Zur Umsetzung der EMRK in der Schweiz - Hydepark
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He<strong>in</strong>z Aemisegger, <strong>Zur</strong> <strong>Umsetzung</strong> <strong>der</strong> <strong>EMRK</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schweiz</strong>, <strong>in</strong>: Jusletter 20. Juli 2009<br />
3. Erschöpfung des <strong>in</strong>nerstaatlichen<br />
Rechtswegs als Zulässigkeitsvor<br />
aussetzung <strong>der</strong> Beschwerde an den<br />
EGMR<br />
3.1 Inhalt und Bedeutung von Art. 35 Abs. 1<br />
<strong>EMRK</strong><br />
[Rz 39] Der EGMR kann sich nach Art. 35 Abs. 1 <strong>EMRK</strong> mit<br />
e<strong>in</strong>er Angelegenheit erst nach Erschöpfung aller <strong>in</strong>nerstaatli<br />
chen Rechtsbehelfe befassen. Der Beschwerdeführer muss<br />
die <strong>EMRK</strong>-relevanten Rügen den <strong>in</strong>nerstaatlichen Behörden<br />
verfahrensrechtlich korrekt vortragen. Dem e<strong>in</strong>zelnen Staat<br />
soll ermöglicht werden, e<strong>in</strong>er behaupteten Konventionsver<br />
letzung mit eigenen Mitteln zu begegnen. 9B Der Menschen<br />
rechtsschutz sollte nicht auf die <strong>in</strong>ternationale Ebene verla<br />
gert werden. 9 " Es ist grundsätzlich den e<strong>in</strong>zelnen Staaten<br />
überlassen, das Verfahren zu regeln, <strong>in</strong> welchem die <strong>EMRK</strong><br />
Garantien <strong>in</strong>nerstaatlich geltend gemacht werden können.<br />
Voraussetzung ist e<strong>in</strong>zig, dass es für die Rechtssuchenden<br />
zumutbar ist, die <strong>in</strong>nerstaatlichen Verfahrensgrundsätze e<strong>in</strong><br />
zuhalten.'oo Der EGMR betont daher immer wie<strong>der</strong>, dass für<br />
ihn die materielle Verwirklichung <strong>der</strong> <strong>EMRK</strong>-Garantien <strong>in</strong> den<br />
47 europäischen Mitgliedstaaten <strong>der</strong> Konvention entschei<br />
dend sei. Wie die nachfolgenden Ausführungen zeigen, wählt<br />
er bei <strong>der</strong> <strong>Umsetzung</strong> <strong>der</strong> genannten Grundsätze jedoch ei<br />
nen betont pragmatischen, eigenständigen Weg. Zwar wen<br />
det er sich zu Recht dagegen, dass <strong>in</strong> den e<strong>in</strong>zelnen Län<strong>der</strong>n<br />
zu hohe formelle Hürden für den Zugang zum Rechtsschutz<br />
aufgebaut werden. Er will auf diese Weise verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n, dass<br />
die Mitgliedstaaten durch übertriebene formelle Prozessvo<br />
raussetzungen und Überprüfungsbeschränkungen sowie<br />
durch überspitzten Formalismus im nationalen Verfahren<br />
die <strong>EMRK</strong>-Garantien unterlaufen. Grundsätzlich ist es aber<br />
auch nach Auffassung des EGMR Sache <strong>der</strong> Konventions<br />
staaten, die <strong>in</strong>nerstaatlichen formellen Anfor<strong>der</strong>ungen an<br />
das Beschwer<strong>der</strong>echt zu bestimmen. Ihre Rechtsetzungs<br />
und Rechtsanwendungsorgane dürfen dabei das Beschwer<br />
<strong>der</strong>echt lediglich nicht aushöhlen und auf diese Weise die<br />
Gewährleistung des Rechtsschutzes durch den EGMR ver<br />
unmöglichen.'ol In <strong>der</strong> Praxis räumt <strong>der</strong> Gerichtshof jedoch<br />
dem <strong>in</strong>nerstaatlichen Prozessrecht bisweilen nicht den ihm<br />
zustehenden Stellenwert e<strong>in</strong>, auch wenn es für die Rechts<br />
suchenden zumutbar ist, die entsprechenden Verfahrensvor<br />
schriften e<strong>in</strong>zuhalten.<br />
[Rz 40] Entsprechend <strong>der</strong> <strong>in</strong>nerstaatlichen Ausgestaltung des<br />
.. HAEfLIGERISCHÜRMANN (FN. 9), S. 401; lANTER (Fn. 9), S. 59 f.<br />
99 lANTER (Fn. 9), S. 38.<br />
100 lANTER (Fn. 17), S. 213.<br />
101 Urteil des EGMR Anker! gegen <strong>Schweiz</strong> vom 23. Oktober 1996 § 34 LV.rn §<br />
21 betreffend das Urteil des Bundesgerichts 4P.183/1990 E.E. 2b; lANTER<br />
(Fn. 17), S. 671.<br />
11<br />
Rechtsschutzes kam <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schweiz</strong> bisher <strong>in</strong> letzter Instanz,<br />
abgesehen von wenigen Ausnahmen,'02 e<strong>in</strong> Rechtsmittel ans<br />
Bundesgericht <strong>in</strong> Frage. In Bezug auf Entscheide letzter kan<br />
tonaler Instanzen ist dies mit Blick auf die subsidiäre Verfas<br />
sungsbeschwerde unverän<strong>der</strong>t geblieben. Demgegenüber<br />
können nicht alle Entscheide <strong>der</strong> beiden auf Bundesebene<br />
neu geschaffenen Gerichte (Bundesstrafgericht und Bun<br />
desverwaltungsgericht) ans Bundesgericht weitergezogen<br />
werden. Soweit diese beiden unter<strong>in</strong>stanzlichen Gerichte<br />
des Bundes letzt<strong>in</strong>stanzlich entscheiden, können ihre Urteile<br />
<strong>in</strong> <strong>EMRK</strong>-relevanten Punkten direkt beim Europäischen Ge<br />
richtshof für Menschenrechte angefochten werden.<br />
3.2 Nichte<strong>in</strong>tretensentscheide <strong>der</strong> Konventi<br />
onsstaaten<br />
[Rz 41] Tritt die letzte <strong>in</strong>nerstaatliche Instanz aus formellen<br />
Gründen auf e<strong>in</strong> Rechtsmittel nicht e<strong>in</strong>, so gilt <strong>der</strong> Rechts<br />
weg im S<strong>in</strong>ne von Art. 35 <strong>EMRK</strong> grundsätzlich nicht als er<br />
schöpft. Das ist etwa <strong>der</strong> Fall bei Nichte<strong>in</strong>tretensentscheiden<br />
des Bundesgerichts wegen Nichtbeachtung <strong>der</strong> Rechtsmit<br />
telfrist (Art. 100 i.V.m Art. 44 ff. BGG), <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong>en Be<br />
gründungspflicht (Art. 42 Abs. 2 BGG) sowie <strong>der</strong> namentlich<br />
auf die Grundrechte zugeschnittenen beson<strong>der</strong>en Rüge- und<br />
Begründungspflicht nach Art. 106 Abs. 2 BGG.<br />
3.2.1 Qualifizierte Rüge- und Begründungspflicht<br />
(Art. 106 Abs. 2 BGG)<br />
[Rz 42] Die E<strong>in</strong>tretensvoraussetzung von Art. 35 Ziff. 1 <strong>EMRK</strong><br />
ist erfüllt, wenn das Bundesgericht o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e letzte<br />
nationale Instanz e<strong>in</strong> <strong>EMRK</strong>-Grundrecht von Amtes wegen<br />
geprüft hat. Zudem ist es für die materielle Behandlung ei<br />
ner Streitsache durch den EGMR nicht nötig. dass sich<br />
Rechtssuchende im <strong>in</strong>nerstaatlichen Verfahren formell auf<br />
die konkreten Vorschriften <strong>der</strong> <strong>EMRK</strong> berufen haben. Viel<br />
mehr genügt es, wenn diese Rügen im nationalen Verfahren<br />
im Wesentlichen s<strong>in</strong>ngemäss erhoben worden s<strong>in</strong>d. 103 Der<br />
EGMR schreibt, die Rüge müsse «au mo<strong>in</strong>s en substance,<br />
dans les formes et delais prescrits par le droit <strong>in</strong>terne, devant<br />
les juridictions nationales competentes» geltend gemacht<br />
worden se<strong>in</strong>. Er fügt aber sogleich - und <strong>in</strong> gewisser Wei<br />
se wi<strong>der</strong>sprüchlich - an, die s<strong>in</strong>ngemässe Anrufung e<strong>in</strong>er<br />
<strong>EMRK</strong>-Garantie im nationalen Verfahren genüge für das E<strong>in</strong><br />
treten im Strassburger Verfahren. Er wendet das Erfor<strong>der</strong>nis<br />
<strong>der</strong> Erschöpfung des <strong>in</strong>nerstaatlichen Instanzenzugs mit ei<br />
ner gewissen Souplesse an.'04 S<strong>in</strong>d diese Voraussetzungen<br />
102 MARK E. VILLIGER, (Fn. 73), S. 87 N. 129.<br />
103 MARK E. VILLIGER (Fn. 73), S. 89 N. 134 1.; vgl. z.B. Urteil des EGMR Glor gegen<br />
<strong>Schweiz</strong> vom 30. April 2009 § 55 betrel1end das Urteil des Bundesgerichts<br />
2A.590/2003 vom 9. März 2004 (Befreiung vom Wehrpflichtersatz).<br />
104 Vgl. HAEfLIGERISCHÜRMANN (FN. 9), S. 406 1.; Urteil des EGMR Ankerl gegen<br />
<strong>Schweiz</strong> vom 23. Oktober 1996 § 34 i.V.rn § 21 betreffend das Urteil<br />
des Bundesgerichts 4P.18311990 E.E. 2b; Urteil des EGMR Glor gegen<br />
<strong>Schweiz</strong> vom 30. April 2009 § 55 betrel1end das Urteil des Bundesgerichts