Historische und geographische Excurse zu Tac. Ann. I, 55, 57, 58 ...

vielköpfige Herrschaft zu beseitigen und den bis jetzt nur schwach verknüpften Bezirken
alle die Vortheile zu verschaffen, welche ein Zusammenfassen der Volkskraft und die
Herstellung einer einheitlichen Qewalt gewähren mussten. War auch nach Abberufung
des Germanicus kein Einfall eines römischen Heerführers zu fürchten, so galt es zunächst,
inneren Wirren vorzubeugen, aus welchen die tückische Politik des Tiberius Nutzen ziehen
wollte (Tac. H, 26). Aber noch verschmähte der alte centrifugale ünabhängigkeitstrieb
ein adductius regnari, wenn es auch nicht supra libertatem gieng (wie sich Tac. Germ,
c. 44 in Beziehung auf die Gotones ausdrückt). Armin wurde von einer starken Volks-
partei mit Waffengewalt angegriffen, und während er mit wechselndem Glücke kämpfte,
fiel er dolo propinquorum, ohne Zweifel anderer principes, die sich durch ihn in ihrer
Stellung bedroht sahen. Dass Armins Oheim Inguiomer (Grimm Gesch. d. deut. Spr.
S. 616: ahd. Ingumär, romanisch gefasst Hincmar) sich an dem Anschlage betheiligte
(Dahn I, 131. Thudichum S. 68), ist zwar nicht nachweisbar, aber glaublich. Wenige
Jahre vorher, als der Krieg zwischen den Cheruskern und Marobod ausbrach, schloss
Inguiomer sich an letzteren an, weil dem wieder zum dux erwählten jungen Bruderssohne
zu gehorchen, dem greisen Oheim unwürdig erschien (Tac. H, 45); gleiche Eifersucht
auf den Ruhm und den überwiegenden Einfluss des Neffen scheint ihn schon früher von
Armin entfernt zu haben, und erst die allgemeine Bewegung, welche durch diesen unter
den Cheruskern hervorgerufen wurde, bestimmte ihn, im J. 15 die Waffen gegen die
Römer zu ergreifen (Tac. I, 60), aber sein unzeitiger Widerspruch gegen die Anordnungen
Armins vereitelte die Hoffnung auf vollständigen Sieg (Tac. I, 68).
2) Je mehr Armin in nächster Umgebung des Varus war, um so deutlicher sah er die
Gefahr, welche von den Eindringlingen der Freiheit, dem Rechte und der Sitte seines
Volkes drohte. Als er nun den Entschluss gefasst hatte, die heiligsten Güter zu retten,
konnte er bei seiner genauen Kenntniss der wahren Stärke und Schwäche des germani-
schen und des römischen Kriegswesens von einem offenen Angriffe sich keinen günstigen
Erfolg versprechen (vgl. Fr. Roth Hermann und Marbod S. 17. ff.); die Römer mussten
in ein zerklüftetes, sumpfiges und bewaldetes Terrain gelockt werden, wo die Anwendung
des zerstreuten Gefechtes nöthig war, in ein Terrain, wo »die tactische üeberlegenheit
der römischen Heere beschränkt, dem ungestümen Muthe des germanischen Kriegers,
seiner persönlichen Körperkraft, seiner durch leichte Bewaffnung und Kleidung unterstütztem,
zur Besiegung aller Terrainschwierigkeiten geeigneten Gewandtheit, —
vor Allem aber der selbständigen Entfaltung aller seiner persönlichen Eigenthümlichkeiten
ein freier Spielraum eröffnet wurde« (Peucker das deutsche Kriegswesen der Urzeiten.
1860. n, 268. f.). Die Ausführung des Planes wurde mit grösster Vorsicht und schlauer
Berechnung vorbereitet, alles vermieden, was in Varus Argwohn erwecken konnte, vieles
gethan, was ihn noch mehr in falsche Sicherheit wiegen musste. Zwar wurde der römische
Feldherr von Segestes gewarnt und zu Mafsregeln aufgefordert, welche die Verschwörung
vereiteln konnten, allein Varus liess die Anzeigen unbeachtet und rückte zu seinem und
seiner Legionen Verderben aus.
Segestes gibt bei Tac. I, 58 als Grund seiner Treue gegen das, römische Volk die
Ueberzeugung an, dass den Römern und Germanen ein und dasselbe zuträglich und Friede
besser sei, als Krieg. Allein so verblendet konnte Segestes nicht sein, dass ihm wirklich