24.10.2012 Aufrufe

Berliner Zeit-Schleife - misstype

Berliner Zeit-Schleife - misstype

Berliner Zeit-Schleife - misstype

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Nach dem Studium fängt Stelly im<br />

Unternehmen seines Vaters an. „Aus Bequemlichkeit.“<br />

Doch sein künstlerisches<br />

Talent kommt zur Geltung. Stelly wird<br />

1973 Chefdesigner – was ihn erfüllt – und<br />

Alleingesellschafter der Firma Edsor Kronen<br />

– was ihn belastet.<br />

Pro Saison entwirft Stelly 1600 Stoffe,<br />

aus denen in einer Fabrik im italienischen<br />

Como feinste Seide für Krawatten, Schals,<br />

Einstecktücher, <strong>Schleife</strong>n, Plastrons, Westen<br />

und Kummerbunde gewebt werden.<br />

Macht pro Jahr 3200 Stoffe, während seiner<br />

40-jährigen Karriere hat Günther<br />

Stelly über 100 000 entworfen. Edsor-<br />

Kronen-Krawatten zieren die Vorderansicht<br />

von Konrad Adenauer und Helmut<br />

Kohl, Ludwig Erhard und Horst Seehofer.<br />

In Deutschland ist Edsor Spitzenklasse, international<br />

misst man sich mit Marinella<br />

aus Neapel und Drakes in London.<br />

Stellys Design ist prägnant. Seine Passion:<br />

die Paisley-Variationen, die jedes<br />

Jahr rund ein Viertel seiner Kollektion<br />

Schmuckstücke: Pferdeköpfe als Krawattenhalter im Showroom (l.). Mustermind Stelly hat<br />

alle seine Edsor-Kronen-Muster seit den 70ern in dicken Kladden abgelegt (u. r.)<br />

Guide: Edsor Kronen<br />

138 c 03/2011<br />

ausmachen. Er sammelt Paisley-Schals,<br />

alte Originale aus dem gleichnamigen<br />

Dorf in Schottland. 20 Stück besitzt er,<br />

jedes rund 250 Jahre alt und sagenhaft<br />

wertvoll. Drei davon hängen hinter Glas<br />

im Besprechungszimmer der Firma.<br />

Stelly erzählt, wie ihn diese Schals<br />

immer wieder inspirieren. Er spricht über<br />

die Trendfarbe Lila („Überzeugt mich<br />

nicht mehr!“) und den fehlenden Mut<br />

der Einkäufer großer Modehäuser („Die<br />

kaufen immer nur Blau und mit Streifen.“).<br />

Er lobt den skandinavischen Markt<br />

(„sehr avantgardistisch“) und schimpft<br />

über den deutschen Norden („konservativ<br />

ohne Ende“).<br />

Wenn aber das Thema auf Stellys <strong>Zeit</strong><br />

als Geschäftsführer bei Edsor Kronen<br />

kommt, versiegt der Redefluss. Was er<br />

sagt, klingt entwaffnend ehrlich: Neben<br />

seiner kreativen Tätigkeit auch für die<br />

Organisation der Firma zuständig sein<br />

zu müssen – „dramatisch“. Mahnungen<br />

schreiben, Rechnungen kontrollieren –<br />

„furchtbar“. Um es deutlich zu sagen: „Ich<br />

bin kein Mensch, der Geld sparen kann,<br />

ich bin ein Mensch, der Geld ausgibt.“<br />

Scheper-Stuke: „Wir sind jetzt erst dabei,<br />

ein Warenwirtschaftssystem zu installieren.“<br />

Stelly: „Das ist mein Versäumnis.“<br />

Scheper-Stuke: „Ja, Herr Stelly sträubt<br />

sich etwas gegen Technik. Wir haben ihn gut<br />

ausgestattet mit iPhone, iPad und Mac, aber<br />

das alles wird sehr stiefmütterlich behandelt.<br />

Bis heute verwalte ich seine E-Mails.“<br />

100 000 Krawatten hat Stelly in<br />

seinem Leben entworfen<br />

„Die Firma hätte so, wie sie war, nicht weiterexistieren<br />

können“, urteilt Scheper-<br />

Stuke. „Ich bin hier nicht mit 27 Jahren<br />

Geschäftsführer geworden, weil ich nach<br />

dem Studium nichts anderes zu tun hatte.“<br />

Zur Jahrtausendwende machte ein<br />

Herrenausstatter nach dem anderen<br />

dicht, und in den großen Häusern wie<br />

Peek & Cloppenburg, Anson’s oder Hirmer<br />

hängen Edsor-Krawatten irgendwo<br />

zwischen all den anderen von Ascot und<br />

Laco. Sollte Stelly also den Betrieb verkaufen?<br />

Kinder hat er nicht.<br />

Stelly: „Da kam so ein Landei vom Internat<br />

in die Großstadt. Das musste man ein bisschen<br />

unter die Fittiche nehmen. In Berlin<br />

herrscht ja ein etwas raues Klima. – Aber<br />

schreiben Sie nicht Landei!“<br />

Scheper-Stuke: „Doch, schreiben Sie das<br />

ruhig. Ich stehe zu meiner Herkunft.“<br />

Stelly: „Ach Jan, du bist kein Landei.“<br />

Als Jan-Henrik Maria Scheper-Stuke<br />

aus Lohne bei Oldenburg Ende 2005 für<br />

ein Jurastudium nach Berlin geht, bittet<br />

seine Mutter einen Freund der Familie,<br />

ein bisschen auf den Buben aufzupassen.<br />

So treffen sich Scheper-Stuke und Stelly<br />

erst ab und an, später öfter. Es entsteht<br />

eine tiefe Freundschaft und ein erfolgreiches<br />

Arbeitsverhältnis zwischen zwei<br />

sehr unterschiedlichen Männern, dem<br />

ruhigen, fast melancholisch wirkenden<br />

Stelly und dem aufgeweckten, etwas manischen<br />

Scheper-Stuke. 2009 wird Scheper-Stuke<br />

Juniorchef des Unternehmens,<br />

ein Jahr später, am 1. Januar 2010, tritt<br />

Stelly die Geschäftsführung an seinen<br />

Schützling ab.<br />

Der Absatz steigt auf über 500 000<br />

Krawatten. „Der Einstieg von Scheper-<br />

Stuke ist das Beste, was Edsor passieren<br />

konnte“, sagt Herbert Stricker, Berater<br />

für Maßkleidung und Fachmann für Herrenmode.<br />

„Man spürt einen angenehm<br />

frischen Wind, auch wenn Edsor dem<br />

Produkt treu bleibt.“<br />

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!