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Zur Umsetzung der EMRK in der Schweiz - Hydepark

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He<strong>in</strong>z Aemisegger, <strong>Zur</strong> <strong>Umsetzung</strong> <strong>der</strong> <strong>EMRK</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schweiz</strong>, <strong>in</strong>: Juslel1er 20. Juli 2009<br />

AI Barakaat vom 3. September 2008.'71 Er stellte die Teil­<br />

Nichtigkeit <strong>der</strong> VO (EG)Nr.881/2002 des EU-Rates fest und<br />

setzte e<strong>in</strong>e Frist zur Abhilfe von höchstens drei Monaten.<br />

Mit <strong>der</strong> streitigen Verordnung setzte die Europäische Ge­<br />

me<strong>in</strong>schaft die erwähnten Resolutionen des Sicherheitsra­<br />

tes um. Der Umstand, dass jede Person o<strong>der</strong> Organisation<br />

unmittelbar beim Sanktionsausschuss des Sicherheitsrats<br />

die Streichung von <strong>der</strong> konsolidierten Liste verlangen könne,<br />

führe nicht zu e<strong>in</strong>er generellen Nichtjustiziabilität im Rahmen<br />

<strong>der</strong> <strong>in</strong>ternen Rechtsordnung <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>schaft, da dieses<br />

Delist<strong>in</strong>g-Verfahren offensichtlich nicht die Garantien e<strong>in</strong>es<br />

gerichtlichen Rechtsschutzes biete. Der EuGH geht davon<br />

aus, dass er sich mit diesem Urteil grundsätzlich auf <strong>der</strong> L<strong>in</strong>ie<br />

des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR)<br />

bef<strong>in</strong>de.'72 Er konzentriert sich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Urteil auf die formel­<br />

len Gesichtspunkte des Rechtsschutzes. 173 Für die Rechts­<br />

suchenden wäre jedoch <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e wichtig, dass sie <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em rechtsstaatlichen Delist<strong>in</strong>g-Verfahren ihre materielle<br />

Unschuld geltend machen könnten.<br />

[Rz 82] In künftigen Fällen dieser Art wird das Bundesge­<br />

richt bei dieser Sachlage prüfen müssen, ob es an se<strong>in</strong>er<br />

vorn geschil<strong>der</strong>ten Rechtsprechung fest halten kann. Se<strong>in</strong><br />

vorn erwähntes Urteil vom 14. November 2007 wird gegen­<br />

wärtig vom EGMR auf die Vere<strong>in</strong>barkeit mit <strong>der</strong> <strong>EMRK</strong> h<strong>in</strong><br />

überprüft.<br />

4.4 Freiheit <strong>der</strong> Me<strong>in</strong>ungsäusserung (Art. 16<br />

SV, Art. 10 <strong>EMRK</strong>)<br />

[Rz 83] E<strong>in</strong>schränkungen <strong>der</strong> Me<strong>in</strong>ungsäusserungsfreiheit<br />

durch den Staat dürfen nur gestützt auf e<strong>in</strong>e gesetzliche<br />

Grundlage erfolgen. Sie müssen durch e<strong>in</strong> öffentliches Inte­<br />

resse o<strong>der</strong> durch den Schutz von Grundrechten Dritter ge­<br />

rechtfertigt und verhältnismässig se<strong>in</strong> (Art. 36 LV.m. Art. 16<br />

BV). Diese Voraussetzungen müssen auch nach Art. 10<br />

<strong>EMRK</strong> erfüllt se<strong>in</strong>. Nach Art. 10Ziff. 2 <strong>EMRK</strong> muss <strong>der</strong> E<strong>in</strong>griff<br />

<strong>in</strong> die Me<strong>in</strong>ungsäusserungsfreiheit vom Gesetz vorgesehen<br />

se<strong>in</strong> und e<strong>in</strong>en legitimen Zweck verfolgen. Überdies muss er<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er demokratischen Gesellschaft notwendig se<strong>in</strong>. Wie<br />

die folgenden Beispiele zeigen, bietet das letztgenannte Er­<br />

for<strong>der</strong>nis für die <strong>Schweiz</strong> am meisten Probleme.<br />

4.4.1 Fall Hertel<br />

[Rz 84] Hans Ulrich Hertel publizierte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Fachzeitschrift<br />

e<strong>in</strong>en Artikel mit dem Titel «Vergleichende Untersuchun­<br />

gen über die Bee<strong>in</strong>flussung des Menschen durch konven­<br />

tionell und im Mikrowellenofen aufbereitete Nahrung». Das<br />

171 Urteil des EuGH vom 3. Seplember 2008 C-402/05 und C-415/05 Yass<strong>in</strong><br />

Abdullah Kadi und AI Barakaat International Foundalion, <strong>in</strong>: EuGRZ 2008 S.<br />

480 ff.<br />

m EuGRZ 2008 S. 50t<br />

173 -Grundrechte gelten auch bei Uno-Sanktionen», NZZ vom 4. September<br />

2008 S. 3.<br />

20<br />

Handelsgericht des Kantons Bern hiess mit Urteil vom 19.<br />

März 1993 e<strong>in</strong>e Klage des Fachverbandes für Elektroappara­<br />

te gut und verbot Hertel unter Strafandrohung e<strong>in</strong>erseits «die<br />

Behauptung aufzustellen, im Mikrowellenherd zubereitete<br />

Speisen seien gesundheitsschädlich und führten zu Verände­<br />

rungen im Blut ihrer Konsumenten, welche auf e<strong>in</strong>e krankhaf­<br />

te Störung h<strong>in</strong>weisen und e<strong>in</strong> Bild zeigten, das für den Beg<strong>in</strong>n<br />

e<strong>in</strong>es kanzerogenen Prozesses gelten könnte», und an<strong>der</strong>er­<br />

seits «<strong>in</strong> Publikationen o<strong>der</strong> öffentlichen Vorträgen über Mik­<br />

rowellenherde die Abbildung e<strong>in</strong>es Sensemannes o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>es<br />

ähnlichen Todessymboles zu verwenden». Die dagegen er­<br />

hobene Berufung Hertels wies das Bundesgericht mit Urteil<br />

vom 25. Februar 1994 ab, soweit es darauf e<strong>in</strong>trat.'74 In <strong>der</strong><br />

Folge kam <strong>der</strong> EGMR zum Schluss die bundesgerichtliche<br />

Beurteilung des Falles verletze Art. 10 <strong>EMRK</strong>. An <strong>der</strong> gesetz­<br />

lichen Grundlage im UWG'75 (Art. 2 und Art. 3 UWG) und am<br />

Erfor<strong>der</strong>nis <strong>der</strong> Verfolgung e<strong>in</strong>es legitimen Zwecks bestand<br />

ke<strong>in</strong> Zweifel. H<strong>in</strong>gegen hielt <strong>der</strong> EGMR den E<strong>in</strong>griff nicht für<br />

notwendig <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er demokratischen Gesellschaft. Für den<br />

Gerichtshof ist die Me<strong>in</strong>ungsäusserungsfreiheit e<strong>in</strong>es <strong>der</strong><br />

entscheidenden Fundamente e<strong>in</strong>er demokratischen Gesell­<br />

schaft und e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> wichtigsten Voraussetzungen für Ent­<br />

faltung und Fortschritt des Menschen. Ihre E<strong>in</strong>schränkung<br />

setzt e<strong>in</strong> dr<strong>in</strong>gendes gesellschaftliches Bedürfnis voraus.<br />

Für die Beurteilung <strong>der</strong> Frage, ob e<strong>in</strong> solches Bedürfnis ge­<br />

geben ist, verfügen die Vertragsstaaten über e<strong>in</strong>en grossen<br />

Ermessensspielraum. Diesen hat das Bundesgericht im Fall<br />

Hertel nach Auffassung des EGMR nicht e<strong>in</strong>gehalten. Er hielt<br />

dafür, es gehe <strong>in</strong> diesem Fall nicht um re<strong>in</strong> wirtschaftliche Äu­<br />

sserungen, son<strong>der</strong>n um die Teilnahme an e<strong>in</strong>er allgeme<strong>in</strong>en<br />

Diskussion über öffentliche Gesundheits<strong>in</strong>teressen. Der Be­<br />

schwerdeführer sei we<strong>der</strong> an <strong>der</strong> Herausgabe <strong>der</strong> Zeitschrift<br />

noch an <strong>der</strong> graphischen Gestaltung des Artikels beteiligt<br />

gewesen. Der E<strong>in</strong>fluss <strong>der</strong> Publikation <strong>in</strong> <strong>der</strong> betreffenden<br />

Zeitschrift sei e<strong>in</strong> beschränkter. Die getroffene Massnahme<br />

müsse unter diesen Umständen nicht zuletzt mit Blick auf die<br />

dem Beschwerdeführer gegenüber angedrohten Geld- und<br />

Freiheitsstrafen als unverhältnismässig und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er demo­<br />

kratischen Gesellschaft nicht notwendig angesehen werden.<br />

Das Urteil stellt e<strong>in</strong> wichtiges PräjUdiz dar, das <strong>der</strong> EGMR<br />

auch <strong>in</strong> neueren Urteilen noch zitiert. 176<br />

[Rz 85) In e<strong>in</strong>em <strong>in</strong> <strong>der</strong> Folge getroffenen Nichtzulassungs­<br />

entscheid vom 17. Januar 2002 hielt <strong>der</strong> EGMR dagegen das<br />

Hertel gegenüber ausgesprochene Verbot als mit Art. 10<br />

17' Urtei14C299/1993 vom 25. Februar 1994.<br />

17\ Bundesgesetz vom 19. Dezember 1986 gegen den unlauleren Wettbewerb,<br />

SR 241.<br />

176 Vgl. z.B. Urteil des EGMR Stolt gegen <strong>Schweiz</strong> vom 10. Dezember 2007 §<br />

101 und Urteil des EGMR Vere<strong>in</strong> genen Tiertabriken (VgT) gegen SchweiZ<br />

vom 4. Oktober 2007 § 61; Urteil des EGMR Vere<strong>in</strong> gegen Tierfabriken<br />

(VgT) gegen <strong>Schweiz</strong> vom 30. Juni 2009, §§ 30, 52, 56. 62 (Grosse Kam·<br />

mer betreffend das Urteil des EGMR Vere<strong>in</strong> gegen Tiertabriken [VgT] ge·<br />

gen <strong>Schweiz</strong> vom 4. Oktober 2007 und BGE 12311402, 2A.330/1996 vom<br />

20. August 1997).

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