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Géza von Neményi<br />

Götter, Mythen, Jahresfeste<br />

Heidnische Naturreligion<br />

Sigrid <strong>Kersken</strong>-<strong>Canbaz</strong> <strong>Verlag</strong><br />

Holdenstedt


Ti tel il lu stra ti on: Óðinn auf Sleip nir (Ed da hand schrift des 17. Jh.)<br />

ALLE RECHTE VORBEHALTEN<br />

Druck und jegliche Wiedergabe, auch auszugsweise,<br />

nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung des <strong>Verlag</strong>es.<br />

(c) 2004 by Sigrid <strong>Kersken</strong>-<strong>Canbaz</strong> <strong>Verlag</strong><br />

Schloßstraße 3, 29525 Holdenstedt<br />

ISBN 3-89423-125-4


Gewidmet<br />

den größten Männern<br />

des<br />

vergangenen Jahrtausends,<br />

dem Goden<br />

Snorri Sturlu#on<br />

(Ñ 1179 - è 22. 9. 1241)<br />

und<br />

Sæmundr Sigfús#on inn fróði<br />

(Ñ 1056 - è 22. 5. 1133)<br />

die uns<br />

das heilige Buch der<br />

Edda<br />

überliefert haben.


In halts ver zeich nis<br />

Vor wort. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9<br />

Ka pi tel 1. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11<br />

Hei den tum<br />

Ka pi tel 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23<br />

Got tes vor stel lun gen<br />

Ka pi tel 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47<br />

Die Göt ter<br />

Ka pi tel 4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87<br />

My then<br />

Ka pi tel 5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115<br />

Recht und Sit te<br />

Ka pi tel 6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135<br />

Geis ter<br />

Ka pi tel 7 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153<br />

Jen seits vor stel lun gen<br />

Ka pi tel 8 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175<br />

Go den und Völ ven<br />

Ka pi tel 9 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189<br />

Hei lig tü mer<br />

Ka pi tel 10 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205<br />

Das Blót<br />

7


Ka pi tel 11 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229<br />

Der Jah res kreis<br />

Ka pi tel 12 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253<br />

Le bens kreis<br />

8<br />

Li te ra tur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271<br />

An mer kun gen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273<br />

Ab bil dungs nach weis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285


Vorwort<br />

In die sem Buch will ich die heid ni sche Na tur re li gi on, d. i. der Glau be un se -<br />

rer Vor fah ren be vor sie chris tia ni siert wur den, vor stel len und be kannt ma -<br />

chen. Die se Na tur re li gi on ist bes ser als jede an de re der gro ßen Welt re li gio nen<br />

dazu ge eig net, die Pro ble me un se rer Zeit zu lö sen und dem Men schen Hil fe<br />

und Un ter stüt zung bei der Be wäl ti gung sei nes ei ge nen Le bens zu bie ten.<br />

Zwar kennt Hei den tum kei ne wi der na tür li chen Dog men und welt frem den<br />

Lehr sät ze, aber es gibt auch im Hei den tum alt über lie fer te Glau bens vor stel -<br />

lun gen, Ri tua le und Bräuche, die jeder, der diese Religion wieder praktizieren<br />

will, kennen sollte.<br />

In Eu ro pa sind es heu te nur noch ver hält nis mä ßig we nig Men schen, die der<br />

al ten heid ni schen Na tur re li gi on an hän gen; Staat und Ge sell schaft neh men sie<br />

da her kaum mehr zur Kennt nis. In an de ren Erd tei len sieht dies an ders aus,<br />

denn zum Ober be griff “Heid ni sche Na tur re li gi on” ge hö ren auch alle an de ren<br />

Na tur re li gio nen der Welt, wie z. B. der ja pa ni sche Shin tois mus, der Hin duis -<br />

mus, in dia ni sche Religionen oder der afrikanische Voodookult.<br />

Das Hei den tum in Deutsch land wird ver ein zelt zu Un recht im mer noch mit<br />

dem Na tio nal so zia lis mus in Ver bin dung ge bracht. Der Na tio nal so zia lis mus<br />

be dien te sich tat säch lich auch ei ni ger heid ni scher Ele men te, die er u. a. aus<br />

der Le bens re form, der Ar bei ter- und der Ju gend be we gung über nahm (z. B.<br />

Sonn wend fei ern, Mai fes te oder ein zel ne Ru nen zei chen), sei ne ei gent li che<br />

Ideo lo gie aber fand ihre Vor bil der im christ li chen Rö mi schen Reich (z. B. die<br />

Reichs idee und das Füh rer prin zip, der Mis sio nie rungs krieg ge gen den Os ten,<br />

der An ti se mi tis mus). Das NS-Par tei pro gramm be kann te sich von An fang an<br />

zum Chris ten tum, während damalige heidnische Gruppen und ihre Vertreter<br />

verfolgt wurden.<br />

Hei den tum hat also mit der NS-Ideo lo gie, von der ich mich hier aus drüc k -<br />

lich dis tan zie re, nichts zu tun.<br />

Ich mei ne, es ist heu te an der Zeit, daß die Hei den die ih nen zu ste hen den<br />

Grund rech te auf freie Re li gions aus übung - die den an de ren Re li gio nen ganz<br />

selbst ver ständ lich ge währt wer den - ein for dern und ein kla gen. Das Hei den -<br />

tum ist schließ lich kein ob sku rer Psy cho kult, son dern die an ge stamm te Ur re -<br />

9


li gi on un se rer Vor fah ren, die bis in die heutige Zeit auch unsere Kultur<br />

beeinflußt.<br />

In die sem Bu che, des sen Erst auf la ge be reits 1988 er schien, will ich da her<br />

die wich tigs ten heid ni schen Glau bens leh ren und Ze re mo nien un ver fälscht<br />

vor stel len. Mir ist be wußt, das vie les da bei auf Deu tun gen be ruht, die im mer<br />

sub jek tiv sind, die ich aber auf die Quel len stüt ze. Die ses Wis sen bil det die<br />

Grund la ge für alle da rü ber hin aus ge hen den ma gi schen Be rei che, zu de nen<br />

umfangreiche Spezialliteratur erhältlich ist.<br />

Ge gen über der frü he ren Auf la ge habe ich für die se Neu fas sung ein zel ne<br />

Be rei che ge kürzt, an de re ver län gert, Feh ler der Erst auf la ge ent fernt und ei ni -<br />

ge neue Quellen eingeführt.<br />

Möge das Buch also dazu bei tra gen, den Göt tern den ih nen zu ste hen den<br />

Platz wie der ein zu räu men und die Men schen in den Kreis lauf der Na tur zu in -<br />

te grie ren, um die der zeit herr schen de Na tur zer stö rung zu beenden.<br />

10<br />

Wer big, 2003 All sher jar go de Géza von Ne mé nyi


Kapitel 1<br />

Heidentum<br />

Der Be griff “Hei den tum” ist eine Be zeich nung für die vor christ li chen Na -<br />

tur re li gio nen. Ger ma ni sches Hei den tum meint so mit die Na tur re li gi on der<br />

Ger ma nen, cel ti sches Hei den tum die der Cel ten usw. Auch die heu te noch<br />

haupt säch lich in den Ent wic klungs län dern aus ge üb ten Na tur kul te wer den als<br />

Hei den tum be zeich net; die Anhänger von Naturreligionen sind Heiden.<br />

Das Wort taucht zu erst im 4. Jh. auf; die ge ra de chris tia ni sier ten Go ten be -<br />

zeich ne ten mit dem Be griff “hei da no” bzw. “haiþno” ihre noch na tur re li gi ös<br />

ge blie be nen Stam mes an ge hö ri gen. Ger ma nisch *haiþio be deu tet “Hei de, un -<br />

be bau tes ödes Land, Wald ge gend”, da von ab ge lei tet *haiþ(a)na “zur Hei de<br />

ge hö rig, die Wald ge gend be woh nend”, alt hoch deutsch hei dan tu om, mit tel -<br />

hoch deutsch hei den tu om be deu tet “Hei den tum”, alt hochdt. hei da nisc, mit tel -<br />

hochdt. hei de nisch, schwe disch hed ning, eng lisch he at hen “heid nisch”.<br />

Wahr schein lich wur den die se Be zeich nun gen in An leh nung an das la tei ni -<br />

sche Wort pa ga nus “Dorf be woh ner” bzw. pa gus “Dorf, Gau, Ge gend, Land”<br />

ge bil det. Noch heu te ist das da von ab ge lei te te eng li sche “pa gan” die üb li che<br />

Be zeich nung für Hei den in den eng lisch spra chi gen Län dern, wäh rend das<br />

Wort “he at hen” mehr für Men schen ohne ir gend ei nen Glau ben ver wen det<br />

wird. Auch das deut sche Wort “Hei den” wird häu fig - be son ders von Chris ten<br />

- für Atheisten gebraucht, während es z. B. Martin Luther in seiner<br />

Bibelübersetzung für alle Nicht-Juden und Nicht-Christen verwendete.<br />

Die Hei den frü he rer Zei ten ha ben die ses Wort übri gens gar nicht ge braucht,<br />

wahr schein lich kann ten sie über haupt kei nen Be griff, um ih ren Glau ben zu<br />

be nen nen. Erst als das Chris ten tum mehr oder we ni ger ge walt sam aus ge brei -<br />

tet wur de, war auch eine Un ter schei dung bei der Re li gio nen nö tig. Im nor di -<br />

schen Be reich nann te man die An hän ger der al ten Göt ter re li gi on meist “Bló -<br />

tar menn”, also “Op fer leu te”. Erst seit dem Jah re 961 fin det sich das Wort<br />

11


“Hei den göt ter” auch im Nor den und zwar im Hákonarmál des Skálden (Dich -<br />

ter sän gers) Eyvindr Skáldaspillir 1 .<br />

Hei den un se rer Tage ver wen den aber nicht nur die ses Wort. Be son ders in<br />

Skan di na vien und Nord ame ri ka, wo der Ter mi nus Hei den tum eher “Athe is -<br />

mus” be deu tet und da mit ne ga tiv be las tet er scheint, nen nen sich die Hei den<br />

“Ásatrú”, das be deu tet “Glau be an die Ásengötter”. Man spricht auch von der<br />

“Re li gi on der Göt tin” oder von “Wuo ta nis mus” und re du ziert da mit das Hei -<br />

den tum auf den Kult ein zel ner Gott hei ten. In der 1907 in Deutsch land ge -<br />

grün de ten Ger ma ni schen Glau bens-Ge mein schaft ver wen de te man auch die<br />

Be zeich nung “Ger ma nen glau be”. Mo der ne He xen grup pen wie z. B. der Wic -<br />

ca kult spre chen von der “He xen re li gi on” oder dem “He xen glau ben”. Dies ist<br />

ge nau so, als wür de man das ka tho li sche Chris ten tum als “Pfar rer glau ben” be -<br />

zeich nen. He xen wa ren selbst ver ständ lich Hei din nen, und ihre Re li gi on war<br />

nichts an de res als das Hei den tum. Schließlich wird das Heidentum heute auch<br />

gerne die “alte Religion” oder “forn siðr” (alte Sitte) genannt.<br />

Da bei drückt der Be griff “heid ni sche Na tur re li gi on” ei gent lich ge nau das<br />

aus, was Hei den tum ist: “Hei de” meint die Na tur, den Wald (z. B. Lü ne bur ger<br />

Hei de) und ver deut licht, daß die se Glau bens form in der frei en Na tur, auf der<br />

Hei de aus ge übt wird, nicht hin ter dunk len Kir chen mau ern. “Na tur re li gi on”<br />

be sagt, daß es sich um eine Glau bens form han delt, die in der Na tur kei nen<br />

Geg ner sieht, den man aus beu ten kann. Viel mehr sind die Glau bens leh ren<br />

von der Na tur ab ge lei tet und ste hen so mit im Ein klang mit ihr. Gleich zei tig<br />

be deu tet “Na tur re li gi on”, daß die se Re li gions form in den Jahr hun der ten und<br />

Jahr tau sen den na tür lich ge wach sen ist. Jede Ge ner ati on ent wi ckel te sie wei -<br />

ter und pa ß te sie im mer bes ser den Ge ge ben hei ten an. Es wa ren also Mil lio -<br />

nen von Men schen und ihre Er fah run gen, die die se Glau bens form mit ge stal -<br />

tet ha ben. Ganz an ders sieht es z. B. beim Chris ten tum aus, wel ches kei ne Na -<br />

tur re li gi on, son dern eine Kunst- oder Stif ter re li gi on ist. Ein ein zel ner Stif ter<br />

hat sei ne Er kennt nis se an de ren ge lehrt und die se wur den von sei nen An hän -<br />

gern als Wahr heit an ge nom men und wei ter ge ge ben. Daß die Er kennt nis se ei -<br />

nes ein zi gen Men schen viel we ni ger Be deu tung ha ben, als die von Mil lio nen<br />

von Men schen, liegt auf der Hand. Mög li che Irr tü mer ei nes Glau bens stif ters<br />

oder sei ner Nach fol ger kön nen spä ter meist nicht mehr be rich tigt wer den und<br />

ge hen in die Leh re mit ein. Bei den Na tur re li gio nen sind alle Wer te von der<br />

Na tur selbst ab ge se hen und mit ihr ab ge stimmt. Feh ler kön nen so nicht leicht<br />

auf kom men, sie wür den je den falls so fort er kenn bar und be rich tigt. Die Na -<br />

tur re li gio nen sind auch im mer im Wer den, sie blei ben nicht sta tisch, wie eine<br />

Kunst re li gi on, die ja nach träg lich an den Leh ren ih res Grün ders nichts mehr<br />

än dern kann. Die Na tur re li gi on paßt sich automatisch dem Denken ihrer<br />

12


Anhänger an und ist im steten Wandel. Die bekanntesten Stifterreligionen<br />

sind das Christentum (Stifter: Jesus), das Judentum (Moses), der Islam<br />

(Mohammed) sowie der Buddhismus (Buddha).<br />

Es ist nicht ganz ein fach zu sa gen, seit wann es das Hei den tum gibt. Ein zel -<br />

ne Züge sind seit der Stein zeit vor han den, an de re wur den spä ter ein ge bracht.<br />

Über haupt spricht man in der Wis sen schaft erst ab dem jen igen Zeit punkt vom<br />

Men schen, wo er be gon nen hat, sei ne To ten zu be gra ben. Die Ver stor be nen in<br />

die Erde zu bet ten, ih nen viel leicht noch Ga ben bei zu le gen, ist ein heid ni -<br />

sches Ri tu al, denn die se Hand lun gen set zen den Glau ben an ein Wei ter le ben<br />

nach dem Tode ge nau so vor aus, wie sie auch die Erde als All mut ter und To -<br />

ten göt tin auf zei gen, in die der Tote ge bet tet wird. So mit be steht das Hei den -<br />

tum in sei nen äl tes ten Tei len min de stens schon seit dem Zeitpunkt, seit es<br />

überhaupt Menschen gibt.<br />

Die De fi ni ti on des Be griffs “Hei den tum” lau tet: “Hei den tum ist po ly theis ti -<br />

sche Na tur re li gi on”. “Po ly theis mus” be deu tet “Glau be an vie le Göt ter”. Ger -<br />

ma ni sches Hei den tum ist dem nach die po ly theis ti sche Na tur re li gi on der Ger -<br />

ma nen, cel ti sches Hei den tum die der Cel ten usw. Na tür lich kann man auch<br />

pan theis ti sche (= die Gott heit in al len Din gen) Spu ren ent de cken, da alle Göt -<br />

ter kräf te sich auch in den Mi ne ra lien, Tie ren und Pflan zen fin den, na tür lich<br />

kann man auch mo no theis ti sche (= Ein gott glau be) Spu ren her vor he ben, wenn<br />

man Óðinn als Gott-Va ter und alle an de ren Gott hei ten als sei ne Kin der oder<br />

sei ne Un ter ge be nen an sieht, ent spre chend den christ li chen Erz en geln. Auch<br />

du alis ti sche (= Zwei göt ter glau be) Züge könn te man fin den, wenn man nur<br />

den Kult der höch sten Gott hei ten Óðinn und Frigg be trach tet. Aber dies sind<br />

nur Teil as pek te des Heidentums und Konstruktionen, die keine ausreichenden<br />

Belege in den Überlieferungen aufweisen können.<br />

Das Hei den tum ist übri gens kei ne tote, also völ lig un ter ge gan ge ne Re li gi -<br />

on. In vie len Re gio nen der Erde ist es im mer noch ver tre ten, und zah len mä ßig<br />

gibt es mehr Hei den als z. B. Ka tho li ken. Denn das Hei den tum sieht ja in je -<br />

dem Land an ders aus, da es auf die je wei li ge Na tur ab ge stimmt ist. Zum Ober -<br />

be griff Heid ni sche Na tur re li gio nen ge hö ren auch alle an de ren na tur re li giö sen<br />

Kul te der Welt. Die deut schen Hei den ste hen also im Be wußt sein, Teil ei ner<br />

welt wei ten Glau bens form zu sein, auch wenn es hier zu lan de ver hält nis mä ßig<br />

we ni ge An hän ger gibt. So mit sind zahl rei che Vor bil der, wie die heid ni sche<br />

Glau bens form prak ti ziert wird, vor han den, auf die wir zu rüc kgrei fen könn -<br />

ten; “könn ten” des we gen, weil es gar nicht nö tig ist, auf an de re Län der zu se -<br />

hen, da auch in un se rem Kul tur kreis eine reichhaltige heidnische<br />

Überlieferung vorhanden ist, die lediglich vom Christentum überlagert wird.<br />

13


Weiterbestehen des Heidentums.<br />

Auch der Ein wand, man kön ne doch eine Re li gi on, die vor Jahr tau sen den<br />

prak ti ziert wur de, nicht ein fach wie der neu auf le ben las sen, ist nicht stich hal -<br />

tig. Die christ li chen Kir chen se hen z. B. über haupt kei nen Wi der spruch da rin,<br />

eine ca. 2400 Jah re alte un ein heit li che Text samm lung (Bi bel) als Quel le ih res<br />

Glau bens noch heu te zu ver wen den und die Leh ren des vor fast 2000 Jah ren<br />

ver stor be nen Je sus als Glau bens richt li nien zu ver kün den. Dem ge gen über ist<br />

das ger ma ni sche Hei den tum ge ra de zu mo dern: Auf Is land wur de das Chris -<br />

ten tum erst im Jah re 1000 ein ge führt, in Tei len Deutsch lands so gar noch spä -<br />

ter. Die ein fa chen Men schen, die ge ra de mehr oder we ni ger ge walt sam chris -<br />

tia ni siert wor den wa ren, kann ten den neu en Glau ben meist gar nicht und blie -<br />

ben in ner lich na tür lich wei ter hin heid nisch; dies be legt für den Nor den ein<br />

Straf re gis ter von 1281, wel ches die Aus übung des Hei den tums in Is land und<br />

Nor we gen ver bie tet - 281 Jah re nach der “of fi ziel len” An nah me des Chris ten -<br />

tums! 2 . Eine ähn lich lan ge Zeit span ne kön nen wir auch für Deutsch land ver -<br />

mu ten, in wel cher trotz Chris tia ni sie rung heim lich noch heid ni sche Kul te aus -<br />

ge übt wur den. Die Men schen in Nord- und Mit tel deutsch land wa ren noch bis<br />

etwa 1150 heid nisch. Erst in die sem Jah re über nahm der Christ Al brecht der<br />

Bär das Erbe des Wen den fürs ten Pri bis law und mach te die Mark Bran den burg<br />

of fi ziell christ lich; 1168 fiel die Tem pel burg Ar co na auf Rü gen in die Hän de<br />

der christ li chen dä ni schen Be la ge rer un ter Kö nig Wal de mar und Bi schof Ab -<br />

sa lom, und da mit ging das letz te heid ni sche Kult zen trum ver lo ren. Im thü rin -<br />

gi schen Ober dor la wur den von 1957-64 die Res te ei nes ger ma ni schen Hei lig -<br />

tums durch Prof. G. Behm-Blan ke aus ge gra ben. Ob wohl Thü ri gen schon um<br />

745 chris tia ni siert wor den war, fan den sich in dem Hei lig tum, wel ches seit<br />

dem 6. Jh. vor u. Zt. kul tisch ge nutzt wur de, noch Scher ben von Op fer ge fä ßen<br />

und Kno chen ge op fer ter Hun de aus dem 11. Jh. In Ost preu ßen und den bal ti -<br />

schen Län dern wur den noch bis ins 16. und 17. Jh. heid ni sche Op fer fes te ge -<br />

fei ert; ei nem der ar ti gen, heim lich ge fei er ten Fest in Alt preu ßen wohn te 1520<br />

der Chro nist Si mon Gru nau bei (sie he S. 208ff). Im 16. Jh. wur den die Bau ern<br />

im fin ni schen Sa vo lax be straft, weil sie auf den Don ner gott Þórr ge trun ken<br />

hat ten (»dru cko Thordhns gil de«) 3 . Noch 1720 mel de te ein ver stör ter Geist li -<br />

cher sei ner Kir chen be hör de, daß man im Dor fe Gu du lup auf der bis 1918<br />

deutschen Insel Alsen den Gott Tor (Þórr) verehrt habe 4 . Aus dem 18. Jh.<br />

stammt eine Anmerkung in der von einem Geistlichen verfaßten Ortschronik<br />

eines den Externsteinen (Westphalen) benachbarten Dorfes 5 :<br />

14<br />

»An die sen Stei nen wer de von dem un wis sen den Vol ke viel Un fug mit<br />

der heid ni schen Göt tin Os ta ra getrieben«.


Nach ei ner Mit tei lung aus dem Ende des 18. Jhs. be san gen die Schnit ter<br />

beim Ern te fest den “Wold”, also Wo dan 6 , und noch 1825 ver ehr ten die Be -<br />

woh ner des Dor fes Ro den berg am Deis ter (40 km west lich von Han no ver)<br />

die sen Gott un ter dem Na men “Waut” 7 .<br />

Noch heu te lo dern in vie len Tei len Deutsch lands Os ter- oder Mitt som mer -<br />

feu er, wer den Mai bäu me auf ge stellt, Weih nachts bäu me in die Häu ser ge holt<br />

und Um zü ge mit heid ni schem Hin ter grund - z. B. Kar ne val - ab ge hal ten.<br />

Zahl lo se er hal te ne Bräu che be wei sen, daß das Hei den tum auch in Mit tel eu ro -<br />

pa nie mals völ lig aus ge stor ben war. Die Ze re mo nien wur den und wer den wei -<br />

ter hin aus ge übt, man che wur den auch in das Chris ten tum in te griert, nur der<br />

heid nisch-theo lo gi sche Über bau, den in früheren Zeiten die Priester lehrten,<br />

ging verloren.<br />

Daß die Aus übung der heid ni schen Re li gi on auch in ei ner mo der nen In du -<br />

strie ge sell schaft mög lich ist, be weist das Bei spiel Ja pans. Trotz un zäh li ger<br />

Shin to schrei ne und -tem pel ge hört Ja pan zu den Staa ten, die eine star ke Wirt -<br />

schafts kraft ha ben. Den noch ist das Hei den tum zu erst eine Na tur re li gi on, und<br />

das rüc ksichts lo se Aus beu ten und Ver mark ten un se rer Na tur und ihrer Güter<br />

kann niemals heidnisch sein.<br />

Die auf ge führ ten Fak ten zei gen, daß es nicht un mög lich ist, die alte heid ni -<br />

sche Re li gi on aus den vie len Quel len wie der neu zu er schlie ßen. Wa rum aber<br />

muß es un be dingt das “alte” Hei den tum un se rer Vor fah ren sein, wa rum er -<br />

schaf fen wir nicht ein fach mo der ne Ri tua le, die un se ren heu ti gen An sprü chen<br />

ge nü gen? Der Grund liegt da rin, daß es uns lei der noch am nö ti gen Wis sen<br />

fehlt, um Ri tua le aus zu ar bei ten, die auch in der Göt ter welt wir ken. Lei der gibt<br />

es heu te nur noch sehr we nig hell se he ri sche Men schen; so mit ha ben wir kei ne<br />

Kon trol le da rü ber, ob und wie ein neu ge schaf fe nes Ri tu al im spi ri tu el len Be -<br />

reich wirkt. Es wäre also im mer ein Ri si ko, mo der ne Ri tua le zu ver wen den<br />

und birgt die Ge fahr, daß der Ri tu al kon zi pie rer zum Re li gions stif ter wird.<br />

Alte Ze re mo nien da ge gen ha ben sich in den Jahr tau sen den, in de nen sie prak -<br />

ti ziert und wei ter ent wi ckelt wur den, be währt, und kön nen uns da her tat säch -<br />

lich hel fen, mit der spi ri tu el len Welt in Ver bin dung zu kom men. Au ßer dem<br />

wür de na tür lich je der Hei de sich ganz ei ge ne Ri tua le schaf fen, die an de ren<br />

viel leicht nicht zu sa gen oder die den Er kennt nis sen der an de ren Hei den ent -<br />

ge gen ste hen. So mit wäre über haut kein ge mein sam ge leb ter Kult mög lich. In<br />

vie len neu heid ni schen He xen grup pen sind die mo der nen Ri tua le be lie big und<br />

un ver bind lich ge wor den, und es besteht sogar über die Gottesvorstellungen<br />

(eine Göttin, zwei Gottheiten oder mehr) Uneinigkeit. Ein solches Schicksal<br />

soll und muß dem traditionellen Heidentum erspart bleiben.<br />

15


Heidentum als Teil regionaler Kultur.<br />

Und schließ lich soll un ser Hei den tum auch auf un se rer Kul tur fu ßen. Es hat<br />

für uns we nig Sinn, über die Schön heit ei ner Lo tos blü te zu me di tie ren, die es<br />

in un se ren Brei ten nicht gibt oder die kaum je mand kennt. Ge nau so nützt ei -<br />

nem Es ki mo ein Baum ri tu al we nig, wenn es in sei ner Um ge gend nur Schnee<br />

und Eis gibt. Dar um also muß der Be zug zur Kul tur der Ger ma nen und Cel ten<br />

im Hei den tum er hal ten blei ben. Wer als Deut scher sei ne ger ma ni sche und cel -<br />

ti sche Ab stam mung ab lehnt oder ver drängt, dem kann auch nicht ir gend ein<br />

an de res Hei den tum (z. B. das der Grie chen) wei ter hel fen. Denn die Geist we -<br />

sen, die un se re Ge be te und An ru fun gen wei ter tra gen, ent stam men un se rer<br />

Kul tur und spre chen un se re Spra che. Frem de Göt ter na men und da mit ver bun -<br />

de ne Göt ter vor stel lun gen sind da her für un se re Re gi on völ lig un pas send. Na -<br />

tür lich ent spricht ety mo lo gisch der grie chi sche Göt ter na me Zeus dem ger ma -<br />

ni schen Göt ter na men Tius. Aber Zeus tritt uns in den grie chi schen Über lie fe -<br />

run gen ganz an ders ent ge gen, als Tius (Týr) in un se ren My then. Zeus ist in<br />

den My then viel pat ri ar cha ler, herrscht oft un ge recht und al lein. Dies ent -<br />

spricht dem wär me ren Kli ma Grie chen lands, wel ches ur sprüng li che Son nen -<br />

gott hei ten wie Zeus eben viel stren ger er schei nen läßt, weil die Son ne dort<br />

auch tat säch lich viel hei ßer brennt und da her den Menschen häufig die Ernte<br />

zerstört. Alle diese für uns unverständlichen Wesenszüge des Zeus würden<br />

wir mit heraufbeschwören, riefen wir den Gott Zeus statt Tius an.<br />

Heidnische Quellen.<br />

An ders sieht es bei der cel ti schen Kul tur aus, die der ger ma ni schen sehr<br />

nahe steht. Die Schwie rig keit ist nur, daß die cel ti schen Über lie fe run gen nicht<br />

ein heit lich sind; es gibt schrift li che Quel len, dann In schrif ten usw. aus den<br />

ver schie de nen cel ti schen Län dern. Hier aus ei nen voll stän di gen Göt ter kreis<br />

ab zu lei ten, ist na he zu un mög lich, oft tritt uns ein und die sel be Gott heit un ter<br />

ganz ver schie de nen Na men ent ge gen, oft gibt es ver schie de ne Na men, die<br />

sich nur auf eine Gott heit be zie hen kön nen, was aber eben nicht be kannt ist.<br />

Vie le Gott hei ten sind auch nur un ter ih rem la tei ni schen Na men be kannt, wäh -<br />

rend der ur sprüng li che cel ti sche Name in Ver ges sen heit ge ra ten ist (z. B. Cer -<br />

nun nos, lat. “Horn gott”, Dana, lat. “Di ana”, Ce ridw yn, lat. “bri ti sche Ce res”<br />

usw.). Auch zum Brauch tum aus neue ren Jahr hun der ten ha ben wir we nig Be -<br />

zug, weil es hauptsächlich in celtischen Ländern (Großbrittanien, Frankreich,<br />

Irland) ausgeübt wird.<br />

Ähn lich sieht es mit den sog. Sla wen aus. Die Be zeich nung “Sla wen” ist<br />

eine ganz jun ge Ab schlei fung des ur sprüng li chen Wor tes “Scla ve ni” (das zu -<br />

erst in Jor da nes “Go ten ge schich te” im 6. Jh. auf taucht) wel ches “Un freie,<br />

16


Skla ven” be deu tet, weil man aus den noch heid ni schen Oststäm men der Go -<br />

ten, Wen den-Wan da len, Ge pi den, We net her usw. Men schen ein fing, die man<br />

im rö mi schen Reich als Skla ven ver kauf te. Sich selbst be zeich ne ten die se<br />

Stäm me übri gens nie als “Sla wen”, son dern sie ver wen de ten ihre Stam mes be -<br />

zeich nun gen. Wenn der Chro nist Or der icus Vi ta lis im Jah re 1069 den Kult der<br />

Göt ter Wo dan, Thor und Frey ja bei den “Ost sees la wen“ er wähnt, der eng li -<br />

sche Mönch Do de rik 1141 von Thor, Odin und Frey ja bei dem “sla wi schen“<br />

Stamm der Liu ti zen be rich tet, und Hel mold den Kult der Göt tin Siva (Sif) bei<br />

den “sla wi schen“ Elbs täm men be zeugt, dann sind dies Be wei se, daß es ein<br />

“Volk der Sla wen” gar nicht gibt; es han delt sich viel mehr um Ost ger ma nen,<br />

die al ler dings heu te zu ei ner ein heit li chen Sprach fa mi lie ge hö ren. Die “sla wi -<br />

sche” Spra che ist erst durch die Mis sio nie rung der Ost kir che (By zanz, Grie -<br />

chen land) ein ge führt wor den (Kir chen sla wisch), ähn lich wie die Rö mer in<br />

Frank reich ihr La tein ein führ ten und die alte cel ti sche Spra che da mit un ter -<br />

ging. Noch heu te be steht die von dem Mönch Cy rill ein ge führ te cy ril li sche<br />

Schrift der Rus sen zum grö ß ten Teil aus grie chi schen Schrift zei chen. Ich ver -<br />

wen de statt “Sla wen” den Be griff “Wen den”, den mit tel al ter li che Text quel len<br />

(z. B. Adam von Bre men, Hel mold von Bo sau usw.) zu Recht mit den ger ma -<br />

ni schen Wan da len gleich set zen. Aber auch die My tho lo gie der Wen den ist<br />

nicht ein heit lich über lie fert, auch sie kann nur er gän zend mit he ran ge zo gen<br />

wer den. Zum ei nen fin den wir in wen di schen Quel len häu fig frem de Gott hei -<br />

ten (z. B. in der Nes tor-Chro nik und dem Igor-Lied den ur sprüng lich per si -<br />

schen Son nen gott Chors), die durch die Hun nen zü ge mit ein ge führt wor den<br />

sind, zum an de ren hat der po li ti sche Pan sla wis mus des 18. bis 20. Jh. “sla wi -<br />

sche” my tho lo gi sche Quel len 8 und Götterbilder 9 gefälscht.<br />

Um also ein mög lichst ge schlos se nes Bild un se rer My tho lo gie zu er hal ten,<br />

kön nen wir cel ti sche und wen di sche Quel len nur er gän zend mit he ran zie hen<br />

und be nut zen die ger ma ni sche My tho lo gie als Grund la ge. Die Haupt quel le<br />

für die ger ma ni sche My tho lo gie ist die Edda (“Ur groß mut ter”). Es gibt eine<br />

äl te re Edda, die nach ei ner is län di schen Volks sa ge 10 von Sæ mun dur Sig fús -<br />

son inn fróði (1056-1133) etwa im Jah re 1087 in Oddi, West-Is land, auf ge -<br />

schrie ben wur de. Sæ mun dur be trieb hier noch in christ li cher Zeit eine heid ni -<br />

sche Go den- und Skáldenschule. Man nennt sei ne Samm lung Lie der- oder<br />

Sæ mun dar-Edda. Sie ent hält Göt ter lie der und Hel den lie der. Die 16 Göt ter lie -<br />

der be in hal ten die V¸oluspá, dann 5 Óðinslieder, 5 Þórslieder und 5 Lie der, in<br />

de nen Va nen göt ter im Mit tel punkt ste hen. In ein zel nen Lie dern fin den sich<br />

auch Le bens re geln (Spruch weis hei ten). Die 21 Hel den lie der um fas sen die<br />

Sa gen von V¸olundr (Wie land der Schmied), die Helgisagen und die Sagen<br />

von den V¸olsungen und Nibelungen.<br />

17


Ne ben der äl te ren Edda gibt es eine jün ge re Edda. Sie wur de von dem is län -<br />

di schen Go den und Ge set zes spre cher Snor ri Stur lu son (1179-1241) nach al -<br />

ten Über lie fe run gen zu sam men ge stellt, wo bei er auch Auf zeich nun gen Sæ -<br />

mun durs ver wen de te 11 . Man nennt sie auch Pro sa- oder Snor ra-Edda. Die<br />

jün ge re Edda ent hält meh re re län ge re Ab schnit te, in de nen die ge sam te My -<br />

tho lo gie sys te ma tisch dar ge stellt wird, so wie Wort ver zeich nis se und Ab -<br />

schnit te über das is län di sche Al pha bet. Of fi ziell wa ren alle Is län der nach dem<br />

Jahr 1000 Chris ten, in ner lich aber be stand das Hei den tum noch lan ge Zeit<br />

wei ter. An be stimm ten Sät zen in der jün ge ren Edda kann man er ken nen, daß<br />

der Zu sam men stel ler Snor ri in ner lich heid nisch war, und sei ne Er läu te rung<br />

des Heidentums als Lehrbuch für Skálden tarnte, um nicht einer christlichen<br />

Zensur zu unterliegen.<br />

Die Stü cke in bei den Ed das sind münd lich wei ter er zähl te Lie der, von de nen<br />

vie le ur sprüng lich von den Göt tern selbst stam men (z. B. Grímnismál,<br />

Hávamál), an de re von Se he rin nen (z. B. V¸oluspá ) oder dem Schwe den kö nig<br />

Gyl fi (Gyl fa gin ning), der sei ne Vi sio nen wei ter er zählt hat. Na tür lich fin den<br />

sich in den Lie dern auch Spu ren der Über lie fe rer, z. B. von Snor ri oder Sæ -<br />

mun dur. Da die My then der Edda Par al le len zu al tin di schen My then, u. a. des<br />

Rig ve da (ca. 2000 v. u. Zt.), auf wei sen, kön nen wir da von aus ge hen, daß sie<br />

meh re re Jahr tau sen de hin durch münd lich tra diert wur den, und so mit sind Ab -<br />

stri che und Zu sät ze an den ur sprüng li chen Tex ten an zu neh men. Die se Än de -<br />

run gen fan den aber noch in heid ni scher Zeit bzw. durch Hei den statt und kön -<br />

nen als Zei chen der ste ti gen Wei ter ent wic klung der My tho lo gie an ge se hen<br />

wer den. Die Fra ge, ob in den Ed das auch christ li cher Ein fluß vor lie ge, möch -<br />

te ich ent schie den ver nei nen. Ge wis se Ähn lich kei ten von My then in der Edda<br />

mit biblischen Schilderungen haben als Ursache vielmehr eine<br />

Mythenverwandtschaft in indogermanischer Zeit.<br />

Die Schreib wei se der my tho lo gi schen Na men in den Ed das und an de ren al -<br />

ten Tex ten ge braucht übri gens be stimm te nor di sche Son der zei chen (Þ, þ = th;<br />

ð = d; ¸o, œ, ø = ö; á, å = ao), die ich bei be hal te.<br />

Brauch ba re Über set zun gen 12 der äl te ren Edda so wie von Tei len der jün ge -<br />

ren Edda be sorg ten Hugo Ge ring oder Karl Sim rock. Eine voll stän di ge deut -<br />

sche Über tra gung der jün ge ren Edda wur de von Gus tav Ne ckel und Fe lix<br />

Nied ner her ge stellt 13 . Von an de ren Ed da über set zun gen ist ab zu ra ten, da sie<br />

die Stro phen will kür lich um stell ten, falsch übersetzten oder Kürzungen<br />

vornahmen.<br />

Ne ben der Edda gibt es auch noch eine “ed di sche Dich tung”, das sind my -<br />

tho lo gi sche Lie der, die nicht in den Ed da hand schrif ten zu fin den sind, son -<br />

dern in an de ren Hand schrif ten (meist Saga-Hand schrif ten), die aber von Art<br />

18


und In halt zur Edda ge hö ren. Die meis ten gu ten Ed daa us ga ben ent hal ten aber<br />

der ar ti ge Lie der (z. B. Svipdagsmál, Hrafnagaldr Óðins, Sólarljóð).<br />

Die my tho lo gi schen Na mens auf zäh lun gen der jün ge ren Edda<br />

(“Nefnaþulur”) fin den sich un über setzt in Fin nur Jóns sons Buch “Skjal de -<br />

digt ning” 14 .<br />

Eine wei te re wich ti ge Quel le, die ger ma ni sche Göt ter my then ent hält, ist der<br />

dä ni sche Chro nist Saxo Gram ma ti cus. Die ser Mönch ver fa ß te ge gen 1200<br />

sei ne “Ge sta da no rum” (auch “His to ria Da ni ca” ge nannt), die “Dä ni sche Ge -<br />

schich te” in 16 Bü chern. Die ers ten 9 Bü cher, wel che die ur sprüng li chen Göt -<br />

ter my then ent hal ten, lie gen in deut scher Übersetzung vor 15 .<br />

Auch in den nor di schen Sa gas (ei gent lich “Sa gen”), das sind münd lich<br />

über lie fer te und dann auf ge schrie be ne Er zäh lun gen aus der Zeit etwa vom 9.<br />

bis 14. Jh., fin den sich My then und My then frag men te. Au ßer dem er hal ten die<br />

Sa gas zahl rei che Schil de run gen vom heid ni schen Kult und Glau ben. Es gibt<br />

eine lan ge Rei he von Sa gas, von de nen die meis ten auch in der “Samm lung<br />

Thu le” deutsch über setzt wurden 16 .<br />

Wich ti ge Quel len für das ger ma ni sche Hei den tum stel len auch die Be rich te<br />

und Bü cher der Ge schichts schrei ber dar, an ge fan gen von den His to ri kern der<br />

An ti ke (Cæ sar, Ta ci tus usw.) bis in die Zeit des spä ten Mit tel al ters (Adam von<br />

Bre men, Thiet mar von Mer se burg, Hel mold von Bo sau usw.). Die se Rei he<br />

von Tex ten, meist in la tei ni scher Spra che, fin det sich voll stän dig in der meh -<br />

re re hun dert Bü cher um fas sen den Rei he “Mo nu men ta ger ma nia scrip to res”.<br />

Von ih nen lie gen die wich tigs ten schon in ei ner äl te ren deut schen Über set -<br />

zung vor 17 . Eine Neu aus ga be die ser Schrif ten wur de be gon nen 18 .<br />

Auch in den er hal te nen ger ma ni schen Ge setz bü chern und Ge setz samm lun -<br />

gen fin den sich ei ni ge we ni ge Ein zel hei ten zum heid ni schen Glau ben und<br />

zum heid ni schen Den ken. Alle die se Ge setz samm lun gen sind in deut scher<br />

Spra che he raus ge ge ben wor den 19 .<br />

Vie le alte Göt ter my then le ben in den zahl rei chen deut schen Mär chen und<br />

Sa gen fort; auch sie sind als Quel len an zu se hen. Eine wich ti ge Samm lung von<br />

Mär chen be sorg ten die Ge brü der Grimm 20 ; auch eine um fang rei che Sa gen -<br />

samm lung aus ih rer Hand liegt vor 21 . Da rü ber hin aus kennt jede Re gi on in<br />

Deutsch land ihre Sa gen samm ler und de ren Ver öf fent li chun gen. Ge ra de zur<br />

Er hel lung von Ein zel hei ten über be stimm te Kult stät ten und Hei lig tü mer ge -<br />

ben sie oft ge nau es tens Aus kunft 22 .<br />

Schließ lich fin den sich in al ten Volks lie dern, ins be son de re aus den skan di -<br />

na vi schen Län dern, My then und heid ni sche In hal te 23 . Be kann te Hel den lie der<br />

und -sa gen (Ame lun gen, Ni be lun gen usw.) be rich ten zwar nicht über das ger -<br />

19


20<br />

Abb. 1: Ru nen stein von Jellin ge, Dä ne mark, 985 u. Zt.


ma ni sche Hei den tum, ent hal ten aber meist heid ni sche Ein zel hei ten und ge ben<br />

über die Denk wei se unserer heidnischen Vorfahren Aufschluß.<br />

Au ßer dem müs sen hier die Volks kun de und Brauch tums for schung und ihre<br />

Ver öf fent li chun gen an ge führt wer den. Zahl lo se so ge nann te aber gläu bi sche<br />

Bräu che und Ri ten ge hen auf das alte Hei den tum zu rück; es ist eine rei che<br />

Volks über lie fe rung meist aus den ver gan ge nen drei Jahr hun der ten er hal ten,<br />

wenn gleich auch christ li cher Ein fluß hier zwei fels oh ne vorhanden ist 24 .<br />

Zu letzt und als sehr wich ti ge Quel le ist die Ar chäo lo gie an zu se hen. Zahl lo -<br />

se Hei lig tü mer konn ten ar chäo lo gisch er forscht wer den (z. B. Torsbjærg,<br />

Ober dor la, Stell moor usw.), Tem pel konn ten re kon stru iert wer den (z. B. Groß<br />

Ra den, Par chim), vie le Op fer ga ben oder Op fer schät ze aus Hei lig tü mern sind<br />

heu te in Mu seen zu be sich ti gen und zei gen, wel che Ga ben man wo ge op fert<br />

hat te. Im ge sam ten Nor den fin den sich zu dem zahl rei che Ru nen in schrif ten<br />

so wie Ru nen- und Bild stei ne. Die Abb. 1 zeigt die Dra chen sei te des 985 er -<br />

rich te ten Ru nens teins von Jel lin ge, Dä ne mark, der im Ori gi nal noch far big<br />

an ge malt ist (Mu seum Ko pen ha gen). Er stammt al ler dings be reits aus christ li -<br />

cher Zeit. Zur Ar chäo lo gie ge hö ren auch die Er for schung al ter heid ni scher<br />

Flur na men und ergänzende Sprachforschungen, die uns die Bedeutung vieler<br />

Begriffe aus heidnischer Zeit erschließen.<br />

Auch die be kann ten My tho lo gien sind wich ti ge Schrif ten zur Auf ar bei tung<br />

des Hei den tums. Zu erst ist hier Ja cob Grimms drei bän di ge Deut sche My tho -<br />

lo gie zu nen nen 25 , aber auch an de re My tho lo gen, Ger ma nis ten und Re li -<br />

gions wis sen schaft ler ha ben gute Ab hand lun gen ver faßt 26 .<br />

Und na tür lich kön nen wir nun die Quel len noch mit den nah ver wand ten<br />

Glau bens for men z. B. der an ti ken Rö mer und Grie chen ver glei chen, um wei -<br />

te re Auf schlüs se zu be kom men. Auch die My then der In do ger ma nen, wie sie<br />

z. B. im in di schen Rig ve da oder in alt per si schen Hel den epen ent hal ten sind,<br />

kön nen wir vergleichend mit heranziehen.<br />

Al les in al lem ist also gar nicht so we nig über das ger ma ni sche Hei den tum<br />

er hal ten. Mu ß te sich ein Is län der vor 1000 Jah ren z. B. noch mit nur ei ner ein -<br />

zi gen Ver si on des Ni be lun gen lie des be gnü gen, die ihm viel leicht ein Skálde<br />

(Dich ter sän ger) vor ge tra gen hat te, so ste hen uns ganz un ter schied li che Fas -<br />

sun gen zur Ver fü gung: Die Ni be lun gen lie der in der äl te ren Edda (meh re re<br />

Hand schrif ten), die Ni be lun gen sa gen in der jün ge ren Edda (meh re re Hand -<br />

schrif ten), die Ni be lun gen über lie fe rung in der V¸ol sun ga saga, die vier Ni be -<br />

lun ge ne pen, die noch heu te auf den Fä rör ge sun gen wer den, meh re re wei te re<br />

skan di na vi sche Ni be lun gen lie der, meh re re Ru nen- und Bild stei ne so wie ge -<br />

schnitz te Bil der auf Stab kir chen, die die Ni be lun gen sa ge dar stel len, das deut -<br />

sche Ni be lun gen lied (in drei Hand schrif ten, auch in ei ner be bil der ten Ver si -<br />

21


on), das Gu dru ne pos, wel ches auch zur Ni be lun gen sa ge ge hört, wei te re Lie -<br />

der da raus, z. B. Her zog Ernst, das Lied vom ge hörn ten Sieg fried usw. Nur al -<br />

lein das Bei spiel der Ni be lun gen sa ge zeigt, daß uns viel mehr Über lie fe run -<br />

gen zur Ver fü gung ste hen, als den Men schen in der heid ni schen Zeit selbst.<br />

Aber alte Tex te kön nen uns na tür lich nicht den le ben di gen Glau ben und Kult<br />

er schlie ßen. Wir er fah ren da rin z. B. et was über Zau be rei; wie die se dann aber<br />

wirk lich aus ge führt wur de, er fah ren wir nicht. Wenn wir le sen, wie ein Scha -<br />

ma ne sich in ein Tier ver wan del te, können wir dies dennoch nicht<br />

nachmachen. Trotz der vielen Quellen fehlen uns also noch entscheidende<br />

Dinge, die wir heute nur noch bei den noch existierenden Naturvölkern lernen<br />

können.<br />

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