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Erste Staatsexamensarbeit ––– 1999 ––– föpäd. net www.foepaed.net Niels von Dollen Musiktherapeutische Förderung von Menschen mit autistischem Verhalten

Erste Staatsexamensar<strong>bei</strong>t<br />

––– 1999 –––<br />

<strong>föpäd</strong>.<br />

<strong>net</strong><br />

www.foepaed.<strong>net</strong><br />

Niels von Dollen<br />

Musiktherapeutische<br />

Förderung von Menschen mit<br />

autistischem Verhalten


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Dollen, Niels von: Musiktherapeutische Förderung von Menschen mit autistischem<br />

Verhalten. Online im Inter<strong>net</strong>: URL:<br />

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Inhaltsverzeichnis<br />

1. Einleitung ........................................................................................................................ 1<br />

2. Autismus ......................................................................................................................... 2<br />

2.1 Definition und Terminologie ................................................................................... 2<br />

2.2 Symptomatik ............................................................................................................ 3<br />

2.3 Das autistische Spektrum ......................................................................................... 9<br />

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2.3.1 Frühkindlicher Autismus ............................................................................ 11<br />

2.3.2 Asperger-Syndrom ..................................................................................... 12<br />

2.4 Autismus und geistige Behinderung ...................................................................... 12<br />

2.5 Ursachenforschung ................................................................................................ 13<br />

2.5.1 Wahrnehmungsverar<strong>bei</strong>tung ...................................................................... 13<br />

2.5.2 Tiefgreifende Entwicklungsstörung ........................................................... 14<br />

2.5.3 Entstehungshypothesen .............................................................................. 16<br />

2.5.3.1 Die Vier-Ursachen-Hypothese nach Kehrer ................................ 16<br />

2.5.3.2 Prädisponierende, auslösende und aufrechterhaltende<br />

Bedingungen nach Kusch und Petermann ................................... 19<br />

2.5.3.3 Psychologische Erklärungsmodelle ............................................. 22<br />

3. Musiktherapie ............................................................................................................... 26<br />

3.1 Wirkung von Musik auf den Menschen ................................................................. 26<br />

3.1.1 Grundlagen der Musik................................................................................ 26<br />

3.1.2 Wirkungsweisen der Musik ....................................................................... 27<br />

3.2 Geschichte der Musiktherapie................................................................................ 29<br />

3.3 Definition und Zielsetzung .................................................................................... 30<br />

3.4 Musik im Schnittfeld zwischen Pädagogik, Sonderpädagogik und Therapie ........ 31<br />

3.5 Methodik der Musiktherapie .................................................................................. 32<br />

3.5.1 Das Setting ................................................................................................. 33<br />

3.5.2 Rezeptive und aktive Musiktherapie ......................................................... 34<br />

3.5.3 Therapeutische Improvisation .................................................................... 35


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3.5.4 Zentrierung der <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong>................................................................................ 37<br />

3.5.5 Einzel- und Gruppentherapie ..................................................................... 39<br />

3.5.6 Verlauf der Therapie .................................................................................. 39<br />

3.6 Musiktherapie in der Sonderpädagogik ................................................................. 41<br />

3.6.1 Musiktherapie <strong>bei</strong> Menschen mit schwerster Behinderung ....................... 42<br />

3.6.2 Musiktherapie <strong>bei</strong> Menschen mit geistiger Behinderung........................... 44<br />

3.7 Musiktherapeutische Förderung von Menschen mit autistischem Verhalten ........ 45<br />

4. Musiktherapeutische Förderung von zwei autistischen Jungen an der Schule für<br />

Geistigbehinderte in Ellerbeck ................................................................................... 50<br />

4.1 Methodisches Vorgehen ........................................................................................ 50<br />

4.2 Beschreibung der Rahmenbedingungen ................................................................ 50<br />

4.3 Beschreibung der Kinder ....................................................................................... 52<br />

4.3.1 Kind A ........................................................................................................ 52<br />

4.3.2 Kind B ........................................................................................................ 54<br />

4.4 Die Förderung ........................................................................................................ 56<br />

4.4.1 Förderung von Kind A ............................................................................... 57<br />

4.4.2 Förderung von Kind B ............................................................................... 58<br />

4.5 Beurteilung der Therapie ....................................................................................... 60<br />

5. Schlussbetrachtung ...................................................................................................... 63<br />

6. Literaturverzeichnis ..................................................................................................... 64<br />

7. Anhang .......................................................................................................................... 68


1. Einleitung<br />

Zur Laufbahn des Sonderschullehrers habe ich mich nach meiner Zivildienstzeit in einer<br />

Tagesbildungststätte für Geistigbehinderte entschieden. In meiner Klasse war ich<br />

hauptsächlich für die Betreuung eines autistischen Jungen zuständig. Im Laufe der 15<br />

Monate habe ich begonnen, sein Verhalten besser zu verstehen und versucht, ihn meinen<br />

Möglichkeiten entsprechend zu fördern. Da<strong>bei</strong> fehlte mir allerdings oft der theoretische<br />

Hintergrund, um entscheiden zu können, was für ihn sinnvoll war und was nicht. Da ich zu<br />

dieser Zeit in einer Band Baß gespielt habe und mir meine Klassenleiterin viel Freiraum<br />

eingeräumt hat, habe ich auch probiert, mit ihm zu musizieren. Diese Erlebnisse waren für<br />

mich entscheidend <strong>bei</strong> der Wahl des Themas meiner wissenschaftlichen Hausar<strong>bei</strong>t.<br />

Aufgrund des großen Spektrums an autistischen Verhaltensweisen sollte eine Förderung<br />

der betroffenen Menschen immer individuell auf deren Kompetenzen, Probleme und<br />

Interessen abgestimmt sein. Viele Menschen mit autistischem Verhalten sind, wie auch<br />

viele nicht-autistische Menschen, sehr an Musik interessiert. Daher bietet sich<br />

musiktherapeutische Förderung als Möglichkeit des Zugangs und der Förderung von<br />

kommunikativen Kompetenzen im nonverbalen Bereich an.<br />

Mit der vorliegenden <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> möchte ich klären, inwieweit Musiktherapie im Problemfeld<br />

Autismus sinnvoll einsetzbar ist. Des weiteren ist für mich von besonderem Interesse,<br />

welche musikalischen Kompetenzen <strong>bei</strong>m Therapeuten vorauszusetzen sind, da ich das<br />

Fach Musik nicht studiert habe.<br />

Bevor man sich mit dem Thema „musiktherapeutische Förderung von Menschen mit<br />

autistischem Verhalten“ auseinandersetzt, müssen die Begriffe „Autismus“ und<br />

„Musiktherapie“ unabhängig voneinander geklärt werden. Dazu werde ich zunächst den<br />

Begriff Autismus klären, die möglichen Symptome beschreiben und verschiedene<br />

Hypothesen zu den Ursachen des autistischen Verhaltens vorstellen. Dann werde ich mich<br />

mit der Musiktherapie als Förderungsansatz innerhalb der Heilpädagogik beschäftigen.<br />

Da<strong>bei</strong> soll geklärt werden, wie Musiktherapie aufgebaut sein kann und welche<br />

Möglichkeiten der Förderung gegeben sind.<br />

Abschließend möchte ich die Förderung von Menschen mit autistischem Verhalten durch<br />

Musiktherapie anhand der Literatur beschreiben, um dann auf meine musiktherapeutische<br />

Förderung an der Schule für Geistigbehinderte – Ellerbeck einzugehen.<br />

Damit die vorliegende <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> besser zu lesen ist, verwende ich <strong>bei</strong> Personen immer die<br />

männliche Form, gemeint ist aber immer auch die weibliche Form.<br />

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2. Autismus<br />

2.1 Definition und Terminologie<br />

Das Wort „Autismus“ ist vom griechischen (selbst) abgeleitet. Die Begriffe<br />

„Autismus“ und „autistisch“ wird zum ersten Mal 1914 vom Schweizer Psychiater<br />

EUGEN BLEULER verwendet. Damit bezeich<strong>net</strong> er ein einseitig auf sich selbst<br />

bezogenes Denken, das vor allem <strong>bei</strong> Schizophrenen zu beobachten ist. Später verwendet<br />

er den Begriff „autistisch“ auch in anderen Zusammenhängen. Der Begriff „Autismus“,<br />

wie wir ihn heute verstehen, wird von dem amerikanischen Kinderpsychiater LEO<br />

KANNER und dem österreichischen Pädiater HANS ASPERGER unabhängig voneinander<br />

geprägt. 1943 beschreibt LEO KANNER in seiner <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> „Autistic disturbances of<br />

affective contact“ Kinder als autistisch, deren Verhalten von einer starken Kontaktstörung<br />

und extremer Bezogenheit auf sich selbst geprägt ist. Das beschriebene Krankheitsbild<br />

bezeich<strong>net</strong> er später als „early infantile autism“, also frühkindlichen Autismus (vgl. Kehrer<br />

1995, S. 9).<br />

Gleichzeitig verwendet HANS ASPERGER den Begriff „Autismus“ zur Beschreibung<br />

einer erwachsenen Patientengruppe mit sehr ähnlichen Verhaltensweisen (vgl. Kehrer<br />

1995, S. 9). Er bezeich<strong>net</strong> das beobachtete Krankheitsbild als „autistische Psychopathie“.<br />

In der heutigen Literatur wird diese Autismusform „Asperger-Syndrom“ oder „Asperger-<br />

Autismus“ genannt (vgl. Walburg 1996, S. 20 und Bundesverband „Hilfe für das<br />

autistische Kind“ 1996, S. 6).<br />

Beide Autoren bezeichnen Autismus als eine Form der Kindheitspsychose. Da<strong>bei</strong> wird der<br />

Entwicklungsaspekt der Kinder und der Unterschied zu Psychosen des Erwachsenenalters<br />

lediglich durch die Beachtung des Alters <strong>bei</strong> Krankheitsbeginn berücksichtigt. RUTTER<br />

(1978) ersetzt den Begriff „Psychose“ durch die Bezeichnung „Entwicklungsstörung“ und<br />

drückt damit einen Wandel in der Sichtweise des Autismus aus. Er geht davon aus, daß <strong>bei</strong><br />

Menschen mit autistischem Verhalten nicht die zunächst normale Entwicklung durch<br />

Fehlentwicklungen negativ beeinflußt wird, sondern daß eben der Entwicklungsprozeß<br />

selbst gestört ist (vgl. Kusch & Petermann 1990, S. 11 f).<br />

So unterscheidet sich Autismus auch von den Entwicklungsverzögerungen normaler oder<br />

geistig behinderter Kinder. Der Entwicklungsprozeß der Kinder mit autistischem Verhalten<br />

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ist nicht verzögert, sondern ist von Geburt an oder seit der frühen Kindheit verändert.<br />

Durch die tiefgreifende Störung des Entwicklungsprozesses kommt es zu einer<br />

autismusspezifischen Entwicklung, die weder der normalen Entwicklung noch der<br />

verzögerten Entwicklung gleicht. Daher wird die autistische Störung im Rahmen der<br />

dritten revidierten Auflage des „Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders“<br />

(DSM-III-R) als tiefgreifende Entwicklungsstörung klassifiziert (vgl. Kusch & Petermann<br />

1990, S. 12 und 15).<br />

Den ersten Veröffentlichungen von KANNER und ASPERGER folgen eine Vielzahl von<br />

Publikationen anderer Autoren, die den Begriff „Autismus“ unterschiedlich ausdeuten.<br />

Anfänglich zielt die Forschung hauptsächlich auf die Diagnose und die Abklärung der<br />

Ursachen der autistischen Störungen ab. Die Frage der Diagnose ist inzwischen<br />

befriedigend beantwortet worden, eine endgültige Klärung der Ursachen ist jedoch bis<br />

heute nicht gelungen (vgl. Kehrer 1995, S. 11).<br />

Daher bleibt die Definition auf die Syndrombeschreibung angewiesen, die Autismus als<br />

„eine schwere chronische Verhaltensstörung (beschreibt), <strong>bei</strong> der die Einschränkung des<br />

Kontakts, die Bezogenheit auf sich selbst im Vordergrund steht“ (Kehrer 1995, S. 11).<br />

Im DSM-III-R werden die zu beobachtenden Symptome wie folgt gegliedert:<br />

Beziehungsstörungen<br />

(Beziehungen zu Mitmenschen werden nicht / eingeschränkt / ungewöhnlich<br />

aufgebaut)<br />

Kommunikationsstörungen<br />

(Kommunikation wird nicht gesucht / ist nicht möglich)<br />

Bewältigungsversuche<br />

(Stereotypien / zwanghaftes Verhalten)<br />

2.2 Symptomatik<br />

Die Handlungsweisen von Menschen mit autistischem Verhalten können sehr<br />

unterschiedlich sein. Die Diagnose der autistischen Störungen geschieht heute international<br />

auf der Basis des DSM-III-R (vgl. Ministerium für Bildung, Wissenschaft und<br />

Weiterbildung - Rheinland-Pfalz 1997, S. 8 f).<br />

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Im DSM-III-R werden psychische Störungen auf folgenden fünf Achsen klassifiziert (vgl.<br />

Kusch & Petermann 1990, S. 15) :<br />

I. Klinisch – psychiatrisches Syndrom<br />

II. Entwicklungs- und Persönlichkeitsstörungen<br />

III. Somatische Störungen und Bedingungen<br />

IV. Schweregrad psychosozialer Stressoren<br />

V. Globale Einschätzung des Funktionsniveaus<br />

Es werden neben den schon im DSM-III aufgeführten Klassifikationen „geistige<br />

Behinderung“ und „umschriebene Entwicklungsstörungen“ im DSM-III-R erstmals auch<br />

die „tiefgreifenden Entwicklungsstörungen“ auf der Achse II in der Gruppe der<br />

Entwicklungsstörungen aufgeführt. Die autistischen Störungen bilden die Hauptkategorie<br />

der „tiefgreifenden Entwicklungsstörungen“ (vgl. Kusch & Petermann 1990, S. 16).<br />

Um das große Spektrum an Verhaltensweisen von Menschen mit autistischem Verhalten<br />

zu verdeutlichen, werde ich im folgenden diagnostische Kriterien für autistische Störungen<br />

in Anlehnung an das DSM-III-R darstellen.<br />

Das DSM-III-R gibt sechzehn Hauptmerkmale an, die auf eine autistische Störung<br />

hinweisen. Von diesen müssen insgesamt mindestens acht zutreffen, damit von einer<br />

autistischen Störung gesprochen werden kann. Da<strong>bei</strong> müssen zwei Merkmale aus der<br />

Gruppe A zutreffen und je eins aus den Gruppen B und C. Die Kriterien der Gruppen A, B<br />

und C werden im folgenden noch näher erläutert. Sie sind in Abhängigkeit von Lebensalter<br />

und Intelligenzniveau in unterschiedlicher Ausprägung beobachtbar. Die sozialen und<br />

kommunikativen Beeinträchtigungen sind <strong>bei</strong> allen Menschen mit autistischem Verhalten<br />

vorhanden. Stereotype Verhaltensweisen hingegen müssen nicht unbedingt vorliegen (vgl.<br />

Kusch & Petermann 1990, S. 22). INNERHOFER und KLIEPERA (1988) geben<br />

allerdings an, daß <strong>bei</strong> 97% einer größeren Gruppe autistischer Kinder Stereotypien<br />

beobachtet wurden (vgl. Innerhofer / Kliepera 1988, S. 135).<br />

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A. Qualitative Beeinträchtigung der zwischenmenschlichen (reziproken) Beziehung<br />

Die Betroffenen können kaum zwischenmenschliche Beziehungen aufbauen. Dieser<br />

Mangel zeigt sich bereits im Kleinkindalter, z.B. durch ein fehlendes<br />

Zärtlichkeitsbedürfnis, mangelnden Blickkontakt und eingeschränkte Mimik. Zuneigung<br />

und Körperkontakt werden von diesen Kindern als unangenehm empfunden (vgl. Kusch &<br />

Petermann 1990, S. 23). Zärtlichkeiten werden allerdings nur <strong>bei</strong> einem kleinen Teil der<br />

Kinder aktiv zurückgewiesen. Trotz der beträchtlichen Auffälligkeiten im<br />

Kontaktverhalten haben viele Eltern ein Gefühl der Nähe im Umgang mit ihrem Kind. Oft<br />

zeigt sich jedoch eine Unsicherheit in der Einschätzung der Beziehung zum Kind. Von<br />

Eltern werden folgende frühe Verhaltensmerkmale angegeben (vgl. Innerhofer & Kliepera<br />

1988, S. 104):<br />

Kleinkinder strecken seltener die Arme hoch, um aufgenommen zu werden.<br />

Sie passen ihre Haltung weniger an, wenn sie von den Eltern getragen werden.<br />

Daher erscheinen sie steif und wenig anschmiegsam.<br />

Sie zeigen selten auf Gegenstände, um die Aufmerksamkeit der Eltern zu<br />

gewinnen.<br />

Nach dem Laufenlernen laufen sie nicht mit Gegenständen, die sie zu<br />

interessieren scheinen, zu den Eltern, um sie zu beteiligen.<br />

Bezugspersonen sind häufig völlig austauschbar oder aber das Kind klammert sich<br />

mechanisch an eine bestimmte Person. Die Bindung zu den Eltern kann sehr<br />

ungewöhnliche Formen annehmen. So ist es z.B. möglich, daß das Kind seine Mutter<br />

vorwiegend am Geruch erkennt. Das Kind zeigt kein oder ein stark beeinträchtigtes<br />

Nachahmungsverhalten, z.B. ahmt es die häuslichen Aktivitäten der Eltern nicht nach oder<br />

imitiert die Aktivitäten anderer zusammenhanglos und mechanisch (vgl. Kusch &<br />

Petermann 1990, S. 23).<br />

Die größten Auffälligkeiten im Sozialverhalten sind im Umgang mit anderen Kindern zu<br />

beobachten. Selbst wenn der Kontakt zu Erwachsenen <strong>bei</strong> älteren Kindern und<br />

Jugendlichen besser wird, kommt es nur selten zu normalen Beziehungen zu Gleichaltrigen<br />

(vgl. Innerhofer & Kliepera 1988, S. 105).<br />

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Auch wenn die Störung in einigen Fällen erst nach einer relativ normalen sozialen<br />

Entwicklung in den ersten Lebensjahren auftritt, wird von den betreffenden Kindern auch<br />

in früher Kindheit kein kooperatives und phantasievolles Spiel entwickelt, und es werden<br />

keine Freundschaften geschlossen. Werden die Kinder älter, können sie ein größeres<br />

Bewußtsein für soziale Interessen entwickeln und Gleichaltrige unter Umständen als<br />

„mechanische Hilfe“ in ihre stereotypen Spiele integrieren (vgl. Kusch & Petermann 1990,<br />

S. 23).<br />

Grundsätzlich lassen sich die Defizite im sozialen Bereich auf die mangelnde Fähigkeit,<br />

soziale Beziehungen zu bilden und aufrechtzuerhalten, Emotionen einzuschätzen und<br />

soziale Signale zu gebrauchen, zurückführen. So reagieren autistische Kinder z.B. nicht auf<br />

die Gefühle anderer. Augenkontakt, Gesichtsausdruck, Körperhaltung und Gestik werden<br />

nur wenig zu Regulation der sozialen Interaktion eingesetzt (vgl. Kusch & Petermann<br />

1990, S. 16 f und 23 f).<br />

B. Qualitative Beeinträchtigung der verbalen und nonverbalen Kommunikation sowie der<br />

Phantasie<br />

Bei Kindern mit autistischem Verhalten sind sowohl die verbale als auch die nonverbale<br />

Kommunikation beeinträchtigt. Die Sprachfähigkeit fehlt <strong>bei</strong> ca. 30% (vgl. Schmidt 1998,<br />

S. 21) der Betroffenen völlig (Mutismus). Entwickelt das Kind Sprache, so kommt es <strong>bei</strong>m<br />

Spracherwerb häufig zu Sprachentwicklungsstörungen, die aber mit dem<br />

entwicklungsverzögerten Spracherwerb nicht-autistischer Kinder vergleichbar sind. Die<br />

Art der Fehler <strong>bei</strong> der Artikulation läßt darauf schließen, daß Kinder mit autistischem<br />

Verhalten ihr phonologisches System entsprechend der normalen Sprachentwicklung<br />

verzögert entwickeln. (vgl. Innerhofer & Kliepera 1988, S. 80). Die Sprache von Kindern<br />

mit autistischem Verhalten ist charakterisiert durch (vgl. Kusch & Petermann 1990, S. 24):<br />

unterentwickelte, im wesentlichen normale grammatikalische Struktur<br />

sofortige und verzögerte Echolalie<br />

pronominale Umkehr (Vertauschen von „Du“ und „Ich“)<br />

Unfähigkeit, Objekte zu benennen oder abstrakte Begriffe zu verwenden<br />

idiosynkratische Äußerungen (Bedeutung nur für Personen verständlich,<br />

die sehr mit dem Kind und seiner Entwicklung vertraut sind)<br />

abnormer Tonfall (z.B. fragendes Anheben der Stimme)<br />

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Auch wenn die sprachlichen Fähigkeiten mit denen nicht-autistischer Kinder vergleichbar<br />

sind, kommt es häufig durch umständliche oder belanglose Äußerungen des Kindes zu<br />

Störungen in der Kommunikation. Die abweichende Sprachentwicklung zeigt sich also<br />

weniger in der Aussprache als in der Interaktion mit anderen Personen. Autistische Kinder<br />

scheinen Sprache kaum für die Kommunikation einzusetzen und haben folglich große<br />

Schwierigkeiten im pragmatischen Bereich. Eine weitere Problematik, die sich negativ auf<br />

die pragmatischen Fähigkeiten der Kinder auswirkt, sind mangelnde Fähigkeiten, <strong>bei</strong>m<br />

Abstimmen der Sprache auf die Situation (vgl. Kusch & Petermann 1990, S. 24 und<br />

Innerhofer & Kliepera 1988, S. 91 f).<br />

Im Bereich der nonverbalen Kommunikation zeigt sich, daß Mimik, Gestik und<br />

Körpersprache nie oder nicht in angemessener Form eingesetzt werden. Kinder mit<br />

autistischem Verhalten lernen erst sehr spät, sich durch Zeigen auf Objekte oder Personen,<br />

Kopfschütteln und Nicken verständlich zu machen (vgl. Innerhofer & Kliepera 1988, S.<br />

119). Des weiteren sind Störungen in der Intonation, der sprachlichen Modulation und<br />

anderer Aspekte der Stimme (wie Stimmlage und Tonhöhe) zu beobachten. Die<br />

Sprechweise autistischer Kinder wird häufig als hölzern, monoton, singend oder<br />

papageienhaft bezeich<strong>net</strong> (vgl. Innerhofer & Kliepera 1988, S. 88).<br />

Dem Kind fehlt es meist an symbolischen und phantasievollen Spielen. Spielen bleibt auf<br />

sich ständig wiederholende Handlungsmuster beschränkt. Das Kind ist nicht in der Lage,<br />

erwachsenentypische Rollen einzunehmen oder Tiere nachzuahmen (vgl. Kusch &<br />

Petermann 1990, S. 17 und 26). Durch verbale und nonverbale Anregung ist es jedoch<br />

möglich, symbolisches Spielverhalten zu fördern. Da<strong>bei</strong> erlernte Fähigkeiten können aber<br />

meist nicht auf alltägliche Situationen übertragen werden (vgl. Innerhofer & Kliepera<br />

1988, S. 73).<br />

C. Deutlich beschränktes Repertoire von Aktivitäten und Interessen<br />

Die tiefgreifende Störung des Kontakts zur Umwelt zeigt sich auch im Umgang mit<br />

unbelebten Gegenständen. Kinder mit autistischem Verhalten beschäftigen sich häufig<br />

lange mit dem Betasten, Belecken, und Beriechen von Gegenständen beziehungsweise<br />

deren Oberflächen (vgl. Kehrer 1988, S. 22 ).<br />

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Bei Kindern mit autistischem Verhalten sind heftige Reaktionen schon <strong>bei</strong> geringfügiger<br />

Änderung des Umfelds beobachtbar. Es zeigt sich weiter eine abnorme Bindung an<br />

Objekte (Schnüre, Gummibänder,...) und stereotype Bewegungen (Händeklatschen,<br />

Schwanken mit dem ganzen Körper,...). Ältere Kinder bestehen häufig auf das genaue<br />

Einhalten gewohnter Abläufe <strong>bei</strong> wiederkehrenden Aktivitäten. Viele Kinder mit<br />

autistischem Verhalten sind von Bewegungen verschiedenster Art fasziniert. So können sie<br />

sehr lange und konzentriert einem elektrischen Ventilator oder einer laufenden<br />

Waschmaschine zusehen. Häufig beobachtet wird auch das Kreiselnlassen verschiedener<br />

runder Objekte. Die Kinder entwickeln häufig eine erstaunliche Geschicklichkeit, wenn es<br />

darum geht, Dinge in Bewegung zu versetzen (vgl. Kusch & Petermann 1990, S. 25 und<br />

Innerhofer & Kliepera 1988, S. 135 f) .<br />

Auch im Bereich der Sprache sind - wie schon erwähnt - Stereotypien beobachtbar. Das<br />

Kind mit autistischem Verhalten wiederholt bedeutungslose Wörter und Sätze. Diese<br />

Echolalien wurden im Rahmen verschiedener Untersuchungen <strong>bei</strong> 75% der sprechenden<br />

Kinder mit autistischem Verhalten gefunden. Ältere Kinder zeigen zum Teil ein<br />

hervorragendes Langzeitgedächtnis, wenn sie Wortlaute, Lieder, Zugfahrpläne oder<br />

ähnliches in exakter Form wiedergeben. Dieses Wissen wird meist ständig wiederholt,<br />

auch wenn es nicht in den sozialen Kontext paßt. Echolalien machen auch <strong>bei</strong> anderen<br />

Kindern mit wenig ausgebildeten sprachlichen Fähigkeiten weniger als die Hälfte der<br />

sprachlichen Äußerungen aus (vgl. Kusch & Petermann 1990, S. 25 und Innerhofer &<br />

Kliepera 1988, S. 98).<br />

Die eingeschränkten Verhaltensmuster sind für das Kind von genereller Bedeutung. Sie<br />

werden auf neue Aktivitäten übertragen und treten sowohl <strong>bei</strong> autistischen Kindern mit<br />

schwerer geistiger Behinderung als auch <strong>bei</strong> denen mit normaler Intelligenz auf (vgl.<br />

Kusch & Petermann 1990, S. 25).<br />

D. Beginn im Kleinkindalter oder in der Kindheit (nach Vollendung des 3. Lebensjahres)<br />

Dem DSM-III-R zufolge berichten die meisten Eltern von einem Beginn der Störung vor<br />

dem Ende des 3. Lebensjahres. Selten wird von einem Beginn nach dem 5. oder 6.<br />

Lebensjahr berichtet. Da die Kinder erst nach dem Auftreten der Schwierigkeiten<br />

untersucht werden, ist die Festlegung des Alters <strong>bei</strong> Störungsbeginn allerdings auf<br />

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Aussagen der Bezugspersonen angewiesen und damit sehr schwierig und ungenau. Die<br />

ersten Anzeichen autistischer Störungen im Kleinkindalter sind schwerer zu bemerken als<br />

die später zu beobachtenden Merkmale und werden daher von den Eltern meist übersehen.<br />

Oft bemerken die Eltern erst Probleme, wenn sie ihr Kind zusammen mit anderen Kindern<br />

beobachten. Sie neigen dann dazu, den Beginn der Störung auf diesen Zeitpunkt<br />

festzulegen. Eine genauere Untersuchung ergibt in diesen Fällen häufig einen wesentlich<br />

früheren Beginn. Es ist auch möglich, daß die Eltern ein für das Kind schwerwiegendes<br />

Ereignis, z.B. den Tod eines nahen Verwandten, mit dem Beginn der Störung verbinden<br />

(vgl. Kusch & Petermann 1990, S. 27).<br />

RUTTER und SCHOPLER setzen für die Diagnose des autistischen Syndroms ein<br />

Vorhandensein der eher autismusspezifischen Entwicklungsbeeinträchtigungen vor dem<br />

30. und 36. Lebensmonat voraus. Eine dazu von SHORT und SCHOPLER durchgeführte<br />

Untersuchung ergab, daß 76% der Eltern von Kindern mit autistischem Verhalten ihr Kind<br />

vor dem 24. Lebensmonat und 94% vor dem 36. Lebensmonat als autistisch identifizieren.<br />

Die sehr spät als autistisch diagnostizierten Kinder weisen häufig eine höhere intellektuelle<br />

Leistungsfähigkeit auf. Kinder mit größeren kognitiven Beeinträchtigungen werden<br />

unabhängig vom tatsächlichen Störungsbeginn von ihren Eltern früher als autistisch<br />

erkannt (vgl. Kusch & Petermann 1990, S.28).<br />

2.3 Das autistische Spektrum<br />

In der älteren Literatur wird häufig „frühkindlicher Autismus“ und „Asperger-Syndrom“<br />

unterschieden. Diese zwei Formen des Autismus, auf die ich später noch genauer eingehe,<br />

werden allerdings zunehmend als Bestandteile eines „Autismusspektrums“ betrachtet.<br />

ROLLETT und KASTNER-KOLLER sehen neben den klassischen Formen des Autismus<br />

(„Asperger´scher“ und „Kanner´scher Autismus“) noch den „somatogenen“ und den<br />

„psychogenen Autismus“ als Teil dieses Spektrums. Beim „somatogenen Autismus“ liegen<br />

massive körperliche Schädigungen vor. Dieser Form der autistischen Störung werden also<br />

auch Personen zugeord<strong>net</strong>, die das autistische Verhalten aufgrund schwerer Erkrankungen<br />

entwickeln. Dem psychogenen Autismus liegen nur geringe oder keine neurologischen<br />

Schädigungen zugrunde. Er entwickelt sich aufgrund von lang anhaltenden belastenden<br />

Umweltbedingungen wie Isolierung oder Mißhandlung (vgl. Rollett / Kastner-Koller 1994,<br />

S. 4 f).<br />

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Asperger - Kanner-<br />

Syndrom Syndrom<br />

Psychogener Somatogener<br />

Autismus Autismus<br />

Autismus-<br />

Faktor<br />

(vgl. Rollett / Kastner-Koller 1994, S.4 f)<br />

KEHRER beschreibt in seinem Kapitel „Differentialdiagnostische Alternativen“ mehrere<br />

Störungen des zwischenmenschlichen Kontakts, die er nicht zu den autistischen Störungen<br />

zählt. Da<strong>bei</strong> ist besonders zu erwähnen, daß er auch das Deprivationssyndrom, das<br />

aufgrund seiner Symptomatik nur schwer vom Autismus zu unterscheiden ist, nicht dem<br />

autistischen Spektrum zuord<strong>net</strong>. Deprivation entsteht durch die Isolierung des Säuglings<br />

oder Kleinkindes und das Vorenthalten von Reizen in einer frühen Entwicklungsphase.<br />

Diese Entstehungsgeschichte gleicht der des von ROLLETT und KASTNER-KOLLER<br />

beschriebenen „psychogenen Autismus“. Folglich wäre diese Form der<br />

Entwicklungsstörung nach KEHRERS Meinung nicht im Spektrum der autistischen<br />

Störungen enthalten (vgl. Kehrer 1995, 60 f).<br />

KUSCH und PETERMANN sehen in mitbeteiligten - vom Autismus unabhängigen -<br />

Beeinträchtigungen den Grund für die Breite des Verhaltensspektrums der vom Autismus<br />

betroffenen Menschen. Diese Faktoren verändern nicht nur das Verhalten der betreffenden<br />

Personen direkt, sondern beeinflußt auch rückwirkend die „autismusspezifische“ Störung<br />

(vgl. Kusch & Petermann 1990, S. 13 f und 20).<br />

Um nun die „typische“ autistische Störung zu beschreiben, müssen autismusspezifische<br />

Aspekte von den mitbeteiligten Anteilen des Störungsbildes unterschieden werden. Die<br />

typischen autistischen Störungen fassen KUSCH und PETERMANN mit dem Begriff<br />

„autistische soziale Dysfunktion“ zusammen. Diese autismusspezifischen sozialen<br />

Beeinträchtigungen finden sich weder <strong>bei</strong> sehr jungen nicht-behinderten Kindern noch <strong>bei</strong><br />

Kindern mit geistiger Behinderung und sind daher nicht Ausdruck einer<br />

Entwicklungsverzögerung. Die „autistische soziale Dysfunktion“ beschreibt daher<br />

Verhaltensweisen, die der tiefgreifenden Entwicklungsstörung zuzuschreiben sind (vgl.<br />

Kusch & Petermann 1990, S. 15 u. 20-22) .<br />

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Die „autistische soziale Dysfunktion“ <strong>bei</strong>nhaltet drei Störungsaspekte:<br />

1. zwischenmenschliche Interaktion und soziale Kommunikation<br />

(verbal sowie nonverbal)<br />

2. mangelndes Verstehen und Äußern von Gefühlen<br />

3. verändertes Kontaktverhalten und Anhänglichkeit<br />

Neben diesen Verhaltensdefiziten zeigen sich drei besondere Kompetenzen:<br />

1. durchschnittliche oder annähernd durchschnittliche Intelligenz<br />

(teilweise nur im Verbal- bzw. im Handlungsteil)<br />

2. rezeptive und expressive Sprachfähigkeit<br />

(ohne pragmatisches Verständnis)<br />

3. funktionale und teilweise symbolische Spielfähigkeit<br />

(ohne die Fähigkeit, so zu tun „als ob“)<br />

Diese autismusspezifischen Auffälligkeiten sind charakteristisch für alle Kinder mit<br />

autistischem Verhalten. Ungewöhnliche Reaktionen auf die Umwelt,<br />

Wahrnehmungsprobleme, Aussprachestörungen und kognitive Entwicklungs-<br />

verzögerungen sehen die Autoren als nicht autismusspezifisch an. Diese<br />

Beeinträchtigungen sind auf mitbeteiligte Störungen zurückzuführen und nicht <strong>bei</strong> allen<br />

Kindern beobachtbar (vgl. Kusch & Petermann 1990, S. 22).<br />

2.3.1 Frühkindlicher Autismus<br />

Das Erscheinungsbild des frühkindlichen Autismus wandelt sich während der Entwicklung<br />

des Kindes. Schon der Säugling zeigt eine extreme autistische Abkapselung gegenüber<br />

seiner menschlichen Umwelt. Andere Personen scheinen für diese Kinder nicht zu<br />

existieren. Es zeigt sich weiter, daß diese Kinder auf Veränderungen mit ängstlichen<br />

Erregungszuständen reagieren und zu „Zwangsritualen“ neigen. Des weiteren sind noch<br />

Symptome zu nennen, die sich erst im Laufe der weiteren Entwicklung des Kindes zeigen.<br />

Dazu zählen z.B. Sprachentwicklungsverzögerungen. Kinder, die dem frühkindlichen<br />

Autismus zuzuschreiben sind, zeigen ein enges und positives Verhältnis zu Gegenständen.<br />

Motorische Auffälligkeiten sind z.B. Stereotypien, häufiges Beriechen und Belecken von<br />

Gegenständen, Augen- und Ohrenbohren, Grimmassieren oder völlige mimische Armut,<br />

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gesteigerte Bewegungsunruhe und Zehenspitzengang. Häufig werden diese Kinder als sehr<br />

impulsiv beschrieben. Sie zeigen unmotivierte Ängste, und oft fehlt es an normalen<br />

emotionalen Reaktionen (vgl. Walburg 1996, S. 48 und 49).<br />

2.3.2 Asperger-Syndrom<br />

Kinder, die als Asperger-Autisten bezeich<strong>net</strong> werden, zeigen erst ab dem dritten<br />

Lebensjahr die typischen Auffälligkeiten. Als wichtigste Symptome sind wieder die<br />

Abkapselung von der Umwelt und eine massive Kontaktstörung zu nennen. Diese<br />

Merkmale sind jedoch nicht so ausgeprägt wie <strong>bei</strong> Menschen, die dem frühkindlichen<br />

Autismus zuzuordnen sind. Beziehungen zu anderen Personen werden meist als<br />

disharmonisch und widersprüchlich beschrieben. Häufig ist auch eine Neigung zu<br />

aggressivem Verhalten zu beobachten. Im Gegensatz zum frühkindlichen Autismus kommt<br />

es nur sehr selten zu Veränderungsängsten. Die Sprachentwicklung setzt <strong>bei</strong> diesen<br />

Kindern schon sehr früh ein. Es zeigen sich auffällige Bewegungsstereotypien. Außerdem<br />

werden Asperger-Autisten häufig als motorisch ungeschickt beschrieben. Des weiteren<br />

besteht oft eine Überempfindlichkeit für Lärm, Geschmacksempfindungen oder<br />

Bewegungen von Menschen. Die intellektuellen Fähigkeiten werden meist als<br />

überdurchschnittlich bezeich<strong>net</strong>. Da<strong>bei</strong> zeigen sich häufig Sonderinteressen, mit<br />

außerordentlichen Kenntnissen. Die Bereiche des Gemüts und der Gefühle sind stark<br />

eingeschränkt bzw. gestört. Gefühle können da<strong>bei</strong> nicht adäquat ausgedrückt oder<br />

empfunden werden. Bei sehr hoher Intelligenz ist mit Hilfe einer unterstützenden Therapie<br />

eine teilweise Kompensation der autistischen Symptomatik möglich (vgl. Walburg 1996,<br />

S. 48 f).<br />

2.4 Autismus und geistige Behinderung<br />

Bis zum Ende der 60er Jahre galten Menschen mit autistischem Verhalten als mit<br />

testpsychologischen Verfahren untestbar. Diese Auffassung wurde allerdings widerlegt. Es<br />

gibt verschiedene standardisierte psychometrische Verfahren, die sich als durchführbar<br />

erwiesen haben und deren Aussagen sich als zutreffend herausstellten (vgl. Kusch &<br />

Petermann 1990, S. 12).<br />

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Die „Handreichungen zu den Empfehlungen zur Förderung von Schülerinnen und Schülern<br />

mit autistischem Verhalten“ aus Rheinland-Pfalz empfehlen mehrere „Verfahren zur<br />

Einschätzung intellektueller Kompetenzen“ <strong>bei</strong> Schülern mit autistischem Verhalten (BM<br />

und CM aus dem TBGB, CMM, CFT 1 und SON 2 ½ -7).<br />

Bei Kindern mit autistischem Verhalten sind seither häufig auch Intelligenzdefizite<br />

beobachtet worden. Es zeigten sich nach KUSCH und PETERMANN <strong>bei</strong> ca. 70% der<br />

Kinder mit autistischem Verhalten intellektuelle Leistungen im Bereich der geistigen<br />

Behinderung (IQ unter 70) (vgl. Kusch Petermann 1990, S. 160). KEHRER hingegen gibt<br />

an, daß etwa ein Drittel der von ihm beobachten Kinder als geistig behindert eingeschätzt<br />

werden können (vgl. Kehrer 1988, S. 22). Dieser Widerspruch ist jedoch nicht<br />

verwunderlich, da die Begriffe „Autismus“ und „Geistige Behinderung“ stark von der<br />

Definition der entsprechenden Autoren abhängen.<br />

Die Befunde sind vermutlich nicht autismusspezifisch. Da sich auch Kinder mit<br />

autistischem Verhalten finden, die in der Überprüfung der Intelligenz mit standardisierten<br />

Verfahren normale Leistungen zeigen, sind die zu beobachtenden intellektuellen Defizite<br />

vermutlich einer vom Autismus unabhängigen Störung zuzuordnen (Kusch & Petermann<br />

1990, S. 13 f).<br />

2.5 Ursachenforschung<br />

2.5.1 Wahrnehmungsverar<strong>bei</strong>tung<br />

Die Ursachen des autistischen Syndroms konnten bisher nicht eindeutig bestimmt werden.<br />

Man geht davon aus, daß mehrere Ursachenfaktoren zusammenwirken. Es steht allerdings<br />

fest, daß <strong>bei</strong>m autistischen Syndrom eine Störung der Wahrnehmungsverar<strong>bei</strong>tung<br />

vorliegt. Sensible und sensorische Reize aus der Umwelt können nicht richtig koordiniert<br />

werden. Dies gilt wahrscheinlich auch für Reize aus dem eigenen Körper. Die<br />

Schwierigkeiten, Wahrnehmungen zu verar<strong>bei</strong>ten, beginnen vermutlich schon <strong>bei</strong> der<br />

Auswahl der angebotenen Reize. Um sich in der Umwelt orientieren zu können, müssen<br />

relevante von irrelevanten Informationen unterschieden werden und zur Verar<strong>bei</strong>tung<br />

weitergeleitet oder ignoriert werden. Es wird vermutet, daß dieser Prozeß <strong>bei</strong> Menschen<br />

mit autistischem Verhalten gestört ist (vgl. Kehrer 1995, S.69 ff).<br />

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Eine weitere Störung der Wahrnehmung kann auch eine mangelhafte Koordination der<br />

Reize auf verschiedenen Sinnesgebieten sein. Damit eine Sinneswahrnehmung richtig<br />

verar<strong>bei</strong>tet werden kann, muß sie einem bestimmten Wahrnehmungskanal zugeord<strong>net</strong><br />

werden. Die empirischen Untersuchungen von HERMELIN und O´CONNER (1970, 1978)<br />

ergaben, daß <strong>bei</strong> autistischen Kindern vor allem optische und akustische Reize nicht richtig<br />

koordiniert wurden. Bei bestimmten Versuchsanordnungen verhielten sie sich wie Blinde,<br />

bzw. wie Taube, obwohl die periphere Wahrnehmung der Augen und Ohren intakt war<br />

(vgl. Kehrer 1995, S. 69).<br />

DELACATO beschreibt die Wahrnehmungsstörung als eine Störung der Nervenbahnen<br />

von den Sinnen zum Gehirn. Diese Bahnen können in folgender Weise gestört sein:<br />

Hyperempfindlichkeit:<br />

Eine überempfindliches Sinnessystem übermittelt zu viele Sinneseindrücke an das<br />

Gehirn.<br />

Hypoempfindlichkeit:<br />

Ein träges Sinnessystem übermittelt zu wenig Sinneseindrücke an das Gehirn.<br />

Weißes Rauschen:<br />

Ein minderwertiges Sinnessystem übermittelt von Eigenreizen überlagerte und<br />

somit unverständliche Reize an das Gehirn.<br />

Diese Störung der sensorischen Integration erklärt das Ausweichen autistischer Menschen<br />

auf die „niederen Sinne“, wie Riechen, Tasten und Schmecken, das stereotype Verhalten<br />

sowie die Abkapselung von der aufgrund der Wahrnehmungsstörung verwirrenden Welt<br />

(vgl. Delacato in: Walburg 1996, S. 57 und Kehrer 1988, S. 24).<br />

2.5.2 Tiefgreifende Entwicklungsstörung<br />

Wie schon erwähnt werden die autistischen Störungen im DSM-III-R als tiefgreifende<br />

Entwicklungsstörung verstanden. RUTTER (1978) berücksichtigt den Entwicklungsaspekt<br />

der Entstehung des Autismus (vgl. Kusch & Petermann 1990, S. 29).<br />

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„Diagnostische Kriterien des Infantilen Autismus (nach Rutter, 1978).<br />

Krankheitsbeginn vor dem 30. Lebensmonat.<br />

Gestörte Sozialentwicklung, die eine Anzahl spezieller Kennzeichen aufweist und<br />

nicht in Beziehung zum Intelligenzniveau des Kindes steht.<br />

Verzögerte und abweichende Sprachentwicklung, die ebenfalls bestimmte<br />

Besonderheiten besitzt und nicht in Beziehung zum Intelligenzniveau steht.<br />

Beharren auf Gleichförmigkeit, wie stereotype Spielgewohnheiten, abnorme<br />

Vorlieben und Widerstand gegen Veränderungen.“<br />

(Kusch & Petermann 1990, S.12)<br />

Dieser Wechsel im Verständnis der autistischen Störungen führt zur Erforschung<br />

verschiedener Entwicklungsaspekte, die an der Entstehung beteiligt sein könnten. Daraus<br />

werden differenzierte Ansätze zur Definition und Klärung des Autismus abgeleitet. Der<br />

Autismus ist demnach auf angeborene oder erworbene Fehlfunktionen zurückzuführen.<br />

Außerdem sind verschiedene prä-, peri-, und postnatale Faktoren (siehe Kapitel 2.5.3)<br />

beteiligt (vgl. Kusch & Petermann 1990, S. 29).<br />

Beim Autismus werden spezifische Beeinträchtigungen der kommunikativen, affektiven<br />

und kognitiven Entwicklung und eine wechselseitige Beeinflussung dieser Bereiche<br />

vermutet. Durch die Beeinträchtigung dieser Gebiete in der frühen Kindheit kommt es zu<br />

einer tiefgreifenden und lang anhaltenden Beeinflussung aller anderen Bereiche der<br />

Entwicklung. Daher ist die Festlegung auf einen spezifischen psychologischen Faktor nicht<br />

möglich. Eine endgültige Definition des Autismus wird erst möglich sein, wenn die<br />

Zusammenhänge der neuronalen und psychischen Entwicklung geklärt sind (vgl. Kusch &<br />

Petermann 1990, S. 30).<br />

Autismus wird heute als lebenslange andauernde Störung angesehen, die nicht auf Kindheit<br />

oder Jugendalter begrenzt ist. Bei der Mehrheit der erwachsenen Menschen mit<br />

autistischem Verhalten findet man auch weiterhin die autistischen sozialen<br />

Beeinträchtigungen. Trotzdem ist es für einige Personen möglich, im Erwachsenenalter<br />

nicht mehr alle wesentlichen Merkmale des Autismus zu zeigen (vgl. Kusch & Petermann<br />

1990, S. 31).<br />

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2.5.3 Entstehungshypothesen<br />

Die Entstehung der autistischen Störungen ist bis heute nicht eindeutig geklärt. Im<br />

folgenden werde ich Hypothesen darstellen, die mögliche Ursachen für das autistische<br />

Syndrom anführen. Da<strong>bei</strong> wird heute im allgemeinen von einer multikausalen Entstehung<br />

des Autismus-Syndroms ausgegangen, d.h. verschiedene Ursachenfaktoren werden<br />

gemeinsam zur Erklärung herangezogen (vgl. Kehrer 1995, S. 74).<br />

2.5.3.1 Die Vier-Ursachen-Hypothese nach Kehrer<br />

KEHRER geht von einer multikausalen Entstehung der autistischen Störung aus. Er<br />

unterscheidet da<strong>bei</strong> vier Ursachenfaktoren:<br />

a) Psychogene Entstehung<br />

Ein bedeutender Vertreter dieses Aspekts ist KANNER. Er beschreibt die Eltern<br />

autistischer Kinder als „emotional frigide“ und „ungesellig“ und hält die Kinder aufgrund<br />

der „mechanischen“ und „perfektionierten“ Erziehung der Eltern für emotional frustriert.<br />

Der Erziehung der Eltern fehle die „emotional-affektive Wärme“ und die „positive<br />

Einstellung“, die das Kind zur Entwicklung benötige (vgl. Feuser 1980, S. 23).<br />

KEHRER relativiert den Einfluß der Betreuung auf die Symptomatik des Autismus. Eine<br />

exakte Prüfung des Zusammenhangs von autistischem Verhalten und der Betreuungspraxis<br />

der Mütter von DE MEYER (1979) ergibt, daß der Umgang der Mütter mit dem Kind als<br />

Ursache des Autismus nicht ausreicht, sondern daß diese negativen Umwelteinflüsse die<br />

Symptomatik lediglich verschlimmern können (vgl. Kehrer 1995, S. 75).<br />

Des weiteren ist zu berücksichtigen, daß man im Umgang mit Eltern autistischer Kinder<br />

sehr feinfühlig vorgehen muß. Die Eltern behinderter Kinder - im weitesten Sinne - neigen<br />

ohnehin dazu, sich die Schuld an der Behinderung ihrer Kinder zu geben. Daher sollte auch<br />

unter Berücksichtigung der Untersuchungen, die eine Entstehung der autistischen<br />

Störungen durch Betreuungsfehler ausschließen, von einer Schuldzuweisung an die Eltern<br />

abgesehen werden (vgl. Kehrer 1988, S. 23).<br />

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) Erbbiologische Aspekte<br />

Bereits ASPERGER unterstellte mit der Beschreibung einer besonderen Form des<br />

Autismus, der „autistischen Psychopathie“, daß das autistische Syndrom von den Eltern an<br />

die Kinder weitervererbt wird, denn Psychopathie ist eine erbliche und angeborene<br />

Persönlichkeitsstörung. Er beschreibt dementsprechend auch die Väter der entsprechenden<br />

Kinder als autistisch. Für diese Aussage gibt es allerdings bisher keine empirischen Belege<br />

(vgl. Kehrer 1988, S. 77).<br />

KEHRER sieht die Vererbung als eine Ursache neben anderen. Er ist der Meinung, daß<br />

sich Menschen mit einem voll ausgeprägten autistischen Verhalten aufgrund der<br />

entsprechenden Symptomatik kaum fortpflanzen und die Vererbung daher als alleinige<br />

Ursache auszuschließen ist. Die Vererbung von Wesenseigentümlichkeiten, wie z.B.<br />

Kontaktarmut oder Zwangsmechanismen, die eine gewisse Ähnlichkeit zu den Symptomen<br />

des Autismus haben, ist jedoch nicht von der Hand zu weisen. Es muß aber einschränkend<br />

erwähnt werden, daß exakte empirische Untersuchungen an größeren Populationen bisher<br />

fehlen (vgl. Kehrer 1995, S. 77).<br />

Neuere Untersuchungen scheinen auf das Vorliegen einer ge<strong>net</strong>ischen Ursache<br />

hinzuweisen. So zeigte sich z.B., daß Brüder und Schwestern autistischer Kinder viel<br />

häufiger Wahrnehmungsstörungen, Sprachentwicklungsverzögerungen, Lern-<br />

schwierigkeiten und geistige Behinderungen aufwiesen als die Geschwister nicht<br />

autistischer Kinder. FOLSTEIN und PIVEN sind der Meinung, daß <strong>bei</strong> Geschwistern<br />

autistischer Kinder ein erhöhtes ge<strong>net</strong>isches Risiko für autistisches Verhalten vorliege.<br />

Außerdem zeige sich <strong>bei</strong> ihnen eine Tendenz zu anderen sozialen und kognitiven Defiziten<br />

(vgl. Kehrer 1995, S. 79).<br />

Der Nachweis einer erblichen Ursache bleibt <strong>bei</strong> den vorliegenden Untersuchungen sehr<br />

unspezifisch. Es wird nicht geklärt, ob der ge<strong>net</strong>ische Einfluß auf eine kognitive Störung<br />

beschränkt ist oder ob er auch eine hirnorganische Störung <strong>bei</strong>nhaltet. Wenn man<br />

berücksichtigt, daß sehr viele Krankheiten eine erbliche Disposition als Voraussetzung<br />

haben (Krebs, Psychopathie, ...), muß auch der ge<strong>net</strong>ische Einfluß relativiert werden. Es<br />

handelt sich wahrscheinlich um eine Ursache unter vielen (vgl. Kehrer 1995, S. 79).<br />

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c) Hirnschädigung als Ursache<br />

Ein weiterer Faktor der multikausalen Entstehung des Autismus, den KEHRER anführt,<br />

sind negative Einflüsse von außen, die zu Gehirnschäden führen. Dazu gehört auch ein<br />

Sauerstoffmangel des Kindes während der Geburt. Eine Untersuchung von 80 autistischen<br />

Kindern von WILHELM (1977) zeigte, daß <strong>bei</strong> 64% der Kinder von einem prä- oder<br />

perinatalem Hirnschaden ausgegangen wurde (vgl. Kehrer 1995, S. 79). Bei ähnlichen<br />

Studien, die POLLACK und WOERNER (1966) und TORREY und Mitar<strong>bei</strong>ter (1975)<br />

durchführten, konnte ein Zusammenhang von Schwangerschaftskomplikationen und dem<br />

autistischen Syndrom nachgewiesen werden (vgl. Kehrer 1995, S. 80).<br />

Ein Zusammenhang mit perinatalen und postnatalen Störungen ist bisher nicht statistisch<br />

gesichert. Allerdings gibt es einige Studien, die auf eine Verbindung zwischen<br />

Schädigungen des Gehirns in der frühen Kindheit (bis ca. 2 Jahren) und der Entstehung des<br />

autistischen Syndroms hinweisen (vgl. Kehrer 1995, S. 80 f).<br />

d) Hirnkrankheiten als Ursache<br />

Die autistische Störung kann auch durch Krankheiten verursacht werden, die schon seit der<br />

Zeugung vorhanden, also in den Chromosomen vorgegeben sind. Dazu gehören z.B. das<br />

Down-Syndrom oder das Klinefelter-Syndrom. Vereinzelt wird von Kindern mit<br />

autistischem Verhalten berichtet, die gleichzeitig Chromosomenanomalien aufweisen.<br />

Fraglich erscheint allerdings, ob es einen Zusammenhang zwischen der Entstehung des<br />

Autismus-Syndroms und solchen Chromosomenanomalien gibt (vgl. Kehrer 1995, S. 82).<br />

Es läßt sich zusammenfassend feststellen, daß KEHRER einige Ursachen des autistischen<br />

Syndroms als geklärt ansieht. Das Zusammenspiel der vier einzelnen Ursachenfaktoren<br />

sind jedoch noch nicht ausreichend geklärt. Seiner Meinung nach handelt es sich<br />

ursächlich gesehen nicht um eine einheitliche Krankheit. Einheitlich erscheint nur die<br />

Symptomatik, die auf eine Störung der Wahrnehmungsverar<strong>bei</strong>tung zurückzuführen ist, die<br />

bereits in Kapitel 2.5.1 behandelt wurde (vgl. Kehrer 1995, S. 86).<br />

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2.5.3.2 Prädisponierende, auslösende und aufrechterhaltende Faktoren nach Kusch und<br />

Petermann<br />

KUSCH und PETERMANN unterscheiden an der Entstehung, dem Ausbruch und der<br />

Aufrechterhaltung des Autismus beteiligte Faktoren. Diese Faktoren können biologischer,<br />

psychologischer und sozialer Natur sein. Prädisponierende Faktoren wirken in einer frühen<br />

Phase der Entstehung einer Störung und werden im allgemeinen als die eigentliche<br />

Ursache verstanden. Durch die prädisponierenden Faktoren wird aber nur die<br />

Anpassungsfunktion des Organismus beeinträchtigt, was nicht notwendigerweise zur<br />

Ausbildung der Symptomatik führen muß. Dazu sind zusätzlich noch auslösende Faktoren<br />

nötig. Das Ausmaß der prädisponierenden Faktoren bestimmt, welcher Art die auslösenden<br />

Faktoren sein müssen, damit es zur Entwicklung einer Symptomatik kommt. Neben den<br />

prädisponierenden und auslösenden Faktoren sind vor allem die aufrechterhaltenden für<br />

den Verlauf der Störung verantwortlich (vgl. Kusch & Petermann 1990, S. 37).<br />

Prädisponierende Faktoren<br />

Eine genaue Klärung der prädisponierenden Faktoren des Autismus ist bisher noch nicht<br />

gelungen. Aufgrund der sehr unterschiedlichen neurologischen Befunde wird im<br />

allgemeinen von multiplen prädisponierenden Faktoren ausgegangen. Die beeinträchtigten<br />

Hirnareale sind vermutlich für die Störung der sozialen Interaktion und der symbolischen<br />

Vorstellung verantwortlich, lassen aber andere kognitive Funktionen und bestimmte<br />

Sprachfunktionen unbeeinträchtigt. KUSCH und PETERMANN schließen daraus, daß ein<br />

spezifischer Prozeß zu einem bestimmten Zeitpunkt die Entwicklung des<br />

Zentralnervensystems beeinträchtigt. Dadurch kommt es zu anhaltenden strukturellen und<br />

funktionalen Beeinträchtigungen bestimmter Hirnareale, die wiederum den im Kapitel 2.2<br />

beschriebenen Verhaltens- und Entwicklungsstörungen zugeord<strong>net</strong> werden können (vgl.<br />

Kusch & Petermann 1990, S. 37).<br />

Bei den meisten Menschen mit autistischem Verhalten lassen sich keinerlei<br />

grobstrukturelle Veränderungen des Zentralnervensystems nachweisen. Bisher<br />

identifizierte organische Störungen sind nur <strong>bei</strong> einer geringen Anzahl der betroffenen<br />

Personen zu finden. Die meisten grobstrukturellen Veränderungen lassen sich auf die<br />

mitbeteiligte geistige Behinderung zurückführen. Störungen in der ersten Phase der<br />

zentralnervösen Entwicklung (grobstrukturelle Entwicklung) führen zu leicht<br />

identifizierbaren organischen Veränderungen. Daher muß der für die autistischen<br />

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Störungen verantwortliche Prozeß in der zweiten Phase der zentralnervösen Entwicklung<br />

(feinstrukturelle Entwicklung) wirksam sein, in der es zur neuronalen Differenzierung, zur<br />

Ausbildung von Synapsen und zur Myelisierung der Nervenbahnen kommt. Dieses<br />

Endstadium der zentralnervösen Entwicklung liegt kurz vor und kurz nach der Geburt (vgl.<br />

Kusch & Petermann 1990, S. 38 ff).<br />

Für die Lokalisierung der neurologischen Störung gibt es nach KUSCH und<br />

PETERMANN drei Möglichkeiten. Sie kann als Dysfunktion der Strukturen im<br />

Temporallappen, Mesolimbische-striatale Dysfunktion oder als gestörte sensorische<br />

Modulation auf Hirnstamm-Ebene vorliegen. Alle drei Hypothesen lassen sich durch eine<br />

Anzahl von Studien bestätigen. Zum Teil überschneiden sie sich in der Erklärung der<br />

autistischen Symptome und der betroffenen neuronalen Systeme (vgl. Kusch & Petermann<br />

1990, S. 40).<br />

Da die für den Autismus verantwortliche neurologische Störung in den späten Stadien der<br />

zentralnervösen Entwicklung eintritt, können feinstrukturelle neuroanatomische und<br />

neurochemische Fehlfunktionen vorliegen. Zu feinstrukturellen Veränderungen wurden<br />

bisher nur wenige Untersuchungen an Einzelpersonen durchgeführt, die bisher keine<br />

bedeutsamen Befunde nachweisen konnten. Dies ist damit zu begründen, daß nicht die<br />

Anzahl der Neuronen <strong>bei</strong> Menschen mit autistischem Verhalten verändert ist, sondern die<br />

Neuronendifferenzierung, die Synapsenentwicklung oder die Myelinisierung. Solche<br />

Veränderungen sind zur Zeit nicht ausreichend zu erforschen, so daß feinstrukturelle<br />

Veränderungen <strong>bei</strong> Menschen mit autistischem Verhalten heute noch nicht nachweisbar<br />

sind. In letzter Zeit werden auch neurochemische Prozesse als mögliche Ursache der<br />

autistischen Störungen in Betracht gezogen. Für diesen Erklärungsansatz sprechen auch<br />

neurochemische Studien. Bisher gibt es drei wichtige neurochemische Hypothesen zum<br />

Autismus (vgl. Kusch & Petermann 1990, S. 41 f):<br />

1. Die Serotonin – Hypothese<br />

Bei 25% aller Kinder mit autistischem Verhalten ist ein erhöhter<br />

Serotoninspiegel nachweisbar. Diese Befunde sind vermutlich nicht<br />

autismusspezifisch, da sie häufig mit einer geistigen Behinderung einhergehen.<br />

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2. Die Dopamin – Hypothese<br />

Bei 50% aller Kinder mit autistischem Verhalten ist ein erhöter Dopaminwert<br />

nachweisbar. Eine mögliche Beteiligung des Dopamins an den autistischen<br />

Störungen wird durch die Bemühungen der pharmakologischen Therapie<br />

unterstützt. Die Auffälligkeiten der Dopaminwerte ist unabhängig von einer<br />

geistigen Behinderung beobachtbar.<br />

3. Die Neuropeptid – Hypothese<br />

Bei 54% der Kinder mit autistischem Verhalten liegen Störungen bestimmter<br />

Neuropeptidmuster vor. Weitere Befunde liegen zu dieser Hypothese noch nicht<br />

vor.<br />

Die prädisponierenden Faktoren beeinträchtigen nur die Anpassungsfunktionen des<br />

Organismus. Das Auftreten von Symptomen ist damit noch nicht zwingend gegeben. Es<br />

müssen außerdem auslösende Faktoren hinzukommen, die den Ausbruch der Störung<br />

bewirken (vgl. Kusch & Petermann 1990, S. 42).<br />

Auslösende Faktoren<br />

Über die auslösenden Faktoren der autistischen Störungen ist bisher noch sehr wenig<br />

bekannt. Sie können biologischer, psychologischer und sozialer Natur sein und führen im<br />

Gegensatz zu den prädisponierenden Faktoren direkt zu einer Veränderung des Verhaltens.<br />

KUSCH und PETERMANN nennen zwei auslösende Faktoren, die identifizierbar sind.<br />

Zum einen das Geburtsereignis selbst, das an das Zentralnervensystem völlig neue<br />

Anforderungen stellt und damit zu einer Symptomentwicklung <strong>bei</strong>tragen kann. Zum<br />

anderen die entwicklungsbedingten psychischen Anforderungen des 8. bis 24.<br />

Lebensmonats. In dieser Zeit werden spezifische psychologische Funktionen ausgebildet.<br />

Es werden zwei voneinander relativ unabhängige auslösende Bedingungskonstellationen<br />

vermutet. Dies wird damit begründet, daß 76% der Kinder mit autistischem Verhalten vor<br />

dem 24. Lebensmonat Entwicklungsstörungen zeigen, was sich durch die oben erwähnten<br />

Anforderungen erklären ließe. Da es aber auch zu einer Ausbildung der autistischen<br />

Symptomatik nach einer annähernd normalen Entwicklung in den ersten Lebensjahren<br />

kommen kann, wird außerdem von auslösenden Bedingungen ausgegangen, die an einem<br />

Beginn der Symptomatik nach dem 3. Lebensjahr beteiligt sind (vgl. Kusch & Petermann<br />

1990, S. 42 ff).<br />

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Aufrechterhaltende Faktoren<br />

Die für den Verlauf der autistischen Störung verantwortlichen aufrechterhaltenden<br />

Bedingungen sind relativ gut bekannt. Dazu gehört vor allem die Intelligenz. So führt ein<br />

IQ-Wert über 55 bis 60 zu einer günstigen Prognose, was den weiteren Verlauf der Störung<br />

angeht. Ein Intelligenzquotient von 70 oder darüber spricht nicht zwangsläufig für einen<br />

günstigen Verlauf der Entwicklung. Bildet das Kind vor dem 5. Lebensjahr eine sinnvolle<br />

Sprache aus, so wirkt sich das positiv auf den weiteren Verlauf aus. Kinder mit einem IQ-<br />

Wert unter 50 haben kaum eine Möglichkeit, sinnvolle Sprachfähigkeiten nach dem 5.<br />

Lebensjahr zu entwickeln. Die Sprachentwicklung ist damit auch von der Intelligenz<br />

beeinflußt (vgl. Kusch & Petermann 1990, S. 46).<br />

2.5.3.3 Psychologische Erklärungsmodelle<br />

Mit Hilfe der psychologischen Erklärungsmodelle wird versucht, grundlegende psychische<br />

Störungsaspekte zu beschreiben, welche die autismusspezifische Symptomatik<br />

aufrechterhalten. KUSCH und PETERMANN stellen fünf psychologische<br />

Erklärungsmodelle gleichberechtigt vor, weil sie das psychologische Kernproblem der<br />

Kinder mit autistischem Verhalten aus unterschiedlichen Perspektiven darstellen. Es wird<br />

im allgemeinen davon ausgegangen, daß nicht einzelne psychische Aspekte gestört sind,<br />

sondern die Interaktion zwischen ihnen.<br />

Logico – affektive Theorie nach HERMELIN und O`CONNER<br />

Dieser Theorie zufolge ist der Autismus in einer Störung des kognitiv-emotionalen<br />

Bereichs begründet. Demnach liegt zwischen dem Plan einer Handlung (Regung) und der<br />

Handlung selbst häufig eine spontane emotionale Reaktion (Affekt). Daher wird eine<br />

Handlung von einen kognitiv-emotionalen Zustand bestimmt. HERMELIN und<br />

O`CONNER belegen anhand von Studien, daß sowohl gestörte kognitive als auch gestörte<br />

affektive Prozesse so miteinander interagieren können, daß sie nicht mehr funktionieren.<br />

Diese Situation nennen HERMELIN und O`CONNER einen „logico-affektiven Zustand“.<br />

Dadurch werden vor allem die Verhaltensbereiche beeinträchtigt, die einer Interaktion der<br />

kognitiven und affektiven Funktionen bedürfen, wie z.B. Aufmerksamkeit, die Auswahl<br />

wesentlicher Reize aus einem Reizmuster sowie die verbale und nonverbale<br />

Kommunikation. Der Logico-affekiven Theorie lassen sich die im folgenden dargestellten<br />

Theorien der sozialen Störung, der affektiven Störung und der kognitiven Störung<br />

zuordnen. (vgl. Kusch & Petermann 1990, S. 51 ff).<br />

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Theorie einer sozialen Störung nach FEIN et al.<br />

FEIN et al. zufolge sind soziale Störungen grundlegend für die Symptomatik des Autismus<br />

verantwortlich. Sie begründen diese These damit, daß Kinder mit autistischem Verhalten in<br />

Testsituationen gerade in den Bereichen Schwächen zeigen, in denen soziale und affektive<br />

Anforderungen an sie gestellt werden. Außerdem ist die für die autistischen Störungen so<br />

typische soziale Zurückgezogenheit selbst <strong>bei</strong> schwer gestörten Säuglingen nur sehr selten<br />

zu finden und somit autismusspezifisch. Kognitive und affektive Funktionen, die sich<br />

normalerweise parallel entwickeln, unterscheiden sich <strong>bei</strong> diesen Kindern qualitativ stark<br />

voneinander. Das Neugeborene besitzt normalerweise bereits eine Vielzahl ge<strong>net</strong>isch<br />

bedingter Kompetenzen, die es ihm ermöglichen sich der neuen Umwelt anzupassen. Bei<br />

Kindern mit autistischem Verhalten sind nun die neuronalen Systeme gestört, die für das<br />

Kontakt- und Sozialverhalten verantwortlich sind. Dadurch werden gerade die kognitiven<br />

Funktionen beeinträchtigt, die stark von sozialen Beziehungen und sozialer Motivation<br />

abhängen, wie z.B. symbolisches Spiel und kommunikative Sprache (vgl. Kusch &<br />

Petermann 1990, S. 53 f).<br />

Affekt – Theorie nach HOBSON<br />

Nach HOBSON ist die soziale und kommunikative Störung von Kindern mit autistischem<br />

Verhalten primär affektiv. Nicht-autistische Kinder sind von Geburt an und unabhängig<br />

von der Kognition in der Lage, für die Gefühle anderer Personen sensibel zu sein. Beim<br />

Autismus ist diese angeborene Fähigkeit gestört. Dadurch ist das Kind mit autistischem<br />

Verhalten nicht in der Lage, persönliche Beziehungen aufzubauen. Um sich eine<br />

Vorstellung von der Welt zu machen, bedarf es aber der Beziehung zu anderen Personen.<br />

Da <strong>bei</strong> Kindern mit autistischem Verhalten die Fähigkeit zum Aufbau solcher Beziehungen<br />

fehlt, sind sie nicht in der Lage, andere Personen als Menschen mit eigenen Gefühlen,<br />

Gedanken, Wünschen und Intentionen zu erkennen. Dadurch kommt es zu einer schweren<br />

Beeinträchtigung im abstrakten und symbolischen Denken. Der größte Teil der Störungen<br />

von Kindern mit autistischem Verhalten hängt mit diesen Fähigkeiten zusammen (vgl.<br />

Kusch & Petermann 1990, S. 55 f).<br />

Die Kognitionstheorie nach BARON-COHEN<br />

Diese Theorie geht von einer primär kognitiven Erklärung der sozialen Beeinträchtigung<br />

von Menschen mit autistischem Verhalten aus. BARON-COHEN geht grundsätzlich davon<br />

aus, daß jeder Mensch die geistigen Zustände anderer Personen erst erschließen muß, da<br />

sie nicht direkt beobachtbar sind. Die Fähigkeit, anderen Personen bestimmte geistige<br />

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Zustände zuzuschreiben, wird als „Theory of Mind“ bezeich<strong>net</strong> und erfordert komplexe<br />

kognitive Strukturen. Eigene Überzeugungen von der physikalischen Welt werden<br />

„primäre Repräsentationen“ genannt. Vorstellungen von den geistigen Zuständen anderer<br />

Personen sind also Repräsentationen von den Repräsentationen der anderen und werden<br />

daher auch „Metarepräsentationen“ genannt. BARON-COHEN geht davon aus, daß die<br />

metarepräsentationalen Fähigkeiten <strong>bei</strong> Menschen mit autistischem Verhalten<br />

beeinträchtigt sind. Diese Beeinträchtigung wird durch ein zentrales kognitives Defizit<br />

verursacht. Dadurch lassen sich die Mängel <strong>bei</strong> bestimmten sozialen Fertigkeiten,<br />

pragmatische Defizite und Störungen im vorstellungsmäßigen Spiel erklären (vgl. Kusch &<br />

Petermann 1990, S. 56 ff).<br />

Theorie des sozialen Lernens nach STERNBERG<br />

STERNBERG führt den Autismus auf eine Störung der kognitiven<br />

Informationsverar<strong>bei</strong>tung zurück. Das Kernproblem der Menschen mit autistischem<br />

Verhalten ist seiner Meinung nach eine Funktionsstörung des Wissenserwerbs. Drei<br />

Bereiche der Intelligenz sind für den Aufbau von Wissen von Bedeutung: die Verbindung<br />

der Intelligenz mit der inneren Welt eines Individuums, mit der äußeren Welt und mit den<br />

bereits gemachten Erfahrungen. Der Prozeß des Wissenserwerbs, der Voraussetzung für<br />

jegliches Lernen ist, erfordert drei Verar<strong>bei</strong>tungsprozesse, die zunächst relativ unabhängig<br />

von der Problematik des Autismus beschrieben werden (vgl. Kusch & Petermann 1990, S.<br />

59):<br />

Das selektive Entschlüsseln beschreibt das Trennen von wesentlichen und unwesentlichen<br />

Informationen. Als wichtig werden da<strong>bei</strong> solche erachtet, die im allgemeinen als zentral<br />

gelten. Erst durch das Herstellen einer gemeinsamen Bedeutung ist es möglich, daß wir in<br />

einer Welt leben, die auch von anderen Personen verstanden wird. Diese Gemeinsamkeit in<br />

der Wahrnehmung ist eine wichtige Voraussetzung für Kommunikation (vgl. Kusch &<br />

Petermann 1990, S. 59).<br />

Das selektive Kombinieren beschreibt das Zusammenfügen der bereits selektierten<br />

Informationen zu intern konsistenten Erfahrungsstrukturen. Auch diese Strukturen sind so<br />

beschaffen, daß sie im wesentlichen mit denen anderer Personen übereinstimmen. Es<br />

kommt zu einem Konsens, der es ermöglicht, sich über die gemachten Erfahrungen mit<br />

anderen Menschen auszutauschen. Würden bestimmte Erfahrungen für verschiedene<br />

Personen etwas völlig anderes bedeuten, so könnten sich die Gesprächspartner nicht<br />

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verstehen und eine Kommunikation wäre kaum aufrechtzuerhalten. Dadurch würde es<br />

letztlich zu einer sehr großen emotionalen Distanz kommen (vgl. Kusch & Petermann<br />

1990, S. 59 f).<br />

Das selektive Vergleichen beschreibt das Verknüpfen von neuen Informationen mit bereits<br />

bekannten Informationen. Dadurch werden die neuen Strukturen in das bereits vorhandene<br />

Wissen eingear<strong>bei</strong>tet und es entsteht ein neues kognitives Schema. Würden neue<br />

Informationen unabhängig von bereits gemachten Erfahrungen verar<strong>bei</strong>tet werden, wäre<br />

jedes Ereignis völlig neu und ohne Zusammenhang (vgl. Kusch & Petermann 1990, S. 60).<br />

STERNBERG geht davon aus, daß <strong>bei</strong> Menschen mit autistischem Verhalten alle drei<br />

Verar<strong>bei</strong>tungsprozesse gestört sind. Dadurch hat das Kind mit autistischem Verhalten vor<br />

allem Schwierigkeiten mit neuen Aufgaben oder in unbekannten Situationen. Aufgrund der<br />

qualitativ veränderten Verar<strong>bei</strong>tungsprozesse kommt es zu Wissensstrukturen, die für<br />

andere nicht nachvollziehbar sind. Davon werden auch Sprache und Kommunikation<br />

beeinflußt. Die frühe Störung der drei Verar<strong>bei</strong>tungsprozesse führt außerdem zu schweren<br />

Beeinträchtigungen der sozialen Beziehungen (vgl. Kusch & Petermann 1990, S. 61).<br />

Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß die verschiedenen psychologischen<br />

Erklärungsmodelle versuchen, die autistischen Störungen auf das Zusammenspiel der<br />

kognitiven und affektiven Fähigkeiten zurückzuführen. Da<strong>bei</strong> beziehen sie sich auf<br />

unterschiedliche Störungsaspekte, sehen aber besonders in den Bereichen Schwierigkeiten,<br />

in denen andere Personen eine Rolle spielen. Die Erklärungsmodelle sind rein<br />

hypothetische Überlegungen und ersetzen daher nicht die weitere Erforschung des<br />

Phänomens Autismus (vgl. Kusch & Petermann 1990, S. 61).<br />

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3. Musiktherapie<br />

3.1 Wirkung von Musik auf den Menschen<br />

Jeder Mensch hat vermutlich verschiedenste Erfahrungen mit der Wirkung von Musik im<br />

alltäglichen Leben gemacht. Mit der Wirkung der Musik auf den Menschen beschäftigt<br />

sich die Musikpsychologie. Im folgenden stelle ich die Musik im Rahmen der<br />

Musikpsychologie dar und beschreibe unterschiedliche Wirkungen der Musik auf den<br />

Menschen.<br />

3.1.1 Grundlagen der Musik<br />

Musik ist eine Möglichkeit des Menschen, sich künstlerisch zu äußern. Dazu stehen Töne,<br />

Klänge und Geräusche zur Verfügung, die nach bestimmten Regeln miteinander<br />

verbunden, geord<strong>net</strong> und geformt werden können. Bei regelmäßigen Schwingungen eines<br />

Körpers oder Gases entsteht ein Klang oder Ton, <strong>bei</strong> unregelmäßigen ein Geräusch. Die<br />

wichtigsten Eigenschaften eines Tones sind seine Höhe, die Lautstärke und seine<br />

Klangfarbe. Um der Musik Ausdruck zu verleihen, werden Melodie, Harmonie, Rhythmus,<br />

Metrum und Tempo eingesetzt (vgl. Ziegenrücker 1986, S. 11 und 14).<br />

„Jede Epoche und Kultur hat einen eigenen Musikbegriff geprägt.<br />

Gemeinsam scheint nur, daß es sich um absichtsvoll gestaltete akustische<br />

Vorgänge handelt. Die Mittel der musikalischen Gestaltung sind Rhythmus,<br />

Melodie, Instrumentation, Tonstärke und harmonische bzw. disharmonische<br />

Ordnungsstrukturen.“<br />

(vgl. Bertelsmann Electronic Publishing GmbH 1997)<br />

Der Musikbegriff innerhalb der Musikpsychologie hat drei verschiedene Daseinsebenen,<br />

die einander ergänzen:<br />

1. Musik als extern Musik wird auf Tonträgern oder<br />

koordinierte Information in Form von Noten festgehalten.<br />

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2. Musik als akustische Klänge in Form physikalischer<br />

Struktur Schallwellen durchdringen den Raum.<br />

3. Musik als Phänomen Musik wird über das menschliche<br />

menschlichen Erlebens Ohr aufgenommen und durch das<br />

Gehirn verar<strong>bei</strong>tet.<br />

In der Musiktherapie sind alle drei Ebenen der Musik von Bedeutung. Die ersten <strong>bei</strong>den<br />

sind für den therapeutischen Prozeß von untergeord<strong>net</strong>er Bedeutung. Therapeutisch<br />

wirksam ist die Musik nur als Phänomen der menschlichen Wahrnehmung.<br />

„Musik wird zur Musik durch das Erleben des Menschen“ (Bruhn 1999, S. 18).<br />

Damit soll verdeutlicht werden, daß Musik zunächst als physikalisches Ereignis entsteht,<br />

aber erst durch die Wahrnehmung und die damit verbundenen Vorstellungen und<br />

Emotionen zu dem wird, was wir als Musik bezeichnen. Der Zusammenhang zwischen der<br />

Musik und den physikalischen Eigenschaften der Klänge ist nicht eindeutig, weil sie in<br />

unterschiedlicher Genauigkeit aufgenommen, in Wechselbeziehung zu der momentanen<br />

Befindlichkeit und den bereits gemachten Erfahrungen verar<strong>bei</strong>tet werden (vgl. Bruhn<br />

1999, S. 18).<br />

3.1.2 Wirkungsweisen der Musik<br />

Musik führt zu emotionalen und affektiven Erregungen, die sich als vegetative<br />

Funktionsveränderungen im körperlichen Bereich bemerkbar machen. Diese<br />

psychophysiologischen Veränderungen konnten durch wissenschaftliche Untersuchungen<br />

bestätigt werden (vgl. Scheytt in: Decker-Voigt 1983, S. 221). SCHEYTT beschreibt die<br />

Auswirkungen von Musik auf verschiedene Funktionen des menschlichen Körpers:<br />

Musik und Herztätigkeit – Der eigene Herzrhythmus spielt <strong>bei</strong> der Beurteilung der<br />

sinnlichen Wahrnehmung eine entscheidende Rolle, wenn es um die Beurteilung des<br />

Tempos geht. Es ist aber auch möglich, den Herzschlag mit akustischen, insbesondere<br />

musikalischen Reizen zu beeinflussen. Dies liegt daran, daß vom Hörnerv aus direkte<br />

Reflexleitungen zu den motorischen Teilen im Hirnstamm verlaufen, die für die<br />

Herzfunktion verantwortlich sind (vgl. Scheytt in: Decker-Voigt 1983, S. 223).<br />

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Musik und Atmung – Die Atmung wird <strong>bei</strong>m Anhören von Musik je nach Art der Musik<br />

unterschiedlich beeinflußt. Die zu beobachtenden Veränderungen sind <strong>bei</strong><br />

unterschiedlichen Menschen unterschiedlich groß, aber in Art und Weise vergleichbar. Bei<br />

schneller, sich beschleunigender Musik, beschleunigt sich auch die Puls- und<br />

Atemfrequenz. Die Änderung der Atmung wird subjektiv nicht wahrgenommen (vgl.<br />

Scheytt in: Decker – Voigt 1983, S. 223).<br />

Musik und Hirntätigkeit – Auch die Hirntätigkeit wird vom Rhythmus der Musik<br />

beeinflußt. Die Gehirnwellen nehmen einen Rhythmus ein, der ansonsten in Ruhe- und<br />

Entspannungsphasen auftritt. Andererseits ist es auch möglich, daß durch besonders<br />

rhythmische Musik epileptische Anfälle ausgelöst werden (vgl. Scheytt in: Decker – Voigt<br />

1983, S. 223).<br />

Neben den genannten Wirkungsweisen ist für die musiktherapeutische <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> besonders<br />

die emotionale Wirkung der Musik von Bedeutung. Da<strong>bei</strong> handelt es sich vor allem um<br />

gedanklich-assoziative und emotional-affektive Einflüsse. Gedanklich-assoziative<br />

Reaktionen lassen sich kaum vorausbestimmen. Durch das Empfinden von Musik werden<br />

auch unterschiedliche Gefühle und Affekte ausgelöst. Da<strong>bei</strong> ist besonders zu erwähnen,<br />

daß sich <strong>bei</strong> verschiedenen Personen eine überraschende Übereinstimmung in der Art der<br />

empfundenen Emotionen zeigt (vgl. Huppmann & Strobel 1997, S. 33 ff).<br />

Von großer Bedeutung ist außerdem die kommunikative Funktion der Musik. Sie steht<br />

da<strong>bei</strong> als nonverbale Kommunikationsmöglichkeit im Zentrum der <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> (vgl. Huppmann<br />

& Strobel 1997, S. 52 f). Da<strong>bei</strong> kann die Musik sprachliche Kommunikation einleiten oder<br />

Sprache ersetzen, wenn Sprache als Kommunikationsmittel nicht zur Verfügung steht (vgl.<br />

Bruhn 1999, S. 30). PFEFFER (1973) unterscheidet drei verschiedene Wirkungen von<br />

Musik (vgl. Huppmann & Strobel 1997, S. 35):<br />

1. Aktivierung: durch rhythmische Musik<br />

2. ordnende / regulierende Wirkung: durch langsame, getragene Musik<br />

3. Ruhe / Stille / Geborgenheit / Vertrauen: durch verhallende Klänge<br />

Akustische Reize führen im Vergleich zu allen anderen Sinnesreizen zu den stärksten<br />

vegetativen Wirkungen. Dies läßt sich vielleicht durch die enge Verknüpfung des<br />

Gehörsinnes mit dem Thalamus, dem Limbischen System und den emotionalen Bereichen<br />

des Gehirns, der Thymopsyche, erklären (vgl. Scheytt in: Decker-Voigt 1983, S. 222).<br />

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Die emotionale Beteiligung <strong>bei</strong>m Musizieren ist sehr viel größer als <strong>bei</strong>m eher passiven<br />

Musikhören. Dies zeigt sich wiederum an den stärkeren vegetativen Veränderung <strong>bei</strong>m<br />

Musizieren (vgl. Scheytt in: Decker-Voigt 1983, S. 225).<br />

3.2 Geschichte der Musiktherapie<br />

Die heilende Wirkung der Musik war schon vor 3000 Jahren bekannt. Papyrusrollen aus<br />

dem alten Ägypten (1500 Jahre v. Chr.) berichten über den Einfluß der Musik in der<br />

Medizin. Auch in der frühen griechischen Antike und im Alten Testament werden der<br />

Musik heilende Eigenschaften zugesprochen (vgl. Bruhn 1999, S.8 und Huppmann &<br />

Strobel 1997, S. 16 f). Die Erklärung der Wirkung von Musik auf den Menschen geschieht<br />

auf drei verschiedenen Wegen (vgl. Bruhn 1999, S. 8 ff):<br />

1. Musik als mystisches Werkzeug:<br />

Den ältesten Quellen zufolge wird der Musik eine magische Kraft zugesprochen, die<br />

nicht weiter erklärt wird. Die Abgrenzung zu esoterischen Mythen ist auch heute noch<br />

nicht ausreichend. Besonders in der New Age-Philosophie wird der Musik nach wie<br />

vor noch eine mystische Wirkung zugesprochen.<br />

2. Musik als Abbild kosmischer Ordnung:<br />

In der antiken griechischen Philosophie wurden Körper und Seele als geord<strong>net</strong>es<br />

Ganzes verstanden. Die Musik spiegelte diese Ordnung wider, und Gesetzmäßigkeiten<br />

von Musik, Körper und Seele wurden als analog angesehen. Die Wirkung der Musik<br />

wurde aus einer wechselseitigen Beeinflussung abgeleitet.<br />

3. Musik als Medikament:<br />

Mit der Entdeckung des Blutkreislaufes (17. / 18. Jh.) und der Wirkungsweise<br />

chemischer Substanzen auf den Körper wurden auch neue theoretische Überlegungen<br />

zur Wirkung der Musik angestellt. Ergebnis war die sogenannte Iatromusik, die als<br />

chemisch-physikalische Intervention betrachtet wurde. Sie wurde rezeptiv bis in die<br />

50er Jahre dieses Jahrhunderts eingesetzt.<br />

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Bis weit ins 20. Jahrhundert war man der Meinung, man müsse Musik passiv auf sich<br />

einwirken lassen. In den 40er und 50er Jahren zeigte sich, daß die therapeutische Wirkung<br />

des reinen Musikhörens nicht nachweisbar ist. Darauf wurde in den USA der Begriff<br />

Musiktherapie stark ausgeweitet und der amerikanische Dachverband „National<br />

Association for Music Therapy“ (NAMT) gegründet. Musik wird seither in die<br />

Sonderpädagogik mit einbezogen (vgl. Bruhn 1999, S. 13).<br />

Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte die Schulmedizin, insbesondere die Psychiatrie, den<br />

größten Einfluß auf die musiktherapeutische <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong>. Bei traditionellen<br />

Behandlungsmethoden wurde die Musiktherapie als Hilfsmittel eingesetzt, um auf das<br />

Verhalten des Patienten einzuwirken. Aus der Sozialpädagogik stammten die ersten<br />

Musiktherapieprojekte, die wissenschaftlich orientiert waren. Von der Musikpädagogik<br />

angeregt wurde der Umgang mit Musik auch auf das heilpädagogische Gebiet übertragen<br />

(vgl. Bruhn / Oerter / Rösing 1994, S. 405 f).<br />

In Europa wurde die Musiktherapie in den 70er Jahren hauptsächlich von Autodidakten<br />

betrieben. Wichtige Impulse sind von der anthroposophischen Musiktherapie der Steiner-<br />

Bewegung ausgegangen. Die passive Musiktherapie wurde dadurch zunehmend von der<br />

aktiven verdrängt und die therapeutische Improvisation zu einer zentralen Methode. Mit<br />

dem Auftreten der ersten Absolventen der neu gegründeten Institute in den 90er Jahren<br />

wurde der Einfluß der Autodidakten geringer und die konfliktzentrierte <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong>, im Sinne<br />

einer Psychotherapie, als zentrales Anliegen der Musiktherapie verstanden. Dadurch geriet<br />

die <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> mit Behinderten an den Sonderschulen zeitweise in den Hintergrund (vgl. Bruhn<br />

1999, S. 13 f).<br />

3.3 Definition und Zielsetzung<br />

Der Begriff „Musiktherapie“ ist nur schwer zu definieren, weil er eine große Spannweite<br />

an Aktivitäten umfaßt (Musikhören zur Entspannung, Musikmachen mit Behinderten,<br />

Psychotherapie mit musikalischen Mitteln). Dies liegt vermutlich daran, daß sich die<br />

Musiktherapie aus mehreren voneinander unabhängigen Fachrichtungen entwickelt hat.<br />

Als wesentliche Richtungen sind die Schulmedizin, klinische Psychologie, Pädagogik und<br />

Sonderschulpädagogik zu nennen. Ich möchte mich der Musiktherapie-Definition der<br />

NAMT anschließen (vgl. Bruhn 1999, S. 1):<br />

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„Musiktherapie ist die gezielte Anwendung von Musik oder musikalischen<br />

Elementen, um therapeutische Ziele zu erreichen [...]. Durch Musiktherapie<br />

soll dem Patienten Gelegenheit gegeben werden, sich selbst und seine Umwelt<br />

besser zu verstehen, sich in ihr freier und effektiver zu bewegen und eine<br />

bessere psychische Stabilität und Flexibilität zu entwickeln.“<br />

(Übersetzung Eschen 1979, S. 548)<br />

Die Definition eines zu erreichenden Therapieziels hängt einerseits von der Art der<br />

Störung des Patienten ab, zum anderen aber auch von den Vorstellungen des Therapeuten.<br />

Als anzustrebende Ziele können z.B. das Funktionieren in der Gesellschaft oder das<br />

Wohlbefinden des Patienten gelten (vgl. Huppmann & Strobel 1997, S. 14).<br />

In der musiktherapeutischen <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> mit Menschen mit autistischem Verhalten ist die<br />

größtmögliche Kommunikationsfähigkeit ein wesentliches Therapieziel. Die Musik wird<br />

da<strong>bei</strong> als Möglichkeit des Zugangs eingesetzt, ohne Angst <strong>bei</strong>m Menschen mit<br />

autistischem Verhalten auszulösen. Dazu sollte zu Beginn der Therapie in Einzelsituation<br />

gear<strong>bei</strong>tet werden. Als erste Kontaktaufnahme sind die Improvisation des Therapeuten, das<br />

Wecken des Interesses am Instrument, Singen, Musizieren, Tanz und Bewegung<br />

einsetzbar. Es hat sich gezeigt, daß mit Hilfe der Musiktherapie große Erfolge im Bereich<br />

der autistischen Störungen zu erreichen sind. Das läßt sich vor allem mit den vielen bisher<br />

veröffentlichten Fallstudien belegen (vgl. Huppmann & Strobel 1997, S. 134 und 138 ff).<br />

3.4 Musik im Schnittfeld zwischen Pädagogik, Sonderpädagogik und Therapie<br />

Die <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> mit Musik in den Bereichen Pädagogik, Sonderpädagogik und Therapie läßt<br />

sich unterscheiden (vgl. Bruhn 1999, S. 2):<br />

Pädagogik - Veränderung und Differenzierung von Kenntnissen und<br />

Fertigkeiten von einem mittleren auf ein höheres Niveau<br />

Sonderpädagogik - Lernen im Umgang mit dauerhaften Behinderungen<br />

Therapie - Beseitigung von Beeinträchtigungen und Behinderungen<br />

und Veränderung vom Krankhaften zum Normalen<br />

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In der älteren Literatur werden Musikpädagogik und -therapie anhand der<br />

unterschiedlichen Orientierungen voneinander getrennt. Musiktherapie wird da<strong>bei</strong> als<br />

prozeßorientiert eingestuft. Es ist demnach nicht wichtig, wie die produzierte Musik klingt.<br />

Der Schwerpunkt der musiktherapeutischen <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> liegt auf dem mit Hilfe der Musik<br />

einzuleitenden Prozeß. Die Musikpädagogik hingegen verfolgt die Vermittlung von<br />

Wissen und Fertigkeiten die Musik betreffend. Das Ziel der <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> ist auf Musik bezogenes<br />

Faktenwissen oder die tatsächliche Aufführung von Musik als Endprodukt (vgl. Bruhn<br />

199, S. 2).<br />

Diese Sichtweise führt allerdings zu einer künstlichen Trennung von Pädagogik und<br />

Therapie. Gerade <strong>bei</strong> der <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> im sonderpädagogischen Bereich zeigt sich, daß diese<br />

Trennung nicht sinnvoll ist. Beide Bereiche sind eng miteinander verbunden (vgl. Bruhn<br />

1999, S. 2). In der folgenden Grafik von TISCHLER wird deutlich, daß die Übergänge von<br />

Therapie und Pädagogik fließend sind:<br />

Intensitätsgrad /<br />

Ausmaß der<br />

Störung<br />

3.5 Methodik der Musiktherapie<br />

Therapie klinisch-therapeutische<br />

Maßnahmen und Ziele<br />

Sonder - sonderpädagogische, sozial -<br />

pädagogik integrative Maßnahmen / Ziele<br />

(schul -) pädagogische,<br />

Pädagogik psychoprophylaktische und -<br />

hygienische Maßnahmen / Ziele<br />

Musikpädagogik<br />

Musiktherapie<br />

Musik im Schnittfeld von Pädagogik, Sonderpädagogik und Therapie<br />

(vgl. Tischler / Moroder-Tischler 1998, S. 13)<br />

Die musiktherapeutische <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> läßt sich nach verschiedenen Gesichtspunkten einteilen.<br />

Bei der <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> mit Menschen mit autistischem Verhalten sind bestimmte Methoden zu<br />

bevorzugen. Im folgenden werde ich verschiedene <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong>sweisen unter der<br />

Berücksichtigung der autistischen Störungen vorstellen.<br />

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3.5.1 Das Setting<br />

Als Setting wird die Umgebung, in der die Therapie durchgeführt wird, bezeich<strong>net</strong>. Dazu<br />

gehören Raum, Ausstattung, Instrumente und Einflüsse von außen. Auch Therapeut und<br />

Klient/en sind Teil des Settings. Das Setting sollte immer auf die Bedürfnisse des Klienten<br />

abgestimmt sein (vgl. Bruhn 1999, S. 43).<br />

Der Therapieraum sollte möglichst von Geräuschen isoliert sein. Störungen von außen sind<br />

generell zu vermeiden. Der Raum sollte hell und ausreichend belüftet sein. BENENZON<br />

ist der Meinung, daß er ca. 5 x 5 Meter groß und in gedämpften Farben gestrichen sein<br />

sollte. Schmückende Gegenstände wie Poster oder Bilder sollen nicht vorhanden sein, da<br />

sie von der therapeutischen <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> ablenken (vgl. Benenzon 1983, S. 48).<br />

Da die Instrumente als Brücke zwischen den Beteiligten auch dem Ausdrucksbedürfnis des<br />

Klienten entsprechen müssen, muß das Angebot an Instrumenten sehr reichhaltig sein.<br />

BRUHN nennt Instrumente, die zur Minimalausstattung eines Musiktherapeuten gehören<br />

sollten (vgl. Bruhn 1999, S. 35):<br />

Fellinstrumente: eine Pauke, verschiedene Bongos und Kongas,<br />

mehrere kleine Folklore-Instrumente<br />

Mallet-Instrumente: ein Vibraphon, eventuell ein Marimbaphon,<br />

geeig<strong>net</strong>e Schlegel<br />

Folklore – Instrumente: Schlitztrommel, Ethnopercussion, geeig<strong>net</strong>e Schlegel<br />

Effekt – Instrumente: ein Gong, ein Sound-Creation-Set, ein Synthesizer<br />

Tasteninstrumente: ein Klavier oder Flügel<br />

Saiteninstrumente: ein Monochord, zwei bis drei Leiern<br />

Bei Menschen mit autistischem Verhalten sollte <strong>bei</strong> der Einrichtung des Raums darauf<br />

geachtet werden, daß der Raum auf den Klienten nicht reizüberflutend wirkt. BRUHN<br />

schlägt vor, einen gesonderten Raum für die Therapie mit Menschen mit autistischem<br />

Verhalten bereitzustellen und die Zahl der Musikinstrumente zu begrenzen (vgl. Bruhn<br />

1999, S. 43 und 83).<br />

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3.5.2 Rezeptive und aktive Musiktherapie<br />

Mit aktiver Musiktherapie wird allgemein das aktive Musizieren verbunden. In der<br />

sogenannten rezeptiven Musiktherapie wird Musik nicht produziert, sondern gehört. Diese<br />

Einteilung ist jedoch problematisch. Bei der „rezeptiven“ Musiktherapie wird die Musik<br />

aktiv aufgenommen. Außerdem ist eine aktive Hinwendung zur Musik nötig. Bei der<br />

„aktiven“ Musiktherapie sind auch rezeptive Handlungen nötig. Aufgrund der<br />

geschichtlichen Entwicklung der Musiktherapie gibt es aber Bereiche, in denen die<br />

Therapie größtenteils durch das Hören von Musik geschieht. In der klassischen Form der<br />

rezeptiven Musiktherapie wird dem Klienten Musik vorgespielt, um körperliche und<br />

psychische Prozesse in Gang zu setzen, die zur Heilung führen sollen. Da<strong>bei</strong> kann der<br />

Prozeß durch ein folgendes Gespräch oder das Malen von Bildern während des Hörens<br />

beschleunigt, verstärkt oder verändert werden (vgl. Frank-Bleckwedel in: Decker-Voigt /<br />

Knill / Weymann 1996, S. 326 ff).<br />

Die rezeptive Musiktherapie wird heute jedoch zunehmend vom aktiven Musizieren<br />

verdrängt. Die aktive Musiktherapie faßt alle Arten der Musiktherapie zusammen, <strong>bei</strong><br />

denen der Klient selbst mit seiner Stimme oder einem Instrument „aktiv“ beteiligt ist. Der<br />

Therapeut beteiligt sich im Regelfall am gemeinsamen Spiel und ist somit stark in das<br />

musikalische Geschehen eingebunden. Gleichzeitig muß er den durch die Musik<br />

eingeleiteten Prozeß beobachten und gegebenenfalls steuernd eingreifen (vgl. Eschen in:<br />

Decker-Voigt / Knill / Weymann 1996, S. 5 und Bruhn 1999, S. 14).<br />

Ins Zentrum der musiktherapeutischen <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> ist seit den 70er Jahren die therapeutische<br />

Improvisation gerückt (vgl. Bruhn 1999, S. 46). Wegen der besonderen Bedeutung der<br />

therapeutischen Improvisation in der Musiktherapie im allgemeinen und meiner<br />

praktischen <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> im speziellen, gehe ich im folgenden Kapitel darauf genauer ein. In der<br />

Therapie mit autistischen Kindern wird meist die aktive Musiktherapie angestrebt.<br />

Zunächst ist aber häufig aufgrund des autistischen Verhaltens kein gemeinsames<br />

Musizieren möglich. Daher kann der Therapeut als Einstieg in die Therapie dem Kind auf<br />

verschiedenen Instrumenten Musik vorspielen, also eine regulative Form der<br />

Musiktherapie wählen. Da<strong>bei</strong> ist es sehr wichtig, das Kind genau zu beobachten, um auf<br />

die meist sehr schwer wahrzunehmenden Angebote des Kindes zur Kommunikation oder<br />

Versuche des Rückzuges eingehen zu können (vgl. Bruhn 1999, S. 82 ff).<br />

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3.5.3 Therapeutische Improvisation<br />

Ursprung dieser therapeutischen <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong>sweise sind Formen des anthroposophischen<br />

Musizierens und Impulse aus der Musikpädagogik. Es zeigte sich, daß diese Form der<br />

Musiktherapie sehr effektiv einzusetzen ist. Anliegen der ersten Überlegungen zu diesem<br />

Thema war es, die Komposition für jeden zugänglich zu machen. Durch die Improvisation<br />

soll versucht werden, das Innenleben des Klienten zu erforschen und seine<br />

Wachstumsbereitschaft zu fördern. Der Therapeut nimmt die vom Klienten improvisierten<br />

Äußerungen auf und kann mit einer der folgenden <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong>stechniken reagieren (vgl. Bruhn<br />

1999, S. 47):<br />

1. Assoziative Improvisation<br />

Die assoziative Improvisation ist als Standard-Setting meist die Ausgangsbasis der<br />

Musiktherapie. Die <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> wird sehr offen gestaltet, es wird nur die Anfangsstimmung<br />

oder ein Start-Bild festgelegt. Danach ist die weitere Entwicklung jeder Sitzung völlig<br />

offen. Die Beteiligten überlassen sich dem freien Spiel und der Assoziation.<br />

Voraussetzung für die assoziative Improvisation ist ein Vertrauen in den Therapeuten,<br />

die Musikinstrumente und die Situation (vgl. Eschen in: Decker-Voigt / Knill /<br />

Weymann 1996, S. 29 ff und Bruhn 1996, S. 47).<br />

2. Probehandlungen<br />

Während des freien musikalischen Spiels werden Nähe und Distanz zum Therapeuten<br />

bzw. den Gruppenmitgliedern ausprobiert. Mit Hilfe der Improvisation wird die<br />

Befindlichkeit des Klienten ausgedrückt. Da<strong>bei</strong> kann der Klient je nach Instrument eher<br />

auf Distanz bleiben oder die Nähe der anderen Gruppenmitglieder suchen. Je näher der<br />

Klient die Entstehung des Klangs am eigenen Leib erfährt, desto näher ist ihm das<br />

Instrument und desto intimer ist die musikalische Botschaft. Die Wahl des Instruments<br />

ist dem Klienten zunächst freigestellt und damit eine erste Botschaft an den<br />

Therapeuten. Je näher das Instrument, desto intimer und unter Umständen auch<br />

angstbesetzter ist die Aussage des Klienten (vgl. Bruhn 1999, S. 35 und 47 und Seidel<br />

in: Decker-Voigt 1983, S. 48 ff).<br />

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3. Spielregeln<br />

Bei der <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> mit Erwachsenen sind Spielregeln häufig nötig, weil sie Schwierigkeiten<br />

haben, spontan und spielerisch mit den Instrumenten umzugehen. Sie orientieren sich<br />

an der gesellschaftlichen Bedeutung von Handlungen und zeigen Blockaden, wenn sie<br />

den Sinn einer Handlung nicht erkennen. Bei den Spielregeln handelt es sich allerdings<br />

nur um Eingangsregeln, die dem Klienten den Einstieg in die therapeutische Situation<br />

erleichtern sollen. <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong>et man mit Kindern, sind Spielregeln meist nicht nötig, weil<br />

der improvisatorische Prozeß spontan entsteht. Die Improvisation liegt Kindern mehr,<br />

weil sie spielerisch mit den Instrumenten umgehen. Sollte sich jedoch zeigen, daß<br />

Kinder vor dem scheinbaren Chaos der freien Improvisation Angst haben oder sich<br />

dem freien Austausch über die Musik verweigern, sollte der Therapeut auch <strong>bei</strong> der<br />

<strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> mit Kindern Spielregeln vereinbaren. Die Spielregeln werden vom Therapeuten<br />

verbal oder handelnd vorgegeben. Außerdem können sich Spielregeln nach und nach<br />

aus dem musikalischen Spiel ergeben. Durch die Spielregeln wird das Spiel formal<br />

geord<strong>net</strong> (vgl. Bruhn 1999, S. 47 ff).<br />

Mit Hilfe der musiktherapeutischen Improvisation wird dem Therapeuten ein Einblick in<br />

die psychischen Vorgänge des Klienten ermöglicht. Es kommt zu einer nonverbalen<br />

musikalischen Kommunikation, die jedoch nicht eindeutig interpretierbar ist. Um sich<br />

trotzdem ein Bild zu machen, verwendet der Therapeut eine Vielzahl von Techniken:<br />

„ imitating - Der Therapeut versucht, den Gefühlsinhalt der Improvisation<br />

nachzuahmen und möglichst genau zu treffen.<br />

synchronising - Der Therapeut spielt gleichzeitig mit dem Klienten.<br />

incorporation - Der Therapeut übernimmt ein Spielmotiv des Klienten<br />

und entwickelt es weiter.<br />

placing - Der Therapeut versucht, sich dem Klienten in der Spielart<br />

anzupassen (wörtlich: Schritt halten).<br />

reflecting - Der Therapeut spiegelt dem Klienten wider, wie er dessen<br />

Stimmung wahrnimmt.<br />

clarifying - In der Improvisation vermittelte Informationen werden verbal<br />

überprüft.<br />

confronting - Die Klienten werden auf Diskrepanzen zwischen<br />

musikalischem Spiel und verbaler Aussage aufmerksam<br />

gemacht.<br />

connecting - Zwischen der Improvisation und realen Lebensereignissen<br />

werden verbal Beziehungen hergestellt.<br />

summarising - Die Erlebnisse einer Therapiesitzung werden rekapituliert.“<br />

(Bruhn 1999, S. 49)<br />

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Die musiktherapeutische Improvisation bietet eine besonders gute Möglichkeit der<br />

Kontaktaufnahme zu Menschen mit autistischem Verhalten. Über die Musik wird eine<br />

nonverbale Kommunikation initiiert, <strong>bei</strong> der auch unbewußte Gefühle ausgedrückt werden<br />

können (vgl. Bruhn / Oerter / Rösing, S. 408 f).<br />

3.5.4 Zentrierung der Therapie<br />

Die musiktherapeutische <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> kann unterschiedliche Intentionen haben. Sie kann<br />

konfliktzentriert, erlebniszentriert oder übungszentriert ausgerichtet sein. Diese Systematik<br />

wurde von BEATE und WOLFGANG MAHNS aus einer Aussage von PETZHOLD<br />

(1974) abgeleitet, wonach in allen künstlerischen Medien „übend“, „erlebniszentriert“ und<br />

„konfliktzentriert“ gear<strong>bei</strong>tet werden kann. Diese Einteilung wird auch „Rendsburger<br />

Modell“ genannt, weil im Musiktherapie Institut Rendsburg danach gear<strong>bei</strong>tet wird. Die<br />

Auswahl der Zentrierung hängt im allgemeinen von der therapeutischen Notwendigkeit<br />

und dem zu behandelnden Problem ab (vgl. Bruhn 1999, S. 4 und Frohne in: Decker-Voigt<br />

1983, 184 f).<br />

Konfliktzentrierte Musiktherapie<br />

Die musiktherapeutische <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> ist auf die Bear<strong>bei</strong>tung eines Konflikts zentriert. Es<br />

werden durch den Umgang mit dem Medium Musik Gefühle und emotionale<br />

Befindlichkeiten des Klienten erkundet, verborgene Konflikte herausgear<strong>bei</strong>tet und<br />

bewußtgemacht. Außerdem werden Lebensumstände, die zu Konflikten führen, bear<strong>bei</strong>tet<br />

und soweit wie möglich verändert. Ausgangspunkt kann die erlebniszentrierte <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> sein,<br />

<strong>bei</strong> der ein Konflikt durch den Umgang mit der Musik und das damit verbundene Erleben<br />

sichtbar wird (vgl. Bruhn 1999, S. 4 f).<br />

Erlebniszentrierte Musiktherapie<br />

Diese Form der Musikherapie ist besonders dann angezeigt, wenn die Therapie aus<br />

unterschiedlichen Gründen nonverbal durchgeführt werden soll. Der Konflikt des Klienten<br />

gilt als Ausgangspunkt der <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong>. Im Zentrum der Musiktherapie steht jedoch nicht die<br />

Lösung des Problems, sondern das Sammeln von neuen Erfahrungen mit sich und anderen<br />

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Menschen. Der Klient soll durch die Musik eine neue Qualität von Geborgenheit und<br />

Neugier entdecken. Die gemachten Erfahrungen lassen sich gut in andere künstlerische<br />

Ausdrucksformen übersetzen, wie z.B. das Malen von Bildern oder das Schreiben von<br />

Gedichten (vgl. Bruhn 1999, S. 5 f und Frohne in: Decker-Voigt 1983, 185 f).<br />

Übungszentrierte Musiktherapie<br />

Das übende Vorgehen verfolgt den Aufbau neuer Verhaltensmöglichkeiten oder die<br />

Stabilisierung eines bereits erlernten Verhaltens. Diese Form der Musiktherapie findet<br />

hauptsächlich in der Sonderpädagogik ihre Anwendung. So kann z.B. das Einüben von<br />

Texten durch Rhythmus und Melodie erleichtert oder das Erlernen rhythmischer<br />

Bewegungen durch Musik unterstützt werden. Konzentration und Durchhaltevermögen<br />

können durch das Beibehalten eines Rhythmusmotivs innerhalb der Gruppenimprovisation<br />

erlernt und gefestigt werden (vgl. Bruhn 1999, S. 6 und Frohne in: Decker-Voigt 1983, S.<br />

187).<br />

Therapeutisches Musizieren<br />

Dieser Typus der Musiktherapie hat sich erst in den letzten Jahren entwickelt. Das<br />

Therapeutische Musizieren ist stark an die Musikpädagogik angelehnt, ist aber nicht<br />

produktorientiert, sondern im Sinne der Musiktherapie prozeßorientiert. Ausgangspunkt<br />

dieser Form der <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> waren Bemühungen, geeig<strong>net</strong>e Instrumente für Menschen mit<br />

Behinderungen zu finden. Daraus entstand ein sehr erfolgreicher Modellversuch von<br />

PROBST (1991) <strong>bei</strong> dem leistungsorientierte Überlegungen im Vordergrund standen und<br />

therapeutische Aspekte noch nicht berücksichtigt wurden. Die therapeutischen<br />

Möglichkeiten wurden dann langsam zum zentralen Anliegen (vgl. Bruhn 1999, S. 97 ff).<br />

Zielgruppe des therapeutischen Musizierens sind Kinder mit Behinderungen oder<br />

Verhaltensauffälligkeiten. Ziele dieser <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> können emotionales Wachstum,<br />

Verbesserung von kommunikativen Fähigkeiten, Gemeinschaftssinn und<br />

Konzentrationsförderung sein. Es wird erlebnis- und übungszentriert gear<strong>bei</strong>tet.<br />

Ausgegangen wird vom Musizieren als Freizeitangebot. Später tritt dann die therapeutische<br />

Wirkung der Musik in den Mittelpunkt der <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> (vgl. Bruhn 1999, S. 7 und S. 97 ff).<br />

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3.5.5 Einzel- und Gruppentherapie<br />

Musiktherapie wird meist in Form der Gruppentherapie durchgeführt. Die Größe der<br />

Gruppe hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab. Diese Faktoren sind: Zentrierung der<br />

<strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong>, Erfahrungen des Therapeuten, Psychodynamik der Gruppenmitglieder und Art der<br />

zu behandelnden Probleme. Voraussetzung ist aber immer Gruppenfähigkeit der Klienten<br />

(vgl. Bruhn 1999, S. 42).<br />

Für die Musiktherapie von Menschen mit autistischem Verhalten ist aufgrund der<br />

autistischen Störungen zunächst immer eine Einzeltherapie angezeigt. Als Fernziel einer<br />

Therapie sollte die Gruppenfähigkeit und die Fortsetzung der <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> in einer Gruppe<br />

angestrebt werden (vgl. Bruhn 1999, S. 83).<br />

3.5.6 Verlauf der Therapie<br />

Musiktherapeutische <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> zielt immer auf die Lösung eines Problems ab. In der ersten<br />

Therapiestunde ist das Ziel die Kontaktaufnahme von Klient(en) und Therapeut. Durch die<br />

musiktherapeutische <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> soll der Klient in die Lage versetzt werden, sein Problem zu<br />

lösen. Die Bear<strong>bei</strong>tung des Problems geschieht zunächst auf der nonverbal-musikalischen<br />

Ebene. Wenn möglich soll der Klient durch die musikalische Auseinandersetzung zu einer<br />

verbalen Bear<strong>bei</strong>tung des Problems befähigt werden. Die Therapie verläuft normalerweise<br />

in drei Phasen (vgl. Bruhn 1999, S. 40).<br />

Zu Beginn der ersten Phase muß zunächst das Problem benannt und die Erwartungen des<br />

Klienten an die Therapie geklärt werden. Vorerfahrungen können auch in dieser Phase<br />

geklärt werden. Gerade <strong>bei</strong> Berufsmusikern können die Vorerfahrungen problematisch<br />

sein, wenn es z.B. darum geht, „unperfekt“ zu spielen. Am Ende dieser Eingangsphase<br />

wird die vorläufige <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong>srichtung zwischen Therapeut und Klient vereinbart. Die<br />

Entwicklung der Musik in der ersten Phase verläuft in vier Stufen und in immer<br />

wiederkehrender Weise. Dieses ist allerdings bisher nicht empirisch abgesichert (vgl.<br />

Bruhn 1999, S. 40 f und Seidel in: Decker-Voigt 1983, S. 50 ff).<br />

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1. Exploration:<br />

In dieser Phase erkunden die Gruppenmitglieder die Instrumente. Das führt<br />

häufig zu einem intensiven, oft lautstarken Nebeneinanderhermusizieren.<br />

Es wird ein elementares Bedürfnis ausgelebt, sich auszudrücken und zu<br />

musizieren. Ergebnis ist häufig ein „Klangbrei“ von großer Heterogenität<br />

und großer undurchhörbarer Komplexität.<br />

2. Differenzierung:<br />

Nach dieser eher chaotischen Phase haben die Klienten ein großes<br />

Bedürfnis, ihre Improvisationen zu strukturieren. Es werden Spielregeln<br />

eingeführt und musikalische sowie soziale Prozesse reflektiert.<br />

3. Kommunikation:<br />

Die Klienten nehmen Kontakt zu den anderen Gruppenmitgliedern auf und<br />

erproben die gewonnenen Fähigkeiten und Erkenntnisse. Die Musik und<br />

musikalische Äußerungen werden klarer und strukturierter. Sie werden<br />

auch ohne verbale Äußerung immer besser aufgenommen und verstanden.<br />

4. Spezialisierung:<br />

Die Gruppe beginnt eingebrachte Themen zu bear<strong>bei</strong>ten. Dies geschieht<br />

zum Teil auf rein musikalische Art und Weise, zum Teil aber auch mit<br />

Hilfe der verbalen Kommunikation.<br />

In der zweiten Phase der <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> werden nun die Probleme bear<strong>bei</strong>tet. Zu Beginn dieser<br />

Phase leisten die Kinder immer noch Widerstand, testen die Grenzen ihrer<br />

Handlungsmöglichkeiten aus und erkämpfen sich ihre Rangposition innerhalb der Gruppe.<br />

Später wagen die Kinder es, sich vorsichtig innerhalb der Gruppenaktivitäten zu<br />

profilieren, bis sich dann alle Beteiligten emotional in die Gruppenaktivitäten, den<br />

Gruppenprozeß einbringen (vgl. Bruhn 1999, S. 41). Wurde in der ersten Phase bereits ein<br />

<strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong>sziel festgelegt, so muß es häufig umdefiniert werden. Es kann in dieser Phase zu<br />

scheinbaren Stillständen kommen, da die <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> nicht immer kontinuierlich verläuft.<br />

Entscheidend für den Erfolg der Therapie sind vor allem die Beziehung zwischen<br />

Therapeut und Klient sowie die Angemessenheit der therapeutischen Interventionen (vgl.<br />

Bruhn 1999, S. 41).<br />

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In der dritten Phase muß der Therapeut den Abschied einleiten. Erreichte Ergebnisse<br />

werden abgerundet, und die Beziehung zwischen Therapeut und Klient muß aufgelöst<br />

werden. Diese Phase kann auch mehrere Sitzungen beanspruchen (vgl. Bruhn 1999, S. 41).<br />

3.6 Musiktherapie in der Sonderpädagogik<br />

Der Bereich der Behindertenar<strong>bei</strong>t wird in der musiktherapeutischen Diskussion häufig<br />

ausgeklammert, weil mit der Musik keine „Heilung“ her<strong>bei</strong>geführt werden kann. Im<br />

Unterschied zur Musiktherapie mit Nicht-Behinderten steht <strong>bei</strong> der musiktherapeutischen<br />

Förderung von Menschen mit Behinderung meist kein akuter psychischer Konflikt im<br />

Zentrum der <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong>, sondern eine dauerhafte Beeinträchtigung des Lebens. Daher ist die<br />

musiktherapeutische <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> häufig nicht auf eine bestimmte Anzahl von Stunden begrenzt.<br />

Sie wird teilweise zu einer lebenslangen Begleitung durch die Musiktherapie (vgl. Bruhn<br />

1999, S. 65 und Huppmann & Strobel 1997, S. 130 f).<br />

Diese auch musikalische Heilpädagogik genannte <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> ist - wie schon angedeutet -<br />

zwischen der Musiktherapie und der Musikpädagogik einzuordnen. Sie wird hauptsächlich<br />

erlebnis- und übungszentriert durchgeführt. Selbst <strong>bei</strong> schwerstbehinderten Kindern findet<br />

man häufig ein starkes Interesse für Musik. Musiktherapie ist dann oft eine gute<br />

Möglichkeit für diese Menschen, die personelle und materielle Umwelt zu erschließen.<br />

Auch <strong>bei</strong> Menschen mit autistischem Verhalten findet man nach EUPER oft eine<br />

ausgesprochen gute musikalische Begabung (Bruhn 1999, S. 68 und Huppmann & Strobel<br />

1997, S. 131).<br />

Das besondere Interesse an der Musik wird eingesetzt, um auf verschiedenen Ebenen<br />

Lernprozesse zu erleichtern oder in Gang zu setzen. So kann die Musik als<br />

Kommunikationsmittel helfen, soziale Schwierigkeiten zu verringern. Durch den gezielten<br />

Einsatz von Musik können auch Lernleistungen gesteigert werden. Eine regelmäßige<br />

Teilnahme an einer Musiktherapie kann nachweislich Aufmerksamkeit,<br />

Gedächtnisleistungen und Verbalisation verbessern. Motorische Defizite können durch<br />

musikalische Unterstützung gebessert werden. Außerdem bietet die Musik als Medium die<br />

Möglichkeit für Menschen mit Behinderungen, Freude zu erfahren, sich auszudrücken und<br />

sich selbst zu verwirklichen (vgl. Huppmann & Strobel 1997, S. 132).<br />

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Die guten Erfolge der Musiktherapie <strong>bei</strong> der Förderung von Menschen mit Behinderungen<br />

lassen sich zum Teil auch durch die Musik selbst begründen. Durch den erlebniszentrierten<br />

Zugang zum Singen, Spielen und Musizieren wird der Umgang mit der Musik als<br />

angenehm empfunden und erlernte Fähigkeiten besser auf das alltägliche Leben übertragen<br />

(vgl. Bruhn 1999, S. 65).<br />

Die Effekte der Musiktherapie können auch unabhängig von der Musik sein, wenn<br />

kognitive, motorische, soziale und verbale Ziele angestrebt werden. Die Musik wird in<br />

diesem Fall übungszentriert eingesetzt, z.B. im lerntheoretischen Sinne als Verstärker für<br />

erwünschtes Verhalten (vgl. Bruhn 1999, S. 65).<br />

Für Menschen mit geistiger Behinderung ist die soziale Isolation häufig ein großes<br />

Problem. Aufgrund der sehr unterschiedlichen Fähigkeiten von Menschen mit geistiger<br />

Behinderung sind gemeinsame Aktivitäten oft nur in begrenztem Umfang möglich. Die<br />

Musik bietet da<strong>bei</strong>, gerade in der Integrationspädagogik, eine gute Möglichkeit,<br />

gemeinsame Erfahrungen zu machen und somit das Gemeinschaftsgefühl in der Klasse zu<br />

stärken. Eine Untersuchung von JELLISON (1988) zu diesem Thema ergab, daß die<br />

Interaktion zwischen behinderten und nicht behinderten Kindern nach einer Phase der<br />

gemeinsamen musikalischen Aktivität signifikant höher war als vorher (vgl. Bruhn 1999,<br />

S. 65 f).<br />

3.6.1 Musiktherapie <strong>bei</strong> Menschen mit schwersten Behinderungen<br />

Wie schon erwähnt ist die Musiktherapie im Bereich der schweren Behinderungen gut<br />

einzusetzen. Die <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> in diesem Bereich gestaltet sich zwar sehr schwierig, ist aber auch<br />

besonders effektiv. Menschen mit schwerster Behinderung sind ihr Leben lang auf Hilfe<br />

angewiesen und können daher ihr Leben nicht selbst gestalten. Der Kontakt zu den<br />

Bezugspersonen ist stark beeinträchtigt. Die Musiktherapie bietet eine gute Möglichkeit,<br />

mit dem Kind in Kontakt zu treten und die Verar<strong>bei</strong>tung der Umweltreize zu fördern.<br />

MÖLLER beschreibt die Kontaktaufnahme mit schwerstbehinderten Kindern in vier<br />

Stufen (vgl. Bruhn 1999, S. 68 f):<br />

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1. „Ich fühle den Kontakt zwischen uns.“<br />

Dies ist eine sehr niedrige Ebene des Kontakts. Der Therapeut<br />

greift verschiedene Ausdrucksformen des Kindes wie z.B.<br />

stimmliche Klänge, Atmen oder Bewegungen auf und gibt sie in<br />

musikalischer Form wieder.<br />

2. „Ich sehe und höre den Kontakt zwischen uns.“<br />

Der Therapeut bemerkt an feinen Veränderungen im Verhalten des<br />

Kindes, daß es die musikalische Ansprache erkennt und<br />

beantwortet. Die Reaktionen erfolgen meist in den Pausen des<br />

Musizierens. Der Therapeut versucht, nur zu spielen, wenn das<br />

Kind ihn ansieht oder sich bewegt.<br />

3. „Du kontrollierst den Kontakt.“<br />

Das Kind erkennt, daß es den Therapeuten zum Musizieren<br />

veranlassen kann, indem es bestimmte Bewegungen oder Klänge<br />

macht. Es weiß jedoch noch nicht, daß der Therapeut auf ein solches<br />

Signal wartet.<br />

4. „Unser Kontakt nimmt die Form eines Dialogs an.“<br />

Die musikalischen Kontakte werden zweiseitig. Das Kind beginnt sich<br />

auszudrücken und erkennt die Wechselseitigkeit des Kontakts.<br />

Der Erfolg einer Musiktherapie mit schwerstbehinderten Kindern ist aufgrund der sehr<br />

kleinen Fortschritte nur schwer bzw. nur für jemanden zu erkennen, der mit dem Kind<br />

täglich ar<strong>bei</strong>tet. Damit der Klient selber Klänge erzeugen kann, müssen Instrumente den<br />

Fähigkeiten entsprechend verändert oder vom Therapeuten selber hergestellt werden. Die<br />

<strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> mit schwerstbehinderten Menschen ist größtenteils erlebniszentriert. Lediglich<br />

während der ersten Stufe des Kontakts wird übungszentriert gear<strong>bei</strong>tet, wenn es um das<br />

Erlernen des Ursache-Wirkung-Prinzips geht. Mit Hilfe der Musiktherapie werden die<br />

taktil-kinästhetischen, akustischen und visuellen Bereiche verknüpft (vgl. Bruhn 1999, S.<br />

69).<br />

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3.6.2 Musiktherapie <strong>bei</strong> Menschen mit geistiger Behinderung<br />

Bei der Förderung von Menschen mit geistiger Behinderung muß berücksichtigt werden,<br />

daß es sich aufgrund der meist organischen Ursache um eine dauerhafte Beeinträchtigung<br />

handelt. Daher sind diese Menschen lebenslang auf pädagogische oder soziale Hilfe<br />

angewiesen. Auch die musiktherapeutische Förderung von Menschen mit geistiger<br />

Behinderung ist im allgemeinen als lebenslange Erfahrung ausgelegt (vgl. Bruhn 1999, S.<br />

70).<br />

Es wird überwiegend übungs- und erlebniszentriert gear<strong>bei</strong>tet. So kann das Erleben der<br />

eigenen Person durch Erfahrungen, die während der Musiktherapie gemacht werden,<br />

verändert werden. Die Musik kann auch als nonverbales Kommunikationsmittel den<br />

Kontakt zu Menschen mit geistiger Behinderung erleichtern oder intensivieren. Sie<br />

erleichtert dem Kind da<strong>bei</strong> als zusätzliche Ausdrucksmöglichkeit, den Kontakt herzustellen<br />

und die gemeinsame Aktivität zu lenken. Dadurch werden den Menschen mit geistiger<br />

Behinderung soziale Erfahrungen ermöglicht, die sie ohne die Musik nicht oder nur<br />

eingeschränkt machen können. Durch den Umgang mit der Musik entsteht häufig das<br />

Gefühl, etwas geschafft und eine Leistung vollbracht zu haben, wodurch das<br />

Selbstbewußtsein gestärkt wird. Dies kann gerade in der Integrationspädagogik von<br />

besonderem Interesse sein (Schwarting in: Decker-Voigt 1983, S. 143 f / Huppmann &<br />

Strobel 1997, S. 142 ff / Bruhn 1999, S. 71) .<br />

In der übungszentrierten <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> können kommunikative Fähigkeiten erlernt, die<br />

Wahrnehmungsfähigkeit gefördert oder auch Verhalten und Lernen direkt beeinflußt<br />

werden. Durch den Umgang mit Musik kann der Mensch mit geistiger Behinderung lernen,<br />

sich in soziale Systeme einzuordnen, andere Menschen in Beziehung zu sich selbst<br />

wahrzunehmen oder auch eigene und fremde Gefühle zu erkennen. Das Einhalten von<br />

Spielregeln kann in der musiktherapeutischen <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> erlernt und dann auf alltägliche<br />

Situationen übertragen werden. Im Bereich der Wahrnehmungsförderung ist besonders die<br />

Klangdifferenzierung im Rahmen der musiktherapeutischen Förderung von Menschen mit<br />

geistiger Behinderung von Bedeutung. Des weiteren bietet sich die Musik als Übungsfeld<br />

für die Wahrnehmung von Zeit, Zeitdauer und zeitlichen Abläufen an. Beim Erlernen<br />

motorischer Fertigkeiten kann der Rhythmus die Kontrolle über Bewegungen verbessern<br />

und somit den Lernprozeß unterstützen (vgl. Bruhn 1999, S. 71 f).<br />

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3.7 Musiktherapeutische Förderung von Menschen mit autistischem Verhalten<br />

Da die Ursachen der autistischen Störungen noch nicht endgültig geklärt sind, gibt es viele<br />

Möglichkeiten der therapeutischen Intervention. Aus diesem Grund gibt es noch keine<br />

ursächliche Behandlung, die besonders effektiv und somit wünschenswert wäre. Die<br />

Musiktherapie gehört zu den an der Basis angreifenden Behandlungsformen. Sie wird in<br />

der Therapie der autistischen Störungen häufig angewandt, und es wurde vielfach im<br />

Rahmen von Fallstudien über Erfolge berichtet. Bisher gibt es allerdings noch keine<br />

empirischen Untersuchungen (vgl. Kehrer 1995, S. 127 / Bruhn 1999, S. 82).<br />

Im allgemeinen muß aufgrund des autistischen Verhaltens des Kindes zunächst auf einer<br />

Stufe der absoluten Kontaktlosigkeit begonnen werden. Die weitere Entwicklung der<br />

Förderung von Kindern mit autistischem Verhalten beschreibt SCHUMACHER (1999) in<br />

sieben Stufen (vgl. Schumacher 1999, S. 245 ff):<br />

Modus 0 Musikinstrumente werden wie Personen scheinbar<br />

Kontaktlosigkeit ignoriert. Es sollte dem Therapeuten aber bewußt<br />

sein, daß die Reaktionen des Kindes zwar nicht<br />

sichtbar, aber durchaus vorhanden sind.<br />

Modus 1 Es wird, unter Umständen nur kurzfristig, Kontakt<br />

Kontakt-Reaktion zu den Instrumenten gesucht. Dieser Kontakt äußert<br />

sich meist in einer sehr kurzen Berührung der<br />

Instrumente. Der Therapeut wird weiter als<br />

Person ignoriert.<br />

Modus 2 Das Kind stellt den Kontakt zu den Personen und<br />

Funktional-sensorischer den Instrumenten her, um eigene (sensorische)<br />

Kontakt Bedürfnisse zu befriedigen, ohne daß das<br />

Gegenüber als eine Person mit eigenen Wünschen<br />

und Bedürfnissen verstanden wird.<br />

Modus 3 Das Bewußtsein für die eigene Person wächst. r<br />

Kontakt zu sich - Dadurch ist das Kind in der Lage, die eigene<br />

Selbsterleben Stimme und die Musikinstrumente auszuprobieren.<br />

Das Kind hört sich selbst <strong>bei</strong>m Musizieren zu.<br />

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Modus 4 Durch die Sicherheit der eigenen Existenz<br />

Kontakt zum Anderen - entsteht das Bedürfnis, Wahrnehmungen und<br />

Intersubjektivität Gefühle mit anderen zu teilen. Das Kind ist in<br />

der Lage, sein Gegenüber wahrzunehmen und<br />

ihn in das eigene Erleben einzubeziehen.<br />

Modus 5 Die Spieler hören, sehen und spüren sich. Sie<br />

Beziehung zum Anderen - reagieren aufeinander, indem sie die Musik<br />

Interaktion gegenseitig aufgreifen.<br />

Modus 6 Kind und Therapeut machen gemeinsame<br />

Begegnung - musikalische Erfahrungen. Es kommt zu einem<br />

Inter-Affektivität dynamischen Affekt und die Fähigkeit,<br />

miteinander zu musizieren, wird deutlich.<br />

Zwischen den verschiedenen Modi besteht sowohl ein qualitativer als auch ein<br />

quantitativer Unterschied. Die Qualität der Beziehung verändert sich in der oben<br />

beschriebenen Art und Weise. Außerdem nimmt die Dauer der Kontakte von Modus zu<br />

Modus zu (vgl. Schumacher 1999, S. 248).<br />

Um sich ein besseres Bild von der musiktherapeutischen Förderung <strong>bei</strong> autistischen<br />

Störungen machen zu können, werde ich im folgenden die <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> von JULLIETTE ALVIN<br />

und KARIN SCHUMACHER vorstellen.<br />

Im Zentrum der musiktherapeutischen <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> von JULLIETTE ALVIN steht der Klang als<br />

primäre Wirkung der Musik. Sie verwendet hauptsächlich das Cello, ar<strong>bei</strong>tet aber auch mit<br />

Stimme und Klavier, sowie Instrumenten, die für die Kinder leicht zu spielen sind. Dazu<br />

gehören Glockenspiele, Trommeln, Becken, Maracas, Flöten, Kazoos, Melodikas und<br />

Gitarren (vgl. Alvin 1984, S. 10 f).<br />

ALVIN sieht die autistischen Störungen vor allem als eine schwere<br />

Kommunikationsstörung. Sie empfiehlt den Gebrauch der Musik als Medium für die<br />

Förderung der Entwicklung des Kindes mit autistischem Verhalten. Ziel der Therapie nach<br />

ALVIN ist im allgemeinen die Entdeckung der musikalischen Persönlichkeit des Kindes.<br />

Durch gemeinsame musikalische Erfahrungen soll eine vertrauensvolle Beziehung<br />

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zwischen Therapeut und Kind aufgebaut werden. Klang und Musik haben da<strong>bei</strong> die Kraft,<br />

zum Kind durchzudringen und Abwehrmechanismen aufzubrechen (vgl. Alvin 1988, S. 93<br />

und S. 140).<br />

Im folgenden stelle ich einige methodische Schwerpunkte der <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> von ALVIN vor. Zu<br />

Beginn der Förderung von Kindern mit autistischem Verhalten stehen rezeptive Techniken,<br />

die sie auch „Wahrnehmungstechniken“ nennt. Der Übergang vom Hören zum Zuhören sei<br />

auch <strong>bei</strong> Kindern mit autistischem Verhalten beobachtbar. Die Auswahl der Musik, die<br />

dem Kind vorgespielt werden soll, ist da<strong>bei</strong> sehr schwierig, weil seine Reaktionen kaum<br />

vorauszusehen sind (vgl. Alvin 1988, S. 144).<br />

ALVIN nutzt Rituale, Symbole und Eigenarten des Kindes und verwertet sie musikalisch.<br />

Dazu muß der Therapeut aber zunächst diese oft bizarren Vorlieben akzeptieren und darauf<br />

achten, daß das Kind die Musik nicht als Möglichkeit zum Rückzug nutzt, sondern kreativ<br />

damit umgeht. So kann die Vorliebe für parallele Linien dadurch genutzt werden, daß der<br />

Therapeut dem Kind bevorzugt Saiteninstrumente mit parallelen Saiten anbietet (vgl. Alvin<br />

1988, S. 94).<br />

Ihr Vorgehen beschreibt ALVIN in verschiedenen Stufen. In der ersten Stufe wird dem<br />

Kind die Möglichkeit gegeben, die Musikinstrumente und seine Stimme nach Lust und<br />

Laune zu gebrauchen. Das Kind kann dadurch eine sehr persönliche Beziehung zur Musik<br />

aufbauen. In dieser ersten Phase der <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> soll das Kind den Klang der Stimme und der<br />

Instrumente bewußt aufnehmen. Menschen mit autistischem Verhalten können eher<br />

Beziehungen zu Gegenständen als zu Menschen aufbauen. Daher wird sich das autistische<br />

Kind zunächst mit einem Musikinstrument und seinem Klang identifizieren. Dieses<br />

Instrument wird dann sein Mittel zur Kommunikation mit der Umwelt. Indem sich das<br />

Kind zunehmend der verschiedenen Klänge bewußt wird, die es mit dem Instrument<br />

erzeugen kann, erwirbt es ein elementares Ausdrucksmittel, mit dem es auf seine eigene<br />

Weise und spontan umgehen kann (vgl. Alvin 1988, S. 149 ff).<br />

Nachdem das Kind seine Möglichkeiten erkannt hat, wird in der zweiten Stufe versucht,<br />

den nonverbalen Kontakt zum Kind aufzubauen. Dazu muß das Kind zunächst, nachdem<br />

ihm die Anwesenheit des Therapeuten bewußt geworden ist, sein Mitwirken akzeptieren.<br />

ALVIN steigert dann zunächst vorsichtig den körperlichen nonverbalen Kontakt, indem sie<br />

z.B. mit dem Kind zusammen auf demselben Musikinstrument in nächster Nähe spielt.<br />

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Kann das Kind den Kontakt zum Therapeuten zulassen, wird versucht, das Kind <strong>bei</strong>m<br />

Musizieren zu unterstützen. Zunächst handelt es sich <strong>bei</strong>m Musizieren der Kinder um ein<br />

freies Improvisieren ohne feste Regeln. Durch das Mitspielen des Therapeuten erhält die<br />

Musik des Kindes eine neue Dimension. Im Laufe der Improvisationen verbessert sich die<br />

instrumentale Technik und damit auch die Ausdrucksmöglichkeit des Kindes (vgl. Alvin<br />

1988, S. 144 f).<br />

Nach diesen zwei Stufen des Aufbaus wird in der weiteren Entwicklung versucht, das<br />

Aktionsfeld des Kindes zu erweitern. Das Kind soll einen Sinn für musikalisches<br />

Sozialverhalten gegenüber den Instrumenten, der eigenen Stimme und anderen Personen<br />

entwickeln. Dadurch wird der <strong>gesamte</strong> Reifungsprozeß des Kindes und die<br />

Selbsterkenntnis gefördert (vgl. Alvin 1988, S. 145).<br />

Für KARIN SCHUMACHER steht die Störung der Wahrnehmung am Anfang der<br />

autistischen Störungen. Auch die sozialen Beeinträchtigungen sind ihrer Meinung nach auf<br />

eine mangelhafte Wahrnehmung der sozialen Signale der Umwelt zurückzuführen.<br />

Trotzdem sieht sie die soziale Isolation als grundlegendes Problem, daß in der<br />

musiktherapeutischen <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> besonders zu berücksichtigen ist.<br />

„Störungen des zwischenmenschlichen Gefüges ziehen [...] immer<br />

Entwicklungsstörungen nach sich. Therapie heißt, dieses gestörte Gefüge<br />

durch das Wiederherstellen positiver zwischenmenschlicher Erfahrungen<br />

zu beeinflussen.“ (Schumacher 1999, S. 13)<br />

Ziel der <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> von SCHUMACHER ist demnach, einen Kontakt zum Kind aufzubauen<br />

und einen Dialog herzustellen. Die Entwicklung einer zwischenmenschlichen Beziehung<br />

ist dann die Basis jeglicher weiteren Entwicklung. Als Voraussetzung <strong>bei</strong>m Therapeuten<br />

sieht SCHUMACHER (vgl. Schumacher 1988, S. 149):<br />

Akzeptieren des So-Zustandes des Kindes<br />

positive Hypothese, die Kontakt erwartende Haltung<br />

Wahrnehmung der Fähigkeiten des Kindes<br />

behutsames Ausbalancieren von Nähe und Distanz<br />

vom Kind ausgehendes Entwickeln der Spielform<br />

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Das Heranführen an das instrumentale Spiel ist nach Meinung von SCHUMACHER erst<br />

sinnvoll, wenn das Kind bereits ein gewisses Körpergefühl entwickelt hat. Sie beginnt ihre<br />

<strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> mit selbstklingenden Instrumenten, wie z.B. Rasseln, Glöckchen oder Klappern,<br />

aber auch mit Saiteninstrumenten, die keine zielgerichteten Bewegungen erfordern. Das<br />

Instrument sollte möglichst unmittelbar durch die Bewegungen des Spielers erklingen.<br />

Dadurch wird jede Bewegung des Kindes hörbar und somit für das Kind besser<br />

verständlich (vgl. Schumacher 1988, S. 150).<br />

„Sinn-voll ist es, die körpereigenen Instrumente (Klanggesten und Stimme)<br />

sowie alles Hörbare im Raum (Holztüren, Fensterbretter, Boden, Wände<br />

etc.) einzubeziehen. Jede Gelegenheit kann für eine klingende,<br />

multisensorische Erfahrung genutzt werden.“<br />

(Schumacher 1988, S. 150)<br />

Das methodische Vorgehen von SCHUMACHER in der musiktherapeutischen Förderung<br />

von Menschen mit autistischem Verhalten läßt sich wie folgt beschreiben. Zunächst wird<br />

vom Therapeuten ein Kontakt angeboten, indem er die Bewegungen und stimmlichen<br />

Äußerungen des Kindes musikalisch aufnimmt. Danach initiiert der Therapeut ein<br />

koordiniertes Reizklima, indem er propriozeptive, akustische, taktile und visuelle Reize in<br />

für das Kind verständlicher Weise verknüpft. Vom Kind ausgehend entwickelt der<br />

Therapeut eine Spielform. Diese Gestaltung der Beziehung kann verschiedene elementare<br />

Musik-, Bewegungs- und Sprachspiele <strong>bei</strong>nhalten. Auf der Basis dieser Beziehung<br />

entwickeln Therapeut und Kind gemeinsam die Spiel- und Ausdrucksfähigkeit des Kindes<br />

(vgl. Schumacher 1988, S. 149).<br />

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4. Musiktherapeutische Förderung von zwei autistischen Jungen an der<br />

Schule für Geistigbehinderte in Ellerbeck<br />

4.1 Methodisches Vorgehen<br />

Die praktische <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> für mein Thema der wissenschaftlichen Hausar<strong>bei</strong>t war mir sehr<br />

wichtig, da ich vorher nur wenige Erfahrungen mit dem Medium Musik machen konnte.<br />

Da<strong>bei</strong> habe ich mich für eine Fallstudie entschieden. Zu dieser Entscheidung bin ich<br />

aufgrund mehrere Faktoren gekommen.<br />

Da die autistischen Störungen nur sehr selten auftreten, ist es schwer, ausreichend viele<br />

Schüler für eine statistisch abgesicherte <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> zu finden. Zudem ist die<br />

musiktherapeutische Förderung von Menschen mit autistischem Verhalten sehr<br />

zeitaufwendig. Daher ist eine statistische Erhebung zu diesem Thema im Rahmen einer<br />

wissenschaftlichen Hausar<strong>bei</strong>t und ohne weitere Hilfe nicht durchführbar. Um ein solches<br />

Vorhaben durchzuführen, müßten mehrere auf einem großen Gebiet verteilte Personen<br />

zusammenar<strong>bei</strong>ten. Zudem sind die Erfolge dieser <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> nur schwer statistisch zu<br />

erheben, da der Aufbau eines Kontakts, der für meine <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> ein wichtiges Ziel war, nur<br />

sehr ungenau erfaßbar ist.<br />

4.2 Beschreibung der Rahmenbedingungen<br />

Meine praktische <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> habe ich an der Ellerbecker Schule für Geistigbehinderte, in der<br />

ich bereits mein Prüfungspraktikum ableistete, durchgeführt. Daher kannte ich bereits<br />

einige Lehrer und einen der zwei Jungen, mit denen ich musiktherapeutisch ar<strong>bei</strong>ten<br />

wollte. Die Schulleiterin sowie die Klassenlehrer der zwei Jungen waren sehr an meiner<br />

<strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> interessiert und haben mich gut unterstützt.<br />

Die Organisierung eines passenden Raum gestaltete sich sehr schwierig. Die einzigen<br />

Räume, die für meine Zwecke in Frage kamen, waren die Aula und der<br />

Psychomotorikraum, weil nur diese von den anderen Klassenräumen ausreichend isoliert<br />

waren. Die Aula erschien mir aufgrund der Größe, die nach BENENZON (siehe Kapitel<br />

3.5.1) ca. 5x5 Meter betragen sollte, weniger geeig<strong>net</strong>. Daher habe ich mich für den<br />

Psychomotorikraum entschieden.<br />

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Der Psychomotorikraum ist ca. 4x8 Meter groß und durch vier Fenster und eine große<br />

Balkontür hell und freundlich. Links an der Wand stehen große Schränke, die<br />

verschiedenstes <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong>smaterial enthalten. Rechts an der Wand steht ein Schrank, in dem<br />

der größte Teil der Musikinstrumente aufbewahrt wird. An der linken Wand befindet sich<br />

eine kleine Höhle, die mit Decken verdunkelt ist (1,5x1,5 Meter). Daneben ist ein sehr<br />

kleines Bällebad (1,5x2 Meter). In der Mitte des Raums liegen meistens zwei<br />

Bodenmatten. An der rechten Wand neben einer Tür, die in einen kleinen Nebenraum<br />

führt, steht ein kleiner Tisch.<br />

Bällebad<br />

Höhle<br />

Psychomotorikraum in der Ellerbecker Schule<br />

Der Psychomotorikraum war sehr oft belegt, so daß er schwer war, einen Termin für meine<br />

Förderung zu finden, an dem der Raum nicht besetzt war und der in den Stundenplan der<br />

Jungen paßte. Da sich im Nebenraum ein Materiallager der Schule befindet, kam es auch<br />

vereinzelt zu Störungen während der Therapie.<br />

In der Schule war nur eine sehr begrenzte Anzahl von Musikinstrumenten vorhanden.<br />

Dazu gehörten eine Gitarre, Handtrommeln, zwei Kongas, mehrere Tamburine, ein<br />

Xylophon, Metallophone, Klangstäbe, ein Becken und Röhrenglocken. Ich habe daher<br />

noch ein Schlagzeug, eine zweite Gitarre und einen E-Baß mitgebracht. Im Vergleich zur<br />

Minimal – Ausstattung, die ich in Kapitel 3.5.1 beschrieben habe, sind dies nur wenige<br />

Musikinstrumente. Für die Förderung von Menschen mit autistischem Verhalten muß<br />

ohnehin die Anzahl der Musikinstrumente begrenzt werden und es hat sich gezeigt, daß<br />

auch mit dieser vergleichsweise geringen Auswahl an Musikinstrumenten sinnvoll<br />

gear<strong>bei</strong>tet werden kann.<br />

Schränke<br />

Matten<br />

<strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong>sbereich<br />

Waschbecken<br />

Schränke<br />

Tisch<br />

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Da auch der Therapeut zum Setting gehört, beschreibe ich kurz, welche Vorerfahrungen<br />

ich zu Beginn meiner <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> hatte. Das Gitarrenspielen habe ich mir selber <strong>bei</strong>gebracht und<br />

während meiner Schulzeit in der Jugendar<strong>bei</strong>t eingesetzt. Mit 16 Jahren habe ich<br />

angefangen, in einer Band Baß zu spielen. Da ich das Fach Musik nicht studiert habe, hatte<br />

ich vor der Beschäftigung mit dem Thema meiner wissenschaftlichen Hausar<strong>bei</strong>t nur im<br />

Rahmen des Studiums am HPI von Musiktherapie gehört, war aber sehr am Einsatz von<br />

Musik in der Sonderpädagogik interessiert. Dieses Interesse liegt zum Teil auch in den<br />

Erfahrungen während meines Zivildienstes begründet. In dieser Zeit habe ich<br />

hauptsächlich mit einem Jungen mit autistischem Verhalten gear<strong>bei</strong>tet und da<strong>bei</strong> auch das<br />

Medium Musik eingesetzt. Vor meiner praktischen <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> habe ich verschiedene Bücher<br />

zum Thema „Musiktherapie“ gelesen, mich mit einer Musiktherapeutin unterhalten und<br />

mir einige Förderungen auf Video angesehen.<br />

4.3 Beschreibung der Kinder<br />

4.3.1 Kind A<br />

A ist ein 17jähriger Junge mit autistischem Verhalten. Seine Mutter erzieht A, der keine<br />

Geschwister hat, allein. Er ist seit einem Jahr in seiner jetzigen Klasse und gut in die<br />

Klassengemeinschaft integriert.<br />

Sein Klassenlehrer ist sehr um A bemüht, hat aber nicht immer genügend Zeit, sich mit A<br />

so zu beschäftigen, wie er gerne möchte. A war als Kind sehr an Musik interessiert, hat in<br />

letzter Zeit allerdings nur wenig Gelegenheit gehabt, zu musizieren. Seit dem Eintritt in die<br />

Pubertät ist sein Verhalten problematischer geworden. A zeigt lediglich im Zusammenhang<br />

mit Süßigkeiten Eigeninitiative. Wenn er über durch die Schule oder über den Hof gehen<br />

soll, muß ihn jemand an die Hand nehmen. Im allgemeinen fordert er dann einen Lehrer<br />

dazu auf.<br />

Motorik<br />

A ist körperlich seinem Alter entsprechend entwickelt. Die motorische Entwicklung ist<br />

insgesamt als auffällig zu bezeichnen. Seine Bewegungen erscheinen sehr hypoton, und es<br />

zeigen sich Schwächen im Krafteinsatz. Im allgemeinen sind seine grobmotorischen<br />

Fähigkeiten jedoch besser als der allgemeine motorische Entwicklungsstand.<br />

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Dies zeigt sich im Sportunterricht <strong>bei</strong>m Werfen, Fangen und Balancieren auf Kästen und<br />

Bänken. Seine Leistungen im Sportunterricht sind vor allem durch die sozialen und<br />

motivationalen Beeinträchtigungen beeinflußt. Besonders geschickt ist er <strong>bei</strong>m Radfahren<br />

und Rollschuhlaufen. Sehr auffällig ist auch As Gang. Häufig geht er federnd und nur auf<br />

den Ballen. As feinmotorische Fähigkeiten sind im Vergleich zu den grobmotorischen<br />

wesentlich schwächer. Beim Schneiden und Kleben hat er große Schwierigkeiten.<br />

Wahrnehmung<br />

Bei As Wahrnehmung fällt besonders das häufige Zurückziehen auf die nahen Sinne wie<br />

Tasten und Lecken auf. Dieses Verhalten zeigt A immer, wenn er verunsichert ist. Dann<br />

klopft er meist Personen und die Ecken von Tischen mit dem Mittelfinger ab oder beleckt<br />

Türen und Stühle. Dieses Zurückziehen auf die nahen Sinne ist vermutlich durch Probleme<br />

<strong>bei</strong> der Wahrnehmungsverar<strong>bei</strong>tung zu erklären. A scheint Schwierigkeiten zu haben, Zeit<br />

richtig wahrzunehmen und Ereignisse zeitlich zu ordnen. Der Ablauf der Woche<br />

beschäftigt ihn sehr viel und er fragt häufig nach, was morgen, übermorgen oder nächste<br />

Woche passiert.<br />

Kommunikation<br />

As sprachliche Fähigkeiten sind nicht dem Alter entsprechend entwickelt. Er kann die<br />

Äußerungen von anderen Personen verstehen und auf sie reagieren. Auch der aktive<br />

Wortschatz ist dem Alter entsprechend. Auffälligkeiten zeigen sich allerdings im Satzbau.<br />

A verwendet zum Teil Zwei-Wort-Sätze und eigene Wortschöpfungen.<br />

Es zeigen sich auch für Menschen mit autistischem Verhalten typische Auffälligkeiten, wie<br />

pronominale Umkehr und Echolalie. A verwendet Sprache häufig in stereotyper Weise.<br />

Da<strong>bei</strong> benutzt er meist immer wiederkehrende Floskeln, die von aktuellen Ereignissen<br />

handeln. As Stimme ist in für den Autismus typischer Weise auffällig. Am Satzende hebt<br />

er die Stimme in immer gleicher Weise an, als würde er eine Frage stellen. Insgesamt ist<br />

seine Stimme sehr hoch und singend.<br />

Im Bereich der Mimik und Gestik fällt auf, daß A in Situationen, in denen er seine<br />

Mitmenschen verärgert, anfängt zu lächeln. As Lehrer meint, daß er die entsprechende<br />

Person in diesen Momenten bewußt provoziert und sich auf die bekannte Reaktion freut.<br />

Unter Umständen freut er sich, weil er nur in diesen Situationen die Reaktionen seiner<br />

Umwelt sicher voraussagen kann.<br />

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Sozialverhalten<br />

As Sozialverhalten ist für einen Menschen mit autistischem Verhalten sehr ungewöhnlich.<br />

Er hat große Freude an Gesprächen mit den Personen aus seinem Umfeld. Da<strong>bei</strong> handelt es<br />

sich allerdings meist um sprachliche Interaktionen, die als stereotyp bezeich<strong>net</strong> werden<br />

können. Er wiederholt immer dieselben Fragen, die häufig etwas mit aktuellen Ereignissen<br />

zu tun haben. Es scheint so, als würde er seine Gesprächspartner nur in seine sprachlichen<br />

Stereotypien einbeziehen und nicht im eigentlichen Sinne eine Kommunikation suchen.<br />

Seine Kontakte sind größtenteils auf die erwachsenen Personen aus seinem Umfeld<br />

begrenzt. In diesem Schuljahr hat A begonnen, Kontakt zu seinen Mitschülern zu suchen.<br />

Auch der Umgang mit seinen Klassenkameraden erscheint stereotyp.<br />

Während der Pausen steht A meistens auf dem Schulhof und beobachtet die anderen<br />

Kinder. Er steht immer in derselben Ecke des Pausenhofes. Von sich aus sucht er keinen<br />

Kontakt zu seinen Mitschülern, die sich aber von Zeit zu Zeit ihrerseits mit A beschäftigen.<br />

Diesen Kontakt kann A gut zulassen.<br />

Stereotypes Verhalten<br />

Bei A sind verschiedene Arten von stereotypem Verhalten zu beobachten. Die sprachlichen<br />

Stereotypien und das Abklopfen seiner Umgebung mit dem Mittelfinger habe ich bereits<br />

erwähnt. Die meisten Stereotypien haben den Charakter von Ritualen, die immer in<br />

gleicher Form wiederholt werden müssen.<br />

Geht As Umwelt nicht auf diese Rituale ein, reagiert er mit Wutausbrüchen, Weinen und<br />

Schreien. Das Abweichen von Ritualen scheint <strong>bei</strong> A körperliche Schmerzen zu<br />

verursachen. Er schreit teilweise <strong>bei</strong> seinen Wutausbrüchen sehr laut und schrill: „Aua!“<br />

4.3.2 Kind B<br />

B ist ein 10jähriger Junge mit autistischem Verhalten. Seine Mutter erzieht B, der auch<br />

keine Geschwister hat, allein. Er ist seit 2 Jahren in seiner jetzigen Klasse und gut in die<br />

Klassengemeinschaft integriert. Kontakt kann er nur schwer zulassen. Seine<br />

Klassenlehrerin hat ein gutes Verhältnis zu ihm. Auch A ist sehr an Musik interessiert. Im<br />

Rahmen des Klassenunterrichts hat er viel Freude, wenn Lieder mit Gitarrenbegleitung<br />

gesungen werden. Er verhält sich da<strong>bei</strong> aber meist passiv und hört zu.<br />

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Motorik<br />

B ist körperlich seinem Alter entsprechend entwickelt. Motorische Auffälligkeiten sind<br />

nicht zu beobachten. Im Sportunterricht zeigen sich vor allem aufgrund der fehlenden<br />

Motivation Probleme. Im letzten Schuljahr wurde vor allem das Hin- und Herrollen von<br />

Bällen geübt. Das Radfahren hat B im letzten Jahr gelernt, und in den Pausen fährt er gerne<br />

auf dem Schulhof. Besonderes Geschick hat B <strong>bei</strong>m stereotypen Kreisenlassen von runden<br />

Gegenständen entwickelt.<br />

Wahrnehmung<br />

Bs Wahrnehmung erscheint unauffällig. Aufgrund der großen Einschränkungen im<br />

Kontakt zu andern läßt sich dies allerdings nur schwer beurteilen.<br />

Kommunikation<br />

Die sprachlichen Fähigkeiten von B sind nicht seinem Alter entsprechend. Er verwendet<br />

lediglich Ein- und Zwei-Wort-Sätze. Sein passiver Wortschatz hingegen ist seinem Alter<br />

gemäß entwickelt. B versteht die sprachlichen Äußerungen seiner Umwelt, reagiert aber<br />

nicht immer entsprechend. Auch B zeigt die für die autistischen Störungen typische<br />

Echolalie und pronominale Umkehr. Er setzt Sprache nur selten als Kommunikationsmittel<br />

ein. Lediglich <strong>bei</strong>m Fragen nach den von ihm für seine Stereotypien bevorzugten<br />

Gummihandschuhen hat seine Sprache eine kommunikative Absicht.<br />

Gestik und Mimik sind unauffällig. Seine Stimme klingt monoton und singend. Er hebt<br />

seine Stimme meistens in der Mitte einer Äußerung an und senkt sie dann am Ende.<br />

Sozialverhalten<br />

B zieht sich häufig von der Klassengemeinschaft zurück, indem er im Klassenraum eine<br />

eigene Ecken aufsucht. Dort hantiert er dann mit Gegenständen, die vorzugsweise aus<br />

Gummi sind. An Kontakten zu seinen Mitschülern oder den Lehrern hat er nur sehr wenig<br />

Interesse. Von Zeit zu Zeit sucht er allerdings die Nähe von Erwachsenen, die ihm dann<br />

auf den Rücken klopfen sollen. Kontakte zwischen B und seinen Mitschülern gehen immer<br />

von den Klassenkameraden aus, die durchaus an ihm interessiert sind.<br />

B nimmt nicht von sich aus am Unterrichtsgeschehen teil. Er ist nicht von sich aus<br />

motiviert und benötigt immer intensiven Zuspruch, damit er sich auf gemeinsame<br />

Vorhaben konzentrieren kann. Es kommt häufig vor, daß er die Mitar<strong>bei</strong>t völlig<br />

verweigert. Bei längerer Belastung neigt B zum Weinen und Schreien.<br />

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In den Pausen spielt er nicht mit den anderen Kindern. Meist sitzt er allein auf einer Bank<br />

und wartet bis die Pause vor<strong>bei</strong> ist. Die Lehrer haben in diesem Schuljahr begonnen, ihm<br />

in den Pausen das Fahrrad als Beschäftigung anzubieten.<br />

Stereotypes Verhalten<br />

Wenn sich B während des Unterricht von der Klasse zurückzieht, liegt er häufig auf dem<br />

Boden und lautiert zu Schaukelbewegungen des Oberkörpers. Häufig bewegt er auch<br />

Gegenstände aus Gummi, meist Gummihandschuhe, vor seinen Augen und Ohren. Da er<br />

<strong>bei</strong> dieser Tätigkeit kaum ansprechbar ist, wird ihm das Hantieren mit den<br />

Gummihandschuhe nur nach erledigter <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> erlaubt. Des weiteren kreiselt B gerne mit<br />

runden Gegenständen, wie z.B. Deckeln von Marmeladengläsern. Wie schon erwähnt<br />

zeigen sich <strong>bei</strong> B auch sprachliche Stereotypien.<br />

4.4 Die Förderung<br />

Da ich A bereits aus meinem Praktikum kannte, habe ich gleich mit der Musiktherapie<br />

begonnen. Um B besser einschätzen zu können und einen ersten Kontakt aufzubauen,<br />

hospitierte ich zunächst einige Stunden in seiner Klasse. In Anlehnung an die Therapie von<br />

ALVIN (siehe Kapitel 3.7) gab ich den Kindern zu Beginn er Therapie die Möglichkeit,<br />

die Musikinstrumente zu erkunden. Ich habe ihnen zunächst alle Instrumente vorgestellt<br />

und sie aufgefordert, diese dann selber auszuprobieren.<br />

Meine <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> war vor allem erlebniszentriert mit einem geringen übungszentrierten Anteil.<br />

Da die Störung der zwischenmenschlichen sozialen Beziehungen für die Probleme von<br />

Menschen mit autistischem Verhalten zentral anzusehen sind (siehe Kapitel 2.3), stehen sie<br />

auch im Zentrum meiner musiktherapeutischen <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong>. Ziel meiner therapeutischen <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong><br />

war demnach die Herstellung und Vertiefung des Kontakts zu den Kindern mit Hilfe der<br />

Musik als nonverbales Kommunikationsmittel (vgl. auch ALVIN und SCHUMACHER -<br />

Kapitel 3.7). Durch das gemeinsame Musizieren sollte den Kinder die Möglichkeit<br />

gegeben werden, intensive soziale Erfahrungen zu machen.<br />

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4.4.1 Förderung von Kind A<br />

A kannte ich bereits aus meinem Praktikum. Gerade während des Schwimmunterrichts<br />

hatte ich viel Zeit und Gelegenheit, mich mit ihm allein zu beschäftigen. Daher habe ich<br />

meine musiktherapeutische <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> mit A begonnen und nicht mit B. Um die für A neue<br />

und ungewohnte Situation zu erleichtern, beschlossen der Klassenlehrer und ich, daß ich<br />

den täglichen Toilettengang, der vor der Therapiezeit liegt, an den Therapietagen<br />

übernehmen sollte. Dazu ging ich mit A auf eine andere Toilette als sonst. Diese Toilette<br />

liegt direkt neben dem Psychomotorikraum und A kannte sie vorher noch nicht. Dadurch<br />

sollte A ein deutliches Signal erhalten, daß an den entsprechenden Tagen etwas anderes<br />

passierte. Der Wechsel im Tagesablauf war für A zunächst ein Problem, das sich aber<br />

bereits nach zwei Wochen als nicht weniger schwerwiegend zeigte.<br />

Während der ersten zwei Wochen war <strong>bei</strong> A keine Reaktion auf die von mir gespielte<br />

Musik zu beobachten. Zunächst blieb er an der Tür stehen, griff nicht aktiv in den<br />

musikalischen Prozeß ein. Er schien aber aufmerksam zuzuhören. Bereits in der dritten<br />

Therapiestunde zeigte sich eine Reaktion, die ich aufgreifen konnte. A tippte mit einem<br />

Finger im Rhythmus der Musik auf seinen Stuhl. Ich vermutete, daß A besonders am<br />

Rhythmus der Musik und an Rhythmusinstrumenten interessiert sein könnte und stellte das<br />

Schlagzeug vor seinen Stuhl. Er fing spontan an, darauf zu spielen. Am Ende dieser Stunde<br />

war As Klassenlehrer sehr überrascht, wie gut und ausdauernd A mitmachte.<br />

Um zu kontrollieren, ob das Schlagzeug auch von A selbst bevorzugen würde, stellte ich es<br />

in der folgenden Therapiestunde in eine andere Ecke des Raum. Als A dann in den Raum<br />

kam, lächelte er kurz, ging dann direkt zum Schlagzeug und setzte sich hin. As Spiel war<br />

zu Beginn der Therapie sehr monoton, ungleichmäßig und er spielte mit nur einer Hand.<br />

Die andere Hand hatte er auf seinem Schoß.<br />

Nach kurzer Zeit war sein Rhythmus wesentlich gleichmäßiger, aber weiterhin monoton.<br />

Während A Schlagzeug spielte, habe ich ihn auf der Gitarre oder dem Baß begleitet. Im<br />

Verlauf der Therapie zeigte sich, daß A den Baß zur Begleitung seiner Musik bevorzugte.<br />

Er spielte dann ausdauernder und lauter. Zu Beginn einer Therapiestunde, als A bereits am<br />

Schlagzeug saß, sagte er, ich solle das „Rot-Schwarze“ nehmen. Da mein Baß schwarz ist<br />

und einen schwarz-roten Gurt hat, meinte er vermutlich, daß ich ihn auf dem Baß begleiten<br />

sollte.<br />

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Ich bot ihm immer wieder andere Musikinstrumente an, die er aber zunächst immer<br />

verweigerte. Erst in der vorletzten Therapiestunde fing A an, auch auf dem Klavier zu<br />

spielen. Dazu mußte ich allerdings zunächst allein beginnen, bis er dann von sich aus<br />

aufstand und zusammen mit mir spielte.<br />

In der vierten Therapiestunde kam es zu einem sehr intensiven Kontakt zwischen uns. Zu<br />

Beginn der Stunde begleitete ich A auf der Gitarre. A spielte da<strong>bei</strong> eintönig und unterbrach<br />

sein Musizieren oft. Er spielte aber plötzlich sehr abwechslungsreich, nachdem ich die<br />

Gitarre gegen den Baß tauschte. Er schlug z.B. ungewöhnlich laut und schnell auf das<br />

Becken. Diesen Impuls versuchte ich, durch schnelle und unruhige Baßläufe<br />

widerzuspiegeln und zu unterstützen (imitating / reflecting). Als A sich dann offensichtlich<br />

wieder beruhigt hatte, spielte er wesentlich leiser und gleichmäßiger auf der Snaredrum<br />

und den Röhrenglocken. Diese Stimmung habe ich versucht, auf dem Baß durch ruhige<br />

und tiefe Töne nachzuahmen. Am Ende dieser Stunde wirkte A sehr ruhig und entspannt.<br />

As Verhalten am Ende einer Therapiestunde war auch im allgemeinen verändert. So<br />

konnte er schon nach kurzer Zeit allein ohne die sonst übliche Unterstützung eines<br />

Erwachsenen auf den Hof und zum Bus gehen. Er konnte nach der Therapie auf einige<br />

Rituale auf dem Weg zum Bus verzichten und wirkte insgesamt wesentlich entspannter als<br />

vorher.<br />

Die Therapie war für A eine wichtige und freudige Abwechslung im Schulalltag. Er ging<br />

gerne mit mir in den Therapieraum und zeigte nie Angst oder Unmut. Als ich ihm in der<br />

letzten Therapiestunde sagte, daß wir keine Musik mehr machen würden, war er<br />

anscheinend sehr traurig. Er fragte immer wieder nach, ob wir denn nicht in der nächsten<br />

oder übernächsten Woche oder nach den Ferien Musik machen wollen.<br />

4.4.2 Förderung von Kind B<br />

Der Verlauf der Förderung von Kind B unterschied sich stark vom Verlauf der <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> mit<br />

Kind A. Ich kannte B vor dem Beginn meiner praktischen <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> für meine<br />

wissenschaftliche Hausar<strong>bei</strong>t noch nicht. Daher wollte ich eigentlich einige Stunden in<br />

seiner Klasse hospitieren, damit ich ihn besser einschätzen und er sich an mich gewöhnen<br />

konnte.<br />

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In der zweiten Stunde, in der ich in Bs Klasse hospitierte, verweigerte er die Mitar<strong>bei</strong>t im<br />

Unterricht. Daher entschied ich spontan, mit B in den Therapieraum zu gehen, der für die<br />

Therapie mit A schon vorbereitet war. In dieser Stunde zog sich B, gleich als er in den<br />

Therapieraum kam, in die Höhle auf der linken Seite des Raumes zurück. Er hörte mir<br />

lange <strong>bei</strong>m Spielen auf der Gitarre zu bis er aus der Höhle kam und das Schlagzeug sehr<br />

vorsichtig betastete. Es folgten dann viele Stunden, in denen ich keine Reaktionen von B<br />

beobachtete, die ich hätte aufgreifen können.<br />

In der siebten Therapiestunde ord<strong>net</strong>e ich die Musikinstrumente auf einer Bodenmatte in<br />

der Mitte des Raums an, damit ich B besser beobachten und gegebenenfalls auf ihn<br />

reagieren konnte. B setzte sich gleich zu Beginn der Stunde zu mir auf die Matte und hörte<br />

mir konzentriert zu. Er unterbrach zeitweise sein stereotypes Wedeln mit dem<br />

Gummihandschuh und juchzte. Als ich diese Juchzen mit der Musik aufgriff und imitierte,<br />

war wieder keine Reaktion zu beobachten. In dieser Stunde konnte ich <strong>bei</strong> B ein Verhalten<br />

beobachten, das er später noch öfter zeigte. Nach einer Phase eines sehr intensiven<br />

Kontakts, in der er mir lange und konzentriert zuhörte, zog er sich zurück. Diese Verhalten<br />

zeigte mir, daß ich B zu nahe gekommen in. Daher beschloß ich, den Wunsch nach Distanz<br />

– im Sinne des Ausbalancierens von Nähe und Distanz (vgl. Schumacher Kapitel 3.7) - zu<br />

respektieren. So habe ich diese Stunde, da sie ohnehin fast vor<strong>bei</strong> war, beendet.<br />

Nach dem Umzug in die Aula aufgrund von Renovierungsar<strong>bei</strong>ten, veränderte sich Bs<br />

Verhalten. Zunächst war er sehr verwirrt. Dann fand er in dem Stuhllager, das sich an die<br />

Aula anschloß, einen Metalldeckel, den er kreiseln lassen konnte. Er lief damit durch den<br />

Raum, warf den Deckel durch die Luft und hockte sich von Zeit zu Zeit auf den Boden, um<br />

den Deckel kreiseln zu lassen. Das Kreiseln und Werfen des Metalldeckels sowie Bs<br />

Laufen durch den Raum versuchte ich musikalisch aufzugreifen (vgl. SCHUMACHER -<br />

Kapitel 3.7). B reagierte zunächst nicht auf mein Spielen. Dann ließ er seinen Metalldeckel<br />

liegen, ging zum Schlagzeug und betastete es vorsichtig. Als ich ihm einen Stick in die<br />

Hand gab und anfing auf dem Becken zu spielen, ging er weg und untersuchte den Baß.<br />

Erst als er das Klavier ausprobierte, fing er kurz an zu Spielen und zog sich danach in<br />

einen Nebenraum zurück.<br />

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Nach diesen ersten vorsichtigen Kontaktaufnahmen zu den Musikinstrumenten griff B in<br />

der letzten Stunde das erstemal aktiv in den musikalischen Prozeß ein. In dieser Stunde<br />

untersuchte er zunächst vorsichtig die Instrumente. Dann lief er durch die Aula und juchzte<br />

da<strong>bei</strong> sehr laut. Als ich sein Juchzen dann aufgriff und mit der Gitarre begleitete, stellte<br />

sich B vor mich, sprang auf und ab und juchzte da<strong>bei</strong> sehr begeistert. Nachdem wir so sehr<br />

lange zusammen gesungen haben, zog sich B wieder zurück, zog sich selber die Schuhe an<br />

und verließ den Raum.<br />

Insgesamt hatte ich den Eindruck, daß B immer gerne an der Therapie teilnahm. Er zeigte<br />

nie Angst und verzichtete einmal sogar auf ein Stück Kuchen, um gleich mit mir nach oben<br />

zu laufen. Auf dem Weg in den Therapieraum lief er wie immer voraus, um sich dann in<br />

eine Ecke zurückzuziehen und der Musik zuzuhören. Daß B wesentlich später als A auf<br />

meine Kontaktangebote reagiert hat, liegt vermutlich daran, daß wir uns vor Beginn der<br />

Therapie nicht kannten.<br />

4.5 Beurteilung der Therapie<br />

Am Anfang meiner <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> tendierte ich dazu, die Therapie mit A, aufgrund der frühen<br />

Erfolge, als besonders erfolgreich zu beurteilen. Es zeigte sich aber, daß sich der<br />

musikalische Prozeß in der Musiktherapie mit A zunächst kaum weiterentwickelte. Erst am<br />

Ende meiner praktischen <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> konnte man größere Veränderungen in As Verhalten<br />

während der Therapie beobachten. Der scheinbare Stillstand im therapeutischen Prozeß<br />

kann aber auch auf mein vorschnelles Vorgehen zu Beginn der <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> mit A zurückgeführt<br />

werden. Aufgrund meiner fehlenden Erfahrung habe ich nicht abgewartet bis A von sich<br />

aus Kontakt zu den Instrumenten suchte, sondern habe ihm das Schlagzeug direkt<br />

angeboten. Besser wäre es gewesen, auf As Initiative zu warten und ihm in der<br />

Zwischenzeit auf verschiedenen Instrumenten musikalische Kontaktangebote zu machen.<br />

B hingegen reagiert lange Zeit kaum auf die Musik. Er griff nicht aktiv in den<br />

musikalischen Prozeß ein, sondern hörte nur zeitweise konzentriert zu. Zu Beginn der<br />

Förderung schien er mich, die Musik und die Instrumente in der meisten Zeit zu ignorieren.<br />

Erst in den letzten <strong>bei</strong>den Stunden reagierte er beobachtbar.<br />

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Es zeigt sich also, daß die sehr unterschiedlichen Verläufe der Förderungen schwer zu<br />

vergleichen sind. Weil ich A schon kannte, war der Kontakt zwischen uns schon zu Beginn<br />

von anderer Qualität als der zwischen B und mir. Da sich im Verlauf <strong>bei</strong>der Therapien<br />

Fortschritte ergaben, würde ich <strong>bei</strong>de Förderungen als erfolgreich bezeichnen. Eine<br />

qualitative Bewertung erscheint mir aufgrund der sehr komplexen Prozesse nicht sinnvoll.<br />

Beide Jungen hatten an der musiktherapeutischen <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> große Freude. Sie sind immer<br />

gerne mit mir in den Therapieraum gekommen und haben ihren Möglichkeiten und der<br />

Therapiesituation entsprechend reagiert und Fortschritte gemacht. Beide haben offenbar<br />

intensive soziale Erfahrungen gemacht. Sie konnten sich aber auch jederzeit zurückziehen.<br />

Bei der Förderung vom Menschen mit autistischem Verhalten ist es sehr wichtig, soziale<br />

Erfahrungen zu ermöglichen, aber auch Rückzüge des Klienten zu akzeptieren. Da<br />

Fortschritte nur sehr langsam zu erwarten sind, muß der Therapeut sehr geduldig und<br />

vorsichtig vorgehen. Drängt man den Klienten zum Mitmachen, kann sich sein<br />

zurückziehendes Verhalten verstärken.<br />

Die musiktherapeutische Förderung von Menschen mit autistischem Verhalten ist wie<br />

erwähnt sehr langwierig. Daher war nicht zu erwarten, daß sich während der kurzen<br />

Therapiedauer im Verhalten der <strong>bei</strong>den Jungen größere Veränderungen ergeben. Bei<br />

<strong>bei</strong>den Jungen haben sich aber am Ende meiner praktischen <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> Änderungen im<br />

Verhalten während der Therapie ergeben, die vermuten lassen, daß <strong>bei</strong> einer wesentlich<br />

längeren Förderungsdauer größere Erfolge möglich wären.<br />

Bezüglich des Settings haben sich interessante Ergebnisse ergeben. Der Umzug in die Aula<br />

hat in <strong>bei</strong>den Förderungen zu positiven Veränderungen geführt. Vor allem das Verhalten<br />

von B hat sich stark in der Aula verändert. Aufgrund des größeren Raums konnte B den<br />

Abstand zu mir und zur Musik besser variieren und sich dadurch besser auf die neue<br />

Situation einlassen. Diese Beobachtung zeigt, daß der Raum für die musiktherapeutische<br />

Förderung von Menschen mit autistischem Verhalten größer sein sollte, als von<br />

BENENZON in Kapitel 3.5.1 gefordert.<br />

Da ich keine professionelle musikalische Ausbildung habe, sind meine Möglichkeiten,<br />

Musik einzusetzen, durchaus begrenzt. Trotzdem konnte ich mit dem Medium Musik zu<br />

den Kindern eine gute Beziehung herstellen, die offensichtlich von <strong>bei</strong>den mit positiven<br />

Gefühlen verbunden wurden.<br />

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Schon die Tatsache, daß <strong>bei</strong>de Jungen an der Therapie viel Freude hatten, spricht für einen<br />

Einsatz der Musik <strong>bei</strong> der Förderung von Menschen mit autistischem Verhalten. Bei<br />

Kindern, die wie A nur sehr wenige Interessen haben, bietet die musiktherapeutische<br />

<strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> eine gute Möglichkeit, neue Interessen zu wecken und Eigeninitiative zu fördern.<br />

Für meine praktische <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> waren meine Erfahrungen die ich <strong>bei</strong>m Spielen in meiner<br />

Band gesammelt habe, sehr hilfreich. Da<strong>bei</strong> konnte ich lernen, spontan auf das Musizieren<br />

anderer zu reagieren. Während der musiktherapeutischen <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> habe ich allerdings häufig<br />

bemerkt, daß mir teilweise die musikalischen Möglichkeiten fehlten, um mich den<br />

Anforderungen entsprechend auf den Instrumenten auszudrücken. Um effektiver und<br />

sicherer mit der musiktherapeutischen Situation umgehen zu können, ist eine<br />

professionelle Ausbildung an einem oder besser noch mehreren Instrumenten durchaus<br />

sinnvoll. Für eine anschließende Bear<strong>bei</strong>tung konkreter Probleme fehlt mir zudem die<br />

entsprechende Ausbildung. Die konfliktzentrierte Therapie von behinderten Menschen<br />

sollte meiner Meinung nach immer von professionell ausgebildeten Musiktherapeuten<br />

durchgeführt werden.<br />

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5. Schlußbetrachtung<br />

Da die Ursachen der autistischen Störung nicht endgültig geklärt sind, gibt es keine<br />

Therapie, die für jeden Menschen mit autistischem Verhalten die richtige wäre. Die<br />

verschiedenen Erklärungshypothesen geben Hinweise für verschiedene Arten der Therapie,<br />

die aber immer auf die individuellen Bedürfnisse, Fähigkeiten und Probleme des einzelnen<br />

Menschen mit autistischem Verhalten ausgerichtet werden müssen. Da<strong>bei</strong> sollte man sich<br />

nicht auf eine bestimmte Therapieform beschränken, sondern versuchen, mehrere Ansätze<br />

so zu verbinden, daß sie eine möglichst umfassende Förderung ergeben.<br />

Für die Förderung von Menschen mit autistischem Verhalten läßt sich die Musiktherapie<br />

vor allem zur Förderung der sozialen Entwicklung einsetzen. Auf musikalischer Ebene<br />

können die Kinder soziale Erfahrungen erleben, die sie in anderen Bereichen nicht oder nur<br />

eingeschränkt machen können. Die Musiktherapie kann <strong>bei</strong> Menschen mit autistischem<br />

Verhalten elementare Grundlagen schaffen, die in Verbindung mit anderen Formen der<br />

Förderung die weitere Entwicklung positiv beeinflussen.<br />

Da Menschen mit autistischem Verhalten häufig an Musik interessiert sind, kann Musik im<br />

Sinne des therapeutischen Musizierens als Freizeitbeschäftigung eingesetzt werden. Die<br />

Kinder haben im allgemeinen viel Freude am Musizieren und können dadurch neue<br />

Interessen und mehr Eigeninitiative entwickeln. Das Musizieren kann so für diese<br />

Menschen ein erfüllenden Teil des Lebens sein.<br />

Für mich war <strong>bei</strong> der Wahl des Themas meiner wissenschaftlichen Hausar<strong>bei</strong>t von<br />

besonderem Interesse, welche musikalischen Kompetenzen <strong>bei</strong>m Therapeuten<br />

vorauszusetzen sind. Durch meine praktische <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> hat sich gezeigt, daß sich das Medium<br />

Musik auch mit eingeschränkten musikalischen Kompetenzen <strong>bei</strong> der Förderung von<br />

Menschen mit autistischem Verhalten sinnvoll einsetzen läßt.<br />

Mit meiner musiktherapeutischen <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> an der Ellerbecker Schule bin ich sehr zufrieden.<br />

Bevor ich mich mit dem Thema Musiktherapie beschäftigt habe, hatte ich nur eine vage<br />

Vorstellung von der <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong>sweise und den Möglichkeiten der musiktherapeutischen<br />

Förderung von Menschen mit autistischem Verhalten. Durch die Beschäftigung mit der<br />

entsprechenden Literatur und meine praktische <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> habe ich einen guten Einblick<br />

erhalten und denke, daß ich Musik auch später in meiner eigenen Klasse einsetzen werde.<br />

www.foepaed.<strong>net</strong> 63


6. Literatur<br />

ALVIN, J.: Musiktherapie. München, 1984.<br />

ALVIN, J.: Musik und Musiktherapie für behinderte und<br />

autistische Kinder. Stuttgart, 1988.<br />

BENENZON, R.O.: Einführung in die Musiktherapie. München,<br />

1983.<br />

BERTELSMANN ELECTRONIC PUBLISHING GMBH:<br />

InfoROM `97 / `98. München, 1997.<br />

BRUHN, H.: Musiktherapie - Geschichte<br />

. Theorie<br />

Methoden Vorlesungsskript. Kiel, 1999.<br />

BRUHN, H. / OERTER, R. / RÖSING, H.: Musikpsychologie – Ein Handbuch. Hamburg,<br />

1994.<br />

BUNDESVERBAND „HILFE FÜR DAS AUTISTISCHE KIND“:<br />

Denkschrift zur Situation autistischer<br />

Menschen in der BRD. Hamburg, 1996.<br />

BUNDESVERBAND „HILFE FÜR DAS AUTISTISCHE KIND“:<br />

9. Bundestagung: Mit Autismus leben –<br />

Kommunikation und Kooperation,<br />

Tagungsbericht. Hamburg, 1998.<br />

DECKER-VOIGT, H.-H.(Hrsg.): Handbuch - Musiktherapie. Lilienthal -<br />

DECKER-VOIGT, H.-H./ KNILL, P.J./<br />

Bremen, 1983.<br />

WEYMANN, E.(Hrsg.): Lexikon – Musiktherapie. Göttingen / Bern /<br />

Toronto / Seattle, 1996.<br />

www.foepaed.<strong>net</strong> 64<br />

.


DELACATO, C.H.: Der unheimliche Fremdling. In: WALBURG,<br />

W.-R.: Seminarunterlagen / Materialien-<br />

sammlung zur Veranstaltung: „Zur Förderung<br />

von Menschen mit autistischem Verhalten“.<br />

Unveröffentlichtes Manuskript, Kiel, 1996.<br />

ECHEN, J.TH.: Assoziative Improvisation. In: DECKER-<br />

VOIGT, H.-H./ KNILL, P.J. /WEYMANN, E.<br />

(Hrsg.): Lexikon – Musiktherapie. Göttingen /<br />

Bern / Toronto / Seattle, 1996.<br />

FEUSER, G.: Autistische Kinder. Solms-Oberbiel, 1980.<br />

FRANK-BLECKWEDEL, E. M.: Rezeptive Musiktherapie In: DECKER-<br />

VOIGT, H.-H./ KNILL, P.J./WEYMANN, E.<br />

(Hrsg.): Lexikon – Musiktherapie. Göttingen<br />

/ Bern / Toronto / Seattle, 1996.<br />

FROHNE, I.: Zum Stellenwert künstlerischer Medien für<br />

therapeutische Prozesse. In: DECKER-<br />

VOIGT. H.-H. (Hrsg.): Handbuch -<br />

Musiktherapie. Lilienthal / Bremen. 1983.<br />

FROHNE, I.: Möglichkeiten integrativer <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> mit<br />

verschiedenen künstlerischen Medien in der<br />

Musiktherapie. In: DECKER-VOIGT. H.-H.<br />

(Hrsg.): Handbuch - Musiktherapie. Lilienthal<br />

/ Bremen. 1983.<br />

HÖRMAN, G.: Handlungsaktivierende Musiktherapie.<br />

Münster, 1989.<br />

INNERHOFER, P./ KLIEPERA, C.: Die Welt des frühkindlichen Autismus:<br />

Befunde, Analysen, Anstöße. München / Basel,<br />

1988.<br />

www.foepaed.<strong>net</strong> 65


KEHRER, HANS E.: Das autistische Syndrom. In:<br />

Musiktherapeutische Umschau - Band 9,<br />

Frankfurt / Stuttgart, 1988<br />

KEHRER, HANS E.: Autismus – Diagnostische, therapeutische und<br />

soziale Aspekte. Heidelberg, 1995.<br />

KUSCH, M. / PETERMANN, F.: Entwicklung autistischer Störungen. Bern<br />

/Stuttgart / Toronto, 1990.<br />

MINISTERIUM FÜR BILDUNG, WISSENSCHAFT UND WEITERBILDUNG –<br />

RHEINLAND-PFALZ: Handreichungen zu den Empfehlungen zur<br />

Förderung von Schülerinnen und Schülern mit<br />

autistischem Verhalten. Mainz, 1997.<br />

ORFF, G.: Aktive Förderung der Entwicklung des Kindes.<br />

München, 1974.<br />

PRIESTLEY, M.: Musiktherapeutische Erfahrungen. Stuttgart /<br />

New York / Kassel, 1982.<br />

ROLLETT, B. / KASTNER-KOLLER, U.: Praxisbuch Autismus: Ein Leitfaden für Eltern,<br />

Erzieher, Lehrer und Therapeuten. Stuttgart /<br />

Jena / New York, 1994.<br />

SCHEYTT, N.: Vegetative Veränderungen durch Musik. In:<br />

DECKER-VOIGT. H.-H. (Hrsg.): Handbuch -<br />

Musiktherapie. Lilienthal / Bremen. 1983.<br />

SCHLÜTER, C.: Zur Musiktherapie im Rahmen der Förderung<br />

von Kindern und Jugendlichen mit autistischen<br />

Verhaltensweisen. Unveröffentlichte Examens-<br />

ar<strong>bei</strong>t, Kiel, 1994.<br />

www.foepaed.<strong>net</strong> 66


SCHMIDT, M.: Neuere Erkenntnisse zur Ätiologie des<br />

frühkindlichen Autismus. In: BUNDES-<br />

VERBAND „HILFE FÜR DAS<br />

AUTISTISCHE KIND“: Mit Autismus leben -<br />

Kommunikation und Kooperation. Hamburg,<br />

1998<br />

SCHUMACHER, K.: Musiktherapie mit autistischen Kindern.<br />

Stuttgart / Jena / New York 1994<br />

SCHUMACHER, K.: Musiktherapie und Säuglingsforschung.<br />

Frankfurt am Main 1999.<br />

SCHWARTING, J.: Musik mit Geistigbehinderten. In: DECKER-<br />

VOIGT. H.-H. (Hrsg.): Handbuch -<br />

Musiktherapie. Lilienthal / Bremen. 1983.<br />

SEIDEL, A.: Distanz und Nähe im gruppen-<br />

improvisatorischen Musizierprozeß. In:<br />

DECKER-VOIGT. H.-H. (Hrsg.): Handbuch -<br />

Musiktherapie. Lilienthal / Bremen. 1983.<br />

STROBEL, W. / HUPPMANN, G.: Musiktherapie – Grundlagen<br />

TISCHLER, B. / MORODER-TISCHLER, R.:<br />

. Formen<br />

Möglichkeiten. Göttingen / Bern / Toronto /<br />

Seattle, 1997.<br />

Musik aktiv erleben. Frankfurt am Main, 1998.<br />

WALBURG, W.-R.: Seminarunterlagen / Materialiensammlung zur<br />

Veranstaltung: „Zur Förderung von Menschen<br />

mit autistischem Verhalten“.<br />

Unveröffentlichtes Manuskript, Kiel, 1996.<br />

ZIEGENRÜCKER, W: Allgemeine Musiklehre. München, 1986.<br />

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.


7. Anhang<br />

Therapie mit Kind A:<br />

Therapiesitzung am 23.4.99<br />

Musiktherapeutische Förderung<br />

in der Schule für Geistigbehinderte Kiel Ellerbeck<br />

Um A die neue Situation zu erleichtern, beschließen wir, daß ich an den Therapietagen den<br />

täglichen Toilettengang übernehme und gleich mit A nach oben auf eine andere Toilette<br />

gehe. Es dauert sehr lange bis A mit nach oben kommt. Er ist sehr aufgeregt und redet viel.<br />

Als wir in den Psychomotorikraum (Therapieraum) kommen, ist schon ein großer Teil der<br />

zweiten Stunde, in der die Musiktherapie stattfinden soll, vergangen. Da A an der Tür<br />

stehen bleibt und nicht weiter in den Raum kommen möchte, spiele ich ihm auf der Gitarre<br />

einige Lieder vor und improvisiere ein wenig. A reagiert kaum, scheint aber zuzuhören,<br />

denn er schaut mich an. Er unterbricht mich häufig und redet viel. Da<strong>bei</strong> verwendet er die<br />

Sprache stereotyp.<br />

Folgerungen für die nächste Stunde:<br />

- Dauert es wieder so lange – Toilettengang weglassen<br />

- Instrumente vorstellen und zum mitspielen anregen<br />

Therapiesitzung am 30.4.99<br />

A kommt heute ohne Widerwillen mit nach oben. Auch der Toilettengang läuft ohne<br />

größere Probleme ab. A scheint sich zu freuen und fragt öfter ob wir wieder Musik machen<br />

wollen. Er möchte in die Aule (As Klassenlehrer hatte <strong>bei</strong>m erstenmal angekündigt, wir<br />

würden in die Aula gehen und Musik machen). Als ich dann mit in die Aula gehen will,<br />

zieht mich in Richtung Psychomotorikraum und meint wir sollen Musik machen. A bleibt<br />

wieder zunächst an der Tür stehen. Ich fange an, A die Instrumente vorzustellen und ihm<br />

verschiedene Melodien darauf vorzuspielen. A unterbricht mich wieder häufig und redet<br />

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mit mir. Da<strong>bei</strong> handelt es sich wieder um die üblichen stereotypen Frage-Antwort-<br />

Gespräche.<br />

Auf die Musik reagiert er anscheinend nicht. Am Ende der Stunde, als ich gerade auf der<br />

Gitarre spiele, kommt er aber in den Raum, setzt sich auf einen Stuhl, der weit von den<br />

Instrumenten an einem Tisch steht und hört mir zu.<br />

Folgerungen für die nächste Stunde:<br />

- Weiter Musik vorspielen<br />

- Reaktionen genau beobachten<br />

- ggf. auf Kontaktangebote reagieren<br />

Therapiesitzung am 7.5.99<br />

A kommt in den Raum und setzt sich auf einen Stuhl, der an keinem Instrument steht. Das<br />

Xylophon ist das nächste Instrument und ca. eine Armlänge von ihm entfernt. Er klopft<br />

einmal vorsichtig darauf, ignoriert die anderen Instrumente aber völlig. Er redet viel,<br />

gebraucht die Sprache wieder hauptsächlich stereotyp. Als ich anfange, ihm auf dem Baß<br />

Musik vorzuspielen, fängt A an, auf dem Stuhl in einem zur Musik passenden Rhythmus<br />

zu klopfen. Wenn die Musik abbricht, hört er auch auf zu klopfen. Nach einiger Zeit wird<br />

A ruhiger und spricht nur noch sehr wenig. Wenn mein Spiel sehr rhythmisch wird, lächelt<br />

er. Ich schließe daraus, daß A sehr am Rhythmus der Musik interessiert ist und gebe ihm<br />

ein Konga. Da ihm anscheinend dessen Kläng nicht gefällt, stelle die Tom vor seinen<br />

Stuhl. A fängt spontan an, passend zu der Musik, die ich auf der Gitarre spiele, auf der<br />

Tom einen Rhythmus mitzuspielen. Da er begeistert <strong>bei</strong> der Sache ist, stelle ich auch die<br />

Snare und das Becken dazu. A ist vom Klang des Beckens sehr fasziniert. Er schlägt sehr<br />

schnell und kräftig auf das Becken, hält sich aber mit der Schulter das Ohr zu.<br />

Nachdem geklärt ist, welches Instrument A interessiert, improvisieren wir gemeinsam. Am<br />

Anfang ist As Rhythmus noch sehr ungleichmäßig. Nach einiger Zeit wird das aber besser,<br />

so daß das gemeinsame Spielen uns <strong>bei</strong>den viel Spaß macht. A benutzt nur die linke Hand<br />

zum Spielen.<br />

Als ich A auf den Pausenhof bringe, fragt sein Klassenlehrer nur, ob ich gleichzeitig<br />

Schlagzeug und Baß spielen könne. Er sei total überrascht, wie gut A mitgemacht habe.<br />

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Folgerungen für die nächste Stunde:<br />

- versuchen, Kommunikation zu initiieren<br />

- Schlagzeug nach hinten stellen, um zu kontrollieren, ob A es wirklich bevorzugt<br />

Therapiesitzung am 21.5.99<br />

Als A in den Raum kommt und das Schlagzeug sieht, lächelt er und geht spontan darauf<br />

zu. Er sagt wieder, daß er in die Aula möchte. Weil das Klavier in der Aula steht, frage ich<br />

ihn, ob er Klavier spielen möchte. A möchte nicht, geht zum Schlagzeug und setzt sich<br />

spontan hin (Schlagzeug am anderen Ende des Raums). Die Sticks gebe ich ihm in die<br />

Hände und er fängt von sich aus an zu spielen. Ich beginne, auf der Gitarre zu spielen. A<br />

spielt begeistert mit. Sein Rhythmus ist sehr eintönig. Beim Spielen kommt es zunächst zu<br />

keiner Kommunikation. Ich wechsle das Instrument und nehme den Baß.<br />

Wenn A auf dem Becken spielt, spiele ich eine tiefe, schnelle und rhythmische Begleitung.<br />

Spielt er auf Tom und Snare einen Rhythmus, so reagiere ich mit rhythmischen Baßläufen.<br />

Beim Anschlagen der „Röhrenglocken“ spiele ich hohe, eher schwebende Melodien.<br />

Dann fängt A plötzlich an, sehr laut und schnell auf das Becken einzuschlagen. Davon<br />

lasse ich mich inspirieren und improvisiere sehr laut und unruhig auf dem Baß. A wird<br />

nach einigen Minuten wieder ruhiger und spielt auf den „Röhrenglocken“.<br />

A unterbricht das Spiel öfter und spricht sehr langsam und ruhig mit mir. Zum Abschluß<br />

spielen wir noch sehr entspannte und rhythmische Musik, wo<strong>bei</strong> A sein Schlagzeugspiel<br />

durch Schlagen auf den Rand der Trommeln und durch vereinzelten Einsatz des Beckens<br />

variiert. Als ich sage, daß die Zeit vor<strong>bei</strong> ist, will A zunächst nicht aufhören. Ich muß ihm<br />

die Sticks aus der Hand nehmen, was er sich ohne weiteres gefallen läßt. Er steht nach<br />

Aufforderung selbständig auf und geht mit mir (ohne zu ziehen) auf den Pausenhof.<br />

Folgerungen für die nächste Stunde:<br />

- die Kommunikation von Baß und Schlagzeug weiterführen<br />

- probieren, mit A zusammen Schlagzeug spielen<br />

Erweiterung seines Rhythmus Repertoires<br />

- auf das Schlagzeug beschränken<br />

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Therapiesitzung am 28.5.99<br />

Als A in den Raum kommt, geht er wieder direkt zum Schlagzeug. Als ich anfange an auf<br />

der Gitarre zu spielen steigt A von sich aus mit ein und spielt sehr monoton mit. Er variiert<br />

sein Spiel kaum und unterbricht es häufig, um sich mit mir zu unterhalten. Ich spiegle<br />

seinen eintönigen Rhythmus durch sehr einfache und monotone Baßläufe wieder. Es sind<br />

<strong>bei</strong> A keine Reaktionen erkennbar. Wir haben bis zum Ende der Stunde zusammen<br />

musiziert, es waren aber keine Impulse von A wahrnehmbar.<br />

Folgerungen für die nächste Stunde:<br />

- andere Instrumente anbieten<br />

Therapiesitzung am 4.6.99<br />

A freut sich als er mich sieht und fragt gleich, ob wir wieder Musik machen wollen. Da in<br />

unserem Raum heute eine andere Veranstaltung ist, gehe ich mit A nach draußen. Damit<br />

scheint er keine Probleme zu haben. Wir setzen uns mit Gitarre und Handtrommel in den<br />

Garten, und ich fange an, Gitarre zu spielen. A geht nicht auf das Angebot ein.<br />

Da A das Spielen und das gute Wetter zu genießen scheint, spiele ich weiter und dränge<br />

ihn zum Mitspielen. Sein Verhalten nach der Stunde hat sich nicht beobachtbar verändert.<br />

Therapiesitzung am 11.6.99<br />

A freut sich, mich zu sehen und fragt, ob wir wieder Musik machen wollen. Er kommt sehr<br />

schnell mit nach oben. Da heute nach der Therapie Schulschluß ist, nehmen wir Jacke und<br />

Rucksack mit nach oben. Er zieht sich die Jacke schnell aus und geht selbständig in den<br />

Raum. An das Schlagzeug setzt er sich nicht selbst. Ich habe eine Gitarre auf E-Dur<br />

gestimmt, so daß man mit einem Finger und dem Bottleneck sehr leicht verschiedene<br />

Akkorde greifen kann. Als ich ihm die Gitarre zeige und frage, ob er probieren will darauf<br />

zu spielen, wehrt er ab und setzt sich an das Schlagzeug. Er zeigt auf meine Instrumente<br />

und fordert mich auf anzufangen. Daraufhin nehme ich meine Gitarre. A meint plötzlich,<br />

ich solle doch das Schwarz-Rote nehmen (mein Baß ist schwarz – der Baßgurt schwarz-<br />

rot).<br />

Als ich den Baß in die Hand nehme, lächelt A mich an, und wir fangen an zu spielen. Das<br />

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eigentliche Spielen ist heute nicht so interessant. Ich versuche nur dann zu spielen, wenn<br />

die Initiative von A ausgeht. Dadurch kommt es zu langen Pausen, in denen A sich mit mir<br />

„unterhält“ (fragt immer wieder, ob wir nächste Woche Musik machen - und übernächste<br />

Woche).<br />

Sein Rhythmus ist schon etwas abwechslungsreicher geworden. („Bum Bum Batsch“ statt<br />

„Bum Batsch“) Er spielt anscheinend lauter als sonst. Ich kann ihn mit der Akustikgitarre<br />

nicht begleiten, weil sie im Vergleich zum Schlagzeug zu leise ist.<br />

Nach der Therapie legt A nach Aufforderung die Sticks selber weg und geht alleine aus<br />

dem Raum. Die Jacke zieht er sehr schnell an und fragt nach meiner Hand. Er zieht nicht<br />

an der Hand und geht sehr schnell die Treppe runter. Einige der täglichen Stereotypien auf<br />

dem Weg zum Bus kann er auslassen.<br />

Folgerungen für die nächste Stunde:<br />

- Spielregeln einführen (gemeinsames Anfangen und Aufhören)<br />

- Gitarre wieder anbieten<br />

- E-Gitarre ausprobieren<br />

Therapiesitzung am 18.6.99<br />

In der Woche vom 14. Bis zum 19.6. findet an der Ellerbecker Schule die Projektwoche<br />

statt. Die Therapie mußte daher ausfallen.<br />

Therapiesitzung am 25.6.99<br />

As Lehrer berichtete, daß A heute nicht gut drauf ist. Es dauert heute auch länger bis er mit<br />

nach oben in den Therapieraum kommt. Als A in den Raum kommt, geht er sofort zum<br />

Schlagzeug. Ich biete ihm die Gitarre zum Spielen an. Er lehnt ab und wir fangen an zu<br />

musizieren. A spielt heute sehr langsam und eintönig. Ich unterstütze seinen Rhythmus mit<br />

dem Baß und spiele auch immer wiederkehrende Motive. Er schlägt sehr lange und laut auf<br />

das Becken.<br />

Er wirkt sehr unkonzentriert, unterbricht häufig sein Schlagzeugspiel und unterhält sich<br />

dann mit mir. Nachdem wir einige Zeit Musik gemacht haben, schlage ich vor, daß wir<br />

gemeinsam mit dem Spielen anfangen. Dazu zähle ich zunächst an. A geht aber nur einmal<br />

darauf ein.<br />

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Um etwas Abwechslung in seinen Rhythmus zu bringen, fordere ich A auf, etwas schneller<br />

zu spielen. Er geht darauf ein, spielt aber sehr ungleichmäßig. Insgesamt ist die heutige<br />

Sitzung nicht so intensiv wie sonst. Mit der E-Gitarre kann ich A am Schlagzeug begleiten<br />

– sie ist laut genug.<br />

Nach der Stunde will A nicht aufhören. Ich muß ihm die Sticks aus der Hand nehmen, was<br />

er nur mit Widerwillen zuläßt. A fragt nach meiner Hand als wir auf den Pausenhof gehen.<br />

Ich frage ihn, ob es ausreicht, wenn ich mitkomme, und A geht darauf selbständig auf den<br />

Hof.<br />

Folgerungen für die nächste Sitzung:<br />

- auf dem Schlagzeug andere Rhythmen anbieten<br />

Therapiestunde am 2.7.99<br />

Da der Therapieraum renoviert wird, müssen wir von nun an in die Aula umziehen. A<br />

kommt heute wieder alleine in den Raum und setzte sich spontan ans Schlagzeug. Der<br />

Raumwechsel beschäftigt ihn vor der Stunde sehr. Er fragt immer wieder nach, in welchem<br />

Raum wir heute Musik machen. Als er in die Aula kommt, scheint ihm der Wechsel aber<br />

nichts mehr auszumachen.<br />

Heute ist A wieder besser <strong>bei</strong> der Sache. Er spielt ausdauernder als <strong>bei</strong>m letzten Mal und<br />

unterbricht sein Spiel nur selten. Sein Rhythmus ist aber immer noch sehr eintönig.<br />

Nachdem wir einige Zeit zusammen gespielt haben, nehme ich mir eine Handtrommel und<br />

begleite ihn damit. Es scheint ihm zu gefallen, denn er lächelt viel und spielt sehr<br />

ausdauernd. Sein Rhythmus bleibt aber, obwohl ich ihm verschiedene Variationen<br />

vorspiele, eintönig.<br />

Gegen Ende der Stunde schlage ich vor, daß wir gemeinsam am Klavier spielen. A möchte<br />

zunächst nicht und sagt: „Nee gut !“. Als ich anfange zu spielen, kommt er aber doch, zeigt<br />

auf das Schlagzeug und meint, ich solle da spielen. Ich fange an zu spielen, A spielt aber<br />

sehr zögernd. Daher setze ich mich neben ihn und wir spielen zusammen. Es scheint ihm<br />

viel Spaß zu machen, denn er spielt sehr abwechslungsreich.<br />

Am Ende der Stunde fange ich an abzubauen und fordere ihn auf, nach unten auf den Hof<br />

zu gehen. A fragt, ob ich ihn an die Hand nehme. Darauf schlage ich vor, daß er alleine<br />

vorgeht und ich dann nachkomme. Als ich ihm dann folge, ist er bereits auf dem Hof.<br />

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Folgerungen für die nächste Stunde:<br />

- Der Ablauf war gut und hat A Spaß gemacht – <strong>bei</strong>m nächsten Mal ähnlich gestalten<br />

Therapiesitzung am 9.7.99<br />

Da heute auch die Aula besetzt ist, bleiben wir in As Klasse. Die Klasse ist heute<br />

ausnahmsweise frei, weil die anderen Kinder zum Rudern gefahren sind. Der erneute<br />

Raumwechsel ist für A sehr verwirrend. Daher dauert es auch lange bis wir endlich in der<br />

Klasse sind und anfangen können. Da ich A schon in der vorherigen Stunde erzählt hatte,<br />

daß wir heute zum letzten Mal Musik machen, fragt er ständig nach, wann wir denn wieder<br />

zusammen musizieren. Es ist für ihn anscheinend nur schwer zu akzeptieren, daß wir<br />

aufhören.<br />

A spielt heute sehr laut und bezieht auch den Rand der einzelnen Trommeln mit in sein<br />

Spiel ein. Er wirkt etwas abgelenkt, unterbricht häufig sein Spiel und fragt immer wieder,<br />

ob wir aufhören oder wann wir wieder Musik machen. Als ich ihn auf den Handtrommeln<br />

begleite, spielt er besonders begeistert mit und lächelt. Es scheint ihm auch zu gefallen,<br />

wenn ich mir seinen zweiten Stick nehme und zusammen mit ihm Schlagzeug spiele.<br />

Am Ende der Stunde, die heute nur ca. ½ Stunde lang war, hört er nur mit Widerwillen auf,<br />

geht dann aber selbständig auf den Pausenhof.<br />

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Therapie mit Kind B:<br />

Therapiesitzung am 30.4.99<br />

Eigentlich war geplant, daß ich in dieser Stunde nur hospitiere und B im Unterricht<br />

beobachte. Da B aber keine Lust hat, am Unterricht teilzunehmen und er in diesem Fall<br />

jegliche Mitar<strong>bei</strong>t verweigert, gehe ich mit ihm spontan in den Therapieraum, wo schon<br />

alle Instrumente für A aufgebaut sind.<br />

B geht direkt zum Schlagzeug und klopft vorsichtig auf das Becken. Danach zieht er sich<br />

in eine Höhle zurück, die in diesem Raum steht, weil es sich um den Psychomotorikraum<br />

handelt. In dieser Höhle sitzt er sehr lange, hört aber anscheinend interessiert zu.<br />

Nach ca. 10 Minuten, ich spiele gerade Gitarre, kommt er aus der Höhle, setzt sich vor<br />

mich und hört aufmerksam zu. Dann steht er auf und setzt sich auf einen Stuhl, der ca. 2m<br />

von den Instrumenten entfernt ist und hört wieder nur aufmerksam zu. B steht auf und geht<br />

auf das Schlagzeug zu. Als er auf das Becken schlägt, fällt es herunter. Durch das sehr<br />

laute Scheppern erschrickt B, er setzt sich dann auf die Matte und nimmt zwei Schlegel<br />

vom Xylophon. Er spielt allerdings nicht auf dem Xylophon, sondern klopft mit den<br />

Schlegeln aufeinander.<br />

Folgerungen für die nächste Stunde:<br />

- wieder alle Instrumente anbieten<br />

- vorspielen und abwarten<br />

- fragen, ob er Angst vor dem Becken hat<br />

Therapiesitzung am 7.5.99<br />

Weil der Raum in der letzten Stunde besetzt ist, muß die Therapie leider ausfallen.<br />

Therapiesitzung am 19.5.99<br />

B kommt bereitwillig mit in den Therapieraum. Heute hat er seine Gummihandschuhe<br />

da<strong>bei</strong> und ist dadurch sehr abgelenkt. Er verkriecht sich sofort in die Höhle und ist mit<br />

Stereotypien beschäftigt. Auf die Musik geht er heute nicht ein. Er singt nicht mit, ignoriert<br />

mich und zeigt kein Interesse an der Musik. Einmal geht er durch den Raum und klopft<br />

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vorsichtig an das Becken. Die Frage, ob er wegen des letzten Mals Angst davor habe und<br />

ich das Becken wieder abbauen soll, verneint er.<br />

Ich spiele während der Therapiestunde auf Baß und Gitarre verschiedene Rhythmen und<br />

Melodien an und zwinge ihn nicht zum Mitmachen, sondern frage ihn immer wieder, ob er<br />

nicht mitmachen möchte. Er will nicht. Der Klang der Gitarre scheint ihm besonders zu<br />

gefallen. Wenn ich darauf spiele, unterbricht er häufig sein Spiel, schaut längere Zeit zu<br />

mir herüber und hört sich die Musik an.<br />

Folgerungen für die nächste Stunde:<br />

- auf der Gitarre weiter Musik anbieten<br />

- abwarten und Bs Reaktionen genau beobachten<br />

Therapiesitzung am 26.5.99<br />

Ich hole B aus der Klasse ab. Als er mich sieht, geht er sofort aus der Klasse und läuft in<br />

Richtung Psychomotorikraum davon. Ich komme hinterher und wir gehen gemeinsam nach<br />

oben. B zieht sich zunächst die Schuhe aus und versteckt sich in der Höhle. Dort<br />

beschäftigt er sich wieder mit seinem Gummihandschuh. Ich setze mich auf eine Matte,<br />

spiele Gitarre und Summe dazu. Da<strong>bei</strong> beobachte ich Bs Verhalten. Es dauert sehr lange,<br />

bis er aus der Höhle kommt und sich zu mir auf die Matte setzt. Als ich mich nach kurzer<br />

Zeit zu ihm drehe und in direkt ansehe, steht er auf und geht durch den Raum. Da ich diese<br />

Verhalten als Rückzug verstehe, suche ich keinen weiteren Kontakt, bleibe auf der Matte<br />

sitzen und spiele bis zum Ende der Stunde auf der Gitarre weiter<br />

Folgerungen für die nächste Stunde:<br />

- weiter vorspielen und abwarten<br />

Therapiesitzung am 2.6.99<br />

B kommt wieder sofort mit in den Therapieraum. Als er den Raum betritt, geht er sofort<br />

zum Becken und schlägt es vorsichtig mit den Hand an. Dann zieht er sich in die Höhle<br />

zurück und beschäftigt sich mit seinem Handschuh. Die Musik scheint er nicht<br />

wahrzunehmen. Ich spiele ihm hauptsächlich auf der Gitarre vor. Sein Spiel in der Höhle<br />

unterbricht er nur selten, um mir <strong>bei</strong>m Spielen zuzuhören und zuzusehen.<br />

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Nach einiger Zeit kommt er aus der Höhle, geht zum Schlagzeug und betastet das Becken.<br />

Als ich auf ihn zugehe, um ein gemeinsames Spiel auf Becken und Gitarre zu beginnen,<br />

zieht er sich wieder in die Höhle zurück. Diese verläßt er erst am Ende der Stunde. Als ich<br />

sage, daß die Stunde vor<strong>bei</strong> ist, kommt B aus der Höhle. Ich ziehe ihm die Schuhe an, die<br />

er ausgezogen hat, bevor er in die Höhle gegangen ist. Auf dem Weg zur Klasse frage ich,<br />

ob ihm das Musikmachen denn Spaß gemacht hat, erhalte aber keine Rückmeldung.<br />

Folgerungen für die nächste Stunde:<br />

- B genauer beobachten<br />

- versuchen, ihn zum Spielen anzuregen<br />

- anderes Setting ?<br />

Therapiesitzung am 9.6.99<br />

Ich habe heute die Instrumente auf einer Turnmatte die auf dem Boden liegt angeord<strong>net</strong>.<br />

Dadurch können wir uns <strong>bei</strong>de auf die Matte setzen und B hat die Möglichkeit, alle<br />

Instrumente (außer das Schlagzeugs) im Sitzen zu erreichen. Als B in den Raum kommt,<br />

geht er zum Schlagzeug und beklopft vorsichtig das Becken. Dann zieht er sich wie immer<br />

in die Höhle zurück und beschäftigt sich mit seinem Gummihandschuh.<br />

Ich setze mich auf die Matte und fange an, auf der Gitarre zu spielen. Nach einiger Zeit<br />

schaut er aus der Höhle und unterbricht seine Beschäftigung mit dem Handschuh. Er<br />

schaut mich an und scheint konzentriert zuzuhören. Dann kommt er aus der Höhle und<br />

setzt sich zu mir. Er hört zu, greift aber nicht aktiv in die Musik ein. Nach einiger Zeit steht<br />

er auf und geht zum Schlagzeug. Er betastet wieder vorsichtig das Becken. Dann geht er<br />

zurück in die Höhle und kommt bis zum Ende der Stunde nicht mehr heraus. Er schaut<br />

aber immer wieder heraus und sieht zu mir.<br />

Folgerungen für die nächste Stunde:<br />

- Instrumente wieder auf der Matte anordnen<br />

- Weiter vorspielen und genau beobachten<br />

Therapiesitzung am 18.6.99<br />

In der Woche vom 14. Bis zum 19.6. findet an der Ellerbecker Schule die Projektwoche<br />

statt. Die Therapie mußte daher ausfallen.<br />

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Therapiesitzung am 23.6.99<br />

B wird heute von einer Frau vom Verein „Hilfe für das autistische Kind“ besucht. Die<br />

Therapie fällt leider wieder aus.<br />

Therapiesitzung am 30.6.99<br />

In Bs Klasse hat heute ein Kind Geburtstag. Es soll Kuchen geben. Als ich B frage, ob er<br />

Kuchen essen oder lieber Musik machen möchte, nimmt er meine Hand und geht aus der<br />

Klasse. Wir nehmen Bs Tasche und gehen nach oben in den Therapieraum. Als er seine<br />

Tasche vor dem Raum auf einen Tisch stellt, frage ich B, ob er seinen Handschuh in die<br />

Schultasche legen kann. B dreht sich weg und geht in den Therapieraum.<br />

Ich habe die Instrumente heute wieder auf der Turnmatte auf den Boden gelegt. B geht<br />

wieder zuerst zum Becken und schlägt es vorsichtig mit der Hand an. Als ich mich mit der<br />

Gitarre auf die Turnmatte setze, setzt sich B zu mir und hört mir konzentriert <strong>bei</strong>m<br />

Gitarrespielen zu. Er nimmt allerdings kein Instrument in die Hand – er scheint sie zu<br />

ignorieren - unterbricht teilweise seine Stereotypien mit dem Handschuh und juchzt. Ich<br />

greife darauf sein Juchzen auf und integriere es in die Musik. B reagiert darauf nicht.<br />

B hört lange und konzentriert zu. Dann steht er auf und beschäftigt sich mit dem<br />

Waschbecken. Als ich ihm folge, hört er auf und setzt sich vor einen Schrank. Ich setze<br />

mich dazu und spiele sehr ruhige Musik. Da<strong>bei</strong> schaut B mir tief in die Augen. Nach<br />

kurzer Zeit steht B auf und geht aus dem Raum auf den Flur. Da die Stunde sowieso gerade<br />

vor<strong>bei</strong> ist, höre ich auf und gehe zu B auf den Flur.<br />

Da ich Angst habe, ihm zu nahe gekommen zu sein, frage ich, ob ihm das Musikmachen<br />

heute Spaß gemacht hat oder ob wir mit dem Musikmachen aufhören sollen und ich<br />

nächste Woche nicht wiederkommen soll. Darauf erwidert K: „Nicht aufhören .“ Ihm<br />

scheinen die Therapiestunden also zu gefallen.<br />

Folgerungen für die nächste Stunde:<br />

- Vorsicht mit Nähe<br />

- weiter vorspielen und genau beobachten<br />

- ggf. Juchzen wieder aufgreifen<br />

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Therapiesitzung am 7.7.99<br />

Da der Therapieraum renoviert wird, müssen wir heute wieder auf die Aula ausweichen. B<br />

will zunächst nicht mit in die Aula. Ich gehe also zuerst mit ihm in den Therapieraum, um<br />

ihm zu zeigen, daß dort renoviert wird. B ist von der Raumsituation sehr verwirrt und<br />

öff<strong>net</strong> alle Schränke. Nach kurzer Zeit verlassen wir den Raum und gehen in die Aula. B<br />

geht sofort in das Stuhllager und holt sich dort einen Metalldeckel, den er dann zum<br />

Kreiseln bringt. Diese Tätigkeit fasziniert ihn so sehr, daß er die Musik nicht<br />

wahrzunehmen scheint. Ich versuche das Kreiseln des Deckels mit dem Baß<br />

nachzuspielen. Auch das Laufen durch den Raum begleite ich musikalisch.<br />

Nach einiger Zeit geht B auf das Schlagzeug zu und betastet das Becken. Ich folge ihm und<br />

versuche, ihn zum Spielen zu animieren, indem ich ihm einen Stick in die Hand gebe und<br />

selber mit dem anderen Stick zu spielen anfange. Er steigt kurze Zeit mit ein. Dann geht er<br />

zum Baß und zupft kurz die Saiten an. Darauf setzt sich B ans Klavier und spielt kurz<br />

darauf. Ich begleite ihn auf der Handtrommel. Die anderen Instrumente faßt er nicht an.<br />

Nachdem er die Instrumente (heute zum ersten Mal) ausprobiert hat, zieht er ich in einen<br />

Nebenraum zurück und ignoriert die Musik. Er kommt aber immer wieder zurück, geht<br />

durch den Raum und kreiselt mit dem Metalldeckel.<br />

Folgerungen für die nächste Stunde:<br />

- Bewegungen von B musikalisch begleiten<br />

- Wenn er wieder Kontakt zu den Instrumenten sucht,<br />

versuchen, mit ihm gemeinsam zu musizieren<br />

Therapie am 13.7.99<br />

B kommt heute sehr schnell mit nach oben. Als wir in die Aula gehen, holt er sich wieder<br />

den Metalldeckel aus dem Stuhllager. Er läuft durch den Raum und wirft mit dem Deckel.<br />

B zieht sich immer wieder in Nebenräume zurück. Um nicht immer wider mit dem<br />

Musikmachen aufhören zu müssen, schlage ich vor, daß B von sich aus dem Raum gehen<br />

soll, wenn er keine Lust mehr hat. Ansonsten verbiete ich ihm, in die Nebenräume zu<br />

gehen. Nach einiger Zeit geht B zu den Instrumenten und betastet sie. Er probiert alle<br />

Instrumente kurz aus. Der Baßverstärker ist leider nicht eingeschaltet, so daß er sofort<br />

weiter zum Klavier geht. Auf dem Klavier spielt B etwas länger, hört aber auf zu spielen,<br />

als ich mich zu ihm setze und mit ihm zusammen spielen will und rennt weg.<br />

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Ich setze mich auf einen Stuhl und spiele auf der Gitarre. B läuft durch den Raum und<br />

fängt von Zeit zu Zeit an sehr laut und schrill zu juchzen. Ich greife das Juchzen auf und<br />

spiele dazu auf der Gitarre. B juchzt daraufhin immer mehr und kommt schließlich zu mir.<br />

Er steht lange vor mir und wir singen zusammen. Das Singen scheint ihn sehr aufzuregen,<br />

denn er springt da<strong>bei</strong> auf und ab. Nachdem wir so einige Zeit zusammen musiziert haben,<br />

geht er plötzlich zu einer Bank, die an der Wand steht und zieht sich alleine die Schuhe an.<br />

Dann verläßt er den Raum.<br />

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