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Zur Umsetzung der EMRK in der Schweiz - Hydepark

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He<strong>in</strong>z Aemisegger, <strong>Zur</strong> <strong>Umsetzung</strong> <strong>der</strong> <strong>EMRK</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schweiz</strong>, <strong>in</strong>: Jusletler 20. Juli 2009<br />

haftrichterlichen Entscheid dürfen mit Blick auf Art. 5 liff. 4<br />

<strong>EMRK</strong> nicht mehr als e<strong>in</strong>ige Tage bis wenige Wochen lie­<br />

gen. E<strong>in</strong>e Verletzung des Beschleunigungsgebots haben das<br />

Bundesgericht und <strong>der</strong> Gerichtshof für Menschenrechte bei<br />

e<strong>in</strong>er Dauer von 31, 41 bzw. 46 Tagen bejaht, wenn die Haft­<br />

prüfung ke<strong>in</strong>e beson<strong>der</strong>en Probleme aufwarf. In an<strong>der</strong>en Fäl­<br />

len hat das Bundesgericht angesichts beson<strong>der</strong>er Umstände<br />

Haftprüfungsverfahren von rund vier, fünf bzw. sieben Wo­<br />

chen als grundrechtskonform bezeichnet. Der Anspruch auf<br />

e<strong>in</strong>en Entscheid «<strong>in</strong>nerhalb kurzer Frist» wird nach Ansicht<br />

des Bundesgerichts dann nicht verletzt, wenn <strong>der</strong> Behörde<br />

aufgrund <strong>der</strong> Umstände des Falles e<strong>in</strong> früherer Entscheid<br />

vernünftigerweise nicht möglich war. Der EGMR erachtet<br />

Entscheidungsfristen von mehr als fünf Wochen jedenfalls<br />

als zu lang.'3B<br />

4.2.3 Anspruch auf öffentliche Verhandlung<br />

[Rz 69] Nach Art. 6 liff. 1 <strong>EMRK</strong> ist <strong>in</strong> Streitigkeiten über<br />

"zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen» e<strong>in</strong>e (münd­<br />

liche) öffentliche Verhandlung durchzuführen, sofern die<br />

Parteien nicht ausdrücklich o<strong>der</strong> stillschweigend darauf<br />

verzichten.'39 Von Art. 6 liff. 1 <strong>EMRK</strong> werden nicht nur zivil­<br />

rechtliche Streitigkeiten im eigentlichen S<strong>in</strong>ne erfasst, son­<br />

<strong>der</strong>n auch Verwaltungsakte hoheitlich handeln<strong>der</strong> Behörden,<br />

die massgeblich <strong>in</strong> private Rechtspositionen e<strong>in</strong>greifen. 140 lu<br />

den livilansprüchen gehören nach <strong>der</strong> Rechtsprechung des<br />

EGMR auch Ansprüche mit öffentlich-rechtlichem Charak­<br />

ter wie etwa sozialversicherungsrechtliche Ansprüche und<br />

nachbarrechtliche Abwehransprüche im Bau-, Planungs- und<br />

Umweltrecht. l4l Weil die Parteien auch stillschweigend auf<br />

ihren Anspruch auf e<strong>in</strong>e mündliche öffentliche Verhandlung<br />

verzichten können, haben sie <strong>in</strong> jenen Verfahren, für die das<br />

anwendbare Prozessrecht e<strong>in</strong>e solche nicht zw<strong>in</strong>gend vor­<br />

schreibt, rechtzeitig e<strong>in</strong>en dah<strong>in</strong>gehenden Verfahrensantrag<br />

zu stellen. Unterlassen sie dies, wird angenommen, sie hät­<br />

ten auf ihren Anspruch aus Art. 6 liff. 1 <strong>EMRK</strong> verzichtet.'42<br />

[Rz 70] Wenn das Bundesgericht <strong>in</strong> solchen Verfahren als<br />

e<strong>in</strong>ziges Gericht tätig war, führte es bisweilen e<strong>in</strong>e öffentliche<br />

Verhandlung durch, um den <strong>in</strong> Art. 6 liff. 1 <strong>EMRK</strong> veranker­<br />

ten Grundsätzen zu genügen. Gleich verfuhr es ab und zu,<br />

um Versäumnisse unter<strong>in</strong>stanzlicher Gerichte nachzuho­<br />

len. 143 In <strong>der</strong> Regel beauftragt es jedoch unter<strong>in</strong>stanzliehe<br />

138 Urteil des EGMR Fuchser gegen <strong>Schweiz</strong> vom 13. Juli 2006; Urteil des<br />

Bundesgerichts 1B_115/2007 vom 12. Juli 2007 E. 2.3 mit H<strong>in</strong>weisen.<br />

139 Urteil des EGMR Schlumpf gegen <strong>Schweiz</strong> vom 8. Januar 2009; Urteil des<br />

EGMR Hurter gegen <strong>Schweiz</strong> vom 15. Dezember 2005 betreffend das Urteil<br />

2P.178/1998 vom 26. Februar 1999.<br />

14' BGE 134 1331 E. 2 und 3 S. 332 11. mit H<strong>in</strong>weisen.<br />

141 BGE 127 I 44 E. 2c S. 45 1.; 128 I 59 E. 2 a/bb S. 61; Haflrichter: Urteil<br />

1B_55/2007 vom 2. Mai 2007.<br />

14' BGE 134 I 331 E 2.3 S. 333 mit H<strong>in</strong>weisen.<br />

143 AEMISEGGER, Öffentlichkeitspr<strong>in</strong>zip (Fn. 115), S. 380 ff. und 385 ff.<br />

17<br />

Gerichte mit dieser Aufgabe. t44 E<strong>in</strong>e Heilung dieses Mangels<br />

durch e<strong>in</strong>e öffentliche Parteiverhandlung im Verfahren vor<br />

Bundesgericht ist meist schon mit Blick auf dessen engere<br />

Kognition ausgeschlossen.<br />

4.2.4 Rechtliches Gehör<br />

[Rz 71] Das Recht auf e<strong>in</strong> faires Verfahren umfasst gemäss<br />

Art. 6 liff. 1 <strong>EMRK</strong> das Recht <strong>der</strong> Parteien, von jedem Akten­<br />

stück und je<strong>der</strong> dem Gericht e<strong>in</strong>gereichten Stellungnahme<br />

Kenntnis zu nehmen und sich dazu äussern zu können, so­<br />

fern sie dies für erfor<strong>der</strong>lich hallen.'45 Dabei ist es unerheb­<br />

lich, ob e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>gabe neue Tatsachen o<strong>der</strong> Argumente enthält<br />

und ob sie das Gericht tatsächlich zu bee<strong>in</strong>flussen vermag.'46<br />

Nur unter ganz beson<strong>der</strong>en, ausserordentlichen Umständen<br />

lässt es <strong>der</strong> EGMR zu, dass e<strong>in</strong> Schriftstück den Parteien<br />

vor <strong>der</strong> Urteilsfällung nicht zugestellt wird. Er (la Cour) nennt<br />

dabei die folgenden Voraussetzungen: "que la non-commu­<br />

nication d'une piece de la procedure et f'impossibilite pour le<br />

requerant de la discuter n'avait pas porte atte<strong>in</strong>te a I'equite<br />

de la procedure, dans la mesure ou elle a juge que cette fa­<br />

culte n'aurait eu aucune <strong>in</strong>cidence sur I'issue du litige et ou<br />

la solution juridique retenue ne pretait guere adiscussion.»147<br />

Bee<strong>in</strong>flusst von dieser Strassburger Rechtsprechung wendet<br />

das Bundesgericht heute die Grundsätze des «fair trial» ge­<br />

mäss Art. 6 liff. 1 <strong>EMRK</strong> und Art. 29 Abs. 1 BV als allgemei­<br />

ne Verfahrensgrundsätze allgeme<strong>in</strong> und nicht nur <strong>in</strong> zivil- und<br />

strafrechtlichen Verfahren an. t4B<br />

[Rz 72] Der EGMR umschreibt die Anfor<strong>der</strong>ungen an das<br />

Vorgehen <strong>der</strong> Gerichte zur Sicherstellung des rechtlichen<br />

Gehörs unterschiedlich. Im Urteil Ressegatti begründet er<br />

die Verletzung von Art. 6 liff. 1 <strong>EMRK</strong> durch die <strong>Schweiz</strong><br />

damit, <strong>der</strong> Beschwerdeführer sei zu Unrecht nicht e<strong>in</strong>gela­<br />

den worden, sich zu den Bemerkungen <strong>der</strong> Vor<strong>in</strong>stanz, e<strong>in</strong>er<br />

Verwaltungsbehörde o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Gegenpartei zu äussern.'49 Im<br />

Entscheid Spang verlangt <strong>der</strong> EGMR dagegen nur, die Ver­<br />

fahrensparteien müssten die Möglichkeit haben, sich zu den<br />

AusfÜhrungen des Bundesamtes vernehmen zu lassen.'5o In<br />

144 BGE 134 1331 E. 3.1 S. 3351. mit H<strong>in</strong>weisen.<br />

14\ Urteil des EGMR Ni<strong>der</strong>öst-Huber gegen <strong>Schweiz</strong> vom 18. Februar 1997,<br />

Recueil CourEDH 1997-1 S. 101 fl. § 24, mit H<strong>in</strong>weis auf die Urteile Lobo<br />

Machado c. Portugal und Vermeufen c. Belgique vom 20. Februar 1996,<br />

Recueil CourEDH 1996-1 S. 206 § 31 und S. 234 § 33.<br />

146 BGE 133 I 100 E. 4 (lA.56/2006 vom 11. Januar 2007); 133 198 E. 2.2<br />

(1A.10/2006 vom 14. Dezember 2006); 132 142 (lA.92/2005 vom 22. November<br />

2005); Urleil des EGMR Ni<strong>der</strong>öst-Huber, a.a.O. (Fn. 145) §§ 27<br />

und 29; vgl. aus jüngster Zeit Urteile EGMR Ressegatti gegen <strong>Schweiz</strong> vom<br />

13. Juli 2006 §§ 30-33 und Spang gegen <strong>Schweiz</strong> vom 11. Oktober 2005<br />

§§ 32 1., letzteres publ. <strong>in</strong> Plädoyer 612005 S. 82.<br />

147 Urteil des EGMR Asnar gegen France vom 18. Oktober 2007 § 26 mit<br />

H<strong>in</strong>weisen.<br />

146 BGE 133 1100 E. 4.6 (1A.56/2006 vom 11. Januar 2007); vgl. auch Urteil<br />

1C_407/2007 und 1C_409/2007 vom 31. Januar 2008.<br />

149 Urteil des EGMR Ressegatli gegen SChweiz vom 13. Juli 2006 § 30.<br />

15' Urteil des EGMR Spang gegen <strong>Schweiz</strong> vom 11. Oktober 2005 §§ 32 1.,

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