaft der Seenotretter, uneigennützig<br />

hinauszufahren, wenn andere<br />

Schiffe den schützenden Hafen anlaufen,<br />

hat sich ebenso wenig geändert wie die<br />

Organisationsform der DGzRS: Damals wie<br />

heute wird die gesamte Arbeit ausschließlich<br />

durch freiwillige Beiträge und Spenden<br />

getragen. Jeder noch so kleine Beitrag<br />

ist darum wichtig, wenn auch in Zukunft<br />

Menschen aus Seenot schnell und effektiv<br />

gerettet werden sollen.<br />

Text: Ralf Baur / Fotos: DGzRS<br />

Weitere Informationen:<br />

www.seenotretter.de<br />

Kontakt: info@seenotretter.de<br />

Spendenkonto:<br />

Sparkasse Bremen<br />

BLZ 290 501 01<br />

Kontonummer 107 2016<br />

Die Kommandozentrale in Bremen Sitz der DGzRS an der Weser in Bremen<br />

9


Serie: Die Schulen in Borgfeld und Timmersloh<br />

Teil 2: 1891 bis 1945<br />

Im ersten Teil dieser Serie wurde dargestellt,<br />

wie sich beide Schulen vom 17. bis<br />

zum Ende des 19. Jahrhunderts entwickelt<br />

haben. Kennzeichnend für diese Zeit war<br />

die enge Verbindung zwischen Kirche und<br />

Schule. So war lange Zeit der Küster<br />

gleichzeitig der Schulmeister. Erst 1844<br />

wurde im Bremer Gebiet die Schulpflicht<br />

angeordnet. 1889 beschloss der Bremer<br />

Senat, dass nunmehr die Landgemeinden<br />

für das Schulwesen zuständig sein sollten.<br />

Dazu wurde ein Schulvorstand eingesetzt,<br />

dem der Ortsvorsteher, der Schulvorsteher,<br />

einige Mitglieder des Gemeindeausschusses<br />

und der Pastor angehörten. Vierzig<br />

Jahre später wurde das Schulwesen zu<br />

einer staatlichen Aufgabe.<br />

In Borgfeld hatte die Kirchengemeinde<br />

1881 noch eine neue Schule gebaut. Sie<br />

erhielt vier Klassenräume, von denen<br />

zunächst nur drei genutzt wurden, und<br />

eine Wohnung für den Schulleiter. Borgfeld<br />

war damals eine typische Landschule,<br />

in der mehrere Jahrgänge in einer Klasse<br />

unterrichtet wurden, in Klasse III die ersten<br />

drei Schuljahrgänge, in Klasse II die Jahrgänge<br />

4 – 6 und in Klasse I die 13- und 14jährigen<br />

Kinder. Die Nebenstellen Timmersloh<br />

und Lehesterdeich waren noch<br />

lange einklassig. Die Unterrichtsqualität in<br />

Stadtschulen galt als deutlich besser. So ist<br />

es nicht überraschend, dass der Borgfelder<br />

Pastor Homann 1902 seine Stelle in Borgfeld<br />

aufgab und ein Amt in Bremen übernahm,<br />

da seine Kinder in eine Stadtschule<br />

gehen sollten.<br />

1908 hatte die Schülerzahl so stark<br />

zugenommen, dass die Anzahl der Klassen<br />

und damit der Lehrer auf vier erhöht<br />

wurde, sodass jetzt in jeder Klasse zwei<br />

Schuljahrgänge unterrichtet wurden.<br />

Als Schulleiter wirkt damals in Borgfeld<br />

Caspar Wefing, der diese Funktion 1881<br />

übernahm und sie mehrere Jahrzehnte<br />

behielt. Er spielte im Gemeindeleben eine<br />

wichtige Rolle. So leitete er ab 1881 den<br />

Chor des Männergesangvereins Borgfeld.<br />

Sein Nachfolger in dieser Arbeit war ab<br />

1914 mit Fritz Rohdenburg ein Borgfelder<br />

Lehrer.<br />

Auf Wefing folgte Ostern 1914 Paul<br />

Scharlach als Schulleiter. Aber schon im<br />

August dieses Jahres wurde er zu Beginn<br />

des 1. Weltkrieges zum Wehrdienst einberufen.<br />

Als seine Vertreter wirkten zuerst<br />

Wilhelm Dunkering, bis der ebenfalls bald<br />

darauf Soldat wurde, und dann Fritz Rohdenburg.<br />

Anfang 1916 wurde Schulleiter<br />

Scharlach vom Wehrdienst freigestellt,<br />

1917 aber erneut eingezogen. Kurz vor<br />

Kriegsende wurde er schwer verwundet<br />

und starb wenig später im Lazarett bei<br />

Köln. Nach dem Ende des Krieges 1918<br />

übernahm nun Wilhelm Dunkering die<br />

Klasse mit Lehrer Wilhelm Dunkering<br />

Schulvorsteher-Stelle in Borgfeld bis zum<br />

Ende des 2. Weltkrieges 1945. Seine damaligen<br />

Schüler haben unterschiedliche Erinnerungen<br />

an ihn. Manche halten ihn für<br />

einen strengen Lehrer, andere meinen, er<br />

schlug nicht so oft wie andere. Mehrfach<br />

kam es allerdings vor, dass sich Borgfelder<br />

bei ihm über Schüler beschwerten. Darauf<br />

reagierte er sehr empfindlich. Hatte ein<br />

Schüler etwa „Äpfel geklaut“, gab es mit<br />

dem Rohrstock 5 Schläge auf den Hosenboden.<br />

Des Öfteren wurde erwähnt, dass<br />

er regelmäßig in den Spucknapf neben seinem<br />

Pult spuckte.<br />

Nach der Machtübernahme 1933 durch<br />

die Nationalsozialisten trat er der NSDAP<br />

bei, weil er befürchtete, dass er sonst sein<br />

Amt verlieren würde. Anscheinend war er<br />

aber nicht aktiver Parteigenosse. Ilse Kaisen,<br />

Tochter des späteren Bremer Bürgermeisters,<br />

der mit seiner Familie 1933 die Stadt<br />

verlassen musste und in Katrepel eine Siedlerstelle<br />

übernahm, schreibt in ihrem Büchlein<br />

„Unser Leben in Borgfeld“ nichts Kritisches<br />

über Lehrer Dunkering. Sie berichtet<br />

sogar: „Er hatte es nicht leicht. Er wurde<br />

von der Behörde mit täglichen langen Telefonaten<br />

malträtiert, mit denen man ihn<br />

gefügig machen wollte.“ Andere erinnerten<br />

sich, dass er oft gezittert hätte, wenn er von<br />

seiner Frau ans Telefon gerufen wurde.<br />

Der Druck zeigte vermutlich Wirkung.<br />

Gut erinnern sich einige, dass am letzten<br />

Schultag vor den Ferien und bei Wiederbeginn<br />

alle Schüler zur Hissung der<br />

Deutschland- und der Hakenkreuzfahne<br />

antreten mussten. Dabei mussten beim<br />

Singen der Nationalhymne und des Horst-<br />

Wessel-Liedes die Schulkinder den Arm<br />

zum Hitlergruß heben. Ließ man dann den<br />

Arm vorzeitig sinken, wurde man von Dunkering<br />

scharf verwarnt. Nach Ende des<br />

Krieges wurde er nicht wieder mit der<br />

Schulleitung betraut, da er schon im Pensionsalter<br />

war. Zur Erinnerung an den<br />

Straße nach<br />

Dunkering benannt<br />

langjährigen Schulleiter wurde in Borgfeld-<br />

West eine Straße nach ihm benannt.<br />

Neben dem Schulleiter waren bis 1945<br />

auch Fräulein Martha Wilshusen, Fräulein<br />

Charlotte Berg und Friedrich Nölting längere<br />

Zeit als Lehrkräfte und Fräulein Faber<br />

als Handarbeitslehrerin in Borgfeld tätig.<br />

Die erste weibliche Lehrkraft in Borgfeld<br />

war ab 1908 Fräulein Müller. Sie legte<br />

besonderen Wert darauf, dass sie mit Fräulein<br />

angeredet wurde. Sie soll eine strenge,<br />

ernste Lehrerin gewesen sein. Dieses galt<br />

ebenso für Fräulein Hummert, die in den<br />

40iger Jahren erst in Borgfeld und dann in<br />

der Holzschule am Lehester Deich unterrichtete.<br />

Sie muss aber auch eine mutige<br />

Frau gewesen sein, denn sie demonstrierte<br />

mit einer kleinen Gruppe auf dem Hauptbahnhof<br />

gegen den Abtransport der Juden<br />

in ein Konzentrationslager. Das war damals<br />

sehr gefährlich.<br />

Wenn man damalige Schüler nach ihren<br />

Erinnerungen an die Schulzeit befragte,<br />

wurde oft zuerst genannt, womit und wie<br />

die Lehrer und auch manche Lehrerinnen<br />

gestraft haben, mit dem Rohrstock, dem<br />

Zeigestock, dem Lineal auf die flache<br />

10 RUNDBLICK Frühjahr 2013


Klasse mit Lehrerin Frl. Hummert<br />

Hand, mit „Ohrfeigen“ und „Backpfeifen“<br />

oder dem Ziehen an den Haaren.<br />

In Borgfeld erteilten außer in den Kriegszeiten<br />

vor allem Lehrer den Unterricht,<br />

Lehrerinnen unterrichteten in der Regel<br />

nur in den ersten Schuljahren. Es gibt<br />

einen relativ guten Überblick darüber, welche<br />

Lehrkräfte ab 1932 in welchen Klassen<br />

tätig waren, da Teile der damaligen „Klassenbücher“<br />

mit den Namen der Lehrer<br />

und Schüler bis heute in der Borgfelder<br />

Schule aufbewahrt werden. Leider gibt es<br />

dabei größere Lücken, die teilweise durch<br />

Aussagen von Zeitzeugen ausgefüllt werden<br />

konnten.<br />

An zwei Lehrer hatten diese besonders<br />

lebhafte Erinnerungen. Anfang der 30er<br />

Jahre fiel ein Lehrer dadurch auf, dass er<br />

mehrfach in SA-Uniform zur Schule kam.<br />

In seinem rechten Lederstiefel steckte stets<br />

ein Rohrstock, den er des Öfteren blitzschnell<br />

hervorzog und damit kräftig<br />

zuschlug. In den Pausen besuchte er nicht<br />

selten den nahen Dorfkrug. Letzteres<br />

führte zur Freude der Schüler dazu, dass er<br />

schon bald aus Borgfeld versetzt wurde.<br />

Noch aufregender war ein Erlebnis im<br />

Jahre 1937. Da erschienen mehrere Polizisten<br />

in der Schule und verhafteten einen<br />

Lehrer, weil er bei der Verwaltung der Gelder<br />

für das Winterhilfswerk Gelder unterschlagen<br />

haben soll.<br />

Mädchen schnitten<br />

besser ab<br />

Im Unterricht wurde auch schon vor<br />

1933 großer Wert auf Disziplin und Gehorsam<br />

gelegt, dann aber noch mehr. Das<br />

zeigte sich etwa daran, das im Zeugnis<br />

großer Wert auf die „Kopfnoten“ gelegt<br />

wurde, also auf die Beurteilung von Betragen,<br />

Ordnung, Fleiß und Aufmerksamkeit.<br />

Dabei schnitten die Mädchen in der Regel<br />

RUNDBLICK Frühjahr 2013<br />

besser ab. Unterricht wurde im Sommer<br />

von 7 bis 12 Uhr erteilt, im Winter von 8 bis<br />

13 Uhr. Die Schulkinder saßen in Zweierbänken.<br />

Vorne gab es eine Rille für Griffel,<br />

Bleistifte und Federhalter, daneben eine<br />

Öffnung für das Tintenfass. Die Bänke<br />

waren alle in Richtung Pult ausgerichtet, da<br />

in der Regel Frontalunterricht erteilt wurde.<br />

In den ersten Schuljahren gab es Schiefertafeln<br />

und Griffel. Dazu musste jedes Kind<br />

einen Schwamm in einer Dose und einen<br />

Lappen zum Wegwischen haben.<br />

Bis Mitte der 30er Jahre wurde die Sütterlin-<br />

oder „deutsche“ Schrift erlernt, die<br />

dann durch die weniger eckige „lateinische“<br />

Schrift abgelöst wurde. Im „3.<br />

Reich“ wurde großer Wert auf das Fach<br />

Geschichte gelegt, in den unteren Klassenstufen<br />

auf <strong>Heimat</strong>kunde sowie auf „Leibesübungen“.<br />

Ab 1936 wurde es für Kinder<br />

ab 10 Jahren Pflicht, Mitglied im Jungvolk<br />

bzw. bei den Jungmädchen zu werden.<br />

Bei den Hausaufgaben musste dann<br />

Neue Schule von 1881 von der Straße aus<br />

Rücksicht auf den „Dienst“ genommen<br />

werden. Hin und wieder erschienen<br />

Schüler und Schülerinnen auch in Uniform<br />

zum Unterricht.<br />

Überraschenderweise gab es damals<br />

auch schon eine Schulreform. An die Stelle<br />

der Fächer Schreiben, Lesen, Rechnen und<br />

Sachkunde trat der Gesamtunterricht in<br />

den ersten Schuljahren. Die Grundfertigkeiten<br />

wurden also in Verbindung mit<br />

einem gemeinsamen Hauptthema erlernt,<br />

z.B. dem Thema Bauernhof. Über ein<br />

besonderes Projekt wird aus den Jahren<br />

1935 bis 1938 berichtet. Um Deutschland<br />

für die Gewinnung von Seide möglichst<br />

unabhängig zu machen, wurden in den<br />

Schulen Seidenraupen gezüchtet. Das<br />

geschah auch in Borgfeld. Für die Pflanzung<br />

und Pflege von Maulbeerbäumen<br />

sowie das Ernten der Blätter als Nahrung<br />

für die Raupen waren die Jungen zuständig.<br />

Die Mädchen mussten in Terrarien die<br />

Seidenraupen betreuen und die Kokons<br />

nach der Verpuppung ernten. Bei einer<br />

Ausstellung 1936 zeigte die Borgfelder<br />

Schule 12.000 Raupen. Allerdings scheint<br />

noch vor Beginn des 2. Weltkrieges die<br />

Zucht eingestellt worden zu sein.<br />

Nach dem Beginn des Krieges 1939 zeigten<br />

sich schon bald erste Auswirkungen auf<br />

den Unterricht in Borgfeld. Jüngere Lehrer<br />

wurden zur Wehrmacht eingezogen. Auf<br />

dem Schulgebäude wurde eine Sirene<br />

montiert und dann bald Luftschutzübungen<br />

durchgeführt. 1940 begannen die<br />

ersten Bombenangriffe auf Bremen.<br />

Während in anderen Bremer Schulen die<br />

Keller zu Luftschutzräumen ausgebaut wurden,<br />

hob man in Borgfeld auf dem Schulhof<br />

einen Luftschutzgraben in Zickzackform<br />

aus, der durch Sandwälle zusätzlich<br />

geschützt wurde. Als die Flugzeugangriffe<br />

zunahmen, wurde der Graben zu einem<br />

Bunker umgebaut, der ebenfalls diese Zickzackform<br />

aufwies. Bei Voralarm wurden<br />

Kinder, die in der Nähe der Schule wohnten,<br />

nach Hause geschickt. Immer häufiger<br />

kündigten die Sirenen Angriffe an, sodass<br />

11


Die Schule in Timmersloh wurde 1970 aufgelöst Foto: Erwin Duwe<br />

immer öfter Unterricht ausfiel. Mehrfach<br />

konnten auch die Lehrerinnen nicht nach<br />

Borgfeld, da sie selbst in ihren Wohnungen<br />

Bombenschäden erlitten oder Bahn und<br />

Bus nicht mehr fuhren. Als im Dezember<br />

1943 an der Heerstraße eine große Zahl<br />

von Bomben fiel, zersprangen alle Fensterscheiben<br />

der Schule. Sie konnten erst nach<br />

einiger Zeit ersetzt werden, sodass es verlängerte<br />

Weihnachtsferien gab.<br />

Die Zahl der Schulkinder nahm in diesem<br />

Zeitraum deutlich zu, da ausgebombte<br />

Familien aus Bremen hier Unterkunft<br />

fanden. Daher wurden infolgedessen<br />

die ersten Schuljahrgänge in zwei Klassen<br />

geteilt. In Bremen wurden wegen der vielen<br />

Luftangriffe die Klassen mit den Lehrkräften<br />

nach Österreich, Bayern oder Sach-<br />

Schulmeisterkomfort<br />

In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg<br />

(1939 – 1945) lag in Deutschland<br />

alles danieder.<br />

Die Engländer hatten, das Leben musste<br />

weitergehen, in ihrer Besatzungszone<br />

noch 1945 damit begonnen, in den<br />

Gemeinden und Städten Ratsmitglieder<br />

und für die Kreistage Abgeordnete jeweils<br />

für eine Übergangszeit zu ernennen.<br />

Die ersten freien Gemeinde- und Stadtratswahlen<br />

fanden in der britischen Zone<br />

am 15. September 1946 statt. Kreistagswahlen<br />

waren am 13. Oktober 1946.<br />

Nach damaliger Kommunalverwaltung<br />

durfte sich der Ratsvorsitzende im englischen<br />

Hoheitsgebiet Bürgermeister nennen.<br />

Der Vorsitzende im Kreistag hieß<br />

Landrat. Die Verwaltungen wurden von<br />

den Gemeindedirektoren/Stadtdirektoren<br />

bzw. vom Oberkreisdirektor geleitet. In<br />

den kleinen Gemeinden war der Bürgermeister<br />

fast regelmäßig ehrenamtlich auch<br />

als Gemeindedirektor tätig und stempelte<br />

auch in diesem Ehrenamt mit „Der Bürgermeister“.<br />

Niemanden störte das.<br />

sen geschickt. Für die Landschulen war die<br />

Teilnahme an der „Kinderlandverschickung“<br />

(KLV) freiwillig und wurde nur<br />

vereinzelt genutzt.<br />

Im April 1945 endete mit der Besetzung<br />

durch englische Truppen diese Katastrophen-Zeit.<br />

Wenden wir uns zum Abschluss dieses<br />

Berichts der Entwicklung in Timmersloh<br />

zu. Die Schule hier blieb bis Ende 1945 einklassig,<br />

das heißt alle 8 Schuljahrgänge<br />

wurden in einer Klasse unterrichtet.<br />

Schwerhörig geworden –<br />

nach Timmersloh versetzt<br />

Oberlehrer war bis 1881 August Bleidorn,<br />

der vorher Lehrer in Borgfeld war. Da er<br />

Es waren häufig energische Männer und<br />

Frauen, die damals in den Jahren des<br />

Elends und der Not die Initiative ergriffen<br />

und sich der demokratischen Verantwortung<br />

stellten. Was sie zu Hause gelernt hatten,<br />

das praktizierten sie auch im Ehrenamt.<br />

Sie wussten, dass sie die Mark nur einmal<br />

ausgeben können.<br />

Schulmeister Z, so wollen wir ihn nennen,<br />

bewohnte in einer kleinen Landgemeinde<br />

die Lehrerdienstwohnung II, die<br />

von der Gemeinde gestellt worden war. So<br />

etwas gab es damals noch.<br />

Z meinte nun, dass der Fußboden in seinem<br />

Wohnzimmer gestrichen werden<br />

müsse. Auch alte Leute hätten ihm erzählt,<br />

dass die Fußböden in der Lehrerdienstwohnung<br />

in den letzten 30 Jahren nur<br />

gelegentlich mal geölt worden seien. In<br />

allen Zimmern habe es danach dann<br />

immer übel gerochen. „Gestunken“, hatte<br />

der Schulmeister geschrieben.<br />

Bürgermeister und ehrenamtlicher<br />

Gemeindedirektor X konnte sich mit dem<br />

Wunsch und mit dem Stil des Pädagogen<br />

schwerhörig geworden war, wurde er nach<br />

Timmersloh versetzt. „Dafür war er noch<br />

gut genug“ , sagten die Timmersloher.<br />

Er wurde nicht besonders geliebt, denn<br />

er galt als ungerecht und misstrauisch, und<br />

er schlug oft und ohne Grund. Eltern drohten<br />

daraufhin mit Beschwerden bei der<br />

vorgesetzten Behörde. 1904 übernahm<br />

Adolf Kessemeier die Lehrerstelle und<br />

behielt sie bis 1938. Er wurde im Gegensatz<br />

zu seinem Vorgänger von Schulkindern<br />

und Eltern sehr geschätzt. Er sprach<br />

vor allem mit den Älteren Plattdeutsch und<br />

kannte wohl alle Timmersloher Familien.<br />

Bei Notfällen oder Problemen mit den<br />

Behörden wurde er zur Hilfe gerufen.<br />

Begabtere Schüler förderte er auch individuell,<br />

sodass in dieser Zeit relativ viele<br />

Schüler zu weiterführenden Schulen in<br />

Bremen gehen konnten. Einer seiner<br />

Schwerpunkte war die Musik. 1910 gründete<br />

er den Timmersloher Gemischten<br />

Chor und trat mit ihm bei Liederabenden<br />

auf. Kessemeier schrieb auch zwei Theaterstücke,<br />

die er mit Timmerslohern aufführte.<br />

Ebenfalls ein beliebter Lehrer war ab<br />

1938 Adolf Schauwienold. Er kam aus Bayern,<br />

fand aber durch seine offene Art<br />

schnell in Timmersloh Zutrauen. Er war um<br />

einen interessanten Unterricht bemüht<br />

und machte häufige Hausbesuche. Zu<br />

Beginn des 2. Weltkrieges wurde er Soldat.<br />

Zuerst vertrat ihn seine Frau, die auch Lehrerin<br />

war. Später gab es auch mehrere Vertretungslehrer.<br />

Insgesamt war Timmersloh von den<br />

Kriegsfolgen weniger betroffen als Borgfeld.<br />

Prof. Dr. Hermann Cordes<br />

nicht anfreunden. Die Zeit stellte Aufgaben<br />

mit mehr Gewicht. Sollte der Schulmeister<br />

seine Hefte doch in der Küche korrigieren,<br />

wenn ihn dabei im Wohnzimmer<br />

der Fußboden störte. In der kalten Jahreszeit<br />

wäre dann zudem kostensparend zum<br />

Wohl der Lehrerfamilie auch ein Ofen<br />

weniger zu heizen.<br />

Trotz des Ärgers über die nicht vorhergesehene<br />

und deshalb im Gemeindehaushalt<br />

nicht eingeplante Schulmeisterforderung<br />

verkannte X nicht, dass das Streichen<br />

eines nur grob gehobelten Fußbodens in<br />

einem Wohnzimmer nicht der allergrößte<br />

Luxus ist. X wird sicherlich viele Wohnzimmer<br />

in den Häusern seines Dorfes gekannt<br />

haben.<br />

X ließ den Gemeinderat abstimmen. Der<br />

fasste den angeblich salomonischen<br />

Beschluss:<br />

„Der Fußboden im Wohnzimmer der Lehrerdienstwohnung<br />

II wird gestrichen, …..,<br />

aber nicht unter dem Teppich und nicht<br />

unterm Schrank.“<br />

Jürgen Lodemann<br />

12 RUNDBLICK Frühjahr 2013


100 Jahre alt:<br />

Die Lilienthaler Friedhofskapelle<br />

Lilienthal. Über Jahrzehnte verbreitete<br />

ihr Geläut die untrügliche Nachricht, dass<br />

wieder ein Mensch sein irdisches Dasein<br />

beendet hatte. Wer über ihre Schwelle trat,<br />

tat dies mit einem Gefühl der Trauer und<br />

Beklemmung. Denn stets war mit dem Eintreten<br />

in den Kirchenraum auch die<br />

Gewissheit verbunden, sich einer Gemeinschaft<br />

von Trauernden anzuschließen, um<br />

von einem geliebten Angehörigen oder<br />

einem besonderen Menschen Abschied zu<br />

nehmen. So erfüllte denn auch die Kapelle<br />

auf dem Friedhof an der Falkenberger<br />

Landstraße die ganz besondere Aufgabe,<br />

Menschen für einige andächtige Momente<br />

zum Innehalten zu bewegen und Einkehr<br />

bei sich selbst zu halten. Mit ihrer anmutigen,<br />

überwiegend funktionalen Architektur,<br />

und mit den Namen der Gefallenen<br />

zweier Weltkriege versehenen Fenstern, ist<br />

sie für den interessierten Betrachter auch<br />

ein Teil der jüngeren Geschichte Lilienthals.<br />

Kaum jemand wird sich aber Gedanken<br />

gemacht haben, seit wann denn dieses<br />

Bauwerk für die trauernden Menschen<br />

nicht nur einen Ort der Andacht bedeutete,<br />

sondern auch einen Raum, der Schutz<br />

vor Regen, Kälte und Hitze bot. Denn<br />

früher wurde der Ablauf einer Beerdigung<br />

anders gestaltet als heute. Es gab die<br />

„Trauerfeier vom Hause aus“ zu Ehren der<br />

Verstorbenen. Der oder die Tote wurde im<br />

Trauerhaus aufgebahrt, dort meist vom<br />

Lehrer des Ortes im feierlichen Rahmen<br />

verabschiedet und dann von der Trauergemeinde<br />

zu Fuß hinter dem Leichenwagen<br />

bis zum Friedhof begleitet. Erst hier<br />

begann dann die kirchliche Zeremonie mit<br />

der sich anschließenden Grablegung.<br />

Im Laufe der Zeit aber vollzog sich eine<br />

Wandlung in diesem Ablauf; viele Trauerfeiern<br />

wurden nur noch auf dem Friedhof<br />

abgehalten. Die Zunahme der Einwohnerzahl<br />

Lilienthals machte eine Aufgabe des<br />

Friedhofes sowohl bei der Klosterkirche St.<br />

Marien als auch bei der Truper Kapelle<br />

unumgänglich und eine Neuanlegung an<br />

der Falkenberger Landstraße notwendig.<br />

Schon bald regte sich der Wunsch, hier<br />

ein Gotteshaus zu bauen, um die begonnene<br />

Umstrukturierung sinnvoll zu ergänzen.<br />

Am 2. November 1912 konnte<br />

schließlich die Friedhofskapelle eingeweiht<br />

werden. In der Wümme-Zeitung vom<br />

Montag, 4. November d. J., ist dazu Folgendes<br />

zu lesen:<br />

„Am Sonnabendnachmittag fand die<br />

Einweihung der auf dem hiesigen Friedhof<br />

erbauten Kapelle statt. An der Feier nahmen<br />

mehrere Geistliche der Umgebung,<br />

Landrat Dr. Becker, der Bauleiter, die Architekten<br />

und Handwerker, welche an dem<br />

RUNDBLICK Frühjahr 2013<br />

Die eindrucksvolle Friedhofskapelle Foto: B. Richter<br />

Bau beschäftigt gewesen sind, und viele<br />

Gemeindemitglieder teil. Die Kapelle vermochte<br />

alle Teilnehmer kaum aufzunehmen.<br />

100 Personen fanden Platz auf den<br />

Sitzbänken, mehr noch mussten stehend<br />

der Feier beiwohnen.<br />

Die neue Glocke auf dem Türmchen der<br />

Kapelle kündigte den Beginn der Feier an.<br />

Der Bauleiter, Architekt Strohkirch aus Bremen,<br />

überreichte dem Geistlichen der<br />

Gemeinde, Superintendent Krull, den<br />

Schlüssel des Gebäudes und nachdem das<br />

Tor geöffnet worden war, begaben sich<br />

alle in den Kirchenraum. Nachdem die Kinder<br />

und die Gemeinde Lieder gesungen,<br />

hielt Herr Superintendent Krull die Festpredigt.<br />

Nach Verlesung des 84. Psalms<br />

benutzte der Redner die Worte Johannis:<br />

,Im Namen unseres Herrn Jesu Christi, der<br />

da war und der da ist und der da sein wird‘,<br />

als ersten Gruß in dem neuen Gotteshause<br />

an die Gemeinde und Freunde und alle,<br />

die am Bau gerüstet und geholfen haben.<br />

Der neue Raum spreche zum ersten Male<br />

in ganz besonderer Weise zu unserem<br />

Empfinden. Lange schon hätten viele<br />

Gemeindemitglieder den Wunsch gehabt,<br />

bei der Bestattung ihrer lieben Toten einen<br />

Raum, einen Schutz für Feier und Andacht<br />

zu haben, und in einmütiger Opferwilligkeit<br />

sei der Beschluß, diese Kirche zu<br />

bauen, von der kirchlichen Vertretung der<br />

beiden Gemeinden Trupe und Lilienthal<br />

gefaßt worden. Gottes Gnade habe von<br />

jenem ersten Augenblick des Entschlusses<br />

an bis zu dieser Stunde Unfall und Schaden<br />

von dem Bau und allen daran Beschäftigten<br />

ferngehalten. Diese hätten ihr Können,<br />

ihr bestes Vermögen dem Bau gewidmet.<br />

Die Gemeinde wolle allen danken, die mitgeholfen<br />

haben, daß dieses Bauwerk nun<br />

vollendet worden sei, daß es nun hier<br />

stehe, nicht als Prunkgebäude, nicht als<br />

ragender Dom, aber doch als edles, trauliches<br />

Heiligtum, voll von besonderer<br />

Schönheit. Fortan würden nun hier die<br />

Glieder der Gemeinde sich sammeln. Es<br />

solle ihnen hier eine Andachtsstätte geboten<br />

werden, eine Stätte zu kurzer Rast der<br />

Entschlafenen und den Gemeindemitgliedern<br />

eine Stätte der Erbauung, damit hier,<br />

den Lebenden zur Mahnung, den Toten<br />

zum Gedächtnis, das Wort Gottes verkündet<br />

werde, das Wort vom Sterben, vom<br />

Auferstehen und vom Leben.“<br />

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die<br />

Kapelle für viele Jahre von der durch die<br />

Kriegswirren angewachsenen katholischen<br />

Gemeinde Lilienthals als Gotteshaus<br />

genutzt.<br />

Inzwischen mehrmals restauriert, vor<br />

einigen Jahren mit einem neuen Türmchen<br />

versehen, hat die Friedhofskapelle nunmehr<br />

über 100 Jahre im Sinne der Initiatoren<br />

und Erbauer den nachfolgenden Generationen<br />

gedient.<br />

Peter Richter<br />

13


Der große Brand in Lilienthal von 1813<br />

Lilienthal unter französischer Besatzung<br />

Lilienthal. Obwohl die verheerende Lilienthaler<br />

Brandnacht, bei der ein Großteil<br />

des Ortes zerstört wurde, nun schon 200<br />

Jahre zurückliegt, so ist das schreckliche<br />

Geschehen heute noch ein besonderes<br />

Merkmal in der Lilienthaler Ortsgeschichte.<br />

Der Druck der Franzosenherrschaft, der<br />

1803 mit der Besetzung des Kurfürstentums<br />

Hannovers durch die napoleonische<br />

Truppen begann, war auch in Lilienthal zu<br />

spüren. Obwohl Lilienthal noch bis Anfang<br />

1813 von jeglichen kriegerischen Handlungen<br />

verschont blieb, so war es doch die<br />

zeitweise Einquartierung durch die Fremdherrschaft<br />

und die damit verbundenen<br />

Repressalien, unter der die Bevölkerung zu<br />

leiden hatte. Die neuen Herren bestimmten<br />

durch neue Gesetze und Verordnungen den<br />

Ablauf des täglichen Lebens. Um Ausschreitungen<br />

zwischen den Besetzern und der<br />

Bevölkerung zu vermeiden, wurde anfangs<br />

sogar die Schließung aller Gasthäuser ab<br />

9.00 Uhr abends angeordnet und alle festlichen<br />

Veranstaltungen verboten.<br />

Die Zivilgewalt wurde aber bald wieder<br />

hergestellt und der Oberamtmann und neu<br />

ernannte Justizrat Hieronymus Schroeter<br />

konnte sogar unter besonderem Schutz des<br />

Generalleutnants Rivaud seine astronomischen<br />

Beobachtungen und den Kontakt mit<br />

den Größen der Astronomie fortsetzen.<br />

Die Jahre 1805/06 waren sehr wechselhaft.<br />

Die Besatzer kamen und gingen.<br />

Anfangs waren es die Franzosen, die das<br />

Land besetzten, dann kurzzeitig die<br />

Preußen durch die Übernahme des Kurfürstentums<br />

Hannovers und dann, nach der<br />

verlorenen Schlacht der Preußen gegen die<br />

Franzosen, wieder die Franzosen. Aber auch<br />

in den Folgejahren war die Fremdherrschaft<br />

mit den Einquartierungen, den Rekrutenaushebungen<br />

sogar für das Amt Lilienthal<br />

durch die Einführung des Code de Napoleon<br />

zu einer schweren Bürde geworden.<br />

1810 kam die große<br />

Gebietsveränderung<br />

Das Amt Lilienthal, dem Department<br />

Wesermünde zugehörig, wurde Kanton mit<br />

drei Mairien (Lilienthal, St. Jürgen, und<br />

Worpswede) im Königreich Westfalen. Und<br />

im Februar 1811, nachdem nun auch das<br />

Königreich Westfalen dem französischen<br />

Kaiserreich einverleibt worden war, erhielt<br />

das Amt Lilienthal die Mitteilung, dass Kaiser<br />

Napoleon das Amt Lilienthal dem Grafen<br />

und Kultusminister Bigot de Prèameneau<br />

geschenkt habe und dass der Graf das<br />

Amt zu verpachten wünsche. Schroeter, der<br />

ohnehin schon im September 1810 als<br />

Oberamtmann in den Ruhestand versetzt<br />

worden war, verließ nun schleunigst seinen<br />

Wohnsitz im Amtshof und richtete sich in<br />

Die Truper Kapelle Foto: Rupprecht Knoop<br />

dem von ihm früher erworbenen Hof auf<br />

dem Hohenlande (heute Amtmann Schroeter<br />

Haus) ein. Für die Amtsgeschäfte wurde<br />

sein Sohn Johann Friedrich, der unter anderem<br />

durch die Fürsprache von Olbers vom<br />

Militärdienst befreit worden war, bestimmt.<br />

Hieronymus Schroeter hingegen widmete<br />

sich in aller Stille und Zurückgezogenheit ,<br />

bis zum Ende der französischen Besetzung,<br />

nur noch seinen astronomischen Beobachtungen.<br />

1812 begann dann der<br />

große politische Wirrwarr<br />

Obwohl der Rückzug der geschlagenen<br />

französischen Armee aus Russland, verfolgt<br />

von der großen Befreiungsarmee, schon<br />

den Beginn der Freiheit ankündigte, erhielten<br />

die Maires immer wieder strenge Weisungen,<br />

sich an der Suche von Deserteuren<br />

zu beteiligen und junge Leute für Napoleons<br />

Armee zu rekrutieren. Anfang März<br />

1813 wurde bereits Berlin von den Franzosen<br />

befreit. Der Rückzug der französischen<br />

Truppen nach Westen ging weiter. Kleinere<br />

Einheiten der Kosaken unter Führung des<br />

russischen Generals Tettenborn mit einigen<br />

Hanseaten kamen schon bis nach Ottersberg<br />

und in kleineren Abteilungen noch<br />

weiter bis nach Lilienthal und Achim.<br />

Es war am 15. April 1813, am Gründonnerstag,<br />

als die ersten Kosaken mit einigen<br />

Hanseaten aus der Befreiungsarmee in Lilienthal<br />

erschienen, um die in Borgfeld liegenden<br />

französischen Vorposten anzugreifen.<br />

Abends verzogen sie sich dann wieder,<br />

kamen jedoch am nächsten Tag mit einer<br />

verstärkten Einheit zurück, um die Franzosen,<br />

die sich hinter dem Warfdeich verschanzt<br />

hatten, erneut anzugreifen.<br />

Dabei benutzten einige der Kosaken<br />

Vogelflinten mit gehackter Bleimunition,<br />

Inschrift über dem Eingang Foto: Rupprecht Knoop<br />

was beim Militär überhaupt nicht üblich<br />

war, sodass die Franzosen, nach der Art<br />

ihrer Verwundungen, annahmen, sie seien<br />

auch von Lilienthaler Einwohnern angegriffen<br />

und beschossen worden.<br />

Diese irrige Meinung löste bei den Franzosen<br />

arge Verbitterung aus, und General<br />

Vandamme, als oberster Kommandeur der<br />

französischen Truppe im Raum Bremen, soll<br />

nach Vorlage des Berichtes sofort bestimmt<br />

haben, die Einwohnern Lilienthals durch die<br />

Zerstörung einiger ihrer Häuser dafür züchtigen<br />

zu müssen. Doch bis der endgültige<br />

Befehl zur Durchführung einer solchen<br />

militärischen Aktion kam, vergingen noch<br />

einige Tage und die Kosaken und die Franzosen<br />

lieferten sich weiterhin an der<br />

Wümmebrücke kleinere unbedeutende<br />

Gefechte.<br />

Am 2. Ostertag hatten sich die Kosaken<br />

wieder zurückgezogen und die Franzosen<br />

waren wieder in Lilienthal eingerückt, um<br />

nun die Lilienthaler Einwohner, Trupe und<br />

Truperdeich mit eingeschlossen, zu entwaffnen.<br />

Jeder der Einwohner gab daraufhin<br />

gewissenhaft seine Flinte ab, die dann zum<br />

Abtransport auf einen Wagen geladen wurden.<br />

Doch dazu kam es nicht. Die Kosaken,<br />

die sich nicht weit von Lilienthal entfernt<br />

hatten, kamen zurück und griffen die Franzosen<br />

erneut an, die auch unverzüglich die<br />

Flucht ergriffen. Danach zogen sich die<br />

Kosaken, es war der 20. April 1813, gänzlich<br />

zurück.<br />

In der Nacht zum 21. April, kaum war die<br />

Mitternacht vorüber, wurden die schlafenden<br />

Einwohner durch ein heftiges Gewehrfeuer<br />

aus nahezu 600 Büchsen aufgeschreckt.<br />

Einige Hundert Mann französischer<br />

Linieninfanterie waren auf Befehl des<br />

Generals Vandamme von Borgfeld aus in 3<br />

Abteilungen angerückt, um den geplanten<br />

Racheakt, den großen Brand von Lilienthal,<br />

auszuführen. Die eine Abteilung nahm sich<br />

die Häuser an der Warf vor, die anderen beiden<br />

Abteilungen Lilienthal und Trupe. In<br />

Trupe wurde auch das Pfarrhaus, die Truper<br />

Kirche und das Schulhaus völlig niedergebrannt.<br />

Auch Lilienthal brannte. Von der<br />

Wörpebrücke, zur Warf bis tief in den Ort<br />

hinein wurde jedes Haus niedergebrannt.<br />

Auch das Amtshaus fiel diesem Wahnsinn<br />

14 RUNDBLICK Frühjahr 2013


Französische Soldaten belagern Lilienthal, dargestellt im Jubiläumsjahr 1932 Foto: Julius Frank<br />

zum Opfer. Nur die Kirche und die Schroetersche<br />

Sternwarte blieben von dem Brand<br />

verschont.<br />

Die Franzosen wollten den Einwohnern<br />

noch weiteres Leid antun. Sie nahmen von<br />

den Männern gefangen, wer ihnen gerade<br />

über den Weg lief. Auf der Schweineweide,<br />

zwischen Borgfeld und Lilienthal, stellten<br />

die Franzosen einige Gefangene auf, die<br />

erschossen werden sollten. Doch dank<br />

eines mutigen Lilienthalers, der in französischer<br />

Sprache vermitteln konnte, wurden<br />

RUNDBLICK Frühjahr 2013<br />

die Gefangenen erst einmal zum Verhör<br />

nach Bremen gebracht. Dann stellte sich<br />

jedoch bald heraus, dass die Lilienthaler<br />

gänzlich unschuldig waren und man setzte<br />

die Gefangenen bald wieder frei. Nach dem<br />

Brand ließen sich keine Kosaken in Lilienthal<br />

mehr sehen und es konnte, ganz abgesehen<br />

von der großen Zerstörung, wieder<br />

etwas Normalität eintreten. Erst im Herbst<br />

1813 rückten die Verbündeten in Bremen<br />

ein. Die endgültige Befreiung kam aber<br />

dann im Frühjahr 1814, nachdem auch die<br />

Siegel vom 8. Mai 1505, rund, aus grünem Wachs,<br />

die außen umlaufende Schrift lautet: S[igillum]<br />

johan van der trupe. Es hängt an einem Pergamentstreifen,<br />

das inliegende Wappen ist von links<br />

oben nach rechts unten durch eine gerade Linie<br />

geteilt, Johann van der Trupe ist zu dem Zeitpunkt<br />

Bremer Bürger<br />

Festungen Hamburg und Magdeburg<br />

befreit wurden.<br />

Heute erinnert nur noch die Inschrift<br />

über der Eingangstür der Truper Kirche an<br />

die Franzosenzeit, und die große Wümmebrücke,<br />

im Volksmund Franzosenbrücke<br />

genannt, die Anfang November 1813 von<br />

den Russen zum Teil gesprengt wurde, um<br />

den aus der Festung Hamburg abziehenden<br />

Franzosen den Weg nach Bremen zu versperren.<br />

Rupprecht Knoop<br />

Kaum bekannt: Truper Wappen und Siegel<br />

Lilienthal. Im Jahr 2000 hat Hans G.<br />

Trüper in seinem Buch „Ritter und Knappen<br />

zwischen Weser und Elbe“ in einem<br />

Katalog mit über 500 Wappen auch zwei<br />

Exemplare der Bremer Ratmannenfamilie<br />

van/von der Trupe vorgestellt.<br />

In der Abteilung „Siegel“ des Staatsarchivs<br />

Bremen werden zwei Stücke mit<br />

besonderer Bedeutung für Lilienthal<br />

bewahrt. Der ehemalige Bremer Bürgermeister<br />

Johann Trupe, dessen Familienname<br />

im Jahr 1505 noch „van der Trupe“<br />

Hinweis:<br />

„Mit Napoleon nach Russland<br />

– Die französische<br />

Herrschaft im Elbe-Weser-<br />

Dreieck“<br />

Vortrag von Dr. Hans-Eckard Dannenberg,<br />

Historiker, Landschaftsverband<br />

Stade<br />

Termin: 23. April 2013, 20.00 Uhr<br />

Ort: Worpsweder Rathaus, Ratsdiele,<br />

Bauernreihe 1<br />

Veranstalter: Arbeitskreis Kultur Worpswede<br />

in der GEWO<br />

lautet, nutzte das eine Siegel noch als Bremer<br />

Bürger, das andere während seiner<br />

Amtszeit als Bürgermeister von 1512 bis<br />

1531. Auffällig ist, dass beim Siegel aus<br />

dem Jahr 1520 nur noch das Wappen<br />

ohne Umschrift zu sehen ist, zu dieser Zeit<br />

benutzte er nicht mehr das Adelsprädikat<br />

„van der“ vor dem Familiennamen.<br />

Die Ableitung des Familiennamens van<br />

der Trupe vom gleichnamigen Ort Trupe,<br />

jetzt Teil von Lilienthal, ist unbestritten.<br />

Harald Steinmann<br />

Dieses Siegel vom 19. Mai 1520 hat eine runde<br />

Form und ist aus braunem Wachs. An einem Pergamentstreifen<br />

anhängend sieht man in der Mitte<br />

ein Wappen, das von einer Welle durchlaufen wird,<br />

und zwar wieder von oben links nach unten rechts,<br />

der Rand weist umlaufend Verzierungen auf. Inhaber<br />

ist der Bremer Bürgermeister Johan Trupe<br />

15


„Nee´e Padden för de nedderdüütsche Spraak“<br />

Der „Heinrich-Schmidt-Barrien-Preis“ 2013<br />

Der Heinrich-Schmidt-Barrien-Preis wird<br />

seit dem Jahr 2000 verliehen.<br />

Die Preisträger, die ab 2007 vom Freundeskreis<br />

„Dat Huus op´n Bulten e.V.“ in der<br />

Kirche in Lilienthal-St.Jürgen ausgezeichnet<br />

wurden, waren die Musik-Kabarettistin und<br />

Fernsehmoderatorin Ina Müller, der Autor<br />

und Pädagoge Jürgen Ludwigs aus Lilienthal-Worphausen,<br />

„De Filmemoker“ aus<br />

Sulingen mit ihren plattdeutschen Science-<br />

Fiction-Filmen, der plattdeutsche Pastor<br />

und Autor Dr. Heinrich Kröger aus Soltau,<br />

„De Plattmüüs“ der „Scharmbecker Speeldeel“,<br />

die plattdeutsche Elektro-Hip-Hop-<br />

Band „De Fofftig Penns“ (50-Penns) und in<br />

diesem Jahr die plattdeutsche Autorin Birgit<br />

Lemmermann aus Rotenburg an der<br />

Wümme.<br />

„Heinrich Schmidt-Barrien (1902 – 1996)<br />

höört to de meist kennten nedderdüütschen<br />

Schrievers in den Noorden vun Düütschland.<br />

Ut de Sicht vun enen, den Bodendenkmalen<br />

pleegt hett, as Schriever vun<br />

Dramas un Höörspelen, as Sammler vun<br />

Leder, as Snacker in´t Radio, as de Böverste<br />

vun de Kulturafdeel vun de Böttcherstraat<br />

in Bremen un ok as enen vun de Grünners<br />

vun dat Institut för Nedderdüütsche Spraak<br />

keek he in un op de Welt un möök Lituratur<br />

vun dat, wat he finnen dee. He hett jümmers<br />

dat Eernsthaftige mit Achtersinnig´s<br />

mengeleert, op Platt un op Hoch. Siene<br />

Novellen, de Romanen, siene Sakentexten<br />

oder dat, wat he to´n Ünnerholen schreven<br />

hett, wiest Mannigfaltigkeet un Karaasch in<br />

sien Ümgahn mit Spraak.“<br />

„Mit den Pries, de na em nöömt is, warrt<br />

Minschen uttekent, de dor an warken<br />

doot, de nedderdüütsche Spraak to beleven<br />

un de nee´e Padden inslaat, mit disse<br />

Spraak ümtogahn, of dat nu schreven,<br />

snackt oder sungen is.“ So heißt es im<br />

Urkundentext vom Freundeskreis „Dat<br />

Huus op´n Bulten“ und vom Schirmherrn,<br />

dem Bürgermeister der Gemeinde Lilienthal,<br />

der seit 2007 mit dem Preis Geehrten.<br />

In der Begründung der Jury heißt es:<br />

„Birgit Lemmermann is de kreativste<br />

plattdüütsche Autorin in uns Tiet. Ehr<br />

Prosa is vull Fantasie, ehr Lyrik verbinnt<br />

depe Geföhlen mit Spraakkraft. Vörallen<br />

aver: Birgit Lemmermann hett dat plattdüütsche<br />

Kinnerbook sien Rang geven.<br />

Ehre „Emil“-Böker gellt hüüt as Klassikers.<br />

Se sünd Grundlaag un Vörbild för all de<br />

annern Kinnergeschichten, de wi in de<br />

Hand nehmen köönt. Mit „Ebbe un Hehn“<br />

hett se den eersten richtigen plattdüütschen<br />

Jugendroman schreven. Un to den<br />

Text hett se, jüst as bi „Emil“, ok de Biller<br />

sülvst dorto maakt.<br />

Birgit Lemmermann hett Kraasch: Se<br />

schrifft över Saken, de dat vörher so op<br />

Platt noch nich geven hett. Se waagt sik<br />

Nach der Preisverleihung, vorne von links: Willy Hollatz (Bürgermeister Lilienthal), Jürgen Ludwigs (Preisträger<br />

2008), Birgit Lemmermann (Preisträgerin), Heiner Egge (Laudator), Dr. Heinrich Kröger (Preisträger<br />

2010), hinten von links: Bernd de Reese (Plattdeutsch-Lehrer der “Fofftig Penns”, Preisträger 2012), Heinz<br />

Behrens (Kirchenvorstand St.Jürgen), Christa Kolster-Bechmann (Jury-Mitglied), Johannes Rehder-Plümpe<br />

(Moderator und Jury-Mitglied)<br />

dat, un se maakt dat goot. Man se steiht ok<br />

mit beide Been fast op de Eer. Un se weet,<br />

woneem se henhöört: Na de Gegend twüschen<br />

Werser un Elv. – Birgit Lemmermann<br />

steiht mit ehr Schrieven un ehr Persönlichkeit<br />

för de nee´e plattdüütsche Literatur,<br />

de in Tokunft noch veel to seggen hett.“<br />

Birgit Lemmermann wurde 1962 in<br />

Ahlerstedt auf der Stader Geest geboren<br />

und wuchs dort auf. Sie machte in Buxtehude<br />

das Abitur und studierte dann in Hessen.<br />

Ab 1991 war sie Lehrerin an der Waldorfschule<br />

in Ottersberg. Heute arbeitet<br />

sie als Kunst-, Sport- und Werklehrerin am<br />

Ratsgymnasium in Rotenburg an der<br />

Wümme, leitet dort die Plattdeutsch-AG<br />

und lebt in Unterstedt bei Rotenburg.<br />

Mit dem Schreiben auf Platt hat Birgit<br />

Lemmermann nach 1992 angefangen. Sie<br />

wollte ihren Sohn Plattdeutsch aufziehen,<br />

jedoch gab es kaum Kinderbücher auf<br />

Platt. So fing sie an, selber welche zu<br />

schreiben. Es wurden vier Kinderbücher<br />

und ein Jugendbuch.<br />

Reinhard Goltz vom Institut für Niederdeutsche<br />

Sprache (INS) in Bremen schreibt<br />

an diesem Punkt weiter: „Angefangen hat<br />

alles mit „Emil“, dem kleinen Bären, der wie<br />

ein Kind denkt, fühlt und handelt – das erste<br />

plattdeutsche Kinderbuch. In „Ebbe un<br />

Hehn“ geht es um das Erwachsenwerden,<br />

da werden Werte und Rollen freundlich<br />

aber nachdrücklich in Frage gestellt. Mittlerweile<br />

überwiegen die Texte für Erwachsene<br />

– aber dann kommt wieder die unbändige<br />

Lust am Fabulieren für Kinder durch:<br />

Erst im vergangenen Herbst legte die Autorin<br />

mit „Black Hex“ ein anregendes und<br />

wunderschönes Kinderbuch vor.“<br />

Und so heißt es in der Einladung des<br />

Freundeskreises „Dat Huus op´n Bulten“<br />

und der Gemeinde Lilienthal zur Preisverleihung<br />

im Februar 2013: „Unangepasst und<br />

fantasiereich – das ist Birgit Lemmermann.<br />

Als Lehrerin, als Autorin, als Mensch. Ihr<br />

schriftstellerisches Werk besticht durch Vielfalt.<br />

Die 50-Jährige findet für alle den richtigen<br />

Ton: für Kinder, für Jugendliche, aber<br />

auch für erwachsene Leser. Mit großer<br />

Leichtigkeit brilliert sie in ihren Kindergeschichten,<br />

sie hat einen überzeugenden<br />

Jugendroman vorgelegt, hat sich an einer<br />

Kürthy-Übersetzung erprobt, hat Lyrik von<br />

psychologischer Tiefe und beachtlicher<br />

Sprachkraft geschrieben. – Sie zeichnet<br />

Menschen von heute aus der Mitte der<br />

Gesellschaft. Und sie gestaltet ihre Bücher<br />

wenn möglich selbst.“<br />

„Im Elbe-Weser-Dreieck zählt sie längst<br />

zu den erfolgreichsten plattdeutschen<br />

Autorinnen. Doch man kennt sie weit über<br />

ihre engere <strong>Heimat</strong> hinaus.“<br />

2004 errang sie beim Freudenthal-Preis<br />

den dritten, 2007 den zweiten Platz, 2008<br />

den Förderpreis und 2012 erhielt sie den<br />

„Freudenthal-Preis“. 2006 erreichte sie bei<br />

einem Schreibwettbewerb von „Vertell<br />

doch mol“ beim NDR den ersten Preis.<br />

2007 erhielt sie im September den „Lüttjepütt-Pries“,<br />

im November den Preis für<br />

das „Plattdeutsche Buch des Jahres“ und<br />

2011 den „Klaus-Groth-Preis“.<br />

Und weiter mit Goltz: „Dass Birgit Lemmermann<br />

nun für ihr abwechslungsreiches<br />

und immer überraschendes Werk mit dem<br />

„Heinrich Schmidt-Barrien-Preis“ ausgezeichnet<br />

wird, ist nur konsequent.“<br />

Text: Johannes Rehder-Plümpe<br />

Foto: Erwin Duwe<br />

Quelle: Internet-Recherche und eigenes Archiv<br />

16 RUNDBLICK Frühjahr 2013


Heinrich Schmidt-Barrien<br />

* 19. 1. 1902 Uthlede, † 9. 12. 1996 Lilienthal, Freier Schriftsteller<br />

Eine persönliche Rückbetrachtung<br />

Sein kräftiges, „Kumm rin!“ klingt mir<br />

noch heute in den Ohren, wenn ich gelegentlich<br />

durch Frankenburg fahre, wo das<br />

alte Reetdachhaus neben der Straße auf<br />

einem Bulten thront. Dort fühlte er sich,<br />

umsorgt von seiner Ehefrau Katrin, auch<br />

noch in seinen letzten Lebensjahren so ausnehmend<br />

wohl:<br />

„Hier sind wi bestallt, solang dat Gott<br />

gefallt“, ließ er als Hausspruch über der Tür<br />

schnitzen. Wenn ich ihn besuchte und in<br />

leicht gebückter Haltung durch die Seitentür<br />

auf die Diele trat, umfing mich<br />

sogleich diese anheimelnde Atmosphäre,<br />

durchsetzt von einem hauseigenen Geruch,<br />

der mir schon wohlig vertraut war. Zumeist<br />

saßen wir uns in der Dons, der „Guten<br />

Stube“ gegenüber, tauschten zunächst einmal<br />

aus, was uns neuerlich bewegte, und<br />

wurden in der Regel gleich darauf mit Kaffee<br />

oder Tee und Gebäck verwöhnt. Es<br />

schien immer so, als ob die Hausfrau zaubern<br />

konnte. Mobiliar, Bilder und was uns<br />

sonst noch umgab, bestand aus liebevoll<br />

ausgesuchten Dingen, unter denen sich<br />

auch manch kostbare Antiquität befand.<br />

Und dann reizte mich immer wieder der<br />

Blick durchs Blumenfenster in den wunderhübschen<br />

Bauerngarten, der, von ihr ständig<br />

gehegt und gepflegt, Frau Katrins<br />

ganzer Stolz war.<br />

Heinrich zeigte sich mir als ein väterlicher<br />

Freund, mit dem mich ein prägendes<br />

gegenseitiges Vertrauen verband.<br />

Er gehörte zu den wenigen Literaten in<br />

unserer <strong>Heimat</strong>region, die beachtliche<br />

Werke in beiden Sprachen, Niederdeutsch<br />

und Hochdeutsch, zu Papier brachten.<br />

Romane, Novellen, Hörspiele und vielerlei<br />

volkskundliche Beiträge entstammen seiner<br />

Feder. Als <strong>Heimat</strong>dichter wollte er sich aber<br />

ganz und gar nicht verstanden wissen.<br />

Bis kurz vor seinem Tode saß er stets in<br />

den Morgenstunden im Arbeitszimmer an<br />

seiner Schreibmaschine und schrieb, was<br />

ihn literarisch bewegte. Scherzhafterweise<br />

erzählte er mir einmal, dass seine Katrin ihn,<br />

als er tatsächlich eines Tages verschlafen<br />

hatte, lautstark mit den Worten weckte:<br />

„Heinrich, steh‘ auf, du musst dichten!“<br />

Neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit<br />

fungierte er als Sprecher bei Radio Bremen,<br />

profilierte sich als Bodendenkmalpfleger<br />

und war lange Jahre Baas (Vorsitzender)<br />

beim „Plattdeutschen Kring“ in Bremen.<br />

Als ihm im Jahre 1954 der Bremer Literaturpreis<br />

verliehen wurde, hielt sein von ihm<br />

so geschätzter Freund Rudolf Alexander<br />

Schröder die Laudatio im altehrwürdigen<br />

Rathaus und beendete sie mit den Worten:<br />

„Lieber Freund und Meister Schmidt-Barrien,<br />

die Deutschen verfügen über zweierlei<br />

Arten von Ruhm. Die eine ist der frühe<br />

RUNDBLICK Frühjahr 2013<br />

Jugendruhm, dem dann sehr oft beim<br />

Autor wie beim Publikum der moralische<br />

Katzenjammer nachfolgt. Die andere ist der<br />

späte Ruhm. Er kann sehr lange auf sich<br />

warten lassen. Da steht denn vor ihm ein<br />

per aspera ad astra. Nun, was das betrifft,<br />

bekenne ich mich zum Sternenglauben<br />

Ihres Abdul Fortunas und seines Schülers<br />

Thomas Krut und sehe für Sie und Ihr Werk<br />

einen Abendhimmel voller Sterne voraus.“<br />

Schmidt-Barrien war zeitlebens ein konsequenter<br />

Verfechter der Reinheit unserer<br />

niederdeutschen Sprache, erforschte ihre<br />

Geschichte und beharrte auf Regeln in Aussprache<br />

und Rechtschreibung. Bei Verstößen<br />

konnte er in seiner spontanen Kritik<br />

oft sehr ungehalten und sichtlich gnatterig<br />

reagieren. Ich war Zeuge, als er einmal<br />

einen Vortragenden jäh unterbrach und<br />

ihm zurief: „Dat heet nich Scharmbäkk, dat<br />

heet Scharmbeek. Im Plattdeutschen gilt<br />

das Dehnungs-c!“<br />

Lyrische Gedichte finden sich höchst selten<br />

in seinen Schriften. Man muss sie förmlich<br />

mit der Lupe suchen. Deshalb noch<br />

schnell diese Rarität:<br />

Sommerdag<br />

Dat Gras is gröön, de Roggen hell,<br />

Blaublomen staht un bleuht.<br />

Oh, Sommerwind, vertell, vertell!<br />

Kummt bald de Lee un meiht?<br />

Mien Kleed is gröön, mien Haar is hell,<br />

Blauogen gaht na mi.<br />

Höörst du den Wind m't Koorn, Gesell?<br />

Singt he von mi un di?<br />

Dien Gaarn is gröön, dien Dag is hell,<br />

de Heben hoch un blau.<br />

Den Wind, noch höörst du em in’t Feld.<br />

Bald fallt de Abenddau.<br />

Die uralte Kirche in St. Jürgen, die in<br />

ihrem strahlenden Weiß wie ein Leuchtturm<br />

als Wahrzeichen im „Meer der Gräser“<br />

wacht, zählte zu seinen Lieblingsorten. Dort<br />

auch auf dem stillen Kirchhof fand er seine<br />

letzte Ruhestätte. Ich erinnere mich noch<br />

deutlich an jenen Herbsttag, als wir beide<br />

hier anlässlich eines Fototermins alte Grabsteine<br />

aufsuchten und er plötzlich den Arm<br />

ausstreckte und mir anvertraute: „Kiek,<br />

Jägersmann, daar will ick mal liggen.“<br />

Es vergeht kein Jahr, in dem ich nicht<br />

wenigstens einmal in St. Jürgen weile. Ein<br />

tiefgründiger Zauber scheint über dieser<br />

einsamen Stätte zu liegen. Dieser so<br />

bedeutsame Ort unserer <strong>Heimat</strong>geschichte<br />

motiviert mich mit meiner Fotokamera<br />

ständig aufs Neue. Ein Blick auf Heinrichs<br />

Grab, ein kurzes Innehalten und im gleichen<br />

Augenblick die unweigerliche Einbildung,<br />

ihn wieder vor mir stehen zu seh’n,<br />

wie er mir mit einem einladenden Wink<br />

zuruft: „Kumm rin!“ Wilko Jäger<br />

Jan Heinerich Heinerich<br />

Sien un Schien<br />

„Bo mi doch mal en lütten Schuppen“, see<br />

Mama an Papa. Sowat müss se woll hebben,<br />

för de Harken un ehren Platthaker un de anner<br />

Saken för den Gaarden. Ik kunn dat al sehn,<br />

disse Schuppen schull ok dögen, ehr Instellen<br />

to de Welt to wiesen. Allens Öko, typisch Ma.<br />

Un se dach ok, dissen lütten<br />

Schuppen kunnen wi,<br />

dat heet, ehr Keerl, jo sülvst<br />

maken. Oolt Boholt, en paar<br />

Dören vun ’n Sparrmüll un<br />

den buntig anmalen. „Köst<br />

meist nix un süht individuell<br />

ut“, see Ma. Un: „De<br />

Ferdig-Gaardenhüüs ut en<br />

Kataloog, de mag ik woso<br />

nich lieden. De hebbt de Navers allemann.“<br />

Oolt Holt harrn wi noog, denn wi, dat heet,<br />

mien Öllern, de sammelt egens allens. Dorför<br />

weer so en Schuppen allemalen goot to bruken,<br />

as dröög Lager för all jüm ehren Schiet.<br />

Dat döög as Argument för Papa. De egens<br />

keen Praktiker is, wat en aver as Kind beter<br />

nich seggt, to en Papa. Ik denk, en Minschen<br />

kann an sien Opgaven wassen. Hebb ik aver<br />

ok nich luut seggt.<br />

Un denn weern twee Wekenennen för den<br />

Familienfreden perdü. De Ollen kregen sik<br />

över den rechten Pleck för den Schuppen in<br />

de Wull, dat Sagen vun dat Holt köst mienen<br />

Vadder acht nee Saagblädder un denn en nee<br />

Stichsaag dorto, ik wull nich mehr mit Papa<br />

snacken, wieldat he mi nich sagen leet, un in<br />

de Köök brenn Mama de nee Pann swatt, as<br />

se wat dorto seggen wull. As de Eckpielers fast<br />

stünnen, kreeg mien Papa den Gevel op ‘n<br />

Dööz un as dat hele Dings torecht weer, pass<br />

de Döör nich. De Finsters harrn se ok vergeten,<br />

man dat maakt woll nix: Wat bruukt en<br />

Hark Licht för?<br />

Güstern Avend is mien Vadder torecht worrn.<br />

Aver schöön is dit Schuppendings egens<br />

nich,un ok nich bannig individuell. Ik holl mienen<br />

Babbel. Minschliche Motivatioon dröffst<br />

du nich angriepen. Blangenbi laat sik woso al<br />

so veel Öllern scheden.<br />

Ik glööv, Mama töövt nu op den Wedderbericht.<br />

Störm schall dat geven, un Störm,<br />

soveel kann ik sehn, hollt disse Schuppen nich<br />

alltolang ut. Un wenn doch, denn geiht, glööv<br />

ik, mien Mudder mit en Vörslaghamer in ’n<br />

Gaarden, wenn Papa bi sienen Football is.<br />

Nu bün wiss ik an de Tuur. Dat se blots allebeide<br />

mien Öllern blievt. Enen lütten Schuppen<br />

för de Hark warrd ik woll kriegen. Mien<br />

Grootöllern, de hebbt dat geern en beten ornlich<br />

in unsen Gaarden, dat dat ok wat hermaakt,<br />

för de Lüüd. De möögt disse Gaardenhüüs<br />

ut en Kataloog lieden. Ik ok. Un Mama<br />

hett bald Boortsdag.<br />

Birgit Lemmermann<br />

17


Vor 100<br />

Jahren ...<br />

<strong>Heimat</strong>rückblick:<br />

Presseberichte von<br />

Januar bis März 1913<br />

Das neue Jahr hat begonnen. Aber im<br />

Gegensatz zu unserer Zeit ist dies vor einhundert<br />

Jahren nichts, was besonders hervorgehoben<br />

oder gefeiert wird. Zu sehr<br />

sind die Menschen damals damit beschäftigt,<br />

ihr tägliches Auskommen zu sichern.<br />

Gefeiert wird aber auch: Die Einladungen<br />

zu den traditionellen Bällen der verschiedensten<br />

Vereine als jeweiliger Höhepunkt<br />

des Vereinslebens nehmen in der Anzeigenlandschaft<br />

einen breiten Raum ein und …<br />

Kaisers Geburtstag. Die Würdigung dieses<br />

besonderen Tages zeigt uns heute, wie<br />

damals mit Euphorie und großem Respekt<br />

der Person Wilhelms II. Anerkennung auch<br />

in der Provinz gezollt wurde. – Die Berichte<br />

zu den Ereignissen werden ausführlicher<br />

und damit informativer. Für die Bewohner<br />

der Moorgebiete östlich Bremens stehen<br />

Veränderungen an, von denen sie in der vor<br />

ihnen liegenden Zeit besonders betroffen<br />

sein werden…<br />

Neues Moorschutzgesetz<br />

Landkreis. „Es wird uns geschrieben: Der<br />

Entwurf des neuen Moorschutzgesetzes ist<br />

für diejenigen Gegenden, in denen Moor<br />

vorkommt, von besonderem Interesse. Der<br />

Entwurf bestimmt, daß Moorgrundstücke<br />

in Zukunft, soweit es das Gemeinwohl verlangt,<br />

zur Gewinnung von Torf nur in der<br />

Weise benutzt werden dürfen, daß die<br />

Möglichkeit ihrer späteren land- und forstwirtschaftlichen<br />

Benutzung gewährleistet<br />

ist. Nach der dem Gesetzentwurf beigegebenen<br />

Begründung soll der regellose Torfstich,<br />

welcher nicht an der Bank entlang<br />

oder an der Wand entlang geschieht, in<br />

Zukunft nicht mehr gestattet sein, ferner<br />

nicht das Torfstechen bis unter den Wasser-<br />

18<br />

spiegel. Mit der ersteren Beschränkung<br />

wird man einverstanden sein können;<br />

dagegen ist es doch bedenklich, ´das Torfstechen<br />

bis unter den Wasserspiegel´ zu<br />

verbieten. Es ist im Niederungsmoor üblich,<br />

den Torf in der Weise zu gewinnen, daß<br />

man Kuhlen bis zu 3 Meter Tiefe gräbt und<br />

aus diesen Torf ausschachtet, so daß nachher<br />

die Kuhlen voll Wasser stehen, bis sie im<br />

Laufe der Jahre wieder zuwachsen. Es gibt<br />

im Niederungsmoor viele Torfstichrechte,<br />

welche von Moorarbeitern für teures Geld<br />

gekauft sind, in dem Vertrauen darauf, daß<br />

der Torf 2 – 3 Meter tief ausgegraben werden<br />

dürfe. Wenn ihnen dies in Zukunft<br />

nicht mehr gestattet ist, so werden sie auf<br />

das empfindlichste geschädigt. (…) Die<br />

Interessenten müssen nun, nachdem der<br />

Entwurf in dritter Lesung angenommen<br />

worden ist, versuchen, daß sie bei Ausführung<br />

des Gesetzes im Kreise ihr Recht<br />

geltend machen.“<br />

Bremen: Zuschüttung<br />

des Torfbassins?<br />

Bremen. „ Die Zuschüttung des Torfbassins<br />

vor der Neukirchstraße im Findorff-<br />

Viertel ist in der letzten Zeit wiederholt in<br />

interessierten Kreisen, auch in der Bürgerschaft,<br />

zur Sprache gebracht worden. Das<br />

gibt Veranlassung, einmal durch ziffernmäßige<br />

Belege darzutun, in welchem<br />

Umfange die Anfuhr des Torfes in Schiffen<br />

allmählich nachgelassen hat. Der meiste<br />

Torf gelangt bekanntlich jetzt auf Fuhrwerken<br />

oder mit der Kleinbahn in die Stadt;<br />

außerdem wird jetzt sehr viel weniger Torf<br />

gebrannt als in früheren Jahren. In den Jahren,<br />

als das Torfbassin fertiggestellt wurde<br />

(1873 – 74), wurden auf dem alten Torfkanal,<br />

der bei der Schleifmühle endigte, etwa<br />

15 000 Schiffe im Jahr gezählt, auf dem<br />

neuen Torfkanal 17 000. Das Verhältnis<br />

blieb ungefähr das gleiche bis zum Jahre<br />

1881; dann aber sanken die Zahlen von<br />

Jahr zu Jahr. 1891 wurde der sogenannte<br />

Kuhgraben an der östlichen Seite des Bürgerparks<br />

zugeschüttet, darauf die Parkallee<br />

angelegt und nach und nach bebaut. Der<br />

gesamte Verkehr der Torfschiffe übersiedelte<br />

dann nach dem Torfbassin an der<br />

Neukirchstraße. Um zu zeigen, wie sehr der<br />

Verkehr seit jener Zeit nachgelassen hat,<br />

fügen wir die Zahl der bei Kuhsiel durchgeschleusten<br />

Schiffe an: 1902: 9280; 1903:<br />

8167; 1904: 6293; (…); 1911: 1567; 1912:<br />

1896. Bei dem Torfschiffverkehr über Kuhsiel<br />

ist der Rückgang besonders auffällig.“<br />

Weser-Vertiefung<br />

nicht unproblematisch<br />

Landkreis. „ Zur Weservertiefung erhalten<br />

wir aus sachverständigen Kreisen eine<br />

längere Zuschrift, in der betont wird, daß<br />

die weitere Vertiefung der Unterweser auch<br />

für die Besitzer der Wiesen und Weiden an<br />

den Hamme-, Wümme- und Lesumniederungen<br />

großen Schaden mit sich bringe.<br />

Schon jetzt steht in den Gräben, die die<br />

Weideländer durchziehen, in der trockenen<br />

RUNDBLICK Frühjahr 2013


Jahreszeit nur wenig Wasser, so daß es oftmals<br />

an Wasser für die Tränkung des Viehes<br />

fehlt. Der Zustand wird sich noch bedeutend<br />

verschlechtern, sobald die Weser weiter<br />

vertieft wird, da dann noch weniger<br />

Wasser in die Nebenflüsse und die Weiden<br />

gelangen kann. Auch der Graswuchs wird<br />

lange nicht mehr die Erträgnisse liefern können,<br />

die er jetzt liefert. Trostlos wird es auch<br />

mit dem Vegesacker Hafen werden, dessen<br />

Einfahrt schon heute unter starken Versandungen<br />

zu leiden hat. Nach erfolgreicher<br />

weiterer Vertiefung der Weser werden die<br />

Sandablagerungen infolge der raschen<br />

Strömung der Lesum an ihrer Mündungsstelle<br />

rapide zunehmen(…). Es dürfte dann<br />

nur noch eine Frage der Zeit sein, ob man<br />

den Schiffsverkehr auf der Lesum nicht<br />

durch eine Schleusenanlage in der Nähe<br />

von Grohn für die Zukunft sicherstellen will.<br />

Jedenfalls muß die Allgemeinheit den Vorteil,<br />

den Bremen-Stadt durch die weitere<br />

Weservertiefung erlangt, teuer bezahlen.“<br />

Blumenthal wächst!<br />

Blumenthal. „Blumenthal wächst!<br />

konnte Herr Gemeindevorsteher Stürken in<br />

der gestrigen Gemeinderatssitzung feststellen,<br />

und die Vertreter konnten bei der<br />

Beschlußfassung über den Gemeindehaushalt<br />

ihm beistimmen. Die Zahl der Einwohner<br />

ist auf über 12 000 angewachsen und<br />

dementsprechend nimmt auch die Zahl der<br />

Häuser stetig zu. Das Gemeindevermögen<br />

hat einen Wert von rund 2 Millionen Mark,<br />

aber auch die Schuldenlast ist auf rund 922<br />

000 Mark gestiegen. (…) Die Entwicklung<br />

des Ortes stellt an die Arbeitsfreudigkeit der<br />

Gemeindevertreter stetig neue Anforderungen,<br />

so stehen die Verbesserung der<br />

Straßen, der Bebauungsplan und ein Kanalisationsprojekt<br />

in Aussicht.“<br />

Kurz berichtet<br />

Lilienthal. „Beaufsichtigung des Lesestoffes<br />

der Schüler. Im preußischen Kultusministerium<br />

wird zurzeit ein Erlaß vorbereitet,<br />

der sich in Gestalt eines Aufrufs an die<br />

Eltern wendet und in dem um bessere<br />

RUNDBLICK Frühjahr 2013<br />

Beaufsichtigung des Lesestoffes der Schuljugend<br />

gebeten wird. Der Erlaß verweist auf<br />

die verhängnisvollen Wirkungen, die sich<br />

als Folgen einer schlechten Jugendlektüre<br />

gezeigt haben, und betont, daß von Seiten<br />

der Schule alles geschieht, um die Jugendlektüre<br />

zu bessern. Aber die Schule sei<br />

machtlos, wenn sie vom Elternhause nicht<br />

ausreichend unterstützt werde. Nur wenn<br />

die Eltern in klarer Erkenntnis der ihren Kindern<br />

drohenden Gefahren und im Bewußtsein<br />

ihrer Verantwortung die Lesestoffe<br />

ihrer Kinder einschließlich der Tagespresse<br />

sorgsam überwachen, das versteckte Wandern<br />

häßlicher Schriften von Hand zu Hand<br />

verbieten und verhindern, das Betreten<br />

aller Buch- und Schreibwarenhandlungen,<br />

in denen Schundliteratur feilgeboten wird,<br />

nicht gestatten und selbst überall gegen<br />

Schundliteratur tatkräftig Stellung nehmen,<br />

ist die Hoffnung vorhanden, daß dem Übel<br />

gegengesteuert werden kann.“<br />

Ritterhude. „Neulich lief durch die Tageszeitungen<br />

unserer Gegend die Notiz, daß<br />

der garbadische Anteil des Stoteler Waldes<br />

der Axt zum Opfer fallen soll. Diese Nachricht,<br />

die jeder Liebhaber eines schönen<br />

Waldes mit lebhaftem Bedauern vernahm,<br />

bestätigt sich zur Freude aller Naturfreunde<br />

nicht. Die Herren Georg von Gröning, hier,<br />

und Georg Bornemann, Hude, haben das<br />

fragliche Gehölz käuflich erworben.<br />

Dadurch wird erfreulicher Weise dem Niederschlagen<br />

des ganzen Waldes Einhalt<br />

geboten.“<br />

Neues aus dem<br />

Gerichtssaal …<br />

„(Schöffengericht Lilienthal vom 17.<br />

Februar) Die Ehefrau M. aus Trupermoor<br />

hatte gegen die Ehefrau K. daselbst eine Privatklage<br />

erhoben. Frau K. hatte im Herbst<br />

beim Kartoffelausroden über Frau M., die<br />

damals noch Braut war, eine schwere Beleidigung<br />

ausgesprochen. Frau K. bestritt solches<br />

entschieden. Die Zeugin behauptete<br />

aber bestimmt, daß Frau K. die beleidigenden<br />

Worte ausgesprochen habe. Der Verteidiger<br />

der Frau M. beantragte gegen Frau K.<br />

eine exemplarische Strafe. Die Angeklagte<br />

wurde nach § 186 zu 25 Mark Geldstrafe,<br />

eventuell 5 Tage Gefängnis verurteilt. – Die<br />

Haussöhne E. und Sch. aus Trupermoor<br />

waren wegen Jagdvergehens angeklagt. Sie<br />

sollten am Sonntag, den 24. November<br />

1912, in Heidberg einen Schuß abgefeuert<br />

haben. Der Jagdpächter und der Jagdaufseher<br />

wollten die Angeklagten auf dem Wege<br />

von Heidberg nach Trupermoor mit Flinten<br />

gesehen und der Jagdaufseher den E.<br />

bestimmt erkannt haben, obwohl die Entfernung<br />

einige 100 Meter betragen hat. Die<br />

beiden Angeklagten bestritten ganz entschieden,<br />

dort mit Jagdgewehren gewesen<br />

zu sein. Da ihnen nicht bestimmt ein Jagdvergehen<br />

nachgewiesen werden konnte,<br />

wurden beide kostenlos freigesprochen. –<br />

Der Arbeiter L. in Kleinmoor hatte sich<br />

wegen Hausfriedensbruchs, Körperverletzung<br />

und Sachbeschädigung zu verantworten.<br />

Am 25. November v. J. kam L. wegen<br />

Erbstreitigkeiten in das Haus des Stallbesitzers<br />

B. in Kleinmoor. Mit dem Ellenbogen<br />

stieß er eine Haustürscheibe ein. Als Frau B.<br />

ihm dafür Vorwürfe machte, schlug er sie<br />

mit dem Handstock über den Arm, daß derselbe<br />

blutete. Trotz mehrmaliger Aufforderung<br />

wollte er das Grundstück nicht verlassen,<br />

sondern schlug noch einmal nach Frau<br />

B.. Wegen Hausfriedensbruchs und Körperverletzung<br />

wurde er zu 45 Mark Geldstrafe<br />

oder 15 Tagen Gefängnis verurteilt.“<br />

Peter Richter<br />

Quelle: Zeitungsarchiv des <strong>Heimat</strong>vereins Lilienthal<br />

19


Im Strom der Zeit<br />

Die reizvolle Landschaft zwischen Lilienthal,<br />

Worpswede und Fischerhude, seit<br />

Urzeiten von den Flüssen Wümme, Wörpe<br />

und Hamme geprägt, zieht seit jeher die<br />

Menschen in den Bann. Urige Dörfer und<br />

Hofstellen, weite, oft raue Landschaften,<br />

spannende Lichtverhältnisse, Nebel und<br />

Überschwemmungen aber auch saftige<br />

Wiesen und blaue, wolkenbehangene Himmel<br />

machen diese vielseitige Landschaft zu<br />

einem einzigartigen Ökosystem. Unzählige<br />

Maler und Künstler haben sich von dieser<br />

Region inspirieren lassen, viele sind von<br />

weither gekommen und geblieben und<br />

haben Mensch, Natur, Alltag und Traditionen<br />

in ihren Werken festgehalten. Aber<br />

auch viele Maler aus der Region, die hier<br />

aufwuchsen, haben ihre <strong>Heimat</strong> in meisterlichen<br />

Werken auf Leinwand festgehalten.<br />

Die vor zehn Jahren von Monika und<br />

Hans Adolf Cordes gegründete Lilienthaler<br />

Kunststiftung präsentiert in der Ausstellung<br />

„Im Strom der Zeit“ die Werke von<br />

über 70 Malern aus der gesamten Region<br />

um Fischerhude, Lilienthal, Bremen und<br />

Worpswede erstmalig in einer Ausstellung.<br />

Dabei werden eindrucksvolle Werke aus<br />

über 125 Jahren Malerei gezeigt und ein<br />

beachtlicher Beitrag zur <strong>Heimat</strong>geschichte<br />

geleistet.<br />

Emmy Meyer (1866–1940), Die Hamme bei<br />

Nacht<br />

Heinrich Breling (1849–1914), Sattelpflege auf<br />

Fischerhuder Diele<br />

Das Leben der Menschen, Familien und<br />

Kinder, die Dörfer und Ortsteile damals,<br />

die Landschaft zu allen Jahreszeiten<br />

machen diese Ausstellung zu einem einzigartigen<br />

Lehrpfad für Kunst- und <strong>Heimat</strong>interessierte.<br />

Zu sehen sind unter anderem Werke von<br />

Christian Ludwig Bokelmann, Heinrich<br />

Breling, Udo Peters, Carl Jörres, Toni Elster,<br />

Fritz Mackensen, Lisel Oppel und Sophie<br />

Wencke, Heinrich Vogeler, Otto Modersohn,<br />

Hans am Ende, Albert Schiestl-<br />

Arding, Olga Bontjes van Beek.<br />

Mit den Büchern „...und sie malten<br />

doch – Geschichte der Malerinnen -<br />

Worpswede, Fischerhude, Bremen” sowie<br />

„Im Strom der Zeit – Geschichte der Malerei<br />

Worpswede Fischerhude Lilienthal“<br />

sind zwei Werke entstanden, die sich ausführlich<br />

mit den Künstlerinnen und Künstlern<br />

der Ausstellung befassen.<br />

Die Ausstellung in der Lilienthaler Kunststiftung,<br />

Lilienthal, Trupe 6, ist noch bis<br />

September 2013 zu besichtigen.<br />

Öffnungszeiten:<br />

Dienstag bis Sonnabend 14-18 Uhr,<br />

Sonntag 10-18 Uhr, Montag Ruhetag.<br />

Text: Tim Wöbbeking<br />

Bilder mit frdl. Genehmigung<br />

der Lilienthaler Kunststiftung<br />

Hermann Angermeyer (1876–1955), Morgenstimmung<br />

an der Wümme<br />

Fritz Mackensen (1866–1953), Mädchen auf<br />

Hocker<br />

Alfred Lichtenford (1902–1986), Stadt im Licht<br />

Eduard Scotland (1885–1945), An der Schlachte<br />

Bernhard Huys (1896–1973), Worpsweder Mühle<br />

Christian Ludwig Bokelmann (1844–1894), Bauernkate<br />

im Mondlicht<br />

20 RUNDBLICK Frühjahr 2013


Die Ortschaft Teufelsmoor auf der Findorff-Karte<br />

Gestalt und Entstehung<br />

Findorff vermittelt uns auf seiner Karte<br />

von 1755 ein detailliertes Bild des Dorfes<br />

Teufelsmoor mit den damals vorhandenen<br />

Gebäuden sowie den Flurstücken und<br />

ihren Besitzern.<br />

Die Ortschaft Teufelsmoor beginnt im W<br />

hinter der Beek, die dort überbrückt wird;<br />

eingezeichnet ist die hohe Beek-Brücke.<br />

Die damals vorhandenen Hofstellen –<br />

der Bauleute – sind mit Großbuchstaben<br />

eingetragen. Sie beginnen hinter der Beek-<br />

Brücke mit dem Hof A und erstrecken sich<br />

entlang des Querdamms. Die Gemarkung<br />

besteht in ihrer Grundstruktur aus unregelmäßigen<br />

Langstreifen, die mit den auf<br />

ihnen liegenden Hofstellen eine Besitzeinheit<br />

bilden. Diese Besitzeinheiten verlaufen<br />

streifenförmig quer zu beiden Seiten des<br />

Damms, sind aber nicht genau rechteckig<br />

und auch nicht von identischer Größe.<br />

Einige der Streifen tragen keinen eigenen<br />

Hof, sondern sind anderen Hofstellen<br />

zugeschlagen. Es finden sich in der Karte<br />

die Buchstaben A – T, d. h. es gab damals<br />

insgesamt 19 Vollbauernstellen. Die Besitzer<br />

der Hofstellen werden in einer Tabelle<br />

am Rande der Karte namentlich erwähnt,<br />

ebenso die Größe ihres Besitzes; ferner<br />

sind die Namen der dem Hof zugeordneten<br />

Häuerlinge und Häuslinge angegeben.<br />

1 )<br />

Auffällig ist, dass sämtliche Bauleute ihre<br />

Hofstelle südlich des Dammes, also zur<br />

Hamme hin haben. Die Wohnstätten der<br />

Häuerlinge und Häuslinge befinden sich<br />

auf der gegenüberliegenden Seite. 2 )<br />

Insofern bildet die Ortschaft zum einen<br />

ein langgestrecktes Reihendorf – die Länge<br />

beträgt immerhin fast 5 km – zum anderen<br />

sind die Häuer- und Häuslingsstellen relativ<br />

unregelmäßig angeordnet. Aber auch<br />

die Bauleutehöfe sind nicht so angelegt,<br />

dass man von einem exakten Schema sprechen<br />

könnte. So liegt der Hof R unmittelbar<br />

am Querdamm, die Höfe A, B, P und S<br />

sind ca. 200 m vom Damm entfernt, die<br />

Höfe F, G, N, O, Q und T etwa 300 m, die<br />

Höfe C, D, E, H, I und K etwa 400 – 500 m,<br />

während der Hof M fast 1 km vom Damm<br />

entfernt liegt.<br />

Die Gemarkung erstreckt sich noch über<br />

die letzte Hofstelle (T) hinaus. Eingezeichnet<br />

ist eine Scheidungs-Linie vom Günne-<br />

Moor, danach folgen noch weitere, i. w.<br />

unbebaute Langstreifen, die den Oberender<br />

Bauern zugeordnet sind, und zwar<br />

(von T aus) P, Q, R, T, S und O.<br />

Es stellt sich hiermit die Frage, wie eine<br />

derartige Siedlung entstanden ist und wie<br />

sie sich entwickelt hat.<br />

Die grundsätzlich gegebene Regelhaftigkeit<br />

der Dorfstruktur kann nur dadurch<br />

erklärt werden, dass es sich um eine Siedlung<br />

handelt, die planmäßig angelegt<br />

RUNDBLICK Frühjahr 2013<br />

worden ist. Die vorliegenden Quellen nennen<br />

übereinstimmend das Jahr 1335 mit<br />

der ersten schriftlichen Überlieferung,<br />

sodass sich auch die Dorfjubiläen daran<br />

orientieren. 3 )<br />

Zum einen schreibt Lenz: „Die Ortschaft<br />

Teufelsmoor wurde bereits 1335…als<br />

„Sowene Klampe“ erwähnt“ 3a ), zum anderen:<br />

„Am 25 Juli 1335 verkaufte der Ritter<br />

Heino von Westerbeck…eine Landfläche<br />

„Im Moor“ und am 3. August 1335 verkaufte<br />

Henricus von Ouvemunde Flächen<br />

an das Kloster in Osterholz, die „Up dem<br />

Beek“ liegen und „Sweenekamp“ genannt<br />

werden.“ 3b )<br />

Bei Menkhoff 4 ) finden wir folgende<br />

Angabe für das Jahr 1335: „Ritter Heino<br />

von Westerbeck verkauft Landflächen im<br />

Moor an das Kloster in Osterholz, vermutlich<br />

im Bereich des Dorfes Teufelsmoor.<br />

Das Kloster will hier – up dem Sweenekampe<br />

– Meier zu Lehen ansiedeln, die die<br />

Existenzgrundlage des Klosters bilden sollen.“<br />

Er geht dabei von 25 – 26 Hofstellen<br />

vor 1350 aus.<br />

Folgt man diesen Angaben, dann wäre<br />

die Siedlung zwischen 1335 und 1350<br />

angelegt worden, und zwar vom Kloster<br />

Osterholz, das hier als Lokator aufgetreten<br />

wäre.<br />

Die zu Grunde liegende Urkunde datiert<br />

vom 25. Juli 1335 und lautet (in Auszügen):<br />

„Nos, Heyno, miles, et Iohannes,<br />

famulus, fratres, dicti de Westerbecke,<br />

…dimisimus et dimittimus hororabili viro<br />

domino Thiderico, preposito, et suo conventui<br />

monasterii in Osterholte, Bremensis<br />

diocesis, unam aream, sitam in Vlice, id est<br />

Moer, quam nunc pro tempore colit Hen-<br />

ricus, dictus Semene, que annuatim solvit<br />

dimidiam urnatam butyri.“ 5 )<br />

„Wir, die Brüder Heyno, Ritter, und<br />

Johannes, Knappe, von Westerbeck 6 ),<br />

…haben übereignet und übereignen dem<br />

ehrenhaften Mann, dem Herrn Propst<br />

Theodor 7 ), und seinem Konvent des Klosters<br />

Osterholz in der Diözese Bremen eine<br />

Fläche (Hofstelle), gelegen in Vlice, das<br />

heißt Moor; diese wird momentan von<br />

Heinrich, genannt Semene, bewirtschaftet<br />

und erbringt (als Abgabe) jährlich ein halbes<br />

Maß (urna) Butter.“ 8 )<br />

Ob damit tatsächlich eine Hofstelle in<br />

Teufelsmoor gemeint ist, wird aus dem<br />

Urkundentext nicht wirklich deutlich. Es<br />

finden sich keinerlei nähere Ortsangaben.<br />

Deutlich wird allerdings, dass es sich um<br />

eine Fläche handelt, die zu der Zeit bereits<br />

bewirtschaftet wurde und abgabenpflichtig<br />

war. Wenn man dabei zugrundelegt,<br />

dass die Höfe zu Anfang in der Regel Freijahre<br />

(oft 12) besaßen, muss dieser Hof<br />

schon etliche Jahre bestanden haben. Dies<br />

scheint mir die Verortung in Teufelsmoor<br />

nicht unbedingt wahrscheinlicher zu<br />

machen.<br />

Die Ablieferung von Butter deutet darauf<br />

hin, dass der Betrieb seinen Schwerpunkt<br />

auf der Rindviehhaltung hatte.<br />

Ausführlich und – wie er selbst ausführt<br />

– erstmalig widmet sich Fliedner 9 ) der<br />

Siedlung Teufelsmoor und führt umfangreiche<br />

Untersuchungsergebnisse an. Er<br />

erkennt die Dorfanlage als Moorhufendorf<br />

10 ), wobei er die Größe der zugeteilten<br />

Hufen mit rund 25 ha angibt und diese<br />

damit die Größe einer Fränkischen Königshufe<br />

erreichen würden. Dabei deutet er die<br />

Verhältnisse so, dass die Streifen von der<br />

Hamme ausgehen, ca. 200 m breit sind<br />

und am Querdamm enden, dem er die<br />

Funktion eines Achterdeichs zuschreibt. 11 )<br />

Später schreibt er jedoch, dass „zunächst<br />

…ein Querdamm…angelegt wurde. Dann<br />

konnten die Kolonisten die Breite der<br />

Hufen abmessen…“ 12 )<br />

Nach Ansicht von Fliedner war es auch<br />

nicht das Kloster selbst, das kolonisierend<br />

auftrat; er nennt als mögliche Kolonisatoren<br />

die Herren von Westerbeck oder die<br />

Herren von Aumund 13 ), er hält es aber<br />

auch für möglich, dass die Siedlungen 14 )<br />

„durchaus genossenschaftlich geplant und<br />

angelegt worden sein“ könnten. 15 )<br />

Karte 16 ):<br />

Die Karte ist natürlich nicht 1350 entstanden,<br />

sondern zeigt, wie Fliedner sich<br />

die Entstehung der Siedlung vorstellt. Ausgehend<br />

vom Siedlungsbild von 1755 versucht<br />

er, die Primäranlage zu rekonstruieren,<br />

indem er auch den Streifen ohne<br />

Hausstelle einen Hof – wenn auch nur vermutet<br />

– zuordnet. So kommt er auf insge-<br />

21


Hofstellen hinter der Beek-Brücke Häuslings- und Häuerlingsstellen im Ortsteil Niederende<br />

samt 28 Stellen, 11 in Niederende und 17<br />

in Oberende. Getrennt werden die beiden<br />

Teile durch die Müssen. Durch die Kartenzeichnung<br />

wird auch deutlich, dass Fliedner<br />

offenbar dazu tendiert, die Leitlinie der<br />

Siedlung und damit ihren Ursprung am<br />

Querdamm zu suchen.<br />

Dies macht auch durchaus Sinn, wenn<br />

man an die wahrscheinlichen Beziehungen<br />

von Teufelsmoor in den Anfangsjahren<br />

denkt. Sowohl die Ritter von Westerbeck<br />

als auch das Kloster Osterholz sind auf der<br />

Geest beheimatet. Die Ortschaft Pennigbüttel<br />

wurde 1216 erstmals urkundlich<br />

erwähnt 17 ) und taucht in den Folgezeiten<br />

in Urkunden des Klosters Osterholz häufig<br />

auf. So ist es nicht abwegig anzunehmen,<br />

dass der Vorstoß ins Moor über Pennigbüttel<br />

erfolgt sein könnte. Allerdings führt<br />

der Heudamm, die Verbindung zur Geest,<br />

nicht direkt auf Pennigbüttel zu, sondern<br />

endet im Bereich von Myhle.<br />

Diese Landverbindung, die dann in den<br />

Querdamm übergeht, führt als Erstes an<br />

der Wulfsburg vorbei, die auch in der Fliedner-Karte<br />

verzeichnet ist. Diese Einzelhofsiedlung<br />

war später nicht Teil der Ortschaft<br />

Teufelsmoor, könnte aber seinerzeit der<br />

herausgehobene Sitz des Lokators gewesen<br />

sein. Zur Errichtung eines tragfähigen<br />

Baugrundes soll extra eine große Menge<br />

Sand vom Wolfsberg in Pennigbüttel dorthin<br />

transportiert worden sein. 18 )<br />

Andererseits finden sich Zeugnisse von<br />

Hofstellen in Hammenähe. 3a ) Fliedner verweist<br />

dabei auf Killmann, der „unmittelbar<br />

an der Hamme einige mittelalterliche Wurten<br />

festgestellt“ habe, aber „nur sehr<br />

wenige Hofplätze“. 19 )<br />

Auch Schulz hat eine Reihe von archäologischen<br />

Untersuchungen durchgeführt<br />

und ist dabei auf eine Vielzahl von mittelalterlichen<br />

Keramikscherben gestoßen, die<br />

für ihn ein eindeutiges Zeichen darstellen,<br />

dass der Ursprung der Siedlung nahe bei<br />

der Hamme zu suchen sei, zumindest im<br />

Ortsteil Niederende. 18 )<br />

Dann müsste die Hamme Leitlinie für die<br />

Ansiedlung und Verkehrsweg gewesen<br />

sein. Dies erscheint fraglich. Denn einerseits<br />

sind die Gebiete in Hammenähe<br />

regelmäßig überflutet worden; erst der<br />

Bau der Ritterhuder Schleuse 1874 ermöglichte<br />

eine Regulierung der Wasserstände.<br />

Auch bot das Hammeufer keinen<br />

tragfähigen Baugrund, andererseits war<br />

durch den Verlauf der Hamme keine<br />

direkte Anbindung zu den Grundherren in<br />

Osterholz bzw. Sand- oder Westerbeck hin<br />

gegeben. Und Kolonisations- und Handelsbeziehungen<br />

in das St.-Jürgens-Land<br />

bzw. Hollerland gehen aus den Urkunden<br />

nicht hervor.<br />

Zwar erstreckt sich auch die zweite von<br />

Fliedner als Moorhufendorf bezeichnete<br />

Siedlung Waakhausen/Viehland parallel<br />

zur Hamme. 20 ) In der Karte, die Fliedner<br />

dazu im Anhang (Abb. 19a) für die Zeit vor<br />

1350 präsentiert, liegen die Hofstellen<br />

jedoch auch bis zu einem Kilometer vom<br />

Fluss entfernt entlang eines Weges.<br />

Die erste Erwähnung von Waakhausen<br />

findet sich in einer Urkunde aus dem Jahr<br />

1355, als die Brüder Henning und Gevehard<br />

von Westerbeck „dem Kloster Osterholz<br />

alle ihre Güter in Waakhausen“ verkaufen.<br />

21 ) Henning und Gevehard sind<br />

Neffen des o. g. Heino, zwei der Söhne seines<br />

Bruders Johannes. Heinos Söhne<br />

Johannes, Christian, Berthold und Heino<br />

werden ebenfalls in der Urkunde genannt.<br />

Damit ist auch die zeitliche Zuordnung<br />

eindeutig dem Jahre 1355 zuzuschreiben<br />

und nicht – wie aus einigen Urkunden zu<br />

entnehmen ist – dem Jahre 1255. 22 ), 23 )<br />

Für die Zeit vom späten 13. bis zur Mitte<br />

des 14. Jahrhunderts sieht Fliedner einige<br />

regionale Entwicklungen, die einen Impuls<br />

für die Gründung der beiden Moorsiedlungen<br />

geliefert haben können: Eine allgemeine<br />

Bevölkerungszunahme führte zu<br />

Landknappheit und damit der Suche nach<br />

noch erschließbaren Flächen. Dadurch<br />

ergab sich eine günstige landwirtschaftli-<br />

che Konjunkturlage. Ein Teil des Bevölkerungswachstums<br />

wurde durch den Zuzug<br />

nach Bremen kompensiert, wo vor der Pest<br />

1349/50 zwischen 10.000 und 20.000 Einwohner<br />

lebten. Daraus folgte eine erhöhte<br />

Nachfrage nach Lebensmitteln und Brennmaterial.<br />

20 ) So mag – auch durch den<br />

Erfolg der Holler Kolonisation – das Wagnis<br />

eingegangen worden sein, im Moor Siedlungen<br />

zu gründen, wenn auch unter<br />

geänderten Bedingungen, da Privatinitiative<br />

und bäuerliche Genossenschaften an<br />

Bedeutung gewonnen hatten. Fliedner<br />

geht also davon aus, dass die Stadt Bremen<br />

damals einen derartig großen Markt<br />

dargestellt und so weit ins Umland ausgestrahlt<br />

hat, dass trotz schwieriger Transportverhältnisse<br />

über Land oder die unregulierte,<br />

wild mäandrierende Hamme, die<br />

erst ein gutes Stück von Bremen entfernt<br />

weserabwärts mündet, eine Siedlungsgründung<br />

wirtschaftlichen Erfolg versprach.<br />

Wilhelm Berger<br />

Anmerkungen<br />

1 ) In der Karte heißt es hierzu in der Legende<br />

u. a.:<br />

1. Die Wohn-Gebäude derer Bau-Leute<br />

sind dunkelroth und die Neben-<br />

Gebäude hellroth angeleget<br />

2. Häuerlinge sind hier diejenigen, deren<br />

Wohnungen der Baustelle eigenthümlich<br />

zustehen, diese sind gleichfals hellroth<br />

angeleget<br />

3. Der Häußlinge Häuser sind bläulich<br />

2 ) Auf der Karte sind 2 Tabellen zu finden; die<br />

erste enthält sämtliche Namen der Stellenbesitzer.<br />

Als Auszug hieraus werden<br />

hier nur die Namen der Bauleute angegeben.<br />

Angabe der Bauleute<br />

A Marten Welbrok sen.<br />

B Daniel Welbrok<br />

C Johann Welbrok jun.<br />

D Gevert Welbrok<br />

E Marten Tietjen<br />

F Carsten Schriever<br />

22 RUNDBLICK Frühjahr 2013


G Renken Schriever<br />

H Marten Welbrok jun.<br />

I Marten Tietjen jun.<br />

K Hinrich Wendelken<br />

L Johann Welbrok sen.<br />

M Johann Tietjen sen.<br />

N Marten Vinken jun.<br />

O Hinrich Schmonsees<br />

P Marten Vinken sen.<br />

Q Marten Schmonsees<br />

R Johann Tietjen jun.<br />

S Gevert Lütjen<br />

T Johann Semken<br />

3a ) Groß begangen wurde die 650-Jahr-Feier<br />

im Jahre 1985, zu der auch eine Festschrift<br />

herausgegeben wurde. Auch das 675jährige<br />

Dorfjubiläum wurde 2010 ausgiebig<br />

gefeiert; s. hierzu: a) Franz-Christian<br />

Lenz, Unser Dorf Teufelsmoor wird bald<br />

675 Jahre alt!; in: <strong>Heimat</strong>-<strong>Rundblick</strong> <strong>Nr</strong>.<br />

89 (2/2009), S. 16. Der Name ist hier<br />

allerdings falsch übermittelt; auch wenn<br />

die Deutung plausibel klingt, heißt es in<br />

den Urkunden Sweneklampe bzw.<br />

Sveneclampe. Die erste urkundliche<br />

Erwähnung dieses Namens erfolgt erst<br />

1365.<br />

3b ) ders., Dorfjubiläum 2010; ebd. <strong>Nr</strong>. 92 (1/<br />

2010), S. 15. Zu Sweenekamp s. Anm. o.<br />

RUNDBLICK Frühjahr 2013<br />

4 ) Reelf Menkhoff, Chronik von Osterholz-<br />

Scharmbeck, Band I; Osterholz-Scharmbeck<br />

2004, S. 22; ferner wie Anm. o.<br />

5 ) Hans-Heinrich Jarck, Urkundenbuch des<br />

Klosters Osterholz; Hildesheim 1982, <strong>Nr</strong>.<br />

107 (S. 93); Johann Hinrich Pratje, Altes<br />

und Neues IX, <strong>Nr</strong>. 8 (S. 173)<br />

6 ) Rittergeschlecht von Westerbeck taucht in<br />

Urkunden von 1182 – 1357 auf<br />

7 ) Propst des Klosters von 1331 – 1352<br />

8 ) Für Übersetzung und Erläuterung danke<br />

ich Herrn P. Wichmann, Osterholz-<br />

Scharmbeck<br />

9 ) Dietrich Fliedner, Die Kulturlandschaft der<br />

Hamme-Wümme-Niederung; Göttingen<br />

1970; (Göttinger Geographische Abhandlungen,<br />

Heft 55)<br />

10 ) ebd., S. 67/68<br />

11 ) ebd., S. 69<br />

12 ) ebd., S. 74<br />

13 ) ebd., S. 75<br />

14 ) als (einzige) weitere im Untersuchungsgebiet<br />

gelegene Moorhufensiedlung, die<br />

etwa gleichzeitig – ggf. einige Jahre später<br />

– entstanden ist, wird Waakhausen von<br />

Fliedner mit Teufelsmoor verglichen<br />

15 ) Fliedner, a. a. O., S. 76<br />

16 ) ebd., Abb. 16a<br />

17 ) Menkhoff, a. a. O., S. 19<br />

Lach- und Torfgeschichten<br />

Wie kummt so een Sandhopen mitten in us Weid bien „Breden Woter“?<br />

Datt iss jo een putzige Froog, nich wohr!<br />

Ober de Reeg no will ick se nu vortellen un<br />

upklorn. Wie hebbt dütt Johr in’n Januar<br />

un Februar jo uck woller so een hatte,<br />

düstere un smuddelige Wintertiet mett<br />

veel Regen achter us broch. De Hamm un<br />

de Beek wören bordkant full, de Wischen<br />

un Weiden güngen in’n Woter ünner. Alln’s<br />

Wör blank un een grode Woterwüste. In de<br />

fröhen Johr’n iss datt meist jeden Winter<br />

posseert.<br />

Von 1950 bitt in de 70iger Johr’n harrn<br />

wie een Stück Weideland von 16 Morgen<br />

an de Hamm bien „Breden Woter“<br />

topacht. Dor moken wie Hau, un dorno<br />

grosen wie dor us Jungbeester. Ass lüttje<br />

Bengel bünn ick dor all jümmer gern mett<br />

Opa un Vadder henföhrt un hebb jemm<br />

bie de Arbeit hulpen. Ick wett datt noch<br />

eenmol in’n Förjohr löpen wie dör de erste<br />

Weid, un dor in de Mitt weer so een platten<br />

Bulten ut Sand. Opa wies mie düssen<br />

Bulten, de weer man bloot’s son por Meter<br />

groot, un frog mie: „Watt meenst du wol,<br />

wie kummt de Bulten hierher, datt gifft<br />

doch gor keen Sand an’n ,Breden Woter‘?“<br />

Ick muss lang nodenken un segg: „Hebbt<br />

jie den and mett een Ackerwoggen hierher<br />

föhrt?“ Ober worum mitten in’ne Weid?<br />

Opa grien un smuster: „Dor kummst du<br />

nich up mien Jung, ober ick will die datt<br />

vortellen. Fröhere Johr’n in’n Winter, wenn<br />

all de Weiden ünner Woter weern, hebbt<br />

wie mett us Torfscheep Sand von de Geest<br />

un von Weyerbarg holt. De Sand weer<br />

too’n Huusboo’n, up de Wege un de Huussteer’n<br />

ganz wichtig un kostbor.<br />

So weer’n wie Moorbuer’n all mett us<br />

Torfscheep ünnerwegs un holen Sand<br />

wenn ,Land ünner‘ weer. De Torfscheep<br />

woren jümmer düchtig full load, datt<br />

schull jo watt bringen. Nu kööm datt bi<br />

rusigen Wind un Wellenslag foken mol for,<br />

datt Woter öber Bord slög. Datt bruuk nich<br />

18 ) mündl. Mitteilung von Herrn K.-P. Schulz,<br />

Osterholz-Scharmbeck<br />

19 ) Fliedner, a. a. O. S. 70; der genannte Killmann<br />

taucht nicht im Literaturverzeichnis<br />

auf, hat also möglicherweise seine Ergebnisse<br />

nicht veröffentlicht<br />

20 ) Fliedner, a. a. O., S. 70/71<br />

21 ) H.-H. Jarck, a. a. O., S. 135<br />

22 ) Joh. Hinr. Pratje, Die Herzogthümer Bremen<br />

und Verden oder vermischte Abhandlungen<br />

zur Erläuterung der Politischen-<br />

Kirchen- Gelehrten- und Naturgeschichte<br />

wie auch Geographie dieser beiden Herzogthümer.<br />

Sechste Sammlung, Bremen<br />

1762, S. 526 und 414/5<br />

23 ) Jarck (s. Anm. 17) hat auch diese – mit der<br />

o. a. gleichlautende – Urkunde übernommen<br />

(auf S. 52/53). Er geht davon aus,<br />

dass diese das richtige Datum enthält und<br />

führt als Beleg dafür die in der Urkunde<br />

genannte Priorin des Osterholzer Klosters<br />

– Margarethe – an, die tatsächlich ab<br />

1255 Priorin des Klosters war. Die Herren<br />

von Westerbeck weisen aber – wie oben<br />

gesagt – auf das Jahr 1355. Auch zu der<br />

Zeit hieß die Priorin des Klosters Margarethe<br />

(von 1348 – 1357). Die Namen finden<br />

sich bei Menkhoff (s. Anm. 4)<br />

24 ) Fliedner, a. a. O., S. 166ff<br />

veel, un de Kohn sööp af. So mussen wie<br />

Jan von Moor’s us Schipp mett Sand in de<br />

Weid lingen loten bitt datt Woter in Föhrjohr<br />

woller aflopen weer. Denn muss de<br />

Sand in’ne Weid schuppt weer’n, un wie<br />

kunnen denn Kohn in’n Groben na Huus<br />

schippern. Een Sauarbeit! Süst du wol<br />

mien Jung, un dorum finn’st du hier mennigmol<br />

mitten in de Hammwischen eenfach<br />

so een Bulten Sand!<br />

De Weyerbarg iss uck so een Sandbulten,<br />

datt schall domols een grotet Segelschipp<br />

wesen sien.“ Opa keek mie an un<br />

lach luut: „Glööf datt nich, datt weer’n<br />

Döntje!“<br />

An düsse lüttje Begebenheit mit Opa<br />

muss ick vondog denken, ass ick bi us in<br />

Düwelsmoor ober de Hammbrügg föhrt<br />

bin. De Weiden weer woller grön un de lüttjen<br />

Sandbulten liegt dor jümmer noch.<br />

Jan (Johann) Brünjes<br />

„Land unter“ in den Hammewiesen Foto: Jan Bünjes<br />

23


150 Jahre Männergesangverein<br />

Concordia Worpswede (1863 – 2013)<br />

Carl Otto Ferdinand Stolte (1825–1887)<br />

Vor 150 Jahren wurde der Männergesangverein<br />

Concordia Worpswede<br />

gegründet. Gründer des Chores war Carl<br />

Otto Ferdinand Stolte. Er wurde 1825 in<br />

Herford geboren und erwarb den in<br />

Worpswede heute noch existierenden<br />

Kaufmannsladen „ Stolte“. Er war ein rühriger<br />

Mann, wurde zum Gemeindevorsteher<br />

gewählt und sorgte für eine Verbindungsstraße<br />

von Worpswede nach Lilienthal. Er<br />

war bis zu seinem Todesjahr 1887 Vorsitzender<br />

und Dirigent des Chores.<br />

Unter Stolte blühte<br />

das Vereinsleben auf<br />

In diesen Jahren blühte das Vereinsleben<br />

auf. Sein Tod hinterließ eine große<br />

Lücke, die der Chor nur mühsam schließen<br />

konnte. Immer wieder gab es Zeiten ohne<br />

Dirigenten und somit auch keine regelmäßigen<br />

Singabende. Man tat sich<br />

schließlich mit Sängern aus Wörpedahl<br />

zusammen, konnte den einen oder anderen<br />

örtlichen Lehrer als Dirigenten gewinnen,<br />

sodaß wieder Chorproben abgehalten<br />

werden konnten und der Chor zu<br />

neuem Leben erwachte. Große Einschnitte<br />

Hinweis:<br />

Jubiläumsveranstaltung<br />

16. Juni 2013: Konzert aller Worpsweder<br />

Chöre in der Zions-Kirche.<br />

April<br />

Wenn der April wie ein Löwe kommt,<br />

geht er wie ein Lamm.<br />

Der April treibt sein Spiel.<br />

Treibt er´s toll, wird die Tenne voll.<br />

Chor unter Leitung von Organist Riggers (nach<br />

1906) – Hochzeit von Gottlieb Sämann, Kutscher<br />

von Heinrich Vogeler<br />

waren die beiden Weltkriege und die<br />

jeweilige Nachkriegszeit. Großes Aufsehen<br />

erregten unsere Auftritte seit 1983. Unser<br />

Dirigent war nämlich zu dieser Zeit eine<br />

Dirigentin: Frau Professor Dr. Adelheid<br />

Geck. Publikum und Chor waren von ihrer<br />

Vor dem „Kaffee Worpswede“ – Günter Hildebrandt in Aktion<br />

In Planung:<br />

Leserreise 2013 in die Eulenspiegelstadt Mölln<br />

Chor Pfingsten 1985 mit unserer Dirigentin Frau<br />

Dr. Adelheit Geck Foto: Dieter Weiser<br />

fröhlichen Art, den Chor zu leiten und zu<br />

führen, begeistert. 1990 ging diese schöne<br />

Zeit leider zu Ende, da sie in ihre alte <strong>Heimat</strong><br />

nach Mecklenburg-Vorpommern<br />

zurückkehrte. Seit vielen Jahren ist Günter<br />

Hildebrandt unser Dirigent und tut sein<br />

Möglichstes, um die inzwischen ganz<br />

überwiegend grau melierten Herren in<br />

Trab zu halten.<br />

Hermann Pelke<br />

Auch in diesem Jahr plant der <strong>Heimat</strong>-<strong>Rundblick</strong> eine Leserreise, die in die Eulenspiegelstadt<br />

Mölln führen wird. Weitere Informationen hierzu in der nächsten Ausgabe. Die Redaktion<br />

Bauernregeln April – Mai – Juni<br />

Mai<br />

Warmer und trockener Mai, hört an,<br />

hat manchmal schon sehr gut getan.<br />

Maienfrost die Blüten das Leben kost´.<br />

Juni<br />

Soll gedeihen Korn und Wein,<br />

muss im Juni Wärme sein.<br />

Solange der Kuckuck schreit,<br />

fürchte die Trockenheit.<br />

24 RUNDBLICK Frühjahr 2013


„Theater Alte Molkerei“ in Worpswede<br />

„End of the Rainbow“, Mary C. Bernet „Heinz-Erhardt-Abend – Was bin ich wieder für ein Schelm“, Christian Schliehe<br />

Worpswede. Am 24. September 2010<br />

begann in Worpswede das „Theater Alte<br />

Molkerei“ mit der erfolgreichen Aufführung<br />

„Loriots Dramatische Werke“. Der Schauspieler<br />

und Theatermacher Knut Schakinnis,<br />

der die „Komödie Kassel“ und die Theaterschiffe<br />

in Bremen und Lübeck ideenreich<br />

betreibt, eröffnete im Künstlerdorf mit dem<br />

„Theater Alte Molkerei“ eine vierte Spielstätte,<br />

die sich für Worpswede als eine kulturelle<br />

Bereicherung erweist (siehe <strong>Heimat</strong>-<br />

<strong>Rundblick</strong> <strong>Nr</strong>. 95, 4/2010, Seite 16).<br />

Das „Kunstcentrum Alte Molkerei“, das<br />

in Worpswede als Begegnungsstätte für<br />

Kunst, Kultur, Antiquariat und Gastronomie<br />

bekannt ist, bietet nun seit 2010 freitags<br />

und sonnabends sowohl abwechs-<br />

„Abba Hallo“, Sonja Hebestadt, David Wehle, Erika Best<br />

„Suche impotenten Mann fürs Leben“, Juliette Groß, Olaf Napp<br />

RUNDBLICK Frühjahr 2013<br />

lungsreiches Boulevardtheater als auch<br />

Comedy mit Niveau. In den fast zweieinhalb<br />

Jahren des Worpsweder Theaters mit<br />

seinen 120 Sitzplätzen konnte Knut Schakinnis<br />

trefflich ausgesuchte Unterhaltung<br />

im Künstlerdorf etablieren.<br />

Das „Edith-Piaf-Stück“ mit der hervorragenden<br />

Schauspielerin und Sängerin Mary<br />

C. Bernet war ein ausgesprochener „Renner“.<br />

Die satirische Kult-Komödie „Ekel<br />

Alfred“ erreichte wiederholt ein ausverkauftes<br />

Haus. Die glänzend musikalischdramatischen<br />

Theaterabende „End oft he<br />

Rainbow“ zeigten mit weltberühmten<br />

Songs „die turbulenten letzten Monate im<br />

Leben der Judy Garland“. Die unvergesslichen<br />

Verse, Wortspiele und Lieder mit<br />

dem „Heinz-Erhardt-Abend - was bin ich<br />

wieder für ein Schelm“ boten unterhaltsame<br />

Stunden für die Lachmuskeln des<br />

Publikums. Die Bühne des „Theater Alte<br />

Molkerei“ wurde 2012 durch die glänzenden<br />

Tanz- und Gesangseinlagen in einen<br />

„Revuepalast der schönsten ABBA-Melodien“<br />

verwandelt. Während der Komödie<br />

„Gatte gegrillt“ wurden die Zuschauer<br />

durch schwarzen Humor zu einem makabren<br />

„Abendessen zu Dritt“ geführt. Seit<br />

Februar 2013 läuft im Theater die Inszenierung<br />

„Suche impotenten Mann fürs<br />

Leben“. Die Aufführung betört das Publikum<br />

mit skurrilen und amüsanten Lebenssituationen.<br />

Text und Fotos: Dr. Helmut Stelljes<br />

„Gatte gegrillt“, Ingrid Steeger, Juliette Groß, Jens Ache<br />

„Ekel Alfred“, Tom Keidel, Paul Wallner, Martina Ruggebrecht, Marcus<br />

Rudolph, Berit Möller<br />

25


Willy Meyer-Osburg<br />

Ausstellung im Barkenhoff vom 10. Februar bis 2. Juni 2013<br />

12 Materialdrucke von Willy Meyer-Osburg, um<br />

2001<br />

Worpswede. Die neue Sonderausstellung<br />

im Barkenhoff ist dem Künstler Willy<br />

Meyer-Osburg gewidmet.<br />

Meyer-Osburg wurde 1934 in Bremen<br />

geboren. Nach Abschluss eines zweijährigen<br />

Studiums an der Staatlichen Kunstschule<br />

Bremen zog er 1957 in das Künstlerdorf<br />

Worpswede. Hier wohnte er<br />

zunächst bei Martha Vogeler im Haus im<br />

Schluh, später in unmittelbarer Nachbarschaft<br />

zum Barkenhoff im Haus von Hans<br />

am Ende und im Eichenhof. Dort richtete<br />

er sein erstes Atelier ein, das er sich mit<br />

dem Literaten Rolf Morstein teilte.<br />

„Abstrakte erobern<br />

Worpswede“<br />

Künstlerisches Umfeld von Meyer-<br />

Osburg war die „Junge Gruppe Worpswede“,<br />

zu der die Maler Henry Garde, Helmut<br />

Heinken, Winhard Lumma, Egon-Karl<br />

Nicolaus und Dieter Wallert zählten.<br />

„Abstrakte erobern Worpswede“ titelte<br />

1957 DIE WELT über eine Ausstellung dieser<br />

Künstler in der Worpsweder Kunsthalle<br />

Friedrich Netzel und konstatierte<br />

„Zunächst war es ein Schock.“<br />

Auch die erste Ausstellung der abstrakten<br />

Arbeiten von Meyer-Osburg fand in<br />

der Worpsweder Kunsthalle statt – sie stieß<br />

auf positive Kritik. Von Januar bis Februar<br />

1958 wurden seine Werke gemeinsam mit<br />

Gemälden von Peter Hahn gezeigt, der<br />

ebenfalls an der Kunstschule Bremen studiert<br />

hatte. Bereits im November des gleichen<br />

Jahres folgte eine Gemeinschaftsausstellung<br />

mit dem befreundeten Maler Herbert<br />

Düerkop und dem damals bereits<br />

international bekannten amerikanischen<br />

Bildhauer Duane Hanson, bei der Meyer-<br />

Osburg unter dem Pseudonym Will Arné<br />

auftrat.<br />

Blick in die Ausstellung im Barkenhoff Fotos: Dr. Helmut Stelljes<br />

Der eigentliche künstlerische Durchbruch<br />

und damit eine umfangreiche<br />

nationale und internationale Ausstellungstätigkeit<br />

gelang Meyer-Osburg nach<br />

seiner Übersiedlung nach Köln im Jahr<br />

1960. Initiiert wurde der Umzug durch<br />

den aus Köln stammenden Grafiker Hannes<br />

Jähn – mit ihm und seiner Frau, der<br />

amerikanischen Malerin Eila Hershon, verband<br />

Meyer-Osburg eine lebenslange<br />

Freundschaft. Gemeinsam reisten sie<br />

unter anderem nach New York, wo Meyer-<br />

Osburg Kontakte zu Künstlern wie dem<br />

berühmten Pop Art-Vertreter Robert Indiana<br />

knüpfte.<br />

Für fast vier Jahrzehnte blieb Köln der<br />

Lebensmittelpunkt von Meyer-Osburg;<br />

1998 kehrte er nach Worpswede zurück,<br />

wo er im Jahr 2005 starb.<br />

Werk umfasst<br />

Arbeiten aller Genres<br />

Das umfangreiche Werk von Willy<br />

Meyer-Osburg umfasst Arbeiten aller Genres.<br />

Neben grafischen Blättern wie Zeichnungen,<br />

Radierungen, Lithografien oder<br />

Linolschnitten existieren zahlreiche Collagen<br />

und Materialdrucke; auch die Buchgestaltung,<br />

beispielsweise das Illustrieren von<br />

Gedichten, waren für den Künstler von<br />

großem Interesse. Im Zentrum seines<br />

Schaffens steht jedoch die Malerei, die<br />

unter anderem durch ihre starke Farbigkeit<br />

beeindruckt.<br />

Bei den frühen Gemälden aus den späten<br />

1950er Jahren, von denen nur noch<br />

wenige existieren, wählte Meyer-Osburg<br />

einen eher dunklen Farbgrund, den er mit<br />

feinen Linien und kleinen Farbflächen<br />

überzog und zudem durch die Bearbeitung<br />

mit einem Spachtel strukturierte. Die<br />

Gemälde, aber auch grafische Blätter aus<br />

den 1960er und 1970er Jahren zeigen<br />

dagegen in ihrer intensiven Farbigkeit ein<br />

typisches Charakteristikum des gesamten<br />

weiteren Werkes von Meyer-Osburg.<br />

Menschliche Figur taucht<br />

nur abstrahiert auf<br />

In verschiedenen Bildkompositionen finden<br />

sich dabei Ansätze zum Figurativen,<br />

die menschliche Figur taucht jedoch<br />

zumeist nur abstrahiert auf. Auch (Alltags-)<br />

Gegenstände, die zu Stillleben<br />

arrangiert sind, werden lediglich fragmentarisch<br />

dargestellt; die Flächigkeit steht im<br />

Verhältnis zur Perspektive dabei im Vordergrund.<br />

Insbesondere in seinem Spätwerk<br />

ab den 1990er Jahren verzichtete der<br />

Künstler zugunsten des Eigenwertes der<br />

Farbe und den abstrahierten, häufig collagenhaft<br />

aneinander gefügten Flächen fast<br />

vollständig auf gegenständliche Anklänge.<br />

Lediglich in den Materialdrucken, die<br />

nach 1997 entstanden, nutzte Meyer-<br />

Osburg alltägliche Gegenstände wie<br />

Blechdosen, Pappschachteln, Plastikbecher<br />

oder einfache Holzstücke als Ausgangsform<br />

seiner Bildgestaltung. Durch<br />

ihre Bearbeitung – wie das Walzen durch<br />

die Druckerpresse oder die Demontage –<br />

und das anschließende farbige Drucken<br />

und Collagieren verfremdete er sie jedoch<br />

so stark, dass sie häufig kaum noch erkennbar<br />

sind. Vielmehr stehen wiederum Farbund<br />

Formensprache, vor allem aber auch<br />

die Materialität im Vordergrund.<br />

Beate C. Arnold<br />

Öffnungszeiten und weitere Informationen:<br />

www.worpswede-museen.de<br />

26 RUNDBLICK Frühjahr 2013


Jugendseite Kunst in Kinderschuhen Teil 1<br />

Im Herzen der Künstlerkolonie<br />

Worpswede bildet ein weitläufiges, bewaldetes<br />

Areal den Rahmen für das Hoetger-<br />

Ensemble. Ein Gebäudekomplex wird in<br />

der Zeit von 1924 bis 1927 von Bernhard<br />

Hoetger, dem Maler, Bildhauer und Architekten<br />

(1874-1949) errichtet und besteht<br />

aus dem Restaurationsbetrieb Kaffee<br />

Worpswede, einem Logierhaus für die<br />

Unterkunft von Gästen und Künstlern<br />

(heute Geschäftsstelle der Kulturstiftung<br />

Landkreis Osterholz) sowie der Großen<br />

Kunstschau. Die Kolonie wird 1889<br />

begründet und maßgeblich von Heinrich<br />

Vogeler und seinen Künstlerkollegen Fritz<br />

Mackensen, Otto Modersohn, Fritz Overbeck<br />

und Hans am Ende geprägt. Am<br />

Anfang des 20. Jahrhunderts kommen<br />

Schüler und Schülerinnen hinzu, deren<br />

bekannteste Vertreterin Paula Becker ist,<br />

die 1901 Otto Modersohn heiratet. Auch<br />

Clara Westhoff und Rainer Maria Rilke sind<br />

bekannte Bewohner von Worpswede in<br />

jener Zeit. Die Kunstschau besteht inzwischen<br />

aus zwei Gebäudeteilen, ein zweiter<br />

Teil wurde Anfang der 1970er Jahre<br />

erbaut. Diese architektonische Vielfalt lässt<br />

es zu, alte und neue Kunst in entsprechendem<br />

Ambiente zu zeigen. In dem alten Teil<br />

wird Kunst von Bernhard Hoetger ausgestellt,<br />

in dem neuen Gebäudeteil finden<br />

RUNDBLICK Frühjahr 2013<br />

regelmäßig wechselnde Ausstellungen<br />

statt.<br />

Die Kunstschau Worpswede veranstaltet<br />

in regelmäßigen Abständen Aktionen für<br />

Kinder und Jugendliche. Das Projekt, mit<br />

Jugendlichen und Kindern zu arbeiten,<br />

steckt noch in den Kinderschuhen, soll<br />

aber im Sommer 2013 weiter ausgebaut<br />

werden.<br />

Üblicherweise werden diese Aktionen<br />

passend zu einer aktuellen Ausstellung der<br />

Großen Kunstschau Worpswede gestaltet.<br />

Die Kinder erhalten eine kindgerechte<br />

Führung durch die Ausstellung und sollen<br />

danach selbst kreativ werden und das<br />

Gesehene bildnerisch nach ihren Vorstellungen<br />

darstellen.<br />

Seit 2011 stehen zwei Atelierräume zur<br />

Verfügung, die abseits des Ausstellungsbereichs<br />

und damit ohne Gefährdung von<br />

wertvollen Gemälden oder Skulpturen<br />

genutzt werden können. Hier ist Platz für<br />

bis zu 20 Personen, beispielsweise eine<br />

Kindergruppe mit Betreuerinnen und<br />

Betreuern. Hier finden auch die Geburtstagsfeiern<br />

für Kinder statt, zu denen ein<br />

schön gedeckter Tisch für die mitgebrachten<br />

Speisen und Getränke bereitgestellt<br />

wird.<br />

Folgende Aktionen werden derzeit auf<br />

Nachfrage durchgeführt:<br />

– Führungen speziell für Kinder oder<br />

Jugendliche<br />

– Kinder malen Bilder oder formen Figuren<br />

Die Kinder beim Malen … … angeleitet von Betreuerinnen<br />

Kreativität fördern schon im Kindesalter<br />

– Malaktionen zu einem vorgegebenen<br />

Anlass<br />

Eine Aktion findet zum Beispiel immer<br />

am 18. Oktober von 15.30 – 17.00 Uhr<br />

statt. Da ist nämlich der St. Lukas Tag, an<br />

dem Malaktionen für Kinder stattfinden.<br />

Zur vorbereitenden Organisation bittet<br />

die Kunstschau Worpswede, sich ca. eine<br />

Woche vorher anzumelden. Der Kostenbeitrag<br />

beträgt üblicherweise 5,– € pro<br />

Teilnehmer (bei mindestens zehn Personen).<br />

Eine gute Idee, die sich auch auf<br />

andere übertragen hat, die ebenfalls Aktionen<br />

für Kinder anbieten.<br />

Mareike Haunschild<br />

Mit freundlicher Unterstützung von Andreas<br />

Pirner (Kunstschau Worpswede)<br />

Die Räume bieten Platz für 20 Personen … … und jede Menge Kreativität Fotos: Andreas Pirner (Kunstschau Worpswede)<br />

27


Das Leberblümchen –<br />

die Blume des Jahres 2013<br />

Im letzten Jahr wurde die Heidenelke,<br />

eine Pflanze der bei uns selten gewordenen<br />

Heide- und Sandmagerrasen, von der<br />

Loki-Schmidt-Stiftung zur Blume des Jahres<br />

bestimmt. Für 2013 fiel die Wahl auf<br />

das Leberblümchen, das in Buchen- und<br />

Eichen-Hainbuchen-Wäldern zu finden ist.<br />

Es ist, wie viele Kräuter unserer Laubwälder,<br />

ein Frühblüher, der zwischen Mitte<br />

März und Mitte April seine blauen Blüten<br />

dicht über dem Boden entfaltet. Alle diese<br />

Blumen blühen so früh, da zu dieser Zeit<br />

die Sonne noch den Waldboden erreichen<br />

und damit erwärmen kann, weil Bäume<br />

und Sträucher noch ohne Laub sind oder<br />

gerade erst ihre Knospen öffnen. Jetzt fliegen<br />

auch bereits die ersten Insekten, um<br />

die Blüten des Leberblümchens zu bestäuben.<br />

Diese besitzen sechs bis acht Blütenhüllblätter,<br />

unter denen drei kelchartige<br />

grüne Hochblätter angeordnet sind. Von<br />

Vorteil ist es in dieser frühen Jahreszeit,<br />

dass sich die Blüten bei Kälte oder Regen<br />

schließen und bei Wärme wieder öffnen<br />

können. Die Früchte sind Nüsschen mit je<br />

einem Samen, die wie bei Buschwindröschen,<br />

mit denen Leberblümchen nahe<br />

verwandt sind, zu mehreren zu einem<br />

Fruchtstand vereinigt sind. Diese Nüsschen<br />

Ameisen helfen<br />

bei der Verbreitung<br />

besitzen kleine ölhaltige Anhängsel, die<br />

Ameisen verlocken, die Früchte wegzutragen<br />

und damit zu verbreiten. Bei der<br />

Fruchtreife neigt sich der Blütenstengel<br />

zum Boden, sodass sich häufig Tochter-<br />

Kennzeichnend sind die dreilappigen Blätter<br />

Die Farbenpracht des Leberblümchens<br />

pflanzen in der Nähe der Mutterpflanze<br />

entwickeln können. Daher wachsen Leberblümchen<br />

oft truppweise. Sie kommen<br />

übrigens fast nur in Wäldern vor, die hier<br />

seit Jahrhunderten wachsen, da eine Fernverbreitung<br />

durch Ameisen nicht stattfinden<br />

kann.<br />

Kennzeichnend für diese Pflanzenart<br />

sind neben den auffälligen Blüten die dreilappigen<br />

Blätter, die zu mehreren eine<br />

Rosette bilden. Neue Blätter erscheinen<br />

erst nach der Blütezeit. Sie überwintern<br />

und schützen so die Blütenknospen. Die<br />

Form der Blätter und auch deren rötlich-<br />

braune Unterseite erinnern bei etwas Fantasie<br />

an eine menschliche Leber. Daher hat<br />

das Leberblümchen sowohl seinen deutschen<br />

Namen als auch den lateinischen<br />

Namen Hepatica erhalten. Früher glaubte<br />

man, dass Gott damit anzeigen wollte, dass<br />

diese Pflanze bei Lebererkrankungen helfen<br />

kann. So wurde sie zu einer anerkannten<br />

Heilpflanze, worauf auch ihr zweiter<br />

lateinischer Name nobilis = edel hinweist.<br />

Heute wird diese Wirkung in Frage gestellt.<br />

Kommt in Nordwestdeutschland<br />

nur in den<br />

Landkreisen Rotenburg,<br />

Stade und Cuxhaven vor<br />

Das Leberblümchen bevorzugt frische,<br />

nährstoff- und kalkreiche Mullböden. In<br />

Nordwestdeutschland kommt es nur sehr<br />

zerstreut in den Landkreisen Rotenburg<br />

und Stade sowie im Osten des Kreises Cuxhaven<br />

vor, und zwar in größeren Wäldern.<br />

Es erreicht hier die Westgrenze seiner Verbreitung<br />

und gilt im Tiefland nach der<br />

Roten Liste Niedersachsen/Bremen als<br />

gefährdet. Westlich der Weser fehlt die Art<br />

in Niedersachsen, ebenso in Nordrhein-<br />

Westfalen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland.<br />

Dagegen ist sie im niedersächsischen<br />

Hügelland und in den östlichen und südlichen<br />

Bundesländern nicht selten. Gefährdet<br />

ist sie bei uns vor allem dadurch, dass<br />

sie als Gartenpflanze beliebt ist und daher<br />

ausgegraben wird.<br />

Text: Prof. Dr. Hermann Cordes<br />

Fotos mit frdl. Genehmigung der Loki-<br />

Schmidt-Stiftung<br />

28 RUNDBLICK Frühjahr 2013


Himmelsziege im Sinkflug?<br />

Die Bekassine zwischen Osterstader Marsch und Teufelsmoor<br />

Vom Naturschutzbund Deutschland<br />

wurde die Bekassine zum Vogel des Jahres<br />

2013 ernannt. Diese Schnepfenvogelart<br />

repräsentiert die Lebensräume Moore und<br />

Feuchtwiesen und ist im Bestand bundesund<br />

landesweit bedroht. Wie der Kiebitz,<br />

der Große Brachvogel und die Uferschnepfe<br />

gehört sie zu den Watvögeln. Sie<br />

alle sind Opfer einer systematischen Zerstörung<br />

ihrer Brut- und Nahrungshabitate<br />

durch Entwässerung, intensive Landwirtschaft<br />

und Torfabbau.<br />

Den Beinamen Himmelsziege verdankt<br />

die Bekassine dem „Meckern“ während<br />

des Balzfluges. Dieses typische Geräusch<br />

ist kein Ruf oder Gesang, die Flügel werden<br />

wie ein Instrument genutzt. Vor allem das<br />

balzende Männchen zeigt den charakteristischen<br />

Sturzflug. Dabei winkelt es die Flügel<br />

an, spreizt die Schwanzfedern fächerförmig<br />

ab. Der Luftstrom versetzt die<br />

äußeren Schwanzfedern in Vibration.<br />

Durch rasche, zitternde Flügelbewegungen<br />

erhält der Ton sein Tremolo, das sich<br />

ähnlich wie das Meckern einer Ziege<br />

anhört.<br />

Die Bekassine entspricht in der Größe<br />

einer Singdrossel. Das Gefieder besitzt eine<br />

gute Tarnfärbung mit deutlichen Längsstreifen<br />

auf Kopf und Rumpf. Der gerade<br />

Schnabel, doppelt so lang wie der Kopf, ist<br />

besonders markant. Damit kann sie im<br />

Untergrund gleichzeitig stochern, tasten<br />

und Nahrung aufnehmen. Die Schnabelspitze<br />

ist biegsam, sodass sich der<br />

geschlossene Schnabel leicht in den weichen<br />

Boden bohren lässt. Kleine Beutetiere<br />

kann der Vogel aufnehmen, ohne ihn erst<br />

aus der Erde ziehen zu müssen.<br />

Über neunzig Prozent der Moore und<br />

des Grünlandes in Deutschland sind abgebaut,<br />

entwässert oder werden intensiv<br />

bewirtschaftet. Im Laufe der letzten zwanzig<br />

Jahre hat sich der Bestand der Bekassine<br />

halbiert. In Deutschland wird er heutzutage<br />

auf nur noch etwa 5.500 – 8.500<br />

Brutpaare geschätzt.<br />

Je „nässer“ desto besser<br />

Lange Schnäbel brauchen weiche<br />

Böden und flache Gewässer, in denen nach<br />

Beute gestochert werden kann. Je „nässer“<br />

desto besser. Solche Lebensräume finden<br />

sich heute fast nur noch in geschützten<br />

Bereichen, in Naturschutz- oder Vogelschutzgebieten.<br />

Dabei sind diese Flächen<br />

meist immer noch zu klein, um den<br />

Bestand zu sichern.<br />

Das gilt auch für den Landkreis Osterholz.<br />

Im Süden der Osterstader Marsch ist<br />

in den letzten Jahren kein Brutnachweis<br />

der Bekassine mehr gelungen. Die letzten<br />

Balzflüge wurden im Jahr 2010 am Geest-<br />

RUNDBLICK Frühjahr 2013<br />

Die Bekassine, Charaktervogel des Teufelsmoores<br />

Foto: NABU/W. Rolfes<br />

rand bei Meyenburg und im Garlstedter<br />

Moor beobachtet. In diesem Gebiet sind<br />

einzelne Bekassinen ganzjährig und<br />

größere Trupps gelegentlich anzutreffen.<br />

Bestand als Brutvogel<br />

akut bedroht<br />

Noch in den 80er und 90er Jahren übernachteten<br />

im Herbst große Bekassinen-<br />

Trupps mit mehr als 100 Vögeln in den<br />

Schwaden des Wasserknöterichs an der<br />

großen Neuenkirchener Pütte. Solche<br />

Beobachtungen hat es in den letzten Jahren<br />

nicht mehr gegeben. Auch aus dem<br />

St. Jürgensland und den Truper Blänken<br />

gibt es keine guten Nachrichten. Hier ist<br />

der Bestand der Bekassine als Brutvogel<br />

akut vom Erlöschen bedroht. Es fehlt der<br />

Lebensraum, um Jungtiere großzuziehen.<br />

In der Hammeniederung sah es lange<br />

Zeit besser aus. Die Bekassine wurde dort<br />

bereits in den 1960er Jahren von Franz<br />

Heike als Charaktervogel beschrieben.<br />

Seither hat sie sich unter den Watvögeln<br />

am besten behaupten können und ist mittlerweile<br />

die häufigste Schnepfenvogelart<br />

in diesem Gebiet. Sie besiedelt vorwiegend<br />

die nassesten, sumpfartig ausgeprägten<br />

Bereiche, darunter die wenigen<br />

Grünlandsenken, sehr feuchtes oder nasses<br />

Grünland, Binsenflächen, Schwadensümpfe,<br />

wollgrasgeprägtes Grünland<br />

(Kleinseggenrasen), Röhrichtränder und<br />

lichte, schüttere Erlenbestände innerhalb<br />

des Grünlandes.<br />

Offenbar war die Art um 1986 noch<br />

häufiger. Inzwischen sind intensiver<br />

bewirtschaftete Flächen nicht mehr besiedelt.<br />

Zwischen 1998 und 2006 hat die Art<br />

im Bestand wieder deutlich zugenommen.<br />

Das Gebiet hatte sich gut entwickelt. Ein<br />

großer Teil der Hammeniederung ist im<br />

Rahmen eines Naturschutzgroßprojektes<br />

seitens des Landkreises extensiviert worden.<br />

Das Räumen der Gräben und das Verfüllen<br />

von Senken haben nachgelassen, im<br />

Grünland wurden zahlreiche Blänken wieder<br />

angelegt.<br />

Die Bekassine hat im südlichen Teufelsmoor<br />

großflächig eine hohe Siedlungsdichte.<br />

Der Bestand in den Postwiesen,<br />

den Hofleuteweiden, am Breiten Wasser<br />

und in der Oberen Beekniederung ist landesweit<br />

als einer der bedeutendsten anzusehen.<br />

Durch intensive Zählarbeiten konnten<br />

im Durchschnitt 8,6 Reviere pro 100<br />

Hektar innerhalb einer rund 1160 Hektar<br />

großen Kernfläche identifiziert werden.<br />

Damit erreicht sie in unserem Raum noch<br />

höchste Siedlungsdichten. Die Hamme-<br />

Wümmeniederung ist deutschlandweit ein<br />

Schwerpunktlebensraum der Art.<br />

Seit 2006 zeigen sich jedoch auch in<br />

der Hammeniederung zurückgehende<br />

Bestandszahlen. Schutzmaßnahmen am<br />

Dümmer haben gezeigt, dass Watvögel<br />

zum langfristigen Überleben großflächige<br />

Gebiete benötigen, die bis in den Sommer<br />

hinein überschwemmt sind. Außerhalb des<br />

Projektgebietes besteht in der Hammeniederung<br />

weiteres Potenzial, den Siedlungsraum<br />

dieser stark bestandsgefährdeten<br />

Vogelart zu erweitern.<br />

Erlebnis Bekassine:<br />

Ende Februar/Anfang März treffen die<br />

ersten Bekassinen ein, im April bis Anfang<br />

Mai sind dann die charakteristischen Balzflüge<br />

vor allem in den Dämmerungsphasen<br />

zu beobachten.<br />

Die Biologische Station Osterholz bietet<br />

im Rahmen der „Wege ins Moor 2013“ am<br />

20. April 2013 die Fahrrad-Exkursion „Fliegende<br />

Ziegen in der Hammeniederung?“<br />

an. Tasso Schikore übernimmt die Leitung.<br />

Treffpunkt ist die BioS, Lindenstraße 40 in<br />

Osterholz-Scharmbeck, um 16 Uhr. Fahrrad,<br />

wetterfeste Kleidung und möglichst<br />

ein Fernglas sind mitzubringen.<br />

Siegfried Makedanz und Tasso Schikore<br />

Die Autoren danken Ekkehard Jähme für<br />

Informationen zur Bestandsentwicklung im<br />

Westen des Landkreises.<br />

Weitere Informationen:<br />

www.biologische-station-osterholz.de<br />

29


Standgerichte in Norddeutschland<br />

Mit dem Auf- und Ausbau der Wehrmacht<br />

etablierte sich ab 1934 auch eine<br />

eigene Gerichtsbarkeit der deutschen<br />

Streitkräfte, die sich stetig vergrößerte und<br />

– vor allem mit Kriegsbeginn – an Einfluss<br />

gewann. Neben deutschen Soldaten war<br />

sie für Kriegsgefangene, aber auch für die<br />

Aburteilung von deutschen und ausländischen<br />

Zivilisten zuständig. Stetig arbeiteten<br />

die Juristen der Wehrmacht dabei an<br />

Novellierungen des althergebrachten<br />

Militärstrafrechts und setzten neben der<br />

verstärkten Politisierung der Tatbestände<br />

sowie der Rechtsprechung auch auf eine<br />

Einbeziehung derjenigen Schlüsse, die sie<br />

aus der Tätigkeit von Militärstrafgerichten<br />

während des Ersten Weltkrieges gezogen<br />

hatten. Dazu gehörte die Möglichkeit, dass<br />

Kriegsgerichte auch in der Form eines<br />

sogenannten Standgerichts Prozesse<br />

führen konnten. Die Bedeutung von<br />

Standgerichten lag in erster Linie in der<br />

Gelegenheit, sofort – das heißt an Ort und<br />

Stelle – urteilen zu können, also ohne langwierige<br />

Ermittlungen abzuwarten, und<br />

darin, das Urteil im Anschluss an die Verhandlung<br />

auch umgehend vollstrecken zu<br />

lassen, statt eine Bestätigung durch eine<br />

hohe Kommandoebene oder gar ein Gnadenverfahren<br />

abzuwarten. Diese Schnellgerichte<br />

waren entsprechend von der NS-<br />

Führung als wirkungsvolles Mittel hochgeschätzt,<br />

um in als krisenhaft angesehenen<br />

Situationen für eine nachhaltige Disziplinierung<br />

zu sorgen. Insbesondere ab Herbst<br />

1944 wurden Standgerichte daher zunehmend<br />

in dem Glauben genutzt, die<br />

schwankenden und ständig bedrohten<br />

Fronten zu stabilisieren – vor allem durch<br />

die massive Aussprache von Todesstrafen.<br />

Neben dem strafenden Charakter hatten<br />

sie nun auch vornehmlich abschreckend<br />

zu wirken. Nachdem sich die Kämpfe mehr<br />

und mehr auf deutschen Boden verlagert<br />

hatten, sollten die harten Urteile nicht<br />

Lesenswertes<br />

Peter Kalmbach -<br />

Wehrmachtsjustiz<br />

Geheime Feldpolizei, Wehrmachtsgefängnisse,<br />

Sondereinheiten, Straflager,<br />

Bewährungsbataillone - die Justizorganisation<br />

der Wehrmacht unterhielt ein weitverzweigtes<br />

System, um Verfolgte zu bestrafen<br />

und zu brandmarken. Zehntausende<br />

Todesurteile und Hunderttausende Freiheitsstrafen<br />

sind das Resultat dieses Apparates,<br />

dessen Machtfülle sogar die Kompetenzen<br />

des Justizministeriums mit seinen<br />

politischen Sondergerichten übertraf.<br />

Die Studie beschäftigt sich mit dem Aufstieg<br />

der Wehrmachtjustiz und den fieber-<br />

Drei Männer stehen in einem Garten vor einem<br />

Standgericht. Diese undatierte Aufnahme stammt<br />

aus einem privaten Album und trägt nur den Hinweis<br />

„Kriegsgericht“. Wo sie entstand, ist unklar. Allerdings<br />

ist sie ein seltenes Dokument, denn Fotografieren<br />

war während der Verhandlungen verboten<br />

allein durch Bekanntmachungen verbreitet<br />

werden, sondern nun kam es auch darauf<br />

an, dass die Gerichteten für viele – Soldaten<br />

und Zivilisten – sichtbar gemacht wurden.<br />

An etlichen Orten konnte man nun<br />

Tote sehen, die, wie zur Schau gestellt, eindringlich<br />

an die starre Einhaltung gegebener<br />

Durchhaltebefehle mahnen sollten.<br />

Zivile, Sonder- und<br />

fliegende Standgerichte<br />

wurden eingesetzt<br />

Ab Februar 1945 vervielfältigte sich<br />

dann diese maßlose Justiz: Neben die bis<br />

dahin bestehende Möglichkeit, dass Regiments-<br />

oder Divisionskommandeure solche<br />

Tribunale einsetzen konnten, kamen in<br />

den folgenden Wochen -zig weitere ähnliche<br />

Einrichtungen hinzu. Nicht nur SSund<br />

Polizei-, sondern auch „zivile“ Standgerichte<br />

wurden eingesetzt; hinzu kamen<br />

Sonder- und „fliegende“ Standgerichte,<br />

die praktisch für sich, losgelöst von militärischen<br />

Verbänden, durch die Gegend<br />

zogen und Todesurteile aussprachen. So<br />

gab es beispielsweise ein von Großadmiral<br />

Dönitz eingesetztes „fliegendes Standgericht<br />

für die Wehrmacht“, das im gesamten<br />

norddeutschen Raum tätig war. Auch<br />

Kommandanten von strategisch wichtigen<br />

Straßen, von Ortschaften, selbst von<br />

Brücken hatten nun Richter bei sich, um<br />

Fahnenflüchtige – häufig waren es nur Versprengte<br />

– , „Wehrkraftzersetzer“ und<br />

andere zu richten. Die Toten lagen<br />

erschossen neben den Wegen oder hingen<br />

an Bäumen und Laternen. Meistens hatten<br />

sie ein Schild um den Hals, das ihr angebliches<br />

Vergehen anprangerte und jeden<br />

Vorbeikommenden einschüchtern sollte.<br />

So geschah es auch im April 1945 in Tarmstedt,<br />

wo – je nach Wahrnehmung einzelner<br />

Zeitzeugen – ein, zwei oder gleich<br />

mehrere Landser im Ort und/oder an der<br />

Einfallstraße hingen. Selbiges geschah in<br />

Osterholz-Scharmbeck, in Seedorf, in<br />

Nordholz und in -zig anderen deutschen<br />

Dörfern, Städten und Landstrichen<br />

Deutschlands. Diese „Urteile“ wurden nur<br />

in seltenen Fällen noch schriftlich dokumentiert,<br />

häufig wurden den Toten die<br />

Erkennensmarken abgenommen, sodass<br />

Angehörige bis jetzt im Unklaren über<br />

deren Schicksal belassen wurden. Überhaupt<br />

gibt es kaum Anhaltspunkte, in welchem<br />

Umfang und an welchen einzelnen<br />

Orten derartige Gerichte Exekutionen<br />

anordneten.<br />

Tausende von Menschen haben das Wirken<br />

dieser Kriegs- und Standgerichte erleben<br />

müssen. Wer darüber berichten kann<br />

und mag, kann durch jeden Hinweis zur<br />

Aufklärung beitragen und wird gebeten,<br />

sich zu wenden an Peter Kalmbach, Fliederweg<br />

9, 26919 Brake, E-Mail peter.kalmbach@gmx.de,<br />

Tel. 04401/7079731 oder<br />

0421/244442040. Vertraulichkeit ist dabei<br />

selbstverständlich.<br />

Peter Kalmbach<br />

haft betriebenen Mobilmachungsplänen<br />

der „furchtbaren Juristen“ bis zum blutigen<br />

Finale, in dem die vorherigen Schreibtischtäter<br />

sich zum Teil persönlich als Richter<br />

und Henker gleichzeitig betätigten.<br />

Erschienen im Metropol Verlag , Berlin<br />

ISBN: 978-3-86331-053-0<br />

Der Autor:<br />

Peter Lutz Kalmbach, Dr. jur, geboren<br />

1976 in Stade, 1996 Abitur, kaufmännische<br />

Ausbildung, 2000-2005 Studium der<br />

Rechts- und Wirtschaftswissenschaften,<br />

2007-2009 Rechtsrefendariat, 2009 Promotion,<br />

seit 2008 Lehrbeauftragter an der<br />

Universität Bremen, seit 2010 als Rechtsanwalt<br />

tätig.<br />

Tim Wöbbeking<br />

30 RUNDBLICK Frühjahr 2013


Lesenswertes<br />

Stalag XB Sandbostel<br />

Die nunmehr 4. Auflage des Buches<br />

Stalag XB Sandbostel, erschienen im Temmen-Verlag<br />

in Bremen, ist nun mit einem<br />

ergänzenden Anhang von Andreas Ehresmann<br />

und Klaus Volland im Buchhandel<br />

erhältlich.<br />

Das Buch schildert das Schicksal von<br />

mehr als einer Million internierter Menschen<br />

aus 45 Ländern, größtenteils aus der<br />

Sowjetunion. Das Lager Sandbostel, ca. 15<br />

Minuten Autofahrt von Gnarrenburg entfernt,<br />

erschreckt noch heute durch die Vielzahl<br />

der präsenten Baracken. Unerwartet<br />

tauchen die Baracken unweit der Landstraße<br />

auf und lassen nur erahnen, welches<br />

Grauen sich hier zur Nazizeit abgespielt hat.<br />

Dass hier im April 1945 auch ein Gefangenenlager<br />

für 10.000 KZ-Insassen war,<br />

von denen Tausende den Tod fanden und<br />

unter menschenunwürdigen Bedingungen<br />

lebten, ist vielen Menschen ein noch immer<br />

unbekanntes Geheimnis düsterster Vergangenheit<br />

und zeigt, dass es auch in unserer<br />

Sehenswertes<br />

Liebeserklärung an die <strong>Heimat</strong><br />

Auf ganz beeindruckende Weise stellt<br />

<strong>Heimat</strong>-<strong>Rundblick</strong>-Redakteur Wilko Jäger<br />

auf einer Foto-DVD die Gemeinde Schwanewede<br />

vor. In professionellen Fotos zeigt<br />

er dabei die einzelnen Ortschaften mit<br />

historischen Bauernhöfen, Herrenhäusern<br />

und den oft noch dörflich geprägten Ortskernen<br />

sowie die Vielfältigkeit der Landschaft<br />

mit Buchenwäldern, einsamen<br />

Bächen, weiten Wiesen sowie Deichen und<br />

Stränden vor.<br />

Die unmittelbare Nähe zur Weser verleiht<br />

dieser Region einen maritimen Touch, der<br />

mit der weiten Landschaft und den noch<br />

großen, unverbauten Flächen einen ganz<br />

besonderen Charme versprüht.<br />

Hörenswertes<br />

Hohehorst auf DVD<br />

In dem von August Hoinka herausgegebenen<br />

Film von 68 Minuten Dauer wird<br />

dem Betrachter vieles aus der wechselvollen<br />

Geschichte des einst so prächtigen<br />

Gutes Hohehorst nähergebracht. Dabei<br />

berichtet Hans-Werner Liebig vieles über<br />

die Beweggründe der Familie Lahusen,<br />

warum sie ein für damalige Verhältnisse so<br />

modernes Gutshaus und Unternehmen<br />

mit Ländereien, Fischzucht und Schweinezucht<br />

errichtet haben.<br />

Hans-Werner Liebig geht auch auf die<br />

einstige Pracht des Anwesens und die Folgezeit<br />

ein und zeigt dabei seltene Fotos<br />

aus vergangenen Tagen. Auch wird über<br />

den heutigen Zustand und den Zerfall der<br />

RUNDBLICK Frühjahr 2013<br />

Region Menschen vernichtende Lager gab.<br />

Die Autoren Werner Borgsen und Klaus<br />

Volland haben in diesem Buch alles zusammengetragen,<br />

was Befragungen zahlreicher<br />

Zeitzeugen und die Sichtung von Originaldokumenten<br />

nach sorgfältiger Recherche<br />

ans Tageslicht befördert haben.<br />

Dabei schildern die Autoren die Vorkommnisse<br />

im Lager zwischen 1939 und<br />

1945 und zeigen erstmalig in diesem Buch<br />

veröffentlichte Fotos, Texte und Doku-<br />

Wilko Jäger geht auch auf die Menschen<br />

ein, die versuchen, diese Landschaft mit<br />

ihren alten Ortskernen zu erhalten und auf<br />

die damit verbundenen Schwierigkeiten.<br />

Die Vermaisung der Kulturlandschaft, der<br />

Bau von Biokraftanlagen und die Entste-<br />

Parkanlagen, notwendige Investitionen<br />

am Herrenhaus und verlorengegangene<br />

Schätze aus Park und Herrenhaus berichtet.<br />

Mit seltenen Innenaufnahmen werden<br />

die Pracht von damals und der üppige<br />

Luxus für kurze Zeit wieder lebendig. Doch<br />

Hans-Werner Liebig erzählt auch von dem<br />

mente. Auf 308 Seiten liest man von<br />

der Entwicklung des Lagers, von der<br />

Ernährung der Insassen, vom Arbeitseinsatz<br />

der Kriegsgefangenen, von unterschiedlicher<br />

Behandlung der Nationalitäten, von<br />

missglückten Fluchten, Bestrafungen und<br />

von der Überlebensstrategie der Gefangenen.<br />

Erschreckende Fotos zeigen verhungerte<br />

Menschen und Leichenkommandos<br />

auf dem Weg zu den Massengräbern.<br />

In einem weiteren Kapitel behandelt das<br />

Buch die Befreiung des Lagers durch britische<br />

Truppen und den Zwangsdienst der<br />

Bewohner der umliegenden Dörfer, welche<br />

zur Pflege der ehemaligen Insassen und zum<br />

Ausheben von Massengräbern herangezogen<br />

wurden. Auf welche Weise sich die ehemaligen<br />

Lagerinsassen an der Bevölkerung<br />

der umliegenden Ortschaften rächten, wird<br />

in diesem Buch ebenfalls geschildert.<br />

Das Buch Stalag XB Sandbostel ist im<br />

Temmen-Verlag erschienen mit 308 Seiten<br />

und 137 Abbildungen im Format 17 x<br />

24 cm mit Hardcover-Einband und im<br />

Buchhandel zum Preis von 19,90 Euro<br />

erhältlich (ISBN 978-3-926958-65-5).<br />

Tim Wöbbeking<br />

hung von Windkraftanlagen verändern<br />

auch hier zunehmends das Gesicht der<br />

Landschaft. Die DVD „<strong>Heimat</strong> zwischen<br />

Geest und Strom“ zeigt ausführlich und<br />

informativ die Gemeinde Schwanewede<br />

mit all ihren Attrraktionen, beschreibt deren<br />

Entwicklung und geht auch auf Geschichtliches<br />

ein. Der Betrachter dieser DVD wird<br />

mit Sicherheit noch viele neue Gesichter<br />

dieser Region entdecken.<br />

<strong>Heimat</strong>forscher Wilko Jäger und die Sprecher<br />

Marie Rubach und Peter Otto haben<br />

hier ein sorgfältig abgestimmtes Werk<br />

erstellt, welches als sehr sehenswert eingestuft<br />

werden kann.<br />

Erhältlich ist diese DVD in der Buchhandlung<br />

„Lesezeichen in Schwanewede“.<br />

Tim Wöbbeking<br />

einstigen Schloss, welches nach nur knapp<br />

60-jährigem Bestehen dem neuen Herrenhaus<br />

weichen musste. In einem spannenden<br />

Rundgang werden die einst zum Gut<br />

gehörenden Höfe, Stallungen und Gutshäuser<br />

vorgestellt und über die Nutzung<br />

von damals bis in die Gegenwart berichtet.<br />

Der gelungenen DVD liegt eine Kurzhistorie<br />

über Höhen und Tiefen des Guts Hohehorst<br />

bei.<br />

Dem Engagement von Hans-Werner Liebig<br />

ist es zu verdanken, dass heute so viel<br />

Wissenswertes über Hohehorst erhalten<br />

geblieben ist.<br />

In Kürze wird noch ein zweiter Teil des<br />

Films zu erwarten sein.<br />

Die DVD ist zum Preis von 12 Euro bei<br />

Hans-Werner Liebig (Tel. 0421-622273)<br />

und bei August Hoinka (Tel. 0421-601853)<br />

erhältlich. Tim Wöbbeking<br />

31


„Wo die dunklen Tannen ragen …“<br />

„Auf die Berge will ich steigen, „Lebet wohl, ihr glatten Säle !<br />

wo die dunklen Tannen ragen, Glatte Herren ! Glatte Frauen !<br />

Bäche rauschen, Vögel singen, Auf die Berge will ich steigen,<br />

und die stolzen Wolken jagen.“ lachend auf euch niederschauen.“ (Heinrich Heine (1797–1856),<br />

aus „Die Harzreise“ 1824)<br />

Der <strong>Heimat</strong>verein Lilienthal lud zu einer<br />

Ton-Dia-Schau mit <strong>Heimat</strong>-<strong>Rundblick</strong>-<br />

Redakteur Wilko Jäger in den Schroetersaal<br />

von Murkens Hof ein. Und der Lehrer im<br />

(Un-)Ruhestand, Autor, Fotograf und <strong>Heimat</strong>forscher<br />

aus Meyenburg versprach<br />

den Zuhörern und Zuschauern eine Harzreise<br />

durch Geschichte und Gegenwart.<br />

Es wurde eine gelungene Veranstaltung<br />

mit vielen stimmungsvollen Bildern und<br />

ebensolchen Texten. 300 großformatige<br />

Dias des Fotografen Jäger, eingeteilt in vier<br />

Abschnitte, untermalt mit Texten des<br />

Autors Jäger, mit Anleihen bei Goethe,<br />

Heine und anderen deutschen Romantikern,<br />

gesprochen von professionellen<br />

Sprechern, vermittelten Wissens- und<br />

Sehenswertes. Und es gab auch reichlich<br />

Balsam für Auge und Seele. Es kamen Erinnerungen<br />

auf an Klassenfahrten in der<br />

Jugendzeit mit romantischen Erlebnissen<br />

und belebten den Wunsch, doch wieder<br />

eine Harzreise zu unternehmen.<br />

Der Vortrag begann mit einem Einblick<br />

in die reiche Geschichte und in die<br />

eindrucksvolle Geologie des Harzes,<br />

beschrieb den Wasserreichtum und die<br />

Bergwälder des Harzes, bestehend aus hellen,<br />

lichtdurchfluteten Laub- und dunklen,<br />

gespenstischen Nadelwäldern.<br />

Der Harz ist ein Hochgebirge mitten im<br />

Flachland der Norddeutschen Tiefebene<br />

und zeigt in seiner geologischen Zusammensetzung<br />

eine Vielfalt, wie kein anderes<br />

Gebirge in Mitteleuropa. Hier finden<br />

wir die „klassische geologische Quadratmeile“.<br />

Senkrecht gestellte Gesteins-<br />

Teufelsmauer bei Blankenburg<br />

schichten durchstoßen die Erdoberfläche<br />

und ermöglichen spannende Einblicke in<br />

die Erdgeschichte. Der Harz wurde im Verlaufe<br />

der Erdgeschichte in seiner Entstehung<br />

„mehrfach angehoben, abgetragen,<br />

gesenkt und überflutet.“<br />

Der Harz zeichnet sich durch eine Vielfalt<br />

landschaftlicher Formen aus. Es gibt weite<br />

Buchenwälder und düstere Fichtenwälder,<br />

schroffe Felsklippen, rauschende Wasserfälle,<br />

tief eingeschnittene Flusstäler, sanfte<br />

Hochebenen mit weiten Wiesenflächen,<br />

einsame Hochmoore mit blühendem Wollgras<br />

und schwankendem Boden, über 70<br />

Teiche aus alter Bergbauzeit, 17 Talsperren<br />

und Stauseen der heutigen Wasserwirtschaft,<br />

zahlreiche Aussichtspunkte mit Fernblicken<br />

von unbeschreiblicher Schönheit<br />

und 7 „kleinste Städte“ mit dem Privileg<br />

„Bergstadt“: Altenau, Clausthal, Grund,<br />

Lautenthal, St. Andreasberg, Wildemann,<br />

Zellerfeld.<br />

Im 10. Jahrhundert<br />

Mittelpunkt des Reiches<br />

Durch die exponierte Lage des Harzes,<br />

durch Wasser-, Holz-, Wildreichtum, durch<br />

Bodenschätze und Bergbau blickt die Harzregion<br />

auf eine lange Geschichte zurück.<br />

Viele germanische Stammesverbände<br />

haben hier Spuren hinterlassen. Thüringer,<br />

Sachsen, Franken besiedelten das Harzgebirge<br />

und im Mittelalter, im 10. Jahrhundert,<br />

war der Harz gar Mittelpunkt des<br />

Deutschen Reiches. Dem sächsischen Herzog<br />

Heinrich I. (876-936) wurde hier 919<br />

beim Vogelfang im Harz von den deutschen<br />

Fürsten die Königswürde angetragen.<br />

(Ballade: „Heinrich der Vogler“) Sein<br />

Sohn, der spätere Otto der I. oder Otto der<br />

Große (912-973) wurde hier geboren.<br />

Heinrich der II. (973-1024), ein Urenkel<br />

von Heinrich dem I., wurde 1014 vom<br />

Papst zum römisch-deutschen Kaiser<br />

gekrönt. Die Ottonen, dann die Salier, später<br />

verschiedene Grafengeschlechter und<br />

Fürstenhäuser, wie die Welfen und Anhalter,<br />

gründeten ihre Macht auf die Erzbergwerke<br />

im Harz, wie beispielsweise den<br />

Rammelsberg bei Goslar (seit 968).<br />

Hier entstand das „Gesetzbuch“<br />

des Mittelalters<br />

Im Harz entstand auch das „Gesetzbuch“<br />

des Mittelalters. Von 1220-1230<br />

verfasste der Edelmann Eike von Repgow<br />

den „Sachsenspiegel“ auf der Burg Falkenstein<br />

über dem Selketal im Ostharz.<br />

Die Harzregion ist reich an Sagen und<br />

Geschichten, an Mythen und Poesie und<br />

der Harz ist in der deutschen Kulturgeschichte<br />

fest verankert. Der Harz und der<br />

Brocken, der höchste Gipfel des Harzes,<br />

hinterließen Spuren bei Goethe, Schiller<br />

und Heine, aber auch bei Eichendorff,<br />

Fichte, Gleim, Hoffmann, Klopstock, Koch,<br />

Leibniz, Löns, Novalis (Hardenberg), Telemann,<br />

Riemenschneider. Goethes literarische<br />

und wissenschaftliche Bereisungen<br />

des Harzes 1777, 1783, 1784 lieferten<br />

Anregungen, die von ihm in seinem „Doktor<br />

Faust“ verarbeitet wurden und der<br />

Brocken ging mit der Walpurgisfeier und<br />

als Blocksberg in die Literatur ein.<br />

Zur Kulturgeschichte des Harzes<br />

gehören jedoch auch die der bedeutenden<br />

Pfalz- und Klosterbauten. Dazu zählen die<br />

Pfalz Goslar und Werla am Rand des Harzes<br />

und die Klöster Walkenried (1129), auch<br />

bekannt geworden durch die Zerstörung<br />

1525 während des Bauernkrieges (Thomas<br />

Münzer), Wendhausen (9. Jh.), Drubeck<br />

(10. Jh.), Ilsenburg (11. Jh.), Himmelpforten<br />

(1253), bekannt durch einen Besuch<br />

Martin Luthers im August 1517 und durch<br />

Plünderung im Bauernkrieg 1525. .<br />

Durch den Vortrag zog sich wie ein kleiner<br />

roter Faden die Heine´sche „Harzreise“,<br />

unterlegt mit stimmungsvollen und<br />

zum Teil außergewöhnlichen Fotografien<br />

von Wilko Jäger, die die eindrucksvolle<br />

Natur des Harzes und die anheimelnde<br />

Gemütlichkeit in den Harzstädten treffend<br />

wiedergaben.<br />

32 RUNDBLICK Frühjahr 2013


Schloss und Stiftskirche in Quedlinburg<br />

Das waren nach Heine „die bunten<br />

Fäden, die so hübsch hineingesponnen<br />

sind, um sich im Ganzen harmonisch zu<br />

verschlingen“.<br />

Heinrich Heines literarischer Reisebericht<br />

„Die Harzreise“ beschreibt „mit brillianter<br />

Erzählkunst“ die Wanderung des Dichters<br />

als junger Student durch den Harz im Jahre<br />

1824. Diese Reise ging von Göttingen aus<br />

gen Norden und führte über Nörten und<br />

Hardenberg nach Osterode, Clausthal und<br />

Zellerfeld, Goslar und zum nahen Rammelsberg.<br />

Dann zum und über den Brocken<br />

mit Aufstieg und Übernachtung, ging weiter<br />

nach Osten nach Ilsenburg, Wernigerode,<br />

Elbingerode und über Rübeland, Treseburg<br />

nach Harzgerode. Von dort aus<br />

wandte er sich nach Süden und kam über<br />

Roßla und Kelbra, mit einem Abstecher<br />

zum Kyffhäuser zur berühmten Rotheburg<br />

und Burg Kyffhausen, nach Sangerhausen.<br />

Heine fing 1824 mit „liebevollen Worten“,<br />

„voller Witz und Ironie“, aufgelockert<br />

durch einige Gedichte den „Zauber des<br />

Harzes“ ein. Beispiel sind die Schilderungen<br />

der Natur in den Flusstälern des Harzes,<br />

in dem der „lieben, süßen Ilse“, der<br />

Selke, dieser „schönen, liebenswürdigen<br />

Dame“, der „herrlichen Bode“. In „Die<br />

Harzreise“ wird schon der kommende<br />

literarische Stil von Heinrich Heine erkennbar,<br />

bestehend aus „romantischen Sehnsüchten<br />

und Enttäuschungen, Illusionen<br />

und Ironien“. Er arbeitete später als „kritischer,<br />

politisch engagierter Journalist,<br />

Essayist, Satiriker“. „Er brachte Lyrik in die<br />

Alltagssprache und ließ der deutschen<br />

Literatur eine nie zuvor gekannte Leichtigkeit<br />

zuteil werden.“ Heine wurde einer der<br />

größten deutschen Dichter und Journalisten<br />

des 19.Jahrhunderts und zählt zu den<br />

letzten Dichtern der deutschen Romantik.<br />

Wilko Jäger fasste zusammen: Seit dem<br />

Mittelalter waren im Harz Bergbau und<br />

Köhlerei, der Holzabbau und die Wasserwirtschaft<br />

die wirtschaftliche Grundlage.<br />

RUNDBLICK Frühjahr 2013<br />

Stabkirche in Hahnenklee<br />

Schloss und Stiftskirche in Quedlinburg<br />

Heute Tourismus wichtiger<br />

Wirtschaftszweig<br />

Im 18. Jahrhundert kamen die Forstwirtschaft<br />

und kleine Industriebetriebe<br />

hinzu und im 19.Jahrhundert mit dem<br />

wohlhabenden Bürgertum das Bäder- und<br />

Wanderwesen, man fuhr in den Harz zur<br />

„Sommerfrische“. Heute ist der Tourismus<br />

ein wichtiger Wirtschaftszweig im Harz.<br />

Wilko Jäger wusste in Wort und Bild über<br />

weitere Sehenswürdigkeiten im Harz zu<br />

berichten. Über die 1897 erbaute kleinste<br />

Holzkirche Deutschlands im kleinen Harzort<br />

Elend, über die 1637 bis 1642 erstellte<br />

größte Holzkirche Mitteleuropas in Clausthal-Zellerfeld<br />

und über die 1908 fertiggestellte<br />

nordische Stabkirche in Goslar-Hahnenklee.<br />

Er berichtete über die in den letzten<br />

Jahren auch weltweit beachteten<br />

Sehenswürdigkeiten des Harzes, die als<br />

Weltkulturerbe mit dem Titel „UNESCO-<br />

Welterbe“ ausgezeichnet wurden. Dazu<br />

avancierten 1992 der Rammelsberg und<br />

die Altstadt Goslar, 1994 die Stadt Quedlinburg,<br />

als eines der größten Flächendenkmale,<br />

und 2010 das Kloster Walkenried<br />

und die Oberharzer Wasserwirtschaft,<br />

das „Harzer Wasserregal“.<br />

Zur Wasserwirtschaft und zum Tourismus<br />

im Harz gehören heute nicht nur das „Harzer<br />

Wasserregal“ mit den sich durch den<br />

Harz ziehenden Wasserkanälen und Teichen<br />

aus historischer Bergbauzeit (Oderteich),<br />

sondern auch die neuzeitlichen Talsperren<br />

und Stauseen, die vor allem in den 1930er<br />

Jahren und nach dem Kriege in den 50er<br />

und 60er Jahren errichtet wurden. Dazu<br />

gehören die Sösetalsperre (1928-1931),<br />

Odertalsperre (1931-1933), Eckertalsperre<br />

(1938-1942), Okertalsperre (1952-1956),<br />

Innerste-Talsperre (1963-1966), Granetalsperre<br />

(1966-1969). Eingebettet in die<br />

umliegende Landschaft geben diese<br />

großen Wasserflächen stimmungsvolle und<br />

malerische Bilder. Auch das bewiesen die<br />

Fotos von Wilko Jäger an diesem Abend.<br />

Text: Johannes Rehder-Plümpe<br />

Bilder: Wilko Jäger<br />

33


Ein Lesumer als Delegierter beim „Tag der<br />

Deutschen Einheit 2012“ in München<br />

Man hätte es wie einen Lottogewinn<br />

empfinden können, als Mitte Juli 2012 die<br />

Einladung zur Teilnahme an den offiziellen<br />

Feierlichkeiten zum „Tag der Deutschen<br />

Einheit“ aus dem Bremer Rathaus eintraf.<br />

Zuerst ist man unsicher, ob das auch seine<br />

Richtigkeit hat und man fragt sich, was der<br />

Anlass sein könnte für diese ehrenvolle Einladung.<br />

Bei einer Vorbesprechung im Bremer<br />

Rathaus am 6. September wurde von der<br />

Protokollchefin der Senatskanzlei das<br />

umfangreiche Programm in München<br />

erläutert und auf den hochoffiziellen Charakter<br />

der Veranstaltungen hingewiesen. In<br />

einer Teilnehmerliste war kurz vermerkt,<br />

durch welche Aktivitäten jeder Einzelne<br />

aufgefallen war, die dann zu den Einladungen<br />

führten.<br />

„Schreiberei“ gab<br />

den Ausschlag<br />

Meine Schreiberei, Vorträge und die<br />

Anregung, in Lesum ein Gräfin-Emma-<br />

Denkmal zu schaffen, gaben wohl den<br />

Ausschlag.<br />

Am Dienstag, dem 2. Oktober, fuhren<br />

wir frühmorgens vom Bremer Hauptbahnhof<br />

Richtung Süddeutschland, 11 Bremer<br />

und 4 Bremerhavener. Nach einer sechsstündigen<br />

Fahrt im ICE trafen wir gegen<br />

Mittag in München ein. Auf dem dortigen<br />

Hauptbahnhof erwartete uns eine hübsche<br />

ortskundige Gästeführerin, die in einem<br />

Dirndlkleid freundlich lächelnd mit einer<br />

kleinen Bremenfahne wedelte. Ein Bus<br />

brachte uns zum Hilton-Hotel am Tucherpark.<br />

Den überreichten Einladungsschreiben<br />

nach waren die Delegationen zuerst vom<br />

bayrischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer<br />

ab 16.00 Uhr zu einer Brotzeit im<br />

Hofgarten eingeladen. Die Tischreihe war<br />

Empfang beim Bundespräsidenten<br />

über 100 m lang, bestückt mit Brot aus<br />

allen Bundesländern, sowie verschiedene<br />

Käse- und Wurstauflagen auf großen Holzplatten<br />

aus der süddeutschen Region. Bier<br />

und Wein wurde je nach Wunsch ausgeschenkt<br />

und Horst Seehofer und einige seiner<br />

Minister waren mittendrin.<br />

Die Stimmung war fröhlich, das Wetter<br />

konnte nicht besser sein und die Münchener<br />

Politiker beim Gespräch locker, volksnah<br />

und zum Anfassen.<br />

Staatsminister Thomas Kreuzer, Leiter<br />

der bayerischen Staatskanzlei, hatte zu<br />

einem Empfang in die BMW-Welt eingeladen.<br />

Aus bayerischer Sicht war das ein<br />

wichtiger Programmpunkt, denn hier<br />

konnte man die neuesten und auch die<br />

teuersten Automobile bewundem und sich<br />

über die Geschichte der Bayerischen<br />

Motoren Werke informieren.<br />

Ein kurzer Gang zum nahen Olympiaturm<br />

war notwendig, um in zwei großen<br />

Personenaufzügen auf den etwa 190 m<br />

hohen Aussichtsrundgang zu gelangen.<br />

Die Gesamthöhe des Olympiaturms beträgt<br />

290 m. Mit einem unbeschreiblichen<br />

Blick von oben auf das Lichtermeer dieser<br />

rund 1,4 Mio. Einwohner zählenden Stadt,<br />

endete gegen 22.00 Uhr der erste Tag in<br />

der bayrischen Hauptstadt.<br />

Der 3. Oktober, der eigentliche Anlass<br />

unserer Reise, stand ganz im Zeichen der<br />

Feier der deutschen Einheit. 2.500 Polizeibeamte<br />

sorgten für die Sicherheit der Festteilnehmer.<br />

Auf Einladung des Erzbischofs Reinhard<br />

Kardinal Marx und des Landesbischofs der<br />

Evangelisch-Lutherischen Kirche, Heinrich<br />

Bedford-Strohm, war ab 10.00 Uhr ein<br />

ökumenischer Gottesdienst in der St.<br />

Michaels-Kirche anberaumt. Zuvor aber<br />

mussten die Eingeladenen durch Kontrollen<br />

und von Polizei gesicherte Straßen<br />

gehen. Um 9.00 Uhr mussten die Plätze<br />

eingenommen sein.<br />

Die Jesuiten-Kirche St. Michael, die im<br />

HB-Bildatlas als die größte Renaissance-Kirche<br />

nördlich der Alpen beschrieben wird,<br />

wurde in den Jahren 1583 -1597 erbaut.<br />

Für geschichtsinteressierte Bremer ist es<br />

bemerkenswert, wenn auswärts Hinweise<br />

auf unsere alte Hansestadt zu finden sind,<br />

so auch in diesem Gotteshaus. Noch weit<br />

vor Beginn der Hansezeit wurden im Jahre<br />

965 die Gebeine der beiden Arztheiligen<br />

Cosmas und Damian als Reliquien von<br />

Rom nach Bremen gebracht. Hier war man<br />

sich im Laufe der Zeit der Bedeutung der<br />

Reliquien nicht voll bewusst, denn sie verschwanden<br />

im Bremer Dom hinter einer<br />

Mauer. Um 1400, durch einen Zufall entdeckt,<br />

wurde im Auftrag des Bürgermeisters<br />

Johann Hemling - der auch den Bremer<br />

Roland mitfinanziert hat - ein silbervergoldeter<br />

Reliquienschrein angefertigt,<br />

der das kostbarste Stück des Domschatzes<br />

war. Das Domkapitel allerdings war auf<br />

Geld bedacht und verkaufte den Reliquienschrein<br />

1648 an Kurfürst Maximilian<br />

von Bayern, der ihn 1649 in die Münchener<br />

St. Michaels-Kirche überführen ließ.<br />

Dort ist er noch heute zu sehen. Auf einer<br />

kleinen Messingplatte ist die Herkunft aus<br />

Bremen kurz beschrieben.<br />

Text von Rudolf Alexander<br />

Schröder, Melodie von<br />

Christian Lahusen<br />

Nun aber zum Gottesdienst, der mit<br />

einer Bläserintrade und dem gemeinsam<br />

gesungenen Lied „Nun danket alle Gott<br />

...“ begann. Es folgten ein liturgischer<br />

Gruß, Psalmenworte, Lesung und das Lied<br />

„Wir glauben Gott im höchsten Thron ...“,<br />

Text: Rudolf Alexander Schröder, Melodie:<br />

Christian Lahusen. Beide Namen sind mit<br />

Bremen eng verbunden. Nach der Predigt,<br />

natürlich dem Tag angepasst, sangen Chor<br />

Unser Redaktionsmitglied Rudolf Matzner (r), Kurt Beck (Mitte) und der Bremer<br />

Muritala Awolola<br />

34 RUNDBLICK Frühjahr 2013


und Kirchenbesucher „Großer Gott, wir<br />

loben Dich ...“.<br />

Auf dem anschließenden Weg zum<br />

Nationaltheater standen zahlreiche<br />

Zuschauer hinter der Absperrung, grüßten,<br />

fotografierten und zeigten sich in<br />

fröhlicher Stimmung. Abermals über einen<br />

roten Teppich gehend, betrat man einen<br />

Prachtbau, der in den Jahren 1811-1818<br />

errichtet und im letzten Weltkrieg zerstört<br />

worden ist. 1963 im alten Glanz wieder<br />

eröffnet, zählt das Haus mit seinen 2100<br />

Plätzen und fünf Rängen zu den größten<br />

Opernhäusern Europas.<br />

Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer<br />

war in seiner lockeren Art bemüht, bei<br />

der Begrüßung auch niemand von den<br />

vielen prominenten Gästen zu vergessen.<br />

Das Bayerische Staatsorchester und im<br />

Hintergrund der Chor des Opernhauses,<br />

sorgten für die musikalische Begleitung.<br />

Bundestagspräsident Norbert Lammert<br />

erinnerte in seiner Festansprache, wie sehr<br />

wir Deutschen dankbar sein können, dass<br />

die deutsche Wiedervereinigung unblutig<br />

herbeigeführt worden ist. Genauso wichtig<br />

sei es nun, ein vereintes Europa anzustreben.<br />

Es waren wohl- und gutgesetzte<br />

Termine der<br />

<strong>Heimat</strong>vereine<br />

Findorff-<strong>Heimat</strong>verein Grasberg<br />

Findorff-Hof Grasberg, Am Schiffgraben 7<br />

Kontakt: Hilde Bibelhausen<br />

Tel.: 04208 / 12 44<br />

Sonntag, 28. April 2013<br />

15.00 Uhr, Kaffeenachmittag, Findorff-<br />

Hof Grasberg<br />

Donnerstag, 9. Mai 2013<br />

10.0 Uhr, Plattdeutscher Himmelfahrts-<br />

Gottesdienst, Findorff-Hof Grasberg<br />

Sonntag, 26. Mai 2013<br />

15.00 Uhr, Kaffeenachmittag mit den<br />

Plattsnackers, Findorff-Hof Grasberg<br />

Sonntag, 30. Juni 2013<br />

15.00 Uhr, Kaffeenachmittag, Findorff-<br />

Hof Grasberg<br />

<strong>Heimat</strong>verein Lilienthal e.V.<br />

Klosterstraße 16 b, 28865 Lilienthal, Tel.:<br />

04298 / 60 11<br />

Mittwoch, 10. April 2013<br />

20.00 Uhr, „Im nassen Dreieck – Zwischen<br />

Hamburg und Bremen 1866 –<br />

1959“, Filmabend, <strong>Heimat</strong>museum, Klosterstraße<br />

16 B, Info-Telefon 04298 / 54 72 (K.-H.<br />

Sammy)<br />

RUNDBLICK Frühjahr 2013<br />

Worte, die Beifall verdienten. Ein großer<br />

Kinderchor sang ein altes deutsches Volkslied<br />

und erntete viel Applaus. Abschließend<br />

wurden die bayerische Staatshymne<br />

und danach das Deutschlandlied<br />

gesungen. Ich kann nicht verhehlen, dass<br />

das bei vielen Anwesenden unter die Haut<br />

ging und der Festakt als eine würdige Veranstaltung<br />

empfunden wurde. Man war<br />

emotional berührt.<br />

Und dann begann der Empfang der<br />

Gäste und der Bürgerdelegationen beim<br />

Bundespräsidenten. Die schlossähnlichen<br />

großen Räume boten einen exzellenten<br />

Rahmen für viele Begegnungen, Händeschütteln<br />

und zwanglose Gespräche. Der<br />

Bundespräsident Joachim Gauck hielt eine<br />

kurze Rede.<br />

Oft und viel wurde fotografiert und als<br />

ein jüngerer Mann abermals den Bundespräsidenten<br />

aufnehmen wollte, sagte dieser:<br />

„Na, denn kommen Sie her, dann lassen<br />

wir uns beide fotografieren, denn die<br />

Oma zu Hause möchte doch wissen, ob Sie<br />

auch wirklich den Bundespräsidenten<br />

gesehen haben und nun sind wir beide<br />

zusammen auf einem Bild.“ - Freudiges<br />

Gelächter von allen Seiten.<br />

Sonntag, 21. April 2013<br />

Gedenkveranstaltung aus Anlass des<br />

200. Jahrestages des großen Lilienthaler<br />

Brandes 1813.<br />

Mittwoch, 24. April 2013<br />

14.00 Uhr, Besichtigung der Kaffeerösterei<br />

„de Koffiemann“, Am Wolfsberg 24<br />

(Gewerbegebiet Moorhausen), mit Kaffeeverkostung,<br />

anschl. gemeinsame Kaffeetafel,<br />

Anmeldung bis 19. April erforderlich, Info-Telefon<br />

04298 / 83 80 (H. Kühn)<br />

Sonnabend, 25. Mai 2013<br />

13.30 Uhr, Besuch der „Museumsanlage<br />

Moorkate“ des <strong>Heimat</strong>vereins Ströhe-<br />

Spreddig e.V. mit Kaffee und Kuchen, Hinund<br />

Rückfahrt in PKW-Fahrgemeinschaften,<br />

Anmeldung bis 21. Mai erforderlich, Info-Telefon<br />

04298 / 54 72 (K.-H. Sammy)<br />

Sonnabend, 22. Juni 2013<br />

13.30 Uhr, Radtour nach Rautendorf,<br />

Führung durch Teile der Ortschaft, Informationen<br />

zur Geschichte, Kaffee und Kuchen, Anmeldung<br />

bis 18. Juni erforderlich, Info-Telefon<br />

04298 / 91 52 11 (H. Kohlmann)<br />

<strong>Heimat</strong>- und Bürgerverein Ritterhude e.V.<br />

Hannelore und Gerhard Monsees<br />

Tel.: 04292 / 27 15<br />

Sonnabend, 27. April 2013<br />

9.00 Uhr, Tagesfahrt nach Neuenkirchen<br />

Vörden<br />

Bleibende Eindrücke<br />

hinterlassen<br />

Das waren einmalige Erlebnisse, die<br />

gewiss bei allen Teilnehmern bleibende<br />

Eindrücke hinterlassen haben.<br />

Den offiziellen Abschluss der Feier zum<br />

„Tag der Deutschen Einheit“ bildete eine<br />

aufwendig gestaltete Laserschau in der Ludwigstraße.<br />

Eine Erinnerung an die Teilung<br />

und Wiedervereinigung Deutschlands.<br />

Am Donnerstag, dem 4. Oktober, standen<br />

wir mittags wieder auf dem Münchener<br />

Hauptbahnhof und wir verabschiedeten<br />

uns von unserem wimpelschwingenden<br />

Münchener Kindl, das seine Aufgabe<br />

gut gemacht hat. Mit unseren weißblauen<br />

Rucksäcken auf dem Rücken verabschiedeten<br />

wir uns von unserer bayerischen<br />

Begleiterin.<br />

Ebenso herzlichen Dank an Frau<br />

Lührßen und Frau Ludewigs von der Protokollabteilung<br />

der Bremer Senatskanzlei,<br />

die uns freundlich betreut haben.<br />

Tschüß, Grüß Gott und herzlichen Dank,<br />

liebes München.<br />

Text und Fotos: Rudolf Matzner<br />

Sonnabend, 18. Mai 2013<br />

13.00 Uhr, Fahrradtour<br />

Sonntag, 26. Mai 2013<br />

4-Tagesfahrt nach Usedom<br />

Sonnabend, 15. Juni 2013<br />

9.00 Uhr, Spargelfahrt zum Spargelhof<br />

Thielmann mit Führung<br />

Worphüser Heimotfrünn e.V.<br />

Hofanlage Lilienhof, Worphauser Landstr. 26 a,<br />

Kontakt: Hinrich Tietjen, Tel. 04792 / 76 79<br />

Mittwoch, 1. Mai 2013<br />

ab 11.00 Uhr, Backtag, Beginn der Saison<br />

auf dem Lilienhof<br />

Sonntag, 23. Juni 2013<br />

10.00 Uhr, Fahrradtour ab Lilienhof<br />

Sonntag, 30. Juni 2013<br />

15.00 Uhr, Offenes Singen, Gem. Chor<br />

Moorende<br />

Um diese Rubrik immer auf dem<br />

neuesten Stand zu haben, sind wir<br />

auf die Angaben der Vereine angewiesen.<br />

Wir bitten deshalb um Ihre<br />

Mithilfe.<br />

Melden Sie doch bitte die Termine<br />

bis Redaktionsschluss an den Verlag.<br />

Wir freuen uns auf Ihre Nachrichten<br />

entweder per Telefax<br />

(04298 / 3 04 67) oder per E-Mail<br />

(info@heimat-rundblick.de).<br />

Die Redaktion<br />

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