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Mica - Obsession

Ich habe noch nie er­lebt, wie man empfindet, wenn ein für verschollen Gehaltener plötzlich wieder auftaucht, aber viel intensiver kann es auch nicht sein, wie das, was ich emp­fand, als ich Joscha in der Uni begegnete. Er war auch zu Hause geblieben. Nein, gut gehe es ihm nicht. Er habe sehr unter unserer Trennung zu leiden, erklärte Joscha. Wir sprachen nicht viel, wollten uns nur intensivste Liebkosun­gen und Zärtlichkeiten zukommen lassen, wie sie möglich sind, wenn man sich im Foyer gegenüber steht. In der anschließenden Vorlesung konnte ich mich nicht konzentrieren. Ein Euphemismus. Ich konnte die Stimme der Professorin nicht ertragen, die meine Ohren quälte. Am liebsten wäre ich nach unten ge­rannt, hätte ihr das Mikro abgeschaltet und sie verdroschen. Kein Wort ver­stand ich, hörte nur das schnarrende Geräusch der Dozierenden, das mir enorm auf die Nerven ging. Jedes Wort von jedem hätte ich jetzt als Belästi­gung empfunden. Es hatte keinen Sinn, ich musste da raus und fuhr nach Hau­se. Warf mich aufs Bett, trommelte auf die unschuldigen Kissen und schrie ein­fach. Meine Mutter, die reinkam, herrschte ich an: „Lass mich in Ruh.“ Das hat­te sie von mir noch nie gehört. Mein Liebster muss leiden. Eine unerträgliche Vorstellung. Als ob mir jemand ätzende Flüssigkeit in offene Wunden gösse, so schmerzte es. Ich litt, schrie und weinte für Joschas Qualen. Woran ich sonst noch dachte, und was mir durch den Kopf lief, weiß ich nicht mehr genau, ein Tobsuchtsanfall meiner Seele, als ob sich alles in mir verkrampfte. Irgendwann muss ich wohl vor Erschöpfung eingeschlafen sein. Als ich am Nachmittag wach wurde, kam ich mir geläutert vor, wie erwacht aus einem Koma ähnlichen Nie­mandsland. Jetzt konnte ich auch wieder mit Mutter sprechen. Wir waren beide ratlos. Als ich Joscha einige Tage später wieder traf, lief es fast identisch ab. Ich versuchte mich immer in der Gewalt zu behalten, redete mir etwas ein, aber es blieb ohne Konsequenzen. „Mica, das geht doch nicht. Wir werden dich irgendwann in der Psychiatrie besuchen müssen.“ bewertete meine Mutter ängstlich mein Verhalten. Nein, zum Psychotherapeuten wollte ich trotzdem nicht. „Ich kann es nur nicht ertragen, Joscha zu treffen. Sonst ist doch alles o. k.. Wir müssen uns nur aus dem Wege gehen, dürfen uns nicht sehen.

Ich habe noch nie er­lebt, wie man empfindet, wenn ein für verschollen Gehaltener plötzlich wieder auftaucht, aber viel intensiver kann es auch nicht sein, wie das, was ich emp­fand, als ich Joscha in der Uni begegnete. Er war auch zu Hause geblieben. Nein, gut gehe es ihm nicht. Er habe sehr unter unserer Trennung zu leiden, erklärte Joscha. Wir sprachen nicht viel, wollten uns nur intensivste Liebkosun­gen und Zärtlichkeiten zukommen lassen, wie sie möglich sind, wenn man sich im Foyer gegenüber steht. In der anschließenden Vorlesung konnte ich mich nicht konzentrieren. Ein Euphemismus. Ich konnte die Stimme der Professorin nicht ertragen, die meine Ohren quälte. Am liebsten wäre ich nach unten ge­rannt, hätte ihr das Mikro abgeschaltet und sie verdroschen. Kein Wort ver­stand ich, hörte nur das schnarrende Geräusch der Dozierenden, das mir enorm auf die Nerven ging. Jedes Wort von jedem hätte ich jetzt als Belästi­gung empfunden. Es hatte keinen Sinn, ich musste da raus und fuhr nach Hau­se. Warf mich aufs Bett, trommelte auf die unschuldigen Kissen und schrie ein­fach. Meine Mutter, die reinkam, herrschte ich an: „Lass mich in Ruh.“ Das hat­te sie von mir noch nie gehört. Mein Liebster muss leiden. Eine unerträgliche Vorstellung. Als ob mir jemand ätzende Flüssigkeit in offene Wunden gösse, so schmerzte es. Ich litt, schrie und weinte für Joschas Qualen. Woran ich sonst noch dachte, und was mir durch den Kopf lief, weiß ich nicht mehr genau, ein Tobsuchtsanfall meiner Seele, als ob sich alles in mir verkrampfte. Irgendwann muss ich wohl vor Erschöpfung eingeschlafen sein. Als ich am Nachmittag wach wurde, kam ich mir geläutert vor, wie erwacht aus einem Koma ähnlichen Nie­mandsland. Jetzt konnte ich auch wieder mit Mutter sprechen. Wir waren beide ratlos. Als ich Joscha einige Tage später wieder traf, lief es fast identisch ab. Ich versuchte mich immer in der Gewalt zu behalten, redete mir etwas ein, aber es blieb ohne Konsequenzen. „Mica, das geht doch nicht. Wir werden dich irgendwann in der Psychiatrie besuchen müssen.“ bewertete meine Mutter ängstlich mein Verhalten. Nein, zum Psychotherapeuten wollte ich trotzdem nicht. „Ich kann es nur nicht ertragen, Joscha zu treffen. Sonst ist doch alles o. k.. Wir müssen uns nur aus dem Wege gehen, dürfen uns nicht sehen.

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anderen Lösungsmöglichkeiten. „Ich kann nicht mehr so leben wie bisher. Ich<br />

bin durch uns ein anderer geworden. Unsere Zeit wie eine nette Episode<br />

abhaken, lächerlich. Der Teufel von Salamanca scheint mich wirklich verhext zu<br />

haben.“ meinte Joscha. Er sollte es erläutern. In groben Zügen wusste ich ja,<br />

dass er sich mit seiner Freundin gestritten hatte und deshalb zurückgekommen<br />

war. „Ich liebe Carilla (so hieß die Freundin) immer noch. Was sollte meine<br />

Liebe zerstören. Wir haben uns nie gesagt, dass wir uns nicht mehr lieben<br />

würden. Es waren nur diese dämlichen, unterschiedlichen, moralischen<br />

Ansichten, bei denen es keine Klärung gab, die aber immer wieder Thema<br />

waren. Ich sah mich ausweglos genervt und konnte keine Änderung erkennen.<br />

Hab's einfach nicht mehr ertragen, bin geflüchtet, obwohl wir uns liebten.“<br />

erläuterte Joscha. „Und jetzt hast du in mir Ersatz für Carilla gefunden?“<br />

erkundigte ich mich allerdings nicht ganz ernst. „Nein, Quatsch, überhaupt<br />

nicht, das warst du niemals. Sonst hätten wir diese Beziehung nicht haben<br />

können. Ich habe Carilla nicht nur geliebt, sie scheint das Prinzip, was Liebe zu<br />

einer Frau ist, in mir festgelegt zu haben. Durch Carilla habe ich Liebe<br />

kennengelernt, und jetzt taucht unser Verhältnis immer auf, wenn es um<br />

Beziehungen zu einer Frau geht, meine Freundin könnte nur Carilla Nummer<br />

zwei sein. Bei dir habe ich überhaupt nicht an Freundin oder Frau gedacht, wir<br />

haben in uns vorrangig etwas anderes gesehen. Ich hätte mit dir nie so reden<br />

können, wie mit Carilla. Etwas beurteilen, und den anderen von der Richtigkeit<br />

seiner Meinung im Streit zu überzeugen versuchen, das wäre zwischen uns<br />

undenkbar.“ meinte Joscha. „In der Tat, automatisch ging so etwas nicht. Das<br />

ist mir schon damals sofort in der Uni aufgefallen. Meine Mutter sagte, wenn<br />

eine Frau mit ihrem Kind schimpfte: „Das Kind wird schon seine berechtigten<br />

Gründe haben, nur die Mutter kennt sie nicht, versteht sie nicht und versucht<br />

auch gar nicht sie zu erfahren und zu verstehen.“ So ist es fast permanent,<br />

unsere Meinung besteht zum größten Teil aus Urteilen, die unhinterfragt<br />

festgelegt wurden, aus Vorurteilen. Wir haben uns fast vom ersten Moment an<br />

akzeptiert und anerkannt, und dann kannst du nicht mehr urteilen, dann willst<br />

du nur noch verstehen.“ lautete meine Meinung dazu. „Zur Liebe passt so<br />

etwas doch eigentlich auch nicht. Vielleicht hatte unsere Liebe doch<br />

strukturelle Mängel, Liebe, wie man sich Liebe so gemeinhin vorstellt, was man<br />

von Liebe so weiß. So wie dich habe ich Carilla nie gesehen, zu klein zu dumm,<br />

zu unerfahren, aber ich glaube eher, es liegt daran, dass so etwas nur mit <strong>Mica</strong><br />

möglich ist.“ Joscha dazu. Was unsere Einschätzung konkret zu bedeuten<br />

haben würde, welche realen Konsequenzen sich daraus ergäben, das mochten<br />

wir gar nicht besprechen. Es herrschte eine Atmosphäre, als ob alles immer so<br />

bleiben würde. „Joscha, wir haben uns getroffen, weil wir eine Klärung<br />

herbeiführen wollten. Ich denke, vieles haben wir schon geklärt, nur wir<br />

werden auch eine Entscheidung treffen müssen.“ forderte ich. „Was willst du<br />

sagen? Wir müssen uns entscheiden, ob wir demnächst in den Picos in Asturien<br />

Ziegenkäse produzieren wollen, oder so leben, wie wir es getan haben, bevor<br />

wir uns kannten? Das glaubst du doch wohl selbst nicht.“ Joscha leicht<br />

entsetzt. „Joscha, wir haben lange nach einer Alternative gesucht. Uns ist<br />

nichts eingefallen, mir nicht und dir auch nicht. Nenne einen anderen Weg,<br />

durch nichts würdest du mich glücklicher machen.“ beurteilte ich die Lage.<br />

Wieder durchleuchteten wir alle Möglichkeiten, obwohl wir es doch schon<br />

<strong>Mica</strong> – <strong>Obsession</strong> – Seite 19 von 37

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