Interdisziplinäre Kooperation im Gesundheitswesen
Interdisziplinäre Kooperation im Gesundheitswesen
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Hannelore Kötter<br />
Matrikel-Nr. 101289<br />
<strong>Interdisziplinäre</strong> <strong>Kooperation</strong> <strong>im</strong> <strong>Gesundheitswesen</strong><br />
Hausarbeit<br />
Sommersemester 2004<br />
FB: Heilpädagogik/Pflege<br />
Seminar: 5.182 <strong>Kooperation</strong> <strong>im</strong> <strong>Gesundheitswesen</strong><br />
Dozent: Prof. Dr. Wilfried Kunstmann<br />
Abgabe: 21.06.2004
Inhaltsverzeichnis Seite<br />
1 Einleitung 3<br />
2 Koordination, <strong>Kooperation</strong> und Vernetzung 4<br />
3 Formen der berufsübergreifenden Zusammenarbeit 5<br />
3.1 Zusammenarbeit innerhalb des Krankenhauses 5<br />
3.2 Zusammenarbeit in der ambulanten Versorgung 7<br />
3.3 Zusammenarbeit ambulant - stationär 7<br />
4 Koordinationsstellen 9<br />
5 Integrierte Versorgung 10<br />
6 Diskussion 12<br />
6.1 Ausblick – Perspektiven für die Pflege 13<br />
Literatur 14<br />
Anhang<br />
2
1 Einleitung<br />
Die demographische Verschiebung in der Altersstruktur und der damit verbunde-<br />
ne Anstieg chronisch erkrankter Menschen, Mult<strong>im</strong>orbidität und Pflegebedürftig-<br />
keit waren Anlass für einen Wertewandel <strong>im</strong> Verständnis von Gesundheit, Krank-<br />
heit und Heilung. Das vormals linear-kausale Krankheitsverstehen wurde durch<br />
eine ganzheitliche Sichtweise abgelöst. Dies geschah auf Grund der Erkenntnis,<br />
dass eine effektive Gesundheitsversorgung von der Prävention bis zur Rehabili-<br />
tation reicht. Des weiteren ließ die Kostenentwicklung, bedingt durch den Ein-<br />
nahmenrückgang <strong>im</strong> <strong>Gesundheitswesen</strong>s, Kriterien wie Effizienz und Wirtschaft-<br />
lichkeit <strong>im</strong> Zuge der Auseinandersetzung mit Qualitätsmanagement in den Mittel-<br />
punkt rücken.<br />
Um eine effektive Gesundheitsversorgung zu ermöglichen, ist es erforderlich, be-<br />
rufsübergreifend zusammenzuarbeiten. Auf Grund dessen hat der Begriff der Ko-<br />
operation in der gesundheitspolitischen Diskussion in den letzten Jahren an Po-<br />
pularität gewonnen. Gemeint ist in der Regel die Zusammenarbeit einzelner oder<br />
mehrerer an der Gesundheitsversorgung beteiligter Berufsgruppen, wobei For-<br />
men und Ebenen dieser Zusammenarbeit vielschichtig sind. Der stetige Anstieg<br />
von Dienstleistungsangeboten <strong>im</strong> <strong>Gesundheitswesen</strong> einhergehend mit der Be-<br />
deutungsvielfalt der Begriffe Koordination, <strong>Kooperation</strong> und Vernetzung lassen<br />
einen Überblick der Versorgungslandschaft unmöglich erscheinen. Da sich das<br />
Feld interdisziplinärer <strong>Kooperation</strong>en unter Einfluss des Gesundheits-<br />
Modernisierungs-Gesetzes seit Beginn des Jahres in hohem Tempo verändert,<br />
kann diese Hausarbeit lediglich eine Momentaufnahme derzeitiger Entwicklungen<br />
bieten.<br />
Im Anschluss an den Versuch, eine Abgrenzung o. g. Begriffe vorzunehmen, folgt<br />
die Darstellung verschiedener D<strong>im</strong>ensionen von interdisziplinärer Zusammenar-<br />
beit innerhalb des Krankenhauses, <strong>im</strong> ambulanten Bereich und zwischen ambu-<br />
lanter und stationärer Versorgung anhand von Beispielen. Unter Berücksichti-<br />
gung des GKV-Modernisierungsgesetzes werden <strong>im</strong> Fazit Erfordernisse für die<br />
Berufsgruppe der Pflegenden hergeleitet.<br />
3
2 Koordination, <strong>Kooperation</strong> und Vernetzung<br />
Koordination stammt aus dem Lateinischen und wird mit Zusammenordnung,<br />
Abst<strong>im</strong>mung übersetzt. Im Bereich sozialer Beziehungen meint Koordination alle<br />
Aktivitäten durch Kommunikation aufeinander abzust<strong>im</strong>men, die auf gleiche oder<br />
ähnliche Ziele angelegt sind (vgl. Hillmann, 1994). Döhner et. al. (1996) definieren<br />
Koordination als wechselseitige Abst<strong>im</strong>mung und evt. Neuordnung verschiedener<br />
Bestandteile eines Hilfesystems.<br />
Nach Ansicht der Bundesärztekammer bedeutet <strong>Kooperation</strong>, das eigene Ar-<br />
beitsverhalten mit dem Arbeitsverhalten und den Arbeitsabläufen anderer unter<br />
einem gemeinsamen Ziel abzust<strong>im</strong>men (2003). Santen/Seckinger sehen Koope-<br />
ration als "...ein Verfahren (...) bei dem <strong>im</strong> Hinblick auf geteilte oder sich über-<br />
schneidende Zielsetzungen durch Abst<strong>im</strong>mung der Beteiligten eine Opt<strong>im</strong>ierung<br />
von Handlungsabläufen oder eine Erhöhung der Handlungsfähigkeit bzw. Prob-<br />
lemlösungskompetenz angestrebt wird" (2003, S.29). Hier steht also die geregelte<br />
Zusammenarbeit <strong>im</strong> Vordergrund.<br />
Vernetzung ist eine über die <strong>Kooperation</strong> und Koordination hinausgehende Form<br />
der Zusammenarbeit (Döhner et al), gemeint ist das Ineinandergreifen verschie-<br />
dener Arbeitsformen auf Basis einer Struktur, "... der die Förderung von koopera-<br />
tiven Arrangements dienlich ist" (Santen/Seckinger, 2003, S. 29) und die eine<br />
Reduzierung der Trägerautonomie nach sich zieht.<br />
Folglich entsteht interdisziplinäre <strong>Kooperation</strong> <strong>im</strong> <strong>Gesundheitswesen</strong> dadurch,<br />
dass mindestens zwei Beteiligte unterschiedlicher Berufsgruppen als funktionelle<br />
Einheit ihre Aktivitäten unter Berücksichtigung gemeinsam umschriebener Ziele<br />
aufeinander abst<strong>im</strong>men (van Maanen, 1998, S.67).<br />
4
3 Formen der berufsgruppenübergreifenden Zusammenarbeit<br />
Die Abgrenzungsmöglichkeiten verschiedener Formen der Zusammenarbeit sind<br />
ebenso vielfältig wie die genannten Begriffsbest<strong>im</strong>mungen.<br />
Müller (2001) differenziert verschiedene Modelle in bezug auf die Verteilung der<br />
Verantwortlichkeiten, den Abst<strong>im</strong>mungsmodus sowie die Art und Häufigkeit der<br />
Kontaktaufnahme. Die Bundesärztekammer (2003) unterscheidet darüber hinaus<br />
nach dem Merkmal der Gewichtung der beteiligten Berufsgruppen in additive und<br />
integrative <strong>Kooperation</strong>smodelle. Hinzufügende <strong>Kooperation</strong>sformen sind ge-<br />
kennzeichnet durch die Koordination diagnostischer, therapeutischer und pflege-<br />
rischer Maßnahmen, wobei die zu erbringenden Leistungen in der Regel durch<br />
eine übergeordnete Disziplin, z. B. den behandelnden Arzt, festgelegt werden. Im<br />
Vergleich dazu setzt das eingliedernde Modell eine Gleichwertigkeit aller Koope-<br />
rationspartner, einschließlich des Patienten, voraus.<br />
3.1 Zusammenarbeit innerhalb des Krankenhauses<br />
Noch <strong>im</strong>mer sind viele Krankenhausorganisationen nach dem 3-Säulensystem<br />
Verwaltung, Medizin und Pflege funktional gegliedert und durch eine stark hierar-<br />
chische Organisation gekennzeichnet. Im Rahmen einer Projektreihe zur Reorga-<br />
nisation des Klinikums Frankfurt wurde 1992 ein Forschungsvorhaben durchge-<br />
führt, mit dem Ziel, " ... durch die Integration von pflegerischen und ärztlichen Mit-<br />
arbeitern in kooperativ arbeitenden Stationsteams neue organisatorische Formen<br />
der Zusammenarbeit dieser Berufsgruppen <strong>im</strong> Krankenhaus zu entwickeln, ... "<br />
(vgl. Henning et al., 1998, S. 40). Die Ergebnisse besagen, dass das Festmachen<br />
gemeinsamer Ziele wie Kostenbewusstsein und Qualität die <strong>Kooperation</strong>smotiva-<br />
tion zwischen ärztlichen und pflegerischen Berufsgruppen fördert. Zum Hand-<br />
lungsfeld der Kommunikations- und <strong>Kooperation</strong>sstrukturen ergeben sich u. a.<br />
folgende Empfehlungen: Berücksichtigung individueller Ziele, Organisation und<br />
Förderung offener Interaktionspolitik, gemeinsame Qualifizierung der Berufsgrup-<br />
pen, Förderung einer Berufsgruppenannäherung über gemeinsame Themen und<br />
das Einsetzen beteiligungsorientierter Interventionsstrategien.<br />
Das Modellprojekt Interprofessionelle Kommunikation und <strong>Kooperation</strong> <strong>im</strong> Kran-<br />
kenhaus (InterKiK, 2002) verfolgte innerhalb einer Laufzeit von drei Jahren das<br />
Ziel, Maßnahmen zur Verbesserung der <strong>Kooperation</strong> <strong>im</strong> Krankenhaus zu entwi-<br />
5
ckeln, zu erproben und zu evaluieren, um <strong>im</strong> Anschluss ein Handbuch "Kommu-<br />
nikation <strong>im</strong> Krankenhaus" zu erstellen. Im Rahmen detailliierter Ist-Analysen der<br />
stationsspezifischen Gegebenheit und einer diesbezüglichen Einschätzung wurde<br />
deutlich, dass die <strong>Kooperation</strong> zwischen Ärzten und Pflegenden stark opt<strong>im</strong>ie-<br />
rungswürdig ist. Besonderer Bedarf besteht <strong>im</strong> Hinblick auf die Auflösung persön-<br />
licher Konflikte in der Gruppe der Pflegenden, einer gemeinsamen Abst<strong>im</strong>mung<br />
der Arbeitsziele und –inhalte, einer Neuordnung der kooperativen Beziehung und<br />
die Verbesserung des Informationsflusses auf den Stationen. Jedoch ist dies oh-<br />
ne Beteiligung der Führungskräfte, insbesondere Chefärzte und Pflegedienstlei-<br />
tungen, nachhaltig nicht zu erreichen ist. Das nachfolgend entwickelte Interventi-<br />
onskonzept beinhaltet die Bildung von Qualitätsgruppen zur Lösung stationsspe-<br />
zifischer Defizite sowie Kommunikationstraining zur Reduktion von Reibungsver-<br />
lusten <strong>im</strong> Team. Die daraus resultierende Verbesserung der kommunikativen<br />
Bedingungen und Kompetenzen von Ärzten und Pflegepersonal bewirkt eine hö-<br />
here Ergebnisqualität der Versorgung, größere Patientenzufriedenheit und höhere<br />
Berufszufriedenheit der Mitarbeiter.<br />
Eine Möglichkeit der interdisziplinären <strong>Kooperation</strong> <strong>im</strong> Krankenhaus ist die Ent-<br />
wicklung von Behandlungspfaden. Diese sind indikationsbezogen und basieren<br />
zunächst auf einer Ablaufbeschreibung einzelner Tätigkeiten unter Einbeziehung<br />
der beteiligten Berufsgruppen. Ziel ist es, sich bei einem best<strong>im</strong>mten, häufig auf-<br />
tretenden Krankheitsbild auf ein standardisiertes Vorgehen zu verständigen, so-<br />
wie neue kooperative Arbeitsabläufe und Organisationsformen zu konzipieren<br />
(Vössing, 2004). Des weiteren bieten die Versorgungspfade durch Abbildung<br />
konkreter Ablaufschritte eine Möglichkeit der Kostenkalkulation. Seit Einführung<br />
des neuen Vergütungssystems nach Fallpauschalen werden die Patienten je<br />
nach Indikation, Schweregrad und Kostenintensität der Behandlung best<strong>im</strong>mten<br />
Fallgruppen zugewiesen. Für die einzelnen Fallgruppen werden den Kranken-<br />
häusern <strong>im</strong> vorhinein vereinbarte Pauschalpreise gezahlt, unabhängig von den<br />
real entstandenen Kosten (Kassenärztliche Bundesvereinigung).<br />
6
3.2 Zusammenarbeit in der ambulanten Versorgung<br />
Das Netzwerk für ambulante Pflege in Berlin versucht Lücken der Versorgung<br />
von Menschen, die auf professionellen Rat und Hilfe angewiesen sind, durch<br />
Vernetzung auch über die Pflege hinaus, zu schließen. Die <strong>Kooperation</strong>spartner<br />
decken die Bereiche Physiotherapie, Pflegehilfsmittel, Krankentransport, Mittags-<br />
tisch, Optik, Hörgeräteakustik, Fußpflege, Bestattungen u. a. ab. Friseur, Hand-<br />
werker, Wohnraumanpassung werden auf Wunsch vermittelt. Eine gemeinsame<br />
schriftliche Vereinbarung zwischen den <strong>Kooperation</strong>spartnern definiert das Ziel,<br />
einen Serviceverbund zu schaffen, der gemeinsamen Klienten durch gegenseiti-<br />
ge Unterstützung eine opt<strong>im</strong>ale Versorgung ermöglicht. Regelmäßige Treffen der<br />
<strong>Kooperation</strong>spartner und Fallgespräche finden jedoch nicht statt, nur in Konfliktsi-<br />
tuationen erfolgt ein telefonischer Austausch. Die Zusammenarbeit der genann-<br />
ten Partner beinhaltet in erster Linie die gegenseitige Vermittlung der Klienten.<br />
Die versorgten Patienten werden automatisch und kostenneutral Mitglieder in ei-<br />
nem gemeinnützigen Verein, der sie <strong>im</strong> Hinblick auf Patientenrechte berät und<br />
bei Erhebung und Durchsetzung ihrer Ansprüche gegenüber Kassen und Behör-<br />
den begleitet sowie <strong>im</strong> Bedarfsfall einen Rechtsbeistand stellt (www.netzwerk-für-<br />
ambulante-pflege.de).<br />
Auch die Institution der Caritas-Sozialstation <strong>im</strong> Erzbistum Paderborn, die über<br />
die pflegerische Grundversorgung hinaus weitere verfügbare Dienstleistungen in<br />
einem gesundheits- und sozialpflegerischen Zentrum bündelt. Beispielsweise<br />
sind dies Mobiler Mittagstisch, Wäschedienst, Hausnotruf, Fußpflege, Apotheken<br />
u. v. m. Hier kommen verschiedene sich ergänzende Berufsgruppen und Dienste<br />
zum Einsatz, die z. T. in Trägerschaft des Caritasverbandes stehen (www.caritas-<br />
paderborn.de).<br />
3.3 Zusammenarbeit ambulant-stationär<br />
Basierend auf einer Rahmenvereinbarung zwischen der Techniker Krankenkasse<br />
und dem Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste ist 2003 ein Koope-<br />
rationsvertrag zwischen einem privaten Pflegedienst und dem Agnes-Karll-<br />
Krankenhaus in Laatzen zum Zweck der Überleitung in die häusliche Pflege ge-<br />
schlossen worden. Die Vergütung dieser Leistung erfolgt nach § 45 SGB XI. Dem<br />
Krankenhaus entstehen keine Kosten, da der Pflegedienst pro Überleitung eine<br />
7
Einzelrechnung bei der Techniker Krankenkasse einreicht. Vor dem Hintergrund<br />
des Qualitätssicherungsgesetzes verpflichtet sich der Pflegedienst zur Sicherstel-<br />
lung der Pflegeüberleitung, zur Beratung von pflegenden Angehörigen und zur<br />
Sicherstellung eines Angebotes von Pflegekursen. Die zuständigen Mitarbei-<br />
ter/Innen sind examinierte Pflegekräfte, die eine zusätzliche Grundschulung zum<br />
Pflegeberater absolviert haben. Die Patienten werden in erster Linie beraten und<br />
zum großen Teil an andere Dienstleister weitervermittelt, um die Wettbewerbssi-<br />
tuation nicht zu beschneiden. Die Klinik verpflichtet sich <strong>im</strong> Gegenzug, einen An-<br />
sprechpartner zu benennen, der diese Leistungen in der Klinik publik macht, so-<br />
wie dem Pflegedienst durch die Übermittlung eines Konsilschreibens die Kon-<br />
taktaufnahme zu den Patienten zu ermöglichen. Da eine erfolgreiche Überleitung<br />
von der schnellen Einstufung der Patienten durch den MDK abhängt, wurde ein<br />
Formular entwickelt, welches die gesundheitliche Entwicklung des Patienten für<br />
das nächste halbe Jahr aus Sicht des Krankenhausarztes sowie den Hilfebedarf<br />
aus Sicht der Pflege prognostiziert. So erfolgt die Pflegeeinstufung meist inner-<br />
halb von 24 Stunden und dient als sichere Finanzierungsgrundlage für den über-<br />
nehmenden Pflegedienst. Ziel dieser <strong>Kooperation</strong> ist es, die Situation der Patien-<br />
ten, die häusliche Pflege benötigen, zu verbessern sowie die Verweildauer <strong>im</strong><br />
Krankenhaus zu verringern (Klingbeil-Baksi, 2003).<br />
8
4 Koordinationsstellen<br />
Für die Nachfrage von Hilfe- und Pflegeleistungen ist neben den demographi-<br />
schen Aspekten auch die Veränderung der familiären, nachbar- und freundschaft-<br />
lichen Hilfebeziehungen von Bedeutung. In der Verantwortung stehen hier die<br />
Kommunen, deren Aufgabe es ist, die Zusammenarbeit der örtlichen Sozial- und<br />
Gesundheitsdienste zu fördern. So wurden bereits Ende der 80er Jahre erste<br />
Koordinationsstellen eingerichtet, deren Aufgabenbereiche von der informieren-<br />
den Beratung aller Bürger, Einschätzung des Hilfebedarfs eines Menschen, Ko-<br />
ordination und Vermittlung verschiedener Hilfsangebote bis hin zur Bewertung<br />
der erfolgten Dienstleistung reichen können (Wendt, 1996).<br />
Der Qualitätsverbund "Netzwerk <strong>im</strong> Alter" ist aus dem Modellprojekt "Netz-<br />
werk <strong>im</strong> Alter" hervorgegangen, das <strong>im</strong> Rahmen des Bundesmodellprogramms<br />
Altenhilfestrukturen der Zukunft" durch das Bundesministerium für Familie, Senio-<br />
ren, Frauen und Jugend gefördert wurde.<br />
Ziel des Projektes war der Aufbau einer klientenzentrierten Zusammenarbeit aller<br />
an der Versorgung und Betreuung älterer Menschen beteiligter Institutionen <strong>im</strong><br />
Rahmen eines Verbundsystems. Beteiligt waren 45 Netzwerkpartner u. a. aus<br />
den Bereichen: Krankenhaus, stationäre und ambulante Rehabilitationseinrich-<br />
tung, verschiedene Therapeuten, Einrichtungen der Kurzzeitpflege, Alten- und<br />
Pflegehe<strong>im</strong>e, ambulante Pflegedienste, die auf der Basis einer verbindlichen<br />
Rahmenvereinbarung und Geschäftsordnung (S. Anhang) kooperierten.<br />
Während der Modelllaufzeit konnte eine regionale Organisations- und Kommuni-<br />
kationsstruktur aufgebaut werden. Es wurden Standards <strong>im</strong> Hinblick auf Fallma-<br />
nagement, Überleitung und Beschwerdemanagement entwickelt und erprobt.<br />
Nach Ablauf der Projektphase wurde ein Qualitätsverbund mit zunächst 17 Part-<br />
nern aus den genannten Bereichen gegründet. Die Funktion des Netzwerkmana-<br />
gements übernahm die <strong>im</strong> Bezirksamt angesiedelte Stelle für Altenhilfekoordina-<br />
tion (www.altenhilfestrukturen.de).<br />
9
5 Integrierte Versorgung<br />
Unter integrierter Versorgung ist ein interdisziplinärer sektorübergreifender Ver-<br />
sorgungsprozess zu verstehen. Dieser hat das Ziel, durch enge <strong>Kooperation</strong> der<br />
Leistungserbringer untereinander und unter direkter Einbeziehung des Patienten<br />
Versorgungsnetzwerke aufzubauen (Kassenärztliche Bundesvereinigung). Aus-<br />
schlaggebend für dieses Kernstück der Gesundheitsreform 2000 war die Er-<br />
kenntnis, dass sektorales Management zu Doppeluntersuchungen und übermä-<br />
ßiger Diagnostik sowie zu Schnittstellenproblemen und Konflikten zwischen den<br />
Akteuren führt. Grundlage der integrierten Versorgung ist die Möglichkeit der ge-<br />
setzlichen Krankenversicherungen, Verträge mit verschiedenen Gruppen von<br />
Leistungserbringern abzuschließen (SGB V, § 95, § 140a-h). Seit dem 1.1.2004<br />
haben die gesetzlichen Krankenversicherungen zusätzlich die Möglichkeit, Ab-<br />
schläge bis zu 1% der Klinikbudgets einzubehalten und für integrierte Versor-<br />
gungsformen zu nutzen.<br />
Integrierte Versorgung steht folglich für eine Organisationsform <strong>im</strong> Gesundheits-<br />
wesen, in der die Patientenversorgung in einem Netzwerk von Krankenhäusern,<br />
Praxen, ambulanten Pflegediensten usw. erfolgt. Dieses Netzwerk hat ein ge-<br />
meinsames Budget, das von einem oder mehreren Krankenkassen finanziert<br />
wird. Deshalb ist eine Zusammenarbeit zwischen Krankenhäusern, Rehabilitati-<br />
onseinrichtungen und Leistungserbringern in der ambulanten Versorgung zwin-<br />
gend erforderlich. Inhalte von <strong>Kooperation</strong>svereinbarungen können dabei vielfäl-<br />
tig sein (Vgl. Becker/Hensgen, 2000). Es können zwei mögliche Varianten der in-<br />
tegrierten Versorgung unterschieden werden. Als Full-Size-Variante wird die voll-<br />
umfängliche Verantwortungsübernahme für sich einschreibende Patienten mit ei-<br />
nem verschiedene Leistungssektoren übergreifend wirkendem Gesamtbudget<br />
bezeichnet. Eine indikationsbezogene interdisziplinäre Versorgung in Form von<br />
Komplexpauschalen für best<strong>im</strong>mte Operationen, z. B. Hüftendoprothesen, ist die<br />
sogenannte Light-Variante. (Ludwig, 2004)<br />
Prosper – Gesund <strong>im</strong> Verbund ist ein Projekt zur integrierten Versorgung der<br />
Knappschaft, dem einzigen Sozialversicherungsträger in Deutschland, der Kran-<br />
ken- und Pflegeversicherung, Rentenversicherung, Rehabilitationseinrichtungen<br />
und Krankenhäuser sowie einen eigenen Sozialmedizinischen Dienst vereint. Bei<br />
diesem Projekt handelt es sich um eine <strong>Kooperation</strong> zwischen niedergelassenen<br />
10
Knappschaftsärzten, dem Knappschaftskrankenhaus Bottrop und Versicherten<br />
der Knappschafts-Krankenversicherung. Ziel von Prosper ist die Verbesserung<br />
des Gesundheitssystems unter Berücksichtigung der Patientenzentriertheit,<br />
Transparenz, Qualitätssicherung, Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit.<br />
Niedergelassene Ärzte und Krankenhausärzte verständigen sich in Arbeitsgrup-<br />
pen, Qualitätszirkeln und Netzwerkkonferenzen über Therapie und Medikamen-<br />
tenempfehlungen. Die Koordination liegt in der Verantwortung des Netzvorstan-<br />
des (Vössing, 2004).<br />
11
6 Diskussion<br />
Wie eingangs erwähnt, reicht eine effektive Gesundheitsversorgung der Bevölke-<br />
rung von der Prävention bis zur Rehabilitation. An diesem Kontinuum sind zahl-<br />
reiche Professionen beteiligt, die aus unterschiedlicher Perspektive und mit un-<br />
terschiedlichen Schwerpunktsetzungen ihren diesbezüglichen Beitrag leisten.<br />
So erfordert die Zielgemeinsamkeit jedoch nicht nur den Aufbau einer integrati-<br />
ven <strong>Kooperation</strong>skultur, sondern ebenso eine Regulation der Schnittstellen.<br />
Anhand der Beispiele wird deutlich, dass erste Anläufe in diese Richtung ge-<br />
macht sind, die zumeist additiven <strong>Kooperation</strong>sformen als auch Dienstleistungs-<br />
netze, die lediglich über eine gemeinsame Telefonnummer verfügen, den Erfor-<br />
dernissen jedoch längst nicht genügen. Ergänzend dazu bedarf es multiprofessi-<br />
onaler Behandlungsstrategien, die über die Grenzen einzelner Einrichtungen und<br />
Versorgungsbereiche hinweg wirken. Dies ist m. E. nur möglich, wenn Konsens<br />
<strong>im</strong> Hinblick auf fachliche Kompetenz und Eigenständigkeit jeder teilnehmenden<br />
Profession herrscht und Barrieren, die durch mangelndes Wissen über jeweilige<br />
Handlungsgrundlagen und –erfordernisse der anderen Professionen als auch<br />
Konkurrenzdenken überwunden werden.<br />
In Anlehnung an die Ergebnisse des Forschungsprojektes Mesop (Medizin, Sozi-<br />
ale Arbeit und Pflege), ist der Aufbau interdisziplinärer <strong>Kooperation</strong> eine Aufgabe<br />
der Organisationsentwicklung, beispielsweise in Form von Care-Management.<br />
Parallel dazu sind Ausbildungs- und Studiengänge entsprechend zu reformieren,<br />
auch würden sich interdisziplinäre Fortbildungen mit Sicherheit begünstigend<br />
auswirken.<br />
Mit den Regelungen zur integrierten Versorgung hat der Gesetzgeber auf die bis-<br />
herige Krankenhauslastigkeit des Versorgungswesens reagiert, was zunächst zu<br />
einer krankenhausgesteuerten Einbeziehung ambulanter Versorgung führt (Bei-<br />
spiel Prosper). Es wird damit das Ziel verfolgt, die bis dato insulare Arbeitsweise<br />
der Gesundheitsprofessionen unter Kostensenkungsaspekten in sektorenüber-<br />
greifende Versorgungsketten zu verwandeln. Beachtenswert scheint mir in die-<br />
sem Zusammenhang, dass eben dieses Ziel sich ausschließlich auf eine Vernet-<br />
zung von medizinischen Behandlungspfaden beschränkt. Insofern stellt sich die<br />
Frage, ob nicht die verschiedenen Sozialgesetzbücher (SGB V, SGB XI) die ei-<br />
gentlichen Sektoren sind, die es zu verknüpfen gilt?<br />
12
6.1 Ausblick – Perspektive für die Pflege<br />
Des weiteren stellt sich die Frage, ob nicht gleichermaßen eine ambulantgesteu-<br />
erte Versorgung unter Einbeziehung des Krankenhauses denkbar wäre? Nach<br />
Auskunft der Bundesgeschäftstelle für Qualitätssicherung ist es zwar beabsich-<br />
tigt, integrierte Versorgungsprogramme zukünftig berufsgruppenübergreifend zu<br />
entwickeln, dies jedoch zu allermeist ohne die Beteiligung der Pflege (Trümner,<br />
2004).<br />
Dabei zeigt sich der besondere Charakter dieser Berufsgruppe nicht nur in Form<br />
ihrer patientenorientierten Leitmax<strong>im</strong>en, sondern darüber hinaus durch die Tatsa-<br />
che, dass Pflegende ihre Leistungen sowohl nach SGB V als auch nach SGB XI<br />
erbringen, was sie m. E. für die Gestaltung von Versorgungspfaden prädestiniert.<br />
Dass eine Ausweitung und Ausdifferenzierung der Pflegedienste machbar ist,<br />
zeigt die Initiative des privaten Pflegedienstes aus Laatzen (S. Kap 3.3) und gibt<br />
Mut, die Umstrukturierung <strong>im</strong> <strong>Gesundheitswesen</strong> als weitere Herausforderung zu<br />
sehen.<br />
Im übrigen schließe ich mich dem Sachverständigenrat des <strong>Gesundheitswesen</strong>s<br />
an, der in seinem Gutachten fordert (Stöcker, 2003):<br />
• Pflege als Querdisziplin und nicht am Ende der Versorgungskette<br />
• Zusammenführung von SGB V und XI<br />
• Förderung der <strong>Kooperation</strong> zwischen Pflege und anderen Gesundheitsberufen<br />
über Ausbildung und Forschung<br />
13
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14