Jazz-Improvisation und Management - IDS Scheer
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Das Verlassen des Korridors nach unten bedeutet, dass sich immer mehr <strong>und</strong> mehr Regeln einschleichen oder bei gleicher<br />
Regelung die Kommunikation nachlässt. Diese Gefahr ist z. B. gegeben, wenn eine <strong>Jazz</strong>-Gruppe sehr lange zusammen<br />
ist <strong>und</strong> man sich quasi in- <strong>und</strong> auswendig kennt. Es finden dann kaum noch unerwartete Ausbrüche aus dem bereits<br />
Bekannten statt. Selbst eine so fantastische Gruppe wie das Oskar Peterson Trio hatte nach einiger Zeit ihren erfolgreichen<br />
Stil gef<strong>und</strong>en <strong>und</strong> sich dann quasi nur noch selbst kopiert. Eine Aufnahme aus dem Jahr 1985 unterscheidet sich<br />
nicht gr<strong>und</strong>legend von einer Aufnahme aus dem Jahr 1975. Dagegen hat<br />
der <strong>Jazz</strong>-Musiker Miles Davis mehrfach stilbildend gewirkt. Mitte der<br />
vierziger Jahre entwickelte er mit Charlie Parker <strong>und</strong> anderen den<br />
Bebop, Ende der vierziger Jahre durch die berühmte Aufnahme „Birth of<br />
the cool“ den Cooljazz, dann 1959 mit der Aufnahme „Kind of Blue“ den<br />
modalen <strong>Jazz</strong> <strong>und</strong> später mit Musikern wie Herby Hancock <strong>und</strong> Chick<br />
Corea den Rockjazz.<br />
Um zu verhindern, dass eine Gruppe in der Wiederholung von Klischees<br />
erstarrt, muss man sie mit neuen Situationen konfrontieren, bei denen<br />
das „Eingeübte“ nicht angewendet werden kann. Von Miles Davis wird<br />
berichtet, dass er seinen Musikern quasi verboten hat, außerhalb der<br />
Konzerte zu üben; er würde sie schließlich dafür bezahlen, dass sie auf<br />
der Bühne „üben“. Sie sollten eben nicht eingeübte Figuren während<br />
des Konzertes abspulen, sondern kreativ sein <strong>und</strong> auch Mut zu Neuem<br />
zeigen. John Coltrane hat seine Musiker mit völlig neuen Harmonie -<br />
folgen überrascht, bei denen sie auch ihre bereits in Fleisch <strong>und</strong> Blut<br />
übergegangenen Phrasen nicht verwenden konnten. Bekannt ist die<br />
Anekdote, dass der Pianist Tommy Flannigan von John Coltrane mit den<br />
Harmonien des Kultstückes „Giant Steps“ konfrontiert wurde <strong>und</strong> während<br />
der Plattenaufnahme große Schwierigkeiten hatte, sie zu verarbeiten.<br />
Trotzdem ist die Aufnahme veröffentlicht worden <strong>und</strong> gilt als einer<br />
der Meilensteine im <strong>Jazz</strong>. Auch die Miles Davis-Aufnahme „Kind of<br />
Blue“ ist ein solches Beispiel (vgl. Kahn 2001).<br />
Miles Davis hatte zur Aufnahme lediglich geringe Skizzen der zu spielenden Stücke mitgebracht. Die Musiker wurden<br />
somit mit neuartigen harmonischen Strukturen <strong>und</strong> Themen konfrontiert <strong>und</strong> mussten sich im Höchstmaß konzentrieren.<br />
Diese Intensität war eine Quelle höchster Inspiration.<br />
Auch bei einem <strong>Management</strong>team, das in dem Korridor am Rande des Chaos operiert, bestehen Gefahren zum Verlassen<br />
des gewünschten Gleichgewichts. Völlig regelloses Verhalten, bei dem niemand einen gemeinsamen Koordinations -<br />
bedarf akzeptiert, führt zu widersprechenden Entscheidungen <strong>und</strong> Aktionen, also zum Chaos. Die Anwendung von Stereo -<br />
typen (man weiß ja schon, was der Andere sagen wird, also hört man ihm kaum noch zu) birgt die Gefahr zur Erstarrung.<br />
Hier können in dem Team durch die Konfrontation mit ungewöhnlichen Situationen ebenfalls neue Impulse erzeugt werden.<br />
Von British Airways wird berichtet (vgl. Lewin 1998), dass bei einem <strong>Management</strong>seminar die Hotelbetten ausgeräumt<br />
wurden <strong>und</strong> alle Teilnehmer in Flugzeugsitzen übernachten mussten. Diese Situation hat sicher zu intensivsten<br />
Überlegungen zur Verbesserung des Sitzkomforts angeregt. Auch ist vorstellbar, dass das <strong>Management</strong> von Software -<br />
unternehmen gezwungen wird, in einem Strategieseminar seine eigene Software anzuwenden.<br />
Das Gleichgewicht zwischen Flexibilität <strong>und</strong> Starrheit zu erhalten, ist somit ein ständiger Kampf.<br />
3 Gefühl für Zeit<br />
<strong>Jazz</strong>-Musik lebt vom Swinggefühl. Duke Ellington hat dies mit<br />
dem Musiktitel „It don’t mean a thing when it ain’t got that<br />
Swing“ auf den Punkt gebracht. Swing ist schwer zu beschreiben.<br />
Es ist ein rhythmisches Span nungs gefühl, das während<br />
des Spielens nicht aufgelöst wird. Es gibt inzwischen wissenschaftliche<br />
Ab hand lungen, die es durch einen Konflikt zwischen<br />
einer Dreier- <strong>und</strong> Vierermetrik zu erklären versuchen.<br />
Alle Er klä rungs versuche sind aber bisher unbefriedigend. Es<br />
bleibt dabei: Man spürt es oder man spürt es nicht. Während<br />
andere Spannungen in der Musik, z. B. Dis sonanzen, sofort auf -<br />
gelöst werden durch Konso nanzen, wird das Swinggefühl<br />
während des gesamten Musikstücks aufrechterhalten. Es ist<br />
damit auch eine Quelle für die Inspiration des <strong>Jazz</strong>-Solisten.<br />
ARIS Expert Paper<br />
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