Jazz-Improvisation und Management - IDS Scheer

Jazz-Improvisation und Management - IDS Scheer Jazz-Improvisation und Management - IDS Scheer

14.09.2013 Aufrufe

ARIS Expert Paper Übrigens gibt es noch eine andere Möglichkeit, beim Spielen eines falschen Tones zu reagieren, indem man ihn extra betont und absichtlich lange aushält oder sogar mehrfach wiederholt. Da es ja eigentlich keine falschen Töne gibt, sondern nur in einem harmonischen Zusammenhang ein ungewöhnlicher Höreffekt auftritt, kann man ihn als beabsichtigt interpretieren. Harmonische Reibung ist in der Musik durchaus üblich, da sie anschließend durch eine gefälliger klingende Harmonie aufgelöst werden kann. Also einen reibungsvollen Ton extra zu betonen, um ihn dann anschließend aufzulösen, ist ein zulässiges Stilmittel. Dieses Vorgehen erinnert etwas an den zynischen und damit möglichst nicht zu befolgenden Satz: Frech gelogen und fest darauf bestanden, ist so gut wie die Wahrheit gesagt. 8 Relaunch alter Produkte Ein Song, der als Vorlage zur Improvisation dient, besteht aus einer Taktstruktur, dem harmonischen Aufbau und der Melodie. Die Variationen von Taktstrukturen sind im Jazz relativ begrenzt. Meist dominiert der 32-taktige Aufbau mit den jeweils acht Taktpaketen in der Form AABA. Bei den Harmoniefolgen eignen sich einige besonders gut zum Impro - visieren. Damit sich die zugehörenden Melodien nicht verschleißen, werden häufig neue Melodien zu den Harmonien komponiert. Am bekanntesten ist die Bluesform, über die unzählige Melodien komponiert worden sind, dann folgen aber die sogenannten Rhythm Changes, die dem Stück „I got Rhythm“ von George Gershwin entnommen worden sind. Auch hier sind die Akkordfolgen einfach und eröffnen dem Improvisator viele Entfaltungsmöglichkeiten. Viele Melodien haben sich dabei von dem ursprünglichen Thema „I got Rhythm“ soweit entfernt, dass man die Verwandtschaft kaum bemerkt, beispielsweise bei „Oleo“ von Sonny Rollins oder „Thriving on a riff“ von Charlie Parker. Die Entwicklung von neuen Produkten auf Basis bestehender erfolgreicher Produkte wird im Marketing von Unternehmen als Relaunch bezeichnet. Ein bewährtes Produktkonzept wird dadurch modernisiert, indem es ein neues Marketingprofil bekommt oder aber auch produkttechnisch abgewandelt wird. Auch hier wird das vom Konsumenten Gewohnte und Akzeptierte übernommen, um aber durch neue Eigenschaften oder Imagefaktoren eine neue Attraktivität zu bekommen. 9 Jazz-Solo als dynamischer Prozess Wenn ein Jazz-Musiker ein Solo beginnt, hat er noch nicht den gesamten Aufbau, geschweige denn die zu spielenden Melodiebögen im Kopf. Vielmehr fängt er mit einer Anfangsphrase an, die vielleicht auf den zuletzt gespielten Tönen seines Vorgängers aufbaut. Die nächste Phrase wird dann von der vorhergehenden beeinflusst und ist entweder die Antwort auf die zuerst gespielten Takte oder deren Erweiterung. Im weiteren Ablauf setzt sich dieser Prozess fort. Dabei werden die Impulse der anderen Mitspieler aufgenommen und einbezogen. Im Grunde ist damit ein Solo ein sich selbst nährender Entwicklungsprozess, in dem ein gespielter musikalischer Gedankengang auf einem vorhergehenden aufbaut und selbst wiederum die Basis für die nächsten darstellt. Ganz ähnlich entwickelt sich auch die Geschichte eines Unternehmens aus aufeinander aufbauenden Entscheidungen und Strategien. Nicht jede Entscheidung und Strategierichtung muss dabei für sich genommen als Ideal gelten, sondern es muss ihr Beitrag für den gesamten Ablauf gesehen werden. Dann können auch falsche Entscheidungen, wenn sie hinterher korrigiert werden, durchaus ihren Sinn gehabt haben, weil sie zum Erkenntnis gewinn beigetragen haben. Auch in einem Solo kann eine Musik phrase, die für sich genommen vielleicht wenig Intuition beinhaltet, doch den Musiker anregen, seinem nächsten musikalischen Gedanken mehr Inhalt zu geben. 10 Kann man Improvisieren lernen? Genau wie an einer Musikhochschule das Fach klassische Komposition angeboten wird und also auch Komponieren gelernt werden kann, gilt dieses auch für die Jazz-Improvisation. Allerdings besteht der Widerspruch, dass die schöpferische Kraft eines Komponisten oder eines Jazz-Improvisators gerade die Erweiterung des Erlernten durch neue Klang - vorstellungen ausmacht. Gelernt werden können bei der Improvisation wie bei einem Redner die Wörter, die Grammatik und Wortverbindungen, die er aber dann bei einer freigesprochenen Rede gemäß seiner emotionalen Stimmung und seinen gewollten Aussagen zusammenstellt. Eine abgelesene Rede ist meistens langweilig, während eine engagiert vorgetragene freie Rede interessant sein kann. 10

Die Grammatik ist für einen Jazz-Musiker die Jazz-Harmonielehre. Während ein Orchestermusiker eines klassischen Orchesters im Wesentlichen die Fähigkeit besitzen muss, vom Blatt zu spielen und deswegen tiefe Kenntnisse in der Harmonie lehre nicht unbedingt erforderlich sind, ist dies bei einem Jazz-Musiker ausgesprochen wichtig und bringt ihn damit auch näher zu den Anforderungen, die man in der klassischen Musik an einen Komponisten stellt. Neben der Harmoniestruktur, also der Grammatik, ist aber auch der Wortvorrat wichtig. Hier gibt es unzählige Melodiefolgen, meistens auf ein bis vier Takte beschränkt, die für einzelne Akkorde und Akkordfolgen geübt werden können. Diese Melodie - phrasen stur auswendig zu lernen und hinterher in einem Solo mechanisch aneinander zu reihen, ist allerdings noch lange keine gelungene Improvisation. Hier fehlt dann musikalische Tiefe, überraschende Ideen und auch emotionale Beteiligung. Bei einem Manager ist die Beeinflussung seines Teams, eines Entscheidungsgremiums seines Kunden durch rhetorischen Beiträge ein wichtiges Instrument. Auf einer Rednerschule gelernte Phrasen sind häufig sofort als solche zu erkennen und wirken wenig überzeugend, sondern eher entlarvend. Charismatische Ausstrahlung ist auch das Ergebnis der Lebenserfahrung einer Persönlichkeit. Und so bestimmt sich auch die musikalische Tiefe eines Jazz-Solisten aus seinem gesamten Persönlichkeitsbild. Sicher hat Louis Armstrong in den 20er-Jahren des 20. Jahrhunderts technisch und musikalisch brillante Soli gespielt, die auch heute noch hörenswert sind. Der Sound seines Trompetenspiels in seinem fortgeschrittenen Alter enthält aber auch die Höhen und Tiefen seines Lebens und ist an musikalischer Ausdruckstärke um Welten von seiner früheren Spielweise entfernt. Das Gleiche gilt auch für Musiker wie Miles Davis oder Sonny Rollins. Gerade da im Jazz die Individualität des musikalischen Ausdrucks im Vordergrund steht, ergeben sich hier auch besondere Möglichkeiten des Einbringens der individuellen Persönlichkeit des Musikers. Auch im Management sind Dynamik, Aggressivität und technische Brillanz noch nicht alles. Große Unter nehmer - persönlichkeiten strahlen Sozialkompetenz, Lebenserfahrung und Souveränität aus. Lernen und Leben gehören dann zusammen. Literatur: Barrett, F. J. (1998): Creativity and Improvisation in Jazz and Organizations: Implications for Organizational Learning, in: Organization Science, Vol. 9, No. 5, Sept./Oct., (1998), S. 605 – 622. Davis, M. (2000): Die Autobiographie; Heyne Verlag, München 2000. Kahn, A. (2001): Kind of Blue: The Making Of The Miles Davis Masterpiece; Granta Books, London 2001. Lewin, A. Y. (1998): Jazz Improvisation as a Metaphor for Organization Theory, in: Organization Science, Vol. 9, No. 5 (1998), S. 539. Mintzberg, H. (1999): Strategiesafari. Eine Reise durch die Wildnis des strategischen Managements; Ueberreuter Verlag, Wien 1999. Organization Science, Vol. 9, No. 5, 1998. Plattner, H.; Scheer, A.-W.; Wendt, S.; Morrow, D. S. (2000): Hasso Plattner im Gespräch: Dem Wandel voraus; Galileo Press, Bonn 2000. Scheer, A.-W. (2000): Unternehmen gründen ist nicht schwer ...; Springer Verlag, Berlin et al. 2000. Scholz, C. (2000): Strategische Organisation: Multiperspektivität und Virtualität, 2. überarbeitete Auflage; Verlag Moderne Industrie, Landsberg/Lech 2000. Tomenendal, M. (2002): Virtuelle Organisation am Rande des Chaos – Eine complex-dynamische Modellierung organisatorischer Virtualität, Diss., Saarbrücken 2002. Wilson, P. N. (1991): Sonny Rollins. Sein Leben, seine Musik, seine Schallplatten; Oreos Verlag, Schaftlach 1991. ARIS Expert Paper 11

Die Grammatik ist für einen <strong>Jazz</strong>-Musiker die <strong>Jazz</strong>-Harmonielehre. Während ein Orchestermusiker eines klassischen<br />

Orchesters im Wesentlichen die Fähigkeit besitzen muss, vom Blatt zu spielen <strong>und</strong> deswegen tiefe Kenntnisse in der<br />

Harmonie lehre nicht unbedingt erforderlich sind, ist dies bei einem <strong>Jazz</strong>-Musiker ausgesprochen wichtig <strong>und</strong> bringt ihn<br />

damit auch näher zu den Anforderungen, die man in der klassischen Musik an einen Komponisten stellt. Neben der<br />

Harmoniestruktur, also der Grammatik, ist aber auch der Wortvorrat wichtig. Hier gibt es unzählige Melodiefolgen, meistens<br />

auf ein bis vier Takte beschränkt, die für einzelne Akkorde <strong>und</strong> Akkordfolgen geübt werden können. Diese Melodie -<br />

phrasen stur auswendig zu lernen <strong>und</strong> hinterher in einem Solo mechanisch aneinander zu reihen, ist allerdings noch lange<br />

keine gelungene <strong>Improvisation</strong>. Hier fehlt dann musikalische Tiefe, überraschende Ideen <strong>und</strong> auch emotionale<br />

Beteiligung.<br />

Bei einem Manager ist die Beeinflussung seines Teams, eines Entscheidungsgremiums seines K<strong>und</strong>en durch rhetorischen<br />

Beiträge ein wichtiges Instrument. Auf einer Rednerschule gelernte Phrasen sind häufig sofort als solche zu<br />

erkennen <strong>und</strong> wirken wenig überzeugend, sondern eher entlarvend. Charismatische Ausstrahlung ist auch das Ergebnis<br />

der Lebenserfahrung einer Persönlichkeit. Und so bestimmt sich auch die musikalische Tiefe eines <strong>Jazz</strong>-Solisten aus seinem<br />

gesamten Persönlichkeitsbild. Sicher hat Louis Armstrong in den 20er-Jahren des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts technisch <strong>und</strong><br />

musikalisch brillante Soli gespielt, die auch heute noch hörenswert sind. Der So<strong>und</strong> seines Trompetenspiels in seinem<br />

fortgeschrittenen Alter enthält aber auch die Höhen <strong>und</strong> Tiefen seines Lebens <strong>und</strong> ist an musikalischer Ausdruckstärke<br />

um Welten von seiner früheren Spielweise entfernt. Das Gleiche gilt auch für Musiker wie Miles Davis oder Sonny Rollins.<br />

Gerade da im <strong>Jazz</strong> die Individualität des musikalischen Ausdrucks im Vordergr<strong>und</strong> steht, ergeben sich hier auch besondere<br />

Möglichkeiten des Einbringens der individuellen Persönlichkeit des Musikers.<br />

Auch im <strong>Management</strong> sind Dynamik, Aggressivität <strong>und</strong> technische Brillanz noch nicht alles. Große Unter nehmer -<br />

persönlichkeiten strahlen Sozialkompetenz, Lebenserfahrung <strong>und</strong> Souveränität aus. Lernen <strong>und</strong> Leben gehören dann<br />

zusammen.<br />

Literatur:<br />

Barrett, F. J. (1998):<br />

Creativity and <strong>Improvisation</strong> in <strong>Jazz</strong> and Organizations: Implications for Organizational Learning, in: Organization Science,<br />

Vol. 9, No. 5, Sept./Oct., (1998), S. 605 – 622.<br />

Davis, M. (2000):<br />

Die Autobiographie; Heyne Verlag, München 2000.<br />

Kahn, A. (2001):<br />

Kind of Blue: The Making Of The Miles Davis Masterpiece; Granta Books, London 2001.<br />

Lewin, A. Y. (1998):<br />

<strong>Jazz</strong> <strong>Improvisation</strong> as a Metaphor for Organization Theory, in: Organization Science, Vol. 9, No. 5 (1998), S. 539.<br />

Mintzberg, H. (1999):<br />

Strategiesafari. Eine Reise durch die Wildnis des strategischen <strong>Management</strong>s; Ueberreuter Verlag, Wien 1999.<br />

Organization Science, Vol. 9, No. 5, 1998.<br />

Plattner, H.; <strong>Scheer</strong>, A.-W.; Wendt, S.; Morrow, D. S. (2000):<br />

Hasso Plattner im Gespräch: Dem Wandel voraus; Galileo Press, Bonn 2000.<br />

<strong>Scheer</strong>, A.-W. (2000):<br />

Unternehmen gründen ist nicht schwer ...; Springer Verlag, Berlin et al. 2000.<br />

Scholz, C. (2000):<br />

Strategische Organisation: Multiperspektivität <strong>und</strong> Virtualität, 2. überarbeitete Auflage; Verlag Moderne Industrie,<br />

Landsberg/Lech 2000.<br />

Tomenendal, M. (2002):<br />

Virtuelle Organisation am Rande des Chaos – Eine complex-dynamische Modellierung organisatorischer Virtualität, Diss.,<br />

Saarbrücken 2002.<br />

Wilson, P. N. (1991):<br />

Sonny Rollins. Sein Leben, seine Musik, seine Schallplatten; Oreos Verlag, Schaftlach 1991.<br />

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