Suedhang_express_1-09.pdf 1.12 MB - Südhang
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Die Zeitschrift des <strong>Südhang</strong> | Ausgabe 1/09<br />
Neu ab Mai<br />
Die Tagesklinik <strong>Südhang</strong><br />
mitten in Bern<br />
Ab Seite 4<br />
Kompetenzzentrum für Mensch und Sucht
Bild aus dem <strong>Südhang</strong> | Klinik und Tagesklinik<br />
Land und Stadt.<br />
Die Klinik <strong>Südhang</strong> in Kirchlindach – mitten in der Natur.<br />
Die Tagesklinik und das Ambulatorium <strong>Südhang</strong> hinter dem Burgerspital – mitten in Bern.<br />
> www.suedhang.ch<br />
<strong>Südhang</strong> – Kompetenzzentrum für Mensch und Sucht
Inhalt<br />
2 Bild aus dem <strong>Südhang</strong><br />
3 Impressum<br />
Editorial<br />
4 Thema | Die neue Tagesklinik<br />
Im Mai wird mitten in Bern die Tagesklinik<br />
<strong>Südhang</strong> eröffnet. Das Kompetenzzentrum<br />
für Mensch und Sucht <strong>Südhang</strong><br />
bietet nun die gesamte Behandlungpalette<br />
an.<br />
7 Interview<br />
mit Philippe Perrenoud, Regierungsrat<br />
Gesundheits- und Fürsorgedirektor<br />
des Kantons Bern<br />
8 Thema / Das Wichtigste in Kürze<br />
9 Interview<br />
mit Matthias Nigg von Santésuisse<br />
10 Sechs Briefe und eine SMS<br />
Einblicke in die Tagesklinik <strong>Südhang</strong><br />
Die Struktur und die Inhalte des<br />
Therapieprogramms.<br />
13 Carte Blanche | Balts Nill<br />
Eine Sekunde<br />
14 Als Gastkünstlerin im <strong>Südhang</strong><br />
Maria Marchetta<br />
15 Agenda<br />
Hinweise auf Veranstaltungen<br />
Titelbild | Baum mit Kranichen von Maria Marchetta<br />
Impressum<br />
Herausgeberin | <strong>Südhang</strong> – Kompetenzzentrum<br />
für Mensch und Sucht, 3038 Kirchlindach,<br />
Telefon 031 828 14 14, Fax 031 828 14 24<br />
www.suedhang.ch, info@suedhang.ch<br />
Redaktion | Kurt Mächler (KM), Stephan Mathys<br />
(StM), Markus Bürgi (Bü), Georges Kessler (Ke), Marcel<br />
Schmid (MS) Bildredaktion: Brigit Ryter (Ry)<br />
Konzept und Gestaltung |<br />
Steg3 – Agentur für Kommunikation, Bern<br />
Druck | Rub Graf-Lehmann AG, Bern<br />
Auflage | 7'000 Exemplare<br />
Urheberrecht | Die Verwendung von Beiträgen ist<br />
nur auf Anfrage und mit Quellenangaben gestattet.<br />
Kontakt | Marcel Schmid, Telefon 031 828 14 14,<br />
<strong>express</strong>@suedhang.ch<br />
Editorial<br />
Liebe Leserin, lieber Leser<br />
Alles neu, macht der Mai, macht die Seele frisch und frei.<br />
Lasst das Haus, kommt hinaus, windet einen Strauss!<br />
Diese Zeilen aus einem bekannten Volkslied passen bestens zur aktuellen<br />
Situation des Kompetenzzentrums <strong>Südhang</strong>. Im Mai dieses<br />
Jahres eröffnen wir in Bern die erste Tagesklinik für Suchtbehandlungen<br />
in der Schweiz!<br />
Sie werden sich vielleicht fragen: Genügen die Klinik in Kirchlindach<br />
für stationäre Behandlungen und das Ambulatorium in Bern<br />
noch nicht?<br />
Seit etlichen Jahren wächst in der Suchttherapie die Erkenntnis,<br />
dass die Therapieerfolge besser sind, wenn sich die Behandlungsangebote<br />
den Bedürfnissen der Patientinnen und Patienten anpassen<br />
– und nicht umgekehrt. Ziele und Behandlungsprogramme werden<br />
heute mit den Betroffenen ausgehandelt, und die jeweilige Therapiedauer<br />
wird nicht einfach vorgegeben, sondern dem Therapieverlauf<br />
angepasst. Die Behandlungsangebote wurden und werden differenzierter<br />
und zunehmend flexibilisiert. Es braucht nicht immer<br />
eine maximal aufwändige therapeutische Intervention, eine bescheidenere<br />
genügt vielfach auch. Diese Erkenntnis der modernen<br />
Suchttherapie lässt sich aus dem sogenannten «Stepped Care»-Prinzip<br />
ableiten: Immer die am wenigsten aufwändige wirksame therapeutische<br />
Intervention soll gewählt werden.<br />
Sie sehen, es gibt viele Gründe, die für eine Tagesklinik sprechen:<br />
Das Angebot wird flexibler und ist auf die Bedürfnisse der Betroffenen<br />
zugeschnitten.<br />
Wenn eine ambulante Behandlung nicht in Frage kommt, genügt<br />
manchmal eine teilstationäre Therapie. Es müssen nicht alle Betroffenen<br />
ihre gewohnte Umgebung verlassen.<br />
Die Übergänge zwischen stationär und ambulant werden durch<br />
die Möglichkeiten einer tagesklinischen Behandlung optimal ergänzt.<br />
Die stationäre Behandlung kann abgekürzt und die notwendige<br />
Überbrückung zum ambulanten Setting sichergestellt werden.<br />
Wir sind davon überzeugt, dass die Tagesklinik einen Fortschritt in<br />
Richtung einer zeitgemässen und wirksamen Suchttherapie darstellt.<br />
In dieser Ausgabe des <strong>express</strong> finden Sie viele Informationen zur neuen<br />
Tagesklinik.<br />
Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre und bin gespannt auf<br />
Ihre Reaktionen.<br />
Peter Allemann, Chefarzt<br />
<strong>express</strong> 1|2009
Thema | Die neue Tagesklinik <strong>Südhang</strong><br />
Zwischen ambulant<br />
und stationär<br />
Die neue Tagesklinik<br />
<strong>Südhang</strong><br />
4 <strong>Südhang</strong> – Kompetenzzentrum für Mensch und Sucht<br />
Die Tagesklinik stellt heute eine notwendige Ergänzung<br />
und Optimierung der bestehenden Suchtrehabilitationsangebote<br />
dar. Sie ist zwischen ambulanter und stationärer<br />
Rehabilitation angesiedelt, allerdings mit einem Therapieangebot,<br />
das dem stationären an Intensität gleich<br />
zu setzen ist, gelegentlich sogar noch intensiver ausfällt.<br />
Peter Allemann, Chefarzt<br />
>
Im Mai wird mitten in Bern, in unmittelbarer Nähe<br />
des Hauptbahnhofs, die Tagesklinik <strong>Südhang</strong> eröffnet.<br />
Das Kompetenzzentrum für Mensch und Sucht <strong>Südhang</strong><br />
bietet mit dem Ambulatorium, der Klinik und der neuen<br />
Tagesklinik die gesamte Palette zur Behandlung von<br />
Menschen mit Substanzproblemen an.<br />
Von Peter Allemann, Chefarzt<br />
Die Tagesklinik des Kompetenzzentrums<br />
<strong>Südhang</strong> ist eine Behandlungseinrichtung<br />
für alkohol- und medikamentenabhängige<br />
Frauen und Männer. Sie verfügt<br />
über zwölf Behandlungsplätze in einer<br />
offenen, geschlechtlich gemischten Therapiegruppe.<br />
Es werden teilstationäre,<br />
ganztägige Entwöhnungsbehandlungen<br />
(Gruppen- und Einzeltherapien) während<br />
drei bis neun Wochen durchgeführt. Die<br />
Patienten und Patientinnen verbringen<br />
die Abende und Wochenenden in ihrer gewohnten<br />
Umgebung.<br />
Das Behandlungssetting ist in der Regel<br />
in drei Phasen eingeteilt: Am Anfang<br />
steht die Diagnostik- und Indikationsphase,<br />
gefolgt von einer Therapie- und Trainingsphase<br />
und abschliessend einer Reintegrationsphase<br />
(Planung des Anschlusssettings).<br />
Eine Kostengutsprache der<br />
Krankenkasse kann maximal für 45 Tage<br />
eingeholt werden.<br />
Das Kompetenzzentrum für Mensch<br />
und Sucht <strong>Südhang</strong> kann somit ein Gesamtangebot<br />
(Ambulatorium, stationäre<br />
und teilstationäre Klinik) zur Behandlung<br />
von Menschen mit Substanz problemen<br />
«aus einer Hand» anbieten. Dies bietet<br />
vielerlei Vorteile: So können Patienten<br />
und Patientinnen in einem ambulanten<br />
Alkohol- oder Medikamentenentzug auf<br />
die teilstationäre Rehabilitation vorbereitet<br />
werden. Für Patienten und Patientinnen<br />
im stationären Therapieangebot<br />
ergibt sich neu eine institutionelle Kon-<br />
stanz; Schwellen ängste können bereits<br />
während der Hospitalisation minimiert<br />
werden. Die Patienten und Patientinnen<br />
werden eingehend über die teilstationäre<br />
Behandlung informiert und lernen bereits<br />
Mitglieder des Behandlungsteams<br />
kennen. Dabei ist die gute Vernetzung gewährleistet<br />
und schnelle Rückspra chen<br />
sind jederzeit möglich.<br />
Intensives Therapieprogramm<br />
Die Tagesklinik <strong>Südhang</strong> bietet eine<br />
Suchtbehandlung an mit Psychotherapie,<br />
Alltagsbewältigung, Freizeitgestaltung,<br />
Kunsttherapie, Sportaktivitäten und soweit<br />
notwendig Arbeitsintegrationsmassnahmen<br />
(lesen Sie dazu auch «Sechs<br />
Briefe und eine SMS» in dieser Ausgabe).<br />
Die teilstationäre Behandlung ist geeignet<br />
für alkohol- und medikamentenabhängige<br />
Personen, die sich nicht (oder<br />
nicht mehr) in einer akuten Krankheitsphase<br />
befinden, und somit kein vollstationäres<br />
Angebot brauchen – wegen ihrer<br />
gesundheitlichen Verfassung oder instabiler<br />
Abstinenzfähigkeit wären sie aber<br />
im ambulanten Rahmen (noch) überfordert.<br />
Eine wichtige Bedingung ist zudem,<br />
dass sie über eine intakte Wohnsituation<br />
verfügen. Patienten und Patientinnen<br />
mit leichteren körperlichen Folgeerkrankungen<br />
und nur geringen kognitiven Beeinträchtigungen<br />
können ebenso behandelt<br />
werden wie Personen mit psychiatrischen<br />
Zusatzdiagnosen, die auch<br />
sonst einer teilstationären oder ambulanten<br />
Behandlung (in der Psychiatrie)<br />
zugänglich wä ren.<br />
<strong>express</strong> 1|2009<br />
><br />
5
Thema | Die neue Tagesklinik <strong>Südhang</strong><br />
Vier Fragen an Herrn Franz von Graffenried<br />
Präsident der Burgergemeinde Bern<br />
Wer ist die Burgergemeinde Bern und was<br />
sind ihre Hauptaufgaben?<br />
Die Burgergemeinde Bern ist eine öffentlich<br />
rechtliche Körperschaft. Sie ist eine<br />
«Heimatgemeinde» und umfasst ca. 17'500<br />
Angehörige. Alle haben als Heimatort die<br />
Burgergemeinde Bern, wohnen aber auf der<br />
ganzen Welt verstreut. Hauptaufgabe ist die<br />
Ausübung der Vormundschaft und Fürsorge<br />
für ihre Angehörigen. Daneben führt und<br />
unterhält sie Altersheime, das Jugendwohnheim,<br />
das Naturhistorische Museum, das<br />
Kultur-Casino, die DC-Bank, die Burgerbibliothek<br />
sowie diverse Immobilien und Wälder.<br />
Sie unterstützt regelmässig öffentliche<br />
Institutionen im Sozial-, Wissenschaftsund<br />
Kulturbereich.<br />
Welche Aufgaben hat dabei das Burgerspital<br />
am Bahnhofplatz?<br />
Das Burgerspital ist ein Alters- und Pflegeheim.<br />
Nach dem nun vorgesehenen Umbau<br />
wird es auch die Funktion als «Haus der<br />
Generationen» erfüllen sowie die Burgerverwaltung<br />
beherbergen.<br />
Eine Tagesklinik für Suchttherapien neben<br />
dem Burgerspital – passt das zusammen?<br />
Das Burgerspital war von jeher eine<br />
Herberge für benachteiligte, arme oder<br />
kranke Personen. Beide Institutionen bieten<br />
Hilfe und Pflege und passen damit bestens<br />
zusammen.<br />
Wo sehen Sie die Möglichkeiten einer Zusammenarbeit<br />
zwischen Burgerspital und<br />
Tagesklinik?<br />
Eine Zusammenarbeit ist in den Bereichen<br />
Verpflegung, Aufsicht, Freizeitgestaltung,<br />
Gartenarbeit, Kulturangebot, technischer<br />
Dienst, etc. anzustreben.<br />
6 <strong>Südhang</strong> – Kompetenzzentrum für Mensch und Sucht<br />
><br />
Der Vorteil unseres teilstationären Behandlungssettings<br />
besteht dabei einerseits<br />
in der Wohnortnähe (gute Anbindung<br />
mit öffentlichen Verkehrsmitteln)<br />
und andererseits in einer supportiven, Ressourcen<br />
schonenden therapeutischen Intervention,<br />
die abends zuhause vom Patienten,<br />
der Patientin angewendet oder<br />
fortgesetzt werden kann. Die Tagesklinik<br />
stellt heute eine notwendige Ergänzung<br />
und Optimierung der bestehenden Suchtrehabilitationsangebote<br />
dar. Sie ist zwischen<br />
ambulanter und stationärer Rehabilitation<br />
angesiedelt, allerdings mit einem<br />
Therapieangebot, das dem stationären an<br />
Intensität gleich zu setzen ist, gelegentlich<br />
sogar noch intensiver ausfällt.<br />
Die Gesamtleitung der Tagesklinik liegt<br />
in den Händen eines Facharztes für Psychiatrie<br />
und Psychotherapie. Einzelgespräche<br />
und die Begleitung der Patienten und Patientinnen<br />
im Sinne eines Fallmanagers<br />
werden von Psychologinnen, Sozialarbeitern<br />
resp. Sozialpädagogen mit therapeutischer<br />
Zusatzausbildung übernommen.<br />
Versorgungsgebiet und<br />
Infrastruktur<br />
Das Versorgungsgebiet umfasst den Grossraum<br />
der Stadt Bern sowie der Städte Biel<br />
und Thun. Hier leben zirka 0.8 Millionen<br />
Menschen. Im gesamten Versorgungs-<br />
gebiet gibt es bis zum heutigen Zeitpunkt<br />
keine teilstationären Plätze für die Rehabilitation<br />
von Abhängigkeitserkrankungen.<br />
Die Tagesklinik liegt zentral im Areal<br />
des Burgerspitals beim Bahnhof in Bern,<br />
der zu Fuss in einer Minute erreichbar<br />
ist. Das Ambulatorium <strong>Südhang</strong> wird in<br />
denselben Räumlichkeiten wie die Tagesklinik<br />
weitergeführt. Der City Notfall, mit<br />
dem eine gute Zusammenarbeit besteht,<br />
ist ebenfalls in nur einer Minute zu erreichen.<br />
Zur Durchführung der Therapie stehen<br />
grosszügige Räumlichkeiten (ca. 500<br />
qm) sowie eine kleine angrenzende Grünzone<br />
zur Erholung und für Aussenaktivitäten<br />
zur Verfügung. Die Mittagsmahlzeiten<br />
werden von der Grossküche des Burgerspitals<br />
zubereitet.<br />
Neue Forschungsergebnisse<br />
Für die psychiatrische Behandlung wurden<br />
bereits in den 70er Jahren vier Ziele formuliert,<br />
die auch heute unverändert gültig<br />
sind: Sie ist gemeindenah, bedarfsgerecht,<br />
gut koordiniert und für eine Gleichstellung<br />
von psychisch Kranken mit somatisch<br />
Kranken bemüht.<br />
In der Psychiatrie können zumindest<br />
bei den drei erstgenannten Zielen deutliche<br />
Verbesserungen registriert werden.<br />
Im Bereich der Suchttherapien dagegen
sind immer noch wenige Fortschritte erkennbar.<br />
Eine Ursache hierfür dürften die<br />
verschiedenen «Sucht-Vereinbarungen»<br />
gewesen sein, die sich wegen ihrer «unerträglichen<br />
Diskontinuitäten in der Behandlung<br />
suchtkranker Menschen» (Schwoon<br />
1996) als hinderlich erwiesen haben. Mit<br />
anderen Worten: Man war sich lange nicht<br />
einig, wie eine Suchterkrankung verläuft<br />
und was sie in welchem Stadium an Behandlung<br />
braucht.<br />
2005 wurde in der Suchtmittelkommission,<br />
einer beratenden Kommission der GEF<br />
(Gesundheits- und Fürsorgedirektion) des<br />
Kantons Bern festgehalten, dass «in einem<br />
regionalen Gesamtversorgungskonzept<br />
den Abhängigkeitskranken die teilstationäre<br />
Versorgung nicht – wie bisher – vorenthalten<br />
bleiben darf. Dort wo tagesklinische<br />
Behandlung realisiert wird, hat sie<br />
sich bisher bewährt».<br />
Glücklicherweise fanden in den letzten<br />
Jahren vermehrt Forschungserkenntnisse<br />
über Motivation sowie sozialkognitive<br />
Verhaltenstherapien Eingang in die Behandlung<br />
Suchtkranker (Beck et al. 1997).<br />
Es zeigt sich, dass teilstationäre Behandlungen<br />
die vier obigen Ziele teilweise auch<br />
für die Suchttherapie aufnehmen. Sie ermöglichen<br />
die niederschwellige, wohnortnahe<br />
Versorgung, die Einbeziehung des<br />
><br />
Kurzinterview | Philippe Perrenoud<br />
Fünf Fragen an Herrn Philippe Perrenoud, Regierungsrat<br />
Gesundheits- und Fürsorge direktor des Kantons Bern<br />
Was sieht die Entwicklung des Suchtangebots im Kanton Bern aus?<br />
Für den Kanton Bern ist eine gut zugängliche, qualifizierte Versorgung<br />
der ganzen Bevölkerung prioritär. Dabei steuern wir anhand der Pro-<br />
blemlasten: Die Suchthilfeangebote sind auf die Entwicklung der Kon-<br />
summuster und die Verbreitung der Süchte ausgerichtet. Gleichzeitig<br />
analysieren wir laufend den Bedarf anhand der Auslastungen unserer<br />
Institutionen. Im stationären Bereich haben wir über die letzten Jahre<br />
in einem nicht unwesentlichen Ausmass Betten abgebaut. Das An-<br />
gebot im ambulanten Bereich diversifiziert sich zunehmend, entspre-<br />
chend der zunehmenden Komplexität der Suchterkrankungen.<br />
Entspricht das Angebot der Tagesklinik der schweizerischen und euro-<br />
päischen Entwicklung?<br />
In der Schweiz gibt es bis heute wenig tagesklinische Einrichtungen<br />
für Suchtkranke; wir vermuten, dass sich das Angebot etablieren<br />
könnte. In den Psychiatrischen Tageskliniken kann eine schwerwie-<br />
gende Suchtproblematik oft den Behandlungsrahmen sprengen.<br />
Unter dem Primat der Integration ist niederschwellige, wohnortnahe<br />
Versorgung auch in den Umländern verbreitet.<br />
Werden stationäre Angebote künftig ganz verschwinden?<br />
Grundsätzlich hat in den letzten Jahren eine Verlagerungstendenz<br />
von stationären Angeboten zu ambulanten eingesetzt. Diese Tendenz<br />
wird sich fortsetzen, weil frühe Intervention effektiver und effizienter<br />
ist als nach gelagerte Massnahmen. Auch unter dem Aspekt der<br />
Integration, welche letztlich mit allen Angeboten verfolgt wird, und<br />
den Bedürfnissen der Klienten, welche möglichst wenig eingreifende<br />
Massnahmen bevorzugen, sind ambulante Angebote auszubauen.<br />
Gleichzeitig behalten die stationären Angebote ihre Berechtigung<br />
für jene Menschen, die ambulant nicht sinnvoll behandelt werden<br />
können.<br />
Weshalb wird die Trennung der Angebote für legale und illegale Süchte<br />
mehr und mehr aufgehoben?<br />
Wie erwähnt sind unsere Suchthilfeangebote auf die Klienten aus-<br />
gerichtet. Da sich die Klienten zunehmend durch Mehrfachkonsum<br />
auszeichnen und die Konsummuster sich generell verändern, ist die<br />
Trennung der Angebote anhand dieser Grenze nicht mehr zeitgemäss.<br />
Zudem werden psychosoziale Interventionen nicht nach Substanz-<br />
kriterien eingesetzt. Gleichzeitig wird es immer eine spezifische<br />
Intervention je nach Substanzabhängigkeit brauchen.<br />
Was ist Ihr Wunsch an die Anbieter von Suchttherapien im Kanton?<br />
Ich erwarte von den durch den Kanton finanzierten Anbietern eine<br />
grundsätzliche Offenheit für Diskussionen der Gesamtstrategie des<br />
Kantons. Und ich möchte es nicht unterlassen, dem <strong>Südhang</strong> für die<br />
kontinuierliche Weiterentwicklung der Angebote in engem Austausch<br />
mit meiner Direktion zu danken.<br />
<strong>express</strong> 1|2009<br />
7
Thema | Die neue Tagesklinik <strong>Südhang</strong><br />
Das Wichtigste in Kürze<br />
Die Tagesklinik ist geeignet<br />
für Patienten und Patientinnen<br />
• für die eine teilweise Herausnahme aus<br />
einem pathogenen Milieu angezeigt ist.<br />
• mit ungenügenden Fähigkeiten zu einer<br />
geregelten Tagesstrukturierung.<br />
• die Fähigkeiten haben, Abende und<br />
Wo chenenden selber strukturieren zu<br />
können.<br />
• die über Reste sozialer Stabilität und Integration<br />
verfügen (wie z.B. Familie,<br />
Partner, suchtmittelfreie soziale Beziehungen,<br />
Beruf).<br />
• die geringe bis mittlere Folgeschäden<br />
der Abhängigkeit aufweisen (körperlich,<br />
psy chisch, sozial) und regelmässig<br />
am Thera pieprogramm teilnehmen<br />
können.<br />
• bei denen durch die Massnahmen die<br />
Er werbsfähigkeit verbessert werden<br />
könnte.<br />
• mit einer regelmässigen Wohngelegenheit,<br />
die ein suchtmittelfreies Leben ermöglicht<br />
und das Erreichen der Tagesklinik<br />
innerhalb nützlicher Reisezeit erlaubt.<br />
Die Tagesklinik<br />
ist nicht geeignet bei<br />
• geringer Behandlungsmotivation und<br />
fehlender Bereitschaft zur Abstinenz.<br />
• akuter Suizidalität.<br />
• akuten und medikamentös nicht ausreichend<br />
eingestellten Psychosen.<br />
• äusserst instabilem Gesundheitszustand<br />
mit schweren körperlichen<br />
Erkrankungen, die eine regelmässige<br />
Teilnahme am Behandlungsprogramm<br />
verunmöglichen und eine intensivere<br />
Behandlung nötig machen.<br />
• starken Hirnleistungsstörungen<br />
(Bsp. Demenz oder schwere organische<br />
Psychosyndrome).<br />
8 <strong>Südhang</strong> – Kompetenzzentrum für Mensch und Sucht<br />
Mögliche Behandlungsziele<br />
• Erkennen der Abhängigkeit<br />
• Abstinenz<br />
• Befähigung zur ambulanten<br />
Behandlung<br />
• Integration in Selbsthilfegruppen<br />
• Krisenbewältigung<br />
• Vermeidung oder Verkürzung<br />
vollstationärer Behandlung<br />
Vorteile eines tagesklinischen<br />
Therapieangebotes<br />
• Das familiäre und soziale Umfeld bleibt<br />
erhalten.<br />
• Aktuelle Konflikte und Probleme können<br />
im schützenden Rahmen der Tagesklinik<br />
bearbeitet werden.<br />
• Alternative Verhaltensweisen können<br />
vor Ort ausprobiert werden<br />
(Realitätsbewältigung).<br />
• Kostengünstiger als stationäre<br />
Therapien.<br />
• Geeignete Behandlungsphase für<br />
Suchtkranke, die so stabil sind, dass sie<br />
therapiefreie Zeiten ohne Rückfall bewältigen<br />
und dennoch intensive Therapie<br />
brauchen (Kunze 1996).<br />
Die Tagesklinik richtet sich<br />
insbesondere an jene Patienten<br />
und Patientinnen<br />
• die nach einem Entzug oder einer stationären<br />
Entwöhnung abstinent leben<br />
wollen,<br />
• aber selbständig bisher keine tragfähige<br />
Abstinenz erzielen konnten<br />
• und (weiterhin) eine hohe therapeutische<br />
Intensität in einem zumindest teilweise<br />
geschützten Rahmen benötigen.<br />
• Zudem soll der Realitätsbezug in ihrer<br />
sozialen Umgebung erhalten bleiben.<br />
Die Anmeldung<br />
erfolgt in der Regel durch einen Arzt, eine<br />
Ärztin nach dem Entzug.<br />
Vorgängige Abklärungen und der Entzug<br />
können unter anderem im Ambulatorium<br />
<strong>Südhang</strong> durchgeführt werden, welches<br />
in die Tagesklinik integriert ist.<br />
Tagesklinik <strong>Südhang</strong><br />
Bubenbergplatz 4B<br />
3001 Bern<br />
Telefon 031 828 80 00<br />
tagesklinik@suedhang.ch
sozialen Umfeldes und die aktuelle Bear- Vier Fragen an Herrn Matthias Nigg von Santésuisse<br />
beitung von sozialen Konflikten und Lebenskrisen<br />
in einem lebensweltnahen the-<br />
Verhandlungsleiter Ambulante Versorgung Region Mitte<br />
rapeutischen Umfeld.<br />
Suchterkrankung wird leider auch heute noch oft mit einer Charakterschwäche in Verbin-<br />
Lücke geschlossen<br />
In den USA sind Tageskliniken bereits seit<br />
Jahren etabliert, da sie zu Kostensenkung<br />
und Verbesserung der Behandlungsangebote<br />
führen sollen. In Russland wurden<br />
nach dem Zweiten Weltkrieg europaweit<br />
die ersten Tageskliniken in der Psychiatrie<br />
erprobt. Man ging davon aus, dass durch<br />
die Einrichtung von spezialisierten Tageskliniken<br />
keine neuen, vom bisherigen Behandlungsangebot<br />
nicht erreichten Patientengruppen<br />
hätten rekrutiert werden<br />
können. Deshalb sind gerade die suchtspezifischen<br />
Tageskliniken anfänglich in direkte<br />
Konkurrenz mit etablierten Einrichtungen<br />
der Suchtkrankenversorgung getreten.<br />
Dennoch wurden beispielsweise in<br />
Deutschland reihenweise suchtspezifische<br />
Tagekliniken eröffnet, nicht zuletzt unter<br />
dem in den letzten Jahrzehnten grossen öffentlichen<br />
Spardruck. In der Schweiz gibt<br />
es bislang keine tagesklinische Einrichtung<br />
speziell für Suchtkranke. In den bestehenden<br />
psychiatrischen Tageskliniken<br />
stellt die Suchtproblematik zumindest bis<br />
heute meistens ein Ausschlussgrund dar.<br />
Mit der Tagesklinik <strong>Südhang</strong> schliessen<br />
wir für die Grossräume Bern, Thun und<br />
Biel diese wichtige Lücke in der Behandlung<br />
von Abhängigkeitserkrankungen.<br />
Literatur:<br />
Schwoon, D.R. (1996): Der Einfluss prätherapeutischer,<br />
posttherapeutischer und interventionsspezifischer<br />
Variablen auf das<br />
Therapieergebnis bei Alkoholkranken. In<br />
Krausz, M., Haasen, C.: Langzeitperspektiven<br />
süchtigen Verhaltens (126-150). Freiburg,<br />
Lambertus.<br />
Beck AT, Wright FD, Newman CF, Liese BS<br />
(1997): Kognitive Therapie der Sucht: Beltz,<br />
Psychologie Verlags Union.<br />
Kunze H, Kaltenbach L (1996): Psychiatrie-Personalverordnung.<br />
Textausgabe mit<br />
Materialien und Erläuterungen für die<br />
Praxis. 3., erweiterte Auflage. Kohlhammer,<br />
Stuttgart–Berlin–Köln.<br />
Kurzinterview | Matthias Nigg<br />
dung gebracht. Wie stehen die Krankenkassen dazu?<br />
Die soziale Krankenversicherung bezahlt Leistungen, für welche eine gesetzliche Basis<br />
vorhanden ist. Das heisst, dass alleine die Diagnose entscheidet und nicht der Charakter<br />
einer versicherten Person. Die Krankenkassen haben aktiv mitgeholfen, die erfolgreiche<br />
Drogenpolitik des Bundes umzusetzen. Allerdings muss die Frage, wie viel davon die Versicherten<br />
über Krankenversicherungsprämien, sogenannte Kopfprämien, im Gesundheitsund<br />
Sozialwesen bezahlen können, immer wieder kritisch hinterfragt werden.<br />
Sucht ist eine Rückfallkrankheit. Wann können die Krankenkassen bei einem Patienten<br />
die Leistungen stoppen?<br />
Kürzungen sind bei nachgewiesenem schwerem Selbstverschulden zulässig (bei ambulanter<br />
Behandlung von Rauschgiftsüchtigen gemäss Krankenpflege-Leistungsverordnung<br />
Anhang 1 Ziff 8). Sie kommen fast nur im Bereich der Taggeldversicherungen vor und<br />
auch dort nur selten. Eine Leistungssistierung erfolgt sonst nur bei Nichtbezahlen der<br />
Prämien (vgl. Art. 64a KVG) und steht nicht in Zusammenhang mit einer bestimmten<br />
Krankheit (beispielsweise Nichteinhalten der Therapieempfehlungen) oder unvernünftigem<br />
Verhalten.<br />
Worin besteht aus Sicht der Krankenkassen der Vorteil einer Tagesklinik?<br />
Aus Sicht der Krankenkassen als Zahlstelle gibt es keine Vorteile, da sie im ambulanten<br />
Bereich die vollen Kosten tragen müssen. Im stationären Bereich werden hingegen fast<br />
zwei Drittel der Kosten über Steuern finanziert. Wenn die Vorteile für Tageskliniken aus<br />
medizinischer Sicht eindeutig überwiegen, so stehen die Kassen zu dieser Entwicklung.<br />
Werden in der Klinik Strukturen für ambulante Leistungen beansprucht, welche schon<br />
vom Steuerzahler bezahlt worden sind, so müssen diese Kosten von den Rechnungen an<br />
die Krankenkassen abgezogen werden. Dies versuchen wir in diesem Sinn in den Verträgen<br />
zu regeln, denn der Einwohner oder die Einwohnerin soll Leistungen nicht doppelt<br />
bezahlen müssen.<br />
Was sind die Wünsche der Krankenkassen an die Anbieter von Suchttherapien?<br />
Das Krankenversicherungsgesetz baut darauf auf, dass die Leistungen der Grundversicherung<br />
wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich erbracht werden. Somit müssen diese<br />
Kriterien auch auf eine Suchttherapie angewendet werden. Hinsichtlich der Wirksamkeit<br />
heisst dies: Durchführung von wirksameren, nachhaltigen Therapien mit kleinstmöglichem<br />
Rückfallrisiko. Entwicklung von Strategien zum Leben ohne Suchtmittel und nicht<br />
nur mit Suchtmittelsubstitution. Die Reintegration soll auch in die normale Arbeitswelt<br />
möglich sein. Insgesamt soll mit wirksameren Programmen daraufhin gewirkt werden,<br />
dass Abhängigkeitserkrankungen erst gar nicht entstehen. Ein wichtiger Punkt bildet<br />
dabei die Förderung der Selbstverantwortung der Versicherten. Das Kriterium der Zweckmässigkeit<br />
ist erfüllt, wenn die individuell bestmögliche Therapie mit der besten Aussicht<br />
auf Erfolg angewendet wird. Für das Kriterium der Wirtschaftlichkeit fordern die Krankenkassen<br />
bessere, wirksamere und kostengünstigere Therapien zugunsten vernünftiger<br />
Versicherungsprämien! Dabei ist zu beachten, dass die Wirksamkeit und Zweckmässigkeit<br />
unter dem Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit beurteilt werden müssen. Bei der<br />
Wahl der Therapie muss deshalb auch die Frage gestellt werden: Gibt es Ansätze mit<br />
ähnlichen Resultaten, die weniger kosten? Die Krankenkassen wünschen zudem eine klare<br />
Abgrenzung zur Sozialpsychiatrie und zu reintegrativen Elementen. Beides sind keine<br />
Pflichtleistungen gemäss KVG.<br />
<strong>express</strong> 1|2009<br />
9
Thema | Die neue Tagesklinik <strong>Südhang</strong><br />
Sechs Briefe und eine SMS –<br />
Einblicke in die Tagesklinik<br />
<strong>Südhang</strong><br />
Momentan werden die letzten Sanierungsarbeiten<br />
am Gebäude der Tagesklinik<br />
vorgenommen. Die Struktur und Inhalte des<br />
Therapieprogramms sind bereits fertig<br />
gestellt. Die folgenden fiktiven<br />
Briefe einer erfundenen Patientin geben<br />
Einblicke in die neue Tagesklinik <strong>Südhang</strong>.<br />
Von Marianne Neuhaus, Personell-Organisatorische Leiterin<br />
Abklärungsstation und Tagesklinik<br />
Nennen wir unsere Patientin Erika Sommer. Nehmen wir an,<br />
sie sei 38jährig, Verkäuferin, seit 2008 geschieden, alleinerziehende<br />
Mutter von Anja, 15-jährig und Sven, 12-jährig. Sie wohnt<br />
30 km von Bern entfernt und ist seit fünf Wochen in der Tagesklinik.<br />
Nun schreibt sie Briefe an verschiedene Adressaten: ihre<br />
Schwester, den zuweisenden Arzt, ihre Beraterin bei der Suchtfachstelle,<br />
und an andere mehr.<br />
Nicht nur die Patientin Erika Sommer ist frei erfunden, sondern<br />
auch alle anderen Personen und Ereignisse.<br />
10 <strong>Südhang</strong> – Kompetenzzentrum für Mensch und Sucht<br />
Frau Kurz, Beraterin der Suchtfachstelle am Wohnort von Frau<br />
Sommer, hat ihr die Tagesklinik <strong>Südhang</strong> empfohlen.<br />
Sehr geehrte Frau Kurz<br />
Ich bin jetzt die fünfte Woche in der Tagesklinik und nutze die Schreib-<br />
werkstatt (Angebot der Kunsttherapie), um Ihnen zu schreiben.<br />
Sie hatten recht: Die Tagesklinik ist genau das Richtige für mich! Ich bin<br />
nicht ganz weg von den Kindern und habe trotzdem viel Zeit für mich.<br />
Sie wissen ja, dass mich der Alltag nach dem ambulanten Entzug jeweils<br />
sofort wieder überfordert hat – und dass ich eigentlich schon lange<br />
wusste, dass ich eine stationäre Therapie machen sollte. Das hätte aber<br />
bedeutet, die Kinder eine Zeitlang ganz wegzugeben. Dazu war und bin<br />
ich nicht bereit.<br />
In der Tagesklinik habe ich nun ein sehr intensives Programm: Jeden<br />
Tag besprechen wir, wie es uns zu Hause ergangen ist und lernen in der<br />
themenzentrierten Gruppe mehr über die Suchterkrankung und deren<br />
Mechanismen kennen; und was Rückfallprophylaxe heisst und zwar<br />
genau massgeschneidert auf unsere Situationen, in denen wir sind. In der<br />
Sozialtrainingsgruppe variieren die Themen: Bewerbungen schreiben und<br />
Vorstellungsgespräche üben muss ich ja zum Glück nicht, weil ich meine<br />
Stelle noch habe. Aber letzte Woche haben wir uns mit der Steuererklärung<br />
auseinandergesetzt – das mache ich ja dieses Jahr zum ersten Mal<br />
wieder selber. Bei den Rollenspielen haben wir viel gelacht. Das Oberthema<br />
war «für sich einstehen». Die Beispiele kamen aus der Gruppe und<br />
waren sehr vielfältig.<br />
Ich möchte mich bereits jetzt für eine Nachbetreuungsgruppe bei Ihnen<br />
anmelden. Hier gewinne ich wieder Selbstvertrauen und wage es besser,<br />
mich in der Gruppe zu äussern – das möchte ich weiter trainieren. Der<br />
Austausch mit andern tut mir gut, und ich geniere mich nun schon weniger,<br />
dass ich ein Suchtproblem habe.<br />
Freundliche Grüsse<br />
Erika Sommer
Ursula ist eine gute Freundin von Erika Sommer.<br />
Liebe Ursula<br />
Nun bin ich schon die 5. Woche in der Tagesklinik <strong>Südhang</strong> und stolz<br />
darauf, dass ich die ganze Zeit abstinent geblieben bin. Leicht war das<br />
nicht immer – gerade letztes Wochenende hatte ich enorm «z’Risse»,<br />
weil die Kinder bei ihrem Vater waren und ich mich so mies gefühlt<br />
habe. Wir hatten aber am Freitag in der Gruppe genau besprochen, was<br />
für jede und jeden wichtig ist, wenn der Suchtdruck zunimmt. Ich habe<br />
inzwischen eine kleine Liste mit Strategien, die für mich eine Hilfe sind.<br />
Die Abstinenz wird übrigens hier mit Atemluft- und Urintests überprüft.<br />
Was aber wichtiger ist: Am Montag wird das Wochenende besprochen<br />
und die Gruppe nimmt Anteil an Freud und Leid.<br />
Ich habe mir für zuhause Malzeug angeschafft. Zuerst hatte ich ja grosse<br />
Widerstände in der Kunsttherapie, weil ich doch kein Talent zum Malen<br />
habe. Inzwischen habe ich gemerkt, dass mir meine eigenen Ansprüche<br />
im Wege stehen und es wohltuend ist, ganz einfach mit Farben aus dem<br />
Moment zu malen. Geholfen hat mir eine Bemerkung der Therapeutin,<br />
dass auch «strube Zeiten» ihren Ausdruck finden sollen und diese Bilder<br />
durchaus auch «strub» aussehen dürfen.<br />
Mehr Mühe habe ich noch im Sport. Du weisst, dass ich früher gerne<br />
Volleyball spielte. Weil ich aber jahrelange nichts gemacht habe, merke<br />
ich jetzt, dass ich völlig untrainiert bin. Der Sporttherapeut ermunterte<br />
mich, indem er mir sagte, dass ich in den fünf Wochen schon an<br />
Fitness gewonnen habe, aber ich komme immer noch rasch ausser<br />
Puste. Gestern machten wir einen Postenlauf im Bremgartenwald. Das<br />
Spielerische daran gefiel mir gut. Das Entspannungstraining werde ich zu<br />
Hause weiter üben. Wenn es mir gelingt, besser abzuschalten – und ich<br />
nicht grüble statt zu schlafen – bin ich weniger gefährdet, wieder Alkohol<br />
zu konsumieren. In den Einzelgesprächen kommt noch einmal die ganze<br />
Scheidungsgeschichte hoch und vieles tut noch sehr weh. Ich werde hier<br />
aber sehr gehalten, das habe ich vor allem letzte Woche gemerkt, als ich<br />
eine Krise hatte.<br />
Ich bin froh, jeden Abend zu den Kindern heim zu können. Sie sind in<br />
einem schwierigen Alter und brauchen mich.<br />
Herzliche Grüsse von deiner Freundin<br />
Erika<br />
Verena ist die älteste Schwester von Erika Sommer.<br />
Liebe Verena<br />
Nach einem Jahr Funkstille melde ich mich wieder bei dir. Ich habe mich<br />
damals so dafür geschämt, dass ich unmittelbar nach einem ambulanten<br />
Alkoholentzug wieder hineingerutscht bin, und du das mitbekommen<br />
hast. Alle haben mir geraten, nun endlich eine stationäre Therapie zu<br />
machen, was aber für mich wegen den Kindern nicht in Frage kam.<br />
Vorletzten Monat erzählte mir mein Suchtberater, dass es in Bern neuerdings<br />
eine Tagesklinik gebe. lch musste zu einem Vorgespräch ins Ambulatorium,<br />
das im gleichen Gebäude ist und konnte anschliessend die<br />
Tagesklinik besichtigen. Am nächsten Tag haben sie mir mitgeteilt, wenn<br />
ich wolle, könne ich am kommenden Montag eintreten. Das war mir zu<br />
schnell, denn ich musste zuerst mit den Kindern reden und für sie am<br />
Mittag eine Betreuung finden. Weil ich am Morgen aber erst um 7.30 Uhr<br />
auf den Zug muss – die Tagesklinik ist direkt beim Bahnhof Bern – kann<br />
ich mit den Kindern frühstücken und sie zur Schule schicken. Mittagessen<br />
können sie bei der Gotte von Sven. Hier ist um 17 Uhr Schluss, dann gehe<br />
ich einkaufen und auf den Zug. Ich bin noch früher daheim, als wenn ich<br />
von der Arbeit komme.<br />
In der Tagesklinik kann man maximal 9 Wochen bleiben – länger bezahlen<br />
die Krankenkassen nicht. Ich werde die Zeit voll ausschöpfen. Plötzlich<br />
sehe ich mehr Zusammenhänge als nur meine gescheiterte Ehe, der ich<br />
bisher alle Schuld an meinem Suchtproblem gab. Mir kommt viel in den<br />
Sinn, wie das bei uns zuhause war. Auch unsere Mutter wollte es immer<br />
allen recht machen, vor allem dem Vater. Es würde mich sehr interessieren,<br />
wie du das erlebt hast. Schliesslich bist du zehn Jahre älter als ich.<br />
Ich möchte dich gerne zu einem Angehörigengespräch mit meiner Psychologin<br />
einladen, wollte dich aber nicht am Telefon mit diesem Wunsch<br />
überrumpeln. Am nächsten Wochenende rufe ich dich an und frage nach,<br />
ob du bereit bist einmal herzukommen. Für mich wäre das sehr wichtig.<br />
Vor Austritt sollen dann auch die Kinder bei einem Gespräch dabei sein.<br />
Ich will das so, aber ich fürchte mich auch davor.<br />
Liebe Grüsse von deiner Schwester<br />
Erika<br />
<strong>express</strong> 1|2009 11
Thema | Die neue Tagesklinik <strong>Südhang</strong><br />
Herr Dr. Zeller ist ihr Psychiater, der die Idee der Tagesklinik unterstützte<br />
und Frau Sommer im ambulanten Alkoholentzug begleitete.<br />
Sehr geehrter Herr Zeller<br />
Danke, dass Sie mit mir noch einmal einen ambulanten Alkoholentzug<br />
gemacht haben. Wie besprochen, bin ich nach dem letzten Termin bei<br />
Ihnen in die Tagesklinik <strong>Südhang</strong> eingetreten – und jetzt ist hier schon<br />
Halbzeit.<br />
Sie haben mir im letzten Jahr mehrfach empfohlen ein Antidepressivum<br />
einzunehmen. Nun ist der leitende Oberarzt der Tagesklinik auf die gleiche<br />
Idee gekommen, weil ich am Morgen immer noch so Mühe habe, den<br />
Tag in Angriff zu nehmen und auch häufig missgestimmt bin, worunter<br />
die Kinder leiden müssen. Die Tests, die die Psychologin mit mir gemacht<br />
hat, haben ein deutliches Resultat gezeigt, und so habe ich eingewilligt.<br />
Ob die vier Wochen ausreichen, die ich noch hier bleibe, um das Medikament<br />
gut einzustellen, sei nicht ganz sicher, sagt der Oberarzt. Auf jeden<br />
Fall werde ich nach meinem Austritt wieder zu Ihnen in Behandlung<br />
kommen.<br />
Mit freundlichen Grüssen<br />
Erika Sommer<br />
SMS an ihre Tochter Anja<br />
Natürlich komme ich an den Elternabend. Ich bin um 18 Uhr zu Hause.<br />
Herzlich, Mam<br />
12 <strong>Südhang</strong> – Kompetenzzentrum für Mensch und Sucht<br />
Martin ist ein Bekannter von Erika Sommer. Er ist zurzeit in einer<br />
andern Klinik in einer stationären Suchttherapie.<br />
Lieber Martin<br />
Du fragst, was wir hier für ein Programm haben. Also: Zwischen 8 und<br />
8.30 Uhr gibt’s Tee oder Kaffee, wir müssen Atemlufttests abgeben,<br />
einige auch Urinproben, manche müssen zum Arzt oder ins Labor.<br />
Um 8.30 haben wir eine Gesprächsgruppe: Neue werden begrüsst,<br />
Austretende verabschiedet, das Tagesprogramm besprochen – und dann<br />
gibt es themenzentrierte Inputs und Arbeitsblätter. Ich lerne viel über<br />
Sucht, über die Entstehung, die Mechanismen, aber auch über die Rückfallprophylaxe.<br />
Einmal in der Woche leitet der Oberarzt eine Sitzung und<br />
beantwortet medizinische Fragen. Um 9.45 haben wir Pause, die meisten<br />
gehen nach draussen zum Rauchen. Dann variiert es: Einzelgespräche,<br />
Familiengespräche, Entspannungsgruppe, Sozialtrainingsgruppe, therapeutisches<br />
Boxtraining, Gedächtnistraining, Einzelarbeiten wie z.B.<br />
Arbeitsblätter ausfüllen, Vernetzungsgespräche mit Nachbetreuungsstellen…<br />
Das gemeinsame Mittagessen findet vis-à-vis im Burgerspital<br />
statt. Am Nachmittag geht’s um 13.30 Uhr weiter: Sport, Kunstatelier<br />
(Malen, Fotografieren, Schreiben), Ausdruck mit Stimme und Körper, und<br />
am Freitag ist immer die Wochenendvorbereitung.<br />
Einige meiner Mitpatienten sind nach ihrer stationären Entwöhnungstherapie<br />
noch für ein paar Wochen hierher gekommen. Du wärst also<br />
nicht der Einzige, der die Tagesklinik als Übergangslösung zwischen Klinik<br />
und Alltag zuhause nutzt. Wenn du Interesse hast, sprichst du am besten<br />
gleich mit deinem Therapeuten in der Klinik!<br />
Ich freue mich, von dir zu hören.<br />
Herzliche Grüsse<br />
Erika
Carte Blanche | Balts Nill<br />
Carte Blanche<br />
Die <strong>express</strong>-Redaktion vergibt die Carte Blanche an Leute, die in einem direkten<br />
oder losen Zusammenhang mit dem <strong>Südhang</strong> stehen.<br />
Eine Sekunde<br />
Haben Sie eine Sekunde Zeit?<br />
Natürlich, jeder hat eine Sekunde Zeit. Vor<br />
allem in diesem Jahr 2009. Schliesslich ist uns<br />
allen eine Sekunde geschenkt worden. In der<br />
Silvesternacht blieben die für die Weltzeit<br />
massgeblichen Uhren eine Sekunde lang stehen.<br />
Das hat astronomische Gründe. Die Erde<br />
dreht sich mit leicht verminderter Geschwindigkeit<br />
um die Sonne. Die Schaltsekunde stellt<br />
sicher, dass die Sonne weiterhin genau in der<br />
Tagesmitte im Zenit steht.<br />
Meine Uhr allerdings habe ich nicht angehalten.<br />
Ich habe mir vorgenommen, die geschenkte Sekunde<br />
zu einem späteren Zeitpunkt einzulösen.<br />
Die Silvesternacht ist mir seit jeher zuwider,<br />
und ich möchte sie auch nicht um eine winzige<br />
Sekunde verlängern.<br />
Winzige Sekunde? Wie klein ist eigentlich eine<br />
Sekunde? Im normalen Alltag nehme ich sie<br />
kaum war. Ich schimpfe nicht, wenn jemand<br />
eine Sekunde zu spät zur Verabredung kommt.<br />
Allerdings rege ich mich auf, wenn ich durch die<br />
halbe Stadt gerannt bin und die S-Bahn auf die<br />
Sekunde genau vor meiner Nase abfährt.<br />
Für den Sprinter liegen Welten zwischen den<br />
Sekunden. Ob einer hundert Meter unter zehn<br />
oder unter elf Sekunden läuft, macht den Unterschied<br />
aus zwischen einem Weltklasseläufer<br />
und einem Hobbyathleten.<br />
Wie lang ist eine Sekunde? Immerhin lange<br />
genug, dass ich für sie ein Gefühl entwickeln<br />
kann. Ich erinnere mich, wie ich im Fotolabor<br />
die Sekunden zählte: «Einundzwanzig,<br />
zweiundzwanzig, dreiundzwanzig...» Zwar<br />
gab es Belichtungsuhren, aber ich traute (wie<br />
auch mancher Profifotograf) meinen gefühlten<br />
Sekunden mehr als den genau gemessenen.<br />
Die gemurmelten Sekunden waren wie eine<br />
Beschwörungsformel, die das Geschehen in<br />
der Dunkelkammer zu einem alchemistischen<br />
Prozess machten.<br />
Wie lang ist eine Sekunde? Sie ist definitionsgemäss<br />
das 9'192'631'770-fache der Periodendauer<br />
eines Übergangs im Cäsiumatom.<br />
Ich verstehe zwar nur Bahnhof, aber ich erkenne<br />
das Bemühen, das hinter dieser Formel<br />
steckt: Die Sekunde soll objektiv und mit<br />
grösstmöglicher Exaktheit bestimmt werden,<br />
so dass die Definition für alle denkenden Wesen<br />
als verbindlich gelten kann.<br />
Ein langer Weg der Differenzierung führte<br />
zu einer solchen Definition. Unsere fernsten<br />
Vorfahren begannen, den Tag und die Nacht<br />
zu unterscheiden. Dann gab es Menschen, die<br />
den Himmel beobachteten. Sie sahen, wie der<br />
Mond und die Sonne periodisch wiederkehrten.<br />
Die Idee der Zeit bemächtigte sich der Köpfe.<br />
Die Welt füllte sich mit Uhren an, die im Stundentakt<br />
schlugen und im Sekundentakt tickten.<br />
Einige spotteten noch: «Ihr habt die Uhren, wir<br />
haben die Zeit», bis auch sie eines Tages mit<br />
dem Mobiltelefon in der Hand im Zug sassen<br />
und meldeten: «Wir haben etwas Verspätung,<br />
aber wir kommen gleich an.» Der Bahnhof<br />
heisst Modern Times.<br />
In Charlie Chaplins Film ist im Vorspann eine<br />
grosse Uhr zu sehen mit einem unerbittlich<br />
drehenden Sekundenzeiger. Charlie arbeitet in<br />
einer Fabrik, die wie das Räderwerk einer überdimensionierten<br />
Uhr funktioniert. Eine Uhr, die<br />
die Zeit der Menschen verschlingt.<br />
Aber Charlie ist das Rädchen, das auf einmal<br />
von der Rolle springt. Als er draussen vor der Fabrik<br />
eine vollbusige Matrone mit seinen Schraubenschlüsseln<br />
belästigt, wird er von einem<br />
Polizisten verfolgt. Er rennt zurück in die Fabrik,<br />
und obwohl ihm der Gesetzeshüter dicht auf<br />
den Fersen ist, bedient er beim Eingangstor<br />
rasch noch die Stempeluhr.<br />
In dieser Sekunde absurder Pflichterfüllung<br />
dreht Charlie ganz durch. War er eben noch ein<br />
von der Maschine Getriebener, werden nun auf<br />
einmal seine Bewegungen rund und tänzerisch.<br />
Er bewegt sich ausserhalb der getakteten Zeit.<br />
Schlagartig hat er sich von einem Sklaven in<br />
einen Künstler verwandelt.<br />
So müsste man die geschenkte Sekunde nützen<br />
können.<br />
Balts Nill<br />
> www.suedhang.ch<br />
Balts Nill ist Musiker und Publizist. Er hat im<br />
Herbst 2008 die Tagung «Wieviel Therapie<br />
braucht der Mensch» künstlerisch begleitet.<br />
<strong>express</strong> 1|2009 13
Service | Wissenswertes<br />
Kompetenzzentrum <strong>Südhang</strong><br />
Klinik <strong>Südhang</strong><br />
<strong>Südhang</strong> 1<br />
3038 Kirchlindach<br />
Abklärungsstation<br />
• 18 Betten für qualifizierten Entzug<br />
und Abklärungen<br />
• Eintritt werktags nach vorangehendem<br />
Abklärungsgespräch<br />
Stationäre<br />
Entwöhnungstherapien<br />
• 13 Betten für Kurzzeittherapie<br />
• 24 Betten für Mittelzeittherapie<br />
• 11 Betten für Langzeittherapie<br />
Eintritt jeweils dienstags nach<br />
vorangehendem Abklärungsgespräch<br />
• Informationen und Beratung<br />
sowie Anmeldung zu einem<br />
Abklärungs gespräch unter<br />
14<br />
Telefon 031 828 14 14.<br />
Ambulatorium <strong>Südhang</strong><br />
Noch bis Ende April im City Notfall<br />
Bubenbergplatz 10<br />
3011 Bern<br />
• Suchtmedizinische Abklärungen<br />
und Therapien<br />
• Delegierte Psychotherapie<br />
• Begutachtungen<br />
• Kein Walkin<br />
• Informationen und Beratung<br />
nur nach Sprechstundenplanung<br />
unter Telefon 031 828 14 80.<br />
Informationsveranstaltungen<br />
für interessierte Personen<br />
jeweils am letzten Freitag des<br />
Monats. Weitere Informationen<br />
unter www.suedhang.ch oder<br />
info@suedhang.ch.<br />
Öffentliche Cafeteria in Kirchlindach<br />
Aus unserer Küche bieten wir in der<br />
Cafeteria im Herrenhaus montags<br />
bis freitags ein komplettes Menu,<br />
eine vegetarische Variante sowie<br />
Snacks und Sandwiches an. Zudem<br />
verwöhnen wir unsere Gäste mit<br />
einem frischen und reichhaltigen<br />
Salatbuffet. Bitte melden Sie grosse<br />
Gruppen telephonisch beim Sekretariat<br />
an. Wir freuen uns auf Ihren<br />
Besuch!<br />
Kunst im Kutscherhaus | Maria Marchetta<br />
Als Gastkünstlerin<br />
im <strong>Südhang</strong><br />
Wiederholte Störungen der Waffenruhe<br />
im Gazastreifen, heisst es, aber das ist weit<br />
weg. In Sizilien tobte ein Unwetter, lasse<br />
ich mir sagen, aber auch das ist weit weg.<br />
Wichtige Zugstrecken sind gesperrt, Lawinengefahr,<br />
wird berichtet, aber selbst diese<br />
sind weit weg.<br />
Hier im <strong>Südhang</strong>, hoch über Kirchlindach,<br />
erlebe ich eine andere Zeitrechnung. Abgeschieden,<br />
von Terminen, Veranstaltungen<br />
und Verpflichtungen befreit, ohne<br />
Tageszeitung, die die Welt nach Hause<br />
trägt, setze ich mich zusammen mit Patient/innen,<br />
Mitarbeiter/innen und Spaziergänger/innen<br />
mit dem Begriff Heimat<br />
auseinander.<br />
7 Filme, 6 Kinoabende, 5 Poetische<br />
Orte, 90 Tagebilder und 1 FilmPoesie zeitigt<br />
dieser Zustand, der so besonders, ungewohnt<br />
und schön ist.<br />
Lange bevor ich das Kutscherhaus bezog,<br />
erfüllte es ein Vogel mit Leben. Während<br />
ich mich am Anblick von Eiger, Mönch<br />
und Jungfrau labe, fliegt mein Ateliervogel<br />
in die Ferne.<br />
Psychologisch gesehen ist Heimat ein<br />
subjektives Empfinden, das von Gefühlen,<br />
sinnlichen Erfahrungen und Erinnerungen<br />
motiviert und von kulturell vorgegebenen<br />
Bräuchen und Sitten vorstrukturiert<br />
wird. Heimat: ein subjektives<br />
Bedürfnis und ein gesellschaftliches Produkt?<br />
Was hat Heimat mit dem Mu, dem<br />
Nichts des Zen zu tun, fragte ich mich, als<br />
es sich in meinen Pinsel einschlich und<br />
seither mein Atelier erfüllt.<br />
Heimat erweist sich als ein «traumstiftender»<br />
Begriff, der letztendlich immer<br />
nach Harmonie sucht und hilft, Identität<br />
konstant zu halten. Weg damit, möchte
ich rufen. Doch wir können ihn nicht einfach<br />
über Bord werfen. Denn die seit Anfang<br />
der 90er Jahre krisenhaft und instabil<br />
wahrgenommene Welt beschert dem<br />
Begriff Heimat eine neue bis heute ungebrochene<br />
Konjunktur.<br />
Gastkünstlerin im <strong>Südhang</strong> zu sein bedeutet,<br />
Einblick in einen Ort zu erhalten,<br />
dem etwas Heilsames eignet.<br />
Den Filmemacher/innen, die seit Mitte<br />
der 90er Jahre neu und kritisch über Heimat<br />
nachdenken, geht es nicht mehr um<br />
Schönfärberei oder harmonische Gemeinschaftssuche,<br />
viel mehr betreiben sie eine<br />
mulikulturelle Suche nach dem, was<br />
Heimat sein könnte. Aus Enge und Zwang<br />
wird weiter ausgebrochen, aber die Flucht<br />
gelingt nicht mehr. Denn wie könnte einer<br />
fliehen, der, wo immer er auch hinkommen<br />
mag, stets wieder auf sich selbst<br />
trifft? Diese Filme spüren selbstreflektierend<br />
den Möglichkeiten und Grenzen<br />
eines neuen Verständnisses von Heimat<br />
nach. Nicht nur wir, sondern die Welt<br />
selbst scheint in diesen Filmen noch nicht<br />
zuhause. Heimat: das noch Ausstehende<br />
und/oder Vermisste.<br />
Ein linker Präsident wird in Venezuela<br />
auf Lebenszeit bestätigt, höre ich. Die Finanzkrise<br />
weite sich zur Wirtschaftskrise,<br />
die Arbeitslosenzahlen stiegen, wird erzählt<br />
(was aber soll ich als Wahlberlinerin<br />
zu einer Arbeitslosenrate von knapp 3,0%<br />
sagen?). Das Schweizer Bankgeheimnis<br />
wankt, wird befürchtet.<br />
Maria Marchetta<br />
> www.marchetta.de<br />
Die Künstlerin arbeitete ab Dezember 2008<br />
für drei Monate im Rahmen von «Kunst im<br />
Kutscherhaus» in der Klinik <strong>Südhang</strong>.<br />
Agenda | Anlässe<br />
Termine<br />
Informations-Veranstaltungen<br />
Interessierte Personen (z.B. Betroffene, Angehörige, Arbeit geber und<br />
Arbeitgeberinnen) können sich ein Mal im Monat von 14:00 bis 15:00 Uhr<br />
direkt über die Therapieangebote in der Klinik <strong>Südhang</strong> informieren.<br />
Nächste Termine:<br />
27. März, 24. April, 29. Mai und 26. Juni 2009.<br />
Für Institutionen, Verbände usw. werden auf Anfrage soweit möglich<br />
spezielle Informationsveranstaltungen organisiert.<br />
Jassen<br />
Das traditionelle Jassturnier findet in der Regel am letzten Freitag des<br />
Monats in der Klinik <strong>Südhang</strong> statt.<br />
Nächste Termine: 27. März, 24. April, 29. Mai und 26. Juni 2009.<br />
Start ist um 19.30 Uhr. Bitte jeweils bis Mittwochabend vor dem Anlass<br />
anmelden unter Telefon 031 828 14 14.<br />
Eröffnung Tagesklinik<br />
Ab dem 11. Mai 2009 sind Eintritte in die neue Tagesklinik möglich.<br />
Weitere Infos dazu finden Sie in diesem <strong>express</strong>.<br />
Kultur im Tenn<br />
Auch dieses Jahr finden im grossen Tenn der Scheune in Kirchlindach<br />
zwei spannende Film- und Musikabende statt.<br />
Die bewährte Zusammenarbeit mit dem Filmclub Cinématt aus Schüpfen<br />
beschert dem <strong>Südhang</strong> zwei cineastische Leckerbissen. Das definitive<br />
Programm steht noch nicht fest, wir informieren rechtzeitig auf unserer<br />
neuen Website unter www.suedhang.ch<br />
Freitag, 19. Juni 2009<br />
Film mit dem Filmclub Cinématt<br />
Das Medizinerorchester Bern unter der Leitung von Matthias Kuhn bringt<br />
Werke von Joseph Haydn zur Aufführung.<br />
Samstag, 20. Juni 2009<br />
Konzert mit dem Medizinerorchester Bern, anschliessend Film<br />
<strong>express</strong> 1|2009 15
<strong>Südhang</strong><br />
Kompetenzzentrum für<br />
Mensch und Sucht<br />
3038 Kirchlindach<br />
Telefon 031 828 14 14<br />
Fax 031 828 14 24<br />
klinik@suedhang.ch<br />
www.suedhang.ch<br />
Als Kompetenzzentrum für Mensch und Sucht begleiten wir Betroffene und<br />
deren Angehörige beim Ausstieg aus der Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit.<br />
In unserer Klinik in Kirchlindach und im<br />
Ambulatorium in der Stadt Bern bieten wir<br />
vielfältige Behandlungsmöglichkeiten an.<br />
Im Dienste der Patientinnen und Patienten<br />
erweitern wir unser Wissen kontinuierlich<br />
und bauen unsere Angebotspalette<br />
aus.<br />
Im Mai wird die Tagesklinik <strong>Südhang</strong><br />
auf dem Areal des Burgerspitals eröffnet.<br />
Gleich neben dem Hauptbahnhof Bern gelegen,<br />
ist die Tagesklinik optimal an den<br />
öffentlichen Verkehr angebunden.<br />
Interessierte Personen können sich jeweils<br />
am letzten Freitag jeden Monats von 14 bis 15<br />
Uhr in der Klinik <strong>Südhang</strong> direkt und unverbindlich<br />
über die verschiedenen The-<br />
Die Zeitschrift des <strong>Südhang</strong> | Ausgabe 2/09<br />
rapieangebote informieren. Eine Anmeldung<br />
ist nicht nötig.<br />
Aktuelle Ausgabe<br />
Die vorliegende Ausgabe des <strong>express</strong> ist<br />
der neuen Tagesklinik <strong>Südhang</strong> mitten in<br />
der Stadt Bern gewidmet. Nun ist es möglich,<br />
eine intensive Suchttherapie zu machen<br />
und gleichzeitig im bestehenden sozialen<br />
Netz integriert zu bleiben. Neben<br />
einem Hintergrundsbericht über die Vorteile<br />
einer Tagesklinik erfahren Sie, wie das<br />
konkrete Therapieprogramm aussieht.<br />
Die Carte Blanche haben wir diesmal an<br />
Balts Nill (ex Stiller Has) vergeben, und<br />
Maria Marchetta blickt auf ihre Zeit als<br />
Gastkünstlerin im Kutscherhaus zurück.<br />
Thema der nächsten Nummer<br />
Der neue <strong>express</strong> erscheint Ende Juni 2009<br />
und steht ganz im Zeichen des Jahresberichts.<br />
Informationen aus dem <strong>Südhang</strong><br />
Die Zeitschrift <strong>express</strong> erscheint vierteljährlich.<br />
Sie bedient ehemalige Patienten<br />
und Patientinnen, Fachleute sowie andere<br />
interessierte Personen mit Informationen<br />
über das Kompetenzzentrum <strong>Südhang</strong>.<br />
Der <strong>express</strong> enthält in jeder Ausgabe<br />
Fachartikel und Informationen über aktuelle<br />
oder neue Angebote sowie Hinweise<br />
auf kommende Veranstaltungen. Ihr Abo<br />
können Sie telefonisch unter<br />
Telefon 031 828 14 14 oder per Mail an<br />
<strong>express</strong>@suedhang.ch bestellen.<br />
AZB<br />
3038 Kirchlindach