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Zur Umsetzung der EMRK in der Schweiz - Hydepark

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He<strong>in</strong>z Aemisegger, <strong>Zur</strong> <strong>Umsetzung</strong> <strong>der</strong> <strong>EMRK</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schweiz</strong>, <strong>in</strong>: Jusleller 20. Juli 2009<br />

durch e<strong>in</strong>e sorgfältige Geltendmachung <strong>der</strong> <strong>in</strong> Frage kom­<br />

menden <strong>EMRK</strong>-Garantien im <strong>in</strong>nerstaatlichen Verfahren viel<br />

zur korrekten Erschöpfung des <strong>in</strong>nerstaatlichen Instanzen­<br />

zugs beitragen können. Für den EGMR bedeutet das, dass<br />

er sich bei <strong>der</strong> Anwendung des E<strong>in</strong>tretenserfor<strong>der</strong>nisses<br />

<strong>der</strong> Erschöpfung des <strong>in</strong>nerstaatlichen Instanzenzugs mehr<br />

<strong>Zur</strong>ückhaltung auferlegen und dem <strong>in</strong>nerstaatlichen Verfah­<br />

rensrecht mehr Rechnung tragen sollte. Umgekehrt ist es<br />

wohl angezeigt, dass das Bundesgericht namentlich bei den<br />

Anfor<strong>der</strong>ungen an die Begründungs- und Rügepflicht <strong>in</strong> EM­<br />

RK-Fällen bisweilen etwas grosszügiger verfährt und dabei<br />

an se<strong>in</strong>e Praxis, s<strong>in</strong>ngemäss erhobene Rügen genügen zu<br />

lassen, anknüpft. Auch beim Erfor<strong>der</strong>nis des Rechtsschutz<strong>in</strong>­<br />

teresses sowie bei <strong>der</strong> Sachverhaltsfeststellung ist mitunter<br />

fallweise e<strong>in</strong> etwas weniger strenges Vorgehen ratsam. Für<br />

die nationalen Instanzen stellt sich somit die Frage, <strong>in</strong>wieweit<br />

sie die formellen Anfor<strong>der</strong>ungen an das Beschwer<strong>der</strong>echt<br />

<strong>in</strong> völkerrechtskonformer Interpretation <strong>der</strong> entsprechenden<br />

<strong>in</strong>nerstaatlichen Prozessbestimmungen ähnlich grosszügig<br />

handhaben sollen wie <strong>der</strong> EGMR. Für die <strong>Schweiz</strong> ist ver­<br />

tieft zu überlegen, ob <strong>in</strong> <strong>EMRK</strong>-Fällen mit Blick auf e<strong>in</strong>en<br />

allfälligen ..Weiterzug.. an den EGMR das <strong>in</strong>nerstaatlich <strong>in</strong><br />

Art. 111 BGG verankerte Pr<strong>in</strong>zip <strong>der</strong> E<strong>in</strong>heit des Verfahrens<br />

ausgeprägter als bisher analog angewendet werden könnte.<br />

Solche Bemühungen würden jedenfalls zu e<strong>in</strong>er besseren<br />

<strong>Umsetzung</strong> <strong>der</strong> <strong>EMRK</strong> beitragen. Überdies würden damit un­<br />

nötige Verurteilungen durch den EGMR, an denen niemand<br />

<strong>in</strong>teressiert se<strong>in</strong> kann, vermieden.<br />

4. Beispiele aus <strong>der</strong> Rechtsprechung<br />

des Bundesgerichts<br />

[Rz 53] Die folgenden Beispiele aus <strong>der</strong> Rechtsprechung des<br />

Bundesgerichts und des EGMR beziehen sich auf e<strong>in</strong>zelne<br />

Garantien <strong>der</strong> <strong>EMRK</strong>, wobei die Art. 5 Ziff. 3 und 4 <strong>EMRK</strong><br />

(Recht auf Freiheit und Sicherheit), Art. 6 Ziff. 1 und 2 <strong>EMRK</strong><br />

(Recht auf e<strong>in</strong> faires Verfahren), Art. 8 <strong>EMRK</strong> (Recht auf Ach­<br />

tung des Privat- und Familienlebens) und 10 <strong>EMRK</strong> (Freiheit<br />

<strong>der</strong> Me<strong>in</strong>ungsäusserung) im Vor<strong>der</strong>grund stehen.<br />

4.1 Öffentlichkeitspr<strong>in</strong>zip<br />

4.1.1 Allgeme<strong>in</strong>es<br />

[Rz 54] In se<strong>in</strong>er Rechtsprechung zum Öffentlichkeitspr<strong>in</strong>­<br />

zip sucht das Bundesgericht e<strong>in</strong>en Ausgleich zwischen den<br />

gegenläufigen Interessen von allgeme<strong>in</strong>em Publikum und<br />

den Medien e<strong>in</strong>erseits und den Prozessbeteiligten an<strong>der</strong>er­<br />

seits. Dabei stösst das Öffentlichkeitspr<strong>in</strong>zip jedenfalls dort<br />

an Grenzen, wo Verfahrensbeteiligten und Dritten durch<br />

unzulässige und unverhältnismässige Bee<strong>in</strong>trächtigung <strong>der</strong><br />

Privatsphäre Schaden zugefügt wird (Art. 13 BV, 8 und 10<br />

<strong>EMRK</strong> und Art. 28 ff. ZGB) und wo die verfahrensrechtli­<br />

che und <strong>in</strong> <strong>der</strong> Folge auch die materiellrechtliche Situation<br />

14<br />

ungerechtfertigt bee<strong>in</strong>trächtigt wird. Führen etwa im Straf­<br />

prozess Medienberichte zu unzulässigen Vorverurteilungen<br />

(Unschuldsvermutung, Art. 32 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 2<br />

<strong>EMRK</strong>), so ist dies mitunter bei <strong>der</strong> Strafzumessung straf­<br />

m<strong>in</strong><strong>der</strong>nd zu berücksichtigen. Die Gerichte dürfen es jedoch<br />

nicht dabei bewenden lassen, son<strong>der</strong>n müssen Gefährdun­<br />

gen <strong>der</strong> Garantie <strong>der</strong> Unschuldsvermutung aktiv bekämpfen.<br />

In diesem S<strong>in</strong>ne können sie den Medien gegenüber geeigne­<br />

te Massnahmen ergreifen (Ermahnungen zur Respektierung<br />

<strong>der</strong> Unschuldsvermutung, Anonymisierung von Personen<br />

und Sachverhaltsdarstellungen, Sperrfrist für die Bericht­<br />

erstattung, ausnahmsweiser teilweiser Ausschluss von <strong>der</strong><br />

Verhandlung usw.). Sie dürfen das Öffentlichkeitspr<strong>in</strong>zip von<br />

Art. 30 Abs. 3 BV dadurch jedoch nicht unterlaufen." 5 Nach<br />

diesem Justizverfassungsgrundsatz s<strong>in</strong>d GeriChtsverhand­<br />

lung und Urteilsverkündung öffentlich, wobei das Gesetz<br />

Ausnahmen vorsehen kann.<br />

[Rz 55) Für den Bereich <strong>der</strong> Rechtsprechung hat <strong>der</strong> Bun­<br />

desgesetzgeber gestützt auf Art. 30 Abs. 3 BV spezielle Re­<br />

gelungen aufgestellt. Zu erwähnen s<strong>in</strong>d etwa die Art. 27, 28<br />

und 59 BGG sowie verschiedene Vorschriften des SGG,116<br />

des VGGlI7 und des BGA,118.119 Auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schweiz</strong>erischen<br />

Strafprozessordnung l2O und <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schweiz</strong>erischen Zivilpro­<br />

zessordnung l2 ! s<strong>in</strong>d wichtige Vorschriften zum Öffentlich­<br />

keitspr<strong>in</strong>zip vorgesehen. 122<br />

[Rz 56] Zu erwähnen ist <strong>in</strong> diesem Zusammenhang auch<br />

die Kommunikations- und Me<strong>in</strong>ungsfreiheit (Art. 16 Abs. 1<br />

und 2 BV), die Informationsfreiheit (Art. 16 Abs. 3 BV), die<br />

115 Zum Ganzen BGE 12B IV 97 E. 3b S. 104; 113 la 309; Urteil des Obergerichts<br />

des Kanlons Schaffhausen vom 24.10.2003, ZBI2005 210 ff.; HEINz<br />

AEMISEGGER <strong>in</strong>: Pierre Tschannen (Hrsg.), Neue Bundesrechtspllege, Berner<br />

Tage für die juristische Praxis, BTJP 2006, Bero 2007 (zit. Aemisegger,<br />

Öffentlichkeitspr<strong>in</strong>zip), S. 378 1.; URS SAXER, Vom Öllentlichkeilspr<strong>in</strong>zip<br />

zur Justizkommunikation, - Rechtsstaatliche Determ<strong>in</strong>anten e<strong>in</strong>er verstärkten<br />

Öffentlichkeitsarbeit <strong>der</strong> Gerichte, ZSR 2006 I S. 459 fl., 468 1..<br />

473 11.: FRANZ ZELLER. Medien und Hauptverhandlung. Menschenrechtliche<br />

Leitplanken, <strong>in</strong>: Justice-Jusliz-Giuslizia 2006 Rz. 20, 43 ff .. 50, 53 fl.<br />

68 fl.; AtlDREAs AUER/GIORGIO MALINVERNI/MICHEL HOTTElIER, OroH constitutionnel<br />

suisse, Bero 2006, 2. Aufl" Band 11 Rz. 1290; HANs PETER WAllER, Gedanken<br />

zum Richteramt, ZBJV 1991 S. 611 fl., 6301.; GEDRG MÜLLER. Justiz,<br />

Politik und Medien <strong>in</strong>: Mensch und Staat, Festschrift für Thomas Fle<strong>in</strong>er,<br />

Freiburg 2003, S. 54511.,555.<br />

116 Vgl. die Art. 25 SGG und 30 SGG LV.m. den Art. 24 und 178 BSIP.<br />

111 Vgl. die Art. 40 rr. VGG.<br />

111 Bundesgesetz vom 26. Juni 1998 über die Archivierung (Archivierungsge­<br />

setz, BGA), SR 152.1.<br />

119 AEMISEGGER, Öffentlichkeitspr<strong>in</strong>zip (Fn. 115) 411 fl.<br />

120 <strong>Schweiz</strong>erische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung<br />

SIPO), BBI 20076977 fl., vgl. z.B. Art. 69 lf., Art. 73 Ir. und Arl<br />

84 ft. SIPO; Botschaft zur Vere<strong>in</strong>heitlichung des Slrafprozessrechls, BBI<br />

2006108511.; vgl. z.B. Art. 67, 33611. und 412 r. E-StPO.<br />

121 <strong>Schweiz</strong>erische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung,<br />

ZPO), BBI 2009 21 fl., vgl. z.B. Art. 54 ZPO; Botschaft<br />

zur <strong>Schweiz</strong>erischen Zivilprozessordnung (ZPO) BBI 2006 7221 fl.; vgl.<br />

Art. 52 E-ZPO.<br />

121 AfMISfGGER, Öffenllichkeitspr<strong>in</strong>zip (Fn. 115), S. 414 ff.

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