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Kindschaftssachen

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Eric Faber<br />

Arbeitshilfe<br />

<strong>Kindschaftssachen</strong> im familienrichterlichen<br />

Dezernat<br />

Sorge- und Umgangsrecht<br />

Verfahrensregelungen<br />

Vollstreckung und Entscheidung<br />

Version 2.0


IMPRESSUM<br />

Herausgeber:<br />

Justizakademie NRW<br />

Autor:<br />

Eric Faber<br />

Arbeitshilfe<br />

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung<br />

und Verbreitung, vorbehalten. Die<br />

Schrift darf in keiner Form – auch nicht auszugsweise<br />

– ohne schriftliche Genehmigung der JAK<br />

reproduziert oder unter Verwendung elektronischer<br />

Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder<br />

verbreitet werden.<br />

Version 2.0<br />

<strong>Kindschaftssachen</strong> im familienrichterlichen<br />

Dezernat<br />

• Sorge und Umgangsrecht<br />

• Verfahrensregelungen<br />

• Vollstreckung und Entscheidung


Inhaltsverzeichnis<br />

_____________<br />

©Justizakademie NRW<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

1 Einleitung 5<br />

1.1 Kindeswohl 6<br />

1.2 Kindesanhörung 7<br />

1.3 Aufgaben und Stellung des Jugendamts (JA) 8<br />

2 Verfahrensregelungen 11<br />

2.1 Allgemeine Vorschriften 11<br />

2.2 Spezielle Regelungen für das Verfahren in <strong>Kindschaftssachen</strong>, §§ 151 ff. FamFG 14<br />

3 Elterliche Sorge 19<br />

3.1 § 1671 BGB, Antrag auf Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge 19<br />

3.2 § 1628 BGB, Gerichtliche Entscheidung bei Meinungsverschiedenheit der Eltern 26<br />

3.3 § 1626a BGB, gemeinsame Sorge nichtverheirateter Eltern 27<br />

3.4 § 1674 BGB, Ruhen der elterlichen Sorge 28<br />

3.5 § 1680 BGB 29<br />

3.6 § 1630 Abs. 3 BGB 30<br />

3.7 § 1631b BGB, Genehmigung der Unterbringung Minderjähriger 30<br />

3.8 § 1632 Abs.1, Abs.4 BGB, Herausgabe und Verbleibensanordnung bei Pflegeverhältnis 30<br />

3.9 §§°1666, 1666a BGB, Verfahren auf Entziehung des Sorgerechts nach 32<br />

3.10 § 1696 BGB, Abänderung gerichtlicher Sorgeentscheidungen 37<br />

4 Umgang 39<br />

4.1 Ausschluss des Umgangsrechts 42<br />

4.2 Umgangspflegschaft, § 1684 Abs. 3, S. 3 BGB 44<br />

4.3 Konkrete Ausgestaltung von Umgangskontakten 45<br />

4.4 Umgangskosten 47<br />

5 Vollstreckung von Entscheidungen in <strong>Kindschaftssachen</strong> 49<br />

5.1 Vollstreckung von Sorgeentscheidungen 50<br />

5.2 Vollstreckung von Umgangsentscheidungen 50<br />

Fragen zum Verständnis 53<br />

3


Ein Wort zu Beginn<br />

©Justizakademie NRW<br />

Ein Wort zu Beginn<br />

_____________ Diese Arbeitshilfe soll in erster Linie dazu dienen, Familienrichtern und Familienrichterinnen wie<br />

auch sonstigen Interessierten einen Überblick über die <strong>Kindschaftssachen</strong> zu verschaffen. <strong>Kindschaftssachen</strong><br />

stellen Familienrichter und Familienrichterinnen vor besondere Herausforderungen:<br />

Da die Eltern des Kindes oder der Kinder in Trennung leben, befinden sich die Beteiligten in einer<br />

emotionalen Ausnahmesituation, der Streit um die Kinder wird immer auch als ein Angriff auf die<br />

eigene Elternkompetenz erlebt.<br />

Durch diese Arbeitshilfe soll kein Fachbuch oder ein Kommentar ersetzt werden. Insbesondere<br />

erhebt sie auch keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder Allgemeingültigkeit, sondern spiegelt<br />

vor allem die Sicht des Autors wider.<br />

Die folgenden Piktogramme sollen Ihnen die Orientierung erleichtern:<br />

4<br />

Besonders wichtig<br />

Aufgabe<br />

Kaffeepause<br />

Beispiel<br />

Zusammenfassung<br />

Wir wünschen Ihnen viel Spaß beim Lesen und viele Erfolge bei der Anwendung in der Praxis.


1 Einleitung<br />

©Justizakademie NRW<br />

1 Einleitung<br />

_______________________________________ Dieses Kapitel dient der Heranführung an das besondere Vorgehen bei<br />

<strong>Kindschaftssachen</strong>.<br />

Das Kapitel ist nochmals in drei Unterkapitel geteilt.<br />

Die <strong>Kindschaftssachen</strong> stellen die Familienrichterin/den Familienrichter immer wieder vor besondere<br />

Herausforderungen. Dies gilt erst recht für den „frischgebackenen“ Familienrichter (zu<br />

Gunsten der Lesbarkeit wird durchgängig die männliche Form für Berufs- und Tätigkeitsbezeichnungen<br />

verwendet. Sie schließt jeweils die weibliche Form mit ein).<br />

Dabei spielen verschiedene Faktoren eine Rolle: Die Beteiligten befinden sich gerade in einer<br />

aktuellen Trennungssituation, demnach in einem seelischen Ausnahmezustand. Dies schlägt<br />

sich auch im Verhalten während der Sitzung nieder. Die mit den Kindern zusammenhängenden<br />

Fragen werden von den Eltern – und erst recht von den Kindern – als existentiell erlebt.<br />

Es sind neben den „Elternparteien“ noch weitere Beteiligte in die Entscheidungsfindung einzubinden<br />

wie etwa Jugendamt, Verfahrensbeistand, Pflegeltern etc. Hinter den Eltern stehen oft<br />

Familienangehörige oder Freunde, welche ein bestimmtes Ergebnis von ihnen erwarten.<br />

5<br />

Beachten Sie:<br />

Eine perfekte oder „richtige“ Lösung gibt es oft nicht. Häufig wechseln im Verfahrensverlauf<br />

die rechtlichen und tatsächlichen Gegebenheiten grundlegend.<br />

Neben dem juristischen Neuland, das erschlossen werden muss, sind daher Kompetenzen gefragt,<br />

die im richterlichen Leben ansonsten eine untergeordnete Rolle spielen oder vollkommen<br />

neu erlernt werden müssen.<br />

Dazu zählen insbesondere kommunikative Fähigkeiten, sowie ein gutes Gespür für die „verdeckten“<br />

Absichten und Wünsche der Beteiligten.<br />

Beachten Sie:<br />

Ziel aller Maßnahmen muss sein, die Eltern dazu zu befähigen, die mit den Kindern zusammenhängenden<br />

Fragen – auch bei Meinungsverschiedenheiten in anderen Bereichen<br />

– selbst ohne gerichtliche Hilfe zu regeln.<br />

Dafür ist es wichtig, die vorhandenen wahren Interessen hinter den jeweils vertretenen<br />

Rechtspositionen aufzuspüren und diese in eine umfassende Lösung mit einzubeziehen.<br />

Manchmal gelingt es aber nicht, die Beteiligten zum wahren Kern des Streits zu führen. Vielleicht<br />

gelingt dann keine streitschlichtende oder nur eine vorläufige Regelung. Dies darf durch<br />

den Familienrichter nicht als Niederlage verstanden werden. Häufig liegt es daran, dass die<br />

Beteiligten noch nicht so weit waren.<br />

Beachten Sie:<br />

Eine noch so gut begründete und formaljuristisch korrekte Entscheidung ist absolut<br />

nutzlos, wenn die Beteiligten sie nicht akzeptieren und praktisch ausüben. Eine auf den<br />

ersten Blick widersprüchliche Vereinbarung kann aber die Eltern dauerhaft befrieden<br />

und so dem Kindeswohl dienen.<br />

Andererseits bieten die Kindschaftsverfahren dem Richter die seltene Möglichkeit, mit den<br />

Beteiligten gestalterisch Lösungen für die Zukunft zu entwickeln.


1 Einleitung<br />

©Justizakademie NRW<br />

Einige Tipps für den Termin:<br />

Nehmen Sie sich bei streitigen Sorge- und Umgangsregelungen viel Zeit. Es reicht, wenn<br />

die Eltern aufgewühlt und im Stress sind. Umso mehr Ruhe müssen Sie ausstrahlen! Oft<br />

empfiehlt sich die Terminierung als letzte Sache des Termintages, um nicht in Zeitdruck<br />

durch nachfolgende Termine zu geraten.<br />

Die Zeit, die Sie am Anfang eines Verfahrens investieren, um Ruhe hereinzubringen und<br />

mit den Eltern eine bestimmte Linie herauszuarbeiten, amortisiert sich im Laufe des Verfahrens<br />

vielfach, weil nicht ständig neue streitige Anträge eingehen.<br />

Bereiten Sie den Termin gut vor. Lesen Sie den Jugendamtsbericht, telefonieren Sie bei<br />

Unklarheiten vorher noch zusätzlich mit dem dortigen Sachbearbeiter. Sie sollten die<br />

Namen der Kinder und die wichtigsten Tatsachen kennen ohne nachschlagen zu müssen,<br />

sonst werden die Eltern nicht das Gefühl haben, dass Sie sich mit ihrem Fall vertraut gemacht<br />

haben und in der Lage sind, eine so wichtige Angelegenheit zu entscheiden.<br />

Beginnen Sie den Termin mit dem Hinweis, dass das Problem des Umgangs und der<br />

Sorge die Eltern noch lange begleiten werde und Schwierigkeiten kurz nach der Trennung<br />

nichts Ungewöhnliches sind. Wichtig sei aber, gemeinsam eine dauerhaft tragfähige<br />

Lösung zu finden.<br />

Manchmal ist es notwendig, dass die Eltern und Beteiligten Gelegenheit bekommen, das<br />

zu sagen, „was sie immer schon mal sagen wollten“. Sofern dies in vertretbarer Diktion<br />

und im angemessenen zeitlichen Rahmen geschieht, sollte man dies zulassen, um dann<br />

den Blick in die Zukunft zu lenken.<br />

Wenn ein Elternteil den Kindeswillen anbringt, hilft der Hinweis, dass Kinder nie gerne ihr<br />

Kinderzimmer aufräumen, nie freiwillig ins Bett und schon gar keine Schularbeiten machen<br />

wollen. In all den Fällen setzen sich Eltern – zu Recht – über den Kindeswillen hinweg.<br />

Man muss den Eltern mitunter deutlich machen, dass auch Kinder ihre eigenen Vorteile<br />

sehen und es durchaus schaffen, aus dem Streit der Eltern Kapital zu schlagen und ihre<br />

eigenen Interessen durchzusetzen. Manchen Eltern kann man so die Augen öffnen, sich<br />

von ihrem Nachwuchs nicht gegeneinander ausspielen zu lassen.<br />

Die Kindesanhörung sollte immer unter Beteiligung des Verfahrensbeistandes stattfinden.<br />

Sie ist nicht eine bloße Formalie, sondern ein wichtiges Informationsmittel.<br />

Mitunter haben die Kinder noch den klarsten Blick im Trennungschaos. Ein denkbarer<br />

Ansatz ist es dann, eine Lösung mit dem Kind zu besprechen und diese Lösung dann gemeinsam<br />

den Eltern vorzutragen. Das verblüfft die Eltern oft, aber der vorher geäußerte<br />

und auf den Willen des Kindes gestützte Widerstand bricht dann schnell zusammen.<br />

Versuchen Sie nicht um jeden Preis, bereits eine endgültige Lösung zu erreichen. Sorge-<br />

und Umgangsverfahren sind auch gruppendynamische Prozesse und müssen „reifen".<br />

Wenn Sie im ersten Termin mit den Eltern eine Zielvorstellung erarbeitet haben und für<br />

eine Übergangszeit eine bestimmte Regelung vereinbaren, lernen die Eltern mehr und<br />

mehr mit der Sache umzugehen. Oft löst sich das Verfahren später in Wohlgefallen auf.<br />

1.1 Kindeswohl<br />

Alle <strong>Kindschaftssachen</strong> stehen unter dem Primat des Kindeswohls, d. h. der Familienrichter<br />

muss sich fragen, ob die getroffene Entscheidung – aber auch ein vereinbarter Vergleich – kindeswohlgerecht<br />

ist, § 1697a BGB.<br />

Im kindschaftsrechtlichen Verfahren ist der Begriff des Kindeswohls der am häufigsten gebrauchte<br />

und missbrauchte Begriff.<br />

6


1 Einleitung<br />

©Justizakademie NRW<br />

7<br />

Beachten Sie:<br />

Die Maßstäbe unterscheiden sich dabei:<br />

So muss für einen Sorgeentzug nach §§°1666, 1666a BGB eine Kindeswohlgefährdung<br />

vorliegen, für eine Entscheidung der Sorgeübertragung muss eine positive Kindeswohlprüfung<br />

vorgenommenen werden, während etwa im Rahmen einer Entscheidung nach<br />

§°1680 Abs.2 BGB eine negative Kindeswohlprüfung ausreichend ist, also „dem Wohl<br />

des Kindes nicht widerspricht“.<br />

Die gesetzlichen Vorgaben variieren hinsichtlich der Kindeswohlentsprechung zwischen<br />

• „entspricht“ (§ 1626 a BGB),<br />

• „gefährdet“ (§ 1666 BGB),<br />

• „am besten entspricht“ (§ 1671, BGB § 1697 a BGB),<br />

• „dient“ § 1680 BGB § 1680 Absatz II 2 BGB),<br />

• „nicht widerspricht“ § 1680 BGB § 1680 Absatz II 1 BGB, § 156 FamFG § 156 Absatz II<br />

2 FamFG),<br />

• „erforderlich“ (§ 1684 Absatz IV 1 BGB) und<br />

• „triftige, das Wohl des Kindes nachhaltig berührende Gründe“ (§ 1696 BGB). 1<br />

Was dem Kindeswohl entspricht, ist die Gretchenfrage jedes Verfahrens. So viele Beteiligte, so<br />

viele Meinungen gibt es – den Familienrichter eingeschlossen. Anders als etwa im Zivilrecht<br />

sind dabei nicht abgeschlossene, sondern sich stetig verändernde Sachverhalte zu beurteilen.<br />

Zudem muss über künftige Zeiträume eine Prognoseentscheidung getroffen werden. Auch dies<br />

fordert die Richterpersönlichkeit in besonderem Maß.<br />

Beispiel:<br />

Ob in einem Zivilverfahren der Motor des gebrauchten PKW bei Kauf kaputt war oder<br />

nicht, kann der Sachverständige nachträglich beurteilen oder unterliegt der Beweislastverteilung.<br />

Ob aber im Familienverfahren die alleinerziehende Mutter künftig ihr Alkoholproblem<br />

in den Griff bekommen wird oder nicht, lässt sich hingegen allenfalls aus den<br />

Erfahrungen der Vergangenheit indiziell ableiten.<br />

Gleichwohl hängt von der Beurteilung die Entscheidung ab, ob das Kind bei der Mutter bleibt<br />

oder zu einer Pflegefamilie geht – eine Entscheidung, die nicht zuletzt den Lebensweg des<br />

Kindes maßgeblich beeinflussen wird.<br />

1.2 Kindesanhörung<br />

Beachten Sie:<br />

In den Sorge- und Umgangsverfahren ist das minderjährige Kind persönlich anzuhören.<br />

Die Anhörung von Kindern 2 richtet sich nach § 159 FamFG. Geboten ist die Anhörung von Kindern<br />

jedenfalls im Schulalter oder bereits auch früher. 3 Zwingend vorgeschrieben ist sie nach §<br />

159 Abs. 1 FamFG bei Vollendung des 14. Lebensjahres. Sinnvoll ist die Anhörung auch bei kleineren<br />

Kindern, sofern eine Verständigung möglich ist. Das BVerfG hat in den letzten Jahren die<br />

1 Heilmann, „Die Gesetzeslage zum Sorge- und Umgangsrecht“ NJW 2012, S. 16.<br />

2 Ausführlich zur Vorgehensweise bei Kindesanhörungen Carl/Eschweiler, NJW 2005, S. 1681.<br />

3 BGH FamRZ 1984, S. 1084, 1085 f.; BayOblG FamRZ 1997, S.223, 224; KG FamRZ 1999, S. 808, 809.


1 Einleitung<br />

©Justizakademie NRW<br />

Altersgrenze kontinuierlich nach unten verschoben, so dass jetzt spätestens die Anhörung eines<br />

dreijährigen Kindes geboten sein dürfte. 4<br />

Normalerweise wird die Anhörung des Kindes in Abwesenheit aller anderen Beteiligten durchgeführt.<br />

Allerdings muss dem Verfahrensbeistand stets Gelegenheit gegeben werden, an der<br />

Anhörung teilzunehmen. In Problemfällen kann das Kind auch zu Hause oder z. B. im Kindergarten<br />

angehört werden.<br />

8<br />

Beachten Sie:<br />

Das Ergebnis der Anhörung wird vom Richter zusammengefasst (aktenkundig gemacht)<br />

und den übrigen Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis gegeben. 5<br />

Diese Dokumentationspflicht ist nach § 28 Abs. 4 FamFG ausdrücklich vorgeschrieben.<br />

Aus der Dokumentation muss sich das wesentliche Ergebnis der Anhörung ergeben. 6<br />

Geladen wird nicht das minderjährige Kind, sondern es wird dem Elternteil, bei dem es lebt,<br />

aufgegeben, das Kind zum Termin oder einem gesonderten Anhörungstermin mitzubringen<br />

bzw. vorzustellen.<br />

Beachten Sie:<br />

Die Anhörung von Kindern stellt gerade den „neuen“ Familienrichter vor eine extreme<br />

Herausforderung. Kinder haben eine komplett andere Aussagepsychologie und Erlebniswelt<br />

als Erwachsene 7 , mit denen der Richter bisher zu tun hatte. Es kann daher nur<br />

dringend geraten werden, entsprechende Fortbildungen zu besuchen oder sich in das<br />

Thema einzulesen. 8 Eine gelungene Anhörung wird das Kind nämlich nicht noch zusätzlich<br />

belasten.<br />

Ob schon zum ersten Termin die Kinder geladen werden oder sogar die Anhörung noch vor<br />

dem Termin erfolgt, hängt von der persönlichen Arbeitsweise und vom Einzelfall ab.<br />

Beispiel:<br />

Ist zu erwarten, dass in einem Umgangsverfahren eine einvernehmliche Regelung durch<br />

die Eltern erfolgt, kann u. U. auch eine Ladung und Anhörung unterbleiben. In einigen<br />

Fällen sollte aber ein gefundenes Ergebnis den Kindern mitgeteilt werden, sofern diese<br />

anwesend sind. Sind die Eltern in der Lage, diese Lösung selbst bekannt zu geben, wird<br />

dies die Kinder in der Regel entlasten.<br />

1.3 Aufgaben und Stellung des Jugendamts (JA)<br />

Beachten Sie:<br />

Die Aufgaben der Jugendämter sind in den Vorschriften des SGB VIII geregelt.<br />

Das SGB VIII (Kinder- und Jugendhilfe) ist vom Zuschnitt her ein modernes Leistungsgesetz<br />

(und kein Eingriffsgesetz mehr).<br />

4 BVerfG FamRZ 2010, S. 1622 (1623).<br />

5 BGH FamRZ 1986, S. 895 (896).<br />

6 Thomas-Putzo/Hüßtege, § 159 FamFG Rz.9.<br />

7 Strobach, Die seelische Entwicklung des Kindes nach einer Elterntrennung und Scheidung FPR 2008, S. 148.<br />

8 Vgl. Carl Eschweiler, Kindesanhörung – Chancen und Risiken NJW 2005, S. 1681.


1 Einleitung<br />

©Justizakademie NRW<br />

Umfang der Aufgaben und Leistungen:<br />

Das SGB VIII regelt bundeseinheitlich die Leistungen gegenüber jungen Menschen sowie<br />

deren Familien<br />

Träger der öffentlichen Jugendhilfe sind die Landkreise und kreisfreien Städte, die die Jugendämter<br />

einrichten<br />

9<br />

Jugendarbeit, Jugendsozialarbeit, erzieherischer Kinder- und Jugendschutz<br />

Familienförderung<br />

Kindertagesbetreuung, Hilfen zur Erziehung, Eingliederungshilfe für seelisch behinderte<br />

Kinder und Jugendliche, Inobhutnahme, Vormundschaft, Beistandschaft<br />

Registerauskunft an die Mutter (Negativattest = schriftliche Auskunft über Nichtabgabe<br />

und Nichtersetzung von Sorgeerklärungen)<br />

Beurkundungen (Vaterschaftsanerkennung, Unterhalt, Sorgeerklärungen)<br />

Beachten Sie:<br />

Für den Bereich des Sorge- und Umgangsrechts und dort insbesondere für die Fälle einer<br />

Kindeswohlgefährdung, ist § 8a SGB VIII ausschlaggebend. Danach haben die Jugendämter<br />

den Personensorgeberechtigten jedwede Hilfe zur Sicherstellung des Kindeswohls<br />

anzubieten, anderenfalls das Familiengericht anzurufen bzw. in Eilfällen selbst tätig<br />

zu werden. 9<br />

Die Sachbearbeiter des Jugendamts sind z. T. schon sehr lange mit der betroffenen Familie<br />

vertraut. Der Familienrichter kann daher einerseits von diesem Erfahrungsschatz profitieren<br />

und muss gleichzeitig einen eigenen, unvoreingenommenen Blick auf die Beteiligten bewahren.<br />

9 § 8a SGB VIII Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung:<br />

(1) Werden dem Jugendamt gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder Jugendlichen<br />

bekannt, so hat es das Gefährdungsrisiko im Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte abzuschätzen. Dabei<br />

sind die Personensorgeberechtigten sowie das Kind oder der Jugendliche einzubeziehen, soweit hierdurch der<br />

wirksame Schutz des Kindes oder des Jugendlichen nicht in Frage gestellt wird. Hält das Jugendamt zur Abwendung<br />

der Gefährdung die Gewährung von Hilfen für geeignet und notwendig, so hat es diese den Personensorgeberechtigten<br />

oder den Erziehungsberechtigten anzubieten.<br />

(2) In Vereinbarungen mit den Trägern von Einrichtungen und Diensten, die Leistungen nach diesem Buch<br />

erbringen, ist sicherzustellen, dass deren Fachkräfte den Schutzauftrag nach Absatz 1 in entsprechender Weise<br />

wahrnehmen und bei der Abschätzung des Gefährdungsrisikos eine insoweit erfahrene Fachkraft hinzuziehen.<br />

Insbesondere ist die Verpflichtung aufzunehmen, dass die Fachkräfte bei den Personensorgeberechtigten oder<br />

den Erziehungsberechtigten auf die Inanspruchnahme von Hilfen hinwirken, wenn sie diese für erforderlich halten,<br />

und das Jugendamt informieren, falls die angenommenen Hilfen nicht ausreichend erscheinen, um die Gefährdung<br />

abzuwenden.<br />

(3) Hält das Jugendamt das Tätigwerden des Familiengerichts für erforderlich, so hat es das Gericht anzurufen;<br />

dies gilt auch, wenn die Personensorgeberechtigten oder die Erziehungsberechtigten nicht bereit oder in der<br />

Lage sind, bei der Abschätzung des Gefährdungsrisikos mitzuwirken. Besteht eine dringende Gefahr und kann<br />

die Entscheidung des Gerichts nicht abgewartet werden, so ist das Jugendamt verpflichtet, das Kind oder den<br />

Jugendlichen in Obhut zu nehmen.<br />

(4) Soweit zur Abwendung der Gefährdung das Tätigwerden anderer Leistungsträger, der Einrichtungen der<br />

Gesundheitshilfe oder der Polizei notwendig ist, hat das Jugendamt auf die Inanspruchnahme durch die Personensorgeberechtigten<br />

oder die Erziehungsberechtigten hinzuwirken. Ist ein sofortiges Tätigwerden erforderlich<br />

und wirken die Personensorgeberechtigten oder die Erziehungsberechtigten nicht mit, so schaltet das Jugendamt<br />

die anderen zur Abwendung der Gefährdung zuständigen Stellen selbst ein.


1 Einleitung<br />

©Justizakademie NRW<br />

10<br />

Zusammenfassung:<br />

<strong>Kindschaftssachen</strong> stellen Familienrichter vor Herausforderungen, da sich die Beteiligten<br />

in einer emotionalen Ausnahmesituation befinden.<br />

Der Familienrichter muss immer eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung treffen (§<br />

1697a BGB).<br />

Das minderjährige Kind ist in Sorge- und Umgangsverfahren persönlich anzuhören. Die<br />

Anhörung von Kindern richtet sich nach § 159 FamFG. Sofern eine Verständigung möglich<br />

ist, ist die Anhörung auch bei kleineren Kindern sinnvoll.<br />

§ 8a SGB VIII regelt die Aufgaben und Befugnisse des Jugendamts, insbesondere für die<br />

Fälle einer Kindswohlgefährdung.


2 Verfahrensregelungen<br />

©Justizakademie NRW<br />

2 Verfahrensregelungen<br />

______________________________ Dieses Kapitel dient der Erklärung der Verfahrensregelungen bei<br />

<strong>Kindschaftssachen</strong>.<br />

Das Kapitel ist nochmals in zwei Unterkapitel geteilt.<br />

Das zum 1.9.2009 in Kraft getretene FamFG hat die bisherige Rechtszersplitterung in Vorschriften<br />

der ZPO und des FGG beseitigt, dafür wurde das komplette 6. Buch der ZPO und das FGG<br />

aufgehoben.<br />

11<br />

Beachten Sie:<br />

Das Verfahrensrecht ist jetzt im Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den<br />

Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) geregelt. 10<br />

Nach § 151 FamFG umfassen die <strong>Kindschaftssachen</strong> Verfahren betreffend:<br />

Elterliche Sorge<br />

Umgangsrecht<br />

Kindesherausgabe<br />

Vormundschaft<br />

Pflegschaft oder gerichtliche Bestellung eines sonstigen Vertreters für einen Minderjährigen<br />

oder für eine Leibesfrucht<br />

Genehmigung der freiheitsentziehenden Unterbringung eines Minderjährigen (§§ 1631b,<br />

1800 und 1915 des Bürgerlichen Gesetzbuchs)<br />

Anordnung der freiheitsentziehenden Unterbringung eines Minderjährigen nach den Landesgesetzen<br />

über die Unterbringung psychisch Kranker<br />

Aufgaben nach dem Jugendgerichtsgesetz<br />

Nachfolgend werden wegen der praktischen Relevanz für das familienrichterliche Dezernat<br />

insbesondere die Verfahren über die elterliche Sorge und das Umgangsrecht behandelt.<br />

2.1 Allgemeine Vorschriften<br />

Beachten Sie:<br />

Die Verfahrensbeteiligten sind in § 7 FamFG als Generalklausel benannt. Den Beteiligten<br />

ist rechtliches Gehör zu geben.<br />

Nach der Vorschrift des § 34 FamFG sind sie persönlich zu hören, eine Entscheidung darf<br />

daher gem. § 37 FamFG nur auf solche Tatsachen gestützt werden, zu denen zuvor das<br />

rechtliche Gehör gegeben wurde.<br />

Die Rechte und Pflichten zur Verfahrenseinleitung leiten sich aus den materiellen Regelungen<br />

ab, §§ 23, 24 FamFG. Danach können Sorge- und Umgangsverfahren weiter auf Antrag oder<br />

von Amts wegen (auf Anregung) eingeleitet werden.<br />

10 Einen Überblick über das Verfahren in <strong>Kindschaftssachen</strong> nach dem FamFG bietet der Aufsatz von Stößer,<br />

FamRZ 2009, S. 656 ff.


2 Verfahrensregelungen<br />

©Justizakademie NRW<br />

12<br />

Beachten Sie:<br />

Statt Prozesskostenhilfe wird gem. § 76 ff. FamFG in Familiensachen Verfahrenskostenhilfe<br />

bewilligt. Die Beiordnung eines Rechtsanwalts in <strong>Kindschaftssachen</strong> ist nach § 78<br />

Abs. 2 FamFG nur dann vorzunehmen, wenn die Sach- und Rechtslage dies erforderlich<br />

machen. Strittig ist, ob ein mutwilliger VKH-Antrag vorliegt, wenn nicht zuvor das JA zur<br />

Vermittlung eingeschaltet wurde. 11<br />

Es gilt der Amtsermittlungsgrundsatz gemäß § 26 FamFG. Beweiserhebungen und Aufklärung<br />

des Sachverhalts sind weiter im Freibeweis gem. § 29 FamFG möglich. Der Richter kann aber<br />

nach § 30 FamFG die förmliche Beweisaufnahme anordnen. § 28 FamFG stellt klar, was schon<br />

bisher weitestgehend gerichtliche Übung war: Im Rahmen einer Kindesanhörung ist ein Vermerk<br />

über das Ergebnis der Anhörung aufzunehmen.<br />

Beachten Sie:<br />

Wegen § 37 FamFG ist das Anhörungsergebnis, sofern es Einfluss auf die Entscheidung<br />

haben könnte, den Verfahrensbeteiligten bekanntzugeben und ihnen Gelegenheit zur<br />

Äußerung zu geben.<br />

Dies kann durch schriftliche Übersendung des Anhörungsvermerks oder Gelegenheit zur Stellungnahme<br />

im Termin erfolgen. 12<br />

Beachten Sie:<br />

Aus der Bekanntgabeverpflichtung gem. § 37 II FamFG ergibt sich daher eine besondere<br />

Vorsicht im Umgang mit „geheimen“ Informationen, also Mitteilungen der Kinder oder<br />

des Jugendamtes „unter der Hand“, die die Beteiligten (Eltern) nicht zur Kenntnis nehmen<br />

dürfen. Auch diese Informationen sind grundsätzlich bekannt zu geben, weshalb<br />

etwa die Kinder im Rahmen der Anhörung vorab darüber aufgeklärt werden sollten.<br />

In allen Familienangelegenheiten wird gem. § 38 FamFG durch Beschluss entschieden, so auch<br />

in den <strong>Kindschaftssachen</strong>. Treffen die Eltern eine einvernehmliche Regelung zur Erledigung<br />

des Verfahrens, werden diese wie auch in den ZPO-Verfahren als Vergleich bezeichnet, § 36<br />

FamFG. Jede Entscheidung ist mit einer Rechtsbehelfsbelehrung nach § 39 FamFG zu versehen,<br />

die Teil des Beschlusses sein muss, also nicht etwa der Entscheidung bei Zustellung beigefügt<br />

werden kann.<br />

Beachten Sie:<br />

In den <strong>Kindschaftssachen</strong> ist über die Kosten nach den §§ 80 ff FamFG zu entscheiden.<br />

Das Gericht kann alle Kosten und Auslagen (also auch RA Kosten und Sachverständigenkosten)<br />

nach billigem Ermessen den Beteiligten auferlegen. Nach den Regelbeispielen in § 81 Abs. 2<br />

Ziffer 1-5 FamFG ist die Kostenauferlegung auf nur einen Beteiligten erweitert und erleichtert<br />

worden. Das Gericht kann auch von der Erhebung der gerichtlichen Kosten und Auslagen absehen<br />

und anordnen, dass außergerichtliche Kosten nicht erstattet werden.<br />

11 Ablehnend: OLG Hamm: Beschluss vom 03.03.2011 – 8 WF 34/11, NJW-RR 2011, 1577; mutwillig, wenn zeitnaher<br />

Erfolg des JA absehbar: OLG Koblenz: Beschluss vom 16.02.2009 – 11 WF 135/09, FamRZ 2009, S. 1230.<br />

12 Vgl. Zöller/Feskorn, FamFG, § 37 Rz.15, 16.


2 Verfahrensregelungen<br />

©Justizakademie NRW<br />

13<br />

Frage:<br />

Wann kann eine Kostentragungspflicht angeordnet werden? Nennen Sie mindestens<br />

drei Beispiele:<br />

Eine Kostentragungspflicht kann angeordnet werden:<br />

Durch grobes Verschulden veranlasstes Verfahren<br />

o Verlangt Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit<br />

Von vornherein aussichtloser Antrag<br />

o Diese Frage wird meist schon bei der VKH Bewilligung zu prüfen sein, zudem<br />

sind die Erfolgsaussichten von Sorge und Umgangsverfahren nach der Rspr.<br />

der Obergerichte fast immer gegeben.<br />

Unwahre Angaben eines Beteiligten<br />

o Wesentliche Tatsachen müssen schuldhaft falsch dargestellt sein. Schwer<br />

nachweisbar.<br />

Verletzung von Mitwirkungspflichten<br />

o Es muss zu einer erheblichen Verzögerung kommen, angesichts der Amtsermittlungspflicht<br />

des Gerichts nach § 26 FamFG sind nur wenige Anwendungsfälle<br />

denkbar, z. B. bei mangelnder Mitwirkung im Rahmen der Begutachtung.<br />

Verstoß gegen Beratungsauflage<br />

o Weigert sich ein Elternteil an einer kostenlosen Beratung teilzunehmen, kann<br />

dieses Verhalten über die Kostenregelung gem. §§ 81 Abs. 2 Nr.5, 150 Abs. 4,<br />

156 Abs. 1 FamFG sanktioniert werden.<br />

Bei einem Vergleich nach §§ 36, 156 Abs. 2 FamFG gilt zunächst die Vergleichsregelung zu den<br />

Kosten, § 83 Abs. 1 FamFG.<br />

Beachten Sie:<br />

Achtung: bei vereinbarter Kostenaufhebung, z. B. im Rahmen eines Umgangsvergleichs,<br />

wird auch ein nicht VKH-Berechtigter an den Sachverständigenkosten beteiligt!<br />

Hierauf ist ggf. vorab hinzuweisen.<br />

Bei Erledigung und Antragsrücknahme gelten wiederum über § 83 Abs. 2 FamFG die Kostengrundsätze<br />

des § 81 FamFG.<br />

In den <strong>Kindschaftssachen</strong>, die auch von Amts wegen geführt werden können, kommt eine Erledigung<br />

durch die Beteiligten nicht in Betracht, § 22 Abs. 4 FamFG. Das Gericht hat dann die<br />

Erledigung festzustellen.<br />

Beispiel:<br />

Im Verfahren auf Sorgeentzug kommen die Eltern den Auflagen des Jugendamts vollumfänglich<br />

nach. Das Jugendamt erklärt das Verfahren für „erledigt“.<br />

Das Gericht hat nach § 22 FamFG festzustellen, dass familiengerichtliche Maßnahmen<br />

nicht erforderlich sind und über die Kosten zu entscheiden.


2 Verfahrensregelungen<br />

©Justizakademie NRW<br />

2.2 Spezielle Regelungen für das Verfahren in <strong>Kindschaftssachen</strong>, §§<br />

151 ff. FamFG 13<br />

Die Sorge- und Umgangsverfahren werden als <strong>Kindschaftssachen</strong> bezeichnet.<br />

Das Verfahren ist in den §§ 151 ff FamFG geregelt.<br />

14<br />

Beachten Sie:<br />

Für die <strong>Kindschaftssachen</strong> gilt das Beschleunigungs- und Vorrangsgebot des §°155<br />

FamFG.<br />

Konkret heißt dies, dass in den bezeichneten Verfahren spätestens einen Monat nach Beginn<br />

ein Termin stattzufinden hat, in dem die Beteiligten und das Jugendamt persönlich anzuhören<br />

sind.<br />

Das Gericht hat, wie auch bisher schon, zu jedem Zeitpunkt des Verfahrens auf ein Einvernehmen<br />

der Beteiligten hinzuwirken, sofern dies dem Kindeswohl nicht widerspricht, § 156 Abs. 1<br />

FamFG.<br />

Beachten Sie:<br />

Nach § 156 Abs. 1, S. 4 FamFG hat das Gericht jetzt die Befugnis, die Eltern zur Teilnahme<br />

an einer Beratung durch die Beratungsstellen und Träger der Jugendhilfe bindend zu<br />

verpflichten.<br />

Die Nichtteilnahme kann zu einer nachteiligen Kostenentscheidung führen, (vergleiche oben), §<br />

81 FamFG.<br />

Das Gericht kann aber nach wie vor nicht die Eltern zur Durchführung einer Mediation oder<br />

Therapie verpflichten. Mit der Teilnahme an einem einmaligen Beratungsgespräch sind die Eltern<br />

daher ihrer Verpflichtung aus § 156 Abs. 1, S. 4 FamFG nachgekommen.<br />

Beachten Sie:<br />

Eine VKH Bewilligung erstreckt sich daher nicht auf die Kosten einer Mediation! 14<br />

Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus § 152 FamFG. Der gesetzliche Wohnsitz des minderjährigen<br />

Kindes ist nicht mehr ausschlaggebend. Die Zuständigkeit wird nach dem gewöhnlichen<br />

Aufenthalt des Kindes bestimmt.<br />

Beachten Sie:<br />

Bei Anhängigkeit einer Ehesache ist das für die Ehesache zuständige Gericht auch für die<br />

<strong>Kindschaftssachen</strong> zuständig.<br />

Eine Kindschaftssache ist daher an das Gericht der Ehesache zu verweisen, wenn eine Ehesache<br />

an einem anderen Gericht anhängig ist oder wird, § 151 FamFG.<br />

Ausdrücklich regelt § 154 FamFG, dass der gewöhnliche Aufenthaltsort bei gemeinsamer elterlicher<br />

Sorge nicht nur durch einen Elternteil bestimmt werden kann.<br />

13 Das waren früher in der ZPO die Vaterschaftsfeststellungs- und -anfechtungsklagen, die jetzt Abstammungssachen<br />

heißen, § 111 Nr. 2 und Nr. 3 FamFG. Diese neuen Begriffe werden teilweise noch falsch gebraucht.<br />

14 Ganz h. M. Götsch, FamRZ 2009, S. 384., a. A.: OLG Köln: Beschluss vom 03.06.2011 – 25 UF 24/10, BeckRS<br />

2011, 24961 für die gerichtsnahe Mediation.


2 Verfahrensregelungen<br />

©Justizakademie NRW<br />

15<br />

Beispiel:<br />

Verzieht also der Kindesvater mit dem gemeinsamen minderjährigen Kind von Köln<br />

nach Hamburg, so kann das Familiengericht Hamburg auf Antrag der Kindesmutter das<br />

Verfahren über das Aufenthaltsbestimmungsrecht an das Familiengericht Köln abgeben.<br />

Ein späterer Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes (zum Beispiel Obhutswechsel)<br />

führt nach den Grundsätzen der perpetuatio fori nach § 154 FamFG nicht zu einem Wegfall der<br />

einmal gegebenen Zuständigkeit.<br />

So können Kindseltern, die von einer Kindeswegnahme bedroht sind, nicht durch einen Umzug<br />

die Zuständigkeit entfallen lassen, in der Hoffnung, bei einem neuen Richter/Richterin eine<br />

andere Bewertung der Situation zu erfahren.<br />

Beachten Sie:<br />

Für Eilmaßnahmen (Gefahr im Verzug) begründet §°50 Abs. 2 FamFG zudem eine besondere<br />

Eilzuständigkeit.<br />

Beispiel: Das Kind wohnt mit dem Vater in Köln. Im Urlaub auf Norderney stellt die umgangsberechtigte<br />

Kindesmutter Verletzungen an dem Kind fest, die mutmaßlich vom<br />

Vater stammen. Das AG Norden ist gem. §°50 Abs. 2 FamFG zuständig für eine Eilmaßnahme<br />

(eA auf Übertragung des ABR).<br />

Die internationale Zuständigkeit richtet sich abgestuft nach folgenden Vorschriften:<br />

Nach Brüssel IIa (EG-VO Nr. 2201/2003 vom 27.11.2003) 15<br />

o MSA (Minderjährigenschutzabkommen) 16 , für Nicht-EU-Staaten<br />

o Dann erst nach dem Auffangtatbestand des § 99 FamFG (Wohnsitz des minderjährigen<br />

Kindes).<br />

Nach dem „Gesetz zur Aus- und Durchführung bestimmter Rechtsinstrumente auf dem Gebiet<br />

des internationalen Familienrechts“ (IntFamRVG) ist gem. §§ 12, 13 das Amtsgericht am Sitz<br />

des OLG zuständig für Fälle der Kindesentführung, Anerkennung und Vollstreckung von ausl.<br />

Sorge- und Umgangstiteln und nachfolgende Verfahren.<br />

Das Rechtstatut in <strong>Kindschaftssachen</strong> mit Auslandsbezug (IPR) – also das anzuwendende materielle<br />

Recht – richtet sich nach dem Haager Kinderschutzübereinkommen (KSÜ) bzw. Art. 21<br />

EGBGB.<br />

Jeder Sorgerechts- und Umgangsrechtsantrag wird gem. § 162 FamFG dem zuständigen Jugendamt<br />

zur Anhörung zugeleitet, das selbst oder durch einen Verband (Diakonisches Werk,<br />

Caritas usw.) einen Bericht erstellt. Wohnt ein Elternteil nicht am Gerichtsort, schaltet das örtliche<br />

Jugendamt das zuständige auswärtige Jugendamt im Rahmen der Amtshilfe ein.<br />

Dem Jugendamt steht auf Antrag nach § 162 Abs. 2 FamFG eine eigene Beteiligungsstellung<br />

zu. Gem. § 162 Abs. 3 FamFG hat das Jugendamt aber auch unabhängig davon ein Beschwerderecht<br />

in <strong>Kindschaftssachen</strong>.<br />

15 Abgedruckt in Zöller ZPO.<br />

16 Abgedruckt in Palandt BGB.


2 Verfahrensregelungen<br />

©Justizakademie NRW<br />

16<br />

Beachten Sie:<br />

Die Eltern sind stets Beteiligte, § 7 FamFG. 17<br />

Die Eltern sind in <strong>Kindschaftssachen</strong> stets gem. § 160 FamFG anzuhören.<br />

Muss-Beteiligter im Sinne des § 7 Abs. 2 FamFG ist auch das betroffene minderjährige<br />

Kind, welches in der Regel von den Eltern im Verfahren gesetzlich vertreten werden<br />

kann. 18<br />

Eine Anhörung kann nur aus schwerwiegenden Gründen 19 (§ 160 Abs. 3 FamFG) unterbleiben,<br />

beim nicht sorgeberechtigten Elternteil, wenn keine Aufklärung erwartet werden kann (z. B.<br />

nicht ehelicher Vater hat nie mit Mutter und Kind zusammen gelebt), § 160 Abs. 2 FamFG.<br />

Beachten Sie:<br />

Unter Umständen sind nach § 161 FamFG auch die Pflegepersonen zu hören und zu<br />

beteiligen.<br />

Nach § 158 Abs. 1 FamFG ist ein Verfahrensbeistand (früher: Verfahrenspfleger) zu bestellen,<br />

wenn die Kindschaftssache die Person des Kindes betrifft und die Bestellung zur Wahrnehmung<br />

der Interessen des Kindes erforderlich ist.<br />

Dies ist nach Nrn. 2 und 3 der Vorschrift regelmäßig der Fall in den Verfahren nach<br />

§§ 1666,1666a BGB<br />

Im Fall der mit einem Obhutswechsel verbundenen Wegnahme<br />

Außerdem bei einem Ausschluss oder einer wesentlichen Einschränkung des Umgangsrechts.<br />

20 Eine solche Einschränkung kann auch schon in der Möglichkeit des nur begleiteten<br />

Umgangs liegen. 21<br />

Die Vergütung des Verfahrensbeistands nach § 158 VII FamFG fällt für jedes Kind gesondert<br />

an. 22<br />

Beachten Sie:<br />

Die Vertretungsmacht der Eltern kann ausgeschlossen und entzogen werden 23 , §§°1795,<br />

1796 BGB. Dann ist ein Verfahrenspfleger zu bestellen. Allerdings darf auch im Fall eines<br />

erheblichen Interessengegensatzes zwischen Eltern und Kind den Eltern die Vertretungsbefugnis<br />

im Zusammenhang mit einem Kindschaftsverfahren dann nicht entzogen<br />

werden, wenn bereits durch die Bestellung eines Verfahrensbeistands für eine wirksame<br />

Interessenvertretung des Kindes Sorge getragen werden kann. 24 Eines Teilsorgeentzugs<br />

und der Bestellung eines Ergänzungspflegers bedürfte es in diesen Fällen daher nicht.<br />

17 Auch die nicht sorgeberechtigten Elternteile.<br />

18 BGH NJW 2011, S. 3454.<br />

19 Thomas-Putzo/Hüßtege, § 160 Rz.3: Gründe des § 43 Abs. 2 FamFG oder unbekannter Aufenthalt, Unerreichbarkeit.<br />

20 Dies dürfte also insbesondere der Fall sein, wenn der umgangsbegehrende Elternteil mutmaßlich physische<br />

oder sexuelle Gewalt gegenüber dem Kind angewendet hat. Vgl. Zöller/Philippi, FamFG, § 158 Rz.6.<br />

21 OLG Saarbrücken FamRZ 2010, S. 1446.<br />

22 BGH FamRZ 2010, S. 1976.<br />

23 Eingehend: Schael „Verfahrensbeteiligung Minderjähriger nach dem FamFG“ FamRZ 2009, S. 265 (268).<br />

24 BGH, Beschluss vom 07.09.2011 – XII ZB 12/11, BeckRS 2011, 23922, NJW 2011, S. 3454; BGH B. v. 18.01.2012 –<br />

XII ZB 489/11 – BeckRS 2012, 03457.


2 Verfahrensregelungen<br />

©Justizakademie NRW<br />

17<br />

Beispiel:<br />

Aussagegenehmigung für minderjähriges Kind, dessen (mit-)sorgeberechtigtem Vater<br />

Missbrauch vorgeworfen wird.<br />

Ein psychologisches Gutachten wird vielfach von den Anwälten pauschal beantragt. Man sollte<br />

den Beteiligten vorab klar machen, dass die Begutachtung eine erhebliche Belastung für alle<br />

Beteiligten ist. Die meisten Obergerichte fordern mangels eigener Sachkunde des Gerichts<br />

allerdings stets die Einholung eines solchen psychologischen Gutachtens. 25<br />

Bei der Einholung eines Sachverständigengutachtens ist zu beachten, dass die Kindeseltern zur<br />

Mitwirkung verpflichtet sind, § 27 Abs. 1 FamFG.<br />

Beachten Sie:<br />

Die Mitwirkung kann aber nicht erzwungen werden. Z. B. kann das Erscheinen zur Exploration<br />

durch den Sachverständigen nicht zwangsweise durchgesetzt werden. 26<br />

Allerdings kann das persönliche Erscheinen der Beteiligten im Termin gem. § 33 FamFG durchgesetzt<br />

werden, so dass der Sachverständige im Termin eine notwendige Beobachtung und<br />

Fragestellung durchführen kann.<br />

Beachten Sie:<br />

Scheitert die Einholung des Gutachtens an der fehlenden Mitwirkung eines Elternteils,<br />

kann dies<br />

• zum einen in der Beweiswürdigung negativ berücksichtigt werden 27 und<br />

• sich zum anderen nach § 81 FamFG negativ in dem Kostenausspruch auswirken.<br />

Die fehlende Einwilligung in die Begutachtung des Kindes kann allerdings gem. § 1666 BGB<br />

gerichtlich ersetzt werden. 28 Formal handelt es sich um einen Teilentzug der elterlichen Sorge.<br />

Beachten Sie:<br />

Der Sachverständige darf gemäß § 163 FamFG vermittelnd tätig werden.<br />

D. h. er ist nicht mehr nur auf die Beantwortung der gerichtlichen Beweisfragen (Kindeswohl<br />

etc.) beschränkt, sondern darf mit den Eltern z. B. auch eine Umgangsregelung zur Lösung der<br />

streitigen Probleme erarbeiten. Dafür muss er vom Familiengericht beauftragt sein. Dem<br />

Sachverständigen ist bereits bei Erteilung des Gutachtenauftrags gem. § 163 Abs. 1 FamFG eine<br />

Frist zur Erstellung zu setzen, um das Beschleunigungsgebot zu wahren.<br />

25 Vgl. die Nachweise bei: Palandt/Diederichsen, BGB, § 1632 Rz.20.<br />

26 Zöller/Philippi, FamFG, § 163 Rz.3.<br />

27 Zöller/Feskorn, FamFG, § 163 Rz.4.<br />

28 OLG Karlsruhe FamRZ 1993, S. 1479; BayObLG FamRZ 1995, S. 501; OLG Zweibrücken FamRZ 1999, S. 155. Vgl.<br />

aber auch BVerfG FuR 2003, S. 408.


2 Verfahrensregelungen<br />

©Justizakademie NRW<br />

18<br />

Beachten Sie:<br />

Es empfiehlt sich, vor Gutachtenerteilung telefonisch mit dem Sachverständigen Rücksprache<br />

zu halten, wann mit der Begutachtung begonnen werden kann und wie lange<br />

die Bearbeitung dauern wird. Um eine rasche Bearbeitung zu gewährleisten, sollte man<br />

sich von Kollegen – auch aus benachbarten Bezirken – eine Vielzahl von Sachverständigen<br />

nennen lassen, aus denen man dann ggf. den „Schnellsten“ auswählen kann.<br />

Zu Bedenken ist hier, dass sich gerade bei kleinen Kindern alleine durch den Zeitablauf während<br />

der Begutachtung (z. B. längerer Verbleib in der Pflegefamilie) andere Bewertungen ergeben<br />

können (also z. B. eine noch anfänglich mögliche Rückführung zu den Eltern nach weiteren<br />

vier Monaten nicht mehr möglich ist, da sich nun die Bindungen an die Pflegeeltern verfestigt<br />

haben).Das Vermittlungsverfahren ist nach § 165 FamFG bei Umgangsschwierigkeiten durchzuführen,<br />

es sei denn, zuvor wäre bereits ein Vermittlungsverfahren gescheitert.<br />

Beachten Sie:<br />

Im Vermittlungsverfahren ist unverzüglich ein Termin zu bestimmen.<br />

Kommt es zu keinem einvernehmlichen Ergebnis oder erscheint ein Elternteil nicht im Termin,<br />

so ist die Erfolglosigkeit der Vermittlung durch Beschluss festzustellen, § 165 Abs. 5 FamFG.<br />

Danach kann – wie auch bei einem bereits vorherigen Scheitern einer Vermittlung – in das Ordnungsmittelverfahren<br />

übergegangen werden.<br />

Beachten Sie:<br />

Der Gegenstandswert für ein Verbundverfahren in einer Kindschaftssache beträgt jetzt<br />

nach § 44 II FamGKG:<br />

• Wert der Ehesache + 20%, Mindestwert daher 2.400,00 €, unabhängig von der Anzahl<br />

der Kinder.<br />

Beim isolierten Verfahren werden als Regelwert gem. § 45 III FamGKG 3.000 € angesetzt,<br />

Erhöhung nach Billigkeit möglich 29 , ebenfalls unabhängig von der Anzahl der betroffenen<br />

Kinder.<br />

Zusammenfassung:<br />

Das Verfahrensrecht ist im Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten<br />

der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) geregelt.<br />

Eltern sind stets Beteiligte. Nach § 34 FamFG sind die Beteiligten persönlich zu hören.<br />

Die Entscheidung darf nur auf die Tatsachen gestützt werden, zu denen zuvor das rechtliche<br />

Gehör gegeben wurde.<br />

Für die <strong>Kindschaftssachen</strong> gilt das Beschleunigungs- und Vorrangsgebot.<br />

29 Restriktive Auslegung durch die Rspr. Termindauer von 6 Stunden führt nicht zu Erhöhung, OLG Koblenz<br />

FamRZ 2009, S. 1433.


3 Elterliche Sorge<br />

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3 Elterliche Sorge<br />

______________________________ Dieses Kapitel dient dem Einblick in den Aspekt der elterlichen Sorge bei<br />

<strong>Kindschaftssachen</strong>.<br />

Das Kapitel ist nochmals in elf Unterkapitel geteilt.<br />

19<br />

Beachten Sie:<br />

Die elterliche Sorge umfasst gem. § 1626 Abs. 1 BGB die Personen- und die Vermögenssorge.<br />

Daraus ergibt sich nicht nur ein Sorgerecht, sondern auch eine Sorgepflicht.<br />

Im familienrichterlichen Dezernat steht der Streit um das Sorgerecht bzw. Teilbereiche des<br />

elterlichen Sorgerechts häufig im Mittelpunkt. Oft ist dieser Streit um die Sorge der Höhepunkt<br />

in der Eskalation des Beziehungskonflikts zwischen den Eltern.<br />

Die Aufgabe des Familienrichters besteht dann darin, die Eltern von den Streitigkeiten auf der<br />

Paarebene wieder auf die Sachebene der Erziehungsfragen zu bringen und eine kindeswohlgerechte<br />

Lösung für das gemeinsame Kind zu entwickeln.<br />

Beachten Sie:<br />

Neben diesen Elternstreitigkeiten spielen im Bereich der elterlichen Sorge insbesondere<br />

die Verfahren auf Entzug der elterlichen Sorge wegen einer Kindeswohlgefährdung eine<br />

große Rolle.<br />

Beide Themenbereiche werden im Folgenden anhand der einzelnen gesetzlichen Grundlagen<br />

kurz dargestellt.<br />

3.1 § 1671 BGB, Antrag auf Übertragung der alleinigen elterlichen<br />

Sorge<br />

§ 1671 BGB regelt die Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge auf einen Elternteil bzw. den<br />

Vater, wenn bei (verheirateten) Eltern die gemeinsame elterliche Sorge bestand oder der Kindesmutter<br />

die alleinige elterliche Sorge nach § 1626a Abs. 3 BGB zustand.<br />

Bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform der elterlichen Sorge nicht miteinander verheirateter<br />

Eltern vom 16.4.2013 (Inkrafttreten 19. Mai 2013) 30 normierte § 1671 BGB nur die Sorge<br />

der verheirateten Eltern bei Trennung und Scheidung. Nunmehr wird durch Abs. 2 der Vorschrift<br />

auch die Übertragung der Sorge bei nicht verheirateten Eltern geregelt, bei denen die<br />

Kindesmutter die alleinige elterliche Sorge nach § 1626a Abs. 3 BGB hat.<br />

Weggefallen ist daher der Regelungsgehalt des § 1672 BGB a. F.<br />

Beachten Sie:<br />

Nach Trennung und Scheidung der Eltern besteht die gemeinsame elterliche Sorge fort,<br />

wenn beide Eltern dies wollen und deshalb keinen Antrag auf Übertragung der Alleinsorge<br />

gem. § 1671 BGB stellen.<br />

Ein solcher Antrag auf alleinige Übertragung des Sorgerechts kann im Rahmen des Scheidungsverbundes,<br />

aber auch in einem isolierten Verfahren und im Wege der eA gestellt werden.<br />

30 BGBl I 2013, S.795.


3 Elterliche Sorge<br />

©Justizakademie NRW<br />

Der Kampf um das alleinige Sorgerecht oder Aufenthaltsbestimmungsrecht gehört in der<br />

familienrechtlichen Praxis zu den besonders unangenehmen Rechtsstreitigkeiten. Ausgehend<br />

von der These, dass üblicherweise niemand Kinder bekommt, um dann nicht mit Ihnen<br />

zusammen zu leben, ist gerade die Frage des Aufenthalts der Kinder existentiell für<br />

die Eltern. Mit dieser Frage wird schließlich auch die weitere Lebensplanung entschieden.<br />

Es empfiehlt sich die Eltern darauf hinzuweisen, dass die mit einer Trennung einhergehende<br />

Schädigung der Kinder nur durch das Zusammenwirken der Eltern möglichst gering<br />

gehalten werden kann. Die Kinder müssen das Recht behalten, in der Auseinandersetzung<br />

der Eltern neutral bleiben zu dürfen.<br />

Den Eltern sollte bewusst gemacht werden, dass es bei der Frage des Sorgerechts nicht<br />

um die Frage geht, wer der bessere Elternteil ist. Ein „Erziehungspokal“ wird ebenso wenig<br />

vergeben, wie über den Charakter eines Elternteils zu entscheiden ist.<br />

20<br />

Antragsgemäße<br />

Sorgeübertragung auf einen<br />

Elternteil/Vater<br />

(ggf. Zustimmung<br />

14jähriges Kind nötig)<br />

a) Zustimmung zum Sorgeantrag<br />

Abbildung § 1671 BGB, Struktur<br />

Zu einem „streitigen“ Verfahren nach § 1671 BGB kommt es also nur, wenn der andere Elternteil<br />

der Sorgeübertragung nicht zustimmt.<br />

Beachten Sie:<br />

1671 Abs. 1 Nr.1,<br />

Abs.2 Nr.1 BGB<br />

Zustimmung des<br />

anderen<br />

Elternteils/Mutter<br />

1671 BGB,<br />

Übertragung der<br />

alleinigen (Teil-)Sorge<br />

bei vorheriger<br />

gemeinsamer Sorge oder<br />

Alleinsorge der Mutter<br />

Ausnahme Abs. 4: Bedenken<br />

hins. Erziehungsfähigkeit<br />

Prüfung 1666 BGB<br />

1671 Abs. 1 Nr.2, Abs.2<br />

Nr.2 BGB<br />

Keine Zustimmung des<br />

anderen Elternteils/Mutter<br />

Zweistufige<br />

Kindeswohlprüfung<br />

Bei Zustimmung eines Elternteils ist die Sorge – zwingend durch entsprechenden Beschluss<br />

und nicht etwa durch Vereinbarung oder Vergleich – auf den anderen Elternteil<br />

zu übertragen.<br />

Etwas anderes gilt nur dann, wenn das schon 14-jährige betroffene Kind widerspricht oder gemäß<br />

§ 1671 Abs. 4 BGB die elterliche Sorge anderweitig zu regeln ist.


3 Elterliche Sorge<br />

©Justizakademie NRW<br />

21<br />

Beispiel:<br />

Droht also bei dem antragstellenden Elternteil eine Kindeswohlgefährdung, wenn er<br />

alleine die elterliche Sorge ausübte, dann ist von Amts wegen gem. §§ 1666, 1666a BGB<br />

eine anderweitige Entscheidung trotz Zustimmung des anderen Elternteils zu treffen.<br />

b) Keine Zustimmung zum Sorgeantrag<br />

Beachten Sie:<br />

Erfolgt keine Zustimmung, hat das Familiengericht eine positive Kindeswohlprüfung<br />

vorzunehmen (… dem Wohl des Kindes am besten entspricht.).<br />

Die gesetzliche Regelung des § 1671 Abs. 1 und Abs. 2 Ziffer 2 BGB hat nach Ansicht des BGH 31<br />

und des BVerfG 32 die gemeinsame elterliche Sorge nicht zum Regelfall oder zu einer gesetzlichen<br />

Vermutung erklärt und damit auch nicht die Übertragung des Sorgerechts auf einen einzelnen<br />

Elternteil zu einem Ausnahmetatbestand gemacht. D. h. die gemeinsame elterliche Sorge<br />

ist nicht von Anfang an als dem Kindeswohl förderlicher anzusehen. 33 Gegen den Willen<br />

eines Elternteils ist die Anordnung eines Betreuungs-Wechselmodells nicht möglich. 34<br />

Das Familiengericht hat daher nach § 1671 Abs.1 nr.2, 2 Nr. 2 BGB eine zweistufige Prüfung<br />

vorzunehmen:<br />

Entspricht die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge dem Kindeswohl?<br />

Ist aus Kindeswohlgründen die Übertragung auf den antragstellenden Elternteil geboten?<br />

Beachten Sie:<br />

Im familiengerichtlichen Verfahren ist durch das Gericht zu prüfen, inwieweit beide Eltern<br />

uneingeschränkt zur Pflege und Erziehung des Kindes geeignet sind, ob ein gemeinsamer<br />

Wille zur Kooperation besteht und ob keine sonstigen Gründe vorliegen, die es im<br />

Interesse des Kindeswohls gebieten, das Sorgerecht nur einem Elternteil zu übertragen.<br />

Das Kindeswohl hat sich danach an den Grundsätzen der Kontinuität, der Förderung, der<br />

Bindungen des Kindes an seine Eltern und an seine Geschwister, sowie am geäußerten<br />

Willen des Kindes zu orientieren. 35<br />

Die richterliche Kindeswohlentscheidung nach § 1671 Abs.1, 2 Nr.2 BGB hat daher folgende<br />

Kriterien 36 abzuwägen und im Rahmen des Verfahrens festzustellen:<br />

Kooperationsfähigkeit- und -bereitschaft<br />

Grds. Erziehungseignung<br />

Kontinuität<br />

Bindung des Kindes (Eltern, Geschwister, weitere Bezugspersonen)<br />

31 BGH FamRZ 2008, S. 592; BGH NJW 2000, S. 205 = FamRZ 99, S. 1646 mit Anmerkung Born FamRZ 2000, S.<br />

396; OLG Saarbücken, OLG Report Saarbrücken 2002, S. 230; a. A. OLG Hamm FamRZ 1999, S. 1597; OLG<br />

Frankfurt FamRZ 2002, S. 187, die die gemeinsame elterliche Sorge als gesetzliche Ausgangslage ansehen.<br />

32 BVerfG FamRZ 2007, S. 1876.<br />

33 Vgl. dazu auch: Kindler, Fichtner: Die gemeinsame elterliche Sorge aus der Sicht der Bindungs- und Scheidungsforschung,<br />

FPR 2008, S. 139.<br />

34 OLG Düsseldorf FamRZ 2011, S. 1154; OLG Hamm FamRZ 2012, S. 646.<br />

35 BGH FamRZ 1990, S. 392 (393).<br />

36 Aktuelle Rspr. zu diesen Kriterien bei: Wanitzka FamRZ 2012, S. 1344 ff.


3 Elterliche Sorge<br />

©Justizakademie NRW<br />

Kindeswille (tatsächlicher geäußerter)<br />

Bindungstoleranz<br />

Förderungswillen und -möglichkeit<br />

In der Praxis kommen Einschränkungen bzw. Übertragung des gemeinsamen Sorgerechts aufgrund<br />

der folgenden Kriterien in Betracht:<br />

Dagegen<br />

Fehlender Grundkonsens zwischen den Eltern 37 , der zu ständigen Auseinandersetzungen<br />

geführt hat und auch für die Zukunft weitere Streitigkeiten befürchten lässt 38 , wobei die<br />

Dominanz eines Elternteils alleine noch kein Grund für die Übertragung der Alleinsorge<br />

ist. 39<br />

Mangelnde Eignung eines Elternteils zur Erziehung und Betreuung des Kindes 40<br />

Die bestehenden sozialen und räumlichen Bezugssysteme (Verwandte, Kindergarten,<br />

Freunde der Kinder), insbesondere bei ansonsten gleicher Eignung der Eltern 41<br />

22<br />

Beachten Sie:<br />

Dies entspricht dem Kontinuitätsprinzip.<br />

Starke Bindungen des Kindes an Eltern und Geschwister sowie<br />

der Kindeswille, soweit das Kind nach Alter und Reife zu einer verantwortlichen Willensbildung<br />

in der Lage ist. 42<br />

Beachten Sie:<br />

Dabei ist klar, dass der Wille des Kindes manipuliert werden kann und deshalb nicht immer<br />

sachgerecht ist und keinesfalls als „heiliger Grundsatz" über dem gesamten Verfahren<br />

schwebt. Die Praxis zeigt, dass der Wille des Kindes nur dann manchen Elternteilen<br />

„heilig" ist, wenn er sich mit dem eigenen Willen deckt. Der Kindeswille dient sowohl zur<br />

Ermittlung der Elternbindung und ist auch Ausdruck der Selbstbestimmung des Kindes.<br />

43<br />

reicht die bloße örtliche Entfernung zwischen den Wohnsitzen der Eltern nicht aus. 44<br />

Auch unterschiedlicher Glaube ist kein ausreichender Grund, die elterliche Sorge allein<br />

übertragen zu bekommen. Hat ein Kind Eltern verschiedenen Glaubens (z. B. christliche<br />

Mutter und muslimischer Vater), rechtfertigt der Wunsch eines Elternteils, das Kind christlich<br />

taufen zu lassen, nicht die Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge, auch wenn<br />

das Kind bereits am kirchlichen Gemeindeleben teilnimmt (siehe aber unten, § 1628 BGB).<br />

wird die erforderliche Fremdbetreuung aufgrund von Berufstätigkeit unterschiedlich gewichtet.<br />

45<br />

37 OLG Köln FamRZ 2005, S. 1275 (Leitsatz).<br />

38 Nähere Einzelheiten bei Maier in Hdb. des Fachanwalts Familienrecht , 8. Aufl. 2011, 4. Kap. Rz. 202 ff., vgl. OLG<br />

Köln FamRZ 2005, S. 1275; OLG Saarbrücken OLGR 2004, S. 155: Motzer FamRZ 2006, S. 73.<br />

39 BVerfGE vom 30.06.2009 – 1 BvR 1868/08 zitiert nach juris.<br />

40 So bei erheblichen Alkoholproblemen eines Elternteils, OLG Brandenburg, FamRZ 2002, S. 120.<br />

41 OLG Hamm FamRZ 2009, S. 1757.<br />

42 Dabei kann bei ansonsten gleicher Eignung der Kindeswille ausschlaggebend sein: OLG Hamm FamRZ 2011, S.<br />

1306 (11-jähriges Kind).<br />

43 BVerfG FamRZ 2009, S. 1389.<br />

44 OLG Naumburg, FamRZ 2002, S. 564; OLG Hamm FamRZ 2002, S. 565.


3 Elterliche Sorge<br />

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In der Praxis wird am häufigsten vorgetragen, dass sich die Eltern nicht über die Belange des<br />

Kindes einigen können.<br />

23<br />

Beachten Sie:<br />

Die Uneinigkeit der Eltern in einer wichtigen Angelegenheit des Kindes (z. B. die religiöse<br />

Erziehung) rechtfertigt nicht zwangsläufig die Übertragung der gesamten elterlichen<br />

Sorge auf einen Elternteil.<br />

Das BVerfG 46 führt hierzu aus, bei Anwendung von § 1671 Abs.1, 2 Nr. 2 BGB hätten sich die<br />

Gerichte nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes mit Teilentscheidungen als<br />

milderem Mittel zu begnügen, wo immer dies dem Kindeswohl Genüge tut.<br />

Bei Dissens über den Lebensmittelpunkt des Kindes müssten die Gerichte Feststellungen dazu<br />

treffen, ob es den Eltern auch in anderen Fragen des Sorgerechts an dem gebotenen Mindestmaß<br />

an Übereinstimmung bzw. an einer tragfähigen sozialen Beziehung fehlt. Sei dies nicht<br />

der Fall, so müsse erwogen werden, ob eine Übertragung lediglich des Aufenthaltsbestimmungsrechts<br />

zur Wahrung des Kindeswohls ausreichend ist, womöglich verbunden mit einer<br />

Regelung des Umgangsrechts. 47<br />

Beachten Sie:<br />

In Fällen des Auswanderungswunsches des betreuenden Elternteils ist die Übertragung<br />

des Aufenthaltsbestimmungsrechts (ABR) auf den auswanderenden Elternteil notwendig,<br />

da ansonsten wegen des widersprechenden Elternteils die Ausreise mit Kind<br />

rechtswidrig wäre. 48<br />

Der Übertragung des ABR steht nicht entgegen, dass das Kind ggf. im Inland besser gefördert<br />

werden könnte, da hier die allgemeine Handlungsfreiheit des Elternteils überwiegt, der den<br />

Wohnort wechseln möchte. Die Übertragung des ABR kann daher nur versagt werden, wenn<br />

konkret das Kindeswohl durch die Auswanderung negativ beeinflusst würde. 49 Das Umgangsrecht<br />

ist in die Abwägung mit einzubeziehen. 50<br />

Der BGH hält zwar daran fest, dass in Fällen, in denen die gemeinsame elterliche Sorge praktisch<br />

nicht „funktioniert" und es den Eltern nicht gelingt, zu gemeinsamen Entscheidungen im<br />

Interesse des Kindes zu gelangen, der Alleinsorge eines Elternteils der Vorzug gegenüber dem<br />

Fortbestand der gemeinsamen Sorge zu geben ist.<br />

Beachten Sie:<br />

Die Übertragung der Alleinsorge, so stellt der BGH ebenfalls klar, setzt jedoch konkrete<br />

tatrichterliche Feststellungen zu den Voraussetzungen des § 1671 Abs.1, 2 Nr. 2 BGB<br />

voraus. Formelhafte Wendungen, nach denen den Eltern die Kontakt- und Kooperationsbereitschaft<br />

fehlt, könnten das Ergebnis solcher Feststellungen zwar zusammenfassen,<br />

aber solche Feststellungen nicht ersetzen. 51<br />

45 OLG Brandenburg FamRZ 2009, S. 1759 (nicht dem Kindeswohl abträglich; OLG Köln FamRZ 2010, S. 139.<br />

Mutter als Hausfrau besser geeignet als berufstätiger Vater, der Fremdbetreuung in Anspruch nehmen müsste.<br />

46 BVerfG FamRZ 2004, S. 1015.<br />

47 Vgl. auch KG FamRZ 2008, S. 634.<br />

48 BGH FamRZ 2010, S. 1061.<br />

49 Vgl. den Überblick bei Wanitzka FamRZ 2010, S. 1381 (1383).<br />

50 BGH a. a. O.<br />

51 BGH FamRZ 2005, S. 1167; BGH FamRZ 1999, S. 1646.


3 Elterliche Sorge<br />

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Der angeführte Umstand, dass die Parteien „tief zerstritten" seien, besage noch nichts über<br />

deren Unfähigkeit, in Angelegenheiten ihres Kindes zu gemeinsamen kindeswohlverträglichen<br />

Lösungen zu gelangen.<br />

24<br />

Beachten Sie:<br />

Problematisch ist die Situation, wenn der antragstellende Elternteil maßgeblich zu den<br />

Kooperationsschwierigkeiten selbst beiträgt oder diese sogar hervorruft. Hier ist ggf. zu<br />

prüfen – und der Elternteil auch darauf hinzuweisen –, ob durch dieses Verhalten ggf.<br />

schon die Erziehungseignung insgesamt in Frage gestellt ist. Die Eltern haben sich nämlich<br />

um die Wiederherstellung der Kooperationsbasis zu bemühen. 52 Bestehen Streitigkeiten,<br />

so muss festgestellt werden, dass tatsächlich ein negativer Einfluss auf das Kindeswohl<br />

besteht, damit eine Sorgeübertragung gerechtfertigt ist. 53<br />

Daher wird in den meisten Fällen als mildeste und verhältnismäßigste Maßnahme nur ein Teilbereich<br />

der elterliche Sorge (z. B. Gesundheitsfürsorge bei Streit um kieferorthopädische Behandlung)<br />

oder die Entscheidungsbefugnis für eine bestimmte Angelegenheit (etwa Auswahl<br />

der weiterführenden Schule) gem. § 1628 BGB zu übertragen sein, bei Belassung der gemeinsamen<br />

elterlichen Sorge im Übrigen. 54<br />

Sofern nur eine Angelegenheit im Sinne des § 1628 BGB betroffen ist, sollte der antragstellende<br />

Elternteil im Sinne des § 1671 BGB darauf hingewiesen werden. Dieser kann seinen Antrag<br />

dann ggf. umstellen, sofern man nicht ohnehin davon ausgeht, dass dieser Antrag schon als<br />

Minus im Antrag nach § 1671 BGB enthalten ist.<br />

Im Übrigen könnten die Probleme, die sich aus der unterschiedlichen religiösen Ausrichtung<br />

der Eltern ergeben, auch durch eine Entscheidung nach §°1628 BGB oder durch eine Teilübertragung<br />

des Sorgerechts gelöst werden. 55<br />

Beachten Sie:<br />

Die Kindeseltern sollten darauf hingewiesen werden, dass der betreuende Elternteil in<br />

den „Angelegenheiten des täglichen Lebens“ ohnehin gem. § 1687 Abs. 1 BGB alleinentscheidungsbefugt<br />

ist.<br />

Im Ergebnis führt dies dazu, dass Streitigkeiten über solche Alltagsangelegenheiten<br />

nicht zu einer Sorgeentscheidung nach § 1671 BGB führen können, da hier schon ein Regelungsbedarf<br />

nicht besteht.<br />

Oft ist nach einem solchen Hinweis schon „die Luft raus“, etwa wenn lediglich um Ernährungsgewohnheiten<br />

oder den Fernsehkonsum gestritten wird und die Schwelle zu einer Kindeswohlgefährdung<br />

unstreitig nicht erreicht ist.<br />

Ein gleichwohl aufrechterhaltener Antrag nach § 1671 BGB wäre dann zurückzuweisen.<br />

52 OLG Hamm FamRZ 2005, S.537.<br />

53 OLG Köln FamRZ 2009, S. 62.<br />

54 Vgl. BVerfG FamRZ 2004, S. 1015.<br />

55 Dazu auch OLG Schleswig FamRZ 2003, S. 1948.


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25<br />

Frage:<br />

Was sind Beispiele für Angelegenheiten des täglichen Lebens? Nennen Sie mindestens<br />

zwei weitere Beispiele:<br />

Die Angelegenheiten des täglichen Lebens sind dabei nach den individuellen Verhältnissen des<br />

Kindes zu bestimmen und zu unterscheiden von den „Sorgeangelegenheiten von erheblicher<br />

Bedeutung“ (vgl. § 1628 BGB), die eine Sorgeregelung notwendig machen können.<br />

Beispiel:<br />

So könnte die Afrikareise eines Säuglings gem. §§ 1628, 1671 BGB zu beurteilen sein,<br />

während die gleiche Reise eines 17-jährigen Kindes von § 1687 BGB gedeckt sein dürfte.<br />

Die streitige Frage etwa, wer das Kind am Kindergarten oder Hort abholt und nach Hause<br />

begleitet, ist eine Angelegenheit des täglichen Lebens und wird daher vom betreuenden<br />

Elternteil alleine entschieden. 56 Beteiligt sich der weit entfernt wohnende Vater<br />

nicht an der schulischen Frage einer Gruppeneinteilung, führt dies nicht zu einer für ihn<br />

negativen Sorgeentscheidung, da es sich dabei gerade um eine Frage des täglichen<br />

schulischen Lebens handelt, die ohnehin vom betreuenden Elternteil zu regeln ist. 57<br />

Als Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung werden u. a. angesehen:<br />

Notwendigkeit der Behandlung eines hyperkinetischen Syndroms 58<br />

Örtlicher Schulwechsel 59<br />

Impfung des Kindes 60<br />

Entscheidung über Umgang mit Bezugspersonen gem. § 1685 61<br />

Religiöse Erziehung (Konfession)<br />

Wahl des Vornamens 62<br />

Beachten Sie:<br />

Dementsprechend hat natürlich auch der umgangsberechtigte Elternteil gem.<br />

§§°1687Abs. 1 S. 4, 1687a BGB in den Zeiten des Umgangs das alleinige Sagen in den<br />

Angelegenheiten des täglichen Lebens.<br />

56 Palandt/Diederichsen, § 1687 Rz.11.<br />

57 OLG Köln, Beschluss vom 04.07.2011 – 4 UF 96/11, BeckRS 2011, 19027.<br />

58 OLG Bamberg FamRZ 2003, S. 1403.<br />

59 OLG Dresden FamRZ 2003, S. 1489.<br />

60 KG FamRZ 2006, S. 142.<br />

61 OLG Dresden NJW-RR 2005, S. 373<br />

62 Palandt/Diederichsen, § 1628 Rz.4.


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26<br />

Beispiel:<br />

Fragen der Ernährung, der Bettruhe, Fernsehkonsum und der Aktivitäten können damit<br />

insbesondere nicht zu Bedingungen für eine Umgangsausübung erhoben werden, auch<br />

wenn eine Vereinbarung auch zu diesen Themen oft hilfreich ist, um Widerstände gegen<br />

einen Umgang abzubauen.<br />

Eine gemäß § 1671 BGB getroffene gerichtliche Regelung kann später durch einen neuen Antrag<br />

gem. § 1696 BGB grundsätzlich wieder abgeändert werden.<br />

Gerichtliche Sorgerechtsregelungen, mit der die bestehende gemeinsame elterliche Sorge<br />

aufgehoben wird, können auf folgendem Wege erreicht werden:<br />

Durch einen Verbundantrag im Rahmen des Scheidungsverfahrens nach § 137 Abs. 3<br />

FamFG. In der Praxis werden Anträge aber meist isoliert gestellt bzw. gem. § 140 Abs. 2<br />

Nr.3 FamFG aus Kindeswohlgründen abgetrennt.<br />

Durch einen isolierten Sorgerechtsantrag außerhalb des Scheidungsverbundes 63 , ein bei<br />

einem anderen Gericht anhängiges Verfahren ist von Amts wegen abzugeben, § 153<br />

FamFG.<br />

Durch eine einstweilige Anordnung (eA) gem. § 49 ff FamFG, die als Zulässigkeitsvoraussetzung<br />

keine Hauptsache benötigt. 64 Dieser Eilantrag kann auf die Übertragung des gesamten<br />

Sorgerechts oder auch nur bestimmter Teile des Sorgerechts wie des Aufenthaltsbestimmungsrechtes<br />

gerichtet sein.<br />

3.2 § 1628 BGB, Gerichtliche Entscheidung bei Meinungsverschiedenheit<br />

der Eltern<br />

Eine gerichtliche Entscheidung kommt im Rahmen des § 1628 BGB nur in Betracht bei<br />

1. „einzelnen (Sorge-)Angelegenheiten“, die<br />

2. „von erheblicher Bedeutung“ sind.<br />

Beachten Sie:<br />

Beide Tatbestandsmerkmale müssen vorliegen. Zusätzlich muss die Übertragung auch<br />

dem Kindeswohl dienen, § 1697a BGB. Kann nicht festgestellt werden, dass eine Übertragung<br />

dem Kindeswohl am besten entspreche, ist der Antrag zurückzuweisen. 65<br />

Auch hier ist daher wieder die Abgrenzung zu den Alltagsangelegenheiten der §§ 1687, 1687a<br />

BGB zu treffen (siehe oben bei § 1671 BGB).<br />

Beachten Sie:<br />

Liegen die Voraussetzungen nicht vor, ist der Antrag in Form einer Negativentscheidung<br />

zurückzuweisen. 66<br />

Eine Urlaubsreise kann Gegenstand der elterlichen Sorge sein. 67<br />

63 Ein solches isoliertes Verfahren ist nur zulässig, wenn kein Verbundverfahren anhängig ist. Andernfalls wird der<br />

isoliert eingereichte Antrag gem. § 151 FamFG zur Folgesache.<br />

64 § 51 Abs. 3 FamFG.<br />

65 OLG Düsseldorf BeckRS 2010, 18767: Entscheidung der Teilnahme an der Kommunion, da dies eine endgültige<br />

Festlegung in der Konfession darstellen würde.<br />

66 Palandt/Diederichsen, § 1628 BGB Rz.7.


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27<br />

Beispiel:<br />

Handelt es sich aber um die Abi-Fahrt des 17-jährigen Sohnes, dürfte es am Merkmal der<br />

erheblichen Bedeutung fehlen und die Zustimmungsbefugnis des betreuenden Elternteils<br />

sich alleine aus § 1687 BGB ergeben.<br />

Hingegen sind die im Dezernat häufigen Fälle der verweigerten Zustimmung zur Beantragung<br />

eines Kinderreiseausweises gem. § 1628 BGB zu entscheiden. 68<br />

Die getroffenen Anordnungen können durch Auflagen (etwa zeitliche Beschränkung des<br />

Rechts oder Informationsverpflichtung zugunsten des anderen Elternteils) begleitet werden, §<br />

1628, S. 2 BGB.<br />

3.3 § 1626a BGB, gemeinsame Sorge nichtverheirateter Eltern<br />

Bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform der elterlichen Sorge nicht miteinander verheirateter<br />

Eltern am 19. Mai 2013 konnte der nicht mit der Kindesmutter verheiratete Vater nach §<br />

1626a BGB a. F. Teilhabe an der elterlichen Sorge (Mitsorge) nur durch<br />

spätere Heirat<br />

oder durch eine bei dem Jugendamt abzugebende gemeinsame Sorgeerklärung erlangen,<br />

also mit Zustimmung der Mutter, § 1626a BGB. Diese Bestimmung hatte das BVerfG in Anschluss<br />

an einer Entscheidung des EuGHMR 69 für verfassungswidrig erachtet 70 .<br />

§ 1626a BGB wurde daher wie folgt neu gefasst:<br />

(1) Sind die Eltern bei der Geburt des Kindes nicht miteinander verheiratet, so steht ihnen die el-<br />

terliche Sorge gemeinsam zu,<br />

1. wenn sie erklären, dass sie die Sorge gemeinsam übernehmen wollen (Sorgeerklärungen),<br />

2. wenn sie einander heiraten oder<br />

3. soweit ihnen das Familiengericht die elterliche Sorge gemeinsam überträgt.<br />

(2) Das Familiengericht überträgt gemäß Absatz 1 Nummer 3 auf Antrag eines Elternteils die el-<br />

terliche Sorge oder einen Teil der elterlichen Sorge beiden Eltern gemeinsam, wenn die Über-<br />

tragung dem Kindeswohl nicht widerspricht. Trägt der andere Elternteil keine Gründe vor, die<br />

der Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge entgegenstehen können, und sind sol-<br />

che Gründe auch sonst nicht ersichtlich, wird vermutet, dass die gemeinsame elterliche Sorge<br />

dem Kindeswohl nicht widerspricht.<br />

(3) Im Übrigen hat die Mutter die elterliche Sorge.<br />

Der nicht verheiratete, nicht sorgeberechtigte Kindesvater kann daher jetzt nicht nur mit Zustimmung<br />

der Mutter die gemeinsame elterliche Sorge für das Kind erlangen, sondern nach §<br />

1626a Abs. 2 BGB auch durch familiengerichtliche Entscheidung. Nach § 1626a Abs. 2 BGB<br />

kann aber auch die Kindesmutter als Elternteil den Antrag stellen und so den Kindesvater an<br />

der gemeinsamen elterlichen Sorge beteiligen.<br />

67 Reise zu Verwandten nach Kasachstan: OLG Hamburg, FamRZ 2012, S. 562; dagegen keine erhebliche Bedeutung<br />

bei Reise nach Russland: OLG Köln FamRZ 2012, S. 563.<br />

68 OLG Karlsruhe FamRZ 2005, S. 1187.<br />

69 EuGHMR FamRZ 2010, S. 103.<br />

70 BVerfG NJW 2010, S. 1403.


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28<br />

Beachten Sie:<br />

Anders als bei einem Antrag auf Alleinsorge nach § 1671 BGB verlangt der Gesetzgeber<br />

also für die Herstellung der gemeinsamen Sorge nach § 1626a BGB nicht, dass dies dem<br />

Kindeswohl dient, sondern nur, dass dies „… dem Kindeswohl nicht widerspricht … .“ Die<br />

Anforderungen an die Herstellung der gemeinsamen elterlichen Sorge sind daher deutlich<br />

geringer, es ist nur eine negative Kindeswohlprüfung.<br />

Äußert sich der andere Elternteil nicht, so wird zudem vermutet, dass die Voraussetzungen<br />

für die Herstellung der gemeinsamen elterlichen Sorge im Interesse des Kindes vorliegen.<br />

Für das Verfahren gelten die besonderen Verfahrensvorschriften nach § 155a FamFG:<br />

Fristende zur Stellungnahme für die Mutter frühestens sechs Wochen nach Geburt<br />

Beschleunigungsgrundsatz des § 155 BGB gilt (unter Beachtung der eben genannten Frist)<br />

Sofern gem. § 1626a II 2 BGB keine Einwendungen erhoben werden, kann ohne Anhörung des<br />

JAs und ohne persönliche Anhörung der Eltern im schriftlichen Verfahren entschieden werden,<br />

ansonsten Erörterungstermin mit persönlicher Anhörung, § 155a Abs. 4 FamFG.<br />

Die Entscheidung ist dem Sorgeregister mitzuteilen, § 58a SGB VIII.<br />

Eine Abänderung einer Sorgeentscheidung nach § 1626a BGB (also einer hergestellten gemeinsamen<br />

Sorge der Kindeseltern) erfolgt gem. § 1696 Abs. 1 S. 2 BGB nach § 1671 Abs. 1 BGB; es<br />

gelten also nicht die hohen Anforderungen des § 1696 Abs. 1 S. 1 BGB.<br />

Beachten Sie:<br />

Gem. § 1626 d BGB müssen Sorgeerklärungen und Zustimmungen öffentlich beurkundet<br />

werden. Urkundsperson ist entweder der Notar (§ 20 Absatz I BNotO) oder die Urkundsperson<br />

beim Jugendamt. Die Beurkundung kann allerdings auch durch einen gerichtlich<br />

gebilligten Vergleich ersetzt werden, § 127 a BGB. 71<br />

3.4 § 1674 BGB, Ruhen der elterlichen Sorge<br />

Das Ruhen der elterliche nach § 1674 I BGB ist in Rechtspflegerzuständigkeit durch Beschluss<br />

festzustellen (§ 3 I Nr. 2 a RpflG), wenn ein mitsorgeberechtigter Elternteil an der Ausübung<br />

der Sorge gehindert ist (Abwesenheit oder Krankheit).<br />

Beachten Sie:<br />

Insbesondere bei Sorgeanträgen nach § 1671 Abs. 2 Nr.2 BGB mit dem Behaupten, der<br />

andere Elternteil sei untergetaucht und oder etwa im Ausland nicht zu erreichen, sind<br />

die Antragsteller auf dieses Verfahren zu verweisen. 72 Denn ist das ruhen der Sorge festgestellt,<br />

kann der mitsorgeberechtigte Elternteil nach § 1678 abs.1 BGB die elterliche<br />

Sorge alleine ausüben.<br />

Dies gilt z. B. auch bei länger andauernder Strafhaft. 73<br />

71 BGH NJW 2011, S. 2360.<br />

72 Z. B.: Vater in der Ukraine in Strafhaft. OLG Brandenburg FamRZ 2009, S. 237.<br />

73 OLG Brandenburg FamRZ 2009, S. 1683: Entziehung ggf. erst bei Ende der Strafhaft.


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Häufig werden unbegleitete ausländische Jugendliche durch das Jugendamt in Obhut genommen.<br />

Wegen des Auslandsbezugs ist gem. § 14 I Nr. 10 RpflG der Richter zuständig. Ist ungeklärt,<br />

ob der Betroffene minderjährig ist oder wenn die Sorgeberechtigten unbekannt oder<br />

nicht erreichbar sind, ist gem. § 1773 Abs. 2 BGB ein Vormund zu bestellen und zusätzlich ggf.<br />

das Ruhen der elterlichen Sorge anzuordnen.<br />

3.5 § 1680 BGB<br />

In § 1680 BGB wird der Übergang der elterlichen Sorge geregelt, sofern ein (Mit-) Sorgeberechtigter<br />

stirbt oder ihm die elterliche Sorge entzogen wird.<br />

29<br />

Frage:<br />

Welche Möglichkeiten bestehen bei Tod eines Sorgeberechtigten, die elterliche Sorge<br />

zuzuweisen?<br />

Beachten Sie:<br />

Tod eines Sorgebrechtigten/Entzug der elterlichen Sorge<br />

Auswirkungen auf weitere Sorgeberechtigte / den anderen Elternteil<br />

gemeinsame Sorge<br />

anderer mitsorgeberechtigter<br />

Elternteil erhält kraft Gesetz<br />

Gesamtsorge<br />

Alleinsorge, §§ 1671, 1626a BGB<br />

Übertragung nach negativer<br />

Kindeswohlprüfung<br />

(..nichts spricht dagegen...)<br />

Abbildung § 1680 BGB, Struktur<br />

Im Fall der gemeinsamen Sorge (gleich ob aus Heirat oder nach § 1626a BGB) erhält der<br />

andere Elternteil nach dem Tod des Mitsorgeberechtigten das alleinige Sorgerecht unmittelbar<br />

kraft Gesetz.


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3.6 § 1630 Abs. 3 BGB<br />

Eine Sorgeübertragung kann das Familiengericht auf Antrag der Eltern oder der Pflegeperson<br />

aussprechen, wenn sich das Kind gem. § 1630 Abs. 3 BGB längerer Zeit in Familienpflege befindet.<br />

30<br />

Beispiel:<br />

Die 18-jährige, alleinsorgeberechtigte Mutter hat ihr Kind für die Dauer ihrer Berufsausbildung<br />

bei ihrer Mutter, der Großmutter des Kindes, untergebracht. Beide wollen nun,<br />

dass die Großmutter die Gesundheitsfürsorge übertragen bekommt, damit diese die<br />

notwendigen Arztbesuche problemlos abwickeln kann.<br />

Beachten Sie:<br />

Es handelt sich also um einen Fall der einvernehmlichen Sorgeübertragung, entweder<br />

beantragen die sorgeberechtigten Eltern selbst die Übertragung oder sie stimmen dem<br />

Antrag der Pflegeperson zu. Die Übertragung ist dann durch Beschluss auszusprechen.<br />

Entsprechend § 1687 BGB hat die Pflegeperson für die „Angelegenheiten des täglichen Lebens“<br />

ohnehin schon die Vertretungsmacht, § 1688 BGB.<br />

3.7 § 1631b BGB, Genehmigung der Unterbringung Minderjähriger<br />

Im Rahmen des § 1631b BGB wird keine gerichtliche Unterbringungsentscheidung für das Kind<br />

getroffen, vielmehr wird die Sorgeentscheidung der sorgeberechtigten Eltern, das Kind wegen<br />

einer Eigen- oder Fremdgefährdung unterzubringen, wegen der damit verbundenen Freiheitsentziehung<br />

familiengerichtlich genehmigt.<br />

Beachten Sie:<br />

Für die eA reicht ein ärztliches Zeugnis aus, für eine längerfristige Maßnahme ist ein<br />

ärztliches Gutachten notwendig, §§ 321, 331 FamFG.<br />

Häufig geschieht eine Unterbringung ohne Genehmigung, weil etwa ein Suizidversuch<br />

eine sofortige Unterbringung notwendig macht. Die Genehmigung ist dann – ebenso wie<br />

die Anhörung des Kindes – unverzüglich nachzuholen, § 1631b, S. 3 BGB.<br />

Die freiheitsentziehende Unterbringung ist unzulässig, solange eine Heimerziehung in<br />

einer offenen Einrichtung nicht aussichtslos erscheint. 74<br />

3.8 § 1632 Abs.1, Abs.4 BGB, Herausgabe und Verbleibensanordnung<br />

bei Pflegeverhältnis<br />

Nach § 1632 BGB können sorgeberechtigte Eltern ihr Kind jederzeit heraus verlangen, wenn es<br />

ohne die Zustimmung der Eltern/des Elternteils – also widerrechtlich – vorenthalten wird.<br />

74 BGH NJW 2012, 2584.


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31<br />

Beispiel:<br />

Nach Beendigung der Ferienumgangskontakte meldet der nichtsorgebrechtigte Vater<br />

seinen Sohn, der sich bei ihm aufhält, in der Schule seines Wohnorts an und erklärt der<br />

Mutter, der Sohn werde jetzt bei ihm leben – was auch dem Willen des Sohnes entspreche.<br />

Die Kindesmutter kann als Inhaberin des Aufenthaltsbestimmungsrechts den Sohn nach<br />

§ 1632 Abs. 1 BGB heraus verlangen und nach §§ 89, 90 FamFG vollstrecken.<br />

Beachten Sie:<br />

Über einen Herausgabeanordnungantrag (ggf. im Wege der eA) kann also sichergestellt<br />

werden, dass ein Kind zu dem Sorgeberechtigten zurückkehrt. Erst dann wäre ggf. ein<br />

Verfahren über eine Änderung des Aufenthaltsbestimmungsrechts zu führen.<br />

Die in der Praxis schwierigen Fälle ergeben sich dann, wenn Herausgabeantrag und die Frage<br />

einer – auch von Amts wegen zu prüfenden – Verbleibensanordnung aufeinandertreffen.<br />

Beispiel:<br />

Mit Zustimmung der Eltern befinden sich die minderjährigen Kinder in einer Pflegefamilie.<br />

Die Eltern widerrufen nun ihre Zustimmung, da sie der Ansicht sind, nun wieder die<br />

Kinder gut versorgen zu können. Sie verlangen die Kinder heraus. Die Pflegeeltern behaupten<br />

das Wohl der Kinder sei bei einer Rückkehr gefährdet und beantragen eine Verbleibensanordnung.<br />

Voraussetzung für eine Verbleibensanordnung ist eine Familienpflege seit längerer Zeit. Dieser<br />

Zeitbegriff ist aus der Sicht des betroffenen Kindes zu bewerten. 75 Während aus der Sicht<br />

eines Kleinkindes schon 2 Monate eine längere Zeit i. S. d. Vorschrift darstellen können, wird<br />

dies ein 16-jähriges Kind anders beurteilen.<br />

Beachten Sie:<br />

Voraussetzung ist weiter ein ernstlicher Wegnahmewille der Aufenthaltsbestimmungsberechtigten.<br />

Die bloße Ankündigung „die Kinder sollen irgendwann wieder bei uns<br />

wohnen“ dürfte daher noch nicht reichen.<br />

Schließlich muss durch die Wegnahme eine Kindeswohlgefährdung drohen. Zu prüfen und<br />

von Amts wegen aufzuklären ist daher, ob eine solche Kindeswohlgefährdung im Sinne des §<br />

1666 BGB bei Rückkehr zu den Sorgeberechtigten droht.<br />

Beachten Sie:<br />

Darüber hinaus kann diese Gefährdung sich in diesen Fällen konkret auch aus den Auswirkungen<br />

des erneuten Bindungsabbruchs, also der Trennung des Kindes von der Pflegefamilie<br />

ergeben. 76<br />

75 OLG Köln FamRZ 2007, S. 658.<br />

76 EGMR FamRZ 2004, S. 1456, 1459; OLG Hamm FamRZ 2004, S. 1396.


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Hier spielen – genauso wie bei dem Begriff der „längeren Familienpflege“ – die altersabhängigen<br />

Besonderheiten des Bindungsaufbaus eine Rolle. 77<br />

32<br />

Beispiel:<br />

Mit Zustimmung der alleinsorgeberechtigten und suchtkranken Mutter wurde das neugeborene<br />

Kind in eine Bereitschaftspflegefamilie gegeben. Die Mutter hat über einen<br />

Zeitraum von 6 Monaten eine Therapie erfolgreich durchgeführt. Die gewachsenen Bindungen<br />

des Kleinkindes zu den Pflegeeltern würden ggf. durch eine Rückkehr zur Mutter<br />

zerstört, das Kind in kindeswohlgefährdender Weise dadurch belastet. Obwohl die Mutter<br />

also jetzt zur Versorgung des Kindes in der Lage wäre, könnte eine Verbleibensanordnung<br />

zugunsten der Pflegeeltern ergehen.<br />

Konkret ist also eine Abwägung zwischen dem Elternrecht, der Grundrechtsposition des Kindes<br />

und dem Grundrecht der Pflegefamilie geboten. 78 Die Möglichkeit einer Kindeswohlgefährdung<br />

ist dabei schon für eine Verbleibensanordnung ausreichend. 79<br />

Ergeht eine Verbleibensanordnung ist ggf. von Amts wegen aber der Umgang der Sorgeberechtigten<br />

zu regeln.<br />

Beachten Sie:<br />

Eine Verbleibensanordnung kann gem. § 1682 BGB auch zugunsten von Bezugspersonen<br />

getroffen werden.<br />

Beispiel:<br />

Das 16-jährige Kind lebt seit 10 Jahren mit der Mutter und ihrem neuen Lebensgefährten<br />

in einem Haushalt zusammen. Der von der Mutter geschiedene Vater ist mitsorgeberechtigt.<br />

Er lebt mit neuer Familie 500 km entfernt, Umgangskontakte finden nicht statt.<br />

Die Mutter stirbt. Der Vater erhält gem. § 1680 Abs. 1 BGB das Sorgerecht und möchte<br />

das Kind in seinen Haushalt holen. Das Familiengericht kann hier gem. § 1682, S. 2 BGB<br />

den Verbleib des Kindes bei dem Lebensgefährten der Mutter zur Aufrechterhaltung der<br />

bestehenden Bindungen des Kindes anordnen.<br />

3.9 §§°1666, 1666a BGB, Verfahren auf Entziehung des Sorgerechts<br />

nach<br />

Verfahren auf Entziehung des Sorgerechts nach § 1666 ,1666a BGB werden im Regelfall durch<br />

einen Antrag des Jugendamtes eingeleitet. 80 Hier bestehen besondere Anforderungen an die<br />

gerichtlichen Ermittlungen (Amtsermittlungsgrundsatz!).<br />

77 Vgl. zu den kindespsychologischen Besonderheiten Balloff: Rückführung des Kindes in die Herkunftsfamilie<br />

oder Verbleibensanordnung nach § 1632 IV BGB aus familienrechtspsychologischer Sicht. FPR 2004, S. 431.<br />

78 OLG Hamm FamRZ 2007, S. 659.<br />

79 Ein Verständnis von § 1632 IV BGB, dass eine Verbleibensanordnung von einer mit Sicherheit zu erwartenden<br />

Kindeswohlschädigung bei Rückkehr des Kindes zu seinen Eltern abhängig macht, wird der Grundrechtsposition<br />

des betroffenen Kindes aus Art. 2 I i.V. mit Art. 1 I GG nicht gerecht.“ BVerfG NJW 2010, S. 2336.<br />

80 Sog. Gefährdungsmitteilung nach § 8a III SGB VIII.


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33<br />

Beachten Sie:<br />

Ohne Anhörung der Eltern sollte keine Entscheidung getroffen werden. Muss eine Sofortmaßnahme<br />

ergehen, so ist die Anhörung unverzüglich nachzuholen.<br />

Ist die elterliche Sorge ganz oder teilweise zu entziehen, ist eine<br />

Ergänzungspflegschaft einzurichten (teilweiser Sorgeentzug) oder<br />

Ein Vormund zu bestellen (Entzug des gesamten Sorgerechts).<br />

Da die Vormundschaften beim Familiengericht geführt werden, kann der Familienrichter unmittelbar<br />

in seinem Beschluss über die elterliche Sorge einen Vormund oder Ergänzungspfleger<br />

auswählen. Die Akte ist danach dem Rechtspfleger zuzuschreiben, damit dieser den Vormund<br />

oder Ergänzungspfleger bestellen kann, § 1789, 1791 BGB.<br />

Beachten Sie:<br />

Die in der Praxis übliche Übertragung bzw. Bestellung des JA als Pfleger oder Vormund<br />

ist so im Gesetz nicht vorgesehen, sondern der Ausnahmefall, § 1791b BGB. 81 In der Regel<br />

ist daher eine geeignete natürliche Person zu bestellen, erst wenn diese nicht vorhanden<br />

ist, das JA.<br />

Das Bundesverfassungsgericht stellt hohe Anforderungen für den Umfang der Amtsermittlung,<br />

die tatrichterlichen Ausführungen und für die Prüfung des Gerichtes auf, ob nicht durch<br />

andere Maßnahmen mit geringerer Eingriffsintensität das zu schützende Kindeswohl gewahrt<br />

werden kann. 82<br />

Beispiel:<br />

Soweit z. B. durch Trennung der Kinder von der Mutter die drohende Kindeswohlgefährdung<br />

ausreichend verhindert wird, kann auch nur dieser Teil des Sorgerechts entzogen<br />

werden. 83 Die konkreten Gefährdungen des Kindeswohls müssen als „mit ziemlicher<br />

Sicherheit zu einer erheblichen Schädigung führend“ festgestellt werden. 84 Andererseits<br />

führt die Zustimmung des Sorgeinhabers zur Fremdunterbringung nicht zwangsläufig zu<br />

einem Wegfall der Kindeswohlgefährdung, wenn ein jederzeitiger Widerruf möglich ist. 85<br />

81 § 1791b BGB: Bestellte Amtsvormundschaft des Jugendamts<br />

(1) Ist eine als ehrenamtlicher Einzelvormund geeignete Person nicht vorhanden, so kann auch das Jugendamt<br />

zum Vormund bestellt werden. Das Jugendamt kann von den Eltern des Mündels weder benannt noch ausgeschlossen<br />

werden.<br />

(2) Die Bestellung erfolgt durch Beschluss des Familiengerichts; die §§ 1789, 1791 sind nicht anzuwenden.<br />

82 BVerfG, B. v. 28.02.2012 – 1 BvR 3116/11, BeckRS 2012, 48175.<br />

83 OLG Hamm FamRZ 2009, S. 1752 , 1753.<br />

84 BVerfG FamRZ 2010, S. 713.<br />

85 OLG Hamm BeckRS 2012, 12861.


3 Elterliche Sorge<br />

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34<br />

Beachten Sie:<br />

Nach § 158 Abs. 2 Nr.2 FamFG ist in derartigen Fällen in der Regel dem minderjährigen<br />

Kind ein Verfahrensbeistand zu bestellen.<br />

Die Vorschrift des § 1666 BGB dient lediglich der Gefahrenabwehr, nicht der Bereitstellung<br />

optimaler Förderung und Erziehung 86 , Stichwort: Wächteramt des Staates. 87<br />

Demzufolge gilt:<br />

Die durch Art. 6 II 1 GG garantierte primäre Entscheidungszuständigkeit der Eltern für die Pflege<br />

und Erziehung ihrer Kinder beruht auf der Erwägung, dass die Interessen des Kindes am<br />

besten von den Eltern wahrgenommen werden. Dabei wird sogar die Möglichkeit in Kauf genommen,<br />

dass das Kind durch einen Entschluss der Eltern Nachteile erleidet, die im Rahmen<br />

einer nach objektiven Maßstäben getroffenen Erziehungsentscheidung vielleicht vermieden<br />

werden könnten.<br />

Beachten Sie:<br />

Die Eltern und deren sozio-ökonomische Verhältnisse gehören grundsätzlich zum<br />

Schicksal und Lebensrisiko eines Kindes. Zum Wächteramt des Staates zählt nicht die<br />

Aufgabe, für eine den Fähigkeiten des Kindes bestmögliche Förderung zu sorgen.<br />

Nicht jedes Versagen oder jede Nachlässigkeit der Eltern berechtigt den Staat auf der Grundlage<br />

seines ihm nach Art. 6 II 2 GG zukommenden Wächteramtes, die Eltern von der Pflege und<br />

Erziehung ihres Kindes auszuschalten oder gar selbst diese Aufgabe zu übernehmen.<br />

Beachten Sie:<br />

Voraussetzung der Entziehung der elterlichen Sorge ist gem. § 1666 BGB eine Gefährdung<br />

des Kindeswohls, also ein bereits eingetretener Schaden des Kindes oder eine gegenwärtige,<br />

in einem solchen Maße vorhandene Gefahr, dass sich bei seiner weiteren<br />

Entwicklung eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt.<br />

Die hinreichende Tatsachengrundlage dafür ist vom Gericht näher darzutun! 88<br />

Elterliches Fehlverhalten und Schwächen in der Erziehung, sowie eine schlechte (finanzielle,<br />

häusliche, intellektuelle) Gesamtsituation rechtfertigen daher keinen Sorgeentzug, sofern<br />

nicht die Eingriffsschwelle der Kindeswohlgefährdung überschritten ist.<br />

Beachten Sie:<br />

Kurz gesagt: das Kind hat keinen Anspruch auf bestmögliche Versorgung und Förderung,<br />

sondern muss sich damit begnügen, was die Eltern zu leisten imstande sind, 89 auch<br />

wenn das manchmal im Einzelfall zu Nachteilen führt und zu Bedauern ist.<br />

In der Praxis ist der Übergang von hinzunehmenden Nachteilen zu kindeswohlgefährdendem<br />

Tun oder Unterlassen oft fließend und besonders dann problematisch, wenn eine kontinuierliche<br />

Verschlechterung der Situation zu beobachten ist.<br />

86 OLG Hamm FamRZ 2004, S. 1806.<br />

87 OLG Hamm FamRZ 2009, S. 1753.<br />

88 BVerfG NJW 2010, 2333; FamRZ 2010, S. 713.<br />

89 OLG Hamm FamRZ 2009, S. 1753 (1754).


3 Elterliche Sorge<br />

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35<br />

Beispiel:<br />

• Ab welcher Fehlstundenzahl in der Schule ist die Grenze zur Kindeswohlgefährdung<br />

überschritten?<br />

• Wird das Kind, welches grundsätzlich Abitur machen könnte, aus der Familie genommen,<br />

weil sich wegen schlechter familiärer Verhältnisse die schulische Leistung<br />

drastisch verschlechtert?<br />

• Ist der sog. „Klaps auf den Popo“ für einen Entzug ausreichend oder erst das blaue<br />

Auge nach einer Ohrfeige?<br />

• Wird das Recht der Gesundheitsfürsorge entzogen, wenn die verschriebenen Medikamente<br />

nicht verabreicht werden, oder erst, wenn dadurch eine weitere pathologische<br />

Störung feststellbar ist?<br />

• Nimmt das Kind erheblichen Schaden, wenn beide Eltern alkoholkrank sind?<br />

Beachten Sie:<br />

Die psychiatrische Begutachtung eines Elternteils ist in diesem Zusammenhang nicht<br />

möglich, da hier keine gesetzliche Grundlage besteht, die fehlende Mitwirkung führt<br />

daher auch nicht zu einer Beweisvereitelung.<br />

Die Eltern können aber mit den Zwangsmitteln des § 33 FamFG zu dem persönlichen Erscheinen<br />

bei Gericht gezwungen werden, damit sie im Termin von einem Sachverständigen begutachtet<br />

werden können. 90<br />

Ebenso wenig kann gem. § 1666 III BGB für einen Elternteil die Teilnahme an einer Psychotherapie<br />

gerichtlich angeordnet werden, auch hierfür fehlt es an einer Rechtsgrundlage. 91 Wohl<br />

kann aber die psychologische Begutachtung des Kindes angeordnet werden, hierfür kann die<br />

Einwilligung der Sorgeinhaber ersetzt werden bzw. für die Dauer der Begutachtung das ABR<br />

entzogen werden. 92<br />

Besteht gemeinsame elterliche Sorge, kann unter Berücksichtigung des § 1680 Abs. 3 BGB bei<br />

einer Kindeswohlgefährdung eine Übertragung des gesamten Sorgerechts auf das JA und nicht<br />

auf weiteren Elternteil nur stattfinden, wenn die Gründe für einen Sorgeentzug nach § 1666<br />

BGB auch in der Person des anderen Elternteils vorliegen.<br />

Beachten Sie:<br />

Ansonsten ist die notwendige Folge, dass der andere Elternteil Sorgeinhaber wird. 93<br />

In einem Anhörungstermin gem. § 157 FamFG sind mit den Eltern (und ggf. dem Kind) die<br />

Möglichkeiten der Vermeidung von Sorgemaßnahmen durch anderweitige Hilfe zu erörtern,<br />

das persönliche Erscheinen der Eltern ist daher anzuordnen, §° 157 Abs. 2, FamFG.<br />

Beachten Sie:<br />

Das Jugendamt ist zu laden, § 157 Abs. 1, S. 3 FamFG.<br />

90 Insgesamt: BGH FamRZ 2010, S. 720.<br />

91 BVerfG: Beschluss vom 01.12.2010 – 1 BvR 1572/10, BeckRS 2011, 48089.<br />

92 Vgl. OLG Rostock FamRZ 2011, S. 1873.<br />

93 OLG Hamm FamRZ 2009, S. 1752 (1753).


3 Elterliche Sorge<br />

©Justizakademie NRW<br />

§ 1666 Abs. 3 BGB zählt einige Maßnahmen auf, die das Familiengericht treffen kann:<br />

Gebote, öffentliche Hilfen wie beispielsweise Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe und<br />

der Gesundheitsfürsorge in Anspruch zu nehmen<br />

Gebote, für die Einhaltung der Schulpflicht zu sorgen<br />

Verbote, vorübergehend oder auf unbestimmte Zeit die Familienwohnung oder eine andere<br />

Wohnung zu nutzen, sich in einem bestimmten Umkreis der Wohnung aufzuhalten<br />

oder zu bestimmende andere Orte aufzusuchen, an denen sich das Kind regelmäßig aufhält<br />

Verbote, Verbindung zum Kind aufzunehmen oder ein Zusammentreffen mit dem Kind<br />

herbeizuführen<br />

Ersetzung von Erklärungen des Inhabers der elterlichen Sorge<br />

Die teilweise oder vollständige Entziehung der elterlichen Sorge<br />

36<br />

Beachten Sie:<br />

Das Familiengericht kann darüber hinaus aber jede andere Maßnahme treffen, die zur<br />

Abwehr der Kindeswohlgefährdung geeignet ist.<br />

Eine länger dauernde kindesschutzrechtliche Maßnahme hat das Gericht in angemessenen<br />

Zeitabständen zu überprüfen, § 1666 Abs. 2 BGB.<br />

Beispiel:<br />

Ist also zum Beispiel den Kindeseltern die elterliche Sorge wegen einer Kindeswohlgefährdung<br />

entzogen worden, so wird das Gericht unter Berücksichtigung der zur Entziehung<br />

führenden Umstände zu überprüfen haben, ob zum Beispiel nach einem Jahr diese<br />

Gründe weggefallen sind. Der Beschluss wäre dann nach § 1696 BGB aufzuheben.<br />

Es empfiehlt sich, die Sache auf entsprechende Frist zu legen und nach Fristablauf eine Anfrage<br />

an Jugendamt, Verfahrensbeistand, Vormund/Pfleger und Kindeseltern bezüglich veränderter<br />

Umstände zu stellen. 94<br />

Beachten Sie:<br />

Wird von einer Maßnahme abgesehen, so ist auch dies zu überprüfen, in der Regel nach<br />

Ablauf von 3 Monaten, § 166 Abs. 3 FamFG.<br />

Dadurch wird sichergestellt, dass die Eltern im Termin nicht nur Lippenbekenntnisse abgeben,<br />

sondern sich die Situation für das gefährdete nachhaltig ändert.<br />

Auf die erneute Überprüfung sollte im Termin hingewiesen werden.<br />

94 Neues Pebb§y-Produkt Sorgeverfahren!


3 Elterliche Sorge<br />

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3.10 § 1696 BGB, Abänderung gerichtlicher Sorgeentscheidungen<br />

37<br />

Beachten Sie:<br />

Entscheidung über das Sorgerecht können nach § 1696 BGB auch wieder abgeändert<br />

werden. Möglich ist dies nach dem Gesetzeswortlaut aber nur „aus triftigen, das Kindeswohl<br />

berührende Gründen“.<br />

Damit liegen hier die Voraussetzungen höher als im Fall des § 1671 II Nr. 2 BGB der lediglich<br />

verlangt, dass die Entscheidung dem „Wohl des Kindes am ehesten entspricht“.<br />

Der strenge Maßstab gilt allerdings nicht für die Abänderung einer eA im gleichen Verfahren,<br />

sondern alleine für die Abänderung einer Endentscheidung. 95 Die hohen Anforderungen gelten<br />

auch nicht bei den Entscheidungen nach § 1626a Abs. 2 BGB, da § 1696 Abs. 1 S. 2 BGB hier auf<br />

die Anwendbarkeit des § 1671 BGB verweist.<br />

Beachten Sie:<br />

Damit müssen für eine Entscheidung die Vorteile einer Abänderung deren Nachteile<br />

deutlich überwiegen. 96<br />

Dabei nimmt man aber bei dem ernstlichen Willen des Kindes die Betreuungsverhältnisse zu<br />

ändern 97 und erst recht bei dem geänderten Willen der Eltern z. B. die gemeinsame Sorge wieder<br />

auszuüben 98 das Vorliegen der Voraussetzungen als indiziert an.<br />

Jedenfalls stellt der eindeutige Wille eines 16-jährigen Kindes bei bestehendem Regelungsbedarf<br />

in Sorgeangelegenheiten daher einen triftigen Grund für eine Abänderung dar. 99<br />

Liegt eine gerichtliche Elternvereinbarung etwa zum Aufenthalt des Kindes bei einem Elternteil<br />

vor, ist streitig, ob § 1696 BGB für eine Abänderung anwendbar ist. 100<br />

Beachten Sie:<br />

Ansonsten ist bei allen Abänderungen von Sorgeentscheidung wegen geänderter Umstände<br />

§ 1696 BGB einschlägig, es sei denn das gerichtliche Einschreiten erfolgt wegen<br />

einer Kindeswohlgefährdung, dann richtet sich die Entscheidung nach §°1666 BGB. 101<br />

95 BVerfG FamRZ 2009, S. 1389.<br />

96 OLG Köln FamRZ 2005, S. 1276.<br />

97 OLG Hamm FamRZ 2005, S. 746.<br />

98 OLG Dresden FamRZ 2001, S. 632.<br />

99 OLG Hamm BeckRS 2010, 28472 (zuvor war die Alleinsorge auf die Mutter übertragen gewesen).<br />

100 OLG Brandenburg FamRZ 2008, S. 2055 (+); OLG Jena FamRZ 2008, S. 806 (-), für eine Abänderung nach § 1696<br />

BGB zuletzt: BGH B. v. 16.03.2011 – XII ZB 407/10.<br />

101 BVerfG FamRZ 2009, S. 1472.


3 Elterliche Sorge<br />

©Justizakademie NRW<br />

38<br />

Zusammenfassung:<br />

Gem. § 1626 Abs. 1 BGB umfasst die elterliche Sorge, die Personen- und die Vermögenssorge.<br />

Daraus ergibt sich nicht nur ein Sorgerecht, sondern auch eine Sorgepflicht.<br />

Im Bereich der elterlichen Sorge spielen insbesondere die Verfahren auf Entzug der elterlichen<br />

Sorge wegen einer Kindeswohlgefährdung eine große Rolle.<br />

Nach Trennung und Scheidung der Eltern besteht die gemeinsame elterliche Sorge fort,<br />

soweit beide Eltern dies wollen und auf Grund dessen keinen Antrag auf Übertragung<br />

der Alleinsorge gem. § 1671 BGB stellen.<br />

Bei Zustimmung eines Elternteils ist die Sorge auf den anderen Elternteil zu übertragen.<br />

Erfolgt keine Zustimmung, hat das Familiengericht eine zweistufige Kindeswohlprüfung<br />

vorzunehmen<br />

1. Aufhebung gemeinsame Sorge gerechtfertigt?<br />

2. Wer bekommt die alleinige Sorge?<br />

Zu beachten ist stets der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz:<br />

Soweit ein Teilentzug oder eine Teilübertragung der Sorge ausreicht, ist nur diese Maßnahme<br />

zu treffen.


4 Umgang<br />

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4 Umgang<br />

______________________________ Dieses Kapitel dient dazu, den Umgang mit beiden Elternteilen zum Wohle<br />

des Kindes zu gestalten.<br />

Das Kapitel ist nochmals in zwei Unterkapitel geteilt.<br />

Leider kommt es in der familienrechtlichen Praxis immer wieder vor, dass Umgangskontakte<br />

zum nichtbetreuenden Elternteil oder anderen Bezugspersonen scheitern. Konflikte entstehen<br />

dabei sowohl durch den betreuenden als auch den umgangsberechtigten Elternteil. So ist es oft<br />

der betreuende Elternteil, der bewusst – mitunter aber auch ganz unbewusst – durch ein sehr<br />

behütendes Verhalten oder durch einen vor dem Kind ausgelebten Elternkonflikt nach Trennung<br />

das Kind in seinem Umgangsverhalten beeinflusst. Der umgangsberechtigte Elternteil<br />

ruft den Konflikt etwa durch Nachfragen bei dem Kind nach dem neuen Partner des betreuenden<br />

Elternteils oder durch seinen Wunsch, das Kind möge bei ihm wohnen, hervor.<br />

Das Kind wird dadurch in einen Loyalitätskonflikt getrieben. Manche Kinder lösen den Konflikt<br />

dadurch, dass sie den Umgang verweigern.<br />

39<br />

Beachten Sie:<br />

§ 1626 Abs. 3 BGB legt fest, dass der Umgang mit beiden Elternteilen zum Wohle des<br />

Kindes gehört. § 1684 Abs. 1 BGB definiert dies als eigenes Recht des Kindes. Damit korrespondiert<br />

eine echte Pflicht des betreffenden Elternteils zum Umgang. 102 Auf das Umgangsrecht<br />

kann daher auch nicht durch vertragliche Vereinbarung durch die Eltern verzichtet<br />

werden. 103 Das Recht, Art und Umfang des Umgangs zu bestimmen, ergibt sich<br />

aus dem Recht der Personensorge, § 1632 Abs. 2 BGB.<br />

Umgangsstreitigkeiten gehören zum Alltag des familienrichterlichen Dezernats. Auch hier<br />

stecken – ähnlich wie bei den Sorgestreitigkeiten – zumeist die Beziehungsstreitigkeiten und<br />

Konfliktmuster der Eltern hinter den vorgetragenen Umgangsproblemen.<br />

Da die Eltern nach der Trennung häufig über das Kind nur noch Informationen aus zweiter<br />

Hand bekommen – die durch den Loyalitätskonflikt des Kindes auch noch stark gefärbt sind –<br />

bietet sich hier ein ideales Spielfeld für Missverständnisse auf beiden Seiten.<br />

Oft stellt sich im Termin heraus, dass die Eltern über die strittigen Fragen noch nie unmittelbar<br />

gesprochen haben, weil sie den Kontakt ohnehin abgebrochen haben oder nicht bereit sind,<br />

den Angaben des anderen Elternteils zu glauben.<br />

Das Familiengericht sollte dem Elternteil, bei dem sich das Kind befindet, möglichst frühzeitig<br />

eindringlich und nachhaltig deutlich machen, dass Besuchskontakte zum anderen Elternteil<br />

nicht nur zu billigen, sondern aktiv zu fördern sind. Dabei sollte auch klargestellt werden, dass<br />

gelegentliche emotional bedingte Zwistigkeiten, die bei Umgangskontakten immer wieder<br />

einmal auftreten, nicht „hochgeschaukelt“ werden sollten und vor allem nicht zum Anlass genommen<br />

werden sollten, Umgangskontakte zu verhindern.<br />

Dem anderen Elternteil ist klar zu machen, dass ein Umgangstermin keine unverbindliche Verabredung<br />

ist, sondern für das Kind unbedingt einzuhalten ist. Zudem diesen Umgangskontakte<br />

alleine dem Kind und nicht der Kontakt- oder Streitpflege mit dem ehemaligen Partner.<br />

102 BGH FamRZ 2005, S. 429; OLG Brandenburg FamRZ 2005, S. 293.<br />

103 BGH FamRZ 2005, S. 1471.


4 Umgang<br />

©Justizakademie NRW<br />

Einige Tipps für den Termin:<br />

Bei der Erörterung der zu treffenden Umgangsregelung liegt der Knackpunkt mitunter bei<br />

technischen Details, die für die genaue Festlegung der Umgangstermine von Bedeutung<br />

sind<br />

40<br />

Beispiel:<br />

wie z. B. Schichtpläne bei Arbeitnehmern mit Wechselschichten, Zeiten von Betriebsferien,<br />

bereits gebuchte Urlaube, aber auch die Termine der Kinder wie etwa Zeiträume<br />

der Schulferien, Termine von Sportvereinen, Schulsportnachmittag, Klassenfahrten,<br />

Kindergeburtstage der Freunde, usw.<br />

Bestehen Anhaltspunkte für Schichtdienst usw. (Jugendamtsbericht!), ist eine entsprechende<br />

vorbereitende Auflage an die Eltern ratsam.<br />

In den Termin sollte man immer nicht nur den Kalender des laufenden Jahres mitnehmen,<br />

sondern auch den des nächsten Jahres vor allem mit den Schulferien.<br />

Lassen Sie auch den umgangsberechtigten Elternteil an den „Lästigkeiten" der Kinderziehung<br />

teilhaben. Wenn Termine bei Ärzten, Therapeuten, Fahrten mit dem Sportverein zu<br />

Auswärtsspielen usw. anstehen, kann sich auch der umgangsberechtigte Elternteil einbringen<br />

und muss sich in die Pflicht nehmen lassen.<br />

Auch Schularbeitenaufsicht usw. gehört dazu! Das vermeidet auch bei den Kindern die<br />

Schwarz-Weiß-Sicht („Sonntags-Papa" gegen „Alltags-Mama").<br />

An solchen Dingen lässt sich auch gut die Ernsthaftigkeit des Umgangswunsches austesten!<br />

Versuchen Sie nicht um jeden Preis, bereits eine endgültige Lösung zu erreichen. Umgangsverfahren<br />

sind häufig Prozesse und müssen „reifen". Wenn Sie im ersten Termin mit<br />

den Eltern eine Zielvorstellung erarbeitet haben und für eine Übergangszeit eine bestimmte<br />

Regelung vereinbaren, lernen die Eltern mehr und mehr mit der Sache umzugehen<br />

und oft löst sich das Verfahren später in Wohlgefallen auf.<br />

Beachten Sie:<br />

Kommt es zu Umgangsstreitigkeiten, ist gem. § 162 FamFG das örtliche Jugendamt einzuschalten,<br />

um eine Vermittlung zwischen den Eheleuten zu versuchen. Greift dies nicht,<br />

dann bietet sich das Vermittlungsverfahren durch das Familiengericht nach § 165 FamFG<br />

an.<br />

Gerichtliche Umgangsregelungen gem. § 1684 Abs. 3 BGB können auf folgendem Weg erreicht<br />

werden:<br />

Durch einen Verbundantrag im Rahmen des Scheidungsverfahrens (diese Regelung wird<br />

aber erst mit Rechtskraft der Scheidung wirksam, es sei denn es erfolgt eine vorherige Abtrennung,<br />

§ 137 Abs. 3 FamFG)<br />

Durch einen isolierten Antrag zum Umgangsrecht außerhalb des Scheidungsverbundes<br />

Durch eine einstweilige Anordnung gem. § 49 ff FamFG, auch gem. § 51 Abs. 3 FamFG als<br />

selbständiges Verfahren


4 Umgang<br />

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Die Eltern können auch über das Umgangsrecht einen Vergleich als Umgangsvereinbarung<br />

schließen. Auch wenn dieser Vergleich gerichtlich protokolliert worden ist, handelt es sich dabei<br />

aber (noch) nicht um einen der Vollstreckung zugänglichen Titel.<br />

Die gerichtliche Entscheidung (und so auch ein Elternvergleich) muss einen durchsetzbaren<br />

Inhalt hinsichtlich Ort, Zeit, Häufigkeit, Holen und Bringen enthalten 104 und darf insbesondere<br />

nicht Entscheidungen darüber auf Dritte übertragen. 105<br />

Die Umgangsregelung muss konkret und vollständig sein. 106<br />

41<br />

Beachten Sie:<br />

Eine gerichtliche Bestimmung des Umgangs mit dem Tenor …nach näherer Maßgabe des<br />

Jugendamts … ist daher zu vermeiden, da hieraus weder konkrete Rechte noch Pflichten<br />

abgeleitet werden können und damit eine Durchsetzung nicht möglich ist.<br />

Insbesondere in Elternvergleichen kann aber auch eine unkonkrete Formulierung gewählt<br />

werden (... zudem mittwochs, wenn das Kind keine Freunde besucht …), wenn die<br />

Eltern willens sind, gemeinsam eine flexible Lösung umzusetzen und dafür nur einen<br />

groben Rahmen benötigen.<br />

Bei angeordneter Umgangspflegschaft nach § 1684 Abs. 3 BGB ist der Umgangspfleger entscheidungsbefugt<br />

für die „Feinabstimmung“ des Umgangs, das Gericht muss aber die wesentlichen<br />

Modalitäten (begleiteter/unbegleiteter Umgang) sowie Häufigkeit, Dauer und Umfang<br />

selber festlegen. 107<br />

Die Umgangsentscheidung ergeht beim Verbundantrag zusammen mit dem Scheidungsbeschluss,<br />

in den anderen Fällen durch Beschluss, der mit der befristeten Beschwerde gem. § 58<br />

FamFG angefochten werden kann.<br />

Beachten Sie:<br />

Eine aufgrund mündlicher Verhandlung getroffene einstweilige Anordnung bzgl. des<br />

Umgangs kann nicht angefochten werden (§ 57 FamFG.)<br />

Neben dem normalen Umgangsrecht besteht auch ein Umgangsrecht des Kindes mit Bezugspersonen<br />

des § 1685 BGB.<br />

Beispiel:<br />

Dies sind z. B. die Großeltern und erwachsene Geschwister, aber auch die Stiefeltern, die<br />

sich von dem betreuenden Elternteil getrennt haben. Voraussetzung ist stets eine bestehende<br />

Bindung.<br />

Die Häufigkeit und Dauer der Umgangskontakte steht hinter denen aus § 1684 BGB zurück. 108<br />

Ist für den Kindesvater der Umgang bereits geregelt und darüber ein Kontakt zu den Großeltern<br />

gegeben, so kann dies einem gesonderten Umgangsrecht der Großeltern entgegenste-<br />

104 BGH B. v. 01.02.2012 – XII ZB 188/11 – BeckRS 2012, 04752, nicht erforderlich aber detailliert bezeichnete Verpflichtungen<br />

des betreuenden Elternteils, etwa zum Bereithalten und Abholen des Kindes.<br />

105 OLG Frankfurt FamRZ 2008, S. 1372.<br />

106 BVerfG FamRZ 2009, S. 1472.<br />

107 OLG Hamm FamRZ 2013 S.310; KG, B. v. 21.09.2012 - 17 UF 118/12, BeckRS 2012, 23567, FamRZ 2013 S.308.<br />

108 OLG Brandenburg FamRZ 2008, S. 2303.


4 Umgang<br />

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hen. 109 Voraussetzung ist auch hier alleine das Kindeswohl, nicht etwa die Akzeptanz des betreuenden<br />

Elternteils. 110<br />

4.1 Ausschluss des Umgangsrechts<br />

42<br />

Beachten Sie:<br />

Nach § 1684 I BGB hat jedes – eheliche wie nichteheliche – Kind das Recht auf Umgang<br />

mit beiden Eltern; damit korrespondiert das Recht und die Pflicht der Eltern, einerseits<br />

diesen Umgang auszuüben (§ 1684 I Hs. 2 BGB), andererseits ihn nicht zu behindern<br />

(§ 1684 II BGB).<br />

Hierbei handelt es sich um ein originäres (Umgangs-)Recht, das durch familiengerichtliche<br />

Entscheidung nur eingeschränkt werden kann, wenn dies zum Wohle des Kindes erforderlich ist<br />

(§ 1684 IV, S. 1 BGB). Ein Ausschluss auf längere Zeit kann nur erfolgen, wenn anderenfalls das<br />

Wohl des Kindes gefährdet wäre (§ 1684 IV, S. 2 BGB). 111<br />

Auch ein Ausschluss des elterlichen Umgangsrechts eines in einer Pflegefamilie untergebrachten<br />

Kindes setzt voraus, dass der Schutz des Kindes dies nach den konkreten Umständen des<br />

Einzelfalls erfordert, um eine konkrete Gefährdung seiner seelischen oder körperlichen Entwicklung<br />

abzuwehren. 112<br />

Beachten Sie:<br />

Droht ein Ausschluss (auch nur ein teilweiser Ausschluss im Sinne einer „wesentlichen<br />

Beschränkung“) des Umgangsrechts, ist gem. § 158 Abs. 2 Nr. 5 FamFG in der Regel ein<br />

Verfahrensbeistand zu bestellen.<br />

Frage:<br />

Was kann familiengerichtlich vor einem kompletten Umgangsausschluss getan werden?<br />

Was sind mildere Maßnahmen?<br />

Die Weigerung des Kindes reicht für einen Ausschluss des Umgangs nicht aus, sondern ist<br />

durch geeignete Maßnahmen abzubauen.<br />

Bei bestehenden Gefährdungen ist auch zu prüfen, ob diese nicht durch begleitenden Umgang<br />

gem. § 1684 Abs. 4, Satz 3 BGB 113 abgewendet werden können.<br />

109 OLG Hamm famRZ 2011, S. 1154.<br />

110 KG FamRZ 2009, S. 1229.<br />

111 EuGHMR FamRZ 2004, S. 1456; EuGHMR FamRZ 2001, S. 341; BVerfG FamRZ 2004, S. 1166; BVerfG FamRZ<br />

2005, S. 1057; zuletzt: OLG Köln FamRZ 2009, S. 1422; KG FamRZ 2002, S. 1163; OLG Saarbrücken FamRZ<br />

2002, S. 369; OLG Düsseldorf FamRZ 2002, S. 512; OLG Brandenburg FamRZ 2000, S. 1106; OLG Schleswig<br />

FamRZ 2000, S. 48; OLG Bamberg FamRZ 2000, S. 46; OLG Hamm FamRZ 1999, S. 326; OLG Karlsruhe FamRZ<br />

1999, S. 184; OLG Düsseldorf FamRZ 1998, S. 1460; speziell zum Vorwurf sexuellen Missbrauches OLG München<br />

FamRZ 1999, S. 674; BVerfG FamRZ 2013, 433 (befürchtete Übergriffe auf die Mutter aus der rechtsextremen<br />

Szene).<br />

112 BVerfG BeckRS 2013, 46036, FamRZ 2013, 361.<br />

113 Vgl. hierzu Stieghorst ZFE 2002, S. 235; OLG Köln FamRZ 2005, S. 1770.


4 Umgang<br />

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43<br />

Beachten Sie:<br />

Auflagen zur Vorbereitung des Umgangs können den Eltern allerdings nicht gemacht<br />

werden. 114<br />

Allerdings ist bei älteren Kindern (≥ 14 Jahre) zu prüfen, ob eine nachhaltige – also ernsthafte<br />

und nicht fremdbestimmte – Umgangsverweigerung nicht zu einem Ausschluss des Umgangs<br />

bis zur Volljährigkeit führt. 115<br />

Eine Anordnung von festen Umgangszeiten wird dementsprechend abgelehnt, wenn das 16jährige<br />

Kind seinen Vater sehen will, aber den Kontakt von seinen Vorstellungen abhängig<br />

macht, § 1684 BGB. 116<br />

Bei sehr zerstrittenen Eheleuten kommt häufiger der Wunsch auf, das Umgangsrecht mit<br />

dem anderen Elternteil gänzlich ausschließen zu lassen. Man empfindet jeden Kontakt<br />

zum anderen Ehegatten als Störung oder Belästigung und bezieht die Kinder in diese<br />

Zwistigkeiten ein. Vielfach wird das Umgangsrecht auch noch einmal dazu genutzt, „alte<br />

Rechnungen" zu begleichen und dem Partner noch einmal „etwas auszuwischen".<br />

Machen Sie beiden Eltern sehr schnell nachhaltig deutlich, dass ein Ausschluss des Umgangsrechtes<br />

kaum Aussicht auf Erfolg hat. Dies gilt auch dann, wenn der Umgang nur<br />

zeitweise ausgeschlossen werden soll.<br />

Ziel aller Beteiligten – auch der beteiligten Anwälte – sollte die Beruhigung der Situation<br />

und der Abbau von Streitigkeiten sein, nicht das Anheizen von Konflikten. Weisen Sie notfalls<br />

auch die Anwälte deutlich darauf hin, dass in den Schriftsätzen nur die konkreten<br />

Umgangsschwierigkeiten vorgetragen werden sollen.<br />

Beachten Sie:<br />

Umgangskontakte müssen die getrennten und geschiedenen Eltern bis zur Volljährigkeit<br />

des Kindes abwickeln. Es versteht sich von selbst, dass nicht ein ganzer Apparat von<br />

Juristen, Sozialarbeitern, Umgangspflegern, Pädagogen, Psychologen usw. für diese<br />

gesamte Zeit bereitgestellt werden kann, um die Eltern auf den rechten Pfad zu verweisen<br />

– und das ganze möglichst auch noch auf Kosten der Allgemeinheit. Weisen Sie die<br />

Eltern bei Zeiten darauf hin, dass sie in absehbarere Zeit in der Lage sein müssen, den<br />

Umgang selbst zu regeln.<br />

Je eher sich die zerstrittenen Eheleute daher daran gewöhnen, die Besuchskontakte als<br />

absolute Normalität zu begreifen und eigenständig ohne Probleme abzuwickeln, desto<br />

besser!<br />

Beachten Sie:<br />

Ein vollständiger, unbefristeter Ausschluss des Umgangsrechts kommt nur in absoluten<br />

Ausnahmefällen wie z. B. stattgefundenen Gewalttaten gegen das Kind in Betracht.<br />

Ansonsten vertreten der EuGH und das BVerfG aber auch die Obergerichte im Bereich<br />

des Ausschlusses von Umgangskontakten eine sehr restriktive Linie.<br />

114 Durchführung einer Spieltherapie: OLG Koblenz B. vom 19.2.2008, juris.<br />

115 15-jähriges Kind: OLG Hamm FamRZ 2009, S. 1423.<br />

116 KG BeckRS 2010, 22695.


4 Umgang<br />

©Justizakademie NRW<br />

44<br />

Beispiele:<br />

• Eine pädophile Neigung ohne behandlungsbedürftige Störung alleine gefährdet<br />

das Kindeswohl nicht und rechtfertigt keine Einschränkung des Umgangsrechts. 117<br />

• Eine Umgangsregelung, die weder Übernachtungen noch Ferienaufenthalte eines<br />

dreijährigen Kindes bei einem ca. 550 km entfernt wohnenden Elternteil vorsieht,<br />

verstößt gegen Art. 6 GG. 118<br />

• Umgangsausschluss für die Ferienzeit verstößt gegen Art. 6 GG, wenn keine hinreichende<br />

Begründung gegeben wird.<br />

• Ohne sachverständige Beratung und ohne Auseinandersetzung mit der Möglichkeit<br />

der Durchführung begleiteter Umgangskontakte kann ein Umgangsausschluss<br />

nicht ausgesprochen werden. 119<br />

• Hat die Mutter begründete Angst vor einer (erneuten) Entführung des Kindes nach<br />

Ägypten, kommt ein befristeter Umgangsausschluss des Vaters in Betracht. 120<br />

• Nur wenn eine zuverlässige Entscheidungsgrundlage gegeben ist, kann das Familiengericht<br />

im Umgangsverfahren von der Beiziehung eines Sachverständigen absehen.<br />

Allein die Möglichkeit, dass ein Übernachten des drei jährigen Kindes beim<br />

umgangsberechtigten Elternteil eher schadet als nützt, vermag eine Ablehnung<br />

des Übernachtungsantrags nicht zu begründen. 121<br />

4.2 Umgangspflegschaft, § 1684 Abs. 3, S. 3 BGB<br />

Gem. § 1684 Abs. 3, S. 3 BGB kann durch das Familiengericht eine Umgangspflegschaft eingerichtet<br />

werden, wenn dauerhaft eine gerichtlich auferlegte Pflicht zur Sicherstellung eines guten<br />

Erziehungsverhältnisses zwischen Kind und anderem Elternteil verletzt wird. Eine Kindeswohlgefährdung<br />

ist nicht erforderlich.<br />

Beachten Sie:<br />

Die Umgangspflegschaft ist zu befristen, § 1684 Abs. 3, S. 5 BGB.<br />

Beispiel:<br />

Dem Kindesvater ist durch Umgangsbeschluss auferlegt, während der Umgangskontakte<br />

nicht schlecht über die Kindesmutter zu reden. Gleichwohl zeigt er dem Kind während<br />

des Umgangs die neuesten Schriftsätze aus dem Unterhaltsverfahren und erklärt dem<br />

Kind: „Deine Mutter will mir alles Geld wegnehmen. Dann können wir in Zukunft nicht<br />

mehr ins Kino gehen, wenn Du hier bist.“<br />

Bei § 1684 Abs. 3, S. 4 BGB handelt es sich zunächst nicht um einen Sorgeentzug, wenn eine<br />

Kindeswohlgefährdung nicht vorliegt, sondern alleine die Verletzung der – angeordneten –<br />

Pflichten aus Abs. 2. streitig ist, ob der Umgangspfleger in diesem Fall von sich aus die genaueren<br />

Umgangsmodalitäten im Rahmen der Umgangspflegschaft selbst bestimmen darf. 122<br />

117 BVerfG FamRZ 2008, S. 494; OLG Düsseldorf FamRZ 2009, S. 1685: Ausschluss bei gleichzeitiger dissozialer<br />

Persönlichkeitsstörung.<br />

118 BVerfGE FamRZ 2005, S. 871.<br />

119 BVerfG, Beschluss vom 23.01.2008 – 1 BvR 2911/07, BeckRS 2008, 32559.<br />

120 OLG Hamm FamRZ 2010, S. 1574.<br />

121 BVerfG NJW 2007, S. 1266.<br />

122 Verneinend: OLG Hamm NJW-RR 2011, S. 150; bejahend: OLG Düsseldorf BeckRS 2011, 13155, FamRZ 2011, S.<br />

822.


4 Umgang<br />

©Justizakademie NRW<br />

Wird allerdings durch das Umgangsverhalten eines Elternteils die Schwelle zur Kindeswohlgefährdung<br />

überschritten, so ist eine Umgangspflegschaft auf Grundlage der §§ 1666, 1666a BGB<br />

anzuordnen. Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist nämlich vor Entziehung des – gesamten<br />

– Aufenthaltsbestimmungsrechts wegen Umgangsvereitelung eine Umgangspflegschaft<br />

einzurichten. Davon kann nur bei offensichtlicher Aussichtslosigkeit abgesehen werden.<br />

123 Lehnt also der allein sorgeberechtigte Elternteil die Umgangskontakte des anderen<br />

Elternteils mit dem gemeinsamen Kind in einer das Kindeswohl gefährdenden Weise ab,<br />

kommt in Betracht, ihm das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Dauer der Umgangskontakte<br />

zu entziehen und eine Umgangspflegschaft anzuordnen 124 und nicht das gesamte Aufenthaltsbestimmungsrecht.<br />

Dann kann der Umgangspfleger unstreitig als Teilsorgerechtsinhaber<br />

auch die Ausgestaltung der Umgangskontakte vornehmen.<br />

Als Teilsorgeentzug ist die Umgangspflegschaft daher gesondert auszusprechen – etwa zusammen<br />

mit der Umgangsentscheidung – und ein Umgangspfleger zu bestellen.<br />

4.3 Konkrete Ausgestaltung von Umgangskontakten<br />

Für die konkrete Ausgestaltung von Umgangskontakten gibt es keine festen Regeln, es ist immer<br />

eine kindeswohlgerechte Einzelfallregelung zu treffen – ganz gleich, ob die Eltern eine<br />

Vereinbarung treffen oder das Gericht entscheidet.<br />

14-tägige Besuchskontakte über das Wochenende haben sich zwar in vielen Fällen als praktikabel<br />

erwiesen, es besteht aber kein Anlass eine solche Regelung als Grenze nach oben oder nach<br />

unten zu betrachten.<br />

45<br />

Beachten Sie:<br />

Den streitenden Eltern sollte daher immer wieder klar gemacht werden, dass alleine die<br />

Bedürfnisse des Kindes die Umgangsentscheidung oder die Vereinbarung bestimmen.<br />

Dafür sollte bei den Eltern auch das Bewusstsein geschaffen werden, dass eine Abweichung<br />

von der üblichen Regelung nicht „Sieg oder Niederlage“ darstellt 125 , sondern im<br />

vorliegenden Fall das Beste für das Kind ist.<br />

Je flexibler die Eltern einvernehmlich Umgangskontakte durchführen und selbst abstimmen<br />

können, desto weniger wird das Kind durch dieses Thema belastet. Im Ergebnis<br />

streitet daher oft bei der konkreten Ausgestaltung die Vollstreckbarkeit mit dem Kindeswohl.<br />

Natürlich müssen praktische Erwägungen und Gegebenheiten auch berücksichtigt werden.<br />

Beispiel:<br />

Wochenendarbeit der Elternteile, weite Entfernungen der Wohnorte und Hobbys der<br />

Kinder sollten ebenso in die Entscheidung einfließen wie das Alter der Kinder und etwa<br />

die Bindung an Geschwisterkinder.<br />

Ein Kleinkind wird zur Aufrechterhaltung der Bindungen eher häufige, kurze Umgangskontakte<br />

zur Aufrechterhaltung der Bindungen benötigen, als ein 15-jähriger, dessen Eltern sich aktuell<br />

getrennt haben.<br />

123 BGH NJW 2012, S. 151.<br />

124 OLG Saarbrücken NJW-RR 2008, S. 162.<br />

125 So aber häufig empfunden. Vgl. Kindler: Umgangsregelungen im Einzelfall FPR 2009, S. 150.


4 Umgang<br />

©Justizakademie NRW<br />

So haben sich die kindespsychologisch empfohlenen Besuchszeiten im Laufe der Jahre stark<br />

abweichend entwickelt 126 :<br />

Umgangszeiten aus psychologischer Sicht<br />

Klußmann (1981) Fthenakis (1995)<br />

bis 2 J: 1-2 Std / Monat bis 6 Mon. täglich einige Stunden<br />

46<br />

6-18 Mon. täglich bis zweitägig für einige Stunden<br />

18-36 Mon. 2-3 Mal in der Woche einige Stunden + 1 Tag<br />

am Wochenende<br />

2-6 J: 4-6 Std / Monat 3-6 J: Wochenendbesuche; zusätzlich Begegnungen<br />

in der Woche; Ferienaufenthalte von<br />

einer Woche. Übernachtungen im allgemeinen<br />

ab 3 Jahre, spätestens ab 7 Jahre<br />

6-10 J: 6-8 Std / Monat 6-10 J: Mehrere Kontakte in der Woche und am<br />

Wochenende; längere Ferienaufenthalte.<br />

Gewisse Flexibilität ab diesem Alter erforderlich<br />

ab 10 J: 9-10 Std / Monat<br />

(bei völlig spannungsfreien<br />

Beziehungen<br />

der Eltern evtl. auch 2<br />

Mal im Monat)<br />

10-12 J: Vergleichbar wie die vorige Gruppe, aber<br />

mit zunehmenden Flexibilitätsbedürfnissen<br />

ab 12 J: zwei Kontakte für einige Stunden pro Woche<br />

und 14-tägige Besuche mit oder ohne<br />

Übernachtung<br />

Auch wenn die Eltern einen Umgangsvergleich schließen wollen, ist es häufig sinnvoll, als Familienrichter<br />

die Punkte anzusprechen, die Konfliktstoff bergen könnten, wenn die Eltern darüber<br />

noch nicht gesprochen haben:<br />

Was passiert, wenn der Umgang ausfällt (wegen Krankheit, einer Familienfeier, Geburtstag<br />

von Freunden etc.)?<br />

Was passiert, wenn statt des Vaters dessen neue Lebensgefährtin das Kind abholt?<br />

Wie wird verfahren, wenn das Kind sich über den anderen Elternteil beklagt?<br />

126 Aus Seminarunterlagen: Prof. Dr. Uwe Jopt, Lemgo, Diplompsychologe – Sachverständiger – Familientherapeut.


4 Umgang<br />

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4.4 Umgangskosten<br />

Grundsätzlich sind die Umgangskosten vom umgangsberechtigten Elternteil zu tragen, also<br />

diejenigen Kosten, die z. B. für Abholen, Verpflegung und Übernachtung anfallen. Zur Deckung<br />

dieser Kosten hat der Umgangsberechtigte seinen Kindergeldanteil einzusetzen.<br />

Wird durch einen Aufenthaltswechsel des Kindes ein zusätzlicher Aufwand für die Ausübung<br />

des Umgangs verursacht, ist durch das Familiengericht im Einzelfall zu prüfen, ob der betreuende<br />

Elternteil anteilig zur Übernahme dieses erforderlichen Aufwands zu verpflichten ist,<br />

damit es nicht zu einer faktischen Vereitelung des Umgangsrechts kommt.<br />

47<br />

Beispiel:<br />

Die in Düsseldorf lebenden Eltern haben sich getrennt. Der Vater übt sein Umgangsrecht<br />

mit den bei der Mutter lebenden Kindern alle zwei Wochen am Wochenende aus. Die<br />

Kindesmutter zieht jetzt mit den Kindern zu ihrem neuen Freund in ein kleines Dorf nach<br />

Bayern, abseits der großen Städte.<br />

Die Fahrt mit dem Auto dorthin dauert 8 Stunden, Bahn und Flugreisen sind nicht möglich.<br />

Wie ist der Umgang zu gestalten?<br />

• Umgang am neuen Wohnort der Kinder und bei Anreise und Hotelübernachtung<br />

des Vaters?<br />

• Umgang nur noch in den Ferien?<br />

Muss die Mutter ggf. eine Fahrt übernehmen?<br />

Eine Berücksichtigung des Aufwandes für die Umgangskosten kann im familiengerichtlichen<br />

Verfahren zum Kindesunterhalt oder Betreuungsunterhalt erfolgen. Reicht der Kindergeldanteil<br />

hierzu nicht aus, sind zusätzlichen Kosten im Rahmen einer maßvollen Erhöhung des<br />

Selbstbehalts oder einer entsprechenden Minderung des unterhaltsrelevanten Einkommens zu<br />

berücksichtigen. 127<br />

Ist der mit dem Holen und Zurückbringen verbundene tatsächliche Aufwand für den umgangsberechtigten<br />

Elternteil noch zumutbar, so besteht keine Verpflichtung des allein sorgeberechtigten<br />

Elternteils zum Bringen und Zurückholen eines Kindes zum anderen Elternteil im<br />

Rahmen der Umgangsausübung. 128 Soweit aber eine Mitwirkungshandlung des betreuenden<br />

Elternteils erforderlich ist und dieser durch seinen Wegzug eine erhebliche räumliche Distanz<br />

zum umgangsberechtigten Elternteil geschaffen (und damit maßgeblich zur Entstehung des<br />

erheblichen Zeit- und Kostenaufwands im Rahmen des Umgangs beigetragen hat), so ist der<br />

betreuende Elternteil zur aktiven Mitwirkung verpflichtet. 129<br />

Sozialrechtliche Bezüge:<br />

Ein Hilfeempfänger kann nicht die Übernahme von Fahrtkosten für nahe Angehörige (hier: der<br />

Mutter) gem. § 73 SGB XII verlangen, wenn er nur dreimal pro Jahr dorthin fährt. Ob ein solcher<br />

Ersatzanspruch auch für die regelmäßigen Fahrtkosten beim wiederkehrenden Umgangsrecht<br />

mit Kindern besteht, ist streitig. 130<br />

127 BGH, U. v. 23.2.2005 – XII ZR 56/02 – FuR 2005, S. 253, NJW 2005, S. 1493; Thüringer Oberlandesgericht, B. v.<br />

25.05.2010, – 1 UF 19/10 – FamRZ 2010, S. 2079.<br />

128 OLG Nürnberg, B. v. 10.12.1998 – 7 UF 3741/98, FamRZ 1999, S. 1008, NJWE-FER 1999, S. 146.<br />

129 Brandenburgisches Oberlandesgericht, B. v. 22.05.2008, – 10 UF 119/07 – FamRZ 2009, S. 131: Verpflichtung,<br />

das Kind auf eigene Kosten zum Flughafen zu bringen und abzuholen; Schleswig-Holsteinisches OLG, B. v.<br />

3.02.2006, – 13 UF 135/05 – FamRZ 2006, S,. 881: anteilige Übernahme des für das Bringen und Holen der Kinder<br />

erforderlichen Aufwands.<br />

130 LSG Stuttgart, NJW-RR 2006, S,. 867; SG Berlin, U. v. 29.06.2009, S. 109 AS 25333/07, FamRZ 2010, S. 1019:<br />

Fahrkosten, nicht Unterhaltungskosten während des Umgangs; a. A.: LSG NW, U. v. 06.09.2007, – L 9 AS 80/06


4 Umgang<br />

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Der in Bedarfsgemeinschaft lebende Elternteil (betreuender Elternteil) muss den Kindern an<br />

den Umgangstagen die entsprechenden Geldmittel zur Verfügung stellen, ansonsten hat der<br />

Grundsicherungsträger die Mittel durch Gewährung anderweitiger Regelleistungen zu ersetzen.<br />

131<br />

48<br />

Zusammenfassung:<br />

Der Umgang mit beiden Elternteilen gehört zum Wohl des Kindes. Dies ist als Recht des<br />

Kindes definiert, § 1626 Abs. 3 BGB. Damit korrespondiert eine echte Pflicht des betreffenden<br />

Elternteils zum Umgang. Somit kann nicht auf das Umgangsrecht durch vertragliche<br />

Vereinbarung durch die Eltern verzichtet werden.<br />

Droht ein Ausschluss des Umgangsrechts, ist ein Verfahrensbeistand zu bestellen.<br />

Ein vollständiger unbefristeter Ausschluss des Umgangsrechts kommt nur in absoluten<br />

Ausnahmefällen in Betracht.<br />

Eine eingerichtete Umgangspflegschaft kann den Eltern helfen, bestehende Probleme<br />

beim Umgang zu überwinden. Die Umgangspflegschaft ist zu befristen.<br />

Umgangsbeschlüsse und -vergleiche sind konkret zu fassen, damit sie vollstreckbar sind.<br />

– FamRZ 2008, S. 1789: Reisekosten zur Wahrung des Umgangsrechts sind mit der Regelleistung gem. § 20 Abs.<br />

1 SGB II abgegolten.<br />

131 LSG NW Sozialrecht aktuell 2008, S. 155ff, Urteil vom 21.4.08, Az.: L 20 AS 112/06; vgl. auch BVerfG FamRZ<br />

2009, S. 191 hinsichtlich der PKH-Bewilligung für die Sorgeübertragung für ein entsprechendes SG Verfahren.


5 Vollstreckung von Entscheidungen in <strong>Kindschaftssachen</strong><br />

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5 Vollstreckung von Entscheidungen in <strong>Kindschaftssachen</strong><br />

______________________________ Dieses Kapitel dient dazu, die Vollstreckbarkeit der Entscheidungen in<br />

<strong>Kindschaftssachen</strong> darzustellen.<br />

Das Kapitel ist nochmals in zwei Unterkapitel geteilt.<br />

Die Vollstreckung von Sorge- und Umgangsentscheidungen richtet sich nach den §§°86 ff.<br />

FamFG. Gegenstand der Vollstreckung sind daher nach §°86 FamFG<br />

Gerichtliche Beschlüsse<br />

Gerichtlich gebilligte Vergleiche (z. B. Umgangsvergleiche)<br />

Weitere Titel nach § 794 ZPO, soweit die Beteiligten verfügungsbefugt sind (also keine<br />

Amtsverfahren: kein Vergleich zur Sorgeübertragung möglich)<br />

Die Vollstreckung ist nach §°86 Abs. 2 FamFG mit dem Wirksamwerden möglich, also mit Bekanntgabe<br />

im Sinne des §°40 FamFG.<br />

49<br />

Beachten Sie:<br />

Bei Gefahr in Verzug kann die sofortige Wirksamkeit angeordnet werden, §°40 Abs. 2, S.<br />

2 FamFG, etwa in Fällen der einstweiligen Anordnung. 132<br />

Für die Vollstreckung von Herausgabeentscheidungen oder Umgangsentscheidungen gelten<br />

die besonderen Regelungen der §§°88 ff. FamFG.<br />

Beispiel:<br />

Ein Elternteil bekommt das Aufenthaltsbestimmungsrecht zugesprochen, § 1671 BGB.<br />

Die Vollstreckung des Herausgabeverlangens nach § 1632 Abs. 2, 3 BGB erfolgt ggf. mit<br />

unmittelbarem Zwang durch Wegnahme des Kindes § 90 FamFG.<br />

Gibt ein Elternteil das Kind nicht zum Umgang heraus, sind Ordnungsmittel nach § 89<br />

FamFG auf Antrag festzusetzen.<br />

Beachten Sie:<br />

Zuständig für die Vollstreckungsmaßnahmen ist nicht das Prozessgericht (also das Gericht,<br />

das die zu vollstreckende Entscheidung getroffen hat), sondern gem. § 88 Abs. 1<br />

FamFG das Gericht des Aufenthalts der betroffenen Person, i. d. R. also das Gericht am<br />

Aufenthaltsort des betroffenen Kindes, da hier ggf. weitere Ermittlungen vorzunehmen<br />

sind.<br />

Das Jugendamt ist zur Unterstützung verpflichtet, § 88 Abs. 2 FamFG.<br />

132 Vgl. Zöller/Feskorn, FamFG, § 40 Rz.12.


5 Vollstreckung von Entscheidungen in <strong>Kindschaftssachen</strong><br />

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5.1 Vollstreckung von Sorgeentscheidungen<br />

Kommt ein Verpflichteter der Herausgabeverpflichtung bezüglich des Kindes gegenüber dem<br />

sorgeberechtigten Eltern/Elternteil nicht nach, ist<br />

zulässig.<br />

primär ein Ordnungsmittel nach § 89 FamFG festzusetzen,<br />

erst dann – bei Erfolglosigkeit – die Anordnung unmittelbaren Zwangs nach § 90 FamFG<br />

5.2 Vollstreckung von Umgangsentscheidungen<br />

50<br />

Frage:<br />

Welche gerichtlichen Bedingungen müssen erfüllt sein, damit eine Umgangsentscheidung<br />

vollstreckt werden kann?<br />

Ein gerichtlich protokollierter Vergleich ist – noch – kein der Vollstreckung zugänglicher Titel.<br />

Beachten Sie:<br />

Erst wenn das Familiengericht den Inhalt der Einigung zum Inhalt einer eigenen Entscheidung<br />

macht, ist eine Vollstreckung möglich. 133 Das Gericht billigt den Umgangsvergleich<br />

durch Beschluss, wenn er „dem Kindeswohl nicht widerspricht“, § 156 Abs. 2, S. 2<br />

FamFG.<br />

Bei einem gerichtlich gebilligten Umgangsvergleich nach § 156 Abs. 2 FamFG ist daher die<br />

Belehrung über die möglichen Ordnungsmittel ebenfalls aufzunehmen 134 , §§ 86, 89 FamFG.<br />

Fehlt dieser Hinweis, können Ordnungsmittel nicht vollstreckt werden. 135 Genehmigung und<br />

Hinweis können aber durch gesonderten Beschluss nachgeholt werden. 136<br />

Eine Vollstreckung ist nur möglich, wenn die Umgangsregelung genaue Angaben über Zeit, Ort<br />

und Art des Umgangs enthält. 137<br />

Beachten Sie:<br />

Die Vorschrift des § 89 Abs. 4 FamFG hat auch Bedeutung für Umgangsrechtsverfahren!<br />

Häufig wird selbst gegenüber gerichtlich festgelegten Umgangsregelungen eingewandt,<br />

das Kind wolle den Umgang nicht.<br />

133 BGH FamRZ 1988, S. 277; OLG Stuttgart FamRZ 1979, S. 342; FamRZ 1981, S. 1105; OLG Hamm FamRZ 1980, S.<br />

932; OLG Zweibrücken, FamRZ 1982, S. 429; OLG Düsseldorf FamRZ 1983, S. 90; OLG Köln NJWE-FER 1998, S.<br />

163; OLG Brandenburg FamRZ 2001, S. 1315, 1316.<br />

134 Thomas-Putzo/Hüßtege, § 89 Rz.8.<br />

135 Die Belehrung nach § 89 FamFG ist dabei auch bei Umgangstiteln nach altem Recht nachzuholen: BGH, Beschl.<br />

v. 17. 8. 2011 − BGH Aktenzeichen XII ZB 621/10 -, NJW 2011, 3163, FamRZ 2011, S. 1729, FuR 2011, S. 695.<br />

136 Zöller/Feskorn, FamFG, § 89 Rz.8.<br />

137 Vgl. Zöller/Feskorn, FamFG, § 86 Rz.9.


5 Vollstreckung von Entscheidungen in <strong>Kindschaftssachen</strong><br />

©Justizakademie NRW<br />

Der Verpflichtete muss gem. § 89 Abs. 4 FamFG Gründe vortragen, aus denen sich ergibt,<br />

dass er die Zuwiderhandlung nicht zu vertreten hat. Das Verschulden wird also nunmehr<br />

vermutet. 138<br />

Beruft er sich gegenüber einer Umgangsregelung auf einen entgegenstehenden Willen<br />

des Kindes, muss er im Einzelnen darlegen, wie er auf das Kind eingewirkt hat, um es zum<br />

Umgang zu bewegen. 139 Dies ist dann nicht der Fall, wenn er das Kind gegen die Kontakte<br />

mit dem anderen Elternteil aktiv beeinflusst oder zumindest vorwerfbar unterlassen hat,<br />

das Kind positiv einzustimmen und zum Umgang zu bewegen. Verweigert sich aber das<br />

Kind dennoch nachhaltig und ernsthaft, dann scheidet ein Zwangsgeld gegen den Elternteil<br />

aus. Dabei geht man aber regelmäßig davon aus, dass der Widerstand eines Kindes<br />

nur vorgegeben ist und jedenfalls durch entsprechende Einwirkung des Sorgeberechtigten<br />

überwunden werden kann. Der bloße Hinweis des Kindes „Ich will nicht zum Papa"<br />

wird daher in der Praxis ebenso wenig ausreichen wie die alltägliche Weigerung eines Kindes,<br />

sein Kinderzimmer aufzuräumen, seine Hausaufgaben zu machen oder rechtzeitig ins<br />

Bett zu gehen.<br />

Bei gravierenderen Gründen – die das Kind auch in der richterlichen Anhörung angeben<br />

muss – wird dagegen Rechnung getragen werden müssen. Dabei ist auch entscheidend<br />

auf das Alter des Kindes und die sich daraus ergebende Selbständigkeit des Willens abzustellen.<br />

Die Altersgrenze, ab der eine Verweigerung nicht mehr alleine mit erzieherischen Mitteln<br />

überwunden werden kann wird bei 9-11 Jahren 140 angesetzt. Ein Zwang scheidet aus,<br />

wenn der betreuende Elternteil nicht mit erzieherischen Mitteln auf das die Umgangskontakte<br />

ablehnende Kind einwirken kann. 141<br />

Der Umgangsverpflichtete muss zur Vermeidung von Zwangsmitteln danach alle erzieherischen<br />

Mittel einsetzen, um Umgangskontakte auch gegen den geäußerten Willen des Kindes<br />

zu ermöglichen. Lehnt das Kind einen gerichtlich festgelegten Umgang mit dem Vater nachhaltig<br />

ab und ist nicht absehbar, dass die Weigerung durch erzieherische Maßnahmen abgebaut<br />

werden kann, ist dem Antrag auf Androhung von Zwangsmitteln gegen die Mutter jedoch nicht<br />

zu entsprechen. 142 Da ein Vollstreckungsverfahren nach § 89 FamFG ein eigenständiges Verfahren<br />

nach Art. 111 FGG-RefG darstellt, sind diese Grundsätze auch bei der Vollstreckung alter<br />

Umgangsentscheidungen (vor 01.09.2009) anzuwenden. 143<br />

51<br />

Beachten Sie:<br />

Unmittelbarer Zwang zur Durchsetzung eines Umgangsrechts ist unzulässig, § 90 Abs.<br />

2, S. 1 FamFG. Der Umgangsberechtigte ist also auf die Ordnungsmittel nach § 89<br />

FamFG beschränkt.<br />

Werden die gerichtlichen Anordnungen unterlaufen, kann das Gericht das Sorgerecht<br />

teilweise entziehen und einem Ergänzungspfleger zur Durchführung der Umgangskontakte<br />

übertragen (Umgangspflegschaft).<br />

138 Thomas-Putzo/Hüßtege, § 89 Rz.9.<br />

139 OLG Saarbrücken, B. v. 08.10.2012 - 6 WF 381/12, BeckRS 2012, 21763; FamRZ 2013, 476 L.<br />

140 OLG Hamm FamRZ 2008, S. 1371.<br />

141 OLG Hamm FamRZ 2004, S. 1797.<br />

142 OLG Düsseldorf NJW 2009, S. 3312.<br />

143 BGH NJW 2011, S. 3163.


5 Vollstreckung von Entscheidungen in <strong>Kindschaftssachen</strong><br />

©Justizakademie NRW<br />

52<br />

Zusammenfassung:<br />

Gegenstand der Vollstreckung sind gerichtliche Beschlüsse, gerichtlich gebilligte Vergleiche<br />

und weitere Titel nach § 794 ZPO.<br />

Bei Gefahr in Verzug kann die sofortige Wirksamkeit angeordnet werden.<br />

Das Prozessgericht ist nicht für die Vollstreckungsmaßnahmen zuständig, sondern das<br />

Gericht des Aufenthalts der betroffenen Person. Das Jugendamt ist zur Unterstützung<br />

verpflichtet.<br />

Zur Durchsetzung eines Umgangsrechts ist unmittelbarer Zwang unzulässig. Demnach<br />

ist der Umgangsberechtigte auf die Ordnungsmittel nach § 89 FamFG beschränkt. Bei<br />

einem gerichtlich gebilligtem Vergleich zum Umgangsrecht ist die Belehrung oder der<br />

Hinweis über die möglichen Ordnungsmittel ebenfalls aufzunehmen, §§ 86, 89 FamFG.


Fragen zum Verständnis<br />

©Justizakademie NRW<br />

Fragen zum Verständnis<br />

_____________ Die folgenden Fragen dienen zur Wiederholung und Vertiefung des Gelernten. Nehmen Sie sich<br />

zur Beantwortung dieser Fragen genügend Zeit.<br />

1a Welche besonderen Anforderungen stellen die <strong>Kindschaftssachen</strong> an den Familienrichter?<br />

1b Welche Vorkehrungen sollten getroffen werden, damit Termine mit den Familien erfreulich<br />

verlaufen?<br />

2a<br />

2b<br />

53<br />

Welche Verfahren umfassen die <strong>Kindschaftssachen</strong>?<br />

Welche speziellen Regelungen gelten für das Verfahren in <strong>Kindschaftssachen</strong>?


Fragen zum Verständnis<br />

©Justizakademie NRW<br />

3a Welche Voraussetzungen müssen bei einem Antrag auf Übertragung der alleinigen elterlichen<br />

Sorge erfüllt sein?<br />

3b In welchen Fällen kommt eine gerichtliche Entscheidung bei Meinungsverschiedenheit der<br />

Eltern in Betracht? Differenzieren Sie zwischen Alltagsangelegenheiten und Sorgeangelegenheiten.<br />

3c<br />

4a<br />

54<br />

Wer ist Antragsteller in einem Verfahren auf Sorgeentzug nach § 1666 f BGB? Wann ist ein<br />

Gutachten einzuholen?<br />

Wie können Umgangsregelungen gemäß § 1684 Abs. 3 BGB erreicht werden? Wie sind<br />

diese auszugestalten?


Fragen zum Verständnis<br />

©Justizakademie NRW<br />

4b Welche milderen Maßnahmen kommen vor einem unbefristeten Ausschluss des Umgangsrecht<br />

in Betracht?<br />

5a<br />

55<br />

Nennen Sie den Gegenstand der Vollstreckung nach §° 86 FamFG:<br />

5b Beschreiben Sie in Stichpunkten, wie bei der Vollstreckung von Sorgeentscheidungen<br />

vorzugehen ist:


Abbildungsverzeichnis<br />

©Justizakademie NRW<br />

Abbildungsverzeichnis<br />

56<br />

Abbildung § 1671 BGB, Struktur .................................................................................... 20<br />

Abbildung § 1680 BGB, Struktur.................................................................................... 29


Tabellenverzeichnis<br />

Tabellenverzeichnis<br />

Umgangszeiten aus psychologischer Sicht ................................................................... 46

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