Zur Umsetzung der EMRK in der Schweiz - Hydepark
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He<strong>in</strong>z Aemisegger, <strong>Zur</strong> <strong>Umsetzung</strong> <strong>der</strong> <strong>EMRK</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schweiz</strong>, <strong>in</strong>: Jusletter 20, Juli 2009<br />
Gleichbehandlung von Mann und Frau als e<strong>in</strong> wesentliches<br />
Ziel <strong>der</strong> Mitgliedstaaten des Europarates. In diesen Län<strong>der</strong>n<br />
bestehe e<strong>in</strong> Konsens zugunsten <strong>der</strong> Gleichberechtigung <strong>der</strong><br />
Ehefrau bei <strong>der</strong> Namenswahl. In diesem S<strong>in</strong>ne hat <strong>der</strong> EGMR<br />
<strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Urteil Unal Tekeli gegen Türkei vom 16. November<br />
2004 entschieden, die Vorschrift des türkischen ZGB, wo<br />
nach die Ehefrau den Namen des Mannes erhalte, diesem<br />
aber ihren voranstellen dürfe, verletze das ihr zukommende<br />
Recht, auch nach <strong>der</strong> Heirat ausschliesslich ihren Namen zu<br />
führen, wie dies dem Mann zugestanden werde. Der EGMR<br />
warf <strong>in</strong> diesem Zusammenhang dem türkischen Kassationshof<br />
e<strong>in</strong>stimmig vor, mit se<strong>in</strong>em Urteil vom 6. Juni 1995 Art. 14<br />
i'v'm Art 8 <strong>EMRK</strong> verletzt zu haben. Die E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong> Fami<br />
lie muss nach Auffassung des Gerichtshofes nicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
geme<strong>in</strong>samen Namen zum Ausdruck kommen. Können sich<br />
die Ehegatten nicht für e<strong>in</strong>en geme<strong>in</strong>samen Familienamen<br />
entscheiden, so darf ke<strong>in</strong>em von ihnen <strong>der</strong> Name des an<br />
<strong>der</strong>n aufgezwungen werden. Genau dies geschieht jedoch <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> <strong>Schweiz</strong> nach den Vorschriften von Art. 30 Abs. 2 i'v'm.<br />
Art. 160 Abs. 1 ZGB, wenn sich die Brautleute nicht auf ei<br />
nen geme<strong>in</strong>samen Familiennamen e<strong>in</strong>igen können. Die Wahl<br />
des Namens <strong>der</strong> Frau als Familienname setzt e<strong>in</strong> von beiden<br />
unterzeichnetes Gesuch voraus. Ohne e<strong>in</strong> solches muss die<br />
Frau gemäss Art. 160 ZGB den Namen des Mannes als Fa<br />
miliennamen tragen und zwar auch wenn dies nicht ihrem<br />
Willen entspricht,202<br />
4.7 Demonstrationsverbot<br />
[Rz 96] Spontane friedliche Kundgebungen als unmittelba<br />
re Reaktion auf e<strong>in</strong> unvorhersehbares Ereignis dürfen nach<br />
<strong>der</strong> Rechtsprechung des Bundesgerichts meldepflichtig er<br />
klärt werden, aber nur, soweit e<strong>in</strong>e entsprechende Meldung<br />
zeitlich möglich ist,203 In diesem S<strong>in</strong>ne hat <strong>der</strong> EGMR die<br />
Auflösung e<strong>in</strong>er friedlichen Demonstration als unmittelbare<br />
Antwort auf e<strong>in</strong> politisches Ereignis e<strong>in</strong>zig wegen fehlen<strong>der</strong><br />
vorgängiger Ankündigung als Verstoss gegen Art. 11 <strong>EMRK</strong><br />
gewertet. 204<br />
5. Schlussbemerkung<br />
[Rz 97] Wie die vorstehenden Ausführungen zeigen, hat<br />
die <strong>EMRK</strong> die Rechtsprechung und auch die Rechtsetzung<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schweiz</strong> <strong>in</strong>sgesamt <strong>in</strong> den verschiedensten Rechts<br />
bereichen <strong>in</strong> hohem Masse bee<strong>in</strong>flusst und geprägt. Sie ist<br />
im schweizerischen Rechtsalltag sehr gut verankert. Das<br />
Bundesgericht hat sie auf die gleiche Stufe gesetzt und mit<br />
dem gleichen Gewicht angewendet wie das <strong>in</strong>nerstaatliche<br />
202 Vgl. CVRll HEGNAUER, Vom Treten an Ort beim Namensrecht, Der Nationalrat<br />
und die Europäische Menschenrechlskonvention, NZZ vom 14. April 2009<br />
(NI. 85) S, 11.<br />
203 Urteil1C_140/2008 vom 17, März 2009 E, 7,2,<br />
20' Urteil des EGMR 8ulka und Milbeleiligle gegen Ungarn vom 17. Oktober<br />
2007 § 31 If.<br />
24<br />
Verfassungs recht. Es hat damit e<strong>in</strong>en wichtigen Beitrag zur<br />
Verwirklichung <strong>der</strong> Zielsetzungen <strong>der</strong> <strong>EMRK</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schweiz</strong><br />
geleistet.<br />
[Rz 98] E<strong>in</strong>e bessere Abstimmung des schweizerischen Pro<br />
zessrechts auf das Verfahren vor dem EGMR ist <strong>in</strong>dessen<br />
notwendig, Zwar sollte <strong>der</strong> EGMR <strong>in</strong> Zukunft dem schweizeri<br />
schen Verfahrensrecht e<strong>in</strong>en höheren Stellenwert e<strong>in</strong>räumen<br />
als er dies <strong>in</strong> <strong>der</strong> Vergangenheit <strong>in</strong> vielen Fällen getan hat.<br />
In Bezug auf das <strong>in</strong> Art. 35 Zifl. 1 <strong>EMRK</strong> enthaltene Erfor<br />
<strong>der</strong>nis <strong>der</strong> Erschöpfung des <strong>in</strong>nerstaatlichen Instanzenzugs<br />
besteht mit Blick auf die Rechtsprechung des EGMR Rechts<br />
unsicherheit, die sich auch auf das <strong>in</strong>nerstaatliche Verfah<br />
rensrecht auswirkt. Diese Rechtsunsicherheit sollte im Zu<br />
sammenwirken von allen beteiligten Instanzen beseitigt o<strong>der</strong><br />
zum<strong>in</strong>dest verr<strong>in</strong>gert werden. Dazu können auch die Rechts<br />
suchenden durch e<strong>in</strong>e sorgfältige <strong>in</strong>nerstaatliche Beschwer<br />
deführung e<strong>in</strong>en Beitrag leisten. Um e<strong>in</strong>e unerwünschte<br />
Verengung des Rechtsschutzes vor den letzten nationalen<br />
Instanzen im Verhältnis zu den Rügemöglichkeiten vor dem<br />
EGMR zu vermeiden, sche<strong>in</strong>t es unter an<strong>der</strong>em prüfenswert,<br />
den nationalen Behörden - unabhängig von <strong>in</strong>nerstaatlichen<br />
Formerfor<strong>der</strong>nissen - vermehrt die Prüfung von Rügen zu<br />
ermöglichen, welche <strong>der</strong> EGMR <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Verfahren behan<br />
delt. Es müssen jedenfalls Lösungen gesucht werden, um<br />
die <strong>in</strong> <strong>der</strong> Praxis häufig relevante Disharmonie zwischen <strong>der</strong><br />
verfahrensrechtlichen Praxis des EGMR und dem schweize<br />
rischen Prozessrecht zu beseitigen,<br />
[Rz 99] Die vorstehenden Ausführungen bezwecken, Proble<br />
me, welche sich aus <strong>der</strong> Rechtsprechung des EGMR für die<br />
Mitgliedstaaten <strong>der</strong> <strong>EMRK</strong>, namentlich für die <strong>Schweiz</strong> erge<br />
ben, offen zu legen und dazu anzuregen, dafür Lösungen zu<br />
suchen, Entsprechend dem im Verhältnis zwischen nationa<br />
lem Recht und Völkerrecht geltenden Subsidiaritätspr<strong>in</strong>zip ist<br />
es primär Aufgabe <strong>der</strong> Mitgliedstaaten und nicht des EGMR,<br />
die <strong>EMRK</strong> umzusetzen. Idealziel muss die korrekte Anwen<br />
dung <strong>der</strong> <strong>EMRK</strong> und damit die Vermeidung unnötiger Verur<br />
teilungen <strong>der</strong> <strong>Schweiz</strong> durch den Strassburger Gerichtshof<br />
se<strong>in</strong>. Die Tatsache, dass nur <strong>in</strong> 70 von den seit 1974 rund<br />
4000 registrierten <strong>Schweiz</strong>er Fällen <strong>in</strong> «Strassburg» Verlet<br />
zungen <strong>der</strong> <strong>EMRK</strong> festgestellt wurden, und dass die Bilanz<br />
an<strong>der</strong>er Län<strong>der</strong> wesentlich schlechter ausfällt, än<strong>der</strong>t nichts<br />
an <strong>der</strong> Bedeutung <strong>der</strong> genannten Zielsetzung.<br />
Dr. iur, He<strong>in</strong>z Aemisegger, Bundesrichter, Lausanne Die dar<br />
gelegten Ausführungen geben ausschliesslich die persönli<br />
che Ansicht des Verfassers wie<strong>der</strong>. Sie bildeten die Grund<br />
lage für Vorträge an den beiden folgenden Veranstaltungen:<br />
Tagung des Instituts für Rechtswissenschaft und Rechtspra<br />
xis <strong>der</strong> Universität St. Gallen vom Freitag, 5, Juni 2009 <strong>in</strong><br />
Bern zum Thema «<strong>EMRK</strong> und die <strong>Schweiz</strong>» sowie Anwalts<br />
kongress vom 11, -13. Juni 2009 <strong>in</strong> Luzern.