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Märtyrer des Versuchs einer Erneuerung

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kann er die Absicht Gottes erkennen und das, was dieser mit s<strong>einer</strong><br />

Schöpfung vorhat.<br />

Wenn ein geoffenbarter heiliger Text vorliegt, und ein Schriftgelehrter<br />

kommt und behauptet, dieser hätte die Bedeutung, die sich aus der<br />

Bedeutung s<strong>einer</strong> Vokabeln erschließen läßt, wird ihm der Heilige<br />

antworten, ihm sei der Sinn <strong>des</strong> Textes von <strong>des</strong>sen Urheber selbst<br />

anvertraut worden, das heißt von Gott, der den Text geoffenbart hat. So hat<br />

jeder geoffenbarte Text für die Sufis eine äußerliche Bedeutung, die man<br />

durch die sprachliche Analyse erschließen kann, aber er hat auch einen<br />

verborgenen göttlichen Sinn, der nur den Heiligen zugänglich ist und den<br />

nur diese vermitteln können. Auf diese Weise fanden die Sufis eine<br />

Möglichkeit, das Problem der Erstarrung der Texte zu umgehen, ohne<br />

unmittelbar mit den Dogmatikern in Konflikt zu geraten. Wenn also ein<br />

neues Problem auftauchte, für das der Text wegen s<strong>einer</strong> Erstarrung keine<br />

Lösungsmöglichkeit bot, verkündete der Heilige den tieferen Sinn, der die<br />

Spannung zwischen dem Text und der neuen Realität auflöst, und in der<br />

Mehrzahl der Fälle stand diese Lösung in völligem Widerspruch zu den<br />

von den Dogmatikern vertretenen Interpretationen.<br />

Mahmud Mohammed Taha folgte von Anfang an dem Weg der Sufis, da er<br />

erkannt hatte, daß sich in dem von den Dogmatikern angebotenen<br />

Analysen keine Erklärungen oder Lösungsmöglichkeiten für die Probleme<br />

der Muslime im XX.Jahrhundert finden ließen. Es waren andere<br />

Denkrichtungen aufgetreten, die, wie der Liberalismus und der<br />

Sozialismus, ihre Lösungen für die Wirtschaftsprobleme anboten, und es<br />

waren Bedingungen entstanden, unter denen die Befreiung der Frau zur<br />

Notwendigkeit wurde und für sie die Möglichkeit verlangten, außer Haus<br />

und zur Arbeit gehen zu können. Es waren politische Herrschaftsformen<br />

entstanden wie die freiheitliche Demokratie, die eine neue Antwort gaben<br />

auf das Problem der politischen Macht, und das menschliche Bewußtsein<br />

hatte einen Stand erreicht, wo es sich mit den meisten Vorschriften der<br />

muslimischen Dogmatiker nicht mehr abfinden konnte. Das betraf vor<br />

allem die Fragen von Krieg und Frieden, die Rechte der Nicht-Muslime<br />

und der Minderheiten, die internationalen Beziehungen und die<br />

Menschenrechte und Grundfreiheiten, wie sie in den internationalen<br />

Abkommen festgelegt sind.<br />

Mahmud war der Überzeugung, daß der Sufi-Weg der vorbildliche Weg<br />

sei, auf dem man die Erstarrung der Texte überwinden könne. Bestärkt<br />

wurde er im Glauben an diese Möglichkeit durch die Tatsache, daß die<br />

überwiegende Mehrheit der sudanesischen Muslime den Islam auf dem<br />

sufischen Weg der Toleranz kennengelernt und angenommen haben,<br />

weshalb ihm der Sudan ein fruchtbarer Boden zu sein schien, der<br />

aufgeschlossen ist für das Neue und damit für das, was Mahmud als<br />

zeitgemäße Lösungen für die heutigen Probleme erkannte.<br />

Wie es der sufische Weg vorschreibt, wählte sich Mahmud einen Scheich,<br />

der ihn auf den rechten Pfad leiten sollte, und zwar wählte er sich dazu den<br />

Propheten Mohammed selbst, womit er sich und die ihm anvertrauten<br />

Schüler darauf verpflichtete, <strong>des</strong>sen Vorbild nachzufolgen. Über mehrere

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