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Märtyrer des Versuchs einer Erneuerung

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das darauf ausgerichtet ist, in <strong>einer</strong> veränderten geschichtlichen Lage die<br />

Normen früherer Epochen den neuen Gegebenheiten entweder anzupassen<br />

oder sie notfalls ganz außer Acht zu lassen, womit es zu <strong>einer</strong> neuen<br />

"Regel der Notwendigkeit" gekommen wäre mit <strong>einer</strong> neuen Grundlage,<br />

nämlich dem Bewußtsein vom Wandel <strong>des</strong> Lebens und der Gesellschaft.<br />

Ein letztes Beispiel: Die Sprachwissenschaftler haben den Gebrauch<br />

bestimmter Ausdrücke, die sich nicht von einem arabischen Ursprung<br />

herleiten ließen, für zulässig erklärt, wenn sie häufig gebraucht wurden und<br />

allgemein verbreitet waren. Sie haben es dann für notwendig erachtet,<br />

nachzuforschen, wann und bei welcher Gelegenheit der eine oder andere<br />

Ausdruck in die arabische Sprache eingedrungen ist und den Anlaß dafür<br />

untersucht. Sie taten dies, um die genaue Bedeutung <strong>des</strong> Ausdrucks zu<br />

bestimmen, und keineswegs aus interpretatorischen Gründen. Denn die<br />

Sprache ist ein Mittel der Verständigung, d.h. der Angesprochene soll<br />

möglichst genau das verstehen, was ihm der Sprecher mitteilen will, indem<br />

er einen bestimmten Ausdruck gebraucht.<br />

Die islamischen Dogmatiker übertrugen dieses linguistische Verfahren auf<br />

den Koran und trennten so das koranische Denken von seinem<br />

geschichtlichen und gesellschaftlichen Kontext, von dem es lebt, und von<br />

der Methode, durch die es geprägt ist, nämlich der Methode, der Bewegung<br />

der Gesellschaft und deren Veränderung Rechnung zu tragen. Durch die<br />

Übertragung aller Normen und Grundlagen und Regeln für Grammatik und<br />

Semantik auf die Interpretation <strong>des</strong> Koran haben die Dogmatiker eine<br />

außerordentlich gefährliche Wissenschaftsrichtung geschaffen, die das<br />

arabisch-muslimische Bewußtsein bis heute gefangen hält: die<br />

Wissenschaft von den Grundlagen der Dogmatik . Was die Sache so<br />

besonders gefährlich macht, ist, daß sich im allgemeinen Bewußtsein der<br />

Muslime diese Wissenschaft inzwischen mit dem Heiligen Text so eng<br />

verknüpft hat, daß ein Einspruch dagegen oder eine Abweichung davon als<br />

Ketzerei und damit als to<strong>des</strong>würdiges Verbrechen gilt.<br />

So erstarrte der Heilige Text zu einem tauben Stein oder einem<br />

unverrückbaren Fels, und das Dogma von der buchstäblichen Gültigkeit<br />

<strong>des</strong> Textes und s<strong>einer</strong> Anwendbarkeit für alle Zeiten und an allen Orten<br />

wurde darauf gegründet, daß er "eindeutig belegt und erhärtet" sei, ohne<br />

Rücksicht darauf, ob zwischen dem Text <strong>einer</strong>seits und den aktuellen<br />

Problemen und der neuen Lage andererseits ein Spannungsverhältnis<br />

besteht, ja ohne Rücksicht darauf, ob der Text in s<strong>einer</strong> wörtlichen<br />

Auslegung eine Lösung bietet für die aktuellen Probleme und eine Antwort<br />

auf die neue Lage, oder ob dies nicht vielmehr zu deren Verwicklung und<br />

Verschärfung beiträgt.<br />

Grundlage hierfür ist die Methode, vom Buchstaben <strong>des</strong> Textes<br />

auszugehen, die formal sprachlogische Methode, im Gegensatz zur<br />

Methode, die sich um die Erfassung <strong>des</strong> Inhalts bemüht und sich der<br />

gedanklich-inhaltlichen Logik bedient. Der bekannte Dogmatiker Ibn<br />

Hasm hat die Grundregel der Dogmatik in folgenden Worten dargestellt:<br />

"Was zum Zeitpunkt, als der Prophet starb (der Segen Gottes sei mit ihm<br />

und sein Friede) erlaubt war, bleibt erlaubt bis in alle Ewigkeit, und was

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