Recht und Gerechtigkeit - stiftung-utz.de

Recht und Gerechtigkeit - stiftung-utz.de Recht und Gerechtigkeit - stiftung-utz.de

stiftung.utz.de
von stiftung.utz.de Mehr von diesem Publisher
13.09.2013 Aufrufe

THOMAS VON AQUIN RECHT UND GERECHTIGKEIT Theologische Summe II—II, Fragen 57—79 Nachfolgefassung von Band 18 der Deutschen Thomasausgabe Neue Übersetzung von Prof. Dr. Josef F. Groner Anmerkungen, sowie vollständig überarbeiteter und ergänzter Kommentar von Prof. Dr. Dr. h.c. Arthur F. Utz IfG VERLAGSGESELLSCHAFT MBH BONN

THOMAS VON AQUIN<br />

RECHT UND GERECHTIGKEIT<br />

Theologische Summe II—II, Fragen 57—79<br />

Nachfolgefassung von Band 18 <strong>de</strong>r<br />

Deutschen Thomasausgabe<br />

Neue Übersetzung<br />

von<br />

Prof. Dr. Josef F. Groner<br />

Anmerkungen, sowie vollständig überarbeiteter<br />

<strong>und</strong> ergänzter Kommentar<br />

von<br />

Prof. Dr. Dr. h.c. Arthur F. Utz<br />

IfG VERLAGSGESELLSCHAFT MBH BONN


CIP-Kurztitelaufnahme <strong>de</strong>r Deutschen Bibliothek<br />

Thomas :<br />

<strong>Recht</strong> <strong>und</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>: Theol. Summe II—II,<br />

Fragen 57—79/Thomas von Aquin. Anm., sowie vollst, überarb.<br />

u. erg. Kommentar von Arthur F. Utz. —<br />

Nachfolgefassung von Bd. 18 d. Deutschen Thomasausgabe/<br />

neue Ubers, von Josef F. Groner. — Bonn: IfG-Verlagsgesellschaft, 1987.<br />

Einheitssacht.: Summa theologica Teiiausg.<br />

ISBN 3-922183-15-8<br />

NE: Utz, Arthur [Hrsg.]


VORWORT<br />

Der 18. Band <strong>de</strong>r Deutschen Thomasausgabe war kurze Zeit<br />

nach seinem Erscheinen (1953) vergriffen. Die Anfragen, ob ich<br />

noch irgendwo ein Exemplar dieses Ban<strong>de</strong>s auftreiben könne,<br />

häuften sich. Einige Bibliotheken teilten mir sogar mit, <strong>de</strong>r Band<br />

sei abhan<strong>de</strong>n gekommen. Der Verlag Styria/Graz konnte sich<br />

für eine Neuauflage nicht entschließen. Dankenswerterweise<br />

hat es nun <strong>de</strong>r Verlag <strong>de</strong>s Instituts für Gesellschaftswissen­<br />

schaften Walberberg in Bonn gewagt, diese Nachfolgefassung<br />

zu übernehmen.<br />

Die Nachfolgefassung unterschei<strong>de</strong>t sich bereits äußerlich<br />

von <strong>de</strong>r ersten Auflage innerhalb <strong>de</strong>r Deutschen Thomasaus­<br />

gabe. Sie bringt nicht mehr <strong>de</strong>n lateinischen Text. Ein Großteil<br />

<strong>de</strong>r Leser <strong>de</strong>r Werke <strong>de</strong>s hl. Thomas von Aquin ist mit <strong>de</strong>m<br />

Lateinischen nicht mehr so vertraut, wie man es noch vor etwa<br />

fünfzig Jahren voraussetzen konnte. Die übrigen Leser können<br />

eine <strong>de</strong>r leicht zugänglichen lateinischen Summa-Ausgaben ein­<br />

sehen. Wer die <strong>de</strong>utsche Übersetzung <strong>de</strong>r ersten Auflage von<br />

Bd. 18 <strong>de</strong>r Deutschen Thomasausgabe zur Hand nimmt, ist<br />

zum vollen Verständnis sehr oft auf das Mitlesen <strong>de</strong>r lateinischen<br />

Parallele angewiesen. Darum bestand die Absicht, eine <strong>de</strong>utsche<br />

Übersetzung anzufertigen, die ohne Rückgriff auf <strong>de</strong>n lateini­<br />

schen Text voll <strong>und</strong> ganz verständlich sein sollte. Als neuen<br />

Übersetzer konnte ich meinen Mitbru<strong>de</strong>r <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong> Prof.<br />

Dr. Groner gewinnen. Mit sprachlichem Geschick <strong>und</strong> mit<br />

gründlicher Kenntnis <strong>de</strong>s Thomas-Lateins hat er nun einen<br />

<strong>de</strong>utschen Text erstellt, <strong>de</strong>r das Original adaequat auf <strong>de</strong>utsch<br />

wie<strong>de</strong>rgibt, weshalb man auf die lateinische Vorlage verzichten<br />

kann.<br />

Den Kommentar habe ich vollständig überarbeitet <strong>und</strong> zum<br />

Teil auch wesentlich ergänzt. Auch im Teil „Anmerkungen"<br />

wird <strong>de</strong>rjenige, <strong>de</strong>r die erste Auflage besitzt, manche Än<strong>de</strong>run­<br />

gen feststellen. Auf die allgemein in wissenschaftlichen Werken<br />

eingehaltene Gewohnheit, möglichst viel Literatur in Fußnoten<br />

V


anzuführen, habe ich verzichtet. Ein Kommentar zu Thomas<br />

von Aquin sollte nicht schon nach wenigen Jahren als veraltet<br />

beiseite gelegt wer<strong>de</strong>n, weil <strong>de</strong>r literarische Apparat <strong>de</strong>n wissen­<br />

schaftlichen Prestigenormen nicht mehr zu entsprechen scheint.<br />

Ich habe lediglich <strong>de</strong>n einen o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Titel, <strong>de</strong>r für <strong>de</strong>n Band<br />

von einiger Be<strong>de</strong>utung ist, im Literaturverzeichnis nachgetra­<br />

gen. Wer mehr wünscht, kann meine „Bibliographie <strong>de</strong>r Sozial­<br />

ethik" zu Rate ziehen. Die gr<strong>und</strong>sätzlichen Fragen über das<br />

Naturrecht bei Thomas von Aquin, die <strong>de</strong>m vorliegen<strong>de</strong>n Band<br />

thematisch vorausgehen (I—II 90—97), möchte ich auf gleiche<br />

Weise wie hier an absehbarer Zeit herausbringen, dies u. a. (vgl.<br />

Anm. 1 in <strong>de</strong>r Einleitung) <strong>de</strong>shalb, weil ich mich mit diesem<br />

Kommentar seit Jahrzehnten beschäftige.<br />

Übersetzer <strong>und</strong> Kommentator danken Dr. Brigitta Gräfin<br />

von Galen für die redaktionelle Überarbeitung <strong>de</strong>r Manu­<br />

skripte, die Lesung <strong>de</strong>r Korrekturen <strong>und</strong> die Erstellung <strong>de</strong>r<br />

Verzeichnisse.<br />

Mit <strong>de</strong>r vorliegen<strong>de</strong>n Neufassung hoffen Übersetzer <strong>und</strong><br />

Kommentator, <strong>de</strong>r Deutschen Thomasausgabe einen Dienst<br />

erwiesen zu haben.<br />

VI<br />

A.F.Utz OP


INHALTSVERZEICHNIS<br />

VORWORT V<br />

EINLEITUNG XIX<br />

DER AUFBAU DER ARTIKEL XXVI<br />

TEXT 1<br />

57. FRAGE: DAS RECHT 3<br />

1. Artikel: Ist das <strong>Recht</strong> das Objekt <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>? .... 3<br />

2. Artikel: Wird das <strong>Recht</strong> zutreffend in Naturrecht <strong>und</strong> posi­<br />

tives <strong>Recht</strong> eingeteilt? 5<br />

3. Artikel: Ist das Völkerrecht das gleiche wie das Naturrecht ? 7<br />

4. Artikel: Müssen väterliches <strong>und</strong> herrschaftliches <strong>Recht</strong><br />

beson<strong>de</strong>rs unterschie<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n? 9<br />

58. FRAGE: DIE GERECHTIGKEIT 12<br />

1. Artikel: Ist die Definition <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>: Der unwan­<br />

<strong>de</strong>lbare <strong>und</strong> feste Wille, je<strong>de</strong>m das Seine zu geben,<br />

richtig? 12<br />

2. Artikel: Ist die <strong>Gerechtigkeit</strong> auf einen an<strong>de</strong>ren bezogen? 15<br />

3. Artikel: Ist die <strong>Gerechtigkeit</strong> Tugend? 17<br />

4. Artikel: Hat die <strong>Gerechtigkeit</strong> ihren Sitz im Willen? .... 18<br />

5. Artikel: Ist die <strong>Gerechtigkeit</strong> „allgemeine Tugend"? .... 20<br />

6. Artikel: Ist die <strong>Gerechtigkeit</strong> als allgemeine Tugend wesent­<br />

lich je<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Tugend gleich? 21<br />

7. Artikel: Gibt es außer <strong>de</strong>r allgemeinen <strong>Gerechtigkeit</strong> noch<br />

eine beson<strong>de</strong>re <strong>Gerechtigkeit</strong>? 23<br />

8. Artikel: Hat die Son<strong>de</strong>rgerechtigkeit einen eigenen Wirk­<br />

bereich? 25<br />

9. Artikel: Hat die Gesetzesgerechtigkeit etwas mit <strong>de</strong>n Lei­<br />

<strong>de</strong>nschaften zu tun? 27<br />

10. Artikel: Ist die Tugendmitte gleich <strong>de</strong>r Sachmitte? 29<br />

VII


11. Artikel: Besteht <strong>de</strong>r Akt <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> darin, je<strong>de</strong>m<br />

das Seine zu geben? 30<br />

12. Artikel: Steht die <strong>Gerechtigkeit</strong> an <strong>de</strong>r Spitze <strong>de</strong>r sittlichen<br />

Tugen<strong>de</strong>n? 32<br />

59. FRAGE: DIE UNGERECHTIGKEIT 34<br />

1. Artikel: Ist die Ungerechtigkeit ein beson<strong>de</strong>res Laster? . . 34<br />

2. Artikel: Heißt jemand ungerecht, weil <strong>de</strong>r Ungerechtes tut? 35<br />

3. Artikel: Kann jemand willentlich Unrecht lei<strong>de</strong>n? 37<br />

4. Artikel: Sündigt schwer, wer Unrecht tut? • 39<br />

60. FRAGE: DIE RECHTSPRECHUNG 41<br />

1. Artikel: Ist die <strong>Recht</strong>sprechung ein Akt <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> ? 41<br />

2. Artikel: Ist es erlaubt, <strong>Recht</strong> zu sprechen? 43<br />

3. Artikel: Ist ein Urteil auf bloßen Verdacht hin erlaubt? . . 45<br />

4. Artikel: Müssen Zweifel nach <strong>de</strong>r günstigeren Seite hin<br />

gelöst wer<strong>de</strong>n? 47<br />

5. Artikel: Muß man immer nach <strong>de</strong>m geschriebenen Gesetz<br />

<strong>Recht</strong> sprechen? 49<br />

6. Artikel: Wird die <strong>Recht</strong>sprechung durch Anmaßung beein­<br />

trächtigt? 50<br />

61. FRAGE: DIE TEILE DER GERECHTIGKEIT 53<br />

1. Artikel: Gibt es zwei Arten von <strong>Gerechtigkeit</strong>, die austei­<br />

len<strong>de</strong> <strong>und</strong> die ausgleichen<strong>de</strong>? 53<br />

2. Artikel: Wird die „Mitte" bei <strong>de</strong>r austeilen<strong>de</strong>n <strong>und</strong> <strong>de</strong>r<br />

ausgleichen<strong>de</strong>n <strong>Gerechtigkeit</strong> auf gleiche Weise<br />

bestimmt? 55<br />

3. Artikel: Haben die bei<strong>de</strong>n Arten von <strong>Gerechtigkeit</strong> ver­<br />

schie<strong>de</strong>ne Materien? 57<br />

4. Artikel: Ist <strong>Gerechtigkeit</strong> einfachhin das gleiche wie Ver­<br />

geltung? 60<br />

62. FRAGE: DIE RÜCKERSTATTUNG 63<br />

1. Artikel: Ist die Rückerstattung ein Akt <strong>de</strong>r ausgleichen<strong>de</strong>n<br />

VIII<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>? 63


2. Artikel: Ist die Rückgabe einer entwen<strong>de</strong>ten Sache zum<br />

ewigen Heil notwendig? 65<br />

3. Artikel: Genügt es, einfach das zurückzugeben, was zu<br />

Unrecht weggenommen wur<strong>de</strong>? 67<br />

4. Artikel: Muß jemand zurückgeben, was er nicht entwen<strong>de</strong>t<br />

hat? 68<br />

5. Artikel: Muß man immer <strong>de</strong>m zurückerstatten, von <strong>de</strong>m<br />

man etwas genommen hat? 70<br />

6. Artikel: Muß immer jener zurückerstatten, <strong>de</strong>r entwen<strong>de</strong>t<br />

hat? 72<br />

7. Artikel: Sind die, die nichts entwen<strong>de</strong>t haben, zur Wie<strong>de</strong>r­<br />

erstattung verpflichtet? 74<br />

8. Artikel: Muß man sofort zurückgeben o<strong>de</strong>r darf man die<br />

Restitution hinauszögern? 77<br />

63. FRAGE: DAS „ANSEHEN DER PERSON" 79<br />

1. Artikel: Ist das „Ansehen <strong>de</strong>r Person" eine Sün<strong>de</strong>? 79<br />

2. Artikel: Spielt bei <strong>de</strong>r Verleihung von geistlichen Gütern<br />

das „Ansehen <strong>de</strong>r Person" eine Rolle? 81<br />

3. Artikel: Kommt es bei <strong>de</strong>r Erweisung von Ehre <strong>und</strong> Hoch­<br />

achtung zum „Ansehen <strong>de</strong>r Person" ? 84<br />

4. Artikel: Gibt es bei Gerichtsentscheidungen die Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>s<br />

„Ansehens <strong>de</strong>r Person" ? 85<br />

64. FRAGE: DER MORD 87<br />

1. Artikel: Darf man irgendwelche Lebewesen töten? 87<br />

2. Artikel: Ist es erlaubt, Sün<strong>de</strong>r zu töten? 89<br />

3. Artikel: Darf eine Privatperson einen Sün<strong>de</strong>r töten? .... 91<br />

4. Artikel: Ist es Geistlichen erlaubt, Verbrecher zu töten? . . 92<br />

5. Artikel: Darf man sich selber töten? . 94<br />

6. Artikel: Darf man in bestimmten Fällen einen Unschuldi­<br />

gen töten? 97<br />

7. Artikel: Darf man in Notwehr jeman<strong>de</strong>n töten? 99<br />

8. Artikel: Verstrickt sich, wer zufällig einen Menschen tötet,<br />

in Schuld? 101<br />

IX


65. FRAGE: ANDERE ARTEN VON UNRECHT GEGEN<br />

PERSONEN 103<br />

1. Artikel: Kann es gegebenenfalls erlaubt sein, jeman<strong>de</strong>n zu<br />

verstümmeln? 103<br />

2. Artikel: Dürfen Väter ihre Kin<strong>de</strong>r o<strong>de</strong>r die Herren ihre<br />

Dienerschlagen? 105<br />

3. Artikel: Ist es erlaubt, einen Menschen einzukerkern? . . . 107<br />

4. Artikel: Wird die Sün<strong>de</strong> schwerer, wenn durch die gegen<br />

bestimmte Personen begangenen Unrechtstaten<br />

an<strong>de</strong>re mitbetroffen wer<strong>de</strong>n? 108<br />

66. FRAGE: DIEBSTAHL UND RAUB 111<br />

1. Artikel: Kommt materieller Besitz <strong>de</strong>m Menschen von<br />

Natur aus zu ? 111<br />

2. Artikel: Ist Privateigentum erlaubt? 113<br />

3. Artikel: Besteht Diebstahl in <strong>de</strong>r geheimen Wegnahme<br />

einer frem<strong>de</strong>n Sache? 115<br />

4. Artikel: Sind Diebstahl <strong>und</strong> Raub spezifisch verschie<strong>de</strong>ne<br />

Sün<strong>de</strong>n? 116<br />

5. Artikel: Ist Diebstahl immer Sün<strong>de</strong>? 118<br />

6. Artikel: Ist Diebstahl schwere Sün<strong>de</strong>? 120<br />

7. Artikel: Darf man aus Not stehlen? 121<br />

8. Artikel: Kann Raub Sün<strong>de</strong> sein? 123<br />

9. Artikel: Ist Raub eine schwerere Sün<strong>de</strong> als Diebstahl? . . . 125<br />

67. FRAGE: DIE MISSACHTUNG DER GERECHTIGKEIT<br />

X<br />

BEI DER AUSÜBUNG DES RICHTERAMTES 126<br />

1. Artikel: Kann <strong>de</strong>r Richter über jeman<strong>de</strong>n urteilen, für <strong>de</strong>n<br />

er nicht zuständig ist? 126<br />

2. Artikel: Ist es erlaubt, angesichts <strong>de</strong>r vorgebrachten Aus­<br />

sagen ein Urteil gegen das eigene bessere Wissen<br />

Zufällen? 128<br />

3. Artikel: Kann <strong>de</strong>r Richter tätig wer<strong>de</strong>n, auch wenn kein<br />

Kläger vorhan<strong>de</strong>n ist? 130<br />

4. Artikel: Darf <strong>de</strong>r Richter die Strafe erlassen? 132


68. FRAGE: DIE UNGERECHTE ANKLAGE 134<br />

1. Artikel: Ist man verpflichtet, Anklage zu erheben? 134<br />

2. Artikel: Muß die Anklage schriftlich abgefaßt wer<strong>de</strong>n? . . . 136<br />

3. Artikel: Wird die Anklage ungerecht durch Verleumdung,<br />

Verheimlichung (praevaricatio) <strong>und</strong> Wi<strong>de</strong>rruf (ter-<br />

giversatio)? 137<br />

4. Artikel: Verfällt ein Ankläger, <strong>de</strong>r in seiner Beweisführung<br />

versagt, <strong>de</strong>r Strafe <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rvergeltung? 139<br />

69. FRAGE: DIE SÜNDEN DES ANGEKLAGTEN GEGEN<br />

DIE GERECHTIGKEIT 142<br />

1. Artikel: Kann <strong>de</strong>r Angeklagte, ohne eine Todsün<strong>de</strong> zu be­<br />

gehen, die Wahrheit leugnen, die seine Verurtei­<br />

lung zur Folge hätte? 142<br />

2. Artikel: Darf sich <strong>de</strong>r Angeklagte mit unredlichen Mitteln<br />

verteidigen? 144<br />

3. Artikel: Darf <strong>de</strong>r Schuldige Berufung einlegen, um <strong>de</strong>r Ver­<br />

urteilung zu entgehen? 146<br />

4. Artikel: Darf sich ein zum Tod Verurteilter verteidigen,<br />

wenn er kann? 148<br />

70. FRAGE: DIE VERSTÖSSE GEGEN DIE GERECHTIG­<br />

KEIT DURCH DEN ZEUGEN 150<br />

1. Artikel: Ist man zur Zeugenaussage verpflichtet? 150<br />

2. Artikel-: Genügt die Aussage von zwei o<strong>de</strong>r drei Zeugen? 152<br />

3. Artikel: Kann die Aussage eines Zeugen, ohne daß bei ihm<br />

Schuld vorliegt, zurückgewiesen wer<strong>de</strong>n? 155<br />

4. Artikel: Ist falsche Zeugenaussage immer Todsün<strong>de</strong>? .... 157<br />

71. FRAGE: DIE UNGERECHTIGKEITEN, DIE VOR<br />

GERICHT DURCH DIE ANWÄLTE BEGAN­<br />

GEN WERDEN 159<br />

1. Artikel: Ist <strong>de</strong>r Anwalt verpflichtet, als <strong>Recht</strong>sbeistand im<br />

Prozeß eines Armen mitzuwirken? 159<br />

2. Artikel: Ist es in Ordnung, daß bestimmte Personen recht­<br />

mäßig vom Amt <strong>de</strong>s Anwalts ausgeschlossen wer­<br />

<strong>de</strong>n? 161<br />

XI


3. Artikel: Sündigt <strong>de</strong>r Anwalt, <strong>de</strong>r eine ungerechte Sache<br />

vertritt? 163<br />

4. Artikel: Darf <strong>de</strong>r Anwalt für seinen <strong>Recht</strong>sbeistand Geld<br />

nehmen? 165<br />

72. FRAGE: DIE SCHMÄHUNG 167<br />

1. Artikel: Besteht die Schmähung in Worten? 167<br />

2. Artikel: Ist Schmähung o<strong>de</strong>r Beschimpfung Todsün<strong>de</strong>? . . 169<br />

3. Artikel: Muß man zugefügte Schmähung dul<strong>de</strong>n? 171<br />

4. Artikel: Entspringt die Schmähung <strong>de</strong>m Zorn? 173<br />

73. FRAGE: DIE EHRABSCHNEIDUNG 175<br />

1. Artikel: Besteht die Ehrabschneidung in <strong>de</strong>r Anschwärzung<br />

frem<strong>de</strong>n Leum<strong>und</strong>s durch heimliche Worte? .... 175<br />

2. Artikel: Ist Ehrabschneidung Todsün<strong>de</strong>? 177<br />

3. Artikel: Ist Ehrabschneidung die schwerste aller Sün<strong>de</strong>n<br />

gegen <strong>de</strong>n Nächsten, 179<br />

4. Artikel: Sündigt <strong>de</strong>r Zuhörer, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Ehrabschnei<strong>de</strong>r ge­<br />

währen läßt, schwer? 182<br />

74. FRAGE: DIE OHRENBLÄSEREI 185<br />

1. Artikel: Unterschei<strong>de</strong>t sich die Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Ohrenbläserei<br />

von <strong>de</strong>r Ehrabschneidung? 185<br />

2. Artikel: Ist die Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Ehrabschneidung schwerer als<br />

die Ohrenbläserei? 186<br />

75. FRAGE: DIE VERSPOTTUNG 189<br />

1. Artikel: Ist die Verspottung eine beson<strong>de</strong>re Sün<strong>de</strong>? 189<br />

2. Artikel: Kann Verspottung Todsün<strong>de</strong> sein? 191<br />

76. FRAGE: DIE VERFLUCHUNG 193<br />

1. Artikel: Darf man jemand verfluchen? 193<br />

2. Artikel: Darf man etwas Vernunftloses verfluchen? 195<br />

3. Artikel: Ist Verfluchen Todsün<strong>de</strong>? 197<br />

4. Artikel: Ist Verfluchen eine schwerere Sün<strong>de</strong> als Ehrab­<br />

xn<br />

schneidung? 198


77. FRAGE: DER BETRUG BEI KAUF UND VERKAUF . . 200<br />

1. Artikel: Darf man etwas über seinen Wert verkaufen? . . . 200<br />

2. Artikel: Wird <strong>de</strong>r Verkauf ungerecht <strong>und</strong> unerlaubt wegen<br />

Fehlerhaftigkeit <strong>de</strong>r verkauften Sache? 203<br />

3. Artikel: Muß <strong>de</strong>r Verkäufer auf einen Warenfehler hin­<br />

weisen? 206<br />

4. Artikel: Darf bei Han<strong>de</strong>lsgeschäften <strong>de</strong>r Verkaufspreis<br />

höher sein als <strong>de</strong>r Einkaufspreis? 208<br />

78. FRAGE: DIE SÜNDE DES ZINSNEHMENS 211<br />

1. Artikel: Ist es Sün<strong>de</strong>, Zins für geliehenes Geld anzuneh­<br />

men? 211<br />

2. Artikel: Kann man für ein Darlehen irgen<strong>de</strong>ine an<strong>de</strong>re<br />

Gefälligkeit erbitten? 215<br />

3. Artikel: Muß man <strong>de</strong>n Gewinn aus Wucherzinsen zurück­<br />

erstatten? 219<br />

4. Artikel: Ist es erlaubt, gegen Zins ein Darlehen aufzuneh­<br />

men? 220<br />

79. FRAGE: DIE DER VERVOLLSTÄNDIGUNG DIENEN­<br />

DEN TEILTUGENDEN DER GERECHTIG­<br />

KEIT 223<br />

1. Artikel: Sind Das-Gute-tun <strong>und</strong> Das-Böse-mei<strong>de</strong>n Teile<br />

<strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>? 223<br />

2. Artikel: Ist die Übertretung eine Sün<strong>de</strong> beson<strong>de</strong>rer Art? . . 225<br />

3. Artikel: Ist die Unterlassung eine Sün<strong>de</strong> beson<strong>de</strong>rer Art? . 227<br />

4. Artikel: Ist die Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Unterlassung schwerer als die<br />

Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Übertretung? 229<br />

ANMERKUNGEN 233<br />

KOMMENTAR 263<br />

Zur Einführung 265<br />

ERSTER TEIL: DAS WESEN DER GERECHTIGKEIT<br />

(Fr. 57-60) 267<br />

XIII


Erstes Kapitel: Das <strong>Recht</strong> als Gegenstand <strong>de</strong>r Tugend <strong>de</strong>r<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> (Fr. 57) 267<br />

I. Der Begriff <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s (Art. 1) 267<br />

II. Naturrecht <strong>und</strong> positives <strong>Recht</strong> (Art. 2-4) 274<br />

1. Die Entstehung <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s aufgr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r Natur <strong>und</strong> <strong>de</strong>r<br />

positiven Satzung (Art. 2) 274<br />

2. Die Naturrechtslehre <strong>de</strong>s hl. Thomas <strong>und</strong> die <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>r­<br />

nen <strong>Recht</strong>sphilosophie 277<br />

a) Die Normen <strong>de</strong>s Naturrechts 277<br />

b) Der rechtslogische Prozeß von <strong>de</strong>n Normen zum<br />

konkreten <strong>Recht</strong> 289<br />

3. Das „jus gentium" (Art. 3) 292<br />

4. Vaterrecht <strong>und</strong> Herrschaftsrecht (Art. 4) 298<br />

Zweites Kapitel: <strong>Gerechtigkeit</strong> als Tugend (Fr.58) 302<br />

1. Die allgemeine Begriffsbestimmung <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>de</strong>ren sittliche Bewandtnis (Art. 1-4) 302<br />

2. Die allgemeine <strong>Gerechtigkeit</strong>. Das Problem <strong>de</strong>r sozialen<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> (Art. 5 u. 6) 307<br />

3. Die Son<strong>de</strong>rgerechtigkeit (Art. 7-10) 312<br />

4. Das gerechte Tun (Art. 11) 313<br />

5. Die Werthöhe <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> (Art. 12) 314<br />

Drittes Kapitel: Die Ungerechtigkeit (Fr.59) 315<br />

Viertes Kapitel: Die <strong>Recht</strong>sprechung (Fr.60) 317<br />

ZWEITER TEIL: DIE TEILTUGENDEN DER GERECH­<br />

TIGKEIT (Fr. 61-79) 322<br />

Erstes Kapitel: Die ausgleichen<strong>de</strong> <strong>und</strong> die austeilen<strong>de</strong> Ge­<br />

rechtigkeit (Fr. 61 u. 62) 322<br />

Zweites Kapitel: Die Sün<strong>de</strong>n gegen die austeilen<strong>de</strong> Gerech­<br />

tigkeit. Die falsche Rücksicht auf Personen<br />

(Fr. 63) 325<br />

Drittes Kapitel: Die Sün<strong>de</strong>n gegen die ausgleichen<strong>de</strong> Ge­<br />

XIV<br />

rechtigkeit (Fr. 64-78) 327


I. Der Mord (Fr. 64) 328<br />

1. Die To<strong>de</strong>sstrafe (Art. 1-4) 328<br />

a) Schuld <strong>und</strong> Strafe 329<br />

b) Staatsgewalt <strong>und</strong> To<strong>de</strong>sstrafe 333<br />

2. Der Selbstmord (Art. 5) 338<br />

a) Der Selbstmord als Verbrechen gegen sich selbst . . . 340<br />

b) Der Selbstmord als Verbrechen gegen die Gesellschaft 341<br />

c) Der Selbstmord als Sün<strong>de</strong> gegen Gott 341<br />

3. Die Tötung unschuldigen Lebens (Art. 6) 342<br />

4. Die Tötung eines lebensgefährlichen Angreifers (Art. 7) 343<br />

II. Die an<strong>de</strong>rn Eingriffe in das <strong>Recht</strong> <strong>de</strong>r Person, wie Körper­<br />

verletzung, Züchtigung, Freiheitsberaubung (Fr. 65) 346<br />

1. Die Körperverstümmelung (Art. 1) 346<br />

2. Die Prügelstrafe (Art. 2) 348<br />

3. Kerkerhaft <strong>und</strong> Gewahrsam (Art. 3) 349<br />

4. Das Unrecht in seiner Aus<strong>de</strong>hnung auf einen weiteren<br />

Personenkreis (Art. 4) 350<br />

III. Diebstahl <strong>und</strong> Raub (Fr. 66) 351<br />

A. Das Eigentumsrecht (Art. 1 u. 2) 351<br />

1. Der Streit um die Auslegung <strong>de</strong>r thomasischen Texte 351<br />

2. Das Eigentum als Naturrecht in <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen Schau­<br />

weise 354<br />

3. Die Lehre vom Eigentum in <strong>de</strong>r christlichen Tradition . . 365<br />

4. Die Lehre über das Eigentum beim hl. Thomas 385<br />

a) Der Zweck <strong>de</strong>r Güterwelt. Ihre soziale Bestimmung 385<br />

b) Kommunismus o<strong>de</strong>r private Eigentumsordnung? . . . 389<br />

c) Das <strong>Recht</strong> auf Eigentum ein Naturrecht? 394<br />

d) Die Reichweite <strong>de</strong>s Privaten 397<br />

e) Der Eigentumsbegriff <strong>de</strong>s hl. Thomas <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Wan<strong>de</strong>l<br />

<strong>de</strong>r Wirtschaft 398<br />

B. Die sittliche Bewertung <strong>de</strong>s Diebstahls <strong>und</strong> <strong>de</strong>s Raubes<br />

(Art. 3-9) 401<br />

XV


IV. Die Ungerechtigkeiten im gerichtlichen Prozeß (Art. 67-71) 405<br />

1. Die Ungerechtigkeiten vonseiten <strong>de</strong>s Richters (Fr. 67) . . 405<br />

2. Die Ungerechtigkeiten vonseiten <strong>de</strong>s Klägers (Fr. 68) . . . 406<br />

3. Die Ungerechtigkeiten vonseiten <strong>de</strong>s Angeklagten (Fr. 69) 407<br />

4. Die Ungerechtigkeiten vonseiten <strong>de</strong>r Zeugen (Fr. 70) . . 408<br />

5. Die Ungerechtigkeiten vonseiten <strong>de</strong>s Anwalts (Fr. 71) . . 409<br />

V. Die außergerichtlichen, durch Worte verursachten Unge­<br />

rechtigkeiten (Fr. 72-76) 411<br />

1. Die Schmähung (Fr. 72) 411<br />

2. Die Ehrabschneidung (Fr. 73) 412<br />

3. Die Ohrenbläserei (Fr. 74) 413<br />

4. Die Verspottung (Fr. 75) 413<br />

5. Die Verfluchung (Fr. 76) 414<br />

VI. Die Ungerechtigkeit in <strong>Recht</strong>sgeschäften (Fr. 77 u. 78) . . 414<br />

A. DerBetrug —die Sün<strong>de</strong> gegen <strong>de</strong>n gerechten Preis (Fr. 77) 416<br />

1. Der gerechte Preis 416<br />

2. Die Han<strong>de</strong>lsmoral 419<br />

B. Der Zins (Fr. 78) 424<br />

1. Die Beurteilung <strong>de</strong>r Rente (census) 426<br />

2. Der Darlehenszins 435<br />

Viertes Kapitel: Die Wesenselemente gerechten Han<strong>de</strong>lns<br />

(Fr. 79) 442<br />

Exkurs I: Die Anwendung <strong>de</strong>s Begriffs <strong>de</strong>r Ganzheit auf die<br />

Gesellschaftslehre 444<br />

Exkurs II: Der Wan<strong>de</strong>l im Begriff <strong>de</strong>r Gemeinwohlgerech­<br />

tigkeit. Soziale <strong>Gerechtigkeit</strong> — soziale Liebe .... 448<br />

Exkurs III: Der Gemeinwohlbegriff <strong>de</strong>s hl. Thomas <strong>und</strong> die<br />

XVI<br />

katholische Soziallehre 456<br />

1. Die Frage nach <strong>de</strong>r Systematik <strong>de</strong>r Sozialethik bei Tho­<br />

mas von Aquin <strong>und</strong> in <strong>de</strong>r katholischen Soziallehre . . . 456<br />

2. Der Konsens in <strong>de</strong>n Gr<strong>und</strong>thesen <strong>de</strong>r katholischen<br />

Soziallehre 457


3. Analyse <strong>de</strong>s Gemeinwohlbegriffs <strong>de</strong>r päpstlichen Ver­<br />

lautbarungen 461<br />

Unterscheidung von Wert- <strong>und</strong> Handlungsordnung . . 461<br />

Das Gemeinwohl als ethischer Wert 462<br />

Das Gemeinwohl in <strong>de</strong>r gesellschaftlichen Handlungs­<br />

ordnung 469<br />

Das Gemeinwohl <strong>de</strong>r Kirche <strong>und</strong> das ihm entsprechen<strong>de</strong><br />

Subsidiaritätsprinzip 472<br />

Zusammenfassung 475<br />

4. Die philosophische <strong>und</strong> theologische Interpretation <strong>de</strong>s<br />

Gemeinwohlbegriffs <strong>de</strong>r kirchlichen Soziallehre 477<br />

Das Objekt <strong>de</strong>r Interpretation 477<br />

a) Das Gemeinwohl bei Thomas von Aquin 479<br />

Zusammenfassung 484<br />

b) Das Gemeinwohl im Solidarismus von G. G<strong>und</strong>lach . 486<br />

c) Das Gemeinwohl bei Johannes Messner 493<br />

5. Die Anwendung <strong>de</strong>s Gemeinwohlbegriffs <strong>de</strong>r katho­<br />

lischen Soziallehre auf die Bestimmung <strong>de</strong>r Wohlfahrt. . 495<br />

Abkürzungen 499<br />

Literaturverzeichnis 503<br />

Alphabetisches Sachverzeichnis 523<br />

Namenverzeichnis 541<br />

XVII


EINLEITUNG<br />

Der vorliegen<strong>de</strong> Band überrascht wohl <strong>de</strong>n mo<strong>de</strong>rnen Leser<br />

durch die Reichhaltigkeit an Themen, die unter <strong>de</strong>m Sammelbe­<br />

griff „<strong>Recht</strong> <strong>und</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>" zusammengefaßt wer<strong>de</strong>n.<br />

Thomas breitet hier eine <strong>Recht</strong>sphilosophie aus, die sich mit<br />

vielen Einzelheiten <strong>de</strong>s gesellschaftlichen Zusammenseins<br />

befaßt <strong>und</strong> die darum schon rein äußerlich in die Richtung<br />

weist, nach welcher alle Einzeltraktate eingestellt sind: in die<br />

Richtung <strong>de</strong>s Naturrechts. Mit mo<strong>de</strong>rnen Begriffen ausge­<br />

drückt: es han<strong>de</strong>lt sich hier um eine „<strong>Recht</strong>sphilosophie", eine<br />

„Gesellschafts- <strong>und</strong> Staatsphilosophie" <strong>und</strong> nicht zuletzt um<br />

eine „Wirtschaftsethik", wobei <strong>de</strong>r Begriff <strong>de</strong>r Wirtschaftsethik<br />

nicht etwa nur ein allgemein sittlich-gutes Verhalten in wirt­<br />

schaftlichen Fragen besagen, son<strong>de</strong>rn das <strong>Recht</strong>sverhältnis aus­<br />

drücken will, das in <strong>de</strong>r Wirtschaftsgesellschaft geltend sein<br />

soll. Es gibt kaum ein Thema dieses Ban<strong>de</strong>s, das uns Mo<strong>de</strong>rne<br />

nicht zutiefst anspricht o<strong>de</strong>r wenigstens aufhorchen läßt <strong>und</strong> zu<br />

intensiverem Studium anregen wird. Neben <strong>de</strong>n gr<strong>und</strong>sätz­<br />

lichen Erörterungen über die Wesenheit <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s, seine Ent­<br />

stehung, seine völkerumfassen<strong>de</strong> Spannweite, seine Beziehung<br />

zur Moral, vernehmen wir Wichtiges über die Gr<strong>und</strong>rechte <strong>de</strong>s<br />

Menschen, über das <strong>Recht</strong> auf Leben - in Verbindung damit<br />

über das <strong>Recht</strong> <strong>de</strong>r Staatsgewalt, die To<strong>de</strong>sstrafe zu verhängen -<br />

<strong>und</strong> über das <strong>Recht</strong> auf körperliche Unversehrtheit. Nicht<br />

zuletzt kommt auch das <strong>Recht</strong> auf Eigentum zur Sprache. Mit<br />

diesem letzten Fragenkomplex führt Thomas bereits ins Gebiet<br />

<strong>de</strong>r Wirtschaftsethik ein. Hier sind es dann vor allem die mit<br />

<strong>de</strong>m Kapital <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Kapitalrendite, <strong>de</strong>m arbeitslosen Einkom­<br />

men, zusammenhängen<strong>de</strong>n Fragen, mit <strong>de</strong>nen sich Thomas<br />

beschäftigt. In Wahrheit also eine Summe <strong>de</strong>s Naturrechts als<br />

einer rechtlich friedlichen Regelung <strong>de</strong>r politischen, gesell­<br />

schaftlichen <strong>und</strong> wirtschaftlichen Ordnung.<br />

Um nicht über all diese brennen<strong>de</strong>n Gegenwartsfragen nur<br />

Allgemeines zu sagen, sei kurz auf die aktuelle Be<strong>de</strong>utung<br />

zweier gr<strong>und</strong>legen<strong>de</strong>n Erkenntnisse hingewiesen, die <strong>de</strong>m<br />

mo<strong>de</strong>rnen Leser <strong>de</strong>s vorliegen<strong>de</strong>n Ban<strong>de</strong>s als neu <strong>und</strong> unerwar­<br />

tet auffallen dürften <strong>und</strong> müßten:<br />

XIX


1. die thomasische Begründung <strong>de</strong>s Naturrechts, die durch<br />

die traditionelle Kommentierung manche Verschiebung, wenn<br />

nicht gar Verzeichnung erfahren hat 1 ;<br />

2. die Rückorientierung <strong>de</strong>r Eigentumslehre <strong>und</strong> <strong>de</strong>r damit<br />

zusammenhängen<strong>de</strong>n Probleme auf die altchristliche Tradition,<br />

die in <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen wirtschaftsethischen Diskussion allzu<br />

leicht übersehen wird.<br />

1. An Naturrechtslehrern hat es bis heute nicht gefehlt. Und<br />

auch an <strong>de</strong>r Berufung auf Thomas von Aquin mangelt es nicht.<br />

Ob man sich aber jeweils <strong>de</strong>r Tragweite einer solchen Berufung<br />

auf Thomas bewußt war? So hoch auch die Lehre <strong>de</strong>s hl.<br />

Thomas von <strong>de</strong>n ewigen Normen <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s <strong>und</strong> von <strong>de</strong>m<br />

damit gegebenen erkenntnistheoretischen Standpunkt eines<br />

gemäßigten Realismus anzuschlagen ist, so wäre <strong>de</strong>r mensch­<br />

lichen Gesellschaft damit noch nicht viel gedient, da diese Lehre<br />

allein rechtsphilosophisch nur ein Bruchstück wäre, utopisch,<br />

unbrauchbar für die Wirklichkeit. Man re<strong>de</strong>t eigentlich noch gar<br />

nicht vom spezifisch thomasischen Naturrecht, solange man<br />

nur die ewig gelten<strong>de</strong>n Normen menschlichen Zusammenseins<br />

meint. Und <strong>de</strong>r Kampf mit <strong>de</strong>m <strong>Recht</strong>spositivismus wird von<br />

seiten <strong>de</strong>r Scholastiker mit papiernen Waffen ausgefochten,<br />

solange sie einzig auf absolute Sittennormen für die Menschen<br />

pochen, aber nicht beweisen, daß diese Sittennormen zugleich<br />

auch <strong>Recht</strong>snormen im Sinne <strong>de</strong>r Organisation <strong>de</strong>s äußeren<br />

Lebens <strong>de</strong>r Menschen untereinan<strong>de</strong>r sind, <strong>und</strong> dazu <strong>Recht</strong>snor­<br />

men, die nicht nur ewig gelten, son<strong>de</strong>rn vor allem hier <strong>und</strong> jetzt<br />

in dieser genau bestimmten Form.<br />

Die <strong>Recht</strong>spositivisten haben darum immer <strong>de</strong>n Finger auf<br />

<strong>de</strong>n w<strong>und</strong>en Punkt <strong>de</strong>r Naturrechtslehre vieler Scholastiker<br />

gelegt, in<strong>de</strong>m sie Antwort verlangten auf die Frage: Auf wel-<br />

1 Thomas setzt allerdings in diesem Traktat die allgemeine Lehre vom Naturrecht<br />

voraus, die er in I—II 94-97 dargestellt hat. Ich habe vor, diesen Traktat<br />

<strong>de</strong>r Summa in einem eigenen Band zu veröffentlichen, da gera<strong>de</strong> dieser Teil im<br />

Kommentar <strong>de</strong>s bereits erschienenen Ban<strong>de</strong>s 13 <strong>de</strong>r Deutschen Thomasausgabe<br />

spärlich behan<strong>de</strong>lt wor<strong>de</strong>n ist.<br />

Auf die Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r Zinslehre <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Han<strong>de</strong>lsmoral <strong>de</strong>s hl. Thomas, die<br />

bei<strong>de</strong> in diesem Band zu Wort kommen, kann ich in dieser Einleitung nicht<br />

näher eingehen. Ich verweise auf <strong>de</strong>n Kommentar. Daß Thomas das Gewinnmotiv<br />

ablehnt, darf nicht überraschen. Wenn die Börsenspekulation (beson<strong>de</strong>rs<br />

auf <strong>de</strong>m Geldmarkt) keine sozialwirtschaftliche Funktion mehr ausübt,<br />

also einzig durch das individualistische Gewinnmotiv begrün<strong>de</strong>t ist, dann gilt<br />

das Verdikt, mit <strong>de</strong>m Thomas das Gewinnmotiv belegt, auch heute noch.<br />

XX


chem rechtslogischen Wege gelangt <strong>de</strong>r Mensch zu <strong>de</strong>m im kon­<br />

kreten Leben gelten<strong>de</strong>n Naturrecht, nicht also nur zu irgend­<br />

welchen Naturrechtsnormen, son<strong>de</strong>rn zu einem hier <strong>und</strong> jetzt<br />

gelten<strong>de</strong>n natürlichen <strong>Recht</strong>? Wo ist das Organ, welches rechts­<br />

erzeugend die ewigen Normen in konkret gelten<strong>de</strong>s <strong>Recht</strong><br />

umformt? Den <strong>Recht</strong>spositivisten von heute geht es eigentlich<br />

nicht um die Leugnung ewiger Gewissensnormen, die unser<br />

Gemeinschaftsleben regeln sollen. Die mo<strong>de</strong>rne Soziologie<br />

beweist zur Genüge, daß das <strong>Recht</strong>liche bei weitem nicht die<br />

einzige Kategorie ist, welche das gesellschaftliche Leben ordnet.<br />

Und alle Juristen sind sich darüber im klaren, daß isoliertes<br />

<strong>Recht</strong> die Gesellschaft nicht erhält, son<strong>de</strong>rn ertötet, gemäß <strong>de</strong>m<br />

angeblichen Ausspruch Ferdinands L: Fiat justitia, pereat<br />

m<strong>und</strong>us. Die absolute Notwendigkeit einer wenigstens einiger­<br />

maßen standfesten Moral besagt aber noch nicht, daß die Moral<br />

schon eine <strong>Recht</strong>skategorie sei. Dem Mo<strong>de</strong>rnen will es nicht<br />

einleuchten, daß man hier das Gewissen in <strong>de</strong>n rechtslogischen<br />

Prozeß, <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>n Normen zum gelten<strong>de</strong>n <strong>Recht</strong> führt, ein­<br />

schalten könne, zumal die Soziologie nachzuweisen glaubt, daß<br />

das Gewissen <strong>de</strong>r Menschen keine einheitliche Struktur besitze.<br />

W. Friedmann macht in seinem Buch „An introduction to world<br />

politics" (London 1951) die Feststellung, daß dasselbe Indivi­<br />

duum im politischen Raum mit einem ganz an<strong>de</strong>ren Gewissen<br />

urteile, als es im persönlichen Leben zu tun gewohnt sei. Der<br />

duldsamste <strong>und</strong> nachsichtigste Privatmann kann als Politiker in<br />

<strong>de</strong>r Verteidigung seiner nationalen Interessen über Menschen­<br />

leben, über ganze Nationen hinwegschreiten! Mit wieviel spöt­<br />

tischer Verachtung spricht nicht oft <strong>de</strong>r Christ von <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>rn<br />

Nation, während er sich sonst im persönlichen Leben um die<br />

christliche Nächstenliebe zu bemühen glaubt! Und was Fried­<br />

mann vom Politiker auf internationaler Plattform sagt, das gilt<br />

entsprechend auch im nationalen Raum, hier allerdings oft in<br />

umgekehrtem Verhältnis: Das Gewissen <strong>de</strong>s einzelnen Men­<br />

schen schreckt meistens noch vor öffentlichen sittlichen Ver­<br />

brechen zurück, während es im geheimen Winkel <strong>de</strong>s privaten<br />

Lebens zu ähnlichen Untaten schon längst fähig <strong>und</strong> gewillt ist.<br />

Bei dieser Sachlage scheint es also unmöglich, das Gewissen<br />

als Richter über die rechtlich zu formulieren<strong>de</strong> Moral anzu­<br />

rufen. Mit an<strong>de</strong>ren Worten: es fehlt an <strong>de</strong>r rechtserzeugen<strong>de</strong>n<br />

Kraft, welche die ewigen Normen menschlichen Han<strong>de</strong>lns <strong>und</strong><br />

menschlichen Zusammenseins in Form eines naturhaften Pro-<br />

XXI


zesses - <strong>de</strong>nn dies wäre für ein wirkliches Naturrecht unum­<br />

gänglich - auf die jeweilige Gegenwart anwen<strong>de</strong>t. Solange es<br />

nicht möglich ist, diesen natürlichen Prozeß bis ins konkrete<br />

<strong>Recht</strong> hinein durchzuführen, verbleiben die Naturrechtsfor<strong>de</strong>­<br />

rungen am Himmel <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>en, die höchstens für eine <strong>Recht</strong>s­<br />

politik, nicht aber für eine eigentliche <strong>Recht</strong>serzeugung in Frage<br />

kommen. In <strong>de</strong>r Ungewißheit, auf diese ernste Frage <strong>de</strong>s<br />

<strong>Recht</strong>spositivismus eine stichhaltige Antwort zu geben, haben<br />

sich eben die Scholastiker allzuoft mit <strong>de</strong>r unermüdlichen Wie­<br />

<strong>de</strong>rholung <strong>de</strong>r ewigen Gültigkeit <strong>de</strong>s Naturrechts begnügt,<br />

ohne zu beweisen, daß dieses <strong>Recht</strong> gera<strong>de</strong> in diesem Augen­<br />

blick <strong>und</strong> in dieser Situation nur in einmaliger Weise gelten<br />

kann.<br />

Hier ist eine ernste Besinnung auf die Naturrechtslehre <strong>de</strong>s<br />

hl. Thomas gefor<strong>de</strong>rt, wie er sie wirklich vorgetragen hat, <strong>und</strong><br />

nicht, wie sie als in seinem vermeintlichen „Geiste" von einigen<br />

Erklärern neueren <strong>und</strong> älteren Datums dargestellt wird. Diese<br />

genuin thomasische Naturrechtsauffassung ist sehr wohl<br />

imstan<strong>de</strong>, <strong>de</strong>n soziologischen Bef<strong>und</strong> einer Zeit mitaufzu­<br />

nehmen in die konkrete Formulierung eines wirklichen Natur­<br />

rechts, nicht bloß eines an <strong>de</strong>n ewigen natürlichen Sittennor­<br />

men gemessenen positiven <strong>Recht</strong>s. Thomas vermag dies, weil<br />

er erstens das <strong>Recht</strong> - auch das Naturrecht - wirklich als einen<br />

konkreten Inhalt erkennt <strong>und</strong> weil es ihm zweitens gelungen<br />

ist, das Gewissen trotz aller menschlichen Deka<strong>de</strong>nz <strong>und</strong><br />

Gewissensmißbildung im rechtslogischen Prozeß <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>s­<br />

erzeugung zu retten. Nach Thomas bedarf beispielsweise <strong>de</strong>r<br />

Katalog <strong>de</strong>r Menschenrechte <strong>de</strong>r UNO zur konkreten Gültig­<br />

keit nicht unbedingt <strong>de</strong>r positiven Anerkennung durch die<br />

jeweiligen Verfassungen <strong>de</strong>r einzelnen Nationen (unter <strong>de</strong>r Vor­<br />

aussetzung, daß diese Menschenrechte <strong>de</strong>m eigentlichen<br />

Naturrecht entsprechen wür<strong>de</strong>n). Damit ist dann zugleich die<br />

Frage eines Kriegsverbrecherprozesses gelöst, mit <strong>de</strong>r sich <strong>de</strong>r<br />

Thomaskommentar Victoria ausdrücklich auseinan<strong>de</strong>rsetzt 2 .<br />

Weitere Ausführungen über diese Probleme können wir uns mit<br />

<strong>de</strong>m Hinweis auf <strong>de</strong>n Kommentar zu Fr. 57 ersparen.<br />

2 Vgl. die ausgezeichnete Einleitung von PaulHadrossek zu: Francisco <strong>de</strong> Victoria,<br />

De Indis recenter inventis et <strong>de</strong> jure belli Hispanorum in Barbaras relectiones.<br />

Zur Deutung <strong>de</strong>r Völkerrechtslehre Victorias durch Paul Hadrossek<br />

vergleiche meine Besprechung in: Politeia 4 (1952) 226-228.<br />

XXII


2. In <strong>de</strong>r Eigentumsfrage sind wir heute durchweg <strong>de</strong>r<br />

selbstverständlich scheinen<strong>de</strong>n Anschauung, daß die Begrün­<br />

dung <strong>de</strong>s Eigentumsrechts <strong>de</strong>s einzelnen Menschen in erster<br />

Linie auf <strong>de</strong>m individual-personalen Charakter <strong>de</strong>s Menschen<br />

beruhe, so daß man von einem unabän<strong>de</strong>rlichen „Naturrecht"<br />

<strong>de</strong>s Einzelmenschen auf „sein" Eigentum re<strong>de</strong>t. Wenngleich<br />

sich auch aus <strong>de</strong>r thomasischen Eigentumslehre diese Schluß-<br />

folgerung bei folgerichtigem Weiter<strong>de</strong>nken <strong>de</strong>r Naturrechtsauf­<br />

fassung <strong>de</strong>s hl. Thomas ergibt, so hätte Thomas selbst diese<br />

Schlußfolgerung niemals von vornherein als philosophischen<br />

Gr<strong>und</strong>satz aufgestellt. Für ihn ergibt sich die Legitimierung <strong>de</strong>s<br />

<strong>Recht</strong>s auf Privateigentum aus <strong>de</strong>m Gemeinwohl, ganz im Ein­<br />

klang mit <strong>de</strong>r gesamten christlichen Tradition. Mit dieser An­<br />

schauung ist er, <strong>de</strong>r „Aristoteliker", <strong>de</strong>r auch in diesem Punkte<br />

beinahe alle Einzelheiten seinem philosophischen Lehrmeister<br />

verdankt, eben doch nicht Aristoteliker, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r an <strong>de</strong>r<br />

christlichen Uberlieferung gebil<strong>de</strong>te Theologe. Dies hervorzu­<br />

heben dürfte beson<strong>de</strong>rs wichtig sein, weil man gemeiniglich die<br />

Abhängigkeit <strong>de</strong>s hl. Thomas von Aristoteles allzusehr über­<br />

treibt. Der Geist <strong>und</strong> die Gr<strong>und</strong>auffassung <strong>de</strong>r thomasischen<br />

Eigentumslehre ist durchaus altchristlich, nicht aristotelisch.<br />

Ganz im Gegensatz hierzu haben die christlichen Liberalisten<br />

<strong>de</strong>n aristotelischen Gedanken von einem apriorischen „Natur­<br />

recht" auf Privateigentum - nicht zwar als Gefolgsmänner <strong>de</strong>s<br />

Stagyriten, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>s Individualismus <strong>de</strong>s 19. Jahrh<strong>und</strong>erts -<br />

allzu leichtfertig <strong>und</strong> ohne Rückbesinnung auf <strong>de</strong>n eigentlich<br />

christlich-logischen Weg, <strong>de</strong>r in Wahrheit zu dieser Schlußfolge­<br />

rung führen kann, das „Naturrecht" auf Privateigentum zur un­<br />

umstößlichen Devise <strong>de</strong>r Wirtschaftsethik gemacht. Die Kor­<br />

rektur wur<strong>de</strong> durch die päpstlichen Verlautbarungen vor­<br />

genommen. Mit <strong>de</strong>r logischen Weichenstellung, die Thomas in<br />

diesem gesamten Fragenkomplex vorgenommen hat, stehen<br />

unsere wirtschaftsethischen Diskussionen über freie <strong>und</strong><br />

geb<strong>und</strong>ene Wirtschaft, über privatkapitalistische Wirtschafts­<br />

weise in einem ganz neuen Zusammenhang. Im Hinblick auf<br />

die Be<strong>de</strong>utung einer solchen Wie<strong>de</strong>rent<strong>de</strong>ckung <strong>de</strong>s altchrist­<br />

lichen Gedankengutes bei Thomas - gegenüber einem Großteil<br />

bisheriger Kommentare - wird man es <strong>de</strong>m Kommentator nicht<br />

verübeln, wenn er in <strong>de</strong>r Frage nach <strong>de</strong>m Eigentumsrecht (Fr. 66<br />

Art. 1 u. 2) die entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Texte <strong>de</strong>r Kirchenväter so aus­<br />

führlich anführt. Die Texte sind vielleicht altbekannt, ihre Ver-<br />

XXIII


wertung bei <strong>de</strong>m „Aristoteliker" Thomas aber ist lei<strong>de</strong>r zu un­<br />

bekannt.<br />

Der Leser einer Summa theologica wird natürlich mit <strong>Recht</strong><br />

nach <strong>de</strong>m theologischen Gehalt dieses Traktates über <strong>Recht</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong> fragen. In <strong>de</strong>r Tat ist die innere Struktur<br />

dieses Traktates zunächst rein natürlich, da die natürliche Sach­<br />

lage das <strong>Recht</strong> bestimmt. Die Ordnung in <strong>de</strong>r menschlichen<br />

Gemeinschaft wird, wie auch die päpstlichen Verlautbarungen<br />

immer wie<strong>de</strong>r betonen, durch das <strong>Recht</strong> erstellt. Wenigstens<br />

schwebt <strong>de</strong>m vernünftig Ordnen<strong>de</strong>n zunächst ein gedankliches<br />

Mo<strong>de</strong>ll einer Ordnung gemäß <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> vor. Es ist<br />

gera<strong>de</strong> ein verdienstvolles Kennzeichen <strong>de</strong>r Denkweise <strong>de</strong>s hl.<br />

Thomas, die Ordnungen nicht zu verwischen. Nirgendwo fin­<br />

<strong>de</strong>t sich bei ihm auch nur ein Anflug von einem utopischen<br />

Gedanken an eine I<strong>de</strong>algemeinschaft unter Menschen auf<br />

Er<strong>de</strong>n, die einzig durch <strong>de</strong>n spontanen Impuls <strong>de</strong>r Liebe ein­<br />

gerichtet wer<strong>de</strong>n könnte. Da aber das <strong>Recht</strong> für eine Gesell­<br />

schaft gilt, <strong>de</strong>ren Einheits- <strong>und</strong> Lebensprinzip die in Gott ver­<br />

ankerte Ethik ist, darum eben öffnet sich für die <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

die Sicht ins typisch Theologische. Zu wie<strong>de</strong>rholten Malen<br />

erklärt Thomas, daß mit <strong>de</strong>r Bedrohung <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> die<br />

christliche Existenz überhaupt bedroht ist. Nichts an<strong>de</strong>res als<br />

die Liebe hält das menschliche Auge für das <strong>Recht</strong>e <strong>und</strong> Billige<br />

wach. Die göttliche Liebe ist es, die <strong>de</strong>m Menschen die Verant­<br />

wortung gegenüber <strong>de</strong>r gerechten Ordnung einschärft.<br />

Pius XII. hat diesen christlichen Gehalt <strong>de</strong>r Lehre von <strong>de</strong>r<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> in seiner Osteransprache vom 9. April 1939 in die<br />

Worte gefaßt: „Freilich ist es das Anliegen <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />

die Normen jener Weltordnung, die erstes <strong>und</strong> hauptsächliches<br />

F<strong>und</strong>ament eines festgefügten Frie<strong>de</strong>ns ist, aufzustellen <strong>und</strong><br />

unversehrt zu bewahren. Doch kann diese allein die schwie­<br />

rigen Hin<strong>de</strong>rnisse nicht überwin<strong>de</strong>n, die oft genug <strong>de</strong>r Verwirk­<br />

lichung <strong>und</strong> Festigung <strong>de</strong>s Frie<strong>de</strong>ns sich entgegenstellen.<br />

Wenn sich darum zur starr <strong>und</strong> scharf abgegrenzten Gerechtig­<br />

keit nicht die Liebe zu brü<strong>de</strong>rlichem B<strong>und</strong>e gesellt, dann wird<br />

allzu leicht das geistige Auge vor Dunkelheit die <strong>Recht</strong>e <strong>de</strong>s<br />

an<strong>de</strong>rn nicht mehr sehen können, das Ohr wird taub gegenüber<br />

<strong>de</strong>r Stimme jener Billigkeit, die, wenn sie mit willigem <strong>und</strong> ver­<br />

ständigem Bemühen untersucht wird, auch die verworrensten<br />

<strong>und</strong> schwierigsten Streitfälle in vernünftiger Ordnung lösen<br />

XXIV


<strong>und</strong> beschwichtigen kann." (Utz-Groner, Soziale Summe<br />

Pius XII., Nr. 3641).<br />

Der vorliegen<strong>de</strong> Band will keine Patentlösung für die darin<br />

behan<strong>de</strong>lten Fragen bieten. Dem Leser könnte kein größeres<br />

MißVerständnis <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>sphilosophie <strong>de</strong>s hl. Thomas unter­<br />

laufen. Wohl aber wird je<strong>de</strong>r eifrig Studieren<strong>de</strong> sich eine sichere<br />

geistige Haltung aneignen können, die ihn instandsetzt, im<br />

echten Geiste <strong>de</strong>s hl. Thomas <strong>de</strong>n Weg zu einer konkreten<br />

Lösung <strong>de</strong>r brennen<strong>de</strong>n Gegenwartsfragen unserer aufgewühl­<br />

ten Gesellschaft zu fin<strong>de</strong>n.<br />

A. F. Utz<br />

XXV


DER AUFBAU DER ARTIKEL<br />

1. Die Titelfrage zum Artikel stammt nicht von Thomas<br />

selbst, son<strong>de</strong>rn ist <strong>de</strong>r Einleitung zum ersten Einwand ent­<br />

nommen, mit <strong>de</strong>m je<strong>de</strong>r Artikel beginnt („Es scheint, daß<br />

nicht..." o<strong>de</strong>r „Es scheint, daß..."). In <strong>de</strong>r Ubersetzung ist<br />

diese Einleitung weggelassen, weil sie in <strong>de</strong>r Titelfrage zum<br />

Ausdruck kommt.<br />

2. Auf die Titelfrage folgen mehrere in <strong>de</strong>r Thomas-Literatur<br />

als „Einwän<strong>de</strong>" bezeichnete Argumente, welche die Unter­<br />

suchung einleiten. In <strong>de</strong>r Übersetzung sind sie einfach mit<br />

Nummern versehen. Wenn auf solche Einwän<strong>de</strong> verwiesen<br />

wird, benützt die Übersetzung die Abkürzung E. (= Einwand).<br />

3. Im „Dagegen" (Sed contra) begrün<strong>de</strong>t Thomas die <strong>de</strong>n<br />

vorausgehen<strong>de</strong>n Einwän<strong>de</strong>n entgegengesetzte These mit einem<br />

o<strong>de</strong>r mehreren Autoritätsbeweisen, teilweise aus <strong>de</strong>r<br />

Hl. Schrift, teilweise aus Aristoteles <strong>und</strong> an<strong>de</strong>ren philosophi­<br />

schen o<strong>de</strong>r theologischen Autoren.<br />

In <strong>de</strong>r „Antwort" (wörtlich: „Meines Erachtens ist zu<br />

sagen") entwickelt Thomas seine eigene Doktrin. Dieser Teil<br />

wird in <strong>de</strong>r Thomasliteratur als „corpus articuli" bezeichnet.<br />

4. Auf die „Antwort" folgen die Erwi<strong>de</strong>rungen auf die Ein­<br />

wän<strong>de</strong>. In <strong>de</strong>r Übersetzung wer<strong>de</strong>n sie durch „Zu 1", „Zu 2",<br />

„Zu 3" usw. eingeleitet, entsprechend <strong>de</strong>m Lateinischen „Ad<br />

primum", „Ad sec<strong>und</strong>um", „Ad tertium" usw.<br />

XXVI


TEXT


57 FRAGE<br />

DAS RECHT<br />

Nach <strong>de</strong>r Klugheit ist nun die <strong>Gerechtigkeit</strong> zu behan<strong>de</strong>ln.<br />

Dabei kommt ein Vierfaches unter Betracht: 1. die Gerechtig­<br />

keit, 2. ihre Teile, 3. die entsprechen<strong>de</strong> Gabe <strong>de</strong>s Heiligen Gei­<br />

stes, 4. die zur <strong>Gerechtigkeit</strong> gehören<strong>de</strong>n Gebote.<br />

Die <strong>Gerechtigkeit</strong> umfaßt vier Themen: 1. das <strong>Recht</strong>, 2. die<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> als solche, 3. die Ungerechtigkeit, 4. das Urteil.<br />

Zum ersten Punkt stellen sich vier Fragen:<br />

1. Ist das <strong>Recht</strong> das Objekt <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>?<br />

2. Wird das <strong>Recht</strong> zutreffend in Naturrecht <strong>und</strong> positives<br />

<strong>Recht</strong> eingeteilt?<br />

3. Sind Völkerrecht <strong>und</strong> Naturrecht dasselbe?<br />

4. Muß das <strong>Recht</strong> noch beson<strong>de</strong>rs in herrschaftliches <strong>und</strong><br />

väterliches <strong>Recht</strong> unterschie<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n?<br />

1. ARTIKEL<br />

Ist das <strong>Recht</strong> das Objekt <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>?<br />

1. Der <strong>Recht</strong>sgelehrte Celsus sagt: „Das <strong>Recht</strong> ist die Kunst<br />

<strong>de</strong>s Guten <strong>und</strong> <strong>Recht</strong>en" (Dig.1,1; KR I,29a). Die Kunst ist<br />

aber nicht Objekt <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>, son<strong>de</strong>rn meint an sich<br />

intellektuelles Können. Also ist das <strong>Recht</strong> nicht Objekt <strong>de</strong>r<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>.<br />

2. Nach Isidors Etymologie (V, 3; ML 82,199) ist das Gesetz<br />

„eine Art <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s". Das Gesetz ist aber nicht das Objekt <strong>de</strong>r<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>, son<strong>de</strong>rn mehr <strong>de</strong>r Klugheit. Daher führt Aristo­<br />

teles (Eth.VI,8; 1141 b25) die Gesetzgebung auch als Teil <strong>de</strong>r<br />

Klugheit an. Also ist das <strong>Recht</strong> nicht Objekt <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>.<br />

3. Vor allem ist es die <strong>Gerechtigkeit</strong>, die <strong>de</strong>n Menschen<br />

Gott unterwirft. Augustinus sagt nämlich im Buch De moribus<br />

ecclesiae (c. 15; ML 32,1322): „Die Liebe, die Gott allein dient,<br />

ist die <strong>Gerechtigkeit</strong>, <strong>und</strong> darum beherrscht sie vortrefflich auch<br />

alles, was <strong>de</strong>m Menschen unterworfen ist". Doch das <strong>Recht</strong><br />

gehört nicht zu <strong>de</strong>n göttlichen, son<strong>de</strong>rn nur zu <strong>de</strong>n mensch­<br />

lichen Dingen, sagt doch Isidor (Etym.V, 2; ML 82,198): „Sitt­<br />

lichkeit ist göttliches Gesetz, <strong>Recht</strong> aber ist menschliches<br />

Gesetz". Also ist das <strong>Recht</strong> nicht Objekt <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>.<br />

3


DAGEGEN steht, daß Isidor ebendort (c.3; ML 82,199)<br />

schreibt: „Es heißt etwas ,<strong>Recht</strong>', weil es gerecht ist". Doch das<br />

Gerechte ist das Objekt <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>. Aristoteles sagt näm­<br />

lich im V. Buch seiner Ethik (c. 1; 1129 a 7): „Alle wollen jenen<br />

Habitus ,<strong>Gerechtigkeit</strong>' nennen, durch <strong>de</strong>n sie gerechte Werke<br />

vollbringen". Also ist das <strong>Recht</strong> Objekt <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>.<br />

ANTWORT. Im Unterschied zu an<strong>de</strong>ren Tugen<strong>de</strong>n ist es<br />

eine beson<strong>de</strong>re Eigenart <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>, <strong>de</strong>n sachbezogenen<br />

Umgang <strong>de</strong>s Menschen mit an<strong>de</strong>ren in eine Ordnung zu brin­<br />

gen. Sie besagt nämlich, wie schon <strong>de</strong>r Name nahelegt, einen<br />

gewissen Ausgleich. In <strong>de</strong>r Umgangssprache heißt ja das, was<br />

ausgeglichen wird, „richtig"stellen. Ausgleich aber ist auf an<strong>de</strong>­<br />

res bezogen. Die übrigen Tugen<strong>de</strong>n hingegen vervollkommnen<br />

<strong>de</strong>n Menschen nur in Bezug auf ihn selbst. Was bei diesen<br />

Tugen<strong>de</strong>n das Richtige ist - worauf die Tugend als auf ihr<br />

wesenseigenes Objekt hinzielt -, versteht sich nur im Hinblick<br />

auf <strong>de</strong>n Han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>n. Das „Richtige" jedoch im Werk <strong>de</strong>r<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> ergibt sich - abgesehen von <strong>de</strong>r subjektiven Sicht<br />

auf <strong>de</strong>n Han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>n - durch die Beziehung zu etwas an<strong>de</strong>rem.<br />

Was nämlich in unserem Tun als gerecht bezeichnet wird,<br />

berührt in Form irgen<strong>de</strong>ines Ausgleichs einen an<strong>de</strong>ren, z.B. die<br />

Bezahlung <strong>de</strong>s geschul<strong>de</strong>ten Lohnes für eine Dienstleistung.<br />

So heißt nun also etwas „gerecht", das sich durch die <strong>Recht</strong>­<br />

heit <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>, worin die gerechte Handlung besteht,<br />

auszeichnet. Auf welche Weise dies vom Han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>n zustan<strong>de</strong><br />

gebracht wird, bleibt dabei außer Betracht. Das <strong>Recht</strong>e bei <strong>de</strong>n<br />

an<strong>de</strong>ren Tugen<strong>de</strong>n hingegen wird nicht unabhängig von <strong>de</strong>m<br />

bestimmt, was <strong>de</strong>r Han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong> irgendwie tut. Deshalb wird <strong>de</strong>r<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> im Gegensatz zu <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Tugen<strong>de</strong>n als<br />

eigentliches Objekt das zugewiesen, was wir das „<strong>Recht</strong>e"<br />

nennen. Und das ist das <strong>Recht</strong>. Somit wird klar, daß das <strong>Recht</strong><br />

Objekt <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> ist.<br />

Zu 1. Es ist ganz geläufig, daß die Namen von <strong>de</strong>m, was sie<br />

ursprünglich bezeichneten, auf an<strong>de</strong>res übertragen wer<strong>de</strong>n. So<br />

wird das Wort „Medizin" zunächst zur Bezeichnung <strong>de</strong>s Heil­<br />

mittels für <strong>de</strong>n Kranken, <strong>de</strong>r geheilt wer<strong>de</strong>n soll, gebraucht,<br />

dann jedoch wur<strong>de</strong> es auf die Kunst angewandt, durch die das<br />

geschieht. Ebenso wur<strong>de</strong> mit <strong>de</strong>m Namen „<strong>Recht</strong>" zunächst die<br />

rechte Sache belegt, sodann übertrug man ihn auf die Kunst,<br />

mittels <strong>de</strong>rer das <strong>Recht</strong>e erkannt wird, außer<strong>de</strong>m zur Kenn­<br />

zeichnung <strong>de</strong>s Ortes, wo <strong>Recht</strong> gesprochen wird, wie wenn<br />

4


man sagt, es müsse jemand vor „<strong>de</strong>m <strong>Recht</strong>" (d. h. vor Gericht) 57. 2<br />

erscheinen, <strong>und</strong> schließlich heißt auch das noch „<strong>Recht</strong>", was<br />

vom amtlichen <strong>Recht</strong>spfleger gesprochen wird, selbst wenn<br />

seine Entscheidung ungerecht ist.<br />

Zu 2. Wie das sichtbare Kunstwerk zuerst als künstlerische<br />

Leiti<strong>de</strong>e im Geist <strong>de</strong>s Künstlers vorhan<strong>de</strong>n ist, so ist auch vom<br />

Werk <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> das, was von <strong>de</strong>r Vernunft bestimmt<br />

wird, zuvor im Geist als eine I<strong>de</strong>e vorhan<strong>de</strong>n, gleichsam als<br />

Richtschnur <strong>de</strong>r Klugheit. Wenn dies dann schriftlich festgelegt<br />

wird, spricht man von „Gesetz". Nach Isidor (Etym.V, 3;<br />

ML 82,199) be<strong>de</strong>utet nämlich Gesetz soviel wie „geschriebene<br />

Ordnung". Somit ist, genau gesagt, „Gesetz" nicht das gleiche<br />

wie „<strong>Recht</strong>", son<strong>de</strong>rn die Ursache <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s [1].<br />

Zu 3. Weil <strong>Gerechtigkeit</strong> Ausgleich be<strong>de</strong>utet, wir aber Gott<br />

nichts Gleichwertiges anbieten können, vermögen wir ihm<br />

gegenüber auch nicht vollen <strong>Recht</strong>sausgleich zu schaffen. Des­<br />

halb heißt das göttliche Gesetz im eigentlichen Sinn auch nicht<br />

einfach „<strong>Recht</strong>", son<strong>de</strong>rn eben „Göttliches <strong>Recht</strong>" („fas"), <strong>de</strong>nn<br />

Gott ist zufrie<strong>de</strong>n, wenn wir tun, was wir können. Dennoch<br />

strebt die <strong>Gerechtigkeit</strong> dahin, daß <strong>de</strong>r Mensch Gott soviel<br />

zurückerstattet, als er vermag, <strong>und</strong> dies geschieht dadurch, daß<br />

er sich ihm völlig unterwirft.<br />

2. ARTIKEL<br />

"Wird das <strong>Recht</strong> zutreffend in Naturrecht <strong>und</strong> positives<br />

<strong>Recht</strong> eingeteilt?<br />

1. Was naturhaft ist, ist unverän<strong>de</strong>rlich <strong>und</strong> bei allen gleich.<br />

So etwas fin<strong>de</strong>t man jedoch unter menschlichen Verhältnissen<br />

nicht, <strong>de</strong>nn alle menschlichen <strong>Recht</strong>sregeln versagen einmal da<br />

o<strong>de</strong>r dort <strong>und</strong> setzen sich nicht überall durch. Also gibt es kein<br />

Naturrecht.<br />

2. Was vom menschlichen Willen festgesetzt wird, heißt<br />

„positiv". Doch was vom Willen <strong>de</strong>s Menschen festgesetzt wird,<br />

ist <strong>de</strong>swegen nicht auch schon gerecht, sonst könnte <strong>de</strong>r Wille<br />

<strong>de</strong>s Menschen ja nie ungerecht sein. Da nun das Gerechte soviel<br />

ist wie <strong>Recht</strong>, gibt es also kein positives <strong>Recht</strong>.<br />

3. Göttliches <strong>Recht</strong> ist nicht gleich Naturrecht, da es über<br />

<strong>de</strong>r menschlichen Natur liegt. Es ist aber auch kein positives<br />

<strong>Recht</strong>, weil es sich nicht auf menschliche, son<strong>de</strong>rn auf göttliche<br />

5


57. 2 Autorität stützt. Also ist die Einteilung <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s in natür­<br />

liches <strong>und</strong> positives unangebracht.<br />

DAGEGEN steht das Aristoteleswort (Eth. V, 10; 1134bl8):<br />

„Für <strong>de</strong>n gerechten Staatsmann ist das eine (<strong>Recht</strong>) natürlich,<br />

das an<strong>de</strong>re gesetzlich", d. h. durch Gesetz festgelegt.<br />

ANTWORT. Wie oben (Art. 1) gesagt, ist das <strong>Recht</strong> o<strong>de</strong>r das<br />

<strong>Recht</strong>e eine angemessene Leistung zugunsten eines an<strong>de</strong>ren<br />

gemäß einem Modus <strong>de</strong>s Ausgleichs. Auf zweifache Weise nun<br />

kann einem Menschen etwas angemesen sein. Einmal aufgr<strong>und</strong><br />

<strong>de</strong>r Sache, wie wenn z. B. jemand soviel gibt, um genau soviel<br />

zu erhalten. In diesem Fall spricht man von Naturrecht. - Auf<br />

an<strong>de</strong>re Weise ist etwas angemessen aufgr<strong>und</strong> einer Abmachung<br />

o<strong>de</strong>r allgemeinen Ubereinkunft, wie wenn sich jemand zufrie­<br />

<strong>de</strong>n gibt bei so<strong>und</strong>soviel Gegenleistung. Auch dies kann auf<br />

doppelte Weise geschehen: einmal aufgr<strong>und</strong> einer privaten Ver­<br />

einbarung, wie sie durch einen Vertrag zwischen privaten Per­<br />

sonen abgeschlossen wird. Ein an<strong>de</strong>res Mal gemäß einer öffent­<br />

lichen Ubereinkunft, z. B. wenn ein ganzes Volk zustimmt, daß<br />

etwas mit einem an<strong>de</strong>ren als verglichen o<strong>de</strong>r angemessen gelten<br />

soll, o<strong>de</strong>r wenn <strong>de</strong>r Lan<strong>de</strong>sherr, <strong>de</strong>m die Sorge für das Volk<br />

obliegt <strong>und</strong> <strong>de</strong>r es in seiner Person vertritt, dies anordnet. Dann<br />

ist von positivem <strong>Recht</strong> die Re<strong>de</strong>.<br />

Zu 1. Das Naturhafte, das einem Wesen mit unverän<strong>de</strong>r­<br />

licher Natur eigen ist, muß sich immer <strong>und</strong> überall gleich­<br />

bleiben. Die Natur <strong>de</strong>s Menschen aber ist verän<strong>de</strong>rlich. Darum<br />

kann das Natürliche <strong>de</strong>s Menschen bisweilen versagen. Z. B.<br />

entspricht es <strong>de</strong>m naturgemäßen Ausgleich, daß <strong>de</strong>m Hinter­<br />

leger das Hinterlegte zurückgegeben wer<strong>de</strong>, <strong>und</strong> wenn die<br />

menschliche Natur stets „recht" wäre, müßte man sich immer<br />

daran halten. Weil jedoch <strong>de</strong>r menschliche Wille bisweilen ver­<br />

<strong>de</strong>rbt ist, kommt es vor, daß man das Hinterlegte nicht zurück­<br />

geben darf, damit ein Mensch mit verwerflicher Absicht nicht<br />

schlechten Gebrauch davon macht, wie z. B. wenn ein Geistes­<br />

gestörter o<strong>de</strong>r ein Staatsfeind seine hinterlegten Waffen zurück­<br />

for<strong>de</strong>rn wollte [2].<br />

Zu 2. Der Mensch mit seinem freien Willen kann aufgr<strong>und</strong><br />

allgemeiner Abmachung in Dingen, die keinen Wi<strong>de</strong>rspruch zur<br />

natürlichen <strong>Gerechtigkeit</strong> besagen, etwas als gerecht bestim­<br />

men. Und hier nun fin<strong>de</strong>t das positive <strong>Recht</strong> sein Betätigungs­<br />

feld. Daher sagt Aristoteles im V.Buch seiner Ethik (c. 10;<br />

1134 b 20): „Das gesetzlich Gerechte ist das, was gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

6


an<strong>de</strong>rs sein kann. Ist es aber einmal festgelegt, dann hat es einen 57 3<br />

Unterschied zur Folge". Steht jedoch etwas zum Naturrecht im<br />

Wi<strong>de</strong>rspruch, dann kann es durch menschlichen Willensent­<br />

scheid nicht als gerecht erklärt wer<strong>de</strong>n, wie z. B. wenn fest­<br />

gesetzt wür<strong>de</strong>, daß Diebstahl o<strong>de</strong>r Ehebruch erlaubt seien.<br />

Daher heißt es bei Isaias 10,1: „Weh <strong>de</strong>nen, die unheilvolle<br />

Gesetze erlassen!"<br />

Zu 3. Jenes <strong>Recht</strong> heißt „göttlich", das durch Gott k<strong>und</strong>­<br />

getan wird. Es bezieht sich teilweise auf das naturhaft Gerechte<br />

- seine <strong>Gerechtigkeit</strong> bleibt <strong>de</strong>m Menschen jedoch verborgen -,<br />

teilweise auf das, was durch göttliche Verfügung gerecht wird.<br />

Daher kann, wie das menschliche <strong>Recht</strong>, auch das göttliche<br />

nach diesen zwei Gesichtspunkten unterschie<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n.<br />

Denn auch im göttlichen Gesetz gibt es manches, das geboten<br />

wird, weil es in sich gut, <strong>und</strong> manches, das verboten wird, weil<br />

es in sich schlecht ist, wie auch etwas, das nur gut ist, weil es<br />

geboten, <strong>und</strong> nur schlecht, weil es verboten wird [3].<br />

3. ARTIKEL<br />

Ist das Völkerrecht [4] das gleiche wie das Naturrecht?<br />

1. Die Menschen kommen nur in <strong>de</strong>m überein, was ihnen<br />

naturhaft innewohnt. Doch im Völkerrecht kommen alle<br />

Menschen überein, sagt doch <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>sgelehrte (Dig. 1,1;<br />

KR 1,29 a): „Völkerrecht ist, was bei <strong>de</strong>n Völkern <strong>de</strong>r Menschen<br />

in Gebrauch steht". Also ist das Völkerrecht das gleiche wie das<br />

Naturrecht.<br />

2. Sklaverei ist unter <strong>de</strong>n Menschen etwas Naturgegebenes,<br />

sagt doch Aristoteles im I.Buch seiner Politik (c.4; 1254a 15):<br />

„Manche sind von Natur aus Sklaven". Nach Isidor (Etym.V, 6;<br />

ML 82,199) nun gehört die Sklaverei zum Völkerrecht. Also<br />

sind Völkerrecht <strong>und</strong> Naturrecht dasselbe.<br />

3. Das <strong>Recht</strong> wird, wie oben ausgeführt, in natürliches <strong>und</strong><br />

positives <strong>Recht</strong> eingeteilt. Doch das Völkerrecht ist kein posi­<br />

tives, <strong>de</strong>nn niemals sind alle Völker übereingekommen, um auf­<br />

gr<strong>und</strong> gemeinsamer Abmachung etwas festzulegen. Also ist das<br />

Völkerrecht Naturrecht.<br />

DAGEGEN steht IsidorsWort (Etym.V, 6; ML 82,199): „Das<br />

<strong>Recht</strong> ist entwe<strong>de</strong>r ein natürliches o<strong>de</strong>r ein bürgerliches o<strong>de</strong>r<br />

7


57 3 Völkerrecht" - Und so wird das Völkerrecht vom Naturrecht<br />

unterschie<strong>de</strong>n.<br />

ANTWORT. Das <strong>Recht</strong> o<strong>de</strong>r das naturhaft Gerechte ist<br />

jenes, das aufgr<strong>und</strong> seiner Natur einem an<strong>de</strong>ren angeglichen o<strong>de</strong>r<br />

angemessen ist (vgl.o. Art. 2). Dies kann auf zweifache Weise<br />

<strong>de</strong>r Fall sein. Einmal unter seinem absoluten Betracht so wie<br />

z.B. <strong>de</strong>m Männlichen eine naturhafte Hinordnung auf das Weib­<br />

liche zum Zweck <strong>de</strong>r Zeugung eigen ist <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Mutter auf das<br />

Kind zum Zweck <strong>de</strong>s Nährens. Auf an<strong>de</strong>re Weise ist etwas <strong>de</strong>m<br />

an<strong>de</strong>ren angemessen nicht aufgr<strong>und</strong> absolut gültigen Verhält­<br />

nisses, son<strong>de</strong>rn aufgr<strong>und</strong> von etwas, das sich aus diesem ergibt,<br />

z. B. die Eigenart <strong>de</strong>r Besitzaufteilung. Betrachtet man etwa<br />

diesen Acker absolut, dann spielt es keine Rolle, ob er diesem<br />

o<strong>de</strong>r jenem gehört. Faßt man ihn jedoch unter <strong>de</strong>m Gesichts­<br />

punkt <strong>de</strong>r vorteilhaften Bearbeitung <strong>und</strong> <strong>de</strong>r friedlichen Nut­<br />

zung ins Auge, dann zeigt sich eine gewisse Angemessenheit<br />

dafür, daß er diesem <strong>und</strong> nicht jenem gehöre (Aristoteles<br />

Pol.II,5; 1262a21) [5].<br />

Etwas absolut erfassen ist nicht nur <strong>de</strong>m Menschen, son<strong>de</strong>rn<br />

auch an<strong>de</strong>ren Sinnenwesen eigen. Darum ist das <strong>Recht</strong>, das<br />

„natürliches" im ersten Sinne meint, uns <strong>und</strong> <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren<br />

Sinnenwesen gemeinsam. „Von einem so verstan<strong>de</strong>nen Natur­<br />

recht weicht das Völkerrecht ab", wie <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>sgelehrte<br />

(Dig. 1,1; KR 1,29 a) sagt, „weil jenes allen Sinnenwesen, dieses<br />

jedoch nur <strong>de</strong>n Menschen unter sich gemeinsam ist". Nur die<br />

Vernunft jedoch vermag etwas zu erfassen in seinem Verhältnis<br />

zu <strong>de</strong>m, was aus ihm folgt. Und <strong>de</strong>shalb ist das, was sie diktiert,<br />

für <strong>de</strong>n Menschen im Hinblick auf seine Vernunftnatur natür­<br />

lich [6]. Der <strong>Recht</strong>sgelehrte Gaius sagt darum auch: „Was die<br />

natürliche Vernunft aller Menschen festlegt <strong>und</strong> was von allen<br />

Menschen beachtet wird, heißt Völkerrecht" (Dig. 1,1;<br />

KR 1,29 b).<br />

Zu 1. Die Antwort ergibt sich aus <strong>de</strong>m oben Gesagten.<br />

Zu 2. In sich betrachtet, besteht kein natürlicher Gr<strong>und</strong><br />

dafür, daß ein bestimmter Mensch eher Sklave sei als ein an<strong>de</strong>­<br />

rer, son<strong>de</strong>rn er ergibt sich nur aus einem gewissen Nützlich­<br />

keitsstandpunkt, insofern es für <strong>de</strong>n einen vorteilhaft ist, von<br />

einem Klügeren gelenkt zu wer<strong>de</strong>n, <strong>und</strong> für <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren, von<br />

jenem Hilfe zu erhalten (Aristoteles Pol. 1,6; 1255b 5). Darum<br />

ist die Sklaverei, die zum Völkerrecht gehört, natürlich nicht in<br />

seiner ersten, son<strong>de</strong>rn in seiner zweiten Be<strong>de</strong>utung.<br />

8


Zu 3. Weil die natürliche Vernunft möglichst übereinstim- 57. 4<br />

men<strong>de</strong>s als Völkerrecht erklärt, bedarf es keiner beson<strong>de</strong>ren<br />

Verfügung, son<strong>de</strong>rn die natürliche Vernunft selbst verfügt es,<br />

wie die oben angeführte Autorität bestätigt.<br />

4. ARTIKEL<br />

Müssen väterliches <strong>und</strong> herrschaftliches <strong>Recht</strong> beson<strong>de</strong>rs<br />

unterschie<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n?<br />

1. Zur <strong>Gerechtigkeit</strong> gehört es, „Je<strong>de</strong>m das Seine zu geben",<br />

wie Ambrosius in seiner Pflichtenlehre (1,24; ML 16,57)<br />

schreibt. Doch, wie gesagt, ist das <strong>Recht</strong> das Objekt <strong>de</strong>r Gerech­<br />

tigkeit. Also gehört das <strong>Recht</strong> in gleicher Weise zu je<strong>de</strong>rmann,<br />

<strong>und</strong> so braucht man nicht im beson<strong>de</strong>ren zwischen väterlichem<br />

<strong>und</strong> herrschaftlichem <strong>Recht</strong> zu unterschei<strong>de</strong>n.<br />

2. Das <strong>Recht</strong> geht aus <strong>de</strong>m Gesetz hervor (Art. 1 Zu 2).<br />

Doch das Gesetz betrifft das Gemeinwohl <strong>de</strong>s Staates <strong>und</strong><br />

Reiches (1-1190,2), nicht aber das Privatwohl einer einzelnen<br />

Person o<strong>de</strong>r einer einzigen Familie. Deshalb darf es auch kein<br />

herrschaftliches o<strong>de</strong>r väterliches <strong>Recht</strong> o<strong>de</strong>r Gerechtes geben,<br />

da Herr <strong>und</strong> Vater zum selben Hauswesen gehören (Aristoteles<br />

Pol. 1,3; 1253 b 5).<br />

3. Es bestehen zahlreiche Gradunterschie<strong>de</strong> bei <strong>de</strong>n Men­<br />

schen: die einen sind Soldaten, an<strong>de</strong>re Priester, wie<strong>de</strong>rum<br />

an<strong>de</strong>re Fürsten. Also muß auch für sie ein je verschie<strong>de</strong>nes<br />

<strong>Recht</strong> festgesetzt wer<strong>de</strong>n.<br />

DAGEGEN unterschei<strong>de</strong>t Aristoteles im V. Buch seiner Ethik<br />

(c. 10; 1134 b 8) vom bürgerlichen <strong>Recht</strong> ein herrschaftliches<br />

<strong>und</strong> ein väterliches <strong>und</strong> an<strong>de</strong>res <strong>de</strong>rgleichen.<br />

ANTWORT. Das <strong>Recht</strong> o<strong>de</strong>r das Gerechte wird in Beziehung<br />

auf etwas an<strong>de</strong>res ausgesagt. Dieses an<strong>de</strong>re kann nun zweifach<br />

sein. Einmal das schlechthin an<strong>de</strong>re <strong>und</strong> gänzlich unterschie­<br />

<strong>de</strong>ne, wie es z. B. bei zwei Menschen <strong>de</strong>r Fall ist, von <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r<br />

eine <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>ren nicht untersteht, son<strong>de</strong>rn bei<strong>de</strong> einem ein­<br />

zigen Lan<strong>de</strong>sfürsten untenan sind. Zwischen diesen besteht<br />

nach Aristoteles (Eth.V, 10; 1134 a26) das Verhältnis <strong>de</strong>s<br />

schlechthin Gerechten. - Sodann gibt es ein nicht schlechthin<br />

an<strong>de</strong>res, son<strong>de</strong>rn ein in seiner Existenz vom an<strong>de</strong>ren Abhän­<br />

giges. Auf diese Weise ist unter <strong>de</strong>n Menschen <strong>de</strong>r Sohn „etwas<br />

vom Vater", gleichsam ein „Teil" von ihm, wie es bei Aristoteles<br />

9


57 4 (Eth.VIII, 14; 1161 b 18) heißt, <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Sklave „etwas von<br />

seinem Herrn", weil er <strong>de</strong>ssen Werkzeug ist (Aristoteles Pol. 1,4;<br />

1253 b 32). Darum besteht zwischen <strong>de</strong>m Vater <strong>und</strong> seinem<br />

Sohn kein Verhältnis wie zu einem schlechthin an<strong>de</strong>ren <strong>und</strong><br />

<strong>de</strong>swegen auch keine <strong>Recht</strong>sbeziehung absoluter Art, son<strong>de</strong>rn<br />

nur ein relatives <strong>Recht</strong>, nämlich das väterliche. Aus <strong>de</strong>m glei­<br />

chen Gr<strong>und</strong> ist dies auch nicht zwischen <strong>de</strong>m Herrn <strong>und</strong> seinem<br />

Sklaven <strong>de</strong>r Fall. Zwischen ihnen gilt das herrschaftliche <strong>Recht</strong>.<br />

Die Gattin hingegen unterschei<strong>de</strong>t sich von ihrem Mann<br />

mehr als <strong>de</strong>r Sohn vom Vater o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Sklave von seinem Herrn,<br />

obwohl sie „etwas von ihrem Mann" ist - <strong>de</strong>r Apostel betrachtet<br />

sie im Epheserbrief 5,28 wie zu <strong>de</strong>ssen eigenem Leib gehörig -,<br />

wird sie doch in das gemeinschaftliche Leben <strong>de</strong>r Ehe auf­<br />

genommen. Daherbesteht nach Aristoteles (Eth.V, 10; 1134b 15)<br />

zwischen Mann <strong>und</strong> Frau ein strengeres <strong>Recht</strong>sverhältnis als<br />

wie zwischen Vater <strong>und</strong> Sohn o<strong>de</strong>r Herr <strong>und</strong> Sklave [7]. Weil<br />

jedoch Mann <strong>und</strong> Frau in <strong>de</strong>r häuslichen Gemeinschaft un­<br />

mittelbar verb<strong>und</strong>en sind, gilt zwischen ihnen nicht absolut<br />

das bürgerliche, son<strong>de</strong>rn mehr das häusliche <strong>Recht</strong>.<br />

Zu 1. Die <strong>Gerechtigkeit</strong> verlangt, je<strong>de</strong>m das Seine zu geben.<br />

Vorausgesetzt dabei wird allerdings <strong>de</strong>r Unterschied <strong>de</strong>s einen<br />

vom an<strong>de</strong>ren. Teilt sich nämlich jemand zu, was ihm selber<br />

gehört, dann kann von <strong>Recht</strong> keine Re<strong>de</strong> sein. Und weil das,<br />

was <strong>de</strong>r Sohn hat, <strong>de</strong>m Vater <strong>und</strong> was <strong>de</strong>r Sklave hat, seinem<br />

Herrn gehört, darum besteht auch keine strenge <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

zwischen Vater <strong>und</strong> Sohn o<strong>de</strong>r Herr <strong>und</strong> Sklave.<br />

Zu 2. Der Sohn ist als solcher <strong>de</strong>m Vater zugeordnet <strong>und</strong><br />

ebenso <strong>de</strong>r Sklave als solcher seinem Herrn. Wird je<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r<br />

bei<strong>de</strong>n jedoch als Mensch betrachtet, so ist er ein selbständiges,<br />

von an<strong>de</strong>ren unterschie<strong>de</strong>nes Wesen. Als Menschen steht ihnen<br />

daher irgendwie die strenge <strong>Gerechtigkeit</strong> zu. [8]. Daher gibt es<br />

auch bestimmte Gesetze zum Verhältnis Vater-Sohn <strong>und</strong> Herr-<br />

Sklave. Doch insofern einer „etwas vom an<strong>de</strong>ren" ist, versagt<br />

hier <strong>de</strong>r vollkommene Begriff von <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> <strong>Recht</strong>.<br />

Zu 3. Alle an<strong>de</strong>ren Unterschie<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Personen, die im Staate<br />

leben, weisen auf eine unmittelbare Beziehung zur Staatsge­<br />

meinschaft <strong>und</strong> ihrem Oberhaupt hin. Daher besteht zwischen<br />

ihnen ein <strong>Recht</strong>sverhältnis im strengen Sinn <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>.<br />

Dennoch gibt es <strong>Recht</strong>sunterschie<strong>de</strong> entsprechend <strong>de</strong>n ver­<br />

schie<strong>de</strong>nen dienstlichen Stellungen. So spricht man von Militär-<br />

Justiz, Behör<strong>de</strong>nrecht o<strong>de</strong>r Klerikerrecht, nicht weil hier die<br />

10


strenge <strong>Gerechtigkeit</strong> nicht in Frage käme wie beim väterlichen 57 4<br />

<strong>und</strong> herrschaftlichen <strong>Recht</strong>, son<strong>de</strong>rn weil <strong>de</strong>r jeweilige Per­<br />

sonenstand entsprechend seiner beson<strong>de</strong>ren Aufgabe eine<br />

beson<strong>de</strong>re Berücksichtigung verlangt.<br />

11


58. FRAGE<br />

DIE GERECHTIGKEIT<br />

Hierauf ist von <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> zu han<strong>de</strong>ln. Dabei stellen<br />

sich zwölf Fragen:<br />

1. Was ist die <strong>Gerechtigkeit</strong>?<br />

2. Ist die <strong>Gerechtigkeit</strong> stets auf einen an<strong>de</strong>ren bezogen?<br />

3. Ist sie Tugend?<br />

4. Ist ihr Sitz im Willen?<br />

5. Ist sie „allgemeine Tugend"?<br />

6. Ist sie als „allgemeine Tugend" wesentlich je<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren<br />

Tugend gleich?<br />

7. Gibt es eine Son<strong>de</strong>rgerechtigkeit?<br />

8. Hat die Son<strong>de</strong>rgerechtigkeit eine eigene Materie?<br />

9. Richtet sie sich auf die Lei<strong>de</strong>nschaften o<strong>de</strong>r nur auf die<br />

Tätigkeiten?<br />

10. Ist die „Tugendmitte" gleich <strong>de</strong>r „Sachmitte"?<br />

11. Besteht <strong>de</strong>r Akt <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> darin, je<strong>de</strong>m das Seine<br />

zu geben?<br />

12. Steht die <strong>Gerechtigkeit</strong> an <strong>de</strong>r Spitze aller sittlichen<br />

Tugen<strong>de</strong>n?<br />

1. ARTIKEL<br />

Ist die Definition <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>: Der unwan<strong>de</strong>lbare<br />

<strong>und</strong> feste Wille, je<strong>de</strong>m das Seine zu geben, richtig?<br />

1. Die <strong>Gerechtigkeit</strong> ist nach <strong>de</strong>m V.Buch <strong>de</strong>r Ethik <strong>de</strong>s<br />

Aristoteles (c. 1; 1129a7) „ein Habitus, <strong>de</strong>m das gerechte Tun<br />

<strong>de</strong>r Menschen entspringt <strong>und</strong> <strong>de</strong>r die Ursache dafür ist, daß<br />

sie es tun <strong>und</strong> wollen". Unter Wille versteht man jedoch Fähig­<br />

keit o<strong>de</strong>r auch Akt. Also läßt sich <strong>Gerechtigkeit</strong> nicht ein­<br />

fach mit „Wille" gleichsetzen.<br />

2. Wille ist nicht gleich <strong>Recht</strong>heit <strong>de</strong>s Willens, sonst könnte<br />

es, wenn <strong>de</strong>r Wille soviel wie <strong>Recht</strong>heit wäre, keinen verkehrten<br />

Willen geben. Nach Anselms Buch Über die Wahrheit (c. 12;<br />

ML 148,480) aber ist „<strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>Recht</strong>heit". Also ist<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> nicht Wille.<br />

3. Gottes Wille allein ist unwan<strong>de</strong>lbar. Setzt man also<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> mit unwan<strong>de</strong>lbarem Willen gleich, dann gibt es<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> nur in Gott, <strong>und</strong> das ist falsch.<br />

12


4. Alles Unwan<strong>de</strong>lbare ist fest, weil es unabän<strong>de</strong>rlich ist. 58. 1<br />

Daher setzt man „unwan<strong>de</strong>lbar" <strong>und</strong> „fest" überflüssigerweise<br />

in die Definition <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> ein.<br />

5. Je<strong>de</strong>m das Seine zu geben, ist Sache <strong>de</strong>s Fürsten. Wenn<br />

nun die <strong>Gerechtigkeit</strong> darin besteht, je<strong>de</strong>m das Seine zuzu­<br />

teilen, folgt, daß nur <strong>de</strong>r Fürst gerecht sein kann, dies aber ist<br />

nicht zutreffend.<br />

6. Augustinus sagt im Buch De moribus ecclesiae (c. 15;<br />

ML 32,1322): „Die <strong>Gerechtigkeit</strong> ist Liebe, die nur Gott dient".<br />

Also gibt sie nicht je<strong>de</strong>m das Seine.<br />

ANTWORT. Die obige Definition stimmt, man muß sie nur<br />

recht verstehen. Da je<strong>de</strong> Tugend ein Habitus ist, Ausgang guten<br />

Tuns, muß man Tugend notwendigerweise mit <strong>de</strong>m Akt <strong>de</strong>fi­<br />

nieren, <strong>de</strong>r sich auf ihr Betätigungsfeld (ihre „Materie") bezieht.<br />

Die <strong>Gerechtigkeit</strong> nun ist auf Dinge, die „<strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren" an­<br />

gehen, ausgerichtet, sie sind ihre Materie (s. u. Art. 2 u. 8).<br />

Wenn es darum heißt, die <strong>Gerechtigkeit</strong> „gebe je<strong>de</strong>m sein<br />

<strong>Recht</strong>", so wird dadurch ihre Hinordnung auf ihre Materie <strong>und</strong><br />

ihr Objekt zum Ausdruck gebracht. So sagt auch Isidor'm seiner<br />

Etymologie (X,l; ML82,320): „Gerecht ist, wer das <strong>Recht</strong><br />

wahrt". Damit aber ein Akt auf irgen<strong>de</strong>inem Betätigungsfeld<br />

Akt <strong>de</strong>r Tugend sei, muß er <strong>de</strong>m Willen entspringen, fest <strong>und</strong><br />

beharrlich sein. Aristoteles schreibt nämlich im II. Buch seiner<br />

Ethik (c.3; 1105a31), zum Tugendakt gehöre 1. „daß man<br />

weiß, was man tut", 2. „daß man überlegt <strong>und</strong> wegen eines<br />

ehrenhaften Zieles entschei<strong>de</strong>t", 3. daß man „ohne Wanken<br />

han<strong>de</strong>lt". Das erste ist im zweiten enthalten, <strong>de</strong>nn „was aus<br />

Unwissenheit getan wird, ist unwillentlich", wie es im III. Buch<br />

<strong>de</strong>r Ethik (c.2; 1129 b 35) heißt. Daher steht in <strong>de</strong>r Definition<br />

<strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> an erster Stelle <strong>de</strong>r Wille, um darzutun, daß<br />

ihr Akt aus freiem Entscheid hervorgehen muß. Standhaftigkeit<br />

<strong>und</strong> Unwan<strong>de</strong>lbarkeit kommen hinzu, um die Festigkeit <strong>de</strong>s<br />

Han<strong>de</strong>lns zu kennzeichnen. Und somit ist die vorgelegte Defi­<br />

nition eine vollständige Bestimmung <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>, nur daß<br />

anstelle von Habitus Akt eingesetzt wird, weil sie eben durch<br />

<strong>de</strong>n Akt ihr Gepräge erhält (spezifiziert wird), <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Habi­<br />

tus wird durch <strong>de</strong>n Akt <strong>de</strong>finiert. Wer die Definition in voll­<br />

kommene Form bringen wollte, könnte sagen: Die Gerechtig-<br />

. keit ist ein Habitus, kraft <strong>de</strong>ssen je<strong>de</strong>m das Seine mit festem<br />

<strong>und</strong> unwan<strong>de</strong>lbarem Willen zugeteilt wird. Diese Definition<br />

kommt <strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Aristoteles im V.Buch seiner Ethik (c.9;<br />

13


58. 1 1134a 1) ziemlich gleich, wo es heißt: „Die <strong>Gerechtigkeit</strong> ist ein<br />

Habitus, kraft <strong>de</strong>ssen jemand aus freier Entscheidung das<br />

Gerechte tut."<br />

Zu 1. Wille be<strong>de</strong>utet hier Akt, nicht Fähigkeit (Potenz). Die<br />

Autoren pflegen jedoch <strong>de</strong>n Habitus durch <strong>de</strong>n Akt zu <strong>de</strong>fi­<br />

nieren. So schreibt z. B. Augustinus in seinem Johanneskom­<br />

mentar (Tr. 40; ML 35,1690): Glaube heißt „annehmen, was du<br />

nicht siehst."<br />

Zu 2. Auch die <strong>Gerechtigkeit</strong> ist nicht gleich <strong>Recht</strong>heit <strong>de</strong>s<br />

Willens, son<strong>de</strong>rn nur <strong>de</strong>ren Ursache, sie ist nämlich ein Habi­<br />

tus, aus <strong>de</strong>m heraus jemand richtig han<strong>de</strong>lt <strong>und</strong> will.<br />

Zu 3. Der Wille kann auf zweifache Weise „unwan<strong>de</strong>lbar"<br />

genannt wer<strong>de</strong>n. Einmal im Hinblick auf <strong>de</strong>n Akt, <strong>de</strong>r unwan­<br />

<strong>de</strong>lbar weiterdauert. So ist nur <strong>de</strong>r Wille Gottes unwan<strong>de</strong>lbar.<br />

Das an<strong>de</strong>re Mal im Hinblick auf das Objekt, insofern jemand<br />

unwan<strong>de</strong>lbar etwas tun will. Und dies gehört zum Wesen <strong>de</strong>r<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>. Um gerecht zu sein, genügt es nicht, wenn<br />

jemand nur für eine St<strong>und</strong>e in irgen<strong>de</strong>iner geschäftlichen Sache<br />

die <strong>Gerechtigkeit</strong> hochhalten will - kaum gibt es ja einen, <strong>de</strong>r<br />

stets <strong>und</strong> immer ungerecht han<strong>de</strong>ln möchte -, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r<br />

Mensch muß <strong>de</strong>n Willen haben, unwan<strong>de</strong>lbar <strong>und</strong> in allem die<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> zu wahren.<br />

Zu 4. Unter „unwan<strong>de</strong>lbar" versteht man nicht unwan<strong>de</strong>l­<br />

bare Dauer <strong>de</strong>s Willensaktes. Deshalb steht nicht überflüssig<br />

das Wörtchen „fest" dabei. Wie mit „unwan<strong>de</strong>lbarer Wille" aus­<br />

gedrückt wird, daß jemand unwan<strong>de</strong>lbar die <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

wahren möchte, so mit <strong>de</strong>m Wort „fest", daß er diesen Vorsatz<br />

mit Festigkeit durchhält.<br />

Zu 5. Der Richter „gibt je<strong>de</strong>m das Seine" als Befehlen<strong>de</strong>r<br />

<strong>und</strong> Leiten<strong>de</strong>r, weil <strong>de</strong>r Richter nach <strong>de</strong>m V. Buch <strong>de</strong>r Ethik (c. 7<br />

u. 9; 1132a21,1134al) „die leben<strong>de</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> <strong>de</strong>r<br />

Fürst <strong>und</strong> Wächter <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>" ist. Die Untergebenen<br />

hingegen geben je<strong>de</strong>m das Seine als Ausführen<strong>de</strong>.<br />

Zu 6. Wie in <strong>de</strong>r Liebe zu Gott die Liebe zum Nächsten ein­<br />

geschlossen ist (vgl. o. Fr. 25, Art. 1), so gibt <strong>de</strong>r Mensch, <strong>de</strong>r<br />

Gott dient, auch je<strong>de</strong>m, was ihm gebührt.<br />

14


2. ARTIKEL 58. 2<br />

Ist die <strong>Gerechtigkeit</strong> auf einen an<strong>de</strong>ren bezogen?<br />

1. Der Apostel schreibt im Römerbrief 3,22: „Die Gerech­<br />

tigkeit Gottes aus <strong>de</strong>m Glauben an Jesus Christus." Doch <strong>de</strong>r<br />

Glaube versteht sich nicht durch die Beziehung eines Menschen<br />

zum an<strong>de</strong>ren. Also auch nicht die <strong>Gerechtigkeit</strong>.<br />

2. Weil die <strong>Gerechtigkeit</strong> nach Augustinus (De mor. eccl.<br />

c. 15; ML 32,1322) alles in <strong>de</strong>n Dienst Gottes stellt, vermag sie<br />

auch das, was „<strong>de</strong>m Menschen unterworfen ist, gut zu beherr­<br />

schen." Doch das sinnliche Begehren ist <strong>de</strong>m Menschen unter­<br />

worfen gemäß Gn4,7, wo es heißt: „Ihre", nämlich <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>,<br />

„Begier soll unter dir sein", „<strong>und</strong> du sollst sie beherrschen."<br />

Also gehört es zur Aufgabe <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>, das eigene<br />

Begehren zu beherrschen. Und darum bezieht sich die Gerech­<br />

tigkeit auf einen selbst.<br />

3. Die <strong>Gerechtigkeit</strong> Gottes dauert ewig. Doch gab es nie<br />

etwas, das zusammen mit Gott ebenso ewig gewesen wäre.<br />

Also gehört die Ausrichtung auf einen an<strong>de</strong>ren nicht zum<br />

Begriff <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>.<br />

4. Wie die auf an<strong>de</strong>re ausgerichteten Tätigkeiten einer Norm<br />

zu unterwerfen sind, so auch die Handlungen, die einen selbst<br />

angehen. Doch durch die <strong>Gerechtigkeit</strong> wer<strong>de</strong>n Handlungen<br />

normiert gemäß Sprll,5: „Der Arglosen Weg lenkt die<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>." Also richtet sich die <strong>Gerechtigkeit</strong> nicht nur auf<br />

das, was an<strong>de</strong>re, son<strong>de</strong>rn auch auf das, was einen selbst betrifft.<br />

DAGEGEN schreibt Cicero im I. Buch seiner Pflichtenlehre<br />

(c.7): „Die <strong>Gerechtigkeit</strong> ist jenes Ordnungsprinzip, das die<br />

menschliche Gesellschaft <strong>und</strong> das Gemeinschaftsleben zusam­<br />

menhält." Dies jedoch besagt Bezug auf <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren. Also<br />

erstreckt sich die <strong>Gerechtigkeit</strong> nur auf die Beziehung zum<br />

an<strong>de</strong>ren.<br />

ANTWORT. Da <strong>Gerechtigkeit</strong> Ausgleich be<strong>de</strong>utet (vgl.<br />

Fr. 57, Art. 1), ergibt sich aus ihrem Wesen, daß sie auf einen<br />

an<strong>de</strong>ren ausgerichtet ist, nichts nämlich ist sich selbst gegen­<br />

über ausgeglichen, son<strong>de</strong>rn nur gegenüber einem an<strong>de</strong>ren. Und<br />

weil die <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>de</strong>m menschlichen Tun Ausrichtung zu<br />

geben hat (vgl. 1-1160,2; 61,3), muß jene „An<strong>de</strong>rsheit", die sie<br />

verlangt, in zwei Handlungsmächtigen bestehen, die verschie­<br />

<strong>de</strong>n voneinan<strong>de</strong>r sind. Die Tätigkeiten aber gehen von Personen<br />

15


58. 2 <strong>und</strong> vom Ganzen aus, nicht aber streng genommen von <strong>de</strong>n<br />

Teilen <strong>und</strong> Formen o<strong>de</strong>r Fähigkeiten (Potenzen). Man sagt ja<br />

eigentlich nicht: „Die Hand schlägt", son<strong>de</strong>rn: <strong>de</strong>r Mensch mit<br />

seiner Hand. Auch heißt es nicht eigentlich, „die Hitze macht<br />

warm", son<strong>de</strong>rn: das Feuer durch seine Hitze. Doch dies sind<br />

bildliche Ausdrucksweisen. Die <strong>Gerechtigkeit</strong> im eigentlichen<br />

Sinn verlangt also die Verschie<strong>de</strong>nheit <strong>de</strong>r Subjekte, <strong>und</strong> darum<br />

kann es sie nur zwischen zwei Menschen geben. Wegen einer<br />

gewissen Ähnlichkeit jedoch läßt sich in einem <strong>und</strong> <strong>de</strong>mselben<br />

Menschen von verschie<strong>de</strong>nen Tätigkeitsprinzipien unterschied­<br />

licher Herkunft re<strong>de</strong>n: Vernunft, überwin<strong>de</strong>n<strong>de</strong>s, begehren<strong>de</strong>s<br />

Vermögen. Im übertragenen Sinn kann man daher sagen, in<br />

einem <strong>und</strong> <strong>de</strong>mselben Menschen gebe es <strong>Gerechtigkeit</strong>, inso­<br />

fern die Vernunft <strong>de</strong>m überwin<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n <strong>und</strong> begehren<strong>de</strong>n Ver­<br />

mögen befiehlt, <strong>und</strong> insofern diese <strong>de</strong>r Vernunft gehorchen,<br />

darüber hinaus ganz allgemein, insofern je<strong>de</strong>m Teil <strong>de</strong>s Men­<br />

schen zugeteilt wird, was ihm gebührt. Daher bezeichnet<br />

Aristoteles solcherlei <strong>Gerechtigkeit</strong> als „metaphorisch" (Eth.V,<br />

15; 1138b5).<br />

Zu 1. Unsere durch <strong>de</strong>n Glauben bewirkte <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />

durch <strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>r gerechtfertigt wird, besteht in <strong>de</strong>r rechten<br />

Ordnung <strong>de</strong>r Seelenteile, wie oben (1-11113,1) dargelegt<br />

wur<strong>de</strong>, wo von <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>fertigung <strong>de</strong>s Sün<strong>de</strong>rs die Re<strong>de</strong> war.<br />

Dies gehört jedoch zur <strong>Gerechtigkeit</strong> im übertragenen Sinne,<br />

die man auch bei einem einsam <strong>und</strong> allein Leben<strong>de</strong>n fin<strong>de</strong>n<br />

kann.<br />

Daraus ergibt sich die Antwort auf <strong>de</strong>n 2. Einwand.<br />

Zu 3. Die <strong>Gerechtigkeit</strong> Gottes ist von Ewigkeit entspre­<br />

chend seinem ewigen Willen <strong>und</strong> Vorsatz, <strong>und</strong> darin besteht vor<br />

allem die <strong>Gerechtigkeit</strong>. Von <strong>de</strong>r Wirkung aus gesehen, ist sie<br />

freilich nicht von Ewigkeit, weil es nichts gibt, das wie Gott<br />

gleich ewig ist.<br />

Zu 4. Die Tätigkeiten <strong>de</strong>s Menschen, die auf ihn selbst aus­<br />

gerichtet sind, stehen ausreichend unter einer Norm, wenn die<br />

Lei<strong>de</strong>nschaften durch an<strong>de</strong>re sittliche Tugen<strong>de</strong>n in Ordnung<br />

gebracht wor<strong>de</strong>n sind. Doch die auf an<strong>de</strong>re bezogenen Tätig­<br />

keiten bedürfen einer beson<strong>de</strong>ren Regelung, <strong>und</strong> zwar nicht nur<br />

im Hinblick auf <strong>de</strong>n Han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn auch im Hinblick auf<br />

<strong>de</strong>ssen Adressaten. Daher muß es diesbezüglich eine eigene<br />

Tugend geben, <strong>und</strong> dies ist die <strong>Gerechtigkeit</strong>.<br />

16


3. ARTIKEL 58. 3<br />

/st die <strong>Gerechtigkeit</strong> Tugend?<br />

1. Bei Lk 17,10 heißt es: „Wenn ihr alles getan habt, was<br />

euch befohlen wur<strong>de</strong>, sollt ihr sagen: wir sind unnütze Knechte,<br />

wir haben nur unsere Schuldigkeit getan." Doch ein Werk <strong>de</strong>r<br />

Tugend zu verrichten, ist nicht unnütz, sagt doch Ambrosius im<br />

II. Buch seiner Pflichtenlehre (c. 6; ML 16,109): „Wir nennen<br />

nützlich nicht, was sich mit barer Münze ausdrücken läßt, son­<br />

<strong>de</strong>rn die Erlangung <strong>de</strong>r Frömmigkeit." Was man machen muß,<br />

ist also kein Werk <strong>de</strong>r Tugend. Doch von dieser Art ist die<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>. Also ist sie keine Tugend.<br />

2. Was aus Notwendigkeit geschieht, ist nicht verdienstlich.<br />

Doch je<strong>de</strong>m das Seine geben, worin die <strong>Gerechtigkeit</strong> besteht,<br />

ist notwendig. Also ist es nicht verdienstlich. Durch Tugendakte<br />

jedoch erwerben wir Verdienste. Also ist die <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

keine Tugend.<br />

3. Bei <strong>de</strong>n sittlichen Tugen<strong>de</strong>n geht es um das Tun. Was aber<br />

äußerlich geschieht, ist nicht tun, son<strong>de</strong>rn „machen" (vgl.<br />

Aristoteles, Metaphysik IX, c. 8; 1050 a 30). Da nun die Gerech­<br />

tigkeit darin besteht, äußerlich ein in sich gutes Werk zu<br />

„machen", kann sie keine sittliche Tugend sein.<br />

DAGEGEN erklärt Gregor im II. Buch seiner Moralia (2,49;<br />

ML 75,592): „Die ganze Struktur <strong>de</strong>s guten Werkes erhebt sich<br />

auf <strong>de</strong>n vier Tugen<strong>de</strong>n", nämlich <strong>de</strong>r Maßhaltung, <strong>de</strong>r Klugheit,<br />

<strong>de</strong>r Tapferkeit <strong>und</strong> <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>.<br />

ANTWORT. Menschliche Tugend „macht das menschliche<br />

Tun <strong>und</strong> <strong>de</strong>n Menschen selber gut" (Aristoteles, Eth. 11,6;<br />

1113 a26). Dies trifft auch für die <strong>Gerechtigkeit</strong> zu. Das<br />

menschliche Tun wird nämlich dadurch gut, daß es mit <strong>de</strong>r<br />

Maßstab setzen<strong>de</strong>n Vernunft, die ihm seine Ausrichtung gibt,<br />

übereinstimmt. Da nun die <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>de</strong>n menschlichen<br />

Tätigkeiten Richtung verleiht, ist klar, daß sie damit das Tun <strong>de</strong>s<br />

Menschen gut macht. So erklärt auch Cicero im I. Buch seiner<br />

Pflichtenlehre (c.7): „Die Menschen wer<strong>de</strong>n hauptsächlich<br />

wegen ihrer <strong>Gerechtigkeit</strong> gut genannt." Daher ist, wie er eben-<br />

dort bemerkt, „<strong>de</strong>r Glanz <strong>de</strong>r Tugend in ihr am größten."<br />

Zu 1. Wenn jemand tut, was er tun muß, bringt er <strong>de</strong>m, für<br />

<strong>de</strong>n er tut, was er tun muß, keinen Gewinn, son<strong>de</strong>rn schützt ihn<br />

lediglich vor Scha<strong>de</strong>n. Dennoch hat er selber insofern N<strong>utz</strong>en,<br />

17


58. 4 als er spontan <strong>und</strong> entschlossen tut, was er tun muß, <strong>und</strong> das<br />

heißt tugendhaft han<strong>de</strong>ln. Darum steht im Buch <strong>de</strong>r Weisheit<br />

8,7: die Weisheit Gottes „lehrt Mäßigkeit <strong>und</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />

Klugheit <strong>und</strong> Starkmut, - nichts Nützlicheres gibt es im Leben<br />

<strong>de</strong>r Menschen", nämlich <strong>de</strong>r tugendhaften.<br />

Zu 2. Die Notwendigkeit ist eine zweifache. Einmal die <strong>de</strong>s<br />

Zwanges. Diese verschafft kein Verdienst, <strong>de</strong>nn sie hebt die<br />

Willenskraft auf. Die an<strong>de</strong>re Notwendigkeit grün<strong>de</strong>t in <strong>de</strong>r Ver­<br />

pflichtung durch ein Gebot o<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Notwendigkeit, ein Ziel<br />

zu erlangen, z. B. wenn jemand das Ziel einer Tugend nur unter<br />

dieser o<strong>de</strong>r jener Bedingung erreichen kann. Diese Art von<br />

Zwang schließt die Möglichkeit <strong>de</strong>s Verdienstes nicht aus, weil<br />

hier das Notwendige freiwillig getan wird. Dennoch fehlt ihm<br />

<strong>de</strong>r Ruhm <strong>de</strong>r Ubergebühr entsprechend <strong>de</strong>m Pauluswon im<br />

1. Korintherbrief 9,16: „Wenn ich das Evangelium verkün<strong>de</strong>,<br />

kann ich mich <strong>de</strong>swegen nicht rühmen, <strong>de</strong>nn ein Zwang liegt<br />

auf mir."<br />

Zu 3. <strong>Gerechtigkeit</strong> besteht nicht darin, mit äußeren Dingen<br />

etwas zu „machen", - das ist Sache <strong>de</strong>r Kunst, son<strong>de</strong>rn hat<br />

etwas zu tun mit <strong>de</strong>r Art, wie die Dinge in Bezug auf einen<br />

an<strong>de</strong>ren zu gebrauchen sind.<br />

4. ARTIKEL<br />

Hat die <strong>Gerechtigkeit</strong> ihren Sitz im Willen?<br />

1. Die <strong>Gerechtigkeit</strong> wird bisweilen auch Wahrheit genannt.<br />

Doch die Wahrheit ist nicht im Willen, son<strong>de</strong>rn im Verstand.<br />

Also hat die <strong>Gerechtigkeit</strong> nicht im Willen ihren Sitz.<br />

2. Die <strong>Gerechtigkeit</strong> befaßt sich mit Dingen, die Bezug zu<br />

einem an<strong>de</strong>ren haben. Doch etwas auf einen an<strong>de</strong>ren hinordnen<br />

ist Sache <strong>de</strong>s Verstan<strong>de</strong>s. Also hat die <strong>Gerechtigkeit</strong> nicht im<br />

Willen, son<strong>de</strong>rn vielmehr im Verstand ihren Sitz.<br />

3. Die <strong>Gerechtigkeit</strong> ist keine Verstan<strong>de</strong>stugend (kein Ver­<br />

stan<strong>de</strong>shabitus), da sie nicht auf Erkenntnis ausgerichtet ist.<br />

Daher kann sie nur sittliche Tugend sein. Doch die sittliche<br />

Tugend wurzelt im „Vernünftigen durch Teilhabe", <strong>und</strong> dies ist<br />

das überwin<strong>de</strong>n<strong>de</strong> <strong>und</strong> das begehren<strong>de</strong> Vermögen (vgl.<br />

Aristoteles, Eth. 1,13; 1102b30). Also hat die <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

nicht im Willen, son<strong>de</strong>rn im überwin<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n <strong>und</strong> im begeh­<br />

ren<strong>de</strong>n Vermögen ihren Sitz.<br />

18


DAGEGEN steht Anselms Wort (De veritate c. 12; ML 158, 58. 4<br />

482): „Die <strong>Gerechtigkeit</strong> ist die um ihrer selbst willen bewahrte<br />

<strong>Recht</strong>heit <strong>de</strong>s Willens."<br />

ANTWORT. Jenes Vermögen ist Sitz (Subjekt) <strong>de</strong>r Tugend,<br />

<strong>de</strong>ssen Akt durch die Tugend seine <strong>Recht</strong>heit erhalten soll. Die<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> aber hat nicht irgen<strong>de</strong>inen Erkenntnisakt zu<br />

lenken, heißen wir ja nicht gerecht, weil wir etwas richtig erken­<br />

nen. Daher ist die <strong>Gerechtigkeit</strong> auch nicht im Verstand o<strong>de</strong>r in<br />

<strong>de</strong>r Vernunft, d. h. im Erkenntnisvermögen, verwurzelt.<br />

Da wir jedoch „gerecht" heißen, weil wir etwas auf rechte<br />

Weise vollbringen <strong>und</strong> <strong>de</strong>r unmittelbare Ausgangspunkt <strong>de</strong>s<br />

Han<strong>de</strong>lns in <strong>de</strong>r Strebekraft liegt, muß die <strong>Gerechtigkeit</strong> ihren<br />

Sitz notwendigerweise in irgen<strong>de</strong>iner Strebekraft haben. Es gibt<br />

nun ein doppeltes Strebe vermögen, nämlich <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Vernunft<br />

beheimatete Wille <strong>und</strong> das sinnliche Streben, das <strong>de</strong>r sinnlichen<br />

Wahrnehmung folgt <strong>und</strong> in das überwin<strong>de</strong>n<strong>de</strong> <strong>und</strong> das begeh­<br />

ren<strong>de</strong> Vermögen eingeteilt wird (vgl. 181,2). „Einem je<strong>de</strong>n das<br />

Seine geben" kann aber nicht aus <strong>de</strong>m sinnlichen Streben her­<br />

geleitet wer<strong>de</strong>n, da die sinnliche Wahrnehmung nicht zur Erfas­<br />

sung <strong>de</strong>s Verhältnisses <strong>de</strong>s einen zum an<strong>de</strong>ren ausreicht. Diese<br />

Aufgabe löst allein <strong>de</strong>r Verstand. Daher kann die <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

ihren Sitz we<strong>de</strong>r im überwin<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n noch im begehren<strong>de</strong>n Ver­<br />

mögen haben, son<strong>de</strong>rn nur im Willen. Deshalb <strong>de</strong>finiert Aristo­<br />

teles die <strong>Gerechtigkeit</strong> auch mit <strong>de</strong>m Akt <strong>de</strong>s Willens (vgl.<br />

o.Art. 1,1. Einw.) [9].<br />

Zu 1. Der Wille ist ein Vernunftstreben, <strong>und</strong> darum behält<br />

die <strong>Recht</strong>heit <strong>de</strong>r Vernunft - auch „Wahrheit" genannt -, wenn<br />

sie in <strong>de</strong>n Willen eindringt, wegen ihrer Nähe zur Vernunft <strong>de</strong>n<br />

Namen „Wahrheit". Aus diesem Gr<strong>und</strong> wird die <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

bisweilen „Wahrheit" genannt.<br />

Zu 2. Der Wille stellt sich auf sein Objekt nach voraus­<br />

gehen<strong>de</strong>r Vernunfterkenntnis ein. Weil nun <strong>de</strong>r Verstand die<br />

Hinordnung auf einen an<strong>de</strong>ren bewirkt, kann auch <strong>de</strong>r Wille<br />

etwas in Hinordnung auf einen an<strong>de</strong>ren wollen, <strong>und</strong> das ist<br />

Sache <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>.<br />

Zu 3. Das Vernünftige durch Teilhabe fin<strong>de</strong>t sich nicht nur<br />

im Uberwindungs- <strong>und</strong> Begehrungsvermögen, son<strong>de</strong>rn „über­<br />

haupt allgemein im sinnenhaften Streben", wie es im I. Buch <strong>de</strong>r<br />

Ethik (c. 13; 1102b30) heißt, <strong>de</strong>nn jegliches Streben gehorcht<br />

<strong>de</strong>r Vernunft. Unter die Strebekräfte aber fällt auch <strong>de</strong>r Wille,<br />

<strong>und</strong> darum kann er Sitz einer moralischen Tugend sein.<br />

19


58. 5 5. ARTIKEL<br />

Ist die <strong>Gerechtigkeit</strong> „allgemeine Tugend"? [10]<br />

1. Die <strong>Gerechtigkeit</strong> steht in <strong>de</strong>r Einteilung <strong>de</strong>s Weisheits-<br />

buches 8,7 neben an<strong>de</strong>ren Tugen<strong>de</strong>n: „Sie (die Weisheit) lehrt<br />

Maßhaltung <strong>und</strong> Klugheit, <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Tapferkeit."<br />

Doch das Allgemeine kann man nicht mit an<strong>de</strong>ren teilen o<strong>de</strong>r<br />

mit <strong>de</strong>m unter <strong>de</strong>m Allgemeinen Stehen<strong>de</strong>n zusammenzählen.<br />

Also ist die <strong>Gerechtigkeit</strong> keine allgemeine Tugend.<br />

2. Gleichwie die <strong>Gerechtigkeit</strong> unter die Kardinaltugen<strong>de</strong>n<br />

gerechnet wird, so auch Maßhaltung <strong>und</strong> Tapferkeit. Doch<br />

Maßhaltung o<strong>de</strong>r Tapferkeit gilt nicht als allgemeine Tugend.<br />

Also darf auch die <strong>Gerechtigkeit</strong> nicht irgendwie als allgemeine<br />

Tugend angesehen wer<strong>de</strong>n.<br />

3. Die <strong>Gerechtigkeit</strong> ist immer auf einen an<strong>de</strong>ren ausge­<br />

richtet (o. Art. 2). Doch die Sün<strong>de</strong>, die sich gegen <strong>de</strong>n Nächsten<br />

richtet, ist nicht „allgemeine" Sün<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn steht <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>,<br />

durch die sich <strong>de</strong>r Mensch gegen sich selbst verfehlt, gegenüber.<br />

Also ist auch die <strong>Gerechtigkeit</strong> nicht allgemeine Tugend.<br />

DAGEGEN schreibt Aristoteles im V. Buch seiner Ethik (c. 1;<br />

1130 a 8): „Die <strong>Gerechtigkeit</strong> ist eine allgemeine Tugend."<br />

ANTWORT. Wie gesagt (Art. 2), ordnet die <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

<strong>de</strong>n Menschen in seinem Verhältnis zu einem an<strong>de</strong>ren. Dies nun<br />

kann auf zweifache Weise geschehen. Einmal in seinem Verhält­<br />

nis zu einer Einzelperson, ein an<strong>de</strong>res Mal zu einem an<strong>de</strong>ren<br />

„im allgemeinen". Dies ist <strong>de</strong>r Fall bei <strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r im Dienst einer<br />

Gemeinschaft steht <strong>und</strong> somit allen Menschen dieser Gemein­<br />

schaft dienstbar ist. Unter dieser doppelten Sichtweise kann die<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> zum Zuge kommen. Es ist aber klar, daß alle, die<br />

einer Gemeinschaft angehören, sich zu dieser wie Teile zum<br />

Ganzen verhalten. Der Teil aber als solcher ist etwas vom<br />

Ganzen. Daher läßt sich das Wohl <strong>de</strong>s Teiles auf das Wohl <strong>de</strong>s<br />

Ganzen hinordnen. Danach also verbin<strong>de</strong>t sich das Gut je<strong>de</strong>r<br />

Tugend, bringe sie einen Menschen in sich selbst in Ordnung<br />

o<strong>de</strong>r in Bezug auf an<strong>de</strong>re Einzelmenschen, mit <strong>de</strong>m Gemein­<br />

wohl, <strong>de</strong>m die <strong>Gerechtigkeit</strong> verpflichtet ist. Und so können die<br />

Akte aller Tugen<strong>de</strong>n, insofern sie <strong>de</strong>n Menschen auf das<br />

Gemeinwohl ausrichten, zur <strong>Gerechtigkeit</strong> gehören. In diesem<br />

Sinn heißt die <strong>Gerechtigkeit</strong> „allgemeine Tugend". Und weil es<br />

Aufgabe <strong>de</strong>s Gesetzes ist, die Hinordnung auf das Gemeinwohl<br />

20


sicherzustellen (vgl. 1-1190,2), erhält die <strong>Gerechtigkeit</strong>, die, 58.6<br />

wie eben erklärt, „allgemein" ist, <strong>de</strong>n Namen „Gesetzesgerech­<br />

tigkeit", <strong>de</strong>nn durch sie unterwirft sich <strong>de</strong>r Mensch <strong>de</strong>m Gesetz,<br />

das die Akte aller Tugen<strong>de</strong>n <strong>de</strong>m Gemeinwohl dienstbar macht.<br />

Zu 1. Die <strong>Gerechtigkeit</strong> steht in <strong>de</strong>r Einteilung zusammen<br />

mit <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Tugen<strong>de</strong>n nicht als allgemeine, son<strong>de</strong>rn als<br />

beson<strong>de</strong>re Tugend, wie unten dargelegt wer<strong>de</strong>n wird. (Art. 7).<br />

Zu 2. Maßhaltung <strong>und</strong> Tapferkeit haben ihren Sitz im sinn­<br />

lichen Strebevermögen, d. h. im begehren<strong>de</strong>n <strong>und</strong> im überwin­<br />

<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n. Diese Kräfte aber wen<strong>de</strong>n sich gewissen Einzelobjek­<br />

ten zu, wie auch die sinnliche Erkenntnis nur Einzelnes erfaßt.<br />

Die <strong>Gerechtigkeit</strong> hingegen hat ihren Sitz im rationalen Strebe­<br />

vermögen <strong>und</strong> ist <strong>de</strong>shalb imstan<strong>de</strong>, auf das vom Verstand<br />

erkannte Allgemeingut auszugehen. Aus diesem Gr<strong>und</strong> kann<br />

die <strong>Gerechtigkeit</strong> auch eher eine allgemeine Tugend sein als<br />

Maßhaltung <strong>und</strong> Tapferkeit.<br />

Zu 3. Was einen selbst angeht, läßt sich auch auf an<strong>de</strong>re<br />

beziehen, vor allem, wenn es um das Gemeinwohl geht. Daher<br />

kann die Gesetzesgerechtigkeit, weil sie auf das Gemeinwohl<br />

ausrichtet, „allgemeine Tugend" genannt wer<strong>de</strong>n. Und aus <strong>de</strong>m<br />

gleichen Gr<strong>und</strong> läßt sich die Ungerechtigkeit als „allgemeine<br />

Sün<strong>de</strong>" bezeichnen. Daher heißt es 1 Jo. 3,4: Je<strong>de</strong> Sün<strong>de</strong> ist<br />

Ungerechtigkeit."<br />

6. ARTIKEL<br />

Ist die <strong>Gerechtigkeit</strong> als allgemeine Tugend wesentlich<br />

je<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Tugend gleich?<br />

1. Aristoteles schreibt im V.Buch seiner Ethik (c.5; 1130<br />

al2), Tugend <strong>und</strong> Gesetzesgerechtigkeit „sind gleich je<strong>de</strong>r<br />

an<strong>de</strong>ren Tugend, ihr Begriff aber ist nicht dasselbe". Was jedoch<br />

nur begrifflich verschie<strong>de</strong>n ist, unterschei<strong>de</strong>t sich nicht im<br />

Wesen. Also ist <strong>Gerechtigkeit</strong> wesentlich gleich je<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren<br />

Tugend.<br />

2. Eine Tugend, die nicht je<strong>de</strong>r Tugend wesentlich gleich­<br />

kommt, ist Teil einer Tugend. Doch die genannte <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

ist nach <strong>de</strong>r obigen y4ratote7esstelle „nicht Teil <strong>de</strong>r Tugend,<br />

son<strong>de</strong>rn die ganze Tugend". Also unterschei<strong>de</strong>t sich die vor­<br />

genannte <strong>Gerechtigkeit</strong> nicht wesentlich von je<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren<br />

Tugend.<br />

21


58. 6 3. Dadurch, daß eine Tugend ihren Akt auf ein höheres Ziel<br />

ausrichtet, wird sie in ihrem Wesen als Habitus nicht verän<strong>de</strong>rt.<br />

So bleibt sich <strong>de</strong>r Habitus <strong>de</strong>r Maßhaltung wesentlich gleich,<br />

auch wenn ihr Akt auf Gott hinweist. Die Gesetzesgerechtigkeit<br />

jedoch ordnet alle Tugendakte auf ein höheres Ziel hin, nämlich<br />

auf das gemeinsame Wohl aller, das über <strong>de</strong>m Wohl einer Ein­<br />

zelperson liegt. Also ist die Gesetzesgerechtigkeit wesentlich<br />

gleich allen an<strong>de</strong>ren Tugen<strong>de</strong>n.<br />

4. Je<strong>de</strong>r Teil ist auf das Ganze ausgerichtet, an<strong>de</strong>rnfalls ist es<br />

vergeblich <strong>und</strong> umsonst. Das Tugendhafte jedoch kann nicht so<br />

sein. Also kann es auch keinen Tugendakt geben, <strong>de</strong>r nicht zur<br />

allgemeinen <strong>Gerechtigkeit</strong> gehört, <strong>de</strong>ren Objekt das Gemein­<br />

wohl ist. Und so erklärt sich, daß die allgemeine <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

wesentlich das gleiche ist wie je<strong>de</strong> an<strong>de</strong>re Tugend.<br />

DAGEGEN behauptet Aristoteles im V.Buch seiner Ethik<br />

(c.3; 1129b33): „Viele können die Tugend in ihren eigenen<br />

Angelegenheiten ausüben, aber in <strong>de</strong>m, was an<strong>de</strong>re betrifft,<br />

können sie es nicht." Und im III. Buch <strong>de</strong>r Politik (c.4;<br />

1277a 22) schreibt er: „Die Tugend <strong>de</strong>s guten Mannes ist nicht<br />

einfach die Tugend <strong>de</strong>s guten Staatsbürgers." Denn die Tugend<br />

<strong>de</strong>s guten Bürgers ist die allgemeine <strong>Gerechtigkeit</strong>, die das<br />

Gemeinwohl ins Auge faßt. Also sind „allgemeine Gerechtig­<br />

keit" <strong>und</strong> Tugend im allgemeinen nicht das gleiche, <strong>de</strong>nn man<br />

kann die eine ohne die an<strong>de</strong>re haben.<br />

ANTWORT. „Allgemein" versteht sich zweifach. Einmal als<br />

Aussage, wie: „Sinnenwesen" gilt allgemein für Mensch <strong>und</strong><br />

Pferd u. dgl. Hierbei muß das Allgemeine bei <strong>de</strong>nen, auf welche<br />

die Aussage zutrifft, wesentlich das gleiche sein, <strong>de</strong>nn das<br />

Genus fin<strong>de</strong>t sich wesentlich gleich in <strong>de</strong>r Spezies wie<strong>de</strong>r <strong>und</strong><br />

bestimmt <strong>de</strong>ren Definition. - In an<strong>de</strong>rer Weise spricht man von<br />

„allgemein" <strong>de</strong>r Kraft nach. So ist die Universalursache „all­<br />

gemein" bezüglich aller Wirkungen, wie die Sonne in Bezug auf<br />

alle Körper, die beleuchtet o<strong>de</strong>r durch ihre Kraft verän<strong>de</strong>rt<br />

wer<strong>de</strong>n. Das <strong>de</strong>rart „Allgemeine" braucht in seinem Wesen<br />

nicht mit <strong>de</strong>m übereinzustimmen, für das es „allgemein" ist,<br />

<strong>de</strong>nn Ursache <strong>und</strong> Wirkung sind nicht gleichen Wesens.<br />

Auf diese zweite Art nun wird die oben (Art. 5) besprochene<br />

Gesetzesgerechtigkeit „allgemeine Tugend" genannt, nämlich<br />

insofern sie die Akte aller an<strong>de</strong>ren Tugen<strong>de</strong>n auf ihr Ziel aus­<br />

richtet, was be<strong>de</strong>utet: unter ihrem Befehl alle an<strong>de</strong>ren Tugen­<br />

<strong>de</strong>n in Bewegung bringen. Wie man die Caritas (übernatürliche<br />

22


Liebe zu Gott) „allgemeine Liebe" nennen kann, insofern sie 58. 7<br />

die Akte aller Tugen<strong>de</strong>n auf Gott als höchstes Gut ausrichtet, so<br />

auch die Gesetzesgerechtigkeit, insofern diese die Akte aller<br />

Tugen<strong>de</strong>n <strong>de</strong>m Gemeinwohl zuordnet. Wie nun die Caritas, die<br />

das göttliche Gut als ihr beson<strong>de</strong>res Objekt ins Auge faßt, ihrem<br />

Wesen nach eine eigene Tugend ist, so ist auch die Gesetzes­<br />

gerechtigkeit ihrem Wesen nach eine eigene Tugend mit <strong>de</strong>m<br />

Gemeinwohl als ihrem beson<strong>de</strong>ren Objekt. Und so ist sie im<br />

Fürsten „haupt"-sächlich <strong>und</strong> gleichsam Richtung weisend, in<br />

<strong>de</strong>n Untergebenen aber in zweiter Linie <strong>und</strong> gleichsam aus­<br />

führend.<br />

Je<strong>de</strong> Tugend kann jedoch „Gesetzesgerechtigkeit" genannt<br />

wer<strong>de</strong>n, insofern sie, als zwar wesensverschie<strong>de</strong>ne, doch wegen<br />

ihrer Bewegkraft als „allgemein" wirksame, auf das Gemein­<br />

wohl hingeordnet ist. So gesehen kommt die Gesetzesgerech­<br />

tigkeit mit je<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Tugend überein, unterschei<strong>de</strong>t sich<br />

aber <strong>de</strong>m Begriff nach. In diesem Sinn spricht Aristoteles<br />

(Eth.V,3; 1130 a 12).<br />

Zu 1 <strong>und</strong> Zu 2: Die Antworten ergeben sich aus <strong>de</strong>r obigen<br />

Darlegung.<br />

Zu 3. Auch jener Einwand geht von <strong>de</strong>r in diesem Sinn<br />

gefaßten Gesetzesgerechtigkeit aus, wonach die von <strong>de</strong>r Geset­<br />

zesgerechtigkeit gelenkte Tugend selbst wie<strong>de</strong>rum Gesetzes­<br />

gerechtigkeit genannt wird.<br />

Zu 4. Je<strong>de</strong> Tugend richtet entsprechend ihrer Eigenart ihren<br />

Akt auf das ihr zugehörige Ziel. Daß sie aber einem weiteren<br />

Ziel zustrebt, sei es für immer, sei es bisweilen, liegt nicht in<br />

ihrer Wesensart. Es muß dazu eine an<strong>de</strong>re, höhere Tugend vor­<br />

han<strong>de</strong>n sein, die sie auf jenes Ziel einstellt. Und so muß es eine<br />

höhere Tugend geben, die alle Tugen<strong>de</strong>n auf das Gemeinwohl<br />

ausrichtet, <strong>und</strong> dies ist die Gesetzesgerechtigkeit - eine wesent­<br />

lich von je<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren verschie<strong>de</strong>ne Tugend.<br />

7. ARTIKEL<br />

Gibt es außer <strong>de</strong>r allgemeinen <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

noch eine beson<strong>de</strong>re <strong>Gerechtigkeit</strong>?<br />

1. Im Reich <strong>de</strong>r Tugen<strong>de</strong>n gibt es nichts überflüssiges. Nun<br />

setzt die allgemeine <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>de</strong>n Menschen ausreichend<br />

23


58. 7 in <strong>de</strong>n Stand, um allem zu genügen, was <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren betrifft.<br />

Also ist eine beson<strong>de</strong>re <strong>Gerechtigkeit</strong> nicht vonnöten.<br />

2. Eines <strong>und</strong> Vieles än<strong>de</strong>rn die Art einer Tugend nicht. Die<br />

Gesetzesgerechtigkeit aber ordnet <strong>de</strong>n Menschen auf <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>­<br />

ren hin in all <strong>de</strong>m, was alle betrifft (vgl. o. Art. 5 u. 6). Also gibt<br />

es keine an<strong>de</strong>re Tugendart, die <strong>de</strong>n Menschen auf <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren<br />

in <strong>de</strong>m hinordnet, was nur eine einzelne Person angeht.<br />

3. Zwischen <strong>de</strong>r Einzelperson <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Menge <strong>de</strong>r Bürger<br />

gibt es ein Mittleres, nämlich die Familiengruppe. Wenn es nun<br />

außer <strong>de</strong>r allgemeinen <strong>Gerechtigkeit</strong> noch eine Son<strong>de</strong>rgerech­<br />

tigkeit für die Beziehung zu einer einzelnen Person gibt, dann<br />

muß es auch eine <strong>Gerechtigkeit</strong> für die Hausgemeinschaft<br />

geben, die das Wohl einer Familie sichert. Doch davon re<strong>de</strong>t<br />

niemand. Also gibt es neben <strong>de</strong>r Gesetzesgerechtigkeit auch<br />

keine Einzelgerechtigkeit.<br />

DAGEGEN steht das Chrysostomuswort zu Mt 5,6 („Selig,<br />

die hungern <strong>und</strong> dürsten nach <strong>Gerechtigkeit</strong>"): „Mit Gerechtig­<br />

keit bezeichnet er (Christus) die allgemeine o<strong>de</strong>r die <strong>de</strong>m Geiz<br />

entgegengesetzte beson<strong>de</strong>re Tugend" (Horn. 15; MG57,227).<br />

ANTWORT. Wie (im vorigen Art.) gesagt, ist die Gesetzes­<br />

gerechtigkeit nicht je<strong>de</strong>r Tugend wesentlich gleich, son<strong>de</strong>rn<br />

außer <strong>de</strong>r Gesetzesgerechtigkeit, die <strong>de</strong>n Menschen unmittelbar<br />

auf das Gemeinwohl hinordnet, muß es noch an<strong>de</strong>re Tugen<strong>de</strong>n<br />

geben, die ihn unmittelbar zu Einzelgütern in Beziehung brin­<br />

gen. Dies kann in bezug auf sich selbst o<strong>de</strong>r auf eine an<strong>de</strong>re<br />

Einzelperson zutreffen. Wie es nun neben <strong>de</strong>r Gesetzesgerech­<br />

tigkeit Son<strong>de</strong>rtugen<strong>de</strong>n geben muß, die <strong>de</strong>n Menschen in sich in<br />

Ordnung halten, z. B. Maßhaltung <strong>und</strong> Tapferkeit, so auch<br />

neben <strong>de</strong>r Gesetzesgerechtigkeit eine Son<strong>de</strong>rgerechtigkeit, die<br />

<strong>de</strong>m Menschen in seinem Verkehr zu einer an<strong>de</strong>ren Einzelper­<br />

son die rechte Weisung gibt.<br />

Zu 1. Die Gesetzesgerechtigkeit gibt <strong>de</strong>m Menschen in sei­<br />

nen Beziehungen zu an<strong>de</strong>ren im Hinblick auf das Gemeinwohl<br />

unmittelbar zwar genügend rechte Orientierung, bezüglich <strong>de</strong>s<br />

Wohls einer einzelnen Person jedoch nur mittelbar [11]. Daher<br />

muß es eine Son<strong>de</strong>rgerechtigkeit geben, die <strong>de</strong>n Menschen<br />

unmittelbar auf das Wohl einer an<strong>de</strong>ren Einzelperson hinorien­<br />

tiert.<br />

Zu 2. Das Gemeinwohl <strong>de</strong>s Staates <strong>und</strong> das Einzelwohl<br />

einer Person unterschei<strong>de</strong>n sich nicht nur wie viel <strong>und</strong> wenig,<br />

son<strong>de</strong>rn wesenhaft („formal"). Etwas wesentlich an<strong>de</strong>res ist<br />

24


nämlich das Wohl <strong>de</strong>s Gemeinwesens <strong>und</strong> etwas an<strong>de</strong>res das 58. 8<br />

Wohl <strong>de</strong>r einzelnen. Sie sind so gr<strong>und</strong>verschie<strong>de</strong>n wie das<br />

Ganze <strong>und</strong> sein Teil. Daher sagt Aristoteles im I. Buch seiner<br />

Politik (c. 1; 1252 a 7): „Unrichtig drückt sich aus, wer sagt, <strong>de</strong>r<br />

Staat <strong>und</strong> die Hausgemeinschaft <strong>und</strong> an<strong>de</strong>res dgl. unterschie<strong>de</strong>n<br />

sich nur wie viel <strong>und</strong> wenig, <strong>und</strong> nicht ihrer Wesensart nach."<br />

Zu 3. Im Familienverband unterschei<strong>de</strong>t Aristoteles (vgl.<br />

Pol.1,3; 1253b6) drei Beziehungsverhältnisse, nämlich „<strong>de</strong>r<br />

Gattin zu ihrem Mann, <strong>de</strong>s Vaters zu seinem Sohn <strong>und</strong> <strong>de</strong>s<br />

Herrn zu seinem Sklaven", wobei die eine <strong>de</strong>r so verb<strong>und</strong>enen<br />

Personen jeweils „etwas von <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren" ist. Daher besteht<br />

bezüglich dieser Person nicht einfach das Verhältnis von<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> schlechthin, son<strong>de</strong>rn eine beson<strong>de</strong>re Gerechtig­<br />

keit, nämlich die „häusliche" (vgl. Aristoteles Eth.V, 10;<br />

1134b8).<br />

8. ARTIKEL<br />

Hat die Son<strong>de</strong>rgerechtigkeit einen eigenen Wirkbereich?<br />

1. Zum Vers Gn2,14: „Der vierte Fluß ist <strong>de</strong>r Euphrat",<br />

bemerkt die Glosse (Augustinus, ML 34,204): „Euphrat heißt <strong>de</strong>r<br />

,Fruchtbare'. Und es wird nicht gesagt, wobin er fließt, <strong>de</strong>nn die<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> erstreckt sich auf alle Teile <strong>de</strong>r Seele". Dies wäre<br />

aber nicht möglich, wenn sie einen beson<strong>de</strong>ren Wirkbereich<br />

hätte, je<strong>de</strong>m beson<strong>de</strong>ren Wirkbereich entspricht nämlich ein<br />

beson<strong>de</strong>res Wirkvermögen (Potenz). Also steht <strong>de</strong>r Son<strong>de</strong>r­<br />

gerechtigkeit keine beson<strong>de</strong>re Materie zu.<br />

2. Augustinus schreibt in seinem Buch Drei<strong>und</strong>achtzig Fragen<br />

(Fr. 61; ML 40,51): „Mit vier Tugen<strong>de</strong>n in unserer Seele bestrei-<br />

ten wir hinie<strong>de</strong>n unser geistiges Leben, nämlich mit <strong>de</strong>r Klug­<br />

heit, <strong>de</strong>r Maßhaltung, <strong>de</strong>m Starkmut <strong>und</strong> <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>".<br />

Und er fügt hinzu: die vierte ist die <strong>Gerechtigkeit</strong>, „die alle<br />

durchdringt". Also hat die Son<strong>de</strong>rgerechtigkeit - eine <strong>de</strong>r vier<br />

Kardinaltugen<strong>de</strong>n - keine beson<strong>de</strong>re Materie.<br />

3. Die <strong>Gerechtigkeit</strong> gibt <strong>de</strong>m Menschen genügend Orien­<br />

tierung in seinen Beziehungen zum an<strong>de</strong>ren. Doch alles im<br />

Leben hinie<strong>de</strong>n kann <strong>de</strong>n Menschen zu einem an<strong>de</strong>ren in Bezie­<br />

hung bringen. Also hat die <strong>Gerechtigkeit</strong> nur einen allgemeinen<br />

<strong>und</strong> keinen beson<strong>de</strong>ren Wirkbereich.<br />

25


58. 8 DAGEGEN for<strong>de</strong>rt Aristoteles im V. Buch seiner Ethik (c. 5;<br />

1130 b 31) eine Son<strong>de</strong>rgerechtigkeit für das beson<strong>de</strong>re Gebiet<br />

zwischenmenschlichen Verkehrs.<br />

ANTWORT. Alles, was sich durch die Vernunft regeln läßt,<br />

ist Materie <strong>de</strong>r sittlichen Tugend, die durch die „rechte Ver­<br />

nunft" <strong>de</strong>finiert wird, wie aus <strong>de</strong>m II. Buch <strong>de</strong>r aristotelischen<br />

Ethik (c. 6; 1107al) hervorgeht. Durch die Vernunft können<br />

nun sowohl die inneren Lei<strong>de</strong>nschaften als auch die äußeren<br />

Handlungen <strong>und</strong> ebenso die äußeren Dinge, die die Menschen<br />

in Gebrauch haben, in Ordnung gebracht wer<strong>de</strong>n. Doch durch<br />

die äußeren Handlungen wie durch die äußeren Dinge, welche<br />

die Menschen miteinan<strong>de</strong>r in Kontakt bringen können, tritt ein<br />

Mensch mit einem an<strong>de</strong>ren in Verkehr; im Bereich <strong>de</strong>r inneren<br />

Lei<strong>de</strong>nschaften hingegen hat es je<strong>de</strong>r nur mit sich selbst zu tun.<br />

Da sich nun die <strong>Gerechtigkeit</strong> im Verhältnis zu einem an<strong>de</strong>ren<br />

abspielt, erstreckt sie sich nicht auf das ganze Wirkungsgebiet<br />

<strong>de</strong>r sittlichen Tugend, son<strong>de</strong>rn nur auf die äußeren Handlungen<br />

<strong>und</strong> Dinge unter <strong>de</strong>m beson<strong>de</strong>ren Blickwinkel, daß dadurch<br />

zwei Menschen einan<strong>de</strong>r zugeordnet wer<strong>de</strong>n.<br />

Zu 1. Die <strong>Gerechtigkeit</strong> gehört zwar wesenhaft zu einem be­<br />

stimmten Teil <strong>de</strong>r Seele, in <strong>de</strong>m sie ihren Sitz hat, nämlich zum<br />

Willen, dieser jedoch steuert durch seinen Befehl alle an<strong>de</strong>renTeile<br />

<strong>de</strong>r Seele. So erstreckt sich die <strong>Gerechtigkeit</strong> nicht unmittel­<br />

bar, jedoch in einer Art von Ubergreifen auf alle Teile <strong>de</strong>r Seele.<br />

Zu 2. Wie oben (1-1161,3 u. 4) dargelegt, wer<strong>de</strong>n die Kardi­<br />

naltugen<strong>de</strong>n zweifach verstan<strong>de</strong>n. Einmal als beson<strong>de</strong>re Tugen­<br />

<strong>de</strong>n mit bestimmten Wirkungsfel<strong>de</strong>rn, sodann, insofern sie<br />

gewisse allgemeine Weisen <strong>de</strong>r Tugend bezeichnen. In diesem<br />

Sinne spricht dort Augustinus. Er schreibt nämlich, die Klugheit<br />

sei „Erkenntnis <strong>de</strong>ssen, was zu erstreben <strong>und</strong> zu fliehen ist", die<br />

Maßhaltung „Zügelung <strong>de</strong>r Begier<strong>de</strong> in <strong>de</strong>m, was für kurze Zeit<br />

Lust verschafft", die Tapferkeit „Seelenstärke in vorübergehen­<br />

<strong>de</strong>n Beschwernissen", die <strong>Gerechtigkeit</strong> ist die Tugend, „die alle<br />

durchtränkt, sie ist Liebe zu Gott <strong>und</strong> zum Nächsten" <strong>und</strong> die<br />

gemeinsame Wurzel <strong>de</strong>r gesamten Beziehungen zu an<strong>de</strong>ren.<br />

Zu 3. Die inneren Lei<strong>de</strong>nschaften - ein Teilbereich für sitt­<br />

liche Betätigring - sind in sich nicht auf einen an<strong>de</strong>ren ausgerich­<br />

tet - dies gehört spezifisch zur <strong>Gerechtigkeit</strong> -, doch ihre Wir­<br />

kungen, d. h. das durch sie ausgelöste Verhalten kann sich auf<br />

an<strong>de</strong>re richten. Daraus folgt also nicht, daß die Materie <strong>de</strong>r<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> allgemein ist.<br />

26


9. ARTIKEL 58. 9<br />

Hat die Gesetzesgerechtigkeit<br />

etwas mit <strong>de</strong>n Lei<strong>de</strong>nschaften zu tun?<br />

1. Im II. Buch seiner Ethik (c.2; 1104b 8) schreibt Aristo­<br />

teles: „Sittliche Tugend hat mit Lust <strong>und</strong> Trauer zu tun." Lust, d.<br />

h. Begier<strong>de</strong>, <strong>und</strong> Trauer aber sind Lei<strong>de</strong>nschaften, wie oben im<br />

Traktat über die Lei<strong>de</strong>nschaften dargelegt wur<strong>de</strong> (I—II 24,4). Da<br />

nun die <strong>Gerechtigkeit</strong> eine sittliche Tugend ist, bezieht sie sich<br />

auch auf die Lei<strong>de</strong>nschaften.<br />

2. Die <strong>Gerechtigkeit</strong> schafft Ordnung in <strong>de</strong>n Beziehungen<br />

zu an<strong>de</strong>ren. Doch diese Ordnung läßt sich nicht schaffen,<br />

solange die Lei<strong>de</strong>nschaften nicht in Ordnung sind, <strong>de</strong>nn aus <strong>de</strong>r<br />

Unordnung <strong>de</strong>r Lei<strong>de</strong>nschaften folgt die Unordnung im<br />

erwähnten Bemühen. Die Begier<strong>de</strong> auf sexuellem Gebiet führt<br />

nämlich zum Ehebruch, <strong>und</strong> die übermäßige Liebe zum Geld<br />

verleitet zum Diebstahl. Also muß sich die <strong>Gerechtigkeit</strong> auch<br />

auf die Lei<strong>de</strong>nschaften erstrecken.<br />

3. Wie die Son<strong>de</strong>rgerechtigkeit, so bezieht sich auch die<br />

Gesetzesgerechtigkeit auf an<strong>de</strong>re. Doch die Gesetzesgerechtig­<br />

keit hat es mit <strong>de</strong>n Lei<strong>de</strong>nschaften zu tun, sonst wäre sie nicht<br />

für alle Tugen<strong>de</strong>n zuständig, von <strong>de</strong>nen sich offensichtlich<br />

einige auf die Lei<strong>de</strong>nschaften beziehen. Also wirkt die Gerech­<br />

tigkeit auch auf <strong>de</strong>m Gebiet <strong>de</strong>r Lei<strong>de</strong>nschaften.<br />

DAGEGEN steht das Wort <strong>de</strong>s Aristoteles in seiner Ethik<br />

(V, 1; 1129a 3), wonach sie nur die Tätigkeiten berührt.<br />

ANTWORT. Die Lösung <strong>de</strong>r vorliegen<strong>de</strong>n Frage ergibt sich<br />

aus zwei Tatsachen. 1. aus <strong>de</strong>m Träger (Sitz, Subjekt) <strong>de</strong>r<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>, nämlich <strong>de</strong>m Willen, <strong>de</strong>ssen Bewegungen o<strong>de</strong>r<br />

Akte nichts von Lei<strong>de</strong>nschaften an sich haben (vgl. I—II 22,3), -<br />

nur die Regungen <strong>de</strong>s sinnlichen Strebevermögens heißen<br />

Lei<strong>de</strong>nschaften. Darum erstreckt sich die <strong>Gerechtigkeit</strong> nicht<br />

auf die Lei<strong>de</strong>nschaften, wie es bei <strong>de</strong>r Maßhaltung <strong>und</strong> <strong>de</strong>r<br />

Tapferkeit <strong>de</strong>r Fall ist, die <strong>de</strong>n Lei<strong>de</strong>nschaften <strong>de</strong>s überwin<strong>de</strong>n­<br />

<strong>de</strong>n <strong>und</strong> <strong>de</strong>s begehren<strong>de</strong>n Vermögens zugehören. - 2. aus <strong>de</strong>r<br />

Art <strong>de</strong>s Wirkungsbereichs (<strong>de</strong>r „Materie"). Die <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

ist nämlich auf <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren ausgerichtet, die im Inneren<br />

wohnen<strong>de</strong>n Lei<strong>de</strong>nschaften verweisen uns aber nicht unmittel­<br />

bar an einen an<strong>de</strong>ren. Daher hat die <strong>Gerechtigkeit</strong> nichts mit<br />

Lei<strong>de</strong>nschaften zu tun.<br />

27


58.9 Zu 1. Nicht je<strong>de</strong> sittliche Tugend wirkt im Bereich von Lust<br />

<strong>und</strong> Trauer. Denn die Tapferkeit hat es mit Furcht <strong>und</strong> Übermut<br />

zu tun. Dennoch ist je<strong>de</strong> sittliche Tugend auf Freu<strong>de</strong> <strong>und</strong> Trauer<br />

als Folgeerscheinungen hingeordnet, wie Aristoteles im<br />

VII. Buch seiner Ethik (c. 12; 1152b2) sagt: „Lust <strong>und</strong> Unlust<br />

stehen im Vor<strong>de</strong>rgr<strong>und</strong> unseres Empfin<strong>de</strong>ns, wenn wir etwas<br />

mit schlecht o<strong>de</strong>r gut bezeichnen." Dies gilt auch für die<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>, <strong>de</strong>nn „es gibt keinen Gerechten, <strong>de</strong>r über sein<br />

gerechtes Tun nicht Freu<strong>de</strong> empfän<strong>de</strong>" (Eth. 1,9; 1099 a 18).<br />

Zu 2. Die äußeren Handlungen liegen sozusagen in <strong>de</strong>r<br />

Mitte zwischen <strong>de</strong>n äußeren Dingen, auf die sie sich beziehen,<br />

<strong>und</strong> <strong>de</strong>n inneren Lei<strong>de</strong>nschaften, <strong>de</strong>nen sie entspringen. Bis­<br />

weilen kann nun auf <strong>de</strong>r einen Seite etwas fehlen, was auf <strong>de</strong>r<br />

an<strong>de</strong>ren nicht <strong>de</strong>r Fall ist, z. B. wenn jemand eine frem<strong>de</strong> Sache<br />

wegnimmt, ohne sie behalten zu wollen, son<strong>de</strong>rn nur, um zu<br />

scha<strong>de</strong>n, o<strong>de</strong>r, umgekehrt, wenn einer <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>ren Sachen be­<br />

gehrt, ohne sie wegnehmen zu wollen. Die rechte Ordnung also<br />

in <strong>de</strong>n Handlungen, die äußerlich vollzogen wer<strong>de</strong>n, ist Auf­<br />

gabe <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>, doch was zur Ordnung <strong>de</strong>r Lei<strong>de</strong>n­<br />

schaften gehört, untersteht an<strong>de</strong>ren sittlichen Tugen<strong>de</strong>n. Ihr<br />

Betätigungsfeld sind eben die Lei<strong>de</strong>nschaften. So verhin<strong>de</strong>rt die<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> die Wegnahme frem<strong>de</strong>n Gutes, insofern sie <strong>de</strong>m<br />

zu wahren<strong>de</strong>n Ausgleich in <strong>de</strong>r Sachwelt wi<strong>de</strong>rspricht; die<br />

Freigebigkeit hingegen, insofern sie <strong>de</strong>r übermäßigen Begier<strong>de</strong><br />

nach Reichtum entspringt. Weil jedoch die äußeren Handlun­<br />

gen ihr wesentliches Gepräge nicht von inneren Lei<strong>de</strong>nschaften,<br />

son<strong>de</strong>rn mehr von äußeren Dingen als von ihren Objekten<br />

erhalten, bil<strong>de</strong>n, an sich gesprochen, die äußeren Handlungen<br />

mehr <strong>de</strong>n Gegenstandsbereich <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> als <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>­<br />

ren sittlichen Tugen<strong>de</strong>n.<br />

Zu 3. Das Gemeinwohl ist das Ziel <strong>de</strong>r einzelnen in <strong>de</strong>r<br />

Gemeinschaft leben<strong>de</strong>n Personen, so wie das Ganze das Ziel<br />

je<strong>de</strong>s seiner Teile ist. Das Wohl einer einzelnen Person bil<strong>de</strong>t<br />

jedoch nicht das Ziel einer an<strong>de</strong>ren. Daher läßt sich die <strong>de</strong>m<br />

Gemeinwohl zugeordnete Gesetzesgerechtigkeit eher auf die<br />

inneren Lei<strong>de</strong>nschaften, die <strong>de</strong>n Menschen irgendwie in sich<br />

selber zurechtrücken, aus<strong>de</strong>hnen, als die Son<strong>de</strong>rgerechtigkeit,<br />

die auf das Wohl einer an<strong>de</strong>ren Einzelperson bezogen ist.<br />

Dennoch erstreckt sich die Gesetzesgerechtigkeit hauptsächlich<br />

auf die Tätigkeiten <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Tugen<strong>de</strong>n, insofern „das Gesetz<br />

vorschreibt, die Werke <strong>de</strong>s Mutigen zu verrichten, als auch die<br />

28


Werke <strong>de</strong>s Maßvollen <strong>und</strong> die <strong>de</strong>s Sanftmütigen", - so Aristo- 58.10<br />

teles in seiner Ethik (V,3; 1129b 19).<br />

10. ARTIKEL<br />

Ist die Tugendmitte gleich <strong>de</strong>r Sachmitte? [12]<br />

1. Der Wesensgehalt <strong>de</strong>r Gattung muß in allen ihren Arten<br />

wie<strong>de</strong>rkehren. Nun wird die sittliche Tugend <strong>de</strong>finiert als<br />

„Habitus <strong>de</strong>s Willens, <strong>de</strong>r die nach uns bemessene Mitte hält<br />

<strong>und</strong> durch die Vernunft bestimmt wird". Also gilt auch für die<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> die durch die Vernunft <strong>und</strong> nicht die durch die<br />

Sache bestimmte „Mitte".<br />

2. Bei <strong>de</strong>m, was schlechthin gut ist, gibt es keinen Gr<strong>und</strong>, ein<br />

Zuviel <strong>und</strong> ein Zuwenig anzunehmen, <strong>und</strong> folglich auch kein<br />

Mittleres, wie Aristoteles über die Tugen<strong>de</strong>n im II. Buch <strong>de</strong>r<br />

Ethik (c. 6; 1107a22) sagt. Bei <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> geht es jedoch<br />

um „schlechthin Gutes", wie es im V. Buch <strong>de</strong>r Ethik heißt (c. 2;<br />

1129b 5). Also gibt es bei <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> keine Sachmitte.<br />

3. Bei <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Tugen<strong>de</strong>n spricht man von Vernunft- <strong>und</strong><br />

nicht von sachentsprechend, weil die Entsprechung je nach<br />

Person verschie<strong>de</strong>n ist: was für <strong>de</strong>n einen viel ist, ist für <strong>de</strong>n<br />

an<strong>de</strong>ren wenig (Aristoteles, Eth.II,5; 1106 a 36). Doch dies läßt<br />

sich auch bei <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> beobachten: ungleich fällt die<br />

Strafe aus, wenn ein Fürst o<strong>de</strong>r wenn eine Privatperson geschla­<br />

gen wird. Also gilt für die <strong>Gerechtigkeit</strong> nicht die Sach-, son­<br />

<strong>de</strong>rn die Vernunftmitte.<br />

DAGEGEN steht, daß Aristoteles in seiner Ethik (V,7;<br />

1132a 1) die „Mitte" <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> nach <strong>de</strong>m arithme­<br />

tischen Verhälnis angibt, womit er die sachbezogene „Mitte"<br />

meint.<br />

ANTWORT. Wie oben (Art. 2,4 u. Art. 8) dargelegt, bewe­<br />

gen sich die an<strong>de</strong>ren sittlichen Tugen<strong>de</strong>n hauptsächlich auf <strong>de</strong>m<br />

Gebiet <strong>de</strong>r Lei<strong>de</strong>nschaften. Hier wird das rechte Verhalten nur<br />

nach <strong>de</strong>m Menschen, in <strong>de</strong>m sich die Lei<strong>de</strong>nschaften regen,<br />

bemessen, d. h. daß er in Zorn geraten <strong>und</strong> begehren darf je<br />

nach <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen Umstän<strong>de</strong>n. Deshalb bestimmt sich die<br />

„Mitte" bei diesen Tugen<strong>de</strong>n nicht durch das Verhältnis <strong>de</strong>r<br />

einen Sache zur an<strong>de</strong>ren, son<strong>de</strong>rn allein durch das Verhältnis<br />

zur Person <strong>de</strong>s Tugendhaften. Aus diesem Gr<strong>und</strong> wird hier die<br />

„Mitte" allein von <strong>de</strong>r an uns gemessenen Vernunft festgelegt.<br />

29


58. Ii Die Materie <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> hingegen ist eine äußere Hand­<br />

lung, sofern sie o<strong>de</strong>r eine in Gebrauch genommene Sache in<br />

einem bestimmten Verhältnis zu einer an<strong>de</strong>ren Person steht.<br />

Deshalb besteht die „Mitte" bei <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> in einem aus­<br />

geglichenen Verhältnis einer äußeren Sache zu einer äußeren<br />

Person. Der „Ausgleich" aber liegt sachlich in <strong>de</strong>r „Mitte"<br />

zwischem <strong>de</strong>m Mehr <strong>und</strong> <strong>de</strong>m Weniger, wie es bei Aristoteles im<br />

X. Buch seiner Metaphysik (c. 5; 1056 a 22) heißt. Also wird die<br />

„Mitte" bei <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> von <strong>de</strong>r Sache her bestimmt.<br />

Zu 1. Jene sachbestimmte Mitte ist zugleich auch vernunft­<br />

bestimmte Mitte. Deshalb bleibt die <strong>Gerechtigkeit</strong> als sittliche<br />

Tugend unangetastet.<br />

Zu 2. Das schlechthin Gute ist ein zweifaches. Eimal jenes,<br />

das in je<strong>de</strong>r Hinsicht gut ist, - so sind die Tugen<strong>de</strong>n „gut". Und<br />

bei <strong>de</strong>m schlechthin Guten gibt es auch keine Mitte <strong>und</strong> keine<br />

Extreme. - Sodann heißt etwas schlechthin gut, weil es absolut,<br />

d. h. von seinem Wesen her gesehen, gut ist, wenngleich es<br />

durch Mißbrauch schlecht wer<strong>de</strong>n kann, wie dies beim Reich­<br />

tum <strong>und</strong> bei <strong>de</strong>r Ehre <strong>de</strong>r Fall ist. Hier kann man von Zuviel,<br />

von Zuwenig <strong>und</strong> von Mitte in Bezug auf die Menschen re<strong>de</strong>n,<br />

die davon guten o<strong>de</strong>r schlechten Gebrauch machen können.<br />

Und in diesem Sinne befaßt sich die <strong>Gerechtigkeit</strong> mit <strong>de</strong>m<br />

schlechthin Guten.<br />

Zu 3. Ein an<strong>de</strong>res Gewicht hat zugefügtes Unrecht gegen<br />

einen Fürsten <strong>und</strong> ein an<strong>de</strong>res gegen eine Privatperson. Daher<br />

muß es durch Strafe bei<strong>de</strong> Male an<strong>de</strong>rs ausgeglichen wer<strong>de</strong>n.<br />

Dies gehört also zum Unterschied in <strong>de</strong>r Sache, nicht zum Un­<br />

terschied in <strong>de</strong>r Vernunftgemäßheit.<br />

11. ARTIKEL<br />

Besteht <strong>de</strong>r Akt <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> darin, je<strong>de</strong>m das<br />

Seine zu geben?<br />

1. Augustinus teilt in seinem Buch Uber die Dreifaltigkeit<br />

(14,9; ML42,1046) <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> die Aufgabe zu, „<strong>de</strong>nen,<br />

die im Elend sind, zu helfen". Doch wenn wir <strong>de</strong>n Elen<strong>de</strong>n hel­<br />

fen, geben wir Ihnen nicht das Ihre, son<strong>de</strong>rn vielmehr das<br />

Unsrige. Also besteht <strong>de</strong>r Akt <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> nicht darin,<br />

je<strong>de</strong>m das Seine zu geben.<br />

30


2. Cicero schreibt im I. Buch seiner Pflichtenlehre (c. 7): „Die 58.11<br />

Wohltätigkeit, die man Güte o<strong>de</strong>r Freigebigkeit nennen darf",<br />

gehört zur <strong>Gerechtigkeit</strong>. Doch freigebig sein heißt, einem<br />

an<strong>de</strong>ren vom Eigenen, nicht vom Seinigen etwas geben. Also<br />

be<strong>de</strong>utet <strong>Gerechtigkeit</strong> nicht, je<strong>de</strong>m das Seine geben.<br />

3. Zur <strong>Gerechtigkeit</strong> gehört nicht nur, die Dinge in angemes­<br />

sener Weise zu verteilen, son<strong>de</strong>rn auch, ungerechte Handlun­<br />

gen zu verhin<strong>de</strong>rn, z. B. Mord, Ehebruch u. dgl. Doch „Je<strong>de</strong>m<br />

das Seine geben" bezieht sich nur auf das Verteilen. Wenn also<br />

<strong>de</strong>r Akt <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> nur darin bestehen soll, je<strong>de</strong>m das<br />

Seine zu geben, dann ist er damit nicht genügend gekenn­<br />

zeichnet.<br />

DAGEGEN schreibt Ambrosius im I. Buch seiner Pflichten­<br />

lehre (c.24; ML 16,57): „Die <strong>Gerechtigkeit</strong> ist jene Tugend, die<br />

je<strong>de</strong>m gibt, was sein ist, sich frem<strong>de</strong>s Gut nicht aneignet <strong>und</strong><br />

nicht auf <strong>de</strong>n eigenen Vorteil schaut, um so die allgemeine<br />

<strong>Recht</strong>sgleichheit zu schützen."<br />

ANTWORT. Wie gesagt (Art. 8,10), bil<strong>de</strong>t die äußere Hand­<br />

lung, insofern sie o<strong>de</strong>r eine Sache, die wir gebrauchen, auf eine<br />

an<strong>de</strong>re Person, mit <strong>de</strong>r wir rechtlich verb<strong>und</strong>en sind, hinge­<br />

ordnet ist, das Betätigungsfeld <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>. Was nun einer<br />

Person nach <strong>de</strong>m Verhältnis <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>sgleichheit geschul<strong>de</strong>t<br />

wird, nennt man „das Seine". Daher besteht <strong>de</strong>r eigentliche Akt<br />

<strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> in nichts an<strong>de</strong>rem, als je<strong>de</strong>m das Seine zu<br />

geben.<br />

Zu 1. Der <strong>Gerechtigkeit</strong> als Kardinaltugend sind gewisse<br />

nachgeordnete Tugen<strong>de</strong>n zugesellt, wie Barmherzigkeit, Frei­<br />

gebigkeit u. dgl. (vgl. u. Fr. 80). Den Elen<strong>de</strong>n helfen, was zur<br />

Barmherzigkeit o<strong>de</strong>r zum Mitleid gehört, <strong>und</strong> reichlich Gutes<br />

tun, was zur Freigebigkeit gehört, wird daher <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

als Haupttugend zugerechnet.<br />

Daraus ergibt sich die Antwort Zu 2.<br />

Zu 3. Nach Aristoteles (Eth.V, 7; 1132 b 11) wird alles Zuviel<br />

in Sachen <strong>Gerechtigkeit</strong> als „Gewinn" im weiteren Sinn<br />

bezeichnet, wie, umgekehrt, alles „Zuwenig" als „Verlust". Dies<br />

erklärt sich dadurch, daß die <strong>Gerechtigkeit</strong> früher, <strong>und</strong> auch<br />

jetzt noch, als Tauschgeschäft in Kauf <strong>und</strong> Verkauf ausgeübt<br />

wur<strong>de</strong>, wobei diese Ausdrücke in ihrer eigentlichen Be<strong>de</strong>utung<br />

gebraucht wur<strong>de</strong>n. Von da wur<strong>de</strong>n sie auf alles übertragen, was<br />

mit <strong>Gerechtigkeit</strong> zu tun hat. Und <strong>de</strong>rselbe Gr<strong>und</strong> liegt vor bei<br />

<strong>de</strong>r Formel „Je<strong>de</strong>m das Seine geben".<br />

31


58. 12 12. ARTIKEL<br />

Steht die <strong>Gerechtigkeit</strong> an <strong>de</strong>r Spitze <strong>de</strong>r sittlichen<br />

Tugen<strong>de</strong>n?<br />

1. Aufgabe <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> ist, je<strong>de</strong>m das Seine zu geben.<br />

Die Freigebigkeit jedoch teilt vom Eigenen aus, <strong>und</strong> das ist viel<br />

tugendhafter. Also steht die Freigebigkeit über <strong>de</strong>r Gerechtig­<br />

keit.<br />

2. Der Schmuck ist von höherem Wert als das Geschmückte.<br />

Doch „die Hochherzigkeit ist Schmuck <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong><br />

aller Tugen<strong>de</strong>n", wie Aristoteles im IV. Buch seiner Ethik (c. 7;<br />

1124 a 1) schreibt. Also ist die Hochherzigkeit <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

überlegen.<br />

3. „Das Schwierigere <strong>und</strong> das Gute" ist die Sache <strong>de</strong>r Tugend<br />

(Aristoteles, Eth.II,3; 1105a9). Doch die Tapferkeit steht viel<br />

Schwierigerem gegenüber, nämlich <strong>de</strong>n To<strong>de</strong>sgefahren (Aristoteles,<br />

Eth.III,9; 1115a24). Also übertrifft die Tapferkeit die<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>.<br />

DAGEGEN meint Cicero in seiner Pflichtenlehre (1,7):<br />

„Tugendglanz umgibt die <strong>Gerechtigkeit</strong>, ihretwegen heißen die<br />

Menschen gut."<br />

ANTWORT. Wenn wir von <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> sprechen, ist es<br />

klar, daß sie alle sittlichen Tugen<strong>de</strong>n überragt, <strong>und</strong> zwar <strong>de</strong>s­<br />

halb, weil das Gemeinwohl über <strong>de</strong>m Einzelwohl einer Person<br />

steht. Dies meint Aristoteles, wenn er im V. Buch seiner Ethik<br />

(c. 1; 1094 b 7) schreibt: „Die herrlichste Tugend ist die Gerech­<br />

tigkeit, <strong>und</strong> we<strong>de</strong>r Abend- noch Morgenstern sind so w<strong>und</strong>er­<br />

bar wie sie."<br />

Doch auch die Son<strong>de</strong>rgerechtigkeit übertrifft die an<strong>de</strong>ren<br />

sittlichen Tugen<strong>de</strong>n, <strong>und</strong> zwar aus zweifachem Gr<strong>und</strong>. 1. vom<br />

Subjekt aus gesehen: sie hat ihren Sitz im edleren Teil <strong>de</strong>r Seele,<br />

nämlich im geistigen Streben, im Willen, während die an<strong>de</strong>ren<br />

sittlichen Tugen<strong>de</strong>n im sinnlichen Strebevermögen verwurzelt<br />

sind, zu <strong>de</strong>m als Materie ebendieser Tugen<strong>de</strong>n die Lei<strong>de</strong>nschaf­<br />

ten gehören. - 2. Vom Objekt her gesehen: Die an<strong>de</strong>ren Tugen­<br />

<strong>de</strong>n erhalten ihr Ansehen allein von <strong>de</strong>m, was sie im Tugendhaf­<br />

ten selbst an Gutem bewirken, die <strong>Gerechtigkeit</strong> hingegen<br />

dadurch, daß sich <strong>de</strong>r Tugendhafte einem an<strong>de</strong>ren gegenüber<br />

gut verhält, <strong>und</strong> so wird die <strong>Gerechtigkeit</strong> irgendwie ein Gut<br />

<strong>de</strong>s an<strong>de</strong>ren, wie es im V. Buch <strong>de</strong>r Ethik (c. 3; 1130a 3) heißt.<br />

32


Darum bemerkt Aristoteles im I.Buch seiner Rhetorik (c.9; 58. 12<br />

1366b 3) auch: „Die größten Tugen<strong>de</strong>n sind notwendig jene, die<br />

für an<strong>de</strong>re das Beste bewirken, <strong>de</strong>nn die Tugend ist eine wohl­<br />

tätige Macht. Deshalb wer<strong>de</strong>n die Tapferen <strong>und</strong> die Gerechten<br />

am meisten geehrt, ist doch die Tapferkeit <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren im<br />

Kriege von N<strong>utz</strong>en, die <strong>Gerechtigkeit</strong> aber im Krieg <strong>und</strong> im<br />

Frie<strong>de</strong>n."<br />

Zu 1. Auch wenn die Freigebigkeit vom Eigenen austeilt, so<br />

tut sie das doch im Hinblick auf das eigene sittliche Wohl. Die<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> jedoch gibt <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>ren, was Sein ist, im Hin­<br />

blick auf das Gemeinwohl. Außer<strong>de</strong>m wird die <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

allen gegenüber gewahrt, die Freigebigkeit hingegen läßt sich<br />

nicht auf alle aus<strong>de</strong>hnen. Überdies grün<strong>de</strong>t die Freigebigkeit,<br />

die vom Ihrigen gibt, auf <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>, die darauf achtet,<br />

daß je<strong>de</strong>r das Seine behält.<br />

Zu 2. Sofern die Hochherzigkeit zur <strong>Gerechtigkeit</strong> hinzu­<br />

kommt, vermehrt sie <strong>de</strong>ren Wert. Ohne <strong>Gerechtigkeit</strong> jedoch<br />

besäße sie überhaupt nicht die Beschaffenheit einer Tugend.<br />

Zu 3. Die Tapferkeit hat es zwar mit <strong>de</strong>m Schwierigeren,<br />

jedoch nicht mit <strong>de</strong>m Besseren zu tun, da sie nur im Kriege<br />

nützlich ist. Die <strong>Gerechtigkeit</strong> ist es im Krieg <strong>und</strong> im Frie<strong>de</strong>n,<br />

wie soeben betont wur<strong>de</strong>.<br />

33


59. FRAGE<br />

DIE UNGERECHTIGKEIT<br />

Hierauf ist die Ungerechtigkeit zu betrachten. Dabei erge­<br />

ben sich vier Fragen:<br />

1. Ist die Ungerechtigkeit ein beson<strong>de</strong>res Laster?<br />

2. Ist das Unrechttun das Kennzeichen <strong>de</strong>s Ungerechten?<br />

3. Kann jemand mit seiner Zustimmung Unrecht erlei<strong>de</strong>n?<br />

4. Ist die Ungerechtigkeit Ihrer Art nach eine schwere<br />

Sün<strong>de</strong>?<br />

1. ARTIKEL<br />

Ist die Ungerechtigkeit ein beson<strong>de</strong>res Laster?<br />

1. In 1 Jo 3,4 heißt es: „Je<strong>de</strong> Sün<strong>de</strong> ist Gesetzwidrigkeit".<br />

Doch Gesetzwidrigkeit scheint das gleiche wie Ungerechtigkeit<br />

zu sein, <strong>de</strong>nn <strong>Gerechtigkeit</strong> besteht in einem gewissen Aus­<br />

gleich, <strong>und</strong> so scheint die Ungerechtigkeit dasselbe wie Unaus­<br />

geglichenheit (inaequalitas) o<strong>de</strong>r Gesetzwidrigkeit (iniquitas)<br />

zu sein. Also ist Ungerechtigkeit keine beson<strong>de</strong>re Sün<strong>de</strong>.<br />

2. Eine beson<strong>de</strong>re Sün<strong>de</strong> steht nicht in Gegensatz zu allen<br />

Tugen<strong>de</strong>n. Doch Ungerechtigkeit wi<strong>de</strong>rspricht sämtlichen<br />

Tugen<strong>de</strong>n. So ist das Unrecht <strong>de</strong>s Ehebruchs gegen die Keusch­<br />

heit, <strong>de</strong>s Mor<strong>de</strong>s gegen die Mil<strong>de</strong> usw. Also ist die Ungerechtig­<br />

keit keine beson<strong>de</strong>re Sün<strong>de</strong>.<br />

3. Die Ungerechtigkeit steht in Gegensatz zur Gerechtig­<br />

keit, die ihren Sitz im Willen hat. Doch „je<strong>de</strong> Sün<strong>de</strong> ist im<br />

Willen", wie Augustinus sagt (De duabus animabus c. 10;<br />

ML42,103). Also ist Ungerechtigkeit keine beson<strong>de</strong>re Sün<strong>de</strong>.<br />

DAGEGEN steht: die Ungerechtigkeit ist das Gegenteil von<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>. Doch die <strong>Gerechtigkeit</strong> ist eine beson<strong>de</strong>re<br />

Tugend, also die Ungerechtigkeit auch ein beson<strong>de</strong>res Laster.<br />

ANTWORT. Die Ungerechtigkeit ist eine zweifache. Die eine<br />

ist gesetzeswidrig, weil sie <strong>de</strong>r Gesetzesgerechtigkeit wi<strong>de</strong>r­<br />

spricht, <strong>und</strong> sie ist ihrem Wesen nach ein beson<strong>de</strong>res Laster,<br />

weil sie ein beson<strong>de</strong>res Objekt hat, nämlich das Gemeinwohl,<br />

das sie verachtet. Von <strong>de</strong>r Absicht her gesehen, ist sie jedoch ein<br />

allgemeines Laster, <strong>de</strong>nn die Mißachtung <strong>de</strong>s Gemeinwohls<br />

kann <strong>de</strong>n Menschen zu allen Sün<strong>de</strong>n verleiten. Daher tragen<br />

34


alle Laster, insofern sie <strong>de</strong>m Gemeinwohl wi<strong>de</strong>rsprechen, <strong>de</strong>n 59. 2<br />

Charakter <strong>de</strong>r Ungerechtigkeit, gleichsam als seien sie von <strong>de</strong>r<br />

Ungerechtigkeit abgeleitet (vgl. o. Fr. 58, Art. 6).<br />

Auf an<strong>de</strong>re Weise kann man von Ungerechtigkeit unter <strong>de</strong>m<br />

Gesichtspunkt einer gewissen Ungleichheit in <strong>de</strong>r Beziehung zu<br />

einem an<strong>de</strong>ren sprechen, wie wenn einer mehr Güter, z.B.<br />

Reichtum <strong>und</strong> Ehren, <strong>und</strong> weniger Übles, z.B. Arbeit <strong>und</strong><br />

Scha<strong>de</strong>n, haben möchte. Und so hat die Ungerechtigkeit eine<br />

beson<strong>de</strong>re Materie <strong>und</strong> ist ein beson<strong>de</strong>res, <strong>de</strong>r Son<strong>de</strong>rgerechtig­<br />

keit entgegengesetztes Laster.<br />

Zu 1. Wie man von Gesetzesgerechtigkeit im Hinblick auf<br />

das Gemeingut spricht, so von göttlicher <strong>Gerechtigkeit</strong> im Hin­<br />

blick auf das Gut, das Gott ist, <strong>de</strong>m je<strong>de</strong> Sün<strong>de</strong> wi<strong>de</strong>rstreitet.<br />

Aus diesem Gr<strong>und</strong> heißt je<strong>de</strong> Sün<strong>de</strong> Gesetzwidrigkeit.<br />

Zu 2. Auch die Son<strong>de</strong>rgerechtigkeit steht - indirekt - im<br />

Gegensatz zu allen Tugen<strong>de</strong>n, insofern auch die äußeren Akte<br />

sowohl zur <strong>Gerechtigkeit</strong> wie auch zu <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren sittlichen<br />

Tugen<strong>de</strong>n gehören, wenngleich auf verschie<strong>de</strong>ne Weise (vgl. Fr.<br />

58, Art. 2 Zu 2).<br />

Zu 3. Der Wille - wie auch die Vernunft - erstreckt sich auf<br />

die gesamte Materie <strong>de</strong>s Sittlichen, d. h. auf die Lei<strong>de</strong>nschaften<br />

<strong>und</strong> auf die äußeren Handlungen, die sich auf an<strong>de</strong>re richten.<br />

Doch die <strong>Gerechtigkeit</strong> vervollkommnet <strong>de</strong>n Willen nur, soweit<br />

er sich auf Tätigkeiten, die auf an<strong>de</strong>re ausgerichtet sind,<br />

erstreckt. Und das gleiche gilt für die Ungerechtigkeit.<br />

2. ARTIKEL<br />

Heißt jemand ungerecht, weil er Ungerechtes tut?<br />

1. Der Habitus erhält seine spezifische Prägung durch sein<br />

Objekt (vgl. 1-1154,2). Nun ist das eigentliche Objekt <strong>de</strong>r<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> das Gerechte <strong>und</strong> das eigentliche Objekt <strong>de</strong>r<br />

Ungerechtigkeit das Ungerechte. Also muß einer, <strong>de</strong>r Gerechtes<br />

tut, „gerecht" genannt wer<strong>de</strong>n, <strong>und</strong> „ungerecht", wer Ungerech­<br />

tes tut.<br />

2. Nach Aristoteles (Eth.V, 13; 1137a 17) ist die Meinung<br />

jener falsch, die glauben, es liege in <strong>de</strong>r Macht <strong>de</strong>s Menschen, so<br />

einfachhin Ungerechtes zu tun <strong>und</strong> nicht weniger könne <strong>de</strong>r<br />

Gerechte ebenso Unrechtes tun wie <strong>de</strong>r Ungerechte. Dies wäre<br />

35


59. 2 nur <strong>de</strong>r Fall, wenn das Unrechttun eine Wesenseigenschaft <strong>de</strong>s<br />

Ungerechten wäre. Also ist jemand als Ungerechter einzustu­<br />

fen, weil er Ungerechtes tut.<br />

3. Je<strong>de</strong> Tugend verhält sich zu ihrem eigentümlichen Akt<br />

immer gleich, <strong>und</strong> dasselbe gilt von <strong>de</strong>n entgegengesetzten<br />

Lastern. Wer nun die Maßhaltung überschreitet, heißt „un­<br />

mäßig". Demnach heißt „ungerecht", wer Ungerechtes tut.<br />

DAGEGEN schreibt Aristoteles im V.Buch seiner Ethik<br />

(c. 10; 1134a 17): „Es tut einer etwas Ungerechtes <strong>und</strong> ist trotz­<br />

<strong>de</strong>m nicht ungerecht".<br />

ANTWORT. Wie das Objekt <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> Ausgleich in<br />

äußeren Dingen besagt, so ist das Objekt <strong>de</strong>r Ungerechtigkeit<br />

etwas Unausgeglichenes, insofern jeman<strong>de</strong>m mehr o<strong>de</strong>r auch<br />

weniger, als ihm zusteht, gegeben wird. Dieses Objekt ist auf<br />

<strong>de</strong>n Habitus <strong>de</strong>r Ungerechtigkeit bezogen, <strong>und</strong> zwar durch<br />

<strong>de</strong>ssen eigentümlichen Akt, das Unrechttun. Es kann also auf<br />

zweifache Weise vorkommen, daß jemand Ungerechtes tut, <strong>und</strong><br />

doch nicht ungerecht ist. Einmal, weil es zwischen <strong>de</strong>r Tätigkeit<br />

<strong>und</strong> ihrem eigentümlichen Objekt keine Entsprechung gibt, -<br />

die Tätigkeit erhält ja Art <strong>und</strong> Namen vom Objekt, <strong>und</strong> zwar<br />

von ihrem An-sich-Objekt, nicht von <strong>de</strong>m, was nur „zufällig"<br />

einmal ihr Gegenstand sein kann. Bei <strong>de</strong>m, was Ziel (Objekt)<br />

einer Handlung ist, heißt „an sich", was sich mit absichtlichem<br />

Wollen verbin<strong>de</strong>t, „zufällig", was außerhalb <strong>de</strong>r Absicht liegt.<br />

Wer daher etwas Ungerechtes tut, ohne die Absicht, es zu tun,<br />

es z. B. aus Unwissenheit tut, ohne etwas Unrechtes zu ahnen,<br />

begeht nichts Unrechtes „an sich" <strong>und</strong> eigentlich („formell"),<br />

son<strong>de</strong>rn nur „zufällig" <strong>und</strong> beiläufig („per acci<strong>de</strong>ns"). - Auf<br />

an<strong>de</strong>re Weise kann es vorkommen (daß jemand Unrecht tut,<br />

ohne ungerecht zu sein) wegen fehlen<strong>de</strong>r Übereinstimmung <strong>de</strong>r<br />

Tätigkeit mit <strong>de</strong>m Habitus. Das Unrechttun kann nämlich bis­<br />

weilen einer Lei<strong>de</strong>nschaft entspringen, z. B. <strong>de</strong>m Zorn o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r<br />

Begehrlichkeit, bisweilen aber auch <strong>de</strong>r freien Wahl, wenn das<br />

Unrechttun in sich Wohlgefallen erregt. Dann geht es im eigent­<br />

lichen Sinn vom Habitus aus, <strong>de</strong>nn j e<strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r einen Habitus hat,<br />

ist willkommen, was diesem Habitus entspricht. - Unrechttun<br />

mit Absicht <strong>und</strong> aus freier Wahl macht also das Eigentümliche<br />

<strong>de</strong>s Ungerechten aus, insofern „Ungerechter" heißt, wer <strong>de</strong>n<br />

Habitus <strong>de</strong>r Ungerechtigkeit besitzt. Doch ohne Absicht o<strong>de</strong>r<br />

aus Lei<strong>de</strong>nschaft Unrechtes tun kann jemand ohne <strong>de</strong>n Habitus<br />

<strong>de</strong>r Ungerechtigkeit.<br />

36


Zu 1. Nur das im eigentlichen <strong>und</strong> formellen Sinn verstan- 59. 3<br />

<strong>de</strong>ne Objekt bestimmt die Art <strong>de</strong>s Habitus, nicht jedoch, wenn<br />

man es materiell <strong>und</strong> als etwas Zufälliges versteht.<br />

Zu 2. Es tut nicht leicht jemand absichtlich Unrecht aus rei­<br />

nem Vergnügen, son<strong>de</strong>rn eber aus an<strong>de</strong>ren Grün<strong>de</strong>n. Dies ist,<br />

wie Aristoteles ebendort (Eth.V, 10 u. 14; 1134al7 bzw.<br />

1137a 22) betont, bezeichnend für <strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r einen Habitus<br />

besitzt.<br />

Zu 3. Das Objekt <strong>de</strong>r Maßhaltung ist nicht wie bei <strong>de</strong>r<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> etwas äußerlich Festgelegtes, son<strong>de</strong>rn es ist das<br />

Maßvolle <strong>und</strong> ergibt sich allein aus seiner Bezogenheit zum<br />

Menschen. Das Beiläufige <strong>und</strong> Unbeabsichtigte kann daher<br />

we<strong>de</strong>r materiell noch formell „maßvoll" genannt wer<strong>de</strong>n, <strong>und</strong><br />

ebensowenig „unmäßig". Diesbezüglich besteht keine Ähnlich­<br />

keit zwischen <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren sittlichen<br />

Tugen<strong>de</strong>n. Bezüglich <strong>de</strong>s Verhältnisses <strong>de</strong>r Handlung zum<br />

Habitus jedoch gilt für sie wie bei allen das gleiche.<br />

3. ARTIKEL<br />

Kann jemand willentlich Unrecht erlei<strong>de</strong>n?<br />

1. Ungerecht ist soviel wie unausgeglichen (vgl. Art. 2).<br />

Doch wer sich selbst verletzt, bewirkt ebenso Unausgeglichen­<br />

heit wie durch Verletzung eines an<strong>de</strong>ren. Es kann also jemand<br />

sich selbst genau so wie einem an<strong>de</strong>ren Unrecht zufügen. Doch<br />

wer Unrecht tut, tut es willentlich. Also kann jemand willentlich<br />

Unrecht erlei<strong>de</strong>n, vor allem durch sich selbst.<br />

2. Das bürgerliche Gesetz straft nur wegen begangenen<br />

Unrechts. Doch Selbstmör<strong>de</strong>r wer<strong>de</strong>n [wur<strong>de</strong>n] nach <strong>de</strong>n<br />

Staatsgesetzen dadurch bestraft, daß ihnen früher die Ehre<br />

eines Begräbnisses verweigert wur<strong>de</strong>, wie Aristoteles berichtet<br />

(Eth.V, 15; 1138 al2). Also kann sich jemand selbst Unrecht<br />

antun <strong>und</strong> so willentlich Ungerechtigkeit erlei<strong>de</strong>n.<br />

3. Unrecht geschieht nur, wenn es jemand erlei<strong>de</strong>t. Nun<br />

kommt es vor, daß jemand einem an<strong>de</strong>ren mit <strong>de</strong>ssen Zustim­<br />

mung Unrecht zufügt. Also kommt es vor, daß jemand willent­<br />

lich Unrecht erlei<strong>de</strong>t.<br />

DAGEGEN steht, daß Unrechterlei<strong>de</strong>n das Gegenteil ist von<br />

Unrechttun. Doch Unrecht tut man nur mit Willen. Also erlei-<br />

37


59. 3 <strong>de</strong>t, umgekehrt, niemand Unrecht, es sei <strong>de</strong>nn, gegen seinen<br />

Willen.<br />

ANTWORT. Eine Handlung geht begriffsgemäß vom Han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>n<br />

aus, das Erlei<strong>de</strong>n hingegen wird seiner Natur nach von<br />

einem an<strong>de</strong>ren bewirkt. Daher kann ein <strong>und</strong> <strong>de</strong>rselbe nicht in<br />

gleicher Hinsicht Han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>r <strong>und</strong> Erlei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>r sein (vgl.<br />

Aristoteles, Physik III, 1 u. VIII, 5; 201 a 19 u. 256b20). Nun ist<br />

das eigentliche Tätigkeitsprinzip bei <strong>de</strong>n Menschen <strong>de</strong>r Wille,<br />

<strong>und</strong> daher tut <strong>de</strong>r Mensch eigentlich <strong>und</strong> an sich nur das, was er<br />

willentlich tut. Umgekehrt erlei<strong>de</strong>t <strong>de</strong>r Mensch im eigentlichen<br />

Sinn das, was er gegen seinen Willen erlei<strong>de</strong>t, <strong>de</strong>nn insofern er<br />

will, liegt <strong>de</strong>r Ausgangspunkt in ihm selbst, <strong>und</strong> insofern ist er<br />

mehr Han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>r als Erlei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>r.<br />

Man muß also sagen: an sich <strong>und</strong> im eigentlichen Sinn (formell)<br />

gesprochen, kann niemand Unrecht tun, es sei <strong>de</strong>nn, er<br />

will, <strong>und</strong> niemand es erlei<strong>de</strong>n, es sei <strong>de</strong>nn gegen seinen Willen.<br />

Beiläufig (per acci<strong>de</strong>ns) jedoch <strong>und</strong> gleichsam materiell gesprochen,<br />

kann jemand etwas an sich Ungerechtes entwe<strong>de</strong>r, ohne<br />

es zu wollen, tun (z. B. wenn er es ohne Absicht tut) o<strong>de</strong>r etwas<br />

willentlich erlei<strong>de</strong>n, z. B. wenn jemand einem an<strong>de</strong>ren freiwillig<br />

mehr gibt, als er muß.<br />

Zu 1. Wer freiwillig einem gibt, was er ihm nicht schul<strong>de</strong>t,<br />

begeht we<strong>de</strong>r ein Unrecht, noch schafft er damit eine Ungleichheit.<br />

Das Besitzrecht <strong>de</strong>s Menschen hängt nämlich von seinem<br />

Willen ab, <strong>und</strong> so ergibt sich kein MißVerhältnis, wenn er etwas<br />

freiwillig abgibt o<strong>de</strong>r sich nehmen läßt.<br />

Zu 2. „Einzelperson" kann doppelt verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n.<br />

Einmal an sich, <strong>und</strong> wenn sich, so gesehen, jemand einen Scha<strong>de</strong>n<br />

zufügt, kann dies zwar <strong>de</strong>n Charakter einer Sün<strong>de</strong> annehmen,<br />

z. B. <strong>de</strong>r Unmäßigkeit o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Unklugheit, nicht jedoch<br />

<strong>de</strong>r Ungerechtigkeit, <strong>de</strong>nn wie die <strong>Gerechtigkeit</strong> sich stets auf<br />

einen an<strong>de</strong>ren bezieht, so auch die Ungerechtigkeit. - Sodann<br />

läßt sich <strong>de</strong>r Mensch als zum Staatswesen gehörig als <strong>de</strong>ssen Teil<br />

betrachten o<strong>de</strong>r als Gott zugehörig, nämlich als <strong>de</strong>ssen<br />

Geschöpf <strong>und</strong> Ebenbild. Wer sich nun selbst tötet, begeht ein<br />

Unrecht, zwar nicht sich selbst, jedoch <strong>de</strong>m Staat <strong>und</strong> Gott gegenüber.<br />

Darum wird er sowohl vom göttlichen wie vom<br />

menschlichen Gesetz bestraft, so wie <strong>de</strong>r Apostel vom Unzüchtigen<br />

sagt (1 Kor 3,17): „Wer <strong>de</strong>n Tempel Gottes verdirbt, <strong>de</strong>n<br />

wird Gott ver<strong>de</strong>rben".<br />

38


Zu 3. Das Erlei<strong>de</strong>n wird durch eine äußere Handlung 59.4<br />

bewirkt. Beim Tun <strong>und</strong> Erlei<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Unrechts erscheint nun als<br />

materielles Element <strong>de</strong>r äußere Akt in sich betrachtet (vgl. o.<br />

Art. 2), das Formelle <strong>und</strong> Eigentliche jedoch ist im Willen <strong>de</strong>s<br />

Han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>n <strong>und</strong> <strong>de</strong>s Erlei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n zu sehen (vgl. ebda.). Den­<br />

noch ist zu sagen, daß Unrechttun <strong>de</strong>s einen <strong>und</strong> Unrecht­<br />

erlei<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>ren materiell gesehen immer zusammen sind.<br />

Re<strong>de</strong>n wir aber formell, so kann <strong>de</strong>r eine Unrecht tun, <strong>und</strong> zwar<br />

mit Absicht, <strong>und</strong> <strong>de</strong>nnoch erlei<strong>de</strong>t <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re kein Unrecht,<br />

weil er es willentlich hinnimmt. Umgekehrt kann einer Unrecht<br />

erlei<strong>de</strong>n, falls er das Unrecht gegen seinen Willen erlei<strong>de</strong>t, <strong>und</strong><br />

<strong>de</strong>nnoch tut <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re, weil er aus Unwissenheit han<strong>de</strong>lt, kein<br />

Unrecht im formellen (eigentlichen) Sinn, son<strong>de</strong>rn nur mate­<br />

riell (äußerlich gesehen).<br />

4. ARTIKEL<br />

Sündigt schwer, wer Unrecht tut?<br />

1. Die läßliche Sün<strong>de</strong> steht im Gegensatz zur schweren.<br />

Doch bisweilen ist es nur läßliche Sün<strong>de</strong>, wenn jemand Unrecht<br />

tut. Aristoteles sagt nämlich im V.Buch seiner Ethik (c. 10;<br />

1136 a 6), wenn er von solchen spricht, die Unrecht tun: „Nach­<br />

sicht verdienen fehlerhafte Handlungen, wenn sie nicht bloß in<br />

Unwissenheit, son<strong>de</strong>rn auch aus Unwissenheit geschehen".<br />

Also sündigt man nicht immer schwer, wenn man Unrecht tut.<br />

2. Wer in einer unbe<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>n Sache Unrecht tut, weicht<br />

nur wenig von <strong>de</strong>r „Mitte" ab. Dies aber ist nach Aristoteles'<br />

Ethik (V, 9; 1109 b 18) erträglich <strong>und</strong> unter die kleinen Übel<br />

zu rechnen. Also sündigt nicht je<strong>de</strong>r schwer, <strong>de</strong>r Unrecht tut.<br />

3. Die Caritas (übernatürliche Gottesliebe) ist die „Mutter<br />

aller Tugen<strong>de</strong>n"; was zu ihr in Gegensatz steht, heißt Todsün<strong>de</strong>.<br />

Doch nicht alle Sün<strong>de</strong>n, die an<strong>de</strong>ren Tugen<strong>de</strong>n wi<strong>de</strong>rsprechen,<br />

sind Todsün<strong>de</strong>n. Also ist Unrechttun auch nicht immer Tod­<br />

sün<strong>de</strong>.<br />

DAGEGEN steht: was sich gegen Gottes Gebot richtet, ist<br />

Todsün<strong>de</strong>. Doch wer Unrecht tut, han<strong>de</strong>lt gegen ein Gesetz<br />

Gottes, gehe es um Diebstahl, um Ehebruch, um Mord o<strong>de</strong>r<br />

etwas an<strong>de</strong>res <strong>de</strong>rgleichen, wie weiter unten auseinan<strong>de</strong>rgelegt<br />

wird (Fr. 64ff.). Wer Unrecht tut, begeht also eine Todsün<strong>de</strong>.<br />

39


59. 4 ANTWORT. Wie oben (I-II72,5), als es um <strong>de</strong>n Unterschied<br />

<strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>n ging, gesagt wur<strong>de</strong>, ist Todsün<strong>de</strong>, was <strong>de</strong>r Caritas,<br />

die <strong>de</strong>r Seele das Leben verleiht, wi<strong>de</strong>rspricht. Je<strong>de</strong>r Scha<strong>de</strong>n<br />

aber, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Nächsten zugefügt wird, wi<strong>de</strong>rstreitet an sich <strong>de</strong>r<br />

Caritas, die dazu antreibt, <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>ren Gutes zu wollen. Da<br />

nun Unrecht immer in <strong>de</strong>r Schädigung <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>ren besteht, ist<br />

offensichtlich, daß Unrechttun seiner Art nach Todsün<strong>de</strong> ist.<br />

Zu 1. Jenes Aristoteleswort versteht sich vom Nichtwissen<br />

<strong>de</strong>s Tatbestan<strong>de</strong>s, das er selbst (Eth. 111,2; 1110b31) mit<br />

„Nichtwissen <strong>de</strong>r beson<strong>de</strong>ren Umstän<strong>de</strong>" bezeichnet. Dieses<br />

verdient Nachsicht, nicht jedoch das Nichtwissen <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>s­<br />

lage. Dieses entschuldigt nicht. Wer aber unwissentlich Unrecht<br />

tut, tut es nur beiläufig (per acci<strong>de</strong>ns; vgl. o. Art. 2).<br />

Zu 2. Wer in Kleinigkeiten Unrecht tut, erfüllt nicht <strong>de</strong>n<br />

Vollbegriff <strong>de</strong>s Unrechttuns, insofern man annehmen darf, sol­<br />

ches sei nicht gänzlich gegen <strong>de</strong>n Willen <strong>de</strong>ssen, <strong>de</strong>r es erlei<strong>de</strong>t,<br />

z.B. wenn jemand einem einen Apfel o<strong>de</strong>r etwas <strong>de</strong>rgleichen<br />

wegnimmt, wodurch <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re wohl kaum Scha<strong>de</strong>n erlei<strong>de</strong>t<br />

o<strong>de</strong>r sich <strong>de</strong>swegen ungehalten zeigt.<br />

Zu 3. Die Sün<strong>de</strong>n gegen die an<strong>de</strong>ren Tugen<strong>de</strong>n verursachen<br />

beim an<strong>de</strong>ren nicht immer Scha<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn tragen eine<br />

gewisse Unordnung in die menschlichen Lei<strong>de</strong>nschaften hinein.<br />

Die Gesichtspunkte sind also verschie<strong>de</strong>n.<br />

40


60. FRAGE<br />

DIE RECHTSPRECHUNG<br />

Hierauf ist die <strong>Recht</strong>sprechung zu betrachten. Dazu gibt es 6<br />

Fragen:<br />

1. Ist die <strong>Recht</strong>sprechung ein Akt <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>?<br />

2. Ist es erlaubt, <strong>Recht</strong> zu sprechen?<br />

3. Darf man auf Verdachtsgrün<strong>de</strong> hin <strong>Recht</strong> sprechen?<br />

4. Müssen Zweifel nach <strong>de</strong>r günstigeren Seite hin gelöst<br />

wer<strong>de</strong>n?<br />

5. Muß man immer nach <strong>de</strong>m geschriebenen Gesetz <strong>Recht</strong><br />

sprechen?<br />

6. Wird die <strong>Recht</strong>sprechnung durch Anmaßung beeinträch­<br />

tigt?<br />

1. ARTIKEL<br />

Ist die <strong>Recht</strong>sprechung ein Akt <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>?<br />

1. Aristoteles schreibt im I. Buch seiner Ethik (c. 1; 1094 b 27):<br />

„Je<strong>de</strong>r beurteilt gut, was er kennt." Die <strong>Recht</strong>sprechung ist<br />

<strong>de</strong>mnach also Sache <strong>de</strong>r Erkenntniskraft. Die Erkenntniskraft<br />

wird jedoch durch die Klugheit vervollkommnet. Also gehört<br />

die <strong>Recht</strong>sprechung mehr zur Klugheit als zur <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />

die im Willen ihren Sitz hat (Fr. 58,4).<br />

2. Der Apostel schreibt im 1. Korintherbrief 2,15: „Der<br />

geisterfüllte Mensch urteilt über alles". Doch am meisten<br />

geisterfüllt wird <strong>de</strong>r Mensch durch die Tugend <strong>de</strong>r Caritas<br />

(übernatürliche Gottesliebe), die „ausgegossen ist in unsere<br />

Herzen durch <strong>de</strong>n Heiligen Geist, <strong>de</strong>r uns gegeben ist", wie es<br />

im Römerbrief 5,5 heißt. Also gehört die <strong>Recht</strong>sprechung eher<br />

zur Caritas als zur <strong>Gerechtigkeit</strong>.<br />

3. Je<strong>de</strong> Tugend muß sich ein richtiges Urteil über ihre eigene<br />

Materie bil<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nn nach <strong>de</strong>s Aristoteles Ethik (111,6;<br />

1113a 32) „urteilt <strong>de</strong>r Tugendhafte über alles <strong>und</strong> je<strong>de</strong>s richtig".<br />

Die <strong>Recht</strong>sprechung gehört also nicht in höherem Maß zur<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> als zu <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren sittlichen Tugen<strong>de</strong>n.<br />

4. Die <strong>Recht</strong>sprechung scheint einzig Sache <strong>de</strong>r Richter zu<br />

sein. Gerechtes Han<strong>de</strong>ln jedoch gibt es bei allen Gerechten. Da<br />

nun nicht nur die Richter allein gerecht sind, ist wohl auch die<br />

<strong>Recht</strong>sprechung kein <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> eigener Akt.<br />

41


60.1 DAGEGEN heißt es im Ps93,15: „... bis zur <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

das Gerichtswesen zurückkehrt."<br />

ANTWORT. „<strong>Recht</strong>sprechung" be<strong>de</strong>utet im eigentlichen<br />

Sinn <strong>de</strong>n Akt <strong>de</strong>s Richters, insofern er Richter ist. „Richter"<br />

(ju<strong>de</strong>x) aber heißt soviel wie „<strong>Recht</strong> sprechend" (jus dicens).<br />

Nun ist das <strong>Recht</strong> das Objekt <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>, wie oben<br />

(Fr. 57,1) dargelegt wur<strong>de</strong>. Und so besagt „<strong>Recht</strong>sprechung"<br />

nach ihrem unmittelbaren Wortsinn Bestimmung o<strong>de</strong>r Fest­<br />

legung <strong>de</strong>s Gerechten o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s. Die Fähigkeit aber, ge­<br />

nau richtig sagen zu können, was tugendhaft ist, hängt ent­<br />

schei<strong>de</strong>nd vom Habitus <strong>de</strong>r Tugend ab. So vermag z.B. <strong>de</strong>r<br />

Keusche genau anzugeben, was zur Keuschheit gehört. In glei­<br />

cher Weise unterliegt die <strong>Recht</strong>sprechung, die in <strong>de</strong>r richtigen<br />

Bestimmung <strong>de</strong>ssen, was recht ist, besteht, <strong>de</strong>r Tugend <strong>de</strong>r<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>. Daher schreibt Aristoteles im V. Buch <strong>de</strong>r Ethik<br />

(c.7; 1132a 20): Die Menschen „nehmen ihre Zuflucht zum<br />

Richter wie zu einer Art von lebendiger <strong>Gerechtigkeit</strong>".<br />

Zu 1. Das Wort „<strong>Recht</strong>sprechung" wur<strong>de</strong> zunächst für die<br />

richtige Bestimmung <strong>de</strong>ssen gebraucht, was gerecht ist, sodann<br />

jedoch auf die richtige Bestimmung an<strong>de</strong>rer Dinge übertragen,<br />

sowohl im Bereich <strong>de</strong>s reinen Denkens als auch <strong>de</strong>s praktischen<br />

Tuns. Immer jedoch setzt eine sachgemäße <strong>Recht</strong>sprechung<br />

zwei Dinge voraus: einmal die Fähigkeit, ein Urteil zu bil<strong>de</strong>n,<br />

<strong>und</strong> so ist die <strong>Recht</strong>sprechung ein Akt <strong>de</strong>r Vernunft; etwas aus­<br />

zusprechen o<strong>de</strong>r zu <strong>de</strong>finieren, ist nämlich Sache <strong>de</strong>r Vernunft.<br />

Das an<strong>de</strong>re Erfor<strong>de</strong>rnis besteht in <strong>de</strong>r persönlichen Eignung<br />

<strong>de</strong>s Richten<strong>de</strong>n zum richtigen Urteil. In Sachen <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

geht die <strong>Recht</strong>sprechung also aus <strong>de</strong>r Tugend <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

hervor, wie das, was zur Tapferkeit gehört, <strong>de</strong>r Tugend <strong>de</strong>r<br />

Tapferkeit entspringt. Die <strong>Recht</strong>sprechung ist daher ein Akt <strong>de</strong>r<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>, insofern diese zum richtigen Urteilen geneigt<br />

macht, ein Akt <strong>de</strong>r Klugheit jedoch, insofern sie das Urteil<br />

ausspricht. Daher heißt auch die „Synesis" (<strong>de</strong>r „hausbackene<br />

Verstand"), die zur Klugheit gehört, „treffen<strong>de</strong> Urteilskraft"<br />

(vgl. Fr. 51,3).<br />

Zu 2. Der geistliche Mensch [13] besitzt kraft <strong>de</strong>r Tugend<br />

Caritas die Geneigtheit, alles nach göttlichen Normen zu beur­<br />

teilen. Im Blick auf sie spricht er, gelenkt durch die Gabe <strong>de</strong>r<br />

Weisheit, sein Urteil aus, so wie <strong>de</strong>r Gerechte, gelenkt durch die<br />

Tugend <strong>de</strong>r Klugheit, im Blick auf die Normen <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s sein<br />

Urteil ausspricht.<br />

42


Zu 3. Die übrigen Tugen<strong>de</strong>n schaffen Ordnung im Men- 60. 2<br />

sehen selbst, die <strong>Gerechtigkeit</strong> jedoch in seinen Beziehungen zu<br />

an<strong>de</strong>ren (vgl. Fr. 58,2). Nun ist <strong>de</strong>r Mensch Herr über das, was<br />

ihn selber, nicht jedoch über das, was an<strong>de</strong>re betrifft. Daher<br />

verlangen die an<strong>de</strong>ren Tugendbereiche nur das Urteil <strong>de</strong>s per­<br />

sönlich Tugendhaften, freilich in <strong>de</strong>r erweiterten Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s<br />

Wortes (vgl. Zu 1). Doch in Sachen <strong>Gerechtigkeit</strong> ist darüber<br />

hinaus das Urteil eines Höheren vonnöten, „<strong>de</strong>r bei<strong>de</strong> zurecht­<br />

weisen <strong>und</strong> seine Hand auf bei<strong>de</strong> legen darf" (Job 9,33). Daher<br />

gehört die <strong>Recht</strong>sprechung im eigentlichen Sinn viel eher zur<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> als zu irgen<strong>de</strong>iner an<strong>de</strong>ren Tugend.<br />

Zu 4. Die <strong>Gerechtigkeit</strong> ist im Fürsten als schöpferische<br />

Tugend, sie befiehlt <strong>und</strong> schreibt gleichsam vor, was gerecht ist.<br />

In <strong>de</strong>n Untergebenen hingegen ist sie ausführen<strong>de</strong> <strong>und</strong> die­<br />

nen<strong>de</strong> Tugend. Daher gehört die <strong>Recht</strong>sprechung, durch die das<br />

Gerechte festgelegt wird, zur <strong>Gerechtigkeit</strong>, insofern sie auf<br />

höhere Weise im Staatsoberhaupt ist.<br />

2. ARTIKEL<br />

Ist es erlaubt, <strong>Recht</strong> zu sprechen?<br />

1. Strafe wird nur für Unerlaubtes verhängt. Doch <strong>de</strong>n<br />

Richten<strong>de</strong>n droht Strafe, <strong>de</strong>r Nichtrichten<strong>de</strong> entgehen gem. Mt<br />

7,1: „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet wer<strong>de</strong>t!" Also ist<br />

<strong>Recht</strong>sprechen unerlaubt.<br />

2. Rom 14,4 heißt es: „Wie kannst du <strong>de</strong>n Diener eines<br />

an<strong>de</strong>ren richten? Sein Herr entschei<strong>de</strong>t, ob er steht o<strong>de</strong>r fällt."<br />

Der Herr aller aber ist Gott. Also steht es keinem Menschen zu,<br />

<strong>Recht</strong> zu sprechen.<br />

3. Kein Mensch ist ohne Sün<strong>de</strong> gem. 1 Jol,8: „Wenn wir<br />

sagen, daß wir keine Sün<strong>de</strong> haben, führen wir uns selber in die<br />

Irre." Doch nach Rom 2,1 darf <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>r nicht richten: „Du<br />

bist unentschuldbar - wer du auch bist, Mensch -, wenn du<br />

richtest. Denn worin du <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren richtest, darin verurteilst<br />

du dich selber, da du, <strong>de</strong>r Richten<strong>de</strong>, dasselbe tust." Also ist es<br />

nieman<strong>de</strong>m erlaubt, <strong>Recht</strong> zu sprechen.<br />

DAGEGEN steht Dt 16,18: „Innerhalb aller <strong>de</strong>iner Tore<br />

sollst du Richter <strong>und</strong> Vorsteher einsetzen, damit sie das Volk<br />

mit gerechtem Gerichte richten."<br />

43


60. 2 ANTWORT. <strong>Recht</strong>sprechen ist insoweit erlaubt, als es einen<br />

Akt <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> darstellt. Damit aber das <strong>Recht</strong>sprechen<br />

ein Akt <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> ist, sind nach <strong>de</strong>m oben Gesagten<br />

(Art. 1 Zu 1 u. 3) drei Dinge nötig: 1. es muß aus <strong>de</strong>r Bereit­<br />

schaft zur <strong>Gerechtigkeit</strong> hervorgehen, 2. es muß die Autorität<br />

<strong>de</strong>r Obrigkeit dahinterstehen, 3. es muß mit richtig bedachter<br />

Klugheit vorgetragen wer<strong>de</strong>n. Fehlt einer dieser Punkte, ist die<br />

<strong>Recht</strong>sprechung fehlerhaft <strong>und</strong> unerlaubt. Verstößt sie gegen<br />

die ein<strong>de</strong>utige <strong>Gerechtigkeit</strong>, dann ist sie „pervers" o<strong>de</strong>r „unge­<br />

recht". Fällt <strong>de</strong>r Mensch Urteile auf Gebieten, für die er nicht<br />

zuständig ist, spricht man von „angemaßter" <strong>Recht</strong>sprechung.<br />

Fehlt es an rationaler Sicherheit, z. B. wenn jemand aufgr<strong>und</strong><br />

leichter Mutmaßungen über Zweifelhaftes o<strong>de</strong>r Verborgenes<br />

urteilt, dann heißt man dies „Verdachts"- o<strong>de</strong>r „Unbesonnen­<br />

heitsurteil".<br />

Zu 1. Der Herr verbietet dort leichtsinniges Urteilen über<br />

innere Absichten o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re unsichere Dinge (vgl. Augustinus:<br />

Bergpredigt II, 18; ML 34,1237). - O<strong>de</strong>r er verbietet das Urteil<br />

über göttliche Dinge, die wir nicht beurteilen dürfen, weil sie<br />

uns übersteigen o<strong>de</strong>r weil wir sie schlicht <strong>und</strong> einfach glauben<br />

müssen, wie Hilarius sagt (Matthäuskommentar c.5; ML 9,<br />

950). - O<strong>de</strong>r er verbietet das Urteil, das nicht aus Wohlwollen,<br />

son<strong>de</strong>rn aus bitterer Gesinnung gefällt wird (so <strong>de</strong>r Unvoll­<br />

en<strong>de</strong>te Matthäuskommentar <strong>de</strong>s Cbrysostomus, Horn. 17;<br />

MG 56,725).<br />

Zu 2. Der Richter wird eingesetzt als Diener Gottes. Daher<br />

heißt es im Buch Deuteronomium 1,16: „Richtet, was recht<br />

ist!" <strong>und</strong> weiter (17): „Denn Gottes ist das Gericht".<br />

Zu 3. Wer im Zustand schwerer Sün<strong>de</strong> lebt, darf <strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r in<br />

gleiche o<strong>de</strong>r weniger schwere Sün<strong>de</strong>n verstrickt ist, nicht rich­<br />

ten, wie Cbrysostomus zu Mt7,1: „Richtet nicht!" (Horn. 23;<br />

MG57,310) sagt. Dies gilt vor allem dann, wenn die Sün<strong>de</strong>n<br />

öffentlich sind, <strong>de</strong>nn dies erregt Ärgernis in <strong>de</strong>n Herzen <strong>de</strong>r<br />

an<strong>de</strong>ren. Sind sie jedoch nicht öffentlich, son<strong>de</strong>rn geheim, <strong>und</strong><br />

erweist sich ein Urteil von Amts wegen als notwendig, kann er<br />

(<strong>de</strong>r sündige Richter) in Demut <strong>und</strong> Furcht zurechtweisen o<strong>de</strong>r<br />

richten. Darum schreibt Augustinus im Buch Uber die Berg­<br />

predigt (11,19; ML34,1299): „Wenn wir uns in <strong>de</strong>mselben<br />

Fehler befin<strong>de</strong>n, laßt uns ihn bedauern <strong>und</strong> uns zu gemeinsamer<br />

Anstrengung aufmuntern." - Damit verurteilt sich <strong>de</strong>r Mensch<br />

nicht selbst, wodurch er sich etwa ein neues Verdienst erwerben<br />

44


wür<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn er beweist, daß er selbst, in<strong>de</strong>m er einen 60.3<br />

an<strong>de</strong>ren verurteilt, wegen <strong>de</strong>r gleichen o<strong>de</strong>r einer ähnlichen<br />

Sün<strong>de</strong> ebenso verurteilungswürdig ist.<br />

3. ARTIKEL<br />

Ist ein Urteil auf bloßen Verdacht hin unerlaubt?<br />

1. Unter Verdacht versteht man eine unsichere Meinung<br />

über etwas Böses. Daher wen<strong>de</strong>t sich <strong>de</strong>r Verdacht nach<br />

Aristoteles (Etil.VI,3; 1139b 17) <strong>de</strong>m wahren <strong>und</strong> <strong>de</strong>m Falschen<br />

zu. Doch in <strong>de</strong>r Welt <strong>de</strong>s Zufälligen läßt sich nur eine<br />

unsichere Meinung bil<strong>de</strong>n. Da sich nun das Urteil <strong>de</strong>s Men­<br />

schen auf das menschliche Tun bezieht, das sich im Einzelnen<br />

<strong>und</strong> Zufälligen abspielt, scheint jegliches Urteil unerlaubt zu<br />

sein, wenn man überhaupt nicht auf Verdacht hin urteilen darf.<br />

2. Ein unerlaubtes Urteil fügt <strong>de</strong>m Nächsten Unrecht zu.<br />

Doch böse Verdächtigung existiert nur in <strong>de</strong>r Meinung <strong>de</strong>s<br />

Menschen, <strong>und</strong> so wirkt sie sich nicht als Unrecht gegen einen<br />

an<strong>de</strong>ren aus. Also ist Urteil auf Verdacht hin nicht unerlaubt.<br />

3. Ist es unerlaubt, muß es auf die Ungerechtigkeit zurück­<br />

geführt wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nn das Urteil ist ein Akt <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

(Art. 1). Doch Ungerechtigkeit ist ihrer Art nach Todsün<strong>de</strong><br />

(Fr. 59,4). Also wäre Urteil auf Verdacht hin immer Todsün<strong>de</strong>,<br />

wenn es unerlaubt wäre. Dies jedoch ist falsch, <strong>de</strong>nn „Verdacht<br />

läßt sich nicht vermei<strong>de</strong>n", wie die Glosse Augustins zu 1 Kor.<br />

4,5: „Richtet nicht vor <strong>de</strong>r Zeit!" (ML 191,1566) sagt. Also<br />

scheint ein Urteil auf Verdacht hin nicht unerlaubt zu sein.<br />

DAGEGEN schreibt Cbrysostomus zum Matthäuswort (7,1)<br />

„Richtet nicht!": „Der Herr verbietet mit diesem Befehl nicht,<br />

aus Wohlwollen an<strong>de</strong>re zurechtzuweisen, son<strong>de</strong>rn daß sie aus<br />

Einbildung auf ihre <strong>Gerechtigkeit</strong> als Christen die an<strong>de</strong>ren<br />

Christen verachten, in<strong>de</strong>m sie meist auf bloße Verdachtsgrün<strong>de</strong><br />

hin die an<strong>de</strong>ren hassen <strong>und</strong> verurteilen" (Unvollen<strong>de</strong>ter Mt-<br />

Kommentar, Horn. 17; MG 56,725).<br />

ANTWORT. Wie Cicero sagt, be<strong>de</strong>utet Verdächtigung, wenn<br />

sie schwach begrün<strong>de</strong>t ist, soviel wie Vermutung von etwas<br />

Bösem (Tuscul. 4,7). Und dies geschieht aus dreifachem<br />

Gr<strong>und</strong>. Einmal <strong>de</strong>shalb, weil jemand selber schlecht ist <strong>und</strong><br />

darum im Bewußtsein seiner Schlechtigkeit von an<strong>de</strong>ren leicht<br />

etwas Schlechtes <strong>de</strong>nkt gemäß Prd 10,3: „Wenn <strong>de</strong>r Tor auf<br />

45


60. 3 seinem Wege wan<strong>de</strong>lt, hält er, da er selbst ein Tor ist, alle für<br />

Toren". - Sodann kommt es daher, daß sich jemand mit einem<br />

an<strong>de</strong>ren schlecht versteht. Verachtet o<strong>de</strong>r haßt jemand einen<br />

an<strong>de</strong>ren o<strong>de</strong>r hegt er Zorn- o<strong>de</strong>r Neidgefühle gegen ihn, dann<br />

genügen geringe An<strong>de</strong>utungen, um ihn <strong>de</strong>s Bösen zu verdäch­<br />

tigen, <strong>de</strong>nn, was man wünscht, das glaubt man gern. - Drittens<br />

spielt lange Erfahrung noch eine Rolle, weshalb Aristoteles im<br />

II. Buch seiner Rhetorik (c. 13; 1389 b 21) schreibt: „Greise sind<br />

aufs höchste argwöhnisch, da sie oftmals das Versagen ihrer<br />

Mitmenschen erlebt haben".<br />

Die ersten bei<strong>de</strong>n Ursachen <strong>de</strong>s Argwohns sind offensicht­<br />

lich <strong>de</strong>r Verkehrtheit <strong>de</strong>r Affekte zuzuschreiben. Die dritte<br />

Ursache jedoch schwächt <strong>de</strong>n Grad <strong>de</strong>r Verdächtigung ab,<br />

in<strong>de</strong>m die Erfahrung die Gewißheit, die ja <strong>de</strong>n Verdacht auf­<br />

hebt, wachsen läßt. Verdächtigung trägt also <strong>de</strong>n Makel <strong>de</strong>s<br />

Sündhaften an sich, <strong>und</strong> je mehr sie sich steigert, umso schlim­<br />

mer wird sie.<br />

Der Argwohn hat drei Gra<strong>de</strong>. Beim ersten fängt <strong>de</strong>r Mensch<br />

an, auf leichte Grün<strong>de</strong> hin an <strong>de</strong>r Ta<strong>de</strong>llosigkeit <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>rn zu<br />

zweifeln. Dies ist läßliche <strong>und</strong> leichte Sün<strong>de</strong>, <strong>de</strong>nn „es gehört<br />

nun einmal zur menschlichen Versuchung, ohne die unser<br />

Leben nicht vonstatten geht", wie es in <strong>de</strong>r Glosse zu 1 Kor 4,5<br />

(„Richtet nicht vor <strong>de</strong>r Zeit!") heißt (ML 191,1566). - Beim<br />

zweiten Grad nimmt jemand aufgr<strong>und</strong> schwacher Anhalts­<br />

punkte Bösartigkeit bei seinem Nächsten als sichere Tatsache<br />

an. Dies ist im Falle schweren Vorwurfs eine Todsün<strong>de</strong>, <strong>de</strong>nn es<br />

geht nicht ohne Verachtung <strong>de</strong>s Nächsten ab. Die Glosse fährt<br />

darum dort weiter: „Wenn wir <strong>de</strong>shalb auch nicht allen Arg­<br />

wohn mei<strong>de</strong>n können, weil wir Menschen sind, so müssen wir<br />

uns doch mit <strong>de</strong>m endgültigen <strong>und</strong> bestimmten Urteil zurück­<br />

halten." - Der dritte Grad wird erreicht, wenn ein Richter auf­<br />

gr<strong>und</strong> von Verdacht zur Verurteilung schreitet. Dies fällt unmit­<br />

telbar in das Gebiet <strong>de</strong>r Ungerechtigkeit. Daher ist es schwere<br />

Sün<strong>de</strong>.<br />

Zu 1. Beim menschlichen Tun gibt es eine gewisse Sicher­<br />

heit, nicht zwar so wie in <strong>de</strong>n streng beweisbaren Wissenschaf­<br />

ten, son<strong>de</strong>rn entsprechend <strong>de</strong>r gegebenen Materie, z. B. wenn<br />

etwas durch geeignete Zeugenaussagen bewiesen wird.<br />

Zu 2. Dadurch, daß sich jemand über einen ohne hinrei­<br />

chen<strong>de</strong>n Gr<strong>und</strong> eine schlechte Meinung bil<strong>de</strong>t, verachtet er ihn<br />

zu Unrecht. Und somit beleidigt er ihn.<br />

46


Zu 3. Weil sich <strong>Recht</strong> <strong>und</strong> Unrecht auf äußere Handlungen 60. 4<br />

beziehen (Fr. 58,8.10.11), fällt das Verdächtigungsurteil, falls<br />

es zum äußeren Akt kommt, direkt in das Gebiet <strong>de</strong>r Ungerech­<br />

tigkeit. Und dann ist es, wie soeben gesagt, schwere Sün<strong>de</strong>. Das<br />

innere Urteil jedoch gehört zur <strong>Gerechtigkeit</strong> durch seine Bezo-<br />

genheit zum äußeren Urteil wie <strong>de</strong>r innere Akt zum äußeren,<br />

vergleichbar <strong>de</strong>m-Verhältnis Begier<strong>de</strong> - Unzucht <strong>und</strong> Zorn -<br />

Mord.<br />

4. ARTIKEL<br />

Müssen Zweifel nach <strong>de</strong>r günstigeren Seite hin gelöst<br />

wer<strong>de</strong>n?<br />

1. Die <strong>Recht</strong>sprechung muß sich nach <strong>de</strong>m richten, was in<br />

<strong>de</strong>n meisten Fällen vorkommt. Doch meistens ist es so, daß die<br />

Leute schlecht han<strong>de</strong>ln, <strong>de</strong>nn, wie <strong>de</strong>r Prediger 1,15 sagt, ist<br />

„die Zahl <strong>de</strong>r Toren unendlich groß", <strong>und</strong> in <strong>de</strong>r Genesis 8,21<br />

heißt es: „Der Sinn <strong>de</strong>s Menschen ist zum Bösen geneigt von<br />

Jugend an." Also müssen wir die Zweifel eher nach <strong>de</strong>r schlech­<br />

ten als nach <strong>de</strong>r guten Seite hin lösen.<br />

2. Augustinus schreibt (Uber die christliche Lehre 1,27;<br />

ML 34,29): „Fromm <strong>und</strong> gerecht lebt, wer die Dinge unbe­<br />

stechlich beurteilt" <strong>und</strong> nach keiner Seite hin abirrt. Jener aber,<br />

<strong>de</strong>r im Zweifel nach <strong>de</strong>r besseren Seite hin auslegt, geht nach<br />

einer Seite hin fehl. Dies darf man nicht tun.<br />

3. Der Mensch muß seinen Nächsten lieben wie sich selbst.<br />

Doch für sich selbst muß er seine Zweifel im ungünstigeren<br />

Licht sehen gemäß Job 9,28: „Ich fürchte alle meine Werke."<br />

Also muß man, was beim Nächsten zweifelhaft erscheint, wohl<br />

im schlechteren Sinne auslegen.<br />

DAGEGEN schreibt die Glosse zu Rom 14,3 („Wer kein<br />

Fleisch ißt, richte <strong>de</strong>n nicht, <strong>de</strong>r es ißt"): „Zweifel müssen nach<br />

<strong>de</strong>r günstigeren Seite hin ausgelegt wer<strong>de</strong>n" (ML 191,1512).<br />

ANTWORT. Wie oben (Art. 3,2) gesagt, fügt jemand, <strong>de</strong>r<br />

sich ohne genügen<strong>de</strong>n Gr<strong>und</strong> von einem an<strong>de</strong>ren eine schlechte<br />

Meinung bil<strong>de</strong>t, diesem Unrecht zu <strong>und</strong> verachtet ihn. Nie­<br />

mand jedoch darf einen an<strong>de</strong>ren ohne zwingen<strong>de</strong>n Gr<strong>und</strong> ver­<br />

achten o<strong>de</strong>r ihm irgen<strong>de</strong>inen Scha<strong>de</strong>n zufügen. Und darum<br />

müssen wir, solange von einem keine sicheren Beweise für seine<br />

47


60. 4 Schlechtigkeit vorliegen, ihn als gut ansehen <strong>und</strong> einen auf­<br />

kommen<strong>de</strong>n Zweifel nach <strong>de</strong>r guten Seite hin auslegen.<br />

Zu 1. Es kann vorkommen, daß häufig getäuscht wird, wer<br />

sich von <strong>de</strong>r guten Auslegung leiten läßt. Doch ist es besser, daß<br />

jemand, <strong>de</strong>r von einem schlechten Menschen eine gute Meinung<br />

hat, häufig hereinfällt, als daß er seltener getäuscht wird, in<strong>de</strong>m<br />

er von einem guten Menschen eine schlechte Meinung hat, <strong>de</strong>nn<br />

dadurch wird einem Unrecht getan, nicht jedoch im ersteren<br />

Fall.<br />

Zu 2. Etwas an<strong>de</strong>res ist das Urteil über Sachen <strong>und</strong> etwas<br />

. an<strong>de</strong>res über Menschen. Beim Urteil über Sachen spielen gut<br />

<strong>und</strong> bös auf Seiten <strong>de</strong>r Sache, die wir beurteilen, keine Rolle, sie<br />

trägt keinen Scha<strong>de</strong>n davon, gleich wie wir über sie urteilen.<br />

Hier kommt nur die geistige Verfassung <strong>de</strong>s Urteilen<strong>de</strong>n in<br />

Frage; sie ist gut, falls er richtig, sie ist schlecht, falls er falsch<br />

urteilt, <strong>de</strong>nn „das Wahre ist das Gut <strong>de</strong>s Verstan<strong>de</strong>s, das Falsche<br />

sein Übel", wie Aristoteles im VI. Buch seiner Ethik schreibt<br />

(c. 2; 1130a27). Daher muß ein je<strong>de</strong>r darauf bedacht sein, die<br />

Dinge sachgemäß zu beurteilen. - Doch beim Urteil über Men­<br />

schen fällt <strong>de</strong>r Blick vor allem auf das Wohl <strong>und</strong> Wehe <strong>de</strong>ssen,<br />

<strong>de</strong>r beurteilt wird: ergibt sich ein günstiges Urteil, gilt er als<br />

Ehrenmann, kommt er schlecht davon, ist er verachtenswert.<br />

Daher müssen wir bei einer solchen Richtertätigkeit eher<br />

danach streben, <strong>de</strong>n Menschen gut zu beurteilen, es sei <strong>de</strong>nn<br />

ein<strong>de</strong>utig ein Gr<strong>und</strong> für das Gegenteil vorhan<strong>de</strong>n. Für <strong>de</strong>n rich­<br />

ten<strong>de</strong>n Menschen jedoch wirkt sich ein falsch getroffenes gutes<br />

Urteil nicht negativ auf seine geistige Verfassung aus, <strong>de</strong>nn ihr<br />

guter Zustand hängt nicht von <strong>de</strong>r Erkenntnis zufälliger Einzel­<br />

wahrheiten, son<strong>de</strong>rn vielmehr von <strong>de</strong>r richtigen affektiven Ein­<br />

stellung ab.<br />

Zu 3. Auf zweifache Weise geschieht die Auslegung nach <strong>de</strong>r<br />

schlechten o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r guten Seite hin. Einmal dadurch, daß wir<br />

von einer bestimmten Annahme ausgehen. So ist es von Vorteil,<br />

bei <strong>de</strong>r Anwendung eines Heilmittels, sei es bei uns, sei es bei<br />

an<strong>de</strong>ren, das Schlechtere anzunehmen, um so ein wirksameres<br />

Mittel einzusetzen, <strong>de</strong>nn eine Medizin, die gegen ein größeres<br />

Übel hilft, hilft noch viel mehr gegen ein kleineres. - Auf an<strong>de</strong>re<br />

Weise legen wir etwas zum Guten o<strong>de</strong>r Schlechten aus durch<br />

genaue Bestimmung o<strong>de</strong>r durch Entscheidung. So muß man bei<br />

<strong>de</strong>r Beurteilung von Sachen danach trachten, je<strong>de</strong>s Ding so<br />

einzuschätzen, wie es wirklich ist, sich beim Urteil über Men-<br />

48


sehen jedoch für die bessere Seite entschei<strong>de</strong>n (vgl. Antwort u. 60. 5<br />

Zu 2).<br />

5. ARTIKEL<br />

Muß man immer nur nach <strong>de</strong>m geschriebenen Gesetz <strong>Recht</strong><br />

sprechen?<br />

1. Ein ungerechtes Urteil ist stets zu vermei<strong>de</strong>n. Doch bis­<br />

weilen enthalten die geschriebenen Gesetze Unrecht gemäß<br />

Is 10,1: „Weh <strong>de</strong>nen, die ungerechte Gesetze erlassen <strong>und</strong><br />

Ungerechtigkeiten nie<strong>de</strong>rschreiben!" Also darf man nicht<br />

immer nach <strong>de</strong>n geschriebenen Gesetzen <strong>Recht</strong> sprechen.<br />

2. Die <strong>Recht</strong>sprechung muß sich mit einzelnen Vorkomm­<br />

nissen beschäftigen. Doch ein geschriebenes Gesetz kann nicht<br />

alle einzelnen Vorkommnisse berücksichtigen, wie Aristoteles<br />

im V.Buch seiner Ethik (c. 14; 1137b 13) schreibt. Also darf<br />

man nicht immer nach geschriebenen Gesetzen <strong>Recht</strong> sprechen.<br />

3. Das Gesetz wird schriftlich festgelegt, damit <strong>de</strong>r Wille <strong>de</strong>s<br />

Gesetzgebers <strong>de</strong>utlich zum Ausdruck gelangt. Doch bisweilen<br />

kommt es vor, daß <strong>de</strong>r Gesetzgeber, wäre er selbst zugegen,<br />

an<strong>de</strong>rs urteilen wür<strong>de</strong>. Also darf man nicht immer nach <strong>de</strong>m<br />

geschriebenen Gesetz <strong>Recht</strong> sprechen.<br />

DAGEGEN schreibt Augustinus in seinem Buch Uber die<br />

wahre Religion (c. 3; ML34,148): „So ist es mit <strong>de</strong>n zeitlichen<br />

Gesetzen: obgleich die Menschen, wenn sie sie verfassen, über<br />

sie urteilen, so steht es, sobald sie verfaßt <strong>und</strong> bestätigt sind,<br />

keinem Richter mehr zu, über sie zu urteilen, vielmehr hat er<br />

nach ihnen zu urteilen."<br />

ANTWORT. Wie gesagt (Art. 1), ist <strong>de</strong>r Richterspruch nichts<br />

an<strong>de</strong>res als die Bestimmung <strong>und</strong> Begrenzung <strong>de</strong>ssen, was<br />

gerecht ist. Gerecht aber wird etwas auf zweifache Weise. Ein­<br />

mal aus <strong>de</strong>r Natur <strong>de</strong>r Sache heraus, <strong>und</strong> dies heißt „Natur­<br />

recht". Auf an<strong>de</strong>re Weise durch Vereinbarung unter <strong>de</strong>n Men­<br />

schen, <strong>und</strong> dies nennt man „positives <strong>Recht</strong>" (vgl. Fr. 57,2). Zur<br />

Erklärung bei<strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>sarten wer<strong>de</strong>n nun schriftlich Gesetze<br />

erlassen, freilich in verschie<strong>de</strong>nem Sinn. Denn das geschriebene<br />

Gesetz enthält zwar das Naturrecht, doch es hat es nicht<br />

begrün<strong>de</strong>t: es schöpft seine Kraft nämlich nicht aus <strong>de</strong>m<br />

Gesetz, son<strong>de</strong>rn aus <strong>de</strong>r Natur. Das positive <strong>Recht</strong> aber ist im<br />

schriftlichen Gesetz enthalten, wur<strong>de</strong> durch es begrün<strong>de</strong>t <strong>und</strong><br />

49


60. 6 erhält von ihm seine autoritative Kraft. Der Richterspruch muß<br />

also nach <strong>de</strong>m geschriebenen Gesetz erfolgen, sonst nämlich<br />

wür<strong>de</strong> er entwe<strong>de</strong>r vom Naturrecht o<strong>de</strong>r vom positiven <strong>Recht</strong><br />

abweichen.<br />

Zu 1. Wie das geschriebene Gesetz <strong>de</strong>m Naturrecht nicht<br />

seine verpflichten<strong>de</strong> Kraft verleiht, so kann es auch seine Kraft<br />

nicht min<strong>de</strong>rn o<strong>de</strong>r aufheben, <strong>de</strong>r menschliche Wille vermag die<br />

Natur nicht zu verän<strong>de</strong>rn. Wenn daher das geschriebene Gesetz<br />

etwas Naturrechtswidriges enthält, dann ist es ungerecht <strong>und</strong><br />

besitzt keine Verbindlichkeit: das postive <strong>Recht</strong> kommt näm­<br />

lich nur dort infrage, wo es <strong>de</strong>m Naturrecht gegenüber „keine<br />

Rolle spielt, ob es so o<strong>de</strong>r so gefaßt wird", wie oben (Fr. 57,2,2)<br />

erklärt wor<strong>de</strong>n ist. Daher sind <strong>de</strong>rartige schriftliche Festlegun­<br />

gen auch nicht „Gesetze", son<strong>de</strong>rn vielmehr Zerrüttung <strong>de</strong>r<br />

Gesetze zu nennen (vgl. 1-1195,2). Aus diesem Gr<strong>und</strong> darf<br />

man nach ihnen auch nicht <strong>Recht</strong> sprechen.<br />

Zu 2. Wie die ungerechten Gesetze von sich aus <strong>de</strong>m Natur­<br />

recht wi<strong>de</strong>rsprechen, sei es immer, sei es in <strong>de</strong>n meisten Fällen,<br />

so bewähren sich auch ordnungsgemäß erlassene positive<br />

Gesetze in gewissen Fällen nicht, <strong>und</strong> wür<strong>de</strong>n sie befolgt, wäre<br />

es gegen das Naturrecht. Daher ist in <strong>de</strong>rartigen Fällen nicht<br />

nach <strong>de</strong>m Buchstaben <strong>de</strong>s Gesetzes <strong>Recht</strong> zu sprechen, son<strong>de</strong>rn<br />

auf die Billigkeit, die <strong>de</strong>r Gesetzgeber im Auge hat, zurück­<br />

zugreifen. Der Gesetzesgelehrte sagte <strong>de</strong>nn auch (Dig. 1,3;<br />

KRI, 34): „Keine <strong>Recht</strong>sauffassung o<strong>de</strong>r die Mil<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Billigkeit<br />

dul<strong>de</strong>t es, daß wir das, was zum N<strong>utz</strong>en <strong>de</strong>r Menschen heilsam<br />

eingeführt wird, durch eine härtere Auslegung gegen ihren Vor­<br />

teil verschärfen." In solchen Fällen wür<strong>de</strong> auch <strong>de</strong>r Gesetzgeber<br />

an<strong>de</strong>rs urteilen, <strong>und</strong>, hätte er es in Betracht gezogen, auch<br />

gesetzlich so festgelegt haben.<br />

Daraus ergibt sich die Antwort Zu 3.<br />

6. ARTIKEL<br />

Wird die <strong>Recht</strong>sprechung durch Anmaßung beeinträchtigt?<br />

1. Die <strong>Gerechtigkeit</strong> besteht in einer gewissen <strong>Recht</strong>heit <strong>de</strong>s<br />

Han<strong>de</strong>lns. Der Wahrheit geschieht nun kein Eintrag, gleich von<br />

wem sie ausgesprochen wird, sie ist vielmehr von je<strong>de</strong>m anzu­<br />

nehmen. Also wird auch die <strong>Gerechtigkeit</strong> nicht beeinträchtigt,<br />

50


gleich von wem immer das Gerechte bestimmt wird, was ja zum 60. 6<br />

Wesen <strong>de</strong>s Urteilsspruches gehört.<br />

2. Die Sün<strong>de</strong>n zu bestrafen gehört zur <strong>Recht</strong>sprechung. Von<br />

manchen liest man jedoch in loben<strong>de</strong>r Weise, sie hätten Sün<strong>de</strong>n<br />

bestraft, obwohl sie über die Strafwürdigen keine Befugnis<br />

besessen hätten, wie z. B. Moses, <strong>de</strong>r einen Ägypter erschlug<br />

(Ex2,llff.), <strong>und</strong> Phinees, <strong>de</strong>r Sohn <strong>de</strong>s Eleazar, <strong>de</strong>n Cambri,<br />

<strong>de</strong>n Sohn Saloms (Nm25,7ff.), „<strong>und</strong> es wur<strong>de</strong> ihm als Tat <strong>de</strong>r<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> angerechnet", wie es im Ps 106,31 heißt. Also hat<br />

Anmaßung <strong>de</strong>r richterlichen Funktion nichts mit Unge­<br />

rechtigkeit zu tun.<br />

3. Geistliche <strong>und</strong> weltliche Gewalt sind verschie<strong>de</strong>n. Doch<br />

bisweilen mischen sich kirchliche Vorgesetzte mit geistlicher<br />

Gewalt in weltliche Angelegenheiten ein. Also ist angemaßte<br />

richterliche Tätigkeit nicht unerlaubt.<br />

4. Der ordnungsgemäße Urteilsspruch setzt nicht nur ent­<br />

sprechen<strong>de</strong> Befugnis voraus, son<strong>de</strong>rn verlangt vom Richter<br />

auch Wissen <strong>und</strong> die Tugend <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> (Art. 1, Zu 1 u.<br />

Zu 2; Art. 2). Doch spricht man nicht von ungerechtem Urteil,<br />

wenn einem Richter die Tugend <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> abgeht o<strong>de</strong>r<br />

ihm die nötige <strong>Recht</strong>skenntnis fehlt. Also wird auch angemaß­<br />

tes Richten, das trotz mangeln<strong>de</strong>r Autorität ausgeübt wircj,<br />

nicht immer ungerecht sein.<br />

DAGEGEN heißt es Rom 14,4: „Wie kannst du <strong>de</strong>n Diener<br />

eines an<strong>de</strong>ren richten?"<br />

ANTWORT. Da ein Urteil gemäß <strong>de</strong>n geschriebenen Gesetzen<br />

gefällt wer<strong>de</strong>n muß (Art. 5), interpretiert <strong>de</strong>r Richter<br />

irgendwie <strong>de</strong>n Gesetzestext dadurch, daß er ihn auf <strong>de</strong>n Einzel­<br />

fall anwen<strong>de</strong>t. Da es nun Sache <strong>de</strong>rselben Autorität ist, ein<br />

Gesetz auszulegen <strong>und</strong> es vorzuschreiben, so kann, wie das<br />

Gesetz nur durch die öffentliche Autorität erlassen wer<strong>de</strong>n<br />

kann, auch ein Urteil nur kraft öffentlicher Autorität - die sich<br />

auf alle Glie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Gesellschaft erstreckt - gefällt wer<strong>de</strong>n. Und<br />

wie es ungerecht wäre, jeman<strong>de</strong>n zur Befolgung eines Gesetzes,<br />

das nicht durch die öffentliche Autorität ge<strong>de</strong>ckt ist, zu zwin­<br />

gen, so ist es auch ungerecht, wenn jemand einen dazu bringen<br />

wollte, ein Urteil anzunehmen, das nicht von <strong>de</strong>r öffentlichen<br />

Autorität getragen wird.<br />

Zu 1. Die Verkündigung <strong>de</strong>r Wahrheit nötigt nieman<strong>de</strong>n, ihr<br />

beizustimmen, es steht je<strong>de</strong>m frei, sie nach Gutdünken anzu­<br />

nehmen o<strong>de</strong>r nicht anzunehmen. Ein Richterspruch hingegen<br />

51


60. 6 übt einen gewissen Druck aus. Darum ist es unrecht, wenn<br />

einer von jeman<strong>de</strong>m gerichtet wird, <strong>de</strong>r nicht öffentlich autori­<br />

siert ist.<br />

Zu 2. Moses hat <strong>de</strong>n Ägypter wohl aufgr<strong>und</strong> einer durch<br />

göttliche Eingebung mitgeteilten Befugnis getötet. Dies scheint<br />

Apg 7,24 f. nahezulegen: „Nach<strong>de</strong>m er <strong>de</strong>n Ägypter erschlagen<br />

hatte, dachte Moses, seine Brü<strong>de</strong>r wür<strong>de</strong>n begreifen, daß Gott<br />

<strong>de</strong>n Israeliten durch seine Hand Rettung bringen wolle." - O<strong>de</strong>r<br />

man kann sagen, Moses habe <strong>de</strong>n Ägypter getötet, in<strong>de</strong>m er <strong>de</strong>n,<br />

<strong>de</strong>r Unrecht gelitten hatte, mit <strong>de</strong>m gebotenen Maß <strong>de</strong>r Not­<br />

wehr verteidigte. Daher schreibt Ambrosius in seiner Pflichten­<br />

lehre (1,36; ML 16,75): „Wer Unrecht von seinem Gefährten<br />

nicht abwehrt, obwohl er kann, ist ebenso in Schuld wie jener,<br />

<strong>de</strong>r es zufügt." - O<strong>de</strong>r es läßt sich mit Augustinus (QQ in<br />

Exod. II; ML 34,597) die Meinung vertreten: „Wie die Er<strong>de</strong> vor<br />

<strong>de</strong>m Aufgehen nützlicher Samen wegen <strong>de</strong>r Fruchtbarkeit<br />

unnützer Kräuter gelobt wird, so war jene Tat <strong>de</strong>s Moses zwar an<br />

sich fehlerhaft, doch barg sie das Zeichen großerFruchtbarkeit",<br />

insofern sie nämlich das Zeichen seiner Kraft war, mit <strong>de</strong>r er<br />

sein Volk befreien sollte.<br />

Von Phinees aber ist zu sagen, daß er das, vom Eifer für Gott<br />

getrieben, auf göttliche Eingebung hin tat. - O<strong>de</strong>r weil er, zwar<br />

nicht Hoherpriester, so doch immerhin sein Sohn war, <strong>und</strong> ihm<br />

dadurch dieses Gericht ebenso zustand wie <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Rich­<br />

tern, die zu so etwas verpflichtet waren.<br />

Zu 3. Die weltliche Gewalt ist <strong>de</strong>r geistlichen untenan wie<br />

<strong>de</strong>r Leib <strong>de</strong>r Seele. Es gilt daher nicht als <strong>Recht</strong>sanmaßung,<br />

wenn ein geistlicher Vorgesetzter sich in zeitliche Dinge ein­<br />

mischt, soweit ihm die weltliche Gewalt untersteht, o<strong>de</strong>r in<br />

<strong>de</strong>m, was ihm diese überläßt.<br />

Zu 4. Der Habitus von Wissenschaft <strong>und</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong> sind<br />

Vollkommenheiten <strong>de</strong>r einzelnen Person. Fehlen sie, dann kann<br />

man nicht von angemaßter <strong>Recht</strong>sprechung re<strong>de</strong>n wie im Fall<br />

von fehlen<strong>de</strong>r öffentlicher Autorität, auf <strong>de</strong>r die zwingen<strong>de</strong><br />

Kraft <strong>de</strong>s Urteils beruht.<br />

52


61. FRAGE<br />

DIE TEILE DER GERECHTIGKEIT<br />

Hierauf sind die Teile [14] <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> zu betrachten.<br />

Und zwar erstens die subjektiven Teile. Dies sind die Arten <strong>de</strong>r<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>, nämlich die austeilen<strong>de</strong> <strong>und</strong> die ausgleichen<strong>de</strong><br />

[Tausch-, Verkehrs-] <strong>Gerechtigkeit</strong> [15]. Zweitens die vervoll­<br />

ständigen<strong>de</strong>n Teile. Drittens die potentiellen Teile, nämlich die<br />

verwandten Tugen<strong>de</strong>n.<br />

Bezüglich <strong>de</strong>r erstgenannten Teile ergibt sich eine doppelte<br />

Betrachtung: 1. <strong>de</strong>r Teile <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> selbst, 2. <strong>de</strong>r ent­<br />

gegenstehen<strong>de</strong>n Laster. Und weil die Rückerstattung (Resti­<br />

tution) ein Akt <strong>de</strong>r Tauschgerechtigkeit ist, ist zunächst über<br />

<strong>de</strong>n Unterschied von ausgleichen<strong>de</strong>r <strong>und</strong> austeilen<strong>de</strong>r Gerech­<br />

tigkeit, sodann über die Restitution nachzu<strong>de</strong>nken.<br />

Zum Ersten ergeben sich 4 Fragen:<br />

1. Gibt es zwei Arten von <strong>Gerechtigkeit</strong>, nämlich die aus­<br />

teilen<strong>de</strong> <strong>und</strong> die ausgleichen<strong>de</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>?<br />

2. Ist die „Mitte" bei bei<strong>de</strong>n gleich?<br />

3. Haben sie die gleiche o<strong>de</strong>r eine verschie<strong>de</strong>ne Materie?<br />

4. Be<strong>de</strong>utet gerecht bei einer <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Arten soviel wie ein­<br />

fach Wie<strong>de</strong>rvergeltung?<br />

1. ARTIKEL<br />

Gibt es zwei Arten von <strong>Gerechtigkeit</strong>, die austeilen<strong>de</strong><br />

<strong>und</strong> die ausgleichen<strong>de</strong>?<br />

1. Es kann keine Art von <strong>Gerechtigkeit</strong> geben, die <strong>de</strong>r<br />

Gemeinschaft scha<strong>de</strong>t, da die <strong>Gerechtigkeit</strong> ja auf das Gemein­<br />

wohl ausgerichtet ist. Doch die gemeinsamen Güter auf viele<br />

verteilen scha<strong>de</strong>t <strong>de</strong>m gemeinen Wohl aller, weil dadurch<br />

sowohl die gemeinsamen Subsistenzmittel erschöpft wer<strong>de</strong>n,<br />

als auch beson<strong>de</strong>rs weil so die Moral <strong>de</strong>r Menschen untergraben<br />

wird. Cicero sagt nämlich in seiner Pflichtenlehre (II, 15): „Wer<br />

empfängt, wird schlechter <strong>und</strong> möchte dauernd dasselbe erwar­<br />

ten." Also kann das Verteilen nicht eine Art von <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

bil<strong>de</strong>n.<br />

2. Wie oben (Fr. 58,2) dargelegt, besteht <strong>de</strong>r Akt <strong>de</strong>r Gerech­<br />

tigkeit darin, je<strong>de</strong>m zu geben, was sein ist. Doch beim Verteilen<br />

53


61. l wird nicht je<strong>de</strong>m gegeben, was sein ist, son<strong>de</strong>rn es eignet sich<br />

dabei einer etwas an, was gemeinsam war. Dies gehört nicht zur<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>.<br />

3. Die <strong>Gerechtigkeit</strong> ist nicht nur im Fürsten, son<strong>de</strong>rn auch<br />

in <strong>de</strong>n Untertanen (vgl. Fr. 58,6). Doch das Verteilen ist immer<br />

Sache <strong>de</strong>s Fürsten. Also gehört es nicht zur <strong>Gerechtigkeit</strong>.<br />

4. „Das Austeilunsgerechte betrifft die gemeinsamen Gü­<br />

ter", sagt Aristoteles im V.Buch seiner Ethik (c.7; 1131 b27).<br />

Doch das Gemeinsame fällt unter die Gesetzesgerechtigkeit.<br />

Also ist die Verteilungsgerechtigkeit keine Art <strong>de</strong>r beson<strong>de</strong>ren<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Gesetzesgerechtigkeit.<br />

5. Eins <strong>und</strong> Viel bewirkt in <strong>de</strong>r Art <strong>de</strong>r Tugend keinen Un­<br />

terschied. Nun besteht die Tauschgerechtigkeit darin, daß etwas<br />

einem einzigen gegeben wird, die Verteilungsgerechtigkeit dar­<br />

in, daß viele etwas bekommen. Also sind es nicht zwei verschie­<br />

<strong>de</strong>ne Arten von <strong>Gerechtigkeit</strong>.<br />

DAGEGEN spricht Aristoteles im V. Buch seiner Ethik (c. 5;<br />

1130b 31) von zwei Teilen <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> sagt: „die eine<br />

ist für das Zuteilen zuständig, die an<strong>de</strong>re für die Tauschhand­<br />

lungen".<br />

ANTWORT. Wie erwähnt (Fr. 58,7), ist die Son<strong>de</strong>rgerechtig­<br />

keit auf eine private Person, die sich zur Gemeinschaft wie ein<br />

Teil zum Ganzen verhält, hingeordnet. Der Teil kann jedoch un­<br />

ter einem doppelten Ordnungsbezug gesehen wer<strong>de</strong>n. Einmal<br />

als Teil zum Teil, was <strong>de</strong>r Ordnung einer Privatperson zu einer<br />

an<strong>de</strong>ren entspricht. Diese Ordnung regelt die ausgleichen<strong>de</strong><br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>, die in einer Tauschhandlung unter zwei Personen<br />

besteht. Die an<strong>de</strong>re Ordnung beruht auf <strong>de</strong>m Verhältnis <strong>de</strong>s<br />

Ganzen zu seinen Teilen <strong>und</strong> entspricht <strong>de</strong>r Ordnung <strong>de</strong>r<br />

Gemeinschaftsgüter zu <strong>de</strong>n einzelnen Personen. Diese Ord­<br />

nung untersteht <strong>de</strong>r Verteilungsgerechtigkeit, die das Gemein­<br />

same in angemessener Weise auf die einzelnen verteilt. Und so<br />

gibt es zwei Arten von <strong>Gerechtigkeit</strong>, nämlich die ausglei­<br />

chen<strong>de</strong> <strong>und</strong> die zuteilen<strong>de</strong>.<br />

Zu 1. Wie beim Geschenkemachen privater Personen Maß­<br />

haltung empfohlen <strong>und</strong> Verschwendung geta<strong>de</strong>lt wird, so ist<br />

auch bei <strong>de</strong>r Verteilung <strong>de</strong>r gemeinsamen Güter Mäßigung zu<br />

beachten. Und hierbei greift die Verteilungsgerechtigkeit<br />

regelnd ein.<br />

Zu 2. Wie Teil <strong>und</strong> Ganzes gleichsam Eines sind, so gehört<br />

auch <strong>de</strong>m Teil, was <strong>de</strong>s Ganzen ist. Wenn daher von <strong>de</strong>n<br />

54


gemeinsamen Gütern etwas <strong>de</strong>m Einzelnen zugeteilt wird, so 61. 2<br />

erhält je<strong>de</strong>r in gewisser Weise das, „was sein ist".<br />

Zu 3. Das Verteilen <strong>de</strong>r gemeinschaftlichen Güter steht<br />

allein <strong>de</strong>m Verantwortlichen für die Gemeinschaftsgüter zu.<br />

Dennoch ist die Verteilungsgerechtigkeit auch eine Tugend <strong>de</strong>r<br />

Untergebenen, insofern sie mit <strong>de</strong>r gerechten Verteilung zufrie­<br />

<strong>de</strong>n sind. Bisweilen freilich kommt es vor, daß die zur Verteilung<br />

anstehen<strong>de</strong>n Güter nicht <strong>de</strong>m Gemeinwesen, son<strong>de</strong>rn einer<br />

einzelnen Familie gehören. In diesem Fall kann die Verteilung<br />

autoritativ durch eine private Person erfolgen.<br />

Zu 4. Bewegungen wer<strong>de</strong>n spezifisch geprägt durch ihre<br />

Ziele. Und so ist es Sache <strong>de</strong>r Gesetzesgerechtigkeit, die<br />

Belange <strong>de</strong>r Privatpersonen auf das Gemeinwohl hinzuordnen.<br />

Doch, umgekehrt, das Gemeinwohl durch Verteilung auf die<br />

Einzelpersonen auszurichten, ist Sache <strong>de</strong>r Verteilungsgerech­<br />

tigkeit.<br />

Zu 5. Verteilungs- <strong>und</strong> Tauschgerechtigkeit unterschei<strong>de</strong>n<br />

sich nicht nur wie Eins <strong>und</strong> Viel, son<strong>de</strong>rn auch nach ihrem ver­<br />

schie<strong>de</strong>nen Geschul<strong>de</strong>tsein: etwas an<strong>de</strong>res ist es nämlich,<br />

jeman<strong>de</strong>m etwas vom Gemeingut, etwas an<strong>de</strong>res, ihm sein<br />

Eigengut zu schul<strong>de</strong>n.<br />

2. ARTIKEL<br />

Wird die „Mitte" bei <strong>de</strong>r austeilen<strong>de</strong>n <strong>und</strong> <strong>de</strong>r ausgleichen<strong>de</strong>n<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> auf gleiche Weise bestimmt?<br />

1. Bei<strong>de</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>sarten fallen unter die Son<strong>de</strong>rgerech­<br />

tigkeit (vgl. Art. 1). Nun wird bei allen Tugen<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Maßhal­<br />

tung <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Tapferkeit die „Mitte" in gleicherweise bestimmt.<br />

Also gilt dasselbe auch für die „Mitte" von verteilen<strong>de</strong>r <strong>und</strong> aus­<br />

gleichen<strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>.<br />

2. Die Wesensform <strong>de</strong>r sittlichen Tugend ist die von <strong>de</strong>r Ver­<br />

nunft bestimmte „Mitte". Da nun eine Tugend nur eine einzige<br />

Wesensform hat, muß die „Mitte" bei bei<strong>de</strong>n in gleicher Weise<br />

bestimmt wer<strong>de</strong>n.<br />

3. Bei <strong>de</strong>r austeilen<strong>de</strong>n <strong>Gerechtigkeit</strong> wird die „Mitte" im<br />

Hinblick auf die Wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Personen bestimmt. Doch die<br />

Wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Personen fin<strong>de</strong>t auch bei <strong>de</strong>r ausgleichen<strong>de</strong>n<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> Berücksichtigung, wie z. B. im Fall <strong>de</strong>r Bestra­<br />

fung: strenger wird bestraft, wer einen Fürsten geschlagen, als<br />

55


61. 2 jemand, <strong>de</strong>r sich an einer Privatperson vergriffen hat. Also wird<br />

bei bei<strong>de</strong>n <strong>Gerechtigkeit</strong>sarten die „Mitte" in <strong>de</strong>rselben Weise<br />

bestimmt.<br />

DAGEGEN steht <strong>de</strong>s Aristoteles Erklärung im V. Buch seiner<br />

Ethik (c.6u. 7; 1131 a 29, b 32), wonach die Tugendmitte bei <strong>de</strong>r<br />

verteilen<strong>de</strong>n <strong>Gerechtigkeit</strong> nach <strong>de</strong>m „geometrischen", bei <strong>de</strong>r<br />

ausgleichen<strong>de</strong>n jedoch nach <strong>de</strong>m „arithmetischen Verhältnis"<br />

bestimmt wird.<br />

ANTWORT. Die verteilen<strong>de</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong> weist einer Pri­<br />

vatperson etwas zu, was vonseiten <strong>de</strong>s Ganzen <strong>de</strong>m Teil<br />

zusteht. Dies ist umso größer, je be<strong>de</strong>utsamer die Stellung <strong>de</strong>s<br />

Teils im Ganzen ist. Daher wird bei <strong>de</strong>r austeilen<strong>de</strong>n Gerechtig­<br />

keit einem umso mehr von <strong>de</strong>n gemeinsamen Gütern gegeben,<br />

eine je höhere Stellung jene Person in <strong>de</strong>r Gemeinschaft ein­<br />

nimmt. In <strong>de</strong>r aristokratischen Gesellschaft wird diese Vorrang­<br />

stellung <strong>de</strong>r Tüchtigkeit zuerkannt, in <strong>de</strong>r oligarchischen <strong>de</strong>m<br />

Reichtum, in <strong>de</strong>r <strong>de</strong>mokratischen <strong>de</strong>r Freiheit <strong>und</strong> in an<strong>de</strong>ren<br />

an<strong>de</strong>rs. Und so wird bei <strong>de</strong>r austeilen<strong>de</strong>n <strong>Gerechtigkeit</strong> die<br />

„Mitte" nicht nach <strong>de</strong>m Gleichmaß von Sache zu Sache, son­<br />

<strong>de</strong>rn nach <strong>de</strong>m Verhältnis von Sachen zu Personen bestimmt,<br />

<strong>und</strong> zwar in <strong>de</strong>r Art, daß, wie eine Person eine an<strong>de</strong>re überragt,<br />

so auch die Sache, die <strong>de</strong>r einen Person gegeben wird, die Sache,<br />

die eine an<strong>de</strong>re erhält, überragt. Daher sagt Aristoteles (vgl.<br />

DAGEGEN), diese „Mitte" bestimme sich nach <strong>de</strong>m „geome­<br />

trischen Verhältnis", bei <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Ausgleich nicht nach Quanti­<br />

tät, son<strong>de</strong>rn nach Proportionalität erfolge. Es ist das gleiche,<br />

wie wenn wir sagen: wie sich 6 zu 4 verhält, so verhält sich 3 zu<br />

2, <strong>de</strong>nn hier wie dort haben wir das Verhältnis von an<strong>de</strong>rthalb,<br />

wobei das Größere das Ganze <strong>de</strong>s Kleineren <strong>und</strong> dazu noch<br />

<strong>de</strong>ssen Hälfte enthält; nicht jedoch besteht eine Gleichheit <strong>de</strong>s<br />

quantitativen Mehr, <strong>de</strong>nn 6 ist um 2 mehr als 4 <strong>und</strong> 3 um 1 mehr<br />

als 2.<br />

Im Tauschverkehr hingegen gibt man einer einzelnen Person<br />

etwas als Ausgleich für eine von ihr erhaltene Sache. Dies zeigt<br />

sich am <strong>de</strong>utlichsten bei Kauf <strong>und</strong> Verkauf, wo die Gr<strong>und</strong>struk­<br />

tur <strong>de</strong>s Tausches zutagetritt. Und darum muß Sache mit Sache<br />

zur Übereinstimmung gebracht wer<strong>de</strong>n, so daß, was <strong>de</strong>r eine<br />

vom an<strong>de</strong>ren zu viel hat, <strong>de</strong>m zurückgegeben wer<strong>de</strong>, <strong>de</strong>m es<br />

gehört. Auf diese Weise entsteht ein Ausgleich entsprechend <strong>de</strong>r<br />

„arithmetischen" Mitte, die auf <strong>de</strong>m gleichen quantitativen<br />

Überhang beruht: so wie 5 die Mitte zwischen 6 <strong>und</strong> 4 ist, also<br />

56


um 1 Einheit darunter- <strong>und</strong> darübergeht. Wenn also bei Beginn 61. 3<br />

je<strong>de</strong>r 5 hatte <strong>und</strong> <strong>de</strong>r eine eine Einheit vom an<strong>de</strong>ren erhielt,<br />

dann hat einer, nämlich <strong>de</strong>r Empfangen<strong>de</strong>, 6 <strong>und</strong> <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>ren<br />

verbleiben noch 4. Es wird also erst dann <strong>Gerechtigkeit</strong> sein,<br />

wenn bei<strong>de</strong> zur Mitte zurückkehren, so daß, wer 6 hat, eine Ein­<br />

heit <strong>de</strong>m abgibt, <strong>de</strong>r 4 besitzt; dann haben bei<strong>de</strong> wie<strong>de</strong>r 5, <strong>und</strong><br />

das ist die Mitte [16].<br />

Zu 1. Bei <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren sittlichen Tugen<strong>de</strong>n wird die Mitte<br />

von <strong>de</strong>r Vernunft <strong>und</strong> nicht von <strong>de</strong>r Sache her bestimmt. Doch<br />

bei <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> ist die Sachmitte maßgeblich. Die Mitte<br />

än<strong>de</strong>rt sich also mit <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen Sachbereichen.<br />

Zu 2. Ausgeglichenheit ist die allgemeine Wesensgestalt <strong>de</strong>r<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>, <strong>und</strong> darin kommen Verteilungs- <strong>und</strong> Tausch­<br />

gerechtigkeit überein. Bei <strong>de</strong>r einen jedoch herrscht geome­<br />

trische, bei <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren arithmetische Proportionalität.<br />

Zu 3. Bei <strong>de</strong>n Handlungen <strong>und</strong> Lei<strong>de</strong>nschaften spielt die<br />

Stellung <strong>de</strong>r Person in <strong>de</strong>r Bestimmung <strong>de</strong>s Quantums eine<br />

Rolle: größer nämlich ist das Unrecht, wenn ein Fürst, als wenn<br />

eine Privatperson geschlagen wird. Daher fin<strong>de</strong>t die Stellung<br />

<strong>de</strong>r Person bei <strong>de</strong>r austeilen<strong>de</strong>n <strong>Gerechtigkeit</strong> an sich Berück­<br />

sichtigung, bei <strong>de</strong>r ausgleichen<strong>de</strong>n jedoch nur insoweit, als sich<br />

dadurch eine Verschie<strong>de</strong>nheit in <strong>de</strong>r Sache ergibt.<br />

3. ARTIKEL<br />

Haben die bei<strong>de</strong>n Arten von <strong>Gerechtigkeit</strong> verschie<strong>de</strong>ne<br />

Materien?<br />

1. Die Verschie<strong>de</strong>nheit <strong>de</strong>r Materien bil<strong>de</strong>t die Gr<strong>und</strong>lage für<br />

die verschie<strong>de</strong>nen Tugen<strong>de</strong>n, wie dies bei Maßhaltung <strong>und</strong><br />

Tapferkeit leicht zu ersehen ist. Wäre nun die Materie bei aus­<br />

teilen<strong>de</strong>r <strong>und</strong> ausgleichen<strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> verschie<strong>de</strong>n, dann<br />

könnten sie nicht ein <strong>und</strong> <strong>de</strong>rselben Tugend, nämlich <strong>de</strong>r<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>, zugewiesen wer<strong>de</strong>n.<br />

2. Die Zuteilung, die zur distributiven <strong>Gerechtigkeit</strong> gehört,<br />

bezieht sich auf „Geld, Ehre <strong>und</strong> an<strong>de</strong>res, was unter die Mitglie<strong>de</strong>r<br />

eines Gemeinwesens verteilt wer<strong>de</strong>n kann", wie Aristoteles<br />

im V. Buch seiner Ethik (c.6; 1130 b 31) schreibt. Bei diesen gibt<br />

es aber auch gegenseitige Tauschgeschäfte, <strong>und</strong> dies fällt<br />

unter die ausgleichen<strong>de</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>. Also besteht zwischen<br />

57


61.3 <strong>de</strong>r austeilen<strong>de</strong>n <strong>und</strong> <strong>de</strong>r ausgleichen<strong>de</strong>n <strong>Gerechtigkeit</strong> kein<br />

Unterschied in <strong>de</strong>r Materie.<br />

3. Entspricht <strong>de</strong>r austeilen<strong>de</strong>n <strong>und</strong> <strong>de</strong>r ausgleichen<strong>de</strong>n<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> wegen ihres spezifischen Unterschie<strong>de</strong>s auch<br />

eine verschie<strong>de</strong>ne Materie, dann darf es dort, wo kein spezifi­<br />

scher Unterschied vorhan<strong>de</strong>n ist, auch keine verschie<strong>de</strong>ne<br />

Materie geben. Doch Aristoteles nimmt für die ausgleichen<strong>de</strong><br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>, die doch eine vielgestaltige Materie hat, nur eine<br />

einzige Art an. Den genannten <strong>Gerechtigkeit</strong>sarten entspricht<br />

also wohl keine vielgestaltige Materie.<br />

DAGEGEN steht im V. Buch <strong>de</strong>r Ethik (c.5; 1130b31): „Die<br />

eine Art von <strong>Gerechtigkeit</strong> hat die Leitung beim Verteilen, die<br />

an<strong>de</strong>re beim Tauschen."<br />

ANTWORT. Wie oben erklärt, hat es die <strong>Gerechtigkeit</strong> mit<br />

gewissen äußeren Handlungen zu tun, nämlich mit Verteilen<br />

<strong>und</strong> Tauschen. Dabei geht es um <strong>de</strong>n Umgang mit äußeren<br />

Gegebenheiten, seien es Sachen, Personen o<strong>de</strong>r Arbeitsleistun­<br />

gen: Sachen, wie z. B. wenn jemand einem seine Sache stiehlt<br />

o<strong>de</strong>r gibt; Personen, wenn jemand einer Person Unrecht antut,<br />

z.B. sie schlägt o<strong>de</strong>r lästert o<strong>de</strong>r auch ihr seine Hochachtung<br />

erweist; Leistungen, wenn z.B. jemand von einem gerechter­<br />

weise Arbeit verlangt o<strong>de</strong>r jeman<strong>de</strong>m einen Dienst erweist.<br />

Nehmen wir nun als Materie das an, worüber bei<strong>de</strong> Gerechtig­<br />

keitsarten bei ihren Funktionen verfügen, so ist ihre Materie ein<br />

<strong>und</strong> dieselbe, <strong>de</strong>nn Sachen können sowohl vom gemeinsamen<br />

Besitz einzelnen zugeteilt wer<strong>de</strong>n als auch durch Tausch vom<br />

einen zum an<strong>de</strong>ren übergehen. Ebenso gibt es Zuteilung von<br />

beschwerlichen Arbeiten <strong>und</strong> <strong>de</strong>ren Vergütung.<br />

Nehmen wir jedoch als Materie <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n <strong>Gerechtigkeit</strong>s­<br />

arten ihre Haupthandlungen selbst, mittels <strong>de</strong>rer wir Personen,<br />

Sachen <strong>und</strong> Arbeitsleistungen in Dienst nehmen, so kommt<br />

jeweils eine an<strong>de</strong>re Materie zum Vorschein. Denn die vertei­<br />

len<strong>de</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong> ist führend bei <strong>de</strong>r Verteilung, die aus­<br />

gleichen<strong>de</strong> bei <strong>de</strong>n Tauschhandlungen, die zwischen zwei Per­<br />

sonen stattfin<strong>de</strong>n können.<br />

Manche ausgleichen<strong>de</strong>n <strong>Recht</strong>sbeziehungen sind unfreiwil­<br />

lig, manche freiwillig. Unfreiwilligkeit liegt vor, wenn sich<br />

jemand eine frem<strong>de</strong> Sache, eine Person o<strong>de</strong>r die Arbeit eines<br />

an<strong>de</strong>ren gegen seinen Willen zun<strong>utz</strong>e macht. Dies geschieht bis­<br />

weilen heimlich durch Betrug, bisweilen offen durch Gewalt.<br />

Bei<strong>de</strong>s richtet sich gegen eine Sache o<strong>de</strong>r gegen eine Person, die<br />

58


Person selbst o<strong>de</strong>r gegen eine gemeinschaftlich verb<strong>und</strong>ene Per- 61.3<br />

son. Gegen eine Sache: wenn jemand die Sache <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>ren<br />

heimlich wegnimmt; dies nennt man Diebstahl. Geschieht es<br />

offen, heißt es Raub. Gegen die Person selbst: entwe<strong>de</strong>r durch<br />

Angriff auf ihre leibliche Existenz o<strong>de</strong>r auf ihre Wür<strong>de</strong>. Die leib­<br />

liche Existenz einer Person wird heimlich verletzt durch hinter­<br />

listiges Töten, Schlagen o<strong>de</strong>r Darreichen von Gift; offen durch<br />

Töten vor aller Augen o<strong>de</strong>r Gefangensetzung, durch Schlagen<br />

<strong>und</strong> Verstümmelung. Die Wür<strong>de</strong> einer Person verletzt man<br />

heimlich durch falsche Aussagen o<strong>de</strong>r Verleumdung, wodurch<br />

jemand ihren guten Ruf schädigt, <strong>und</strong> an<strong>de</strong>res <strong>de</strong>rgleichen;<br />

offen durch falsche Anklage vor Gericht o<strong>de</strong>r durch Beschimp-<br />

f u n §-<br />

Bezüglich einer in Gemeinschaft mit ihm stehen<strong>de</strong>n Person<br />

erlei<strong>de</strong>t jemand Scha<strong>de</strong>n in seiner Gattin durch meist heim­<br />

lichen Ehebruch (vonseiten eines an<strong>de</strong>ren), im Knecht, wenn<br />

jemand <strong>de</strong>n Knecht dahin bringt, daß er seinen Herrn verläßt.<br />

Und auch dies kann offen geschehen. Das gleiche gilt von an<strong>de</strong>­<br />

ren gemeinschaftlich verb<strong>und</strong>enen Personen, gegen die eben­<br />

falls auf alle Weise Unrecht begangen wer<strong>de</strong>n kann als ein<br />

Unrecht gegen <strong>de</strong>n hauptsächlich Betroffenen. Doch Ehebruch<br />

<strong>und</strong> Verführung <strong>de</strong>s Knechtes ist eigentlich Unrecht gegen diese<br />

Personen selbst, weil jedoch <strong>de</strong>r Knecht gewissermaßen zum<br />

Eigentum gehört, fällt dies unter Diebstahl.<br />

Freiwillig sind Tauschgeschäfte, wenn jemand seine Sache<br />

aus eigenem Antrieb einem an<strong>de</strong>ren aushändigt. Und wenn er<br />

sie ohne Schuldverpflichtung überträgt wie bei einer Schen­<br />

kung, so ist dies kein Akt <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Frei­<br />

gebigkeit. Insoweit allerdings gehört die freiwillige Eigentums­<br />

übertragung zur <strong>Gerechtigkeit</strong>, als dabei ein Geschul<strong>de</strong>tsein<br />

vorliegt. Dies kommt in drei Fällen vor. 1. wenn jemand sein<br />

Eigentum schlechthin als Gegenleistung für eine an<strong>de</strong>re Sache<br />

überträgt, wie dies bei Verkauf <strong>und</strong> Kauf zutrifft. - 2. wenn<br />

jemand sein Eigentum einem an<strong>de</strong>ren zur N<strong>utz</strong>ung überläßt<br />

mit <strong>de</strong>r Auflage, es zurückzuerstatten. Gewährt er freie Nut­<br />

zung, dann spricht man bei Dingen, die Frucht bringen, von<br />

Nießbrauch, bei Dingen, die keine Frucht bringen, einfach von<br />

Darlehen o<strong>de</strong>r Leihgut, wie bei Münzen, Gefäßen u. dgl. Wird<br />

<strong>de</strong>r Gebrauch jedoch nicht umsonst gewährt, spricht man von<br />

Vermietung <strong>und</strong> Verpachtung. - 3. wenn jemand sein Eigentum<br />

einem anvertraut mit <strong>de</strong>r Absicht, es zurückzunehmen, nicht<br />

59


61. 4 zur N<strong>utz</strong>ung, son<strong>de</strong>rn entwe<strong>de</strong>r zum Verwahren wie bei <strong>de</strong>r<br />

Hinterlegung o<strong>de</strong>r als Ausdruck seiner Verpflichtung, wie wenn<br />

einer sein Eigentum als Pfand o<strong>de</strong>r als Bürgschaft für einen<br />

an<strong>de</strong>ren einsetzt.<br />

In allen diesen Aktionen, seien sie freiwillig, seien sie unfrei­<br />

willig, geht es immer um die „Mitte" gemäß <strong>de</strong>r Gleichheit <strong>de</strong>r<br />

Gegenleistung. Daher sind sie auch alle einer einzigen Art von<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>, nämlich <strong>de</strong>r ausgleichen<strong>de</strong>n, zuzurechnen.<br />

Daraus ergeben sich die Antworten zu <strong>de</strong>n Einwän<strong>de</strong>n.<br />

4. ARTIKEL<br />

Ist <strong>Gerechtigkeit</strong> einfachhin das gleiche wie Vergeltung?<br />

1. Das göttliche Gericht ist schlechthin gerecht. Doch das<br />

göttliche Gericht besteht wesentlich darin, daß jemand Vergel­<br />

tung erlei<strong>de</strong>t entsprechend <strong>de</strong>m, was er getan hat, gem. Mt 7,2:<br />

„Wie ihr richtet, so wer<strong>de</strong>t ihr gerichtet wer<strong>de</strong>n, <strong>und</strong> nach <strong>de</strong>m<br />

Maß, mit <strong>de</strong>m ihr meßt, wird euch zugemessen wer<strong>de</strong>n." Also<br />

ist <strong>Gerechtigkeit</strong> einfach das gleiche wie Vergeltung.<br />

2. Bei bei<strong>de</strong>n Arten von <strong>Gerechtigkeit</strong> wird etwas nach <strong>de</strong>m<br />

Gr<strong>und</strong>satz <strong>de</strong>s Ausgleichs gegeben: bei <strong>de</strong>r verteilen<strong>de</strong>n<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> im Hinblick auf die Wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Person, eine<br />

Wür<strong>de</strong>, die sich hauptsächlich nach <strong>de</strong>n Leistungen bemißt, die<br />

einer für die Gesellschaft erbracht hat; bei <strong>de</strong>r ausgleichen<strong>de</strong>n<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> im Hinblick auf die Sache, in <strong>de</strong>r jemand geschä­<br />

digt wur<strong>de</strong>. Bei je<strong>de</strong>r dieser Ausgleichsformen wird vergolten<br />

nach <strong>de</strong>m, was einer getan hat. Also scheint die <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

einfachhin in <strong>de</strong>r Vergeltung zu bestehen.<br />

3. Gewollt <strong>und</strong> ungewollt spielen in <strong>de</strong>r Frage <strong>de</strong>r Vergel­<br />

tung eine entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Rolle. Wer nämlich ungewollt ein<br />

Unrecht getan hat, wird weniger bestraft. Gewollt <strong>und</strong> unge­<br />

wollt nun sind subjektive Größen, die die „Mitte" <strong>de</strong>r Gerech­<br />

tigkeit, die eine sachbestimmte <strong>und</strong> nicht subjektbestimmte ist,<br />

nicht verän<strong>de</strong>rn. Also drückt sich <strong>Gerechtigkeit</strong> einfachhin<br />

durch Vergeltung aus.<br />

DAGEGEN beweist Aristoteles im V. Buch seiner Ethik (c. 8;<br />

1132b23), daß nicht je<strong>de</strong> <strong>Recht</strong>shandlung auf Vergeltung<br />

beruhe.<br />

ANTWORT. „Vergeltung" besagt gleichwertige Reaktion auf<br />

eine leidzufügen<strong>de</strong> Aktion. In seiner eigentlichsten Be<strong>de</strong>utung<br />

60


kommt dies zum Ausdruck, wenn jemand seinem Nächsten 61.4<br />

durch ungerechte Handlungen Leid zufügt, z. B., er hat ihn<br />

geschlagen, - also soll er einen Gegenschlag erlei<strong>de</strong>n! Dieses<br />

<strong>Recht</strong>sverhältnis fin<strong>de</strong>t im Gesetz (Ex 21,23) seine Bestäti­<br />

gung: „Leben für Leben, Auge für Auge" usw. - Und weil auch<br />

Stehlen ein Tun ist, so spricht man in zweiter Linie hier ebenfalls<br />

von Vergeltung insofern, als, wer Scha<strong>de</strong>n zugefügt hat, an sei­<br />

nem Eigentum Scha<strong>de</strong>n erlei<strong>de</strong>n soll. Auch dieser <strong>Recht</strong>sgr<strong>und</strong>­<br />

satz fin<strong>de</strong>t sich im Gesetz (Ex22,l): „Wenn jemand ein Rind<br />

o<strong>de</strong>r ein Schaf stiehlt <strong>und</strong> schlachtet es o<strong>de</strong>r verkauft es, so soll<br />

er fünf Rin<strong>de</strong>r für ein Rind zurückgeben <strong>und</strong> vier Schafe für ein<br />

Schaf." - Drittens wird das Wort „Vergeltung" auf freiwillige<br />

Tauschhandlungen übertragen, wo von bei<strong>de</strong>n Seiten Leistung<br />

<strong>und</strong> Gegenleistung erbracht wird, doch wegen <strong>de</strong>r Freiwilligkeit<br />

kann von „Erlei<strong>de</strong>n" kaum die Re<strong>de</strong> sein.<br />

In allen diesen Fällen muß jedoch gemäß <strong>de</strong>m Gr<strong>und</strong>satz <strong>de</strong>r<br />

Tauschgerechtigkeit Vergeltung durch Ausgleich erfolgen, d. h.<br />

die Reaktion muß <strong>de</strong>r Aktion entsprechen. Nicht immer jedoch<br />

wäre Gleichmaß gegeben, wenn einer für seine Tat einen spezi­<br />

fisch gleichen Vergeltungsschlag erlei<strong>de</strong>n wür<strong>de</strong>. Denn wenn<br />

einer die Person eines höher Gestellten verletzt, so ist die Untat<br />

größer als was er durch die Vergeltung <strong>de</strong>rselben Art erlei<strong>de</strong>n<br />

wür<strong>de</strong>. Daher wird, wer einen Fürsten schlägt, nicht nur einfach<br />

selber ebenso geschlagen, son<strong>de</strong>rn viel schärfer bestraft. -<br />

Ebenso ist die Untat, durch die jemand <strong>de</strong>m Eigentum eines<br />

an<strong>de</strong>ren gegen seinen Willen Scha<strong>de</strong>n zufügt, größer, als die<br />

Vergeltung durch bloße Wegnahme <strong>de</strong>r [gestohlenen] Sache<br />

wäre, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Scha<strong>de</strong>nsstifter hätte dann an seinem Eigentum<br />

keine Einbuße erlitten. Daher muß er zur Strafe ein vielfaches<br />

herausrücken, hat er doch auch nicht nur eine Privatperson<br />

geschädigt, son<strong>de</strong>rn auch die Sch<strong>utz</strong>funktion <strong>de</strong>s Staates in<br />

Frage gestellt. - Desgleichen wäre auch in <strong>de</strong>n freiwilligen<br />

Tauschgeschäften die Gleichheit <strong>de</strong>r Entschädigung nicht<br />

gewährleistet, wenn unter zweien einfach Sache gegen Sache<br />

ausgewechselt wür<strong>de</strong>, <strong>de</strong>nn die Sache <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>ren könnte viel­<br />

leicht viel wertvoller sein als die seine. Deshalb müssen<br />

Leistung <strong>und</strong> Gegenleistung bei Tauschgeschäften nach einem<br />

ausgewogenen Maßstab ins Gleichgewicht gebracht wer<strong>de</strong>n.<br />

Zu diesem Zweck wur<strong>de</strong> das Geld erf<strong>und</strong>en. Kurzum: Vergel­<br />

tung ist das Tauschgerechte.<br />

61


61.4 Dies gilt jedoch nicht für die austeilen<strong>de</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>. Denn<br />

hier kommt nicht ein abgewogener Ausgleich zwischen Sache<br />

<strong>und</strong> Sache o<strong>de</strong>r zwischen Aktion <strong>und</strong> Gegenaktion in Betracht,<br />

weswegen man von Vergeltung spricht, son<strong>de</strong>rn das Verhältnis<br />

von Sachen zu Personen, wie oben gesagt wur<strong>de</strong>.<br />

Zu 1. Das göttliche Gericht weist die Struktur <strong>de</strong>r ausglei­<br />

chen<strong>de</strong>n <strong>Gerechtigkeit</strong> auf: sie vergilt Verdienst mit Belohnung<br />

<strong>und</strong> Sün<strong>de</strong> mit Strafe.<br />

Zu 2. Wenn jemand, <strong>de</strong>r sich um das Gemeinwohl verdient<br />

gemacht hat, für seine Dienste belohnt wür<strong>de</strong>, erfolgte dies<br />

nicht nach <strong>de</strong>r austeilen<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn nach <strong>de</strong>r ausgleichen<strong>de</strong>n<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>. Denn die austeilen<strong>de</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong> schaut nicht<br />

auf <strong>de</strong>n Ausgleich zwischen Belohnung <strong>und</strong> Leistung, son<strong>de</strong>rn<br />

achtet darauf, daß entsprechend <strong>de</strong>n persönlichen Verhältnissen<br />

zugeteilt wird [17].<br />

Zu 3. Ist ein ungerechtes Vorgehen willentlich, so ist das<br />

Unrecht umso größer <strong>und</strong> wird als schwerwiegen<strong>de</strong> Sache<br />

betrachtet. Daher muß es durch eine schwerere Strafe ausgegli­<br />

chen wer<strong>de</strong>n, allerdings nicht entsprechend unserer subjektiven<br />

Einstellung, son<strong>de</strong>rn gemäß <strong>de</strong>n sachlichen Unterschie<strong>de</strong>n.<br />

62


62. FRAGE<br />

DIE RÜCKERSTATTUNG [18]<br />

Hierauf ist die Rückerstattung zu betrachten. Dazu ergeben<br />

sich 8 Fragen:<br />

1. Wessen Akt ist sie?<br />

2. Ist es zum ewigen Heil notwendig, alles Entwen<strong>de</strong>te zu­<br />

rückzugeben?<br />

3. Muß man ein Vielfaches zurückerstatten?<br />

4. Muß man zurückgeben, was man nicht entwen<strong>de</strong>t hat?<br />

5. Muß man <strong>de</strong>m zurückgeben, von <strong>de</strong>m es stammt?<br />

6. Muß es <strong>de</strong>r zurückgeben, <strong>de</strong>r es weggenommen hat?<br />

7. O<strong>de</strong>r ein an<strong>de</strong>rer?<br />

8. Muß man sofort zurückgeben?<br />

1. ARTIKEL<br />

Ist die Rückerstattung ein Akt <strong>de</strong>r ausgleichen<strong>de</strong>n<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>?<br />

1. <strong>Gerechtigkeit</strong> verbin<strong>de</strong>t sich mit <strong>de</strong>m Gedanken <strong>de</strong>s<br />

Geschul<strong>de</strong>tseins. Doch wie man etwas schenken kann, ohne es<br />

zu schul<strong>de</strong>n, so verhält es sich auch mit <strong>de</strong>r Rückerstattung.<br />

Also hat die Rückerstattung nichts mit irgen<strong>de</strong>iner Art von<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> zu tun.<br />

2. Was vorbei ist <strong>und</strong> nicht mehr existiert, läßt sich nicht zu­<br />

rückgeben. Nun beziehen sich <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Ungerechtig­<br />

keit auf gewisse Handlungen <strong>und</strong> Leidzufügungen, die nicht<br />

anhalten, son<strong>de</strong>rn vorübergehen. Also hat Rückerstattung wohl<br />

nichts mit irgen<strong>de</strong>iner Art von <strong>Gerechtigkeit</strong> zu tun.<br />

3. Rückerstattung ist eine Art von Ausgleich für eine weg­<br />

genommene Sache. Nun kann man einem nicht nur beim Tausch,<br />

son<strong>de</strong>rn auch bei <strong>de</strong>r Zuteilung etwas wegnehmen, z. B. wenn<br />

jemand beim Zuteilen einem weniger gibt, als diesem gebührt.<br />

Also ist Rückgabe ebensosehr ein Akt <strong>de</strong>r verteilen<strong>de</strong>n wie <strong>de</strong>r<br />

ausgleichen<strong>de</strong>n <strong>Gerechtigkeit</strong>.<br />

DAGEGEN ist zu sagen: die Rückerstattung steht in Gegen­<br />

satz zur Wegnahme, doch die Wegnahme einer frem<strong>de</strong>n Sache<br />

ist ein Akt <strong>de</strong>r Ungerechtigkeit auf <strong>de</strong>m Gebiet <strong>de</strong>s Tausches.<br />

63


62.1 Also gehört die Rückgabe zu jener <strong>Gerechtigkeit</strong>, die im<br />

Tauschgeschäft maßgeblich ist.<br />

ANTWORT. Zurückerstatten (restituere) be<strong>de</strong>utet nichts<br />

an<strong>de</strong>res als jeman<strong>de</strong>n wie<strong>de</strong>rum (iterato) in sein Besitztum o<strong>de</strong>r<br />

ihn als Eigentümer einsetzen (statuere). Und so kommt bei <strong>de</strong>r<br />

Rückerstattung <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>sausgleich im Ersatz einer Sache<br />

durch eine Sache zum Ausdruck, <strong>und</strong> das gehört zur ausglei­<br />

chen<strong>de</strong>n <strong>Gerechtigkeit</strong>. Darum ist die Rückerstattung ein Akt<br />

<strong>de</strong>r Tauschgerechtigkeit, sei die Sache <strong>de</strong>s einen mit <strong>de</strong>ssen<br />

Zustimmung im Besitz <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>ren wie bei Tausch o<strong>de</strong>r Hinter­<br />

legung, sei es gegen seinen Willen wie bei Raub <strong>und</strong> Diebstahl.<br />

Zu 1. Was einem nicht geschul<strong>de</strong>t wird, gehört ihm streng<br />

genommen nicht, auch wenn es ihm einmal gehört hat. Daher<br />

han<strong>de</strong>lt es sich auch mehr um eine neue Schenkung als um Rück­<br />

erstattung, wenn jemand einem gibt, was er ihm nicht zu<br />

geben braucht. Eine gewisse Ähnlichkeit mit <strong>de</strong>r Rückgabe liegt<br />

allerdings vor, da die Sache materiell die gleiche ist. Doch unter<br />

<strong>de</strong>m eigentlichen Gesichtspunkt <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>, wonach sie<br />

jeman<strong>de</strong>s Eigentum sein muß, ist sie nicht die gleiche.<br />

Zu 2. Rückerstattung setzt, da sie in gewissem Sinn Wie<strong>de</strong>r­<br />

holung be<strong>de</strong>utet, das Gleichbleiben <strong>de</strong>r Sache voraus. Darum<br />

kommt Rückgabe in ihrer ersten Be<strong>de</strong>utung vornehmlich bei<br />

materiellen Dingen in Betracht, die, weil sie substantiell <strong>und</strong><br />

eigentumsrechtlich gleichbleiben, von einem zum an<strong>de</strong>ren<br />

übergehen können. Doch weil <strong>de</strong>r Ausdruck „Tausch" von hier<br />

auf Handlungen o<strong>de</strong>r Leidzufügungen, die mit Ehrung o<strong>de</strong>r<br />

Beleidigung, also mit Nachteil o<strong>de</strong>r Vorteil für eine Person zu<br />

tun haben, übertragen wur<strong>de</strong>, so wird auch das Wort „Rücker­<br />

stattung" dafür gebraucht, wenngleich [jene Handlungen] in<br />

Wirklichkeit nicht mehr vorhan<strong>de</strong>n sind <strong>und</strong> höchstens als<br />

Nachwirkung weiterdauern, sei es körperlicher Art, z. B. wenn<br />

jemand bei einer Schlägerei verw<strong>und</strong>et wird, sei es als Vorstel­<br />

lung in <strong>de</strong>r Meinung <strong>de</strong>r Menschen, z. B. wenn jemand wegen<br />

eines Schimpfwortes seinen Leum<strong>und</strong> verliert o<strong>de</strong>r in seinem<br />

Ansehen geschmälert wird.<br />

Zu 3. Die Zugabe, die <strong>de</strong>r Verteilen<strong>de</strong> <strong>de</strong>m nachreicht, <strong>de</strong>r<br />

weniger als recht von ihm erhalten hat, erfolgt nach <strong>de</strong>m Ver­<br />

hältnis von Sache zu Sache, insofern er ihm um so viel mehr<br />

geben muß, als er weniger, als ihm geschul<strong>de</strong>t war, erhalten<br />

hatte.<br />

64


2. ARTIKEL<br />

Ist die Rückgabe einer entwen<strong>de</strong>ten Sache zum ewigen Heil<br />

notwendig?<br />

1. Was unmöglich ist, ist zum ewigen Heil nicht nötig. Nun<br />

ist es bisweilen unmöglich, die weggenommene Sache zurück­<br />

zugeben, z. B. wenn jemand einen eines Glie<strong>de</strong>s o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s<br />

Lebens beraubt hat. Also ist es zum Heil nicht notwendig, zu­<br />

rückzuerstatten, was man einem an<strong>de</strong>ren weggenommen hat.<br />

2. Eine Sün<strong>de</strong> begehen ist zum Heil nicht notwendig, weil<br />

<strong>de</strong>r Mensch sonst nicht wüßte, was er tun soll. Nun läßt sich<br />

bisweilen, was einem genommen wur<strong>de</strong>, nicht ohne Sün<strong>de</strong> zu­<br />

rückgeben, z. B. wenn jemand einem durch Ausplau<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r<br />

Wahrheit <strong>de</strong>n guten Ruf geraubt hat. Daher ist es zum Heil<br />

nicht nötig, das Weggenommene zurückzugeben.<br />

3. Was geschehen ist, läßt sich nicht ungeschehen machen.<br />

Nun kommt es vor, daß einer seine persönliche Ehre verliert,<br />

weil ihn jemand ungerecht ta<strong>de</strong>lt. Also kann ihm nicht zurück­<br />

gegeben wer<strong>de</strong>n, was ihm geraubt wur<strong>de</strong>. Und so ist es eben<br />

auch zum ewigen Heil nicht notwendig, das Weggenommene<br />

zu restituieren.<br />

4. Wer einen daran hin<strong>de</strong>rt, ein Gut zu erlangen, nimmt es<br />

ihm weg. Nun sagt Aristoteles zwar im II. Buch seiner Physik<br />

(c.5; 197a2): „Fehlt nur wenig, so ist das soviel wie nichts."<br />

Wenn aber jemand einen daran hin<strong>de</strong>rt, eine Pfrün<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r dgl.<br />

zu erhalten, ist er nicht verpflichtet, die Pfrün<strong>de</strong> zu erstatten,<br />

<strong>de</strong>nn manchmal könnte er dies gar nicht. Also ist es zum Heil<br />

nicht notwendig, die weggenommene Sache zurückzugeben.<br />

DAGEGEN schreibt Augustinus (Briefl53; ML33,662):<br />

„Die Sün<strong>de</strong> wird nicht vergeben, wenn Weggenommenes nicht<br />

zurückgegeben."<br />

ANTWORT. Die Wie<strong>de</strong>rerstattung ist, wie gesagt (Art. 1) ein<br />

Akt <strong>de</strong>r Tauschgerechtigkeit, die in einem gewissen Ausgleich<br />

besteht. Daher be<strong>de</strong>utet Wie<strong>de</strong>rerstatten die Rückgabe jener<br />

Sache, die weggenommen wur<strong>de</strong>, <strong>de</strong>nn durch ihre erneute<br />

Übereignung wird <strong>de</strong>r Ausgleich wie<strong>de</strong>rhergestellt. Ist die<br />

Sache jedoch rechtmäßig weggenommen wor<strong>de</strong>n, dann ergäbe<br />

sich durch die Rückgabe Ungleichheit, <strong>de</strong>nn <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

besteht in Gleichheit. Da nun die Beobachtung <strong>de</strong>r Gerechtig­<br />

keit zum Heil notwendig ist, ist folglich auch die Rückgabe <strong>de</strong>s-<br />

65<br />

62. 2


62. 2 sen, was ungerechterweise einem weggenommen wur<strong>de</strong>, zum<br />

Heil notwendig.<br />

Zu 1. In Fällen, wo <strong>de</strong>r volle Ausgleich nicht möglich ist,<br />

genügt es, das Mögliche zu erstatten, wie dies „bei <strong>de</strong>r Bekun­<br />

dung <strong>de</strong>r Ehre gegenüber Gott <strong>und</strong> <strong>de</strong>n Eltern" offensichtlich ist<br />

(vgl. <strong>de</strong>s Aristoteles Eth.VIII,16; 1163b 16). Wenn daher das<br />

Weggenommene durch etwas Gleichwertiges nicht zu ersetzen<br />

ist, muß man wie<strong>de</strong>rgutmachen, soweit möglich. Wenn z. B.<br />

jemand einen eines Glie<strong>de</strong>s beraubt hat, muß er ihn mit Geld<br />

o<strong>de</strong>r Ehre entschädigen unter Beachtung - nach <strong>de</strong>m Urteil<br />

eines rechtschaffenen Mannes - <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>rseitigen Verhältnisse.<br />

Zu 2. Den guten Ruf kann jemand auf dreifache Weise zer­<br />

stören. Einmal, in<strong>de</strong>m er die Wahrheit sagt, <strong>und</strong> zwar mit <strong>Recht</strong>,<br />

z. B. wenn jemand ordnungsgemäß ein Verbrechen zur Anzeige<br />

bringt. In diesem Fall besteht keine Verpflichtung zur Wie<strong>de</strong>r­<br />

herstellung <strong>de</strong>s Leum<strong>und</strong>s. - Zweitens, in<strong>de</strong>m jemand unbe­<br />

rechtigterweise Falsches aussagt, <strong>und</strong> dann ist er gehalten, <strong>de</strong>n<br />

guten Ruf wie<strong>de</strong>rherzustellen, in<strong>de</strong>m er eingesteht, Falsches<br />

verbreitet zu haben. - Drittens durch ungerechtfertigtes Ver­<br />

breiten <strong>de</strong>r Wahrheit, z. B. wenn jemand entgegen <strong>de</strong>r bestehen­<br />

<strong>de</strong>n <strong>Recht</strong>sordnung ein Verbrechen auf<strong>de</strong>ckt. In diesem Fall ist<br />

er verpflichtet, <strong>de</strong>n guten Ruf, soweit wie möglich - jedoch ohne<br />

Lüge - wie<strong>de</strong>rherzustellen, z. B. in<strong>de</strong>m er erklärt, er habe ihn<br />

böswillig o<strong>de</strong>r ungerechterweise um seinen guten Ruf gebracht.<br />

O<strong>de</strong>r es muß ihm, falls sich <strong>de</strong>r gute Ruf nicht wie<strong>de</strong>rherstellen<br />

läßt, auf an<strong>de</strong>re Weise Genugtuung verschafft wer<strong>de</strong>n, wie oben<br />

(Zu 1) für an<strong>de</strong>re Fälle ange<strong>de</strong>utet wur<strong>de</strong>.<br />

Zu 3. Beschimpfung kann nicht ungeschehen gemacht wer­<br />

<strong>de</strong>n, doch ist es möglich, ihre Wirkung, nämlich die Min<strong>de</strong>rung<br />

<strong>de</strong>s Ansehens einer Person in <strong>de</strong>r Meinung <strong>de</strong>r Menschen, durch<br />

Erweis von Hochachtung zu mil<strong>de</strong>rn.<br />

Zu 4. Jeman<strong>de</strong>n an <strong>de</strong>r Erlangung einer Pfrün<strong>de</strong> zu hin<strong>de</strong>rn,<br />

ist auf vielfache Weise möglich. Einmal mit vollem <strong>Recht</strong>, z. B.<br />

wenn jemand, von <strong>de</strong>r Sorge für die Ehre Gottes o<strong>de</strong>r das Wohl<br />

<strong>de</strong>r Kirche bewogen, dafür sorgt, daß sie einer würdigeren Per­<br />

son verliehen wer<strong>de</strong>. Dann besteht in keiner Weise die Pflicht<br />

zur Restitution o<strong>de</strong>r irgen<strong>de</strong>iner Art von Ersatz. - Sodann un­<br />

gerechterweise, z. B. wenn man <strong>de</strong>m, <strong>de</strong>n man hin<strong>de</strong>rt, aus Haß<br />

o<strong>de</strong>r Rachsucht o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>rgleichen Scha<strong>de</strong>n zufügen möchte.<br />

Falls er dadurch die Verleihung <strong>de</strong>r Pfrün<strong>de</strong> an einen Würdigen<br />

hintertreibt, in<strong>de</strong>m er, bevor die Verleihung bestätigt ist, rät, sie<br />

66


ihm nicht zu geben, ist er zwar, unter Beachtung <strong>de</strong>r persön- 62. 3<br />

liehen Verhältnisse <strong>und</strong> <strong>de</strong>s ganzen Vorgangs nach <strong>de</strong>m Urteil<br />

eines klugen Ratgebers, zu einer gewissen Wie<strong>de</strong>rgutmachung<br />

verpflichtet, nicht jedoch zum vollen Ersatz, weil jener die<br />

Pfrün<strong>de</strong> noch nicht in Besitz hatte <strong>und</strong> auf mancherlei Weise<br />

daran gehin<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n konnte. Wenn die Pfrün<strong>de</strong>nverleihung<br />

jedoch bereits bestätigt war <strong>und</strong> einer aus nichtigem Gr<strong>und</strong><br />

ihren Wi<strong>de</strong>rruf bewirkte, so ist das soviel, als ob er ihm die<br />

bereits in Besitz genommene entrissen hätte. Dann ist er zur<br />

Erstattung <strong>de</strong>s gleichen Wertes verpflichtet, freilich entspre­<br />

chend seinen Möglichkeiten.<br />

3. ARTIKEL<br />

Genügt es, einfach das zurückzugehen, was zu Unrecht<br />

genommen wur<strong>de</strong>?<br />

1. Ex22,l (21,37) heißt es: „Wenn einer ein Rind o<strong>de</strong>r ein<br />

Schaf stiehlt <strong>und</strong> es schlachtet o<strong>de</strong>r verkauft, soll er fünf Rin<strong>de</strong>r<br />

für ein Rind <strong>und</strong> vier Schafe für ein Schaf als Ersatz geben". Nun<br />

soll je<strong>de</strong>r das Gebot <strong>de</strong>s göttlichen Gesetzes beobachten. Wer<br />

stiehlt, muß also das Vier- o<strong>de</strong>r Fünffache zurückerstatten.<br />

2. „Was geschrieben wur<strong>de</strong>, ist zu unserer Belehrung<br />

geschrieben wor<strong>de</strong>n", heißt es im Römerbrief 15,4. Und bei<br />

Lkl9,8 sagt Zachäus zum Herrn: „Wenn ich jeman<strong>de</strong>n betro­<br />

gen habe, gebe ich es vierfach zurück". Also muß <strong>de</strong>r Mensch<br />

das Vielfache <strong>de</strong>ssen, was er ungerecht an sich genommen hat,<br />

zurückerstatten.<br />

3. Keinem darf man gerechterweise nehmen, was er nicht<br />

herzugeben braucht. Doch <strong>de</strong>r Richter nimmt vom Dieb als<br />

Buße mehr, als er gestohlen hat. Also muß <strong>de</strong>r Mensch <strong>de</strong>m<br />

nachkommen. Und <strong>de</strong>shalb genügt die einfache Gegenleistung<br />

nicht.<br />

DAGEGEN steht, daß die Rückgabe das gestörte Gleichmaß<br />

wie<strong>de</strong>rherstellt. Wer nun einfach das, was er genommen hat, zu­<br />

rückgibt, stellt das Gleichmaß tatsächlich wie<strong>de</strong>r her. Somit<br />

braucht man nur genau das zu restituieren, was man sich<br />

angeeignet hat.<br />

ANTWORT. Wenn jemand unrechtmäßig eine frem<strong>de</strong> Sache<br />

an sich nimmt, sind zwei Dinge zu beachten. Das eine ist die<br />

Ungleichheit auf <strong>de</strong>r sachlichen Seite, - was bisweilen mit<br />

67


62. 4 Unrecht nichts zu tun hat, wie z. B. beim Tausch. Das an<strong>de</strong>re ist<br />

die persönliche Schuld <strong>de</strong>s Unrechts. Diese kann auch bei sach­<br />

licher Ausgeglichenheit bestehen, z. B. wenn jemand Gewalt<br />

anzuwen<strong>de</strong>n versucht, jedoch dabei keinen Erfolg hat. Bezüg­<br />

lich <strong>de</strong>s ersten Punktes wird durch Rückerstattung Abhilfe<br />

geschaffen, insofern dadurch die Gleichheit wie<strong>de</strong>rhergestellt<br />

wird, <strong>und</strong> dazu genügt es, wenn genau das zurückgegeben wird,<br />

was einer an frem<strong>de</strong>m Besitz hatte. Doch <strong>de</strong>r Schuld wird durch<br />

Strafe begegnet, <strong>und</strong> <strong>de</strong>ren Verhängung obliegt <strong>de</strong>m Richter.<br />

Bis zur richterlichen Verurteilung braucht also einer als Restitu­<br />

tion nur zurückzugeben, was er weggenommen hat, nach <strong>de</strong>r<br />

Verurteilung jedoch hat er die Strafe abzubüßen.<br />

Zu 1. ist die Antwort also klar, <strong>de</strong>nn jenes Gesetz bestimmt<br />

die vom Richter aufzuerlegen<strong>de</strong> Strafe. Und obwohl nach <strong>de</strong>r<br />

Ankunft Christi niemand mehr zur Beobachtung eines [alt-<br />

testamentlichen] richterlichen Gebotes verpflichtet ist (vgl. I-<br />

11104,3), kann das menschliche Gesetz, für das die gleiche<br />

Überlegung gilt, solches o<strong>de</strong>r ähnliches bestimmen.<br />

Zu 2. Zachäus wollte mit jenem Wort einem Werk <strong>de</strong>r Über­<br />

gebühr Ausdruck verleihen. Daher schickte er voraus: „Sieh',<br />

die Hälfte meines Besitzes gebe ich <strong>de</strong>n Armen."<br />

Zu 3. Der Richter kann bei seiner Verurteilung zur Buße mit<br />

<strong>Recht</strong> etwas mehr abnehmen, doch vor <strong>de</strong>r Verurteilung durfte<br />

er es nicht.<br />

4. ARTIKEL<br />

Muß jemand zurückgeben, was er nicht entwen<strong>de</strong>t hat? [19]<br />

1. Wer Scha<strong>de</strong>n zugefügt hat, muß ihn auch beheben. Nun<br />

verursacht bisweilen jemand einen Scha<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r über das<br />

unmittelbar Weggenommene hinausgeht, z. B. wenn einer die<br />

Saat verwüstet, macht er die ganze zukünftige Ernte <strong>de</strong>ssen<br />

zunichte, <strong>de</strong>r sie ausgebracht hat, <strong>und</strong> diese muß er dann eben­<br />

falls ersetzen. Also besteht die Verpflichtung, zu erstatten, was<br />

man nicht weggenommen hat.<br />

2. Wer das Geld <strong>de</strong>s Gläubigers über <strong>de</strong>n abgemachten<br />

Rückzahlungstermin hinaus behält, beeinträchtigt ihn am gan­<br />

zen Gewinn, <strong>de</strong>n er mit seinem Geld hätte machen können.<br />

Und doch nimmt er ihm diesen nicht weg. Also ist einer ver­<br />

pflichtet, für etwas aufzukommen, was er nicht weggenommen<br />

hat.<br />

68


3. Die menschliche <strong>Gerechtigkeit</strong> ist von <strong>de</strong>r göttlichen ab- 62. 4<br />

geleitet. Doch Gott schul<strong>de</strong>t man mehr als man von ihm emp­<br />

fangen hat gemäß Mt25,26: „Du hast gewußt, daß ich ernte,<br />

wo ich nicht gesät, <strong>und</strong> sammle, wo ich nicht ausgestreut habe."<br />

Demnach ist es recht, auch einem Menschen zu erstatten, was<br />

man ihm nicht genommen hat.<br />

DAGEGEN steht, daß die Rückgabe zur <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

gehört, insofern sie Ausgleich schafft. Doch wenn jemand zu­<br />

rückgäbe, was er nicht genommen hat, diente dies nicht <strong>de</strong>m<br />

Ausgleich. Eine solche Restitution entspricht nicht <strong>de</strong>r Gerech­<br />

tigkeit.<br />

ANTWORT. Wer jeman<strong>de</strong>m Scha<strong>de</strong>n zufügt, nimmt ihm das,<br />

um was er ihn geschädigt hat, weg. Von Scha<strong>de</strong>n spricht man<br />

nämlich nach <strong>de</strong>s Aristoteles Ethik (V, 7; 1132 b 14), wenn einer<br />

weniger hat, als er haben sollte. Daher ist <strong>de</strong>r Mensch für <strong>de</strong>n<br />

angerichteten Scha<strong>de</strong>n restitutionspflichtig. Doch Scha<strong>de</strong>n<br />

erlei<strong>de</strong>t einer auf zweifache Weise. Einmal, wenn ihm, was er<br />

tatsächlich besaß, weggenommen wur<strong>de</strong>. Und dieser Scha<strong>de</strong>n<br />

ist durch Erstattung von etwas Gleichwertigem stets g<strong>utz</strong>u­<br />

machen, z. B. wenn jemand einen durch Zerstörung seines<br />

Hauses geschädigt hat, muß er ihm <strong>de</strong>n Wert <strong>de</strong>s Hauses erset­<br />

zen. - Auf an<strong>de</strong>re Weise schädigt jemand einen, wenn er ihn<br />

daran hin<strong>de</strong>rt, eine aussichtsreiche Sache an sich zu bringen.<br />

Für einen <strong>de</strong>rartigen Scha<strong>de</strong>n braucht er nicht vollständig auf­<br />

zukommen, <strong>de</strong>nn etwas nur in Aussicht haben, ist weniger, als<br />

es wirklich besitzen. Wer sich nämlich erst daranmacht, etwas<br />

zu erlangen, besitzt es nur <strong>de</strong>r Erwartung o<strong>de</strong>r Möglichkeit<br />

nach. Und wenn es ihm zurückgegeben wür<strong>de</strong>, so daß er es<br />

tatsächlich hätte, wür<strong>de</strong> ihm nicht <strong>de</strong>r einfache Wert <strong>de</strong>s Weg­<br />

genommenen erstattet, son<strong>de</strong>rn ein Vielfaches davon. Dies ist<br />

jedoch kein unbedingtes Erfor<strong>de</strong>rnis <strong>de</strong>r Restitution (Art. 3).<br />

Eine gewisse Wie<strong>de</strong>rgutmachung entsprechend <strong>de</strong>n persön­<br />

lichen <strong>und</strong> sachlichen Verhältnissen ist jedoch angebracht.<br />

Zu 1 <strong>und</strong> Zu 2 ist somit die Antwort klar. Denn wer die<br />

Saat auf <strong>de</strong>m Acker ausgebracht hat, besitzt die Ernte noch<br />

nicht in Wirklichkeit, son<strong>de</strong>rn nur <strong>de</strong>r Möglichkeit nach.<br />

Ebenso hat, wer Geld besitzt, <strong>de</strong>n Gewinn noch nicht in seiner<br />

Tasche, son<strong>de</strong>rn erst in Aussicht, <strong>und</strong> bei<strong>de</strong>s kann auf vielfache<br />

Weise mißlingen.<br />

Zu 3. Gott verlangt vom Menschen nur das Gute, das er<br />

selbst in uns gesät hat. Daher ist jenes Wort entwe<strong>de</strong>r nach <strong>de</strong>r<br />

69


62. 5 törichten Ansicht <strong>de</strong>s faulen Knechtes zu verstehen, <strong>de</strong>r meinte,<br />

er habe nichts empfangen, o<strong>de</strong>r so, daß Gott von uns die<br />

Früchte von <strong>de</strong>n Gaben erwartet, die sowohl von ihm als auch<br />

von uns sind, obwohl die Gaben selbst allein von Gott<br />

herkommen ohne unser Zutun.<br />

5. ARTIKEL<br />

Muß man immer <strong>de</strong>m zurückerstatten, von <strong>de</strong>m man etwas<br />

genommen hat? [20]<br />

1. Man darf nieman<strong>de</strong>m scha<strong>de</strong>n. Doch manchmal fiele es<br />

zum Scha<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Betreffen<strong>de</strong>n aus o<strong>de</strong>r auch an<strong>de</strong>rer, wenn<br />

man ihm das Weggenommene zurückgäbe, z.B. wenn man<br />

einem Geistesgestörten ein hinterlegtes Schwert aushändigte.<br />

Also braucht man nicht immer <strong>de</strong>m Eigentümer zu restituieren.<br />

2. Wer unerlaubterweise etwas hergegeben hat, ist nicht<br />

würdig, es zurückzuerhalten. Doch bisweilen gibt einer uner­<br />

laubterweise her, was ein an<strong>de</strong>rer unerlaubterweise annimmt,<br />

wie dies beim simonistischen [21] Geben <strong>und</strong> Nehmen offen­<br />

sichtlich <strong>de</strong>r Fall ist. Also braucht man nicht immer <strong>de</strong>m zu­<br />

rückzugeben, von <strong>de</strong>m man etwas hat.<br />

3. Niemand ist zum Unmöglichen verpflichtet. Nun ist es<br />

bisweilen unmöglich, <strong>de</strong>m zu restituieren, von <strong>de</strong>m man etwas<br />

hat, etwa weil er gestorben o<strong>de</strong>r zu weit weg o<strong>de</strong>r unbekannt<br />

ist. Also braucht man nicht <strong>de</strong>m zurückzuerstatten, von <strong>de</strong>m<br />

man etwas in Besitz hat.<br />

4. Der Mensch muß eher <strong>de</strong>m zurückerstatten, von <strong>de</strong>m er<br />

die größere Wohltat empfangen hat. Doch von an<strong>de</strong>ren hat <strong>de</strong>r<br />

Mensch mehr Wohltaten empfangen als etwa von einem Han­<br />

<strong>de</strong>ls- o<strong>de</strong>r Hinterlegungspartner, z. B. von seinen Eltern. Also<br />

muß man bisweilen einer an<strong>de</strong>ren Person eher etwas zuwen<strong>de</strong>n<br />

als <strong>de</strong>m restituieren, von <strong>de</strong>m man etwas in Besitz hat.<br />

5. Überflüssig ist es, das zurückzugeben, was durch Restitu­<br />

tion in die Hand <strong>de</strong>s Restituieren<strong>de</strong>n zurückkehrt. So kommt,<br />

wenn ein Prälat <strong>de</strong>r Kirche auf Unrechte Weise etwas entzogen<br />

hat, dies durch seine Restitution wie<strong>de</strong>rum in seine Hand, da er<br />

ja selber Verwalter <strong>de</strong>r Kirchengüter ist. Also muß er <strong>de</strong>r Kirche,<br />

die er beraubt hat, nicht restituieren.<br />

DAGEGEN steht Rom 13,7: „Gebt allen, was ihr ihnen<br />

schuldig seid, sei es Steuer o<strong>de</strong>r Zoll."<br />

70


ANTWORT. Die Wie<strong>de</strong>rerstattung stellt das Gleichgewicht 62. 5<br />

<strong>de</strong>r Tauschgerechtigkeit, die, wie gesagt (Art. 2), im Ausgleich<br />

<strong>de</strong>r Sachen besteht, wie<strong>de</strong>r her. Dieser Ausgleich <strong>de</strong>r Sachen<br />

kann nur erfolgen, wenn <strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r zu wenig, als ihm zusteht,<br />

hat, ergänzt wird, was ihm fehlt. Und damit diese Ergänzung<br />

zustan<strong>de</strong>kommt, muß <strong>de</strong>m Geschädigten Restitution geleistet<br />

wer<strong>de</strong>n.<br />

Zu 1. Wenn die Rückgabe einer Sache für <strong>de</strong>n, <strong>de</strong>m wie<strong>de</strong>r­<br />

zuerstatten ist, o<strong>de</strong>r für einen an<strong>de</strong>ren sehr gefährlich zu sein<br />

scheint, dann darf ihm nicht restituiert wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nn die Resti­<br />

tution dient <strong>de</strong>m N<strong>utz</strong>en <strong>de</strong>ssen, <strong>de</strong>m sie geleistet wird. Alles<br />

Eigentum untersteht nämlich <strong>de</strong>m Gesichtspunkt <strong>de</strong>s N<strong>utz</strong>ens.<br />

Der an<strong>de</strong>re darf sich die frem<strong>de</strong> Sache allerdings nicht aneignen,<br />

son<strong>de</strong>rn muß sie bis zu einem geeigneten Zeitpunkt <strong>de</strong>r Rück­<br />

gabe bei sich behalten o<strong>de</strong>r sie irgendwohin weggeben, wo sie<br />

sicherer aufbewahrt wird.<br />

Zu 2. Auf zweifache Weise gibt jemand etwas unerlaubter­<br />

weise. Einmal, weil das Geben in sich unerlaubt <strong>und</strong> gegen das<br />

Gesetz ist, wie bei <strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r simonistisch etwas gibt. Ein solcher<br />

verliert mit Fug <strong>und</strong> <strong>Recht</strong>, was er gegeben hat, man braucht es<br />

ihm also nicht wie<strong>de</strong>rzuerstatten. Doch auch <strong>de</strong>r Empfänger<br />

darf es nicht behalten, weil er es gesetzwidrig angenommen<br />

hat, son<strong>de</strong>rn muß es für fromme Zwecke weitergeben. - Auf<br />

an<strong>de</strong>re Weise gibt jemand unerlaubt, nicht weil das Geben als<br />

solches, son<strong>de</strong>rn die Sache unerlaubt ist, wie bei <strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r für<br />

Unzuchtsgewähr einer Dirne etwas gibt. Daher kann die Frau<br />

das Dargereichte behalten. Hätte sie jedoch auf betrügerische<br />

o<strong>de</strong>r hinterlistige Weise zuviel herausgepreßt, müßte sie dieses<br />

zurückerstatten.<br />

Zu 3. Wenn <strong>de</strong>r, <strong>de</strong>m man zu restituieren hat, vollkommen<br />

unbekannt ist, muß man zurückerstatten soweit eben möglich,<br />

in<strong>de</strong>m man, sorgfältige Umfrage nach <strong>de</strong>r Person <strong>de</strong>s<br />

Restitutionsempfängers vorausgesetzt, für sein Seelenheil<br />

Almosen gibt, sei er gestorben o<strong>de</strong>r noch am Leben. - Ist er<br />

gestorben, muß sein Erbe, <strong>de</strong>r mit ihm sozusagen wie eine<br />

Person zu betrachten ist, bedacht wer<strong>de</strong>n. - Lebt er weit weg,<br />

muß ihm die Sache übersandt wer<strong>de</strong>n, vor allem, wenn sie sehr<br />

wertvoll ist <strong>und</strong> bequem transportiert wer<strong>de</strong>n kann. An<strong>de</strong>rn­<br />

falls ist sie an einen sicheren Ort zu verbringen <strong>und</strong> dort für ihn<br />

aufzubewahren, <strong>und</strong> <strong>de</strong>m Eigentümer hat man hierüber Bericht<br />

zu erstatten.<br />

71


62. 6 Zu 4. Mit seinem eigenen Besitz muß man eher für die<br />

Eltern o<strong>de</strong>r seine größeren Wohltäter etwas tun. Nicht aber darf<br />

man seinen Wohltäter mit frem<strong>de</strong>m Eigentum be<strong>de</strong>nken. Dies<br />

läge vor, wenn man <strong>de</strong>m einen gäbe, was <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>ren gehört.<br />

Eine Ausnahme bil<strong>de</strong>t höchstens <strong>de</strong>r Fall äußerster Not. Hier<br />

dürfte, ja müßte man mit frem<strong>de</strong>m Gut seinem Vater zu Hilfe<br />

kommen.<br />

Zu 5. Ein kirchlicher Oberer kann Kirchengut auf dreifache<br />

Weise an sich bringen, l.wenn er nicht ihm, son<strong>de</strong>rn einem<br />

an<strong>de</strong>ren zugewiesenes Kirchengut sich selber aneignet, z.B.<br />

wenn ein Bischof das Kapitelsvermögen an sich reißen wür<strong>de</strong>.<br />

Dann ist es klar, daß er restituieren muß, in<strong>de</strong>m er die Sache <strong>de</strong>n<br />

rechtmäßigen Eigentümern zurückgibt. - 2. wenn er das ihm<br />

anvertraute Kirchengut in eines an<strong>de</strong>ren Besitz überführt, z. B.<br />

seines Verwandten o<strong>de</strong>r Fre<strong>und</strong>es. Dann muß er es <strong>de</strong>r Kirche<br />

zurückerstatten <strong>und</strong> dafür besorgt sein, daß es einmal an seinen<br />

Nachfolger übergeht. - 3. kann sich ein Prälat <strong>de</strong>r bloßen<br />

Absicht nach Kirchengut aneignen, wenn er nämlich mit <strong>de</strong>m<br />

Gedanken spielt, es persönlich <strong>und</strong> nicht im Namen <strong>de</strong>r Kirche<br />

zu besitzen. In diesem Fall besteht die Restitution darin, <strong>de</strong>rlei<br />

Absichten aufzugeben.<br />

6. ARTIKEL<br />

Muß immer jener zurückerstatten, <strong>de</strong>r entwen<strong>de</strong>t hat?<br />

1. Durch die Rückgabe wird das Gleichmaß <strong>de</strong>r Gerechtig­<br />

keit wie<strong>de</strong>rhergestellt. Dies geschieht dadurch, daß <strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r<br />

mehr hat, genommen <strong>und</strong> <strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r weniger hat, gegeben wird.<br />

Bisweilen jedoch kommt es vor, daß einer die entwen<strong>de</strong>te Sache<br />

nicht mehr besitzt, da sie in die Hand eines an<strong>de</strong>ren gelangt ist.<br />

Es braucht also nicht mehr <strong>de</strong>r Dieb zu restituieren, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r<br />

an<strong>de</strong>re, <strong>de</strong>r die Sache in Besitz hat.<br />

2. Niemand braucht seine Untat aufzu<strong>de</strong>cken. Doch biswei­<br />

len kommt beim Restituieren die Untat ans Licht, wie dies beim<br />

Diebstahl <strong>de</strong>r Fall ist. Also muß <strong>de</strong>r Dieb die gestohlene Sache<br />

nicht mehr zurückgeben.<br />

3. Eine Sache braucht man nicht mehrmals zurückzuerstat­<br />

ten. Manchmal jedoch stehlen viele zusammen etwas, <strong>und</strong> einer<br />

von ihnen gibt alles zurück. Also ist nicht immer je<strong>de</strong>r Dieb zur<br />

Rückgabe verpflichtet.<br />

72


DAGEGEN gilt: <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>r ist zur Genugtuung verpflichtet. 62. 6<br />

Nun gehört die Rückgabe zur Genugtuung. Also muß je<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r<br />

entwen<strong>de</strong>t hat, zurückgeben.<br />

ANTWORT. Bei <strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r eine frem<strong>de</strong> Sache an sich genom­<br />

men hat, sind zwei Dinge ins Auge zu fassen, nämlich die ent­<br />

wen<strong>de</strong>te Sache <strong>und</strong> die Wegnahme als solche. Bezüglich <strong>de</strong>r<br />

Sache ist er verpflichtet, sie zurückzugeben, solange er sie bei<br />

sich hat, <strong>de</strong>nn was einer mehr hat, als sein ist, muß ihm abge­<br />

nommen <strong>und</strong> nach <strong>de</strong>n Regeln <strong>de</strong>r ausgleichen<strong>de</strong>n Gerechtig­<br />

keit <strong>de</strong>m gegeben wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>m es fehlt.<br />

Mit <strong>de</strong>r Wegnahme einer frem<strong>de</strong>n Sache selbst kann es sich<br />

dreifach verhalten. Bisweilen ist sie ungerecht, nämlich gegen<br />

<strong>de</strong>n Willen ihres Eigentümers gerichtet wie beim Diebstahl <strong>und</strong><br />

Raub. Die Restitutionspflicht ergibt sich dann nicht nur wegen<br />

<strong>de</strong>r Sache, son<strong>de</strong>rn auch wegen <strong>de</strong>r ungerechten Handlung,<br />

selbst wenn die Sache nicht mehr bei ihm verblieben ist. Wie<br />

nämlich jemand, <strong>de</strong>r einen geschlagen hat, verpflichtet ist, <strong>de</strong>m<br />

Leidtragen<strong>de</strong>n für das Unrecht Genugtuung zu leisten, obwohl<br />

er nichts vom Betroffenen in Besitz hat, so muß auch <strong>de</strong>r Dieb<br />

o<strong>de</strong>r Räuber für <strong>de</strong>n verursachten Scha<strong>de</strong>n einstehen, auch<br />

wenn er nichts behalten hat, <strong>und</strong> überdies muß er für das zuge­<br />

fügte Unrecht bestraft wer<strong>de</strong>n.<br />

Zweitens nimmt jemand frem<strong>de</strong>s Gut ohne Unrecht in sei­<br />

nen Gebrauch, nämlich mit Zustimmung seines Eigentümers,<br />

wie dies bei Leihgeschäften <strong>de</strong>r Fall ist. Der Empfänger ist dann<br />

zur Restitution für die erhaltene Sache verpflichtet - <strong>und</strong> dies<br />

selbst, wenn er sie verloren hat -, nicht allein wegen <strong>de</strong>r Sache,<br />

son<strong>de</strong>rn auch wegen <strong>de</strong>r Annahme [als solcher], <strong>de</strong>nn er muß<br />

<strong>de</strong>m Genugtuung leisten, <strong>de</strong>r ihm die Gefälligkeit [<strong>de</strong>r Leihe]<br />

erwiesen hat, was nicht geschehen wäre, hätte er <strong>de</strong>n Scha<strong>de</strong>n<br />

vorausgesehen.<br />

Drittens nimmt jemand ohne Unrecht eine frem<strong>de</strong> Sache an<br />

sich, doch nicht zum eigenen N<strong>utz</strong>en, wie dies bei <strong>de</strong>r Hinter­<br />

legung <strong>de</strong>r Fall ist. Aus einer <strong>de</strong>rartigen Übernahme erfließt für<br />

<strong>de</strong>n Annehmen<strong>de</strong>n keinerlei Verpflichtung, vielmehr erweist er<br />

damit eine Gefälligkeit. Verpflichtung ergibt sich jedoch aus <strong>de</strong>r<br />

Sache. Kommt sie ihm ohne eigene Schuld abhan<strong>de</strong>n, braucht er<br />

keine Wie<strong>de</strong>rgutmachung zu leisten. An<strong>de</strong>rs läge hingegen <strong>de</strong>r<br />

Fall, wenn er die hinterlegte Sache aus eigener schwerer Schuld<br />

verlieren wür<strong>de</strong>.<br />

73


62. 7 Zu 1. Die Rückgabe zielt nicht in erster Linie darauf, daß,<br />

wer mehr hat, als ihm gebührt, dies nun verliert, son<strong>de</strong>rn daß<br />

<strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r zu wenig hat, das Fehlen<strong>de</strong> ergänzt wird. Daher hat<br />

dort, wo jemand vom an<strong>de</strong>ren etwas nehmen kann, ohne ihm<br />

zu scha<strong>de</strong>n, die Restitution keinen Platz, z.B. wenn einer sein<br />

Licht an <strong>de</strong>r Kerze eines an<strong>de</strong>ren entzün<strong>de</strong>t. Wenn daher ein<br />

Dieb das gestohlene Gut nicht mehr besitzt, weil er es weiter­<br />

gegeben hat, müssen, da <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re seiner Sache beraubt ist,<br />

sowohl <strong>de</strong>r Dieb - wegen seiner ungerechten Handlung -, als<br />

auch <strong>de</strong>r Besitzer <strong>de</strong>s Gestohlenen - <strong>de</strong>r Sache wegen - resti­<br />

tuieren [22].<br />

Zu 2. Auch wenn niemand verpflichtet ist, an<strong>de</strong>ren seine<br />

Untat aufzu<strong>de</strong>cken, so ist man doch gehalten, sie Gott in <strong>de</strong>r<br />

Beichte zu offenbaren. Somit kann man durch Vermittlung <strong>de</strong>s<br />

Beichtvaters die Rückgabe <strong>de</strong>r frem<strong>de</strong>n Sache veranlassen.<br />

Zu 3. Weil die Wie<strong>de</strong>rerstattung hauptsächlich <strong>de</strong>n Zweck<br />

verfolgt, Scha<strong>de</strong>n vom zu Unrecht Beraubten abzuwen<strong>de</strong>n,<br />

brauchen, wenn einer genügend wie<strong>de</strong>rgutgemacht hat, die<br />

an<strong>de</strong>ren nicht auch noch zu restituieren, son<strong>de</strong>rn müssen viel­<br />

mehr <strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r die Rückgabe auf sich genommen, einen Aus­<br />

gleich verschaffen, doch kann dieser auch darauf verzichten.<br />

7. ARTIKEL<br />

Sind die, die nichts entwen<strong>de</strong>t haben, zur Wie<strong>de</strong>rerstattung<br />

verpflichtet?<br />

1. Die Wie<strong>de</strong>rerstattung ist eine Art Strafe für <strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r etwas<br />

entwen<strong>de</strong>t hat. Doch keiner darf bestraft wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r nicht<br />

gesündigt hat. Also muß nur <strong>de</strong>r zurückgeben, <strong>de</strong>r entwen<strong>de</strong>t<br />

hat.<br />

2. Die <strong>Gerechtigkeit</strong> verpflichtet nicht, das Eigentum <strong>de</strong>s<br />

an<strong>de</strong>ren zu mehren. Wenn jedoch nicht nur jener, <strong>de</strong>r entwen<strong>de</strong>t<br />

hat, son<strong>de</strong>rn auch alle, die irgendwie mitmachen, restituieren<br />

müßten, dann wür<strong>de</strong> das Eigentum <strong>de</strong>ssen, <strong>de</strong>m etwas weg­<br />

genommen wur<strong>de</strong>, vermehrt, <strong>und</strong> zwar einmal, weil ihm viel­<br />

fache Restitution zuteil wür<strong>de</strong>, sodann aber auch, weil manche<br />

bisweilen alles versuchen, um einem etwas wegzunehmen, was<br />

dann aber nicht gelingt. Also sind an<strong>de</strong>re nicht zur Wie<strong>de</strong>rer­<br />

stattung verpflichtet.<br />

74


3. Niemand braucht sich einer Gefahr auszusetzen, um das 62. 7<br />

Eigentum eines an<strong>de</strong>ren zu retten. Doch durch die Anzeige<br />

eines Räubers o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Wi<strong>de</strong>rstand gegen ihn wür<strong>de</strong> sich<br />

jemand in To<strong>de</strong>sgefahr bringen. Also ist nicht zur Restitution<br />

verpflichtet, wer einen Räuber nicht anzeigt o<strong>de</strong>r ihm keinen<br />

Wi<strong>de</strong>rstand leistet.<br />

DAGEGEN steht im Römerbrief 1,32: „Des To<strong>de</strong>s würdig<br />

sind nicht allein, die [Böses] tun, son<strong>de</strong>rn auch, die <strong>de</strong>nen<br />

zustimmen, die es tun". Also müssen aus gleichem Gr<strong>und</strong> auch<br />

die Zustimmen<strong>de</strong>n restituieren.<br />

ANTWORT. Wie gesagt (Art. 6), ist jemand zur Wie<strong>de</strong>rer­<br />

stattung nicht nur wegen <strong>de</strong>r entwen<strong>de</strong>ten Sache verpflichtet,<br />

son<strong>de</strong>rn auch wegen <strong>de</strong>r ungerechten Wegnahme als solcher.<br />

Daher unterliegt je<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r an <strong>de</strong>r Entwendung ursächlich betei­<br />

ligt ist, <strong>de</strong>r Restitutionspflicht. Dies ergibt sich auf doppelte<br />

Weise: direkt <strong>und</strong> indirekt. Direkt, wenn jemand einen zum<br />

Entwen<strong>de</strong>n verführt. Und dies ist dreifach möglich. 1. in<strong>de</strong>m er<br />

ihn zur Wegnahme anstiftet, was durch Befehl, Rat, ausdrück­<br />

liche Zustimmung <strong>und</strong> dadurch geschieht, daß man einen als<br />

„tüchtigen Kerl" lobt, weil er etwas entwen<strong>de</strong>t hat. 2. mit Blick<br />

auf <strong>de</strong>n Dieb, in<strong>de</strong>m er ihn bei sich aufnimmt o<strong>de</strong>r ihm sonstwie<br />

Hilfe gewährt. 3. vom entwen<strong>de</strong>ten Gut aus gesehen, in<strong>de</strong>m er<br />

sich gleichsam als Kumpan <strong>de</strong>r Freveltat am Diebstahl o<strong>de</strong>r<br />

Raub beteiligt. - Indirekt, in<strong>de</strong>m einer die Tat nicht verhin<strong>de</strong>rt,<br />

obwohl er es könnte o<strong>de</strong>r müßte, sei es durch Wie<strong>de</strong>rruf <strong>de</strong>s<br />

Befehls o<strong>de</strong>r Rats, wodurch <strong>de</strong>r Diebstahl o<strong>de</strong>r Raub verhin<strong>de</strong>rt<br />

wird, sei es durch Entzug seiner Hilfe, was die Untat ebenfalls<br />

verhüten könnte, o<strong>de</strong>r sie nachher totschweigt. Dies alles wird<br />

[auf Latein] in <strong>de</strong>m Vers ausgedrückt: „Befehlen, raten, zustim­<br />

men, lobhu<strong>de</strong>ln, Sch<strong>utz</strong> bieten, mitmachen, verschweigen,<br />

nicht wi<strong>de</strong>rstehen, nicht ans Licht bringen".<br />

Fünf von diesen Verhaltensweisen verpflichten stets zur Wie­<br />

<strong>de</strong>rerstattung. 1. <strong>de</strong>r Befehl, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Befehlen<strong>de</strong> setzt die<br />

Aktion an erster Stelle in Gang, daher ist er auch an erster Stelle<br />

gehalten, Wie<strong>de</strong>rgutmachung zu leisten. 2. die Zustimmung,<br />

je<strong>de</strong>nfalls bei <strong>de</strong>m, ohne <strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Raub nicht Zustan<strong>de</strong>kommen<br />

könnte. 3. <strong>de</strong>r Sch<strong>utz</strong>, wobei <strong>de</strong>r gemeint ist, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Räuber<br />

bei sich aufnimmt <strong>und</strong> seine Hand über ihn hält. 4. die Teil­<br />

nahme, wenn nämlich einer am Verbrechen <strong>de</strong>s Raubes <strong>und</strong> an<br />

<strong>de</strong>r Beute teilhat. 5. ist jener restitutionspflichtig, <strong>de</strong>r keinen<br />

Wi<strong>de</strong>rstand leistet, obwohl er müßte. So sind die Fürsten,<br />

75


62. 7 <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r Sch<strong>utz</strong> <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> auf Er<strong>de</strong>n obliegt, zur<br />

Restitution verpflichtet, wenn durch ihre Nachlässigkeit das<br />

Räuberwesen überhand nimmt, <strong>de</strong>nn die Einkünfte, die sie<br />

beziehen, sind gleichsam <strong>de</strong>r Lohn dafür, daß sie auf Er<strong>de</strong>n die<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> unter ihren Sch<strong>utz</strong> nehmen.<br />

In <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren aufgezählten Fällen besteht nicht immer die<br />

Pflicht zur Wie<strong>de</strong>rerstattung. Rat <strong>und</strong> Lob <strong>und</strong> <strong>de</strong>rgleichen sind<br />

nämlich nicht immer wirksame Ursache von Raub. Daher müs­<br />

sen Ratgeber o<strong>de</strong>r Schmeichler nur dann für die Wie<strong>de</strong>rerstat­<br />

tung einstehen, wenn aus <strong>de</strong>rartigen Einwirkungen aller Wahr­<br />

scheinlichkeit nach eine ungerechte Entwendung erfolgt ist.<br />

Zu 1. Nicht nur jener sündigt, <strong>de</strong>r die sündige Tat ausführt,<br />

son<strong>de</strong>rn auch, wer auf irgen<strong>de</strong>ine Weise Ursache <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> ist,<br />

sei es durch Rat, Befehl o<strong>de</strong>r sonstwie.<br />

Zu 2. In erster Linie muß wie<strong>de</strong>rerstatten, wer bei <strong>de</strong>r<br />

Aktion <strong>de</strong>r Ausschlaggeben<strong>de</strong> ist, also zuerst <strong>de</strong>r Befehlen<strong>de</strong>,<br />

dann <strong>de</strong>r Ausführen<strong>de</strong> <strong>und</strong> dann weiter die an<strong>de</strong>ren <strong>de</strong>r Reihe<br />

nach. Erhält <strong>de</strong>r Geschädigte von Einem Genugtuung, dann<br />

braucht ein an<strong>de</strong>rer nicht auch noch zu restituieren. Doch die<br />

Haupträ<strong>de</strong>lsführer bei <strong>de</strong>r Tat, die auch die Beute eingesteckt<br />

haben, müssen <strong>de</strong>nen etwas geben, die restituiert haben. -<br />

Befiehlt aber einer eine ungerechte Entwendung, die jedoch<br />

nicht zustan<strong>de</strong>kommt, so ist keine Restitution zu leisten, <strong>de</strong>nn<br />

sie hat ja hauptsächlich <strong>de</strong>n Zweck, das Eigentum <strong>de</strong>s ungerecht<br />

Geschädigten zu vervollständigen.<br />

Zu 3. Wer <strong>de</strong>n Räuber nicht anzeigt, ihm keinen Wi<strong>de</strong>rstand<br />

leistet o<strong>de</strong>r ihn nicht festhält, braucht nicht immer zu restituie­<br />

ren, son<strong>de</strong>rn nur, wenn er von Amts wegen dazu verpflichtet ist,<br />

wie dies bei <strong>de</strong>n Fürsten <strong>de</strong>r Welt zutrifft. Diesen droht daraus<br />

ja auch keine große Gefahr, besitzen sie doch die öffentliche<br />

Gewalt, damit sie die Hüter <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> sein können.<br />

76


8. ARTIKEL<br />

Muß man sofort zurückgeben o<strong>de</strong>r darf man die Restitution<br />

hinauszögern?<br />

1. Die affirmativen Gebote [23] verpflichten nicht je<strong>de</strong>rzeit.<br />

Nun leitet sich die Notwendigkeit <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rerstattung aus<br />

einem affirmativen Gebot her, also ist <strong>de</strong>r Mensch nicht zur<br />

sofortigen Rückgabe verpflichtet.<br />

2. Niemand ist zum Unmöglichen verpflichtet. Doch bis­<br />

weilen ist es einem unmöglich, sogleich zurückzugeben. Also<br />

braucht niemand sogleich zu restituieren.<br />

3. Die Rückgabe ist ein Akt <strong>de</strong>r Tugend, nämlich <strong>de</strong>r Gerech­<br />

tigkeit. Der Zeitumstand ist nun eine <strong>de</strong>r Gegebenheiten, die<br />

zum Tugendakt notwendig gehören. Da jedoch die an<strong>de</strong>ren<br />

Umstän<strong>de</strong> für die Tugendakte nicht festgelegt, son<strong>de</strong>rn nach<br />

klugem Ermessen zu bestimmen sind, gibt es auch für die Resti­<br />

tution keine Zeitbestimmung, wonach die Rückgabe sofort<br />

erfolgen müßte.<br />

DAGEGEN steht, daß bei je<strong>de</strong>r Restitution die gleiche Über­<br />

legung gilt. Doch wer Lohnarbeiter dingt, kann die Aushändi­<br />

gung <strong>de</strong>s Lohnes nicht verschieben, wie aus Lv 19,13 ersichtlich<br />

ist: „Der Lohn <strong>de</strong>s Taglöhners soll nicht über Nacht bis zum<br />

Morgen bei dir bleiben." Also darf es auch bei an<strong>de</strong>ren Abgel­<br />

tungen kein Hinauszögern geben, son<strong>de</strong>rn die Übergabe muß<br />

sogleich erfolgen.<br />

ANTWORT. Wie die Entwendung einer frem<strong>de</strong>n Sache eine<br />

Sün<strong>de</strong> gegen die <strong>Gerechtigkeit</strong> ist, so auch, wenn man sie<br />

behält. Denn dadurch, daß einer die frem<strong>de</strong> Sache gegen <strong>de</strong>n<br />

Willen <strong>de</strong>s Eigentümers behält, wird dieser am Gebrauch seines<br />

Eigentums gehin<strong>de</strong>rt, <strong>und</strong> so fügt er ihm Unrecht zu. Es ist aber<br />

klar, daß man auch nicht einen Augenblick lang im Zustand <strong>de</strong>r<br />

Sün<strong>de</strong> verweilen darf, son<strong>de</strong>rn je<strong>de</strong>r ist gehalten, die Sün<strong>de</strong><br />

sofort aufzugeben gemäß Sir 21,2: „Flieh vor <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> wie vor<br />

<strong>de</strong>r Schlange!" Daher muß ein je<strong>de</strong>r sogleich wie<strong>de</strong>rerstatten<br />

o<strong>de</strong>r bei <strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Gebrauch <strong>de</strong>r Sache erlauben kann, um<br />

Aufschub bitten.<br />

Zu 1. Das Restitutionsgebot ist zwar affirmativ formuliert,<br />

doch enthält es das negative Gebot [Verbot], eine frem<strong>de</strong> Sache<br />

zu behalten.<br />

77<br />

62. 8


62. 8 Zu 2. Wenn jemand nicht sogleich zurückgeben kann, ent­<br />

schuldigt ihn die Unmöglichkeit von <strong>de</strong>r sofortigen Restitution,<br />

wie er gänzlich von <strong>de</strong>r Rückgabepflicht befreit wäre, wenn er<br />

sich dazu absolut außerstan<strong>de</strong> sähe. Er muß dann allerdings sel­<br />

ber o<strong>de</strong>r durch einen an<strong>de</strong>ren die entsprechen<strong>de</strong> Person um<br />

Nachlaß o<strong>de</strong>r Aufschub bitten.<br />

Zu 3. Je<strong>de</strong>r Umstand, <strong>de</strong>ssen Mißachtung sich mit <strong>de</strong>r<br />

Tugend nicht vereinbaren läßt, ist als festgelegt zu betrachten<br />

<strong>und</strong> zu beachten. Und weil durch Hinauszögern <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rer­<br />

stattung die Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>s ungerechtfertigten <strong>und</strong> ungerechten<br />

Behaltens begangen wird, muß <strong>de</strong>r Umstand <strong>de</strong>r Zeit festgelegt<br />

sein, damit die Restitution sogleich geleistet wird.<br />

78


63. FRAGE<br />

DAS „ANSEHEN DER PERSON"<br />

Nunmehr ist von <strong>de</strong>n Lastern zu re<strong>de</strong>n, die zu <strong>de</strong>n erwähn­<br />

ten Teilen <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> im Gegensatz stehen.<br />

Dabei geht es zunächst um das „Ansehen <strong>de</strong>r Person", das<br />

<strong>de</strong>r zuteilen<strong>de</strong>n <strong>Gerechtigkeit</strong> wi<strong>de</strong>rspricht, sodann um die<br />

Sün<strong>de</strong>n gegen die ausgleichen<strong>de</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>.<br />

Zum ersten Punkt ergeben sich 4 Fragen:<br />

1. Ist das „Ansehen <strong>de</strong>r Person" eine Sün<strong>de</strong>?<br />

2. Spielt es auch bei <strong>de</strong>r Zuteilung geistlicher Güter eine<br />

Rolle?<br />

3. Auch beim Erweis von Ehrungen?<br />

4. Und vor Gericht?<br />

1. ARTIKEL<br />

Ist das „Ansehen <strong>de</strong>r Person " eine Sün<strong>de</strong>?<br />

1. Unter <strong>de</strong>m Namen „Person" versteht man die Wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>r<br />

Person. Doch die Wür<strong>de</strong> von Personen in Betracht ziehen<br />

(„ansehen") gehört zur austeilen<strong>de</strong>n <strong>Gerechtigkeit</strong>. Also ist das<br />

„Ansehen <strong>de</strong>r Person" keine Sün<strong>de</strong>.<br />

2. Im Bereich <strong>de</strong>s Menschlichen steht die Person über <strong>de</strong>n<br />

Dingen, <strong>de</strong>nn die Dinge sind wegen <strong>de</strong>r Menschen da <strong>und</strong> nicht<br />

umgekehrt. Doch die Dinge in Betracht ziehen („ansehen") ist<br />

keine Sün<strong>de</strong>, also noch viel weniger, das gleiche bei Personen zu<br />

tun.<br />

3. Bei Gott kann es keine Ungerechtigkeit noch Sün<strong>de</strong><br />

geben. Doch scheint bei ihm das „Ansehen <strong>de</strong>r Person" zu gel­<br />

ten, <strong>de</strong>nn bisweilen nimmt er von zwei Menschen <strong>de</strong>r gleichen<br />

Lebenslage <strong>de</strong>n einen gna<strong>de</strong>nhaft an <strong>und</strong> läßt <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren in<br />

seiner Sün<strong>de</strong> zurück gemäß <strong>de</strong>m Wort bei Mt 24,40: „Zwei sind<br />

auf einem Lager [Acker], <strong>de</strong>r eine wird mitgenommen <strong>und</strong> <strong>de</strong>r<br />

an<strong>de</strong>re zurückgelassen." Also ist das „Ansehen <strong>de</strong>r Person"<br />

keine Sün<strong>de</strong>.<br />

DAGEGEN wird im Gesetz Gottes nichts verboten außer <strong>de</strong>r<br />

Sün<strong>de</strong>. Doch das „Ansehen <strong>de</strong>r Person" wird im Buche Dt 1,17<br />

untersagt, wo es heißt: „Ihr sollt auf keines Menschen Person<br />

schauen". Also ist das „Ansehen <strong>de</strong>r Person" eine Sün<strong>de</strong>.<br />

79


63. l ANTWORT. Das „Ansehen <strong>de</strong>r Person" steht im Gegensatz<br />

zur austeilen<strong>de</strong>n <strong>Gerechtigkeit</strong>. Das Gleichmaß <strong>de</strong>r austeilen­<br />

<strong>de</strong>n <strong>Gerechtigkeit</strong> ergibt sich nämlich daraus, daß verschie<strong>de</strong>­<br />

nen Personen entsprechend ihrer Wür<strong>de</strong> Verschie<strong>de</strong>nes zuge­<br />

teilt wird. Zieht man also jene Eigenschaft einer Person in<br />

Betracht, weshalb ihr das gebührt, was sie erhält, so spielt dabei<br />

das „Ansehen <strong>de</strong>r Person" keine Rolle, son<strong>de</strong>rn die Sachlage.<br />

Daher schreibt die Glosse (ML 192,218) zum Wort <strong>de</strong>s Ephe-<br />

serbriefs (6,9) „Bei Gott gibt es kein Ansehen <strong>de</strong>r Person":<br />

„Der gerechte Richter entschei<strong>de</strong>t nach Sachgrün<strong>de</strong>n, nicht<br />

nach Personen." Beruft z. B. jemand einen wegen seiner wissen­<br />

schaftlichen Eignung zum Lehramt, dann ist dabei ein sach­<br />

licher Gr<strong>und</strong>, nicht die Person ausschlaggebend. Wer hingegen<br />

bei einem, <strong>de</strong>m er etwas verleiht, nicht darauf sieht, ob es ange­<br />

messen o<strong>de</strong>r geschul<strong>de</strong>t ist, son<strong>de</strong>rn ihm nur zuspricht, weil er<br />

dieser bestimmte Mensch ist, sagen wir Peter o<strong>de</strong>r Martin, dann<br />

kommt hier das „Ansehen <strong>de</strong>r Person" ins Spiel, <strong>de</strong>nn es wird<br />

ihm nicht etwas aus einem sachlichen Gr<strong>und</strong>, <strong>de</strong>r ihn würdig<br />

machte, zugeteilt, son<strong>de</strong>rn einfach, weil er diese Person ist.<br />

Zur „Person" aber gehört alles, was mit <strong>de</strong>n sachlichen<br />

Grün<strong>de</strong>n für die Verleihung dieser o<strong>de</strong>r jener Auszeichnung<br />

nichts zu tun hat; wenn z. B. jemand einen zur Prälatur o<strong>de</strong>r<br />

zum Lehramt beför<strong>de</strong>rt, weil er reich o<strong>de</strong>r sein Verwandter ist,<br />

dann heißt dies „Ansehen <strong>de</strong>r Person". Es kommt jedoch vor,<br />

daß eine persönliche Eigenschaft jeman<strong>de</strong>n für die eine Sache<br />

geeignet macht, für die an<strong>de</strong>re nicht, wie wegen <strong>de</strong>r Blutsver­<br />

wandtschaft einer für würdig erachtet wird, als Erbe <strong>de</strong>s väter­<br />

lichen Vermögens eingesetzt zu wer<strong>de</strong>n, nicht jedoch ein kirch­<br />

liches Amt zu erhalten. So wirkt sich die gleiche persönliche<br />

Eigenschaft bei <strong>de</strong>r einen Angelegenheit als „Ansehen <strong>de</strong>r Per­<br />

son" aus, bei <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren nicht.<br />

Das „Ansehen <strong>de</strong>r Person" steht also zur verteilen<strong>de</strong>n<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> dadurch in Gegensatz, daß gegen die Verhältnis-<br />

gemäßheit verstoßen wird. Gegen die Tugend jedoch verstößt<br />

nur die Sün<strong>de</strong>. Daraus ergibt sich, daß das „Ansehen <strong>de</strong>r Per­<br />

son" Sün<strong>de</strong> ist.<br />

Zu 1. Bei <strong>de</strong>r verteilen<strong>de</strong>n <strong>Gerechtigkeit</strong> wer<strong>de</strong>n die Eigen­<br />

schaften <strong>de</strong>r Person ins Auge gefaßt, die ihre Wür<strong>de</strong> ausmachen<br />

o<strong>de</strong>r für eine moralische Verpflichtung sprechen. Beim „Anse­<br />

hen <strong>de</strong>r Person" hingegen kommen Eigenschaften zum Zuge,<br />

die nichts zur sachlichen Begründung beitragen.<br />

80


Zu 2. Die Personen wer<strong>de</strong>n geeignet <strong>und</strong> würdig für das, 63. 2<br />

was ihnen zugeteilt wird, wegen gewisser Dinge, die zu ihrer<br />

Stellung gehören, <strong>und</strong> dies ist daher als eigentlicher Gr<strong>und</strong> (für<br />

die Zuteilung) zu betrachten. Schaut man jedoch auf die Perso­<br />

nen (als solche), dann nimmt man als Gr<strong>und</strong>, was keiner ist. So<br />

erklärt sich, daß bestimmte Leute an sich gesehen würdiger<br />

sind, nicht jedoch für eine bestimmte Aufgabe.<br />

Zu 3. Die Gabenzuteilung ist eine zweifache. Bei <strong>de</strong>r einen<br />

gibt jemand einem, was ihm geschul<strong>de</strong>t wird; dies fällt in das<br />

Gebiet <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>. Bei <strong>de</strong>rlei Gabenzuteilungen spielt<br />

das „Ansehen <strong>de</strong>r Person" eine Rolle. Die an<strong>de</strong>re Gabenzutei­<br />

lung untersteht <strong>de</strong>r Freigebigkeit, die einem umsonst gibt, was<br />

man ihm nicht schul<strong>de</strong>t. Von solcher Art ist die Zuteilung <strong>de</strong>r<br />

Gna<strong>de</strong>ngeschenke, durch die die Sün<strong>de</strong>r von Gott angenom­<br />

men wer<strong>de</strong>n. Und bei dieser Gabenzuteilung ist kein Platz für<br />

„Ansehen <strong>de</strong>r Person", <strong>de</strong>nn je<strong>de</strong>r kann ohne Ungerechtigkeit<br />

von <strong>de</strong>m Seinen geben, soviel er will <strong>und</strong> wem er will, gemäß<br />

Mt20,14f.: „Darf ich mit <strong>de</strong>m, was mir gehört, nicht tun, was<br />

ich will? Nimm was Dein ist, <strong>und</strong> geh'!"<br />

2. ARTIKEL<br />

Spielt bei <strong>de</strong>r Verleihung von geistlichen Gütern das „Ansehen<br />

<strong>de</strong>r Person " eine Rolle?<br />

1. Eine kirchliche Wür<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r eine Pfrün<strong>de</strong> jeman<strong>de</strong>m<br />

wegen Blutsverwandtschaft verleihen gehört zum „Ansehen<br />

<strong>de</strong>r Person", <strong>de</strong>nn Blutsverwandtschaft ist nichts, was <strong>de</strong>n Men­<br />

schen eines Kirchengutes würdig macht. Doch dies ist keine<br />

Sün<strong>de</strong>, <strong>de</strong>nn die Kirchenprälaten haben dies schon immer so<br />

gemacht. Also spielt „Ansehen <strong>de</strong>r Person" bei <strong>de</strong>r Verleihung<br />

geistlicher Güter keine Rolle.<br />

2. „Ansehen <strong>de</strong>r Person" liegt vor, wenn ein Reicher einem<br />

Armen vorgezogen wird, wie aus Jak2,1 ff. hervorgeht. Nun<br />

erhalten Reiche <strong>und</strong> Mächtige leichter Dispens, wenn sie jeman­<br />

<strong>de</strong>n aus einem verbotenen Verwandtschaftsgrad heiraten wol­<br />

len, als an<strong>de</strong>re. Also spielt die Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>s „Ansehen <strong>de</strong>r Person"<br />

bei diesen Dispensen keine Rolle.<br />

3. Nach <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>ssammlung (FrdbII,79) genügt es, einen<br />

Guten zu wählen, nicht aber wird verlangt, einem Besseren <strong>de</strong>n<br />

Vorzug zu geben. Doch einen weniger Guten für etwas Höhe-<br />

81


63. 2 res zu wählen, ist ein Fall von „Ansehen <strong>de</strong>r Person". Also ist<br />

„Ansehen <strong>de</strong>r Person" in geistlichen Dingen keine Sün<strong>de</strong>.<br />

4. Nach <strong>de</strong>n kirchlichen Bestimmungen (FrdbII,78) muß<br />

<strong>de</strong>r Wahlkandidat aus „<strong>de</strong>m Schoß <strong>de</strong>r (Kapitels-) Kirche" stam­<br />

men. Doch dies sieht nach „Ansehen <strong>de</strong>r Person" aus, <strong>de</strong>nn bis­<br />

weilen wür<strong>de</strong>n an<strong>de</strong>rswo Geeignetere gef<strong>und</strong>en. Also ist<br />

„Ansehen <strong>de</strong>r Person" in geistlichen Dingen keine Sün<strong>de</strong>.<br />

DAGEGEN steht Jak2,l: „Haltet <strong>de</strong>n Glauben an unseren<br />

Herrn Jesus Christus frei von je<strong>de</strong>m Ansehen <strong>de</strong>r Person."<br />

Dazu bemerkt die GlosseAugustins (ML33,740): „Wer kann es<br />

ertragen, daß einer einen Reichen auf eine kirchliche Ehrenstelle<br />

wählt <strong>und</strong> einen Armen, <strong>de</strong>r gebil<strong>de</strong>ter <strong>und</strong> heiliger ist, über­<br />

geht?"<br />

ANTWORT. Wie gesagt (Art. 1), ist das „Ansehen <strong>de</strong>r Per­<br />

son" eine Sün<strong>de</strong>, weil es <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> wi<strong>de</strong>rspricht. Umso<br />

schwerer versündigt sich nun, in je be<strong>de</strong>utsameren Dingen<br />

jemand die <strong>Gerechtigkeit</strong> verletzt. Da nun die geistlichen Güter<br />

höher stehen als die weltlichen, ist es eine schwerere Sün<strong>de</strong>, bei<br />

<strong>de</strong>r Zuteilung geistlicher Güter Rücksicht auf die Person zu<br />

nehmen, als bei <strong>de</strong>r Zuteilung weltlicher Güter.<br />

Und weil „Ansehen <strong>de</strong>r Person" darin besteht, zugunsten <strong>de</strong>r<br />

Person außer <strong>de</strong>m Gewicht ihrer Wür<strong>de</strong> sonst noch etwas zu<br />

berücksichtigen, muß diese ihre Wür<strong>de</strong> nach zwei Gesichts­<br />

punkten betrachtet wer<strong>de</strong>n. Einmal schlechthin <strong>und</strong> an sich,<br />

<strong>und</strong> so gesehen zeichnet sich jener durch größere Wür<strong>de</strong> aus,<br />

<strong>de</strong>r die größere Fülle geistlicher Gna<strong>de</strong>ngaben besitzt. Sodann<br />

im Hinblick auf das Gemeinwohl. Da kann es vorkommen, daß<br />

<strong>de</strong>r weniger Heilige <strong>und</strong> weniger Gelehrte für das Gemeinwohl<br />

wegen seiner weltlichen Macht <strong>und</strong> seiner Geschäftstüchtigkeit<br />

o<strong>de</strong>r wegen sonst etwas dieser Art mehr zu leisten vermag. Und<br />

weil die Zuteilung geistlicher Güter auf <strong>de</strong>n gemeinen N<strong>utz</strong>en<br />

ausgerichtet ist gemäß 1 Kor 12,7: „Einem je<strong>de</strong>n wird die<br />

Offenbarung <strong>de</strong>s Geistes geschenkt, damit sie an<strong>de</strong>ren nützt",<br />

wer<strong>de</strong>n bisweilen bei <strong>de</strong>r Verleihung geistlicher Güter die an<br />

sich weniger Guten <strong>de</strong>n Besseren ohne „Ansehen <strong>de</strong>r Person"<br />

vorgezogen. Ähnlich teilt ja auch Gott manchmal seine unver­<br />

dienten Gna<strong>de</strong>n an weniger Gute aus.<br />

Zu 1. In Sachen Blutsverwandte eines Prälaten ist zu unter­<br />

schei<strong>de</strong>n. Bisweilen sind sie sowohl an sich, als auch im Hin­<br />

blick auf das Gemeinwohl weniger würdig, <strong>und</strong> wer<strong>de</strong>n sie <strong>de</strong>n<br />

Würdigeren <strong>de</strong>nnoch vorgezogen, ist dies eine Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>s<br />

82


„Ansehens <strong>de</strong>r Person" bei <strong>de</strong>r Verleihung geistlicher Güter. 63. 2<br />

Über diese ist <strong>de</strong>r kirchliche Obere ja nicht Herr, so daß er sie<br />

nach Belieben zuteilen könnte, son<strong>de</strong>rn nur Verwalter gemäß 1<br />

Kor 4,1: „So erachte man uns als Diener Christi <strong>und</strong> Verwalter<br />

<strong>de</strong>r Geheimnisse Gottes." - Bisweilen jedoch sind die Blutsver­<br />

wandten eines Kirchenprälaten genau so würdig wie an<strong>de</strong>re.<br />

Darum kann er sie ohne „Ansehen <strong>de</strong>r Person" erlaubterweise<br />

vorziehen, <strong>de</strong>nn darin wenigstens besteht ihr Vorzug, daß er<br />

mehr darauf vertrauen darf, daß sie mit ihm zusammen ein­<br />

mütig die Geschäfte <strong>de</strong>r Kirche besorgen. Sollten jedoch irgend­<br />

welche darin ein schlechtes Beispiel dafür sehen, daß Kirchen­<br />

güter nicht nur wegen vorhan<strong>de</strong>ner Würdigkeit an Verwandte<br />

vergeben wer<strong>de</strong>n, dann müßte man <strong>de</strong>s Ärgernisses wegen<br />

davon absehen.<br />

Zu 2. Dispens zur Eheschließung pflegt hauptsächlich<br />

erteilt zu wer<strong>de</strong>n, um <strong>de</strong>n B<strong>und</strong> <strong>de</strong>s Frie<strong>de</strong>ns zu festigen. Dies<br />

ist bei hochgestellten Personen im Hinblick auf das Gemein­<br />

wohl von dringen<strong>de</strong>rer Notwendigkeit. Daher gewährt man<br />

ihnen ohne „Ansehen <strong>de</strong>r Person" leichter Dispens.<br />

Zu 3. Damit eine Wahl gerichtlich nicht angefochten wer<strong>de</strong>n<br />

kann, genügt es, einen Guten zu wählen, <strong>de</strong>r Bessere braucht es<br />

nicht zu sein, <strong>de</strong>nn sonst könnte je<strong>de</strong> Wahl in Zweifel gezogen<br />

wer<strong>de</strong>n. Vor seinem Gewissen jedoch muß man <strong>de</strong>n Besseren<br />

wählen, <strong>de</strong>n Besseren schlechthin o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Besseren im Hin­<br />

blick auf das Gemeinwohl. Denn steht einer zur Verfügung, <strong>de</strong>r<br />

für eine Wür<strong>de</strong> geeigneter ist <strong>und</strong> wird <strong>de</strong>nnoch ein an<strong>de</strong>rer vor­<br />

gezogen, so muß dafür ein sachlicher Gr<strong>und</strong> vorhan<strong>de</strong>n sein.<br />

Liegt dieser in <strong>de</strong>r Eignung für das Amt, dann ist in dieser Hin­<br />

sicht <strong>de</strong>r Gewählte auch <strong>de</strong>r Geeignetere. Hat <strong>de</strong>r Gr<strong>und</strong> für die<br />

Wahl mit <strong>de</strong>m Amt jedoch nichts zu tun, dann liegt ein<strong>de</strong>utig<br />

„Ansehen <strong>de</strong>r Person" vor.<br />

Zu 4. Wer bei <strong>de</strong>r Wahl aus <strong>de</strong>m Personenkreis <strong>de</strong>r (Kapitels-)<br />

Kirche hervorgeht, wird für das Gemeinwohl meist nützlicher<br />

sein, weil er die Kirche, in <strong>de</strong>r er groß gewor<strong>de</strong>n ist, mehr liebt.<br />

Deshalb wird in Dt 17,15 befohlen: „Nur aus <strong>de</strong>r Mitte <strong>de</strong>iner<br />

Brü<strong>de</strong>r darfst du einen König über dich einsetzen."<br />

83


63. 3 3. ARTIKEL<br />

Kommt es bei <strong>de</strong>r Erweisung von Ehre <strong>und</strong> Hochachtung<br />

zum „Ansehen <strong>de</strong>r Person "?<br />

1. Ehre ist nichts an<strong>de</strong>res als Ehrfurcht, die man einem zum<br />

Zeugnis seiner Tugend erweist, wie Aristoteles im I. Buch seiner<br />

Ethik (c. 3; 1095 b26) bemerkt. Nun muß man die kirchlichen<br />

Vorgesetzten <strong>und</strong> die Fürsten ehren, selbst wenn sie schlecht<br />

sind, ebenso auch die Eltern, wie in Ex20,12 geboten wird:<br />

„Ehre <strong>de</strong>inen Vater <strong>und</strong> <strong>de</strong>ine Mutter"; nicht weniger müssen<br />

die Bediensteten ihre Herren ehren, selbst wenn sie schlecht<br />

sind, gemäß <strong>de</strong>m 1. Brief an Tim 6,1: „Die das Joch <strong>de</strong>r Sklave­<br />

rei zu tragen haben, sollen ihren Herren alle Ehre erweisen."<br />

Also ist „Ansehen <strong>de</strong>r Person" beim Erweis von Ehre keine<br />

Sün<strong>de</strong>.<br />

2. Im Buch Lvl9,32 wird geboten: „Vor einem ergrauten<br />

Haupt stehe auf <strong>und</strong> ehre die Person <strong>de</strong>s Greises." Doch dies<br />

sieht nach „Ansehen <strong>de</strong>r Person" aus, <strong>de</strong>nn manchmal sind die<br />

Greise nicht tugendhaft, wie Dn 13,5 schreibt: „Die Ungerech­<br />

tigkeit ging aus von <strong>de</strong>n Ältesten <strong>de</strong>s Volkes." Also ist „An­<br />

sehen <strong>de</strong>r Person" bei Erweis von Ehre keine Sün<strong>de</strong>.<br />

3. Zum Jakobuswort 2,1: „Haltet <strong>de</strong>n Glauben frei von<br />

je<strong>de</strong>m Ansehen <strong>de</strong>r Person", steht in <strong>de</strong>r Glosse Augustins<br />

(ML 33,740): „Gilt das Wort <strong>de</strong>s Jakobus ,Wenn ein Mann mit<br />

gol<strong>de</strong>nem Ring in euere Versammlung kommt usw.', von <strong>de</strong>n<br />

täglichen Zusammenkünften, wer sündigt dann nicht, wenn er<br />

überhaupt sündigt?" Doch „Ansehen <strong>de</strong>r Person" ist es, die Rei­<br />

chen wegen ihres Reichtums zu ehren. Gregor sagt nämlich in<br />

einer Homilie (In Evang., hom. 28; ML 76, 1211): „Wie<br />

schwach gewor<strong>de</strong>n ist doch unser Stolz, da wir in <strong>de</strong>n Men­<br />

schen nicht die nach <strong>de</strong>m Bil<strong>de</strong> Gottes geschaffene Natur, son­<br />

<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>n Reichtum ehren!" Und da <strong>de</strong>r Reichtum kein ange­<br />

messener Gr<strong>und</strong> für Erweis von Ehre ist, gehört dies zum<br />

„Ansehen <strong>de</strong>r Person". Also ist „Ansehen <strong>de</strong>r Person" bei Ehr­<br />

erweisung keine Sün<strong>de</strong>.<br />

DAGEGEN steht das Wort <strong>de</strong>r Glosse zu Jak2,l (ML33,<br />

740): „Wer einen Reichen wegen seines Reichtums ehrt, <strong>de</strong>r sün­<br />

digt." Dies gilt ebenso, wenn jemand aus Grün<strong>de</strong>n, die <strong>de</strong>r<br />

Ehrung nicht würdig machen, geehrt wird, - es fällt unter<br />

84


„Ansehen <strong>de</strong>r Person". Also ist „Ansehen <strong>de</strong>r Person" beim 63. 4<br />

Erweis von Ehre sündhaft.<br />

ANTWORT. Ehre be<strong>de</strong>utet Anerkennung <strong>de</strong>r Tugend <strong>de</strong>s<br />

Geehrten. Daher ist nur die Tugend <strong>de</strong>r maßgebliche Gr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r<br />

Ehre. Man muß freilich be<strong>de</strong>nken, daß jemand nicht nur wegen<br />

<strong>de</strong>r eigenen Tugend geehrt wer<strong>de</strong>n kann, son<strong>de</strong>rn auch wegen <strong>de</strong>r<br />

Vollkommenheit eines an<strong>de</strong>ren. So wer<strong>de</strong>n auch die schlechten<br />

Fürsten <strong>und</strong> Prälaten geehrt, insofern sie Stellvertreter Gottes<br />

<strong>und</strong> <strong>de</strong>r Gemeinschaft sind, die sie leiten, gemäß Spr 26,8: „Wie<br />

einer, <strong>de</strong>r einen Stein auf Merkurs Steinhaufen wirft, ist, wer<br />

einem Toren Ehre erweist." Weil die Hei<strong>de</strong>n <strong>de</strong>m Merkur das<br />

Rechnungswesen zuschreiben, be<strong>de</strong>utet „Haufe <strong>de</strong>s Merkur"<br />

soviel wie „Geldhaufen". Auf ihn wirft <strong>de</strong>r Kaufmann hie <strong>und</strong><br />

da ein kleines Steinchen anstelle von h<strong>und</strong>ert Mark. So wird<br />

auch <strong>de</strong>m Toren Ehre gezollt, weil er die Stelle Gottes <strong>und</strong> <strong>de</strong>r<br />

ganzen Gemeinschaft vertritt. - Desgleichen muß man die<br />

Eltern <strong>und</strong> Dienstherren ehren, <strong>de</strong>nn sie nehmen teil an <strong>de</strong>r<br />

Wür<strong>de</strong> Gottes, <strong>de</strong>r aller Vater <strong>und</strong> Herr ist. - Den Greisen<br />

jedoch gebührt Ehre, weil ihr Alter Zeugnis <strong>de</strong>r Tugend ist, mag<br />

das Zeugnis bisweilen auch versagen. Daher heißt es im Buch<br />

<strong>de</strong>r Weisheit 4,8: „Ehrenvolles Alter besteht nicht in einem lan­<br />

gen Leben <strong>und</strong> wird nicht an <strong>de</strong>r Zahl <strong>de</strong>r Jahre gemessen. Mehr<br />

als graue Haare be<strong>de</strong>utet für die Menschen die Klugheit <strong>und</strong><br />

mehr als Greisenalter wiegt ein Leben ohne Ta<strong>de</strong>l." - Die<br />

Reichen aber sind <strong>de</strong>shalb zu ehren, weil sie in <strong>de</strong>n Gemein­<br />

schaften eine höhere Stellung einnehmen. Wer<strong>de</strong>n sie aber nur<br />

wegen ihres Reichtums geehrt, ist dies Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>s „Ansehens<br />

<strong>de</strong>r Person".<br />

Daraus ergibt sich die Lösung zu <strong>de</strong>n Einwän<strong>de</strong>n.<br />

4. ARTIKEL<br />

Gibt es bei Gerichtsentscheidungen die Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>s „Ansehens<br />

<strong>de</strong>r Person "?<br />

1. Das „Ansehen <strong>de</strong>r Person" steht in Gegensatz zur vertei­<br />

len<strong>de</strong>n <strong>Gerechtigkeit</strong> (Art. 1). Doch die Gerichtsentscheidun­<br />

gen betreffen vor allem die ausgleichen<strong>de</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>. Also<br />

steht „Ansehen <strong>de</strong>r Person" hier nicht in Frage.<br />

2. Strafen wer<strong>de</strong>n aufgr<strong>und</strong> eines Urteils verhängt. Doch bei<br />

<strong>de</strong>r Strafzumessung gibt es „Ansehen <strong>de</strong>r Person", ohne daß<br />

85


63. 4 damit gesündigt wür<strong>de</strong>, <strong>de</strong>nn schwerer wird bestraft, wer einen<br />

Fürsten, als wer eine an<strong>de</strong>re Person beleidigt. Also gibt es bei<br />

richterlichen Urteilen kein „Ansehen <strong>de</strong>r Person".<br />

3. Sir 4,10 sagt: „Wenn du <strong>Recht</strong> sprichst, sei gegen Waisen<br />

barmherzig". Doch dies sieht nach „Ansehen <strong>de</strong>r Person" aus.<br />

Also ist „Ansehen <strong>de</strong>r Person" bei Gerichtsurteilen keine<br />

Sün<strong>de</strong>.<br />

DAGEGEN heißt es in <strong>de</strong>n Sprichwörtern 18,5: „Ansehen<br />

<strong>de</strong>r Person bei Gericht ist nicht gut".<br />

ANTWORT. Wie gesagt (60,1), ist das Urteil ein Akt <strong>de</strong>r<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>, insofern <strong>de</strong>r Richter das ins gerechte Gleich­<br />

gewicht bringt, was zu Ungleichheit führen kann. Das „Anse­<br />

hen <strong>de</strong>r Person" jedoch hat eine gewisse Ungleichheit zur Folge,<br />

insofern einer Person entgegen <strong>de</strong>m ihr Angemessenen - darin<br />

besteht das Gleichmaß <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> - etwas zugesprochen<br />

wird. Somit ist es ein<strong>de</strong>utig, daß durch „Ansehen <strong>de</strong>r Person"<br />

die richterliche Entscheidung verfälscht wird.<br />

Zu 1. Die richterliche Entscheidung kann man unter zwei­<br />

fachem Gesichtspunkt betrachten. Einmal in Bezug auf die be­<br />

urteilte Sache, <strong>und</strong> so gilt sie gleicherweise für die ausgleichen<strong>de</strong><br />

<strong>und</strong> die verteilen<strong>de</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>, <strong>de</strong>nn durch richterliche Ent­<br />

scheidung kann festgelegt wer<strong>de</strong>n, was vom Gemeingut an die<br />

einzelnen zu verteilen ist, aber auch, was <strong>de</strong>r eine <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>ren<br />

zum Ausgleich geben muß. - Sodann kann die Form <strong>de</strong>r richter­<br />

lichen Entscheidung ins Auge gefaßt wer<strong>de</strong>n, insofern <strong>de</strong>r Rich­<br />

ter auch im Bereich <strong>de</strong>r ausgleichen<strong>de</strong>n <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>de</strong>m<br />

einen nimmt <strong>und</strong> <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>ren gibt. Dies jedoch fällt in die<br />

Zuständigkeit <strong>de</strong>r verteilen<strong>de</strong>n <strong>Gerechtigkeit</strong>. So kann bei je<strong>de</strong>r<br />

richterlichen Entscheidung das „Ansehen <strong>de</strong>r Person" eine<br />

Rolle spielen.<br />

Zu 2. Wird jemand wegen Beleidigung einer höher gestellten<br />

Person schwerer bestraft, dann hat dies mit „Ansehen <strong>de</strong>r Per­<br />

son" nichts zu tun, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Verschie<strong>de</strong>nheit <strong>de</strong>r Personen liegt<br />

in dieser Beziehung auch ein sachlicher Unterschied zugr<strong>und</strong>e,<br />

wie oben (61,2,3) ausgeführt wor<strong>de</strong>n ist.<br />

Zu 3. Man muß vor Gericht <strong>de</strong>m Armen, soweit möglich, zu<br />

Hilfe kommen, jedoch ohne Verletzung <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>.<br />

Sonst tritt das Exoduswort 23,3 in Kraft: „Du sollst auch <strong>de</strong>n<br />

Armen vor Gericht nicht begünstigen".<br />

86


64. FRAGE<br />

DER MORD<br />

Nun sind die <strong>de</strong>r ausgleichen<strong>de</strong>n <strong>Gerechtigkeit</strong> entgegen­<br />

gesetzten Laster zu behan<strong>de</strong>ln. Dabei stellen sich 1. die Sün<strong>de</strong>n<br />

zur Besprechung an, die auf unfreiwilliger Gegenseitigkeit<br />

beruhen, 2. die Sün<strong>de</strong>n, die in freiwilliger Gegenseitigkeit be­<br />

gangen wer<strong>de</strong>n (Fr. 77-78). Bei unfreiwilliger Gegenseitigkeit<br />

wer<strong>de</strong>n die Sün<strong>de</strong>n dadurch begangen, daß <strong>de</strong>m Nächsten<br />

gegen seinen Willen Scha<strong>de</strong>n zugefügt wird, <strong>und</strong> dies kann auf<br />

zweifache Weise geschehen: durch Tat <strong>und</strong> durch Wort. Durch<br />

Tat dadurch, daß <strong>de</strong>r Mitmensch in eigener Person o<strong>de</strong>r in<br />

einem seiner Angehörigen o<strong>de</strong>r in seinem Eigentum Scha<strong>de</strong>n<br />

erlei<strong>de</strong>t. Diese Punkte sind <strong>de</strong>r Reihe nach zu behan<strong>de</strong>ln.<br />

Zunächst stellt sich das Thema Mord, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Mitmenschen<br />

am meisten scha<strong>de</strong>t.<br />

Dabei erheben sich 8 Fragen:<br />

1. Ist das Vernichten von Tieren <strong>und</strong> Pflanzen eine Sün<strong>de</strong>?<br />

2. Ist es erlaubt, einen Sün<strong>de</strong>r zu töten?<br />

3. Darf dies ein Privatmann o<strong>de</strong>r nur eine Amtsperson?<br />

4. Darf es ein Geistlicher?<br />

5. Darf man sich selber töten?<br />

6. Darf man einen Gerechten töten?<br />

7. Darf man in Notwehr jeman<strong>de</strong>n töten?<br />

8. Ist unbeabsichtigte Tötung schwere Sün<strong>de</strong>?<br />

1. ARTIKEL<br />

Darf man irgendwelche Lebewesen töten?<br />

1. Der Apostel schreibt im Römerbrief 13,2: „Wer sich <strong>de</strong>r<br />

Ordnung Gottes wi<strong>de</strong>rsetzt, zieht sich selbst sein Gericht zu".<br />

Nun wer<strong>de</strong>n nach <strong>de</strong>r Ordnung <strong>de</strong>r göttlichen Vorsehung alle<br />

Wesen am Leben erhalten gemäß Psalm 146,8: „Er läßt Gras<br />

wachsen auf <strong>de</strong>n Höhen <strong>und</strong> gibt <strong>de</strong>m Vieh seine Nahrung".<br />

Also ist es nicht erlaubt, irgendwelche Lebewesen zu vernich­<br />

ten.<br />

2. Mord ist <strong>de</strong>shalb Sün<strong>de</strong>, weil dabei ein Mensch seines Le­<br />

bens beraubt wird. Doch Leben ist auch in allen Tieren <strong>und</strong><br />

87


64. l Pflanzen. Also ist es in gleicher Weise Sün<strong>de</strong>, Tiere <strong>und</strong> Pflanzen<br />

zu vernichten.<br />

3. Das göttliche Gesetz spricht nur für die Sün<strong>de</strong> eine beson­<br />

<strong>de</strong>re Strafe aus. Nun wird aber dort für <strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r eines an<strong>de</strong>ren<br />

Schaf o<strong>de</strong>r Rind tötet, eine bestimmte Strafe ausgesprochen,<br />

wie aus Ex22,1 hervorgeht. Also ist das Töten von Tieren<br />

Sün<strong>de</strong>.<br />

DAGEGEN schreibt Augustinus im I. Buch <strong>de</strong>s Gottesstaates<br />

(c.20; ML41,35): „Wenn wir hören ,Du sollst nicht töten', so<br />

geht es bei diesem Wort nicht um Fruchtpflanzen, <strong>de</strong>nn sie<br />

haben keinerlei Empfin<strong>de</strong>n, <strong>und</strong> auch nicht um unvernünftige<br />

Tiere, <strong>de</strong>nn sie stehen mit uns nicht auf gleicher Ebene. Das<br />

Wort ,Du sollst nicht töten' können wir sinnvoll also nur auf<br />

Menschen anwen<strong>de</strong>n".<br />

ANTWORT. Von Sün<strong>de</strong> ist keine Re<strong>de</strong>, wenn man eine Sache<br />

entsprechend ihrem Zweck gebraucht. Nun ist in <strong>de</strong>r Hierar­<br />

chie <strong>de</strong>r Dinge das Unvollkommene wegen <strong>de</strong>s Vollkommenen<br />

da: so schreitet auch die Natur auf <strong>de</strong>m Weg <strong>de</strong>s Wer<strong>de</strong>ns vom<br />

Unvollkommenen zum Vollkommenen voran. Wie es daher bei<br />

<strong>de</strong>r Entwicklung <strong>de</strong>s Menschen zuerst mit etwas Lebendigem<br />

beginnt, hierauf das Sinnenwesen erscheint, <strong>und</strong> schließlich <strong>de</strong>r<br />

Mensch kommt [24], so ist auch das, was bloß Leben hat wie<br />

die Pflanzen im ganzen gesehen wegen <strong>de</strong>r Tiere da, <strong>und</strong> die<br />

Tiere sind wegen <strong>de</strong>r Menschen da. Wenn daher <strong>de</strong>r Mensch die<br />

Pflanzen zum N<strong>utz</strong>en <strong>de</strong>r Tiere gebraucht <strong>und</strong> die Tiere zum<br />

N<strong>utz</strong>en <strong>de</strong>r Menschen, so ist hier nichts Unerlaubtes zu fin<strong>de</strong>n,<br />

wie auch Aristoteles im I.Buch seiner Politik (c. 8; 1256b 15)<br />

meint. Neben an<strong>de</strong>ren Zwecken besteht <strong>de</strong>r wichtigste darin,<br />

daß die Tiere die Pflanzen <strong>und</strong> die Menschen die Tiere als Nah­<br />

rung benützen, <strong>und</strong> dies kann nicht geschehen, ohne daß man<br />

ihrem Leben ein En<strong>de</strong> macht. Daher darf man Pflanzen als Tier­<br />

futter gebrauchen <strong>und</strong> Tiere zum N<strong>utz</strong>en <strong>de</strong>s Menschen töten,<br />

<strong>und</strong> zwar nach göttlicher Anordnung, wie es in Gnl,29f.<br />

geschrieben steht: „Seht, ich gebe euch alle Kräuter <strong>und</strong> alle<br />

Bäume, damit sie euch <strong>und</strong> allen Tieren als Nahrung dienen".<br />

Und Gn9,3 heißt es: „Alles, was sich regt <strong>und</strong> lebt, soll eure<br />

Speise sein".<br />

Zu 1. Nach göttlicher Ordnung wird das Leben von Tier<br />

<strong>und</strong> Pflanze nicht um ihrer selbst willen erhalten, son<strong>de</strong>rn<br />

wegen <strong>de</strong>s Menschen. Daher schreibt Augustinus im I. Buch sei­<br />

nes Gottesstaates (a. a. O.): „Nach <strong>de</strong>r höchsten Ordnung <strong>de</strong>s<br />

88


Schöpfers stehen Leben <strong>und</strong> Tod dieser Wesen zu unserer Ver- 64. 2<br />

fügung".<br />

Zu 2. Tiere <strong>und</strong> Pflanzen besitzen kein Vernunftleben, mit<br />

<strong>de</strong>m sie sich selbst leiten könnten, son<strong>de</strong>rn sie wer<strong>de</strong>n stets<br />

gleichsam von einem an<strong>de</strong>ren, einem gewissen naturhaften<br />

Antrieb, gelenkt. Dies ist ein Zeichen dafür, daß sie von Natur<br />

aus zum Dienst <strong>und</strong> Gebrauch an<strong>de</strong>rer bestimmt sind.<br />

Zu 3. Wer das Rind eines an<strong>de</strong>ren tötet, sündigt, nicht weil er<br />

das Rind getötet, son<strong>de</strong>rn weil er jeman<strong>de</strong>n an seinem Eigen­<br />

tum geschädigt hat. Daher fällt dies nicht unter die Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>s<br />

Mor<strong>de</strong>s, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>s Diebstahls o<strong>de</strong>r Raubes.<br />

2. ARTIKEL<br />

Ist es erlaubt, Sün<strong>de</strong>r zu töten?<br />

1. Der Herr verbietet in jenem Gleichnis Mt 13,29f.,<br />

Unkraut - das sind die „Söhne <strong>de</strong>s Bösen", wie es dort (V. 38)<br />

heißt - auszureißen. Nun ist alles, was Gott verbietet, Sün<strong>de</strong>.<br />

Also ist es auch Sün<strong>de</strong>, einen Sün<strong>de</strong>r zu töten.<br />

2. Die menschliche <strong>Gerechtigkeit</strong> gleicht sich <strong>de</strong>r göttlichen<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> an. Doch nach göttlicher <strong>Gerechtigkeit</strong> wer<strong>de</strong>n<br />

die Sün<strong>de</strong>r geschont, damit sie Buße tun gemäß <strong>de</strong>m Ezechielwort<br />

(18,23; 33,11): „Ich will nicht <strong>de</strong>s Sün<strong>de</strong>rs Tod, son<strong>de</strong>rn<br />

daß er sich bekehre <strong>und</strong> lebe". Also ist es durchaus unrecht,<br />

wenn Sün<strong>de</strong>r getötet wer<strong>de</strong>n.<br />

3. Etwas in sich Schlechtes darf auch wegen eines noch so<br />

guten Zweckes nicht getan wer<strong>de</strong>n, wie aus Augustins Buch<br />

Gegen die Lüge (c. 7; ML 40,528) <strong>und</strong> aus <strong>de</strong>s Aristoteles Ethik,<br />

Buch V (c. 6; 1107al4), hervorgeht. Doch einen Menschen<br />

töten ist in sich schlecht, <strong>de</strong>nn je<strong>de</strong>m Menschen müssen wir uns<br />

in Liebe zuwen<strong>de</strong>n, unsere Fre<strong>und</strong>e aber „sollen leben <strong>und</strong><br />

sein", wie Aristoteles im IX.Buch seiner Ethik (c.4; 1166a4)<br />

bemerkt. Also ist es in keinem Fall erlaubt, einen Sün<strong>de</strong>r zu<br />

töten.<br />

DAGEGEN heißt es Ex22,18: „Zauberer sollst du nicht am<br />

Leben lassen", <strong>und</strong> im Psalm 101,8: „Am Morgen will ich alle<br />

Frevler im Lan<strong>de</strong> töten".<br />

ANTWORT. Wie (Art. 1) gesagt,ist es erlaubt,Tiere zu töten,<br />

insofern sie von Natur aus, so wie das Unvollkommene auf das<br />

Vollkommene, auf die Bedürfnisse <strong>de</strong>r Menschen hingeordnet<br />

89


64. 2 sind. Je<strong>de</strong>r Teil nun ist auf das Ganze wie das Unvollkommene<br />

auf das Vollkommene ausgerichtet. Daher ist je<strong>de</strong>r Teil natürli­<br />

cherweise wegen <strong>de</strong>s Ganzen da. Aus diesem Gr<strong>und</strong> wird ein<br />

Glied, wenn es z. B. faulig ist <strong>und</strong> an<strong>de</strong>re anzustecken droht,<br />

zum Wohl <strong>de</strong>s ganzen menschlichen Körpers mit Fug <strong>und</strong><br />

<strong>Recht</strong> abgeschnitten. Je<strong>de</strong> Einzelperson aber steht zur gesamten<br />

Gemeinschaft im Verhältnis <strong>de</strong>s Teils zum Ganzen. Wenn sich<br />

daher ein Mensch wegen einer Sün<strong>de</strong> als gefährlich <strong>und</strong> ver<strong>de</strong>rb­<br />

lich für die Gemeinschaft herausstellt, wird er zur Erhaltung<br />

<strong>de</strong>s Gemeinwohls mit Fug <strong>und</strong> <strong>Recht</strong> getötet, <strong>de</strong>nn, wie es im<br />

1. Korintherbrief 5,6 heißt, „verdirbt ein wenig Sauerteig die<br />

ganze Masse".<br />

Zu 1. Der Herr befahl, das Ausreißen <strong>de</strong>s Unkrauts zu<br />

unterlassen, um <strong>de</strong>n Weizen, d. h. die Guten, zu schonen. Dies<br />

ist <strong>de</strong>r Fall, wenn sich die Schlechten nicht ausrotten lassen,<br />

ohne daß man dabei auch die Guten vernichtet, da sie sich unter<br />

die Guten verstecken o<strong>de</strong>r weil sie viele Anhänger haben, so<br />

daß sie ohne Gefahr für die Guten nicht unschädlich gemacht<br />

wer<strong>de</strong>n können, wie Augustinus in seiner Schrift Gegen<br />

Parmenianus (III, 2; ML 43,89) sagt. Daher lehrt <strong>de</strong>r Herr, man<br />

solle die Schlechten lieber am Leben lassen <strong>und</strong> die Vergeltung<br />

auf <strong>de</strong>n Jüngsten Tag aufsparen, als die Guten zugleich <strong>de</strong>m Tod<br />

ausliefern. - Wenn jedoch die Tötung <strong>de</strong>r Bösen keine Gefahr<br />

für die Guten mit sich bringt, son<strong>de</strong>rn eher ihrem Sch<strong>utz</strong> <strong>und</strong><br />

ihrer Rettung dient, da dürfen die Schlechten mit <strong>Recht</strong> getötet<br />

wer<strong>de</strong>n.<br />

Zu 2. Nach <strong>de</strong>r Ordnung seiner Weisheit tötet Gott die Sün­<br />

<strong>de</strong>r bisweilen sofort, um die Guten zu befreien, bisweilen aber<br />

gewährt er ihnen eine Frist <strong>de</strong>r Buße, wie es nach seiner Vor­<br />

sehung für seine Auserwählten dienlich ist. So verhält sich nach<br />

Möglichkeit ja auch die menschliche <strong>Gerechtigkeit</strong>: die<br />

Gemeingefährlichen tötet sie, die Sün<strong>de</strong>r, die an<strong>de</strong>ren keinen<br />

schweren Scha<strong>de</strong>n zufügen, schont sie, damit sie Buße tun.<br />

Zu 3. Der Mensch steigt durch sein Sündigen aus <strong>de</strong>r Ord­<br />

nung <strong>de</strong>r Vernunft aus, <strong>und</strong> damit wirft er auch seine mensch­<br />

liche Wür<strong>de</strong> von sich, in <strong>de</strong>r seine natürliche Freiheit <strong>und</strong> ein<br />

Leben um seiner selbst willen beschlossen liegen, <strong>und</strong> sinkt hin­<br />

ab in die Sklaverei <strong>de</strong>s Tieres, damit entsprechend seinem Nut­<br />

zen für an<strong>de</strong>re über ihn verfügt wird gemäß Ps49,21: „Der<br />

Mensch in Ehren, doch ohne Einsicht, er gleicht <strong>de</strong>m Vieh <strong>und</strong><br />

wird ihm ähnlich", <strong>und</strong> Sprll,29 heißt es: „Der Tor wird <strong>de</strong>s<br />

90


Weisen Knecht". Obwohl es daher in sich schlecht ist, einen 64. 3<br />

seine Wür<strong>de</strong> hochhalten<strong>de</strong>n Menschen zu töten, kann es doch<br />

gut sein, einen sündhaften Menschen ebenso zu töten wie ein<br />

Tier, <strong>de</strong>nn ein schlechter Mensch ist noch schlechter als ein Tier<br />

<strong>und</strong> richtet größeren Scha<strong>de</strong>n an, wie Aristoteles im I. Buch sei­<br />

ner Politik (c.2; 1253 a 32) <strong>und</strong> im VII. Buch <strong>de</strong>r Ehtik (c.7;<br />

1150 a 7) schreibt.<br />

3. ARTIKEL<br />

Darf eine Privatperson einen Sün<strong>de</strong>r töten?<br />

1. Im göttlichen Gesetz wird nichts Unerlaubtes befohlen.<br />

Doch Ex 32,27 ordnet Moses an: „Ein je<strong>de</strong>r töte seinen Näch­<br />

sten, seinen Bru<strong>de</strong>r <strong>und</strong> seinen Fre<strong>und</strong>" um <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>s<br />

gegossenen Kalbes willen. Also ist es auch Privatpersonen<br />

erlaubt, Sün<strong>de</strong>r zu töten.<br />

2. Wegen seiner Sün<strong>de</strong>n wird ein Mensch mit <strong>de</strong>n Tieren ver­<br />

glichen (vgl. Art. 2 Zu 3). Doch ein schweren Scha<strong>de</strong>n verursa­<br />

chen<strong>de</strong>s wil<strong>de</strong>s Tier darf je<strong>de</strong> Privatperson töten. Also mit glei­<br />

chem Gr<strong>und</strong> auch einen sündigen Menschen.<br />

3. Lobenswert ist, wenn sich ein Mensch auch als Privatper­<br />

son zum N<strong>utz</strong>en <strong>de</strong>s Gemeinwohls einsetzt. Nun schlägt aber<br />

das Töten von Übeltätern zum N<strong>utz</strong>en <strong>de</strong>s Gemeinwohls aus<br />

(vgl. o.). Also ist es lobenswert, wenn auch Privatpersonen<br />

Übeltäter töten.<br />

DAGEGEN schreibt Augustinus im I. Buch <strong>de</strong>s Gottesstaates<br />

(vgl. Frdbl, 965): „Wer ohne öffentlichen Auftrag einen Verbre­<br />

cher tötet, wird wie ein Mör<strong>de</strong>r verurteilt, <strong>und</strong> dies umso mehr,<br />

als er sich nicht scheute, sich eine Vollmacht anzumaßen, die er<br />

von Gott nicht erhalten hat."<br />

ANTWORT. Wie gesagt (Art. 2), darf man einen Menschen<br />

töten, insofern dies auf das Wohl <strong>de</strong>r ganzen Gemeinschaft hin­<br />

geordnet ist [25]. Daher steht dies nur jenem zu, in <strong>de</strong>ssen Hän­<br />

<strong>de</strong>n die Sorge für das Gemeinwohl ruht, wie es Sache <strong>de</strong>s Arztes<br />

ist, ein fauliges Glied abzuschnei<strong>de</strong>n, wenn ihm die Sorge für<br />

<strong>de</strong>n ganzen Körper übertragen wur<strong>de</strong>. Die Sorge für das<br />

Gemeinwohl nun liegt in <strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r regieren<strong>de</strong>n Fürsten,<br />

<strong>und</strong> <strong>de</strong>shalb steht es nur ihnen zu, Übeltäter zu töten, nicht aber<br />

Privatpersonen.<br />

91


64. 4 Zu 1. Wer autoritativ befiehlt, ist <strong>de</strong>r wahre Täter, so Diony­<br />

sius in seiner Caelestis hierarchia c. 13 (MG 3,305). Augustinus<br />

bemerkt daher im I.Buch seines Gottesstaates (c. 21;<br />

ML 41,35): „Nicht <strong>de</strong>r tötet, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Befehlen<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n Dienst<br />

schul<strong>de</strong>t wie ein Schwert <strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r es führt." Daher haben jene,<br />

die auf göttlichen Befehl hin ihre Nächsten <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>e töte­<br />

ten, dies nicht selber getan, son<strong>de</strong>rn vielmehr jener, in <strong>de</strong>ssen<br />

Namen sie es ausgeführt, so wie ein Soldat im Auftrag <strong>de</strong>s Für­<br />

sten <strong>de</strong>n Feind tötet, <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Henker <strong>de</strong>n Räuber im Namen<br />

<strong>de</strong>s Richters.<br />

Zu 2. Das Tier unterschei<strong>de</strong>t sich von Natur aus vom Men­<br />

schen. Daher bedarf es keines richterlichen Urteils, ob es, falls<br />

frei lebend, getötet wer<strong>de</strong>n darf. Bei Haustieren jedoch ist ein<br />

Urteil nötig, zwar nicht wegen ihrer selbst, son<strong>de</strong>rn wegen <strong>de</strong>s<br />

Scha<strong>de</strong>ns für <strong>de</strong>n Eigentümer. Ein sündiger Mensch hingegen<br />

unterschei<strong>de</strong>t sich nicht <strong>de</strong>r Natur nach von <strong>de</strong>n gerechten<br />

Menschen <strong>und</strong> daher ist ein öffentliches Gerichtsverfahren not­<br />

wendig, um zu entschei<strong>de</strong>n, ob er wegen <strong>de</strong>s Gemeinwohls<br />

getötet wer<strong>de</strong>n soll.<br />

Zu 3. Etwas Unschädliches für das Wohl <strong>de</strong>r Allgemeinheit<br />

zu tun, ist je<strong>de</strong>r Privatperson erlaubt. Doch wenn dabei Scha­<br />

<strong>de</strong>n entsteht, darf es nicht ohne richterliches Urteil <strong>de</strong>ssen<br />

geschehen, <strong>de</strong>m es zusteht, abzuschätzen, was zum Wohl <strong>de</strong>s<br />

Ganzen <strong>de</strong>n Teilen entzogen wer<strong>de</strong>n darf.<br />

4. ARTIKEL<br />

Ist es Geistlichen erlaubt, Verbrecher zu töten?<br />

1. Geistliche müssen ihr Leben gestalten nach <strong>de</strong>m Wort <strong>de</strong>s<br />

Apostels (1 Kor4,6): „Seid meine Nachahmer, wie ich Christi<br />

Nachahmer bin." Damit wird uns nahegelegt, <strong>de</strong>m Beispiel<br />

Gottes <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Heiligen nachzueifern. Doch Gott selbst, <strong>de</strong>n<br />

wir verehren, tötet Verbrecher gemäß Psalm 135,10: „Erschlug<br />

<strong>de</strong>n Ägypter samt seiner Erstgeburt." Auch Moses ließ von <strong>de</strong>n<br />

Leviten 23 000 Menschen töten, weil sie vor <strong>de</strong>m gol<strong>de</strong>nen Kalb<br />

nie<strong>de</strong>rgekniet waren, wie in Ex 32,28 nachzulesen ist. Und <strong>de</strong>r<br />

Priester Pbinees schlug einen Israeliten nie<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r sich mit einer<br />

Midianiterin eingelassen hatte (Nm25,6ff.). Samuel tötete <strong>de</strong>n<br />

König Agag von Amalek (1 Sam 15,33) <strong>und</strong> Elias die Baalsprie­<br />

ster (3 Kön 18,40) <strong>und</strong> Mathathias <strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r gera<strong>de</strong> opfern wollte<br />

92


(1 Makk2,24), <strong>und</strong> im Neuen Testament Petrus das Ehepaar 64.4<br />

Ananias <strong>und</strong> Saphira (Apg5,3ff.). Also ist es auch <strong>de</strong>n Geistlichen<br />

erlaubt, Übeltäter zu töten.<br />

2. Die geistliche Macht steht über <strong>de</strong>r weltlichen <strong>und</strong> ist Gott<br />

mehr verb<strong>und</strong>en. Nun darf die weltliche Macht als „Dienerin<br />

Gottes", wie es im Römerbrief 13,4 heißt, die Verbrecher töten.<br />

Also steht es noch viel mehr <strong>de</strong>n Geistlichen zu, die als Diener<br />

Gottes geistliche Vollmacht besitzen, Verbrecher zu töten.<br />

3. Wer rechtmäßig ein Amt übernimmt, darf erlaubterweise<br />

tun, was in die Zuständigkeit dieses Amtes fällt. Nun ist es die<br />

amtliche Aufgabe <strong>de</strong>r Fürsten <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong>, die Verbrecher zu töten<br />

(vgl. Art. 3), also dürfen auch jene Geistliche, die zugleich Für­<br />

sten sind, Verbrecher töten.<br />

DAGEGEN heißt es im 1.Brief an Timotheus 3,2f.: „Der<br />

Bischof soll ohne Ta<strong>de</strong>l, <strong>de</strong>m Trunk nicht ergeben <strong>und</strong> kein Tot­<br />

schläger sein."<br />

ANTWORT. Aus zwei Grün<strong>de</strong>n dürfen die Geistlichen nicht<br />

töten. Erstens, weil sie für <strong>de</strong>n Dienst am Altar ausersehen sind,<br />

an <strong>de</strong>m das Lei<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s getöteten Christus dargestellt wird, <strong>de</strong>r,<br />

„da er geschlagen wur<strong>de</strong>, selbst nicht schlug", wie es im<br />

1. Petrusbrief 2,23 heißt. Daher geziemt es sich nicht, daß<br />

Geistliche schlagen o<strong>de</strong>r töten, <strong>de</strong>nn die Diener müssen sich<br />

ihren Herrn zum Vorbild nehmen gemäß <strong>de</strong>m Wort <strong>de</strong>s Jesus<br />

Sirach 10,2: „Wie die Richter <strong>de</strong>s Volkes, so seine Diener" [26].<br />

Zweitens, weil <strong>de</strong>n Geistlichen <strong>de</strong>r Dienst <strong>de</strong>s Neuen B<strong>und</strong>es<br />

obliegt, in <strong>de</strong>m Töten <strong>und</strong> Körperverletzung nicht als Strafe<br />

festgesetzt sind. Sie müssen daher, um „würdige Diener <strong>de</strong>s<br />

Neuen Testamentes zu sein" (2 Kor 3,6), solches unterlassen.<br />

Zu 1. Gott wirkt überall in allem das Gute, für <strong>de</strong>n einzel­<br />

nen jedoch das, was ihm angemessen ist. Daher muß je<strong>de</strong>r Gott<br />

in <strong>de</strong>m nachahmen, was für ihn beson<strong>de</strong>rs angemessen ist.<br />

Wenn nun Gott die Missetäter körperlich tötet, ist es nicht<br />

nötig, daß ihn alle hierin nachahmen. - Petras hat nicht aus eigener<br />

Vollmacht o<strong>de</strong>r mit eigener Hand Ananias <strong>und</strong> Saphira<br />

getötet, son<strong>de</strong>rn damit vielmehr <strong>de</strong>n göttlichen Urteilsspruch<br />

über ihren Tod verkün<strong>de</strong>t. - Priester <strong>und</strong> Leviten waren im<br />

Alten Testament Diener <strong>de</strong>s Alten Gesetzes, das körperliche<br />

Strafen verhängte, <strong>und</strong> <strong>de</strong>shalb stand es ihnen auch zu, mit eige­<br />

ner Hand zu töten.<br />

Zu 2. Der geistliche Dienst ist auf einen höheren Zweck als<br />

auf Vollstreckung von To<strong>de</strong>sstrafen ausgerichtet, nämlich auf<br />

93


64. 5 das, was zum Seelenheil gehört. Daher ist es für sie unpassend,<br />

sich mit etwas weniger Wichtigem abzugeben.<br />

Zu 3. Kirchenprälaten übernehmen ein fürstliches Amt<br />

nicht, um selber Bluturteile zu vollstrecken, sie geben dazu<br />

an<strong>de</strong>ren <strong>de</strong>n obrigkeitlichen Auftrag [27].<br />

5. ARTIKEL<br />

Darf man sich selber töten? [28]<br />

1. Mord ist Sün<strong>de</strong>, insofern er <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> wi<strong>de</strong>r­<br />

spricht. Doch niemand kann sich selber Unrecht antun, wie im<br />

V.Buch <strong>de</strong>r Ethik (c. 15; 1138a4) bewiesen wird. Also sündigt<br />

nicht, wer sich selber tötet.<br />

2. Wer öffentliche Vollmacht besitzt, darf Verbrecher töten.<br />

Doch bisweilen ist <strong>de</strong>r Inhaber öffentlicher Vollmacht selbst ein<br />

Verbrecher. Also darf er sich auch selber töten.<br />

3. Es ist erlaubt, sich aus eigenem Entschluß in eine gerin­<br />

gere Gefahr zu begeben, um eine größere zu vermei<strong>de</strong>n, wie es<br />

z. B. erlaubt ist, sich zum Wohl <strong>de</strong>s ganzen Körpers selbst ein<br />

fauliges Glied abzuschnei<strong>de</strong>n. Nun kann es sein, daß einer<br />

durch Selbsttötung einem größeren Übel, einem elen<strong>de</strong>n Leben<br />

o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Schan<strong>de</strong> einer Sün<strong>de</strong> aus <strong>de</strong>m Weg geht. Also ist es<br />

erlaubt, sich selbst zu töten.<br />

4. Samson tötete sich selber wie im Buch <strong>de</strong>r Richter (16,30)<br />

steht, <strong>und</strong> <strong>de</strong>nnoch zählt er zu <strong>de</strong>n Heiligen (Hebr 11,32). Also<br />

ist es erlaubt, sich selbst zu töten.<br />

5. Im 2. Makkabäerbuch 14,41 ff. wird berichtet, daß ein<br />

gewisser Razias (Rasis) sich selbst das Leben nahm, „<strong>de</strong>nn er<br />

wollte lieber in Ehren sterben, als <strong>de</strong>n Frevlern in die Hän<strong>de</strong> fal­<br />

len <strong>und</strong> eine schimpfliche Behandlung erfahren, die seiner edlen<br />

Herkunft unwürdig war". Nichts aber, was e<strong>de</strong>lmütig <strong>und</strong> tap­<br />

fer getan wird, ist unerlaubt. Also ist gegen Selbstmord nichts<br />

einzuwen<strong>de</strong>n.<br />

DAGEGEN schreibt Augustinus im I. Buch <strong>de</strong>s Gottesstaates<br />

(c.20; ML41,35): „Es bleibt nur übrig, das Verbot ,Du sollst<br />

nicht töten' vom Menschen zu verstehen: we<strong>de</strong>r einen an<strong>de</strong>ren<br />

noch dich selbst sollst du töten. Denn wer sich selbst tötet, tötet<br />

eben auch einen Menschen."<br />

ANTWORT. Sich selbst zu töten ist aus dreifachem Gr<strong>und</strong><br />

ganz <strong>und</strong> gar unerlaubt.<br />

94


1. Weil sich je<strong>de</strong>s Wesen von Natur aus liebt, <strong>und</strong> dazu 64. 5<br />

gehört, daß es aus naturhaftem Drang sich seine Existenz<br />

sichert <strong>und</strong> sich allem Zerstörerischen nach Kräften entgegen­<br />

stellt. Daher ist Selbstmord gegen <strong>de</strong>n Naturtrieb <strong>und</strong> die Cari­<br />

tas gerichtet, mit <strong>de</strong>r ein je<strong>de</strong>r sich selber lieben muß. Aus die­<br />

sem Gr<strong>und</strong> ist Selbstmord auch immer schwere Sün<strong>de</strong>, eben<br />

weil er gegen das Naturgesetz <strong>und</strong> gegen die Caritas verstößt.<br />

2. Weil je<strong>de</strong>r Teil als Teil <strong>de</strong>m Ganzen gehört. Der Mensch<br />

jedoch ist Teil <strong>de</strong>r Gemeinschaft, <strong>und</strong> so gehört er als solcher ihr<br />

an. Daher fügt er <strong>de</strong>r Gemeinschaft, wenn er sich das Leben<br />

nimmt, einen Scha<strong>de</strong>n zu, wie Aristoteles im V.Buch seiner<br />

Ethik (c. 15; 1138all) erklärt.<br />

3. Weil das Leben ein Geschenk Gottes für <strong>de</strong>n Menschen ist<br />

<strong>und</strong> <strong>de</strong>r Macht <strong>de</strong>ssen unterworfen bleibt, „<strong>de</strong>r tötet <strong>und</strong> leben­<br />

dig macht". Wer sich das Leben nimmt, sündigt daher gegen<br />

Gott genau so, wie sich einer, <strong>de</strong>r einen frem<strong>de</strong>n Sklaven tötet,<br />

gegen <strong>de</strong>n Herrn <strong>de</strong>s Sklaven versündigt, <strong>und</strong> wie einer sündigt,<br />

<strong>de</strong>r sich ein Urteil über eine Sache anmaßt, für die er nicht<br />

zuständig ist. Gott allein nämlich steht das Urteil über Tod <strong>und</strong><br />

Leben zu gemäß <strong>de</strong>m Wort in Dt 32,39: „Ich bin es, <strong>de</strong>r tötet<br />

<strong>und</strong> <strong>de</strong>r lebendig macht."<br />

Zu 1. Der Mord ist nicht nur Sün<strong>de</strong>, weil er sich gegen die<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>, son<strong>de</strong>rn auch weil er sich gegen die Liebe richtet,<br />

die man zu sich selber haben muß. Und so gesehen be<strong>de</strong>utet<br />

Selbstmord Sün<strong>de</strong> gegen sich selbst. In Bezug auf die Gemein­<br />

schaft <strong>und</strong> auf Gott ist er aber auch eine Sün<strong>de</strong> gegen die<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>.<br />

Zu 2. Der Inhaber <strong>de</strong>r öffentlichen Gewalt kann einen Mis­<br />

setäter erlaubterweise töten, weil er ihn richten kann. Niemand<br />

aber ist Richter seiner selbst. Daher darf sich <strong>de</strong>r Inhaber <strong>de</strong>r<br />

öffentlichen Gewalt nicht selber töten, was auch immer sein<br />

Vergehen sein mag. Doch bleibt es ihm unbenommen, sich <strong>de</strong>m<br />

Gericht an<strong>de</strong>rer zu stellen.<br />

Zu 3. Der Mensch wird Herr seiner selbst durch seine Wil­<br />

lensfreiheit. Er kann daher frei über sich verfügen in allen Berei­<br />

chen <strong>de</strong>s Lebens, die seiner freien Entscheidung unterliegen.<br />

Doch <strong>de</strong>r Übergang von diesem Leben in ein an<strong>de</strong>res glückli­<br />

cheres fällt nicht in die Kompetenz <strong>de</strong>r menschlichen Willens­<br />

freiheit, son<strong>de</strong>rn hängt von <strong>de</strong>r Macht Gottes ab. Deshalb darf<br />

<strong>de</strong>r Mensch nicht Hand an sich legen, um in ein glücklicheres<br />

Leben hinüberzugehen.<br />

95


64. 5 Ebensowenig, um <strong>de</strong>m Elend <strong>de</strong>r irdischen Existenz zu ent­<br />

gehen. Denn „das letzte" aller Übel dieses Lebens <strong>und</strong> „das<br />

schrecklichste" ist <strong>de</strong>r Tod, wie Aristoteles im III. Buch seiner<br />

Ethik (c.9; 1115 a 26) bemerkt. Und daher be<strong>de</strong>utet, sich <strong>de</strong>n<br />

Tod antun, um <strong>de</strong>r Drangsal dieses Lebens zu entfliehen, ein<br />

größeres Übel auf sich nehmen, um ein kleineres zu vermei<strong>de</strong>n.<br />

Ebensowenig ist es erlaubt, seinem Leben wegen einer be­<br />

gangenen Sün<strong>de</strong> freiwillig ein En<strong>de</strong> zu setzen. Denn einmal fügt<br />

man sich dadurch <strong>de</strong>n größten Scha<strong>de</strong>n zu, daß man sich <strong>de</strong>r<br />

nötigen Zeit zur Buße beraubt, <strong>und</strong> sodann darf man einen Mis­<br />

setäter ja auch nur aufgr<strong>und</strong> eines Urteils <strong>de</strong>r öffentlichen<br />

Gewalt seines Lebens berauben.<br />

Ebensowenig ist es einer Frau erlaubt, sich zu töten, um einer<br />

Vergewaltigung zu entrinnen. Denn sie darf nicht selbst das<br />

größte Verbrechen begehen - nämlich Selbstmord -, um das<br />

Verbrechen eines an<strong>de</strong>ren zu verhin<strong>de</strong>rn. Sie selber macht sich<br />

durch die Vergewaltigung ja keines Verbrechens schuldig, wenn<br />

sie ihr nicht zustimmt, <strong>de</strong>nn „nur das innere Einverständnis<br />

befleckt <strong>de</strong>n Leib", sagt die heilige Luzia (vgl. Jacobus <strong>de</strong> Vora-<br />

gine: Legenda aurea 4,1). Unzucht <strong>und</strong> Ehebruch sind aber<br />

sicher weniger schlimm als Mord, vor allem seiner selbst, er ist<br />

eine sehr schwere Sün<strong>de</strong>, weil man <strong>de</strong>m scha<strong>de</strong>t, <strong>de</strong>m man doch<br />

die größte Liebe schul<strong>de</strong>t. Zu<strong>de</strong>m ist sie höchst gefährlich, weil<br />

keine Zeit mehr bleibt, um sie durch Buße zu sühnen.<br />

Ebensowenig ist Selbstmord erlaubt aus Furcht, man könnte<br />

in eine Sün<strong>de</strong> einwilligen. Denn „man darf nichts Schlechtes<br />

tun, damit etwas Gutes daraus entspringt" (Rom 3,8), o<strong>de</strong>r um<br />

Übel zu verhüten, beson<strong>de</strong>rs kleinere <strong>und</strong> weniger wahrschein­<br />

liche. Es ist nämlich keineswegs sicher, daß man <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> spä­<br />

ter zustimmen wird, ist Gott doch mächtig genug, <strong>de</strong>n Men­<br />

schen, wenn die Versuchung über ihn kommt, vor <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> zu<br />

bewahren.<br />

Zu 4. Im I.Buch seines Gottesstaates (c.21; ML41,35)<br />

schreibt Augustinus: „Auch Samson, <strong>de</strong>r sich selbst mitsamt <strong>de</strong>n<br />

Fein<strong>de</strong>n unter <strong>de</strong>n Trümmern seines Hauses begrub, fin<strong>de</strong>t nur<br />

darin eine Entschuldigung, daß ihm <strong>de</strong>r Geist, <strong>de</strong>r durch ihn<br />

W<strong>und</strong>er tat, dies heimlich befahl." Die gleiche Begründung<br />

führt er zugunsten gewisser heiliger Frauen, die sich in <strong>de</strong>r Ver­<br />

folgungszeit selbst das Leben nahmen <strong>und</strong> <strong>de</strong>ren An<strong>de</strong>nken in<br />

<strong>de</strong>r Kirche gefeiert wird.<br />

96


Zu 5. Die Tapferkeit verlangt, sich um <strong>de</strong>r Tugend willen 64. 6<br />

<strong>und</strong> um die Sün<strong>de</strong> zu vermei<strong>de</strong>n, von einem an<strong>de</strong>ren töten zu<br />

lassen. Doch selber Hand an sich zu legen, um Grausamkeiten<br />

zu entrinnen, sieht zwar nach Tapferkeit aus, <strong>und</strong> manche<br />

haben Selbstmord begangen in <strong>de</strong>r Meinung, damit eine Hel­<br />

<strong>de</strong>ntat zu begehen - in diese Reihe gehört auch Razias -, doch in<br />

Wirklichkeit han<strong>de</strong>lt es sich dabei nicht um echte Tapferkeit,<br />

son<strong>de</strong>rn eher um seelische Schwäche, die nicht imstan<strong>de</strong> ist,<br />

Grausamkeiten zu ertragen (vgl. Aristoteles: Eth. III, 11;<br />

1116a 12. Augustinus: Gottesstaat 1,22 u.23; ML41,35ff.).<br />

6. ARTIKEL<br />

Darf man in bestimmten Fällen einen Unschuldigen töten?<br />

1. Sün<strong>de</strong> ist gewiß kein Zeichen von Gottesfurcht, <strong>de</strong>nn<br />

„Gottesfurcht vertreibt vielmehr die Sün<strong>de</strong>", wie es bei Jesus<br />

Sirach 1,27 heißt. Doch Abraham wur<strong>de</strong> als gottesfurchtig<br />

gepriesen, weil er seinen unschuldigen Sohn töten wollte. Also<br />

kann jemand einen Unschuldigen töten, ohne zu sündigen.<br />

2. Eine Sün<strong>de</strong> gegen <strong>de</strong>n Nächsten wiegt umso schwerer, je<br />

größer <strong>de</strong>r Scha<strong>de</strong>n ist, <strong>de</strong>n man einem an<strong>de</strong>ren zufügt. Doch<br />

schlimmeren Scha<strong>de</strong>n fügt man durch Tötung einem Sün<strong>de</strong>r als<br />

einem Unschuldigen zu, <strong>de</strong>nn dieser geht aus <strong>de</strong>m Jammertal<br />

dieses Lebens nach <strong>de</strong>m Tod in die himmlische Glorie ein. Da<br />

man nun gegebenenfalls einen Sün<strong>de</strong>r töten darf, ist es noch viel<br />

mehr erlaubt, einen Unschuldigen o<strong>de</strong>r Gerechten zu töten.<br />

3. Was nach <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>sordnung geschieht, ist keine Sün<strong>de</strong>.<br />

Doch bisweilen wird jemand gezwungen, entsprechend <strong>de</strong>r<br />

<strong>Recht</strong>sordnung einen Unschuldigen zu töten, z.B. wenn ein<br />

Richter, <strong>de</strong>r nach <strong>de</strong>n vorgebrachten Aussagen richten muß,<br />

einen, von <strong>de</strong>ssen Unschuld er überzeugt ist, unter <strong>de</strong>r Beweis­<br />

last falscher Zeugen zum Tod verurteilt. Also kann jemand ohne<br />

Sün<strong>de</strong> einen Unschuldigen töten.<br />

DAGEGEN heißt es im Buch Ex 23,7: „Wer unschuldig <strong>und</strong><br />

im <strong>Recht</strong> ist, <strong>de</strong>n bring' nicht um sein Leben."<br />

ANTWORT. Der Mensch kann unter einem zweifachen Ge­<br />

sichtspunkt betrachtet wer<strong>de</strong>n: einmal an sich, <strong>und</strong> sodann in<br />

Beziehung zu etwas an<strong>de</strong>rem. Betrachtet man ihn an sich, so<br />

darf man keinen Menschen töten, <strong>de</strong>nn in je<strong>de</strong>m, auch im Sün­<br />

<strong>de</strong>r, müssen wir die von Gott geschaffene Natur lieben, die<br />

97


64. 6 durch Tötung zerstört wird. Doch, wie oben (Art. 2) dargelegt,<br />

wird die Tötung <strong>de</strong>s Sün<strong>de</strong>rs im Hinblick auf das Gemeinwohl,<br />

das die Sün<strong>de</strong> zugr<strong>und</strong>erichtet, erlaubt. Das Leben <strong>de</strong>r Gerech­<br />

ten hingegen erhält das Gemeinwohl <strong>und</strong> bringt es zur Blüte,<br />

<strong>de</strong>nn sie bil<strong>de</strong>n die Elite <strong>de</strong>r Gesellschaft. Aus diesem Gr<strong>und</strong> ist<br />

es niemals erlaubt, einen Unschuldigen zu töten.<br />

Zu 1. Gott hält Leben <strong>und</strong> Tod in seiner Hand, <strong>de</strong>nn nach<br />

seinem Willen sterben Sün<strong>de</strong>r <strong>und</strong> Gerechte. Wer darum auf<br />

Befehl Gottes einen Unschuldigen tötet, sündigt so wenig wie<br />

Gott selbst, <strong>de</strong>ssen Vollstrecker er ist, <strong>und</strong> in<strong>de</strong>m er seinen<br />

Geboten gehorcht, erweist er sich als gottesfürchtig.<br />

Zu 2. Bei <strong>de</strong>r Beurteilung <strong>de</strong>r Schwere einer Sün<strong>de</strong> muß<br />

man mehr die Sache an sich als das zufällig Hinzukommen<strong>de</strong><br />

ins Auge fassen. Daher sündigt schwerer, wer einen Unschuldi­<br />

gen als wer einen Sün<strong>de</strong>r tötet, <strong>und</strong> zwar 1. weil er <strong>de</strong>m Scha<strong>de</strong>n<br />

zufügt, <strong>de</strong>n er mehr lieben muß, <strong>und</strong> so verstößt er auch mehr<br />

gegen das Gebot <strong>de</strong>r Liebe. 2. weil er <strong>de</strong>m Unrecht antut, <strong>de</strong>r es<br />

am wenigsten verdient. Er versündigt sich also in erhöhtem<br />

Maße gegen die <strong>Gerechtigkeit</strong>. 3. weil er dadurch die Gemein­<br />

schaft eines wertvolleren Gutes beraubt. 4. weil er Gott<br />

dadurch mehr verachtet gemäß <strong>de</strong>m Lukaswort 10,16: „Wer<br />

euch verachtet, verachtet mich." - Daß Gott <strong>de</strong>n getöteten<br />

Gerechten in die ewige Herrlichkeit geleitet, hat mit <strong>de</strong>r Tötung<br />

nur zufällig etwas zu tun.<br />

Zu 3. Wenn <strong>de</strong>r Richter von <strong>de</strong>r Unschuld eines Angeklag­<br />

ten, <strong>de</strong>r durch falsche Zeugen überführt wur<strong>de</strong>, überzeugt ist,<br />

muß er die Zeugen, um <strong>de</strong>n Unschuldigen zu retten, nach­<br />

drücklicher verhören, so wie es Daniel gemacht hat (Dnl3,<br />

51 ff.). Gelingt ihm dies nicht, hat er <strong>de</strong>n Angeklagten an die<br />

höhere Instanz zu überweisen. Läßt sich auch dies nicht<br />

machen, sündigt er nicht, wenn er sein Urteil nach <strong>de</strong>n vorlie­<br />

gen<strong>de</strong>n Beweisen fällt, <strong>de</strong>nn nicht er ist es dann, <strong>de</strong>r einen<br />

Unschuldigen ums Leben bringt, son<strong>de</strong>rn jene sind es, die seine<br />

Schuld behaupten. - Enthält <strong>de</strong>r Richterspruch einen unerträg­<br />

lichen Irrtum, dann muß <strong>de</strong>r Vollstreckungsbeamte <strong>de</strong>s Rich­<br />

ters, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Unschuldigen verurteilt hat, <strong>de</strong>n Gehorsam ver­<br />

weigern, <strong>de</strong>nn sonst gingen die Henker schuldlos aus, die Glau­<br />

benszeugen zu To<strong>de</strong> gebracht haben. Liegt jedoch keine offen­<br />

bare Ungerechtigkeit vor, dann sündigt er durch die Ausfüh­<br />

rung <strong>de</strong>r richterlichen Anordnung nicht, <strong>de</strong>nn er hat <strong>de</strong>n Spruch<br />

98


seines Vorgesetzten nicht <strong>de</strong>r Prüfung zu unterziehen, <strong>und</strong> 64. 7<br />

schließlich tötet nicht er, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Richter, in <strong>de</strong>ssen<br />

Diensten er steht.<br />

7. ARTIKEL<br />

Darf man in Notwehr jeman<strong>de</strong>n töten?<br />

1. Augustinus schreibt an Publicola (Brief 47; ML 33,186):<br />

„Der Rat, Menschen zu töten, damit man von diesen nicht<br />

selbst ums Leben gebracht wird, gefällt mir keineswegs, es<br />

handle sich <strong>de</strong>nn um einen Soldaten o<strong>de</strong>r einen Beamten, <strong>de</strong>r<br />

dies nicht im eigenen Interesse, son<strong>de</strong>rn für an<strong>de</strong>re tut, <strong>und</strong><br />

zwar mit legitimer, ihm angemessener Vollmacht." Doch wer in<br />

Notwehr jeman<strong>de</strong>n tötet, tut dies, damit nur er selbst nicht ums<br />

Leben kommt. Also ist dies unerlaubt.<br />

2. Im I. Buch Über die Willensfreiheit (c.5; ML 32,1228)<br />

schreibt Augustinus: „Wie sollen die vor <strong>de</strong>r göttlichen Vor­<br />

sehung von Sün<strong>de</strong> frei sein, die sich wegen Dingen, die man ver­<br />

achten soll, mit Mord beflecken?"Jene Dinge aber seien zu ver­<br />

achten, sagt er entsprechend <strong>de</strong>m Zusammenhang, welche die<br />

Menschen gegen ihren Willen verlieren können. Dazu aber<br />

gehört das leibliche Leben. Also darf niemand, um sein leib­<br />

liches Leben zu retten, einen Menschen töten.<br />

3. Papst Nikolaus I. sagt (ML 119,1131) - das Zitat fin<strong>de</strong>t<br />

sich in <strong>de</strong>n Dekreten (dist. 50; Frdbl, 179) - : „Du hast mich um<br />

Rat gefragt, ob jene Geistlichen, die in Notwehr einen Hei<strong>de</strong>n<br />

getötet haben, nach verrichteter Buße ihren früheren Rang wie­<br />

<strong>de</strong>r einnehmen o<strong>de</strong>r in einen höheren aufsteigen könnten.<br />

Wisse nun, daß Wir es für keinen Fall rechtfertigen <strong>und</strong> ihnen in<br />

keiner Weise gestatten können, irgen<strong>de</strong>inen Menschen auf<br />

irgen<strong>de</strong>ine Weise zu töten." Doch allgemein sind Geistliche wie<br />

Laien auf die Einhaltung <strong>de</strong>r sittlichen Gebote verpflichtet. Also<br />

ist es auch Laien nicht erlaubt, jeman<strong>de</strong>n bei <strong>de</strong>r Selbstverteidi­<br />

gung zu töten.<br />

4. Mord ist schlimmer als einfache Unzucht o<strong>de</strong>r Ehebruch.<br />

Doch niemand darf Unzucht treiben o<strong>de</strong>r Ehebruch o<strong>de</strong>r eine<br />

an<strong>de</strong>re schwere Sün<strong>de</strong> begehen, um sein Leben zu retten, <strong>de</strong>nn<br />

das Leben <strong>de</strong>r Seele ist <strong>de</strong>m <strong>de</strong>s Leibes vorzuziehen. Also darf<br />

niemand in Notwehr einen an<strong>de</strong>ren töten, um selber mit <strong>de</strong>m<br />

Leben davonzukommen.<br />

99


64. 7 5. Ist <strong>de</strong>r Baum schlecht, dann auch die Frucht, wie es bei Mt<br />

7,17 heißt. Doch die Selbstverteidigung als solche ist schlecht<br />

gemäß Rom 12,19: „Ihr sollt euch nicht selbst verteidigen, liebe<br />

Brü<strong>de</strong>r." Also ist das Töten eines Menschen, das sich dabei<br />

ergibt, unerlaubt.<br />

DAGEGEN heißt es im Buch Ex 22,2: „Wenn ein Dieb in ein<br />

Haus einbricht o<strong>de</strong>r es untergräbt <strong>und</strong> dabei ertappt wird <strong>und</strong><br />

an einer zugefügten Verletzung stirbt, zieht sich, wer ihn<br />

erschlagen, keine Blutschuld zu." Doch noch viel mehr als sein<br />

Haus darf man sein Leben verteidigen. Also ist jemand, <strong>de</strong>r in<br />

Verteidigung seines Lebens einen an<strong>de</strong>ren tötet, keines Mor<strong>de</strong>s<br />

schuldig.<br />

ANTWORT. Ein einziger Akt kann durchaus zwei Wirkun­<br />

gen hervorbringen, von <strong>de</strong>nen nur die eine beabsichtigt, die<br />

an<strong>de</strong>re jedoch nicht gewollt ist. Die Art einer sittlichen Hand­<br />

lung wird jedoch von <strong>de</strong>m geprägt, was beabsichtigt ist, <strong>und</strong><br />

nicht von <strong>de</strong>m, was ihr fern liegt, <strong>de</strong>nn dies stellt sich nur als un­<br />

gewollte Nebenwirkung ein, wie oben auseinan<strong>de</strong>rgelegt wur<strong>de</strong><br />

(43,3; I-II72,1). Die Selbstverteidigung kann nun zwei Wir­<br />

kungen zur Folge haben: die eine ist die Erhaltung <strong>de</strong>s eigenen<br />

Lebens, die an<strong>de</strong>re <strong>de</strong>r Tod <strong>de</strong>s Angreifers. Ein solcher Akt hat,<br />

weil die Erhaltung <strong>de</strong>s eigenen Lebens dabei beabsichtigt wird,<br />

nichts Unerlaubtes an sich, <strong>de</strong>nn je<strong>de</strong>r möchte sich natürlich<br />

nach Kräften in seiner Existenz erhalten. Eine gut gemeinte<br />

Handlung kann jedoch fragwürdig wer<strong>de</strong>n, wenn sie ihrem<br />

Zweck nicht angepaßt ist. Daher ist es unerlaubt, bei <strong>de</strong>r Vertei­<br />

digung <strong>de</strong>s eigenen Lebens mehr Gewalt einzusetzen als nötig.<br />

Wird <strong>de</strong>r Angriff jedoch maßvoll abgewehrt, dann ist die Vertei­<br />

digung moralisch in Ordnung, <strong>de</strong>nn nach <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>ssammlung<br />

(Frdbll, 801) „ist es erlaubt, ,mit moralisch abgewogener<br />

Sch<strong>utz</strong>maßnahme' Gewalt zurückzuweisen". Dabei ist es nicht<br />

heilsnotwendig, die moralisch abgewogene Sch<strong>utz</strong>maßnahme<br />

zu unterlassen, um <strong>de</strong>n Tod <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>ren zu vermei<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nn<br />

<strong>de</strong>r Mensch muß mehr für das eigene als für ein frem<strong>de</strong>s Leben<br />

Sorge tragen.<br />

Weil das Töten eines Menschen nur <strong>de</strong>r öffentlichen Gewalt<br />

um <strong>de</strong>s Gemeinwohls willen zusteht (vgl. Art. 3), darf nur <strong>de</strong>r<br />

Inhaber <strong>de</strong>r öffentlichen Autorität <strong>de</strong>n Tod eines Menschen bei<br />

<strong>de</strong>r Selbstverteidigung beabsichtigen, <strong>de</strong>nn jener richtet sein<br />

Tun auf das öffentliche Wohl aus. Dies trifft auf <strong>de</strong>n Soldaten,<br />

<strong>de</strong>r gegen <strong>de</strong>n Feind kämpft, <strong>und</strong> <strong>de</strong>n Justizbeamten bei seinem<br />

100


Einsatz gegen Räuber zu. Ist bei ihnen jedoch persönliche Will- 64. 8<br />

kür im Spiel, dann versündigen sich auch diese [29].<br />

Zu 1. Augustins Worte gelten für <strong>de</strong>n Fall <strong>de</strong>r absichtlichen<br />

Tötung zur Befreiung aus eigener To<strong>de</strong>sgefahr.<br />

Auf <strong>de</strong>n gleichen Fall <strong>de</strong>utet die zitierte Bemerkung aus<br />

Augustins Buch Über die Willensfreiheit. Daher wird dort das<br />

„für diese Fälle" unterstrichen, um damit die Absicht zu<br />

bezeichnen.<br />

Daraus ergibt sie die Antwort Zu 2.<br />

Zu 3. Auch wenn Tötung ohne Sün<strong>de</strong> ist, folgt daraus Irre­<br />

gularität (Weiheunwürdigkeit), wie dies beim Richter <strong>de</strong>r Fall<br />

ist, <strong>de</strong>r jeman<strong>de</strong>n gerechterweise zum To<strong>de</strong> verurteilt. So ist<br />

auch <strong>de</strong>r Kleriker, <strong>de</strong>r in Notwehr jeman<strong>de</strong>n getötet hat, irregu­<br />

lär, obwohl er nicht töten, son<strong>de</strong>rn nur sich verteidigen wollte<br />

[30].<br />

Zu 4. Unzucht <strong>und</strong> Ehebruch haben nicht notwendig etwas<br />

mit Rettung <strong>de</strong>s eigenen Lebens zu tun, wie im Fall einer Hand­<br />

lung mit möglicher To<strong>de</strong>sfolge [31].<br />

Zu 5. Mit <strong>de</strong>r angeführten Bibelstelle wird nur jene Selbst­<br />

verteidigung verboten, die <strong>de</strong>n Makel <strong>de</strong>r Rache an sich trägt.<br />

Daher sagt die Glosse (ML 191,1502): „Ihr sollt euch nicht<br />

verteidigen", d. h. „ihr sollt eueren Gegnern nicht heimzahlen."<br />

8. ARTIKEL<br />

Verstrickt sich, wer zufällig einen Menschen tötet, in Schuld?<br />

1. Gn 4,23 (Midrosch) lesen wir, Lantech habe, in <strong>de</strong>r Mei­<br />

nung, ein Tier zu erlegen, einen Menschen getötet, <strong>und</strong> dies<br />

wur<strong>de</strong> ihm als Schuld angerechnet. Also macht sich schuldig,<br />

wer zufällig einen Menschen tötet.<br />

2. Ex 21,22 f. steht geschrieben: „Wer eine schwangere Frau<br />

schlägt, <strong>und</strong> sie wegen einer dadurch erfolgten Fehlgeburt<br />

stirbt, soll Leben für Leben geben." Dies kann aber geschehen,<br />

ohne die Absicht zu töten. Also ist, wer durch Zufall jeman<strong>de</strong>n<br />

tötet, als schuldig zu erklären.<br />

3. In <strong>de</strong>n Dekreten (dist. 50; Frdbl, 178 ff.), wer<strong>de</strong>n mehrere<br />

Canones angeführt, in <strong>de</strong>nen unbeabsichtigte Tötung unter<br />

Strafe gestellt wird. Doch Strafe gibt es nicht ohne Schuld. Also<br />

macht sich schuldig, wer zufällig einen Menschen tötet.<br />

101


64. 8 DAGEGEN schreibt Augustinus an Publicola (Brief 47;<br />

ML 33,167): „Nie soll uns als Schuld angerechnet wer<strong>de</strong>n,<br />

wenn bei <strong>de</strong>m, was wir in guter Absicht <strong>und</strong> erlaubterweise tun,<br />

gegen unseren Willen etwas Schlechtes entsteht." Nun kommt<br />

es tatsächlich vor, daß <strong>de</strong>nen, die etwas Gutes tun, durch Zufall<br />

die Tötung eines Menschen unterläuft. Also wird ihnen dies<br />

nicht als Schuld angerechnet.<br />

ANTWORT. Nach Aristoteles (Phys Al, 6; 197b 18) geht <strong>de</strong>r<br />

Zufall von einer Ursache aus, die in keinem Zusammenhang<br />

mit <strong>de</strong>r Absicht <strong>de</strong>s Han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>n steht. Daher ist das zufällig<br />

Geschehen<strong>de</strong> an sich eben we<strong>de</strong>r beabsichtigt noch gewollt.<br />

Und weil nach Augustinus (Uber die wahre Religion, c. 14;<br />

ML 34,133) je<strong>de</strong> Sün<strong>de</strong> aus <strong>de</strong>m freien Willen hervorgeht, ist<br />

das zufällig Geschehen<strong>de</strong> als solches auch keine Sün<strong>de</strong>. Das tat­<br />

sächlich <strong>und</strong> an sich nicht Gewollte o<strong>de</strong>r Beabsichtigte kann<br />

jedoch unter Umstän<strong>de</strong>n als Nebenfolge gewollt <strong>und</strong> beabsich­<br />

tigt sein, insofern die Nebenursache nach einem Aristoteleswon<br />

(Phys. VIII, 4; 255 b 24) „hin<strong>de</strong>rnisbeseitigend" wirkt. Daher<br />

führt, wer das, woraus <strong>de</strong>r Tod folgt, nicht vermei<strong>de</strong>t, obwohl er<br />

es müßte, in gewissem Sinne willentlich <strong>de</strong>n Tod eines Men­<br />

schen herbei.<br />

Der Fall stellt sich in doppelter Weise. Einmal, wenn sich<br />

jemand mit unerlaubten Dingen, die er lassen müßte, abgibt<br />

<strong>und</strong> dabei <strong>de</strong>n Tod verursacht. Ein an<strong>de</strong>res Mal, wenn er es an<br />

<strong>de</strong>r nötigen Sorgfalt fehlen läßt. Wer sich daher - so die <strong>Recht</strong>s­<br />

sammlung (Frdbl, 197 u. II, 803) - mit erlaubten Dingen abgibt<br />

<strong>und</strong> dabei trotz aufgewandter Sorgfalt <strong>de</strong>r Tod eintritt, entgeht<br />

<strong>de</strong>m Vorwurf schuldhafter Tötung. Beschäftigt er sich jedoch<br />

mit etwas Unerlaubtem o<strong>de</strong>r auch mit etwas Erlaubtem, jedoch<br />

ohne die nötige Sorgfalt, dann ist er von Schuld nicht frei, falls<br />

sein Tun <strong>de</strong>n Tod eines Menschen zur Folge hat.<br />

Zu 1. Lantech hat nicht genügend Sorgfalt aufgewandt, um<br />

<strong>de</strong>n Tod eines Menschen zu verhüten, <strong>und</strong> darum ist er für die<br />

Tötung verantwortlich.<br />

Zu 2. Wer eine schwangere Frau schlägt, tut damit etwas<br />

Unerlaubtes. Wenn daraus <strong>de</strong>r Tod <strong>de</strong>r Frau o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r belebten<br />

Leibesfrucht folgt, ist er dafür verantwortlich, vor allem, wenn<br />

<strong>de</strong>r Tod sehr rasch nach seiner Mißhandlung eintritt.<br />

Zu 3. Nach <strong>de</strong>n Canones wer<strong>de</strong>n die mit Strafe belegt, die<br />

bei unerlaubtem Tun o<strong>de</strong>r fehlen<strong>de</strong>r Sorgfalt <strong>de</strong>n Tod eines<br />

Menschen zufällig verursachen [32].<br />

102


65. FRAGE<br />

ANDERE ARTEN VON UNRECHT<br />

GEGEN PERSONEN<br />

Nun muß noch von an<strong>de</strong>ren Unrechtssün<strong>de</strong>n gegen Perso­<br />

nen die Re<strong>de</strong> sein. Dabei stellen sich 4 Fragen:<br />

1. Die Verstümmelung.<br />

2. Die körperliche Züchtigung.<br />

3. Die Einkerkerung.<br />

4. Wird eine <strong>de</strong>rartige Sün<strong>de</strong> gegen die <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

dadurch schwerer, daß sie sich gegen eine mit an<strong>de</strong>ren<br />

verb<strong>und</strong>ene Person richtet?<br />

1. ARTIKEL<br />

Kann es gegebenenfalls erlaubt sein, jeman<strong>de</strong>n zu<br />

verstümmeln?<br />

1. Der Damaszener schreibt im II. Buch (De fi<strong>de</strong> orth. 4,20;<br />

MG94,1196), die Sün<strong>de</strong> bestehe „in <strong>de</strong>r Abwendung vom<br />

Naturgemäßen <strong>und</strong> in <strong>de</strong>r Hinwendung zum Naturwidrigen".<br />

Nun ist <strong>de</strong>r von Gott eingerichteten Natur gemäß, daß <strong>de</strong>r Kör­<br />

per alle seine Glie<strong>de</strong>r besitzt, gegen die Natur ist es, wenn er ein<br />

Glied verliert. Also ist es immer Sün<strong>de</strong>, jeman<strong>de</strong>n eines Glie<strong>de</strong>s<br />

zu berauben.<br />

2. Wie sich die ganze Seele zum ganzen Leib verhält, so ver­<br />

halten sich nach <strong>de</strong>m II. Buch <strong>de</strong>s Aristoteles Uber die Seele (c. 1;<br />

412 b 23) die Teile <strong>de</strong>r Seele zu <strong>de</strong>n Teilen <strong>de</strong>s Leibes. Doch nie­<br />

mand darf einen seiner Seele berauben, in<strong>de</strong>m er ihn tötet, es sei<br />

<strong>de</strong>nn die öffentliche Gewalt. Also ist auch Verstümmelung nicht<br />

erlaubt außer mit Zustimmung <strong>de</strong>r öffentlichen Gewalt.<br />

3. Das Heil <strong>de</strong>r Seele ist <strong>de</strong>m Heil <strong>de</strong>s Leibes vorzuziehen.<br />

Doch wegen <strong>de</strong>s Seelenheils darf sich niemand verstümmeln.<br />

Nach <strong>de</strong>n Bestimmungen <strong>de</strong>s Konzils von Nizäa (Mansi<br />

II, 667) wer<strong>de</strong>n die bestraft, die sich verstümmelt haben, um die<br />

Keuschheit zu bewahren. Also ist es auch aus an<strong>de</strong>rem Gr<strong>und</strong><br />

nicht erlaubt, jeman<strong>de</strong>n zu verstümmeln.<br />

DAGEGEN heißt es im Buch Ex 21,24: „Aug um Auge, Zahn<br />

um Zahn, Hand um Hand, Fuß um Fuß."<br />

103


65. 1 ANTWORT. Ein Glied als Glied ist Teil im Gesamt <strong>de</strong>s<br />

menschlichen Körpers. Darum steht es auch im Dienst <strong>de</strong>s<br />

Ganzen, so wie eben das Unvollkommene im Dienst <strong>de</strong>s Voll­<br />

kommenen steht. Daher muß man mit einem Glied <strong>de</strong>s Körpers<br />

so umgehen, wie es für das Ganze gut ist. An sich nun dient ein<br />

Glied <strong>de</strong>m Wohl <strong>de</strong>s ganzen Körpers, doch unter Umstän<strong>de</strong>n<br />

kann es auch einmal Scha<strong>de</strong>n stiften, z. B. wenn es wegen Fäul­<br />

nis <strong>de</strong>n übrigen Körper zu ver<strong>de</strong>rben droht. Ist also ein Glied<br />

ges<strong>und</strong> <strong>und</strong> funktionstüchtig, kann es ohne Beeinträchtigung<br />

<strong>de</strong>s ganzen Körpers nicht entfernt wer<strong>de</strong>n. Weil aber <strong>de</strong>r ganze<br />

Mensch auf die ganze Gemeinschaft, <strong>de</strong>ren Teil er ist, zielhaft<br />

ausgerichtet ist (vgl. 61,1), mag es vorkommen, daß die Beseiti­<br />

gung eines Glie<strong>de</strong>s, obwohl sie zum Nachteil <strong>de</strong>s ganzen Kör­<br />

pers ausschlägt, <strong>de</strong>nnoch <strong>de</strong>m Wohl <strong>de</strong>r Gemeinschaft dient,<br />

insofern sie einem als Strafe zur Verhin<strong>de</strong>rung von Sün<strong>de</strong>n auf­<br />

erlegt wird. Wie daher einer durch die öffentliche Gewalt wegen<br />

größerer Schuld erlaubterweise sein Leben verliert, so wird er<br />

auch wegen geringerer Schuld eines Glie<strong>de</strong>s beraubt. Eine Pri­<br />

vatperson darf dies jedoch nicht tun, auch nicht mit Einver­<br />

ständnis <strong>de</strong>ssen, <strong>de</strong>m das Glied gehört, <strong>de</strong>nn dadurch geschieht<br />

<strong>de</strong>r Gemeinschaft, in die <strong>de</strong>r Mensch mit allen seinen Teilen ein­<br />

geb<strong>und</strong>en ist, Unrecht.<br />

Droht jedoch ein fauliges Glied <strong>de</strong>n ganzen Körper anzustek-<br />

ken, dann darf das infizierte Glied mit Einverständnis <strong>de</strong>ssen,<br />

<strong>de</strong>m es gehört, um <strong>de</strong>r Ges<strong>und</strong>heit <strong>de</strong>s ganzen Körpers willen<br />

entfernt wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nn einem je<strong>de</strong>n ist die Sorge für die eigene<br />

Ges<strong>und</strong>heit anvertraut. Die gleiche Überlegung gilt für <strong>de</strong>n,<br />

<strong>de</strong>m die Ges<strong>und</strong>heitsüberwachung für einen Menschen, <strong>de</strong>r ein<br />

schadhaftes Glied hat, obliegt. Sonst jedoch ist es ganz <strong>und</strong> gar<br />

unerlaubt, jeman<strong>de</strong>n zu verstümmeln.<br />

Zu 1. Was im einzelnen Fall gegen die Natur ist, kann im ge­<br />

samten gesehen durchaus <strong>de</strong>r Natur entsprechen. So sind Tod<br />

<strong>und</strong> Auflösung in <strong>de</strong>r Welt <strong>de</strong>r natürlichen Dinge zwar gegen die<br />

Natur <strong>de</strong>s Einzeldinges, das davon betroffen wird, sie fügen<br />

sich jedoch in das Geschehen <strong>de</strong>r Gesamtnatur harmonisch ein.<br />

Ähnlich verhält es sich mit <strong>de</strong>r Verstümmelung: sie ist zwar im<br />

einzelnen gegen die körperliche Natur <strong>de</strong>s Verstümmelten, <strong>und</strong><br />

<strong>de</strong>nnoch entspricht sie im Hinblick auf das Gesamtwohl <strong>de</strong>r<br />

vernünftigen Ordnung <strong>de</strong>r Natur.<br />

Zu 2. Das Leben <strong>de</strong>s Menschen als Ganzes ist nicht auf<br />

etwas <strong>de</strong>m Menschen zu eigen Gehöriges hingeordnet, son<strong>de</strong>rn<br />

104


vielmehr dient alles, was zum Menschen gehört, seinem Leben. 65. 2<br />

Daher steht es einzig <strong>und</strong> allein <strong>de</strong>r öffentlichen Gewalt zu,<br />

jeman<strong>de</strong>m das Leben zu nehmen, <strong>de</strong>nn ihr ist die Sorge für das<br />

Gemeinwohl aufgetragen. Doch die Entfernung eines Glie<strong>de</strong>s<br />

kann <strong>de</strong>m persönlichen Wohl eines einzelnen Menschen dienen,<br />

<strong>und</strong> darum auch ihm persönlich zustehen.<br />

Zu 3. Man darf ein Glied wegen <strong>de</strong>r körperlichen Ges<strong>und</strong>­<br />

heit <strong>de</strong>s Ganzen nur dann entfernen, wenn sonst nicht zu helfen<br />

ist. Für die geistige Ges<strong>und</strong>heit jedoch läßt sich immer an<strong>de</strong>rs<br />

als durch Entfernung eines Glie<strong>de</strong>s sorgen, <strong>de</strong>nn die Sün<strong>de</strong><br />

hängt vom Willen ab. Daher ist die Entfernung eines Glie<strong>de</strong>s<br />

zur Vermeidung irgendwelcher Sün<strong>de</strong>n in keinem Fall erlaubt.<br />

Cbrysostomus schreibt <strong>de</strong>shalb in seiner Auslegung <strong>de</strong>s Mat­<br />

thäuswortes (19,12) „Es gibt Eunuchen, die sich wegen <strong>de</strong>s<br />

Himmelreiches selber kastriert haben" in <strong>de</strong>r Homilie 62<br />

(MG 58,599): „Dabei han<strong>de</strong>lt es sich nicht um das Abschnei­<br />

<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Glie<strong>de</strong>r, son<strong>de</strong>rn um das Ausmerzen <strong>de</strong>r schlechten<br />

Gedanken. Denn <strong>de</strong>m Fluch verfällt, wer sich ein Glied<br />

abschnei<strong>de</strong>t. Ein solcher nämlich nimmt sich heraus, was die<br />

Mör<strong>de</strong>r tun." Und dann fügt er noch bei (MG 58,600): „Auch<br />

wird die Begier<strong>de</strong> damit nicht etwa gebändigt, son<strong>de</strong>rn nur<br />

noch heftiger. Denn <strong>de</strong>r Same hat seine Quelle ganz woan<strong>de</strong>rs<br />

in uns, er kommt vor allem aus einem ungezügelten Gemüt <strong>und</strong><br />

einem ungeregelten Gedankenleben. Das Abschnei<strong>de</strong>n eines<br />

Glie<strong>de</strong>s dämpft die Versuchungen viel weniger als die Beherr­<br />

schung <strong>de</strong>r Gedanken."<br />

2. ARTIKEL<br />

Dürfen die Väter ihre Kin<strong>de</strong>r o<strong>de</strong>r die Herren ihre Diener<br />

schlagen?<br />

1. Der Apostel schreibt im Epheserbrief 6,4: „Ihr Väter, reizt<br />

eure Kin<strong>de</strong>r nicht zum Zorn." Und später (V. 9) fügt er hinzu:<br />

„Und ihr Herren, han<strong>de</strong>lt in gleicher Weise gegen eure Sklaven,<br />

ohne zu drohen." Nun wird mancheiner wegen körperlicher<br />

Züchtigungen zum Zorn gereizt. Auch sind sie schwerwiegen­<br />

<strong>de</strong>r als Drohungen. Also dürfen we<strong>de</strong>r Väter ihre Kin<strong>de</strong>r, noch<br />

Herren ihre Diener schlagen.<br />

I.Aristoteles schreibt im X.Buch seiner Ethik (c. 10;<br />

1180 a 18): „Das Wort <strong>de</strong>s Vaters be<strong>de</strong>utet nur Mahnung, nicht<br />

105


65. 2 aber Zwang." Doch bisweilen wird Zwang mit Schlägen ausge­<br />

übt. Also ist es <strong>de</strong>n Eltern nicht erlaubt, ihre Kin<strong>de</strong>r zu schlagen.<br />

3. Je<strong>de</strong>r darf einen an<strong>de</strong>ren in Zucht nehmen, dies gehört<br />

nämlich zum Austeilen geistlicher Almosen, wie oben (32,2)<br />

erwähnt wur<strong>de</strong>. Wenn also die Eltern <strong>de</strong>r Zucht wegen ihre Kin­<br />

<strong>de</strong>r schlagen dürfen, dann ist es aus gleichem Gr<strong>und</strong> je<strong>de</strong>rmann<br />

erlaubt, je<strong>de</strong>n zu schlagen. Doch das ist offensichtlich falsch.<br />

Also auch das erste.<br />

DAGEGEN heißt es in <strong>de</strong>n Sprichwörtern 13,24: „Wer die<br />

Rute spart, haßt seinen Sohn", <strong>und</strong> weiter (23,13): „Versäume<br />

an einem Knaben die Zucht nicht! Wenn du ihn nämlich mit <strong>de</strong>r<br />

Rute schlägst, wird er davon nicht sterben. Du wirst ihn mit <strong>de</strong>r<br />

Rute schlagen <strong>und</strong> seine Seele vor <strong>de</strong>r Hölle bewahren." Und<br />

Jesus Sirach schreibt 33,28: „Einem böswilligen Sklaven gebühren<br />

Folter <strong>und</strong> Fußeisen."<br />

ANTWORT. Durch Schläge wird <strong>de</strong>m Körper <strong>de</strong>s Geschla­<br />

genen ein gewisser Scha<strong>de</strong>n zugefügt, an<strong>de</strong>rs jedoch als bei <strong>de</strong>r<br />

Verstümmelung. Denn die Verstümmelung zerstört die Unver­<br />

sehrtheit <strong>de</strong>s Körpers, Schläge jedoch fügen nur sinnliche<br />

Schmerzen zu. Daher entsteht ein viel geringerer Scha<strong>de</strong>n als<br />

bei <strong>de</strong>r Verstümmelung. Einen Scha<strong>de</strong>n darf man jeman<strong>de</strong>m<br />

jedoch nur als gerechte Strafe zufügen. Gerechterweise kann<br />

man aber nur einen Untergebenen strafen. Daher darf nur stra­<br />

fen, wer Machtbefugnis über <strong>de</strong>n zu Bestrafen<strong>de</strong>n besitzt. Und<br />

weil <strong>de</strong>r Sohn <strong>de</strong>r väterlichen Gewalt untersteht <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Diener<br />

<strong>de</strong>r Gewalt seines Herrn, darf <strong>de</strong>r Vater seinen Sohn <strong>und</strong> <strong>de</strong>r<br />

Herr seinen Diener aus Grün<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Besserung <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Zucht<br />

erlaubterweise schlagen.<br />

Zu 1. Weil <strong>de</strong>r Zorn Rachgier in sich schließt, wird er beson­<br />

<strong>de</strong>rs entfacht, wenn sich jemand ungerecht verletzt fühlt, wie<br />

Aristoteles im II. Buch seiner Rhetorik (c.2; 1378a31) bemerkt.<br />

Wenn daher <strong>de</strong>n Vätern untersagt wird, ihre Kin<strong>de</strong>r zum Zorn<br />

zu reizen, be<strong>de</strong>utet dies kein Verbot, sie aus Grün<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Zucht<br />

zu schlagen, son<strong>de</strong>rn nur, sie nicht maßlos mit Schlägen zu trak­<br />

tieren. -Wenn aber Herren nahegelegt wird, Drohungen zu un­<br />

terlassen, so kann dies auf zweifache Weise verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n.<br />

Einmal als Empfehlung, mit Drohungen sparsam umzugehen, -<br />

dies gehört zur pädagogischen Selbstbeherrschung; in an<strong>de</strong>rer<br />

Weise, daß man die Drohung nicht immer wahr macht, - dies<br />

be<strong>de</strong>utet, daß die ausgesprochene Strafandrohung bisweilen<br />

durch barmherzige Unterlassung gemil<strong>de</strong>rt wird.<br />

106


Zu 2. Die größere Gewalt muß auch größeren Zwang aus- 65. 3<br />

üben können. Wie nun aber <strong>de</strong>r Staat die vollkommene<br />

Gemeinschaft darstellt, so hat das Staatsoberhaupt die voll­<br />

kommene Zwangsgewalt, <strong>und</strong> <strong>de</strong>shalb kann sie auch unwi<strong>de</strong>r­<br />

rufliche Strafen verhängen, nämlich Tod <strong>und</strong> Verstümmelung.<br />

Der Vater jedoch o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Herr, die <strong>de</strong>r unvollkommenen<br />

Gemeinschaft <strong>de</strong>s Hauswesens vorstehen, besitzen nur die un­<br />

vollkommene Zwangsgewalt leichter Bestrafung, die keinen<br />

nichtwie<strong>de</strong>rg<strong>utz</strong>umachen<strong>de</strong>n Scha<strong>de</strong>n mit sich bringt. Und von<br />

dieser Art ist körperliche Züchtigung.<br />

Zu 3. Je<strong>de</strong>r darf einen an<strong>de</strong>ren in Zucht nehmen, vorausge­<br />

setzt, daß dieser zustimmt. Doch einen, <strong>de</strong>r nicht will, in Zucht<br />

zu nehmen, steht nur <strong>de</strong>m zu, <strong>de</strong>ssen Obsorge jener anvertraut<br />

ist. Und dazu gehört es, ihn mit Schlägen zu züchtigen.<br />

3. ARTIKEL<br />

Ist es erlaubt, einen Menschen einzukerkern?<br />

1. Wie oben (I—II 18,2) bemerkt, ist ein Akt, <strong>de</strong>r sich auf ein<br />

unangemessenes Objekt bezieht, seiner Art nach schlecht. Nun<br />

ist <strong>de</strong>r Mensch mit seiner naturgegebenen Willensfreiheit ein<br />

unangemessenes Objekt <strong>de</strong>r Einkerkerung, <strong>de</strong>nn diese läuft <strong>de</strong>r<br />

Freiheit zuwi<strong>de</strong>r. Also ist es unerlaubt, jeman<strong>de</strong>n einzukerkern.<br />

2. Die menschliche <strong>Gerechtigkeit</strong> muß sich nach <strong>de</strong>r gött­<br />

lichen ausrichten. Nun heißt es aber bei Jesus Sirach 15,14:<br />

„Gott hat <strong>de</strong>n Menschen seiner eigenen Entscheidung über­<br />

lassen." Also darf man nieman<strong>de</strong>n mit Ketten o<strong>de</strong>r Kerker zur<br />

Ordnung zwingen.<br />

3. Nur vom schlechten Tun darf jemand abgehalten wer<strong>de</strong>n;<br />

daran einen zu hin<strong>de</strong>rn, steht je<strong>de</strong>rmann zu. Wäre nun das Ein­<br />

kerkern zur Verhin<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Bösen erlaubt, dürfte je<strong>de</strong>r sei­<br />

nen Nächsten ins Gefängnis bringen. Dies ist offensichtlich<br />

falsch. Also auch das erste.<br />

DAGEGEN liest man bei Lv24,11 f., jemand sei wegen <strong>de</strong>r<br />

Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Gotteslästerung eingekerkert wor<strong>de</strong>n.<br />

ANTWORT. Bei <strong>de</strong>n Gütern <strong>de</strong>s Körpers müssen drei Dinge<br />

<strong>de</strong>r Ordnung nach beachtet wer<strong>de</strong>n. 1. die Unversehrtheit <strong>de</strong>s<br />

Körpers als solchen: ihm wird durch Tötung o<strong>de</strong>r Verstümme­<br />

lung Scha<strong>de</strong>n zugefügt. 2. das Wohlsein o<strong>de</strong>r die Ruhe <strong>de</strong>r<br />

Sinne: <strong>de</strong>m entgegen steht körperliche Züchtigung <strong>und</strong> alles,<br />

107


65. 4 was sinnlichen Schmerz bereitet. 3. die Bewegungsfreiheit <strong>und</strong><br />

<strong>de</strong>r Gebrauch <strong>de</strong>r Glie<strong>de</strong>r: dies wird unterb<strong>und</strong>en durch Fesse­<br />

lung o<strong>de</strong>r Einkerkerung o<strong>de</strong>r durch irgendwelches Festhalten.<br />

Daher ist es unerlaubt, jeman<strong>de</strong>n einzukerkern o<strong>de</strong>r irgendwie<br />

festzuhalten, es sei <strong>de</strong>nn gemäß <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>sordnung o<strong>de</strong>r zur<br />

Strafe o<strong>de</strong>r als Vorbeugung eines Übels.<br />

Zu 1. Wer die ihm übertragene Gewalt mißbraucht, ver­<br />

dient, daß er sie verliert. Daher ist <strong>de</strong>r Mensch, <strong>de</strong>r durch Sündi­<br />

gen das freie Verfügungsrecht über seine Glie<strong>de</strong>r mißbraucht<br />

hat, ein geeignetes Objekt <strong>de</strong>r Einkerkerung.<br />

Zu 2. Bisweilen hin<strong>de</strong>rt Gott nach <strong>de</strong>r Ordnung seiner<br />

Weisheit die Sün<strong>de</strong>r daran, ihre sündhaften Pläne auszuführen<br />

gemäß Job 5,12: „ ... <strong>de</strong>r die Anschläge <strong>de</strong>r Boshaften zunichte<br />

macht, daß ihre Hän<strong>de</strong> nicht ausführen können, was sie begon­<br />

nen haben." Bisweilen jedoch läßt er sie tun, was sie wollen.<br />

Und ähnlich wer<strong>de</strong>n die Menschen nach <strong>de</strong>r menschlichen<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> nicht für je<strong>de</strong>s schuldhafte Vergehen eingesperrt,<br />

son<strong>de</strong>rn nur für bestimmte.<br />

Zu 3. Je<strong>de</strong>r darf einen, <strong>de</strong>r im nächsten Augenblick etwas<br />

Unerlaubtes tun möchte, sogleich von seinem Vorhaben zu­<br />

rückhalten, z. B. packen, damit er sich nicht irgendwo hinab­<br />

stürzt o<strong>de</strong>r einen an<strong>de</strong>ren schlägt. Doch schlechthin einen ein­<br />

zusperren o<strong>de</strong>r zu fesseln, steht nur <strong>de</strong>m zu, <strong>de</strong>r allgemein über<br />

Tun <strong>und</strong> Leben <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>ren zu bestimmen hat. Denn durch<br />

Einkerkerung wird er nicht nur daran gehin<strong>de</strong>rt, Böses, son­<br />

<strong>de</strong>rn auch Gutes zu tun.<br />

4. ARTIKEL<br />

Wird die Sün<strong>de</strong> schwerer, wenn durch die gegen bestimmte<br />

Personen begangenen Unrechtstaten an<strong>de</strong>re mitbetroffen<br />

wer<strong>de</strong>n?<br />

1. Unrechtstaten dieser Art sind insofern Sün<strong>de</strong>, als jeman­<br />

<strong>de</strong>m gegen seinen Willen Scha<strong>de</strong>n zugefügt wird. Nun ist das<br />

Böse, das einen selber trifft, mehr gegen <strong>de</strong>n Willen als das<br />

Unrecht gegen eine irgendwie verb<strong>und</strong>ene Person. Also ist das<br />

Unrecht gegen eine verb<strong>und</strong>ene Person geringer.<br />

2. In <strong>de</strong>r Hl. Schrift wird vor allem geta<strong>de</strong>lt, wer Waisen <strong>und</strong><br />

Witwen Unrecht antut. Daher heißt es bei Jesus Sirach 35,17:<br />

„Er mißachtet die Bitten <strong>de</strong>r Waisen nicht, noch auch die Witwe,<br />

108


wenn sie sich in Klagen ergeht." Doch Witwen <strong>und</strong> Waisen sind 65.4<br />

keine mit an<strong>de</strong>ren verb<strong>und</strong>ene Personen. Also wird durch das<br />

Unrecht, das auch noch an<strong>de</strong>re trifft, die Sün<strong>de</strong> nicht schwerer.<br />

3. Die mitbetroffene Person hat einen eigenen Willen wie<br />

auch die Hauptperson. Sie kann also mit etwas einverstan<strong>de</strong>n<br />

sein, was <strong>de</strong>r Hauptperson wi<strong>de</strong>rstrebt, wie dies beim Ehe­<br />

bruch zutagetritt, an <strong>de</strong>m die Ehefrau Gefallen fin<strong>de</strong>t, während<br />

er <strong>de</strong>m Mann mißfällt. Nun sind <strong>de</strong>rlei Unrechtstaten insofern<br />

Sün<strong>de</strong>, als sie in unfreiwilliger Wechselseitigkeit bestehen. Also<br />

sind solche Unrechtstaten weniger sündhaft [33].<br />

DAGEGEN heißt es in Dt 28,32 mit einer gewissen Übertrei­<br />

bung: „Deine Söhne <strong>und</strong> Töchter wer<strong>de</strong>n vor <strong>de</strong>inen Augen<br />

einem an<strong>de</strong>ren Volk gegeben wer<strong>de</strong>n."<br />

ANTWORT. Je mehr ein Unrecht an<strong>de</strong>re mitbetrifft, umso<br />

schwerer ist - unter sonst gleichen Voraussetzungen - die<br />

Sün<strong>de</strong>. Daher ist es schwerer sündhaft, einen Fürsten als eine<br />

Privatperson zu schlagen, <strong>de</strong>nn dadurch wird die ganze<br />

Gemeinschaft mitbetroffen, wie oben erklärt wur<strong>de</strong> (I—II 73,9).<br />

Wenn ein Unrecht gegen eine irgendwie mit an<strong>de</strong>ren zusam­<br />

mengehören<strong>de</strong> Person begangen wird, erstreckt sich das<br />

Unrecht eben auf zwei Personen. Daher verschärft sich - unter<br />

sonst gleichen Voraussetzungen - die Schwere <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>. Bis­<br />

weilen jedoch ist eine Sün<strong>de</strong> gegen eine unabhängige Person<br />

unter gewissen Umstän<strong>de</strong>n schwerer, sei es wegen ihrer Wür<strong>de</strong>,<br />

sei es wegen <strong>de</strong>r Größe <strong>de</strong>s zugefügten Scha<strong>de</strong>ns.<br />

Zu 1. Das Unrecht, das eine an<strong>de</strong>re Person mitbetrifft, ver­<br />

ursacht bei dieser weniger Scha<strong>de</strong>n, als wenn es ihr unmittelbar<br />

angetan wür<strong>de</strong>, <strong>und</strong> insoweit ist es eine geringere Sün<strong>de</strong>. Doch<br />

dies alles, was mit <strong>de</strong>m Unrecht gegen die mittelbar betroffene<br />

Person zusammenhängt, häuft sich auf die Sün<strong>de</strong>, die jemand<br />

dadurch begeht, daß er einer Person unmittelbaren Scha<strong>de</strong>n<br />

zufügt.<br />

Zu 2. Unrechtstaten gegen Witwen <strong>und</strong> Waisen wer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s­<br />

halb so stark hervorgehoben, weil sie <strong>de</strong>r Barmherzigkeit schär­<br />

fer wi<strong>de</strong>rsprechen, wie auch <strong>de</strong>r Scha<strong>de</strong>n für diese Personen<br />

schwerer wiegt, da sie nieman<strong>de</strong>n haben, <strong>de</strong>r ihnen hilft.<br />

Zu 3. Dadurch daß die Gattin <strong>de</strong>m Ehebruch freiwillig<br />

zustimmt, wird die Sün<strong>de</strong> <strong>und</strong> das Unrecht auf seiten <strong>de</strong>r Frau<br />

geringer. Es wäre nämlich schwerer, wenn <strong>de</strong>r Ehebrecher mit<br />

Gewalt gegen sie vorginge. Dennoch wird dadurch das Unrecht<br />

vonseiten <strong>de</strong>s Mannes nicht aufgehoben, <strong>de</strong>nn „die Frau hat",<br />

109


65. 4 wie es im 1. Korintherbrief 7,4 heißt, „kein Verfügungsrecht<br />

über ihren Leib, son<strong>de</strong>rn ihr Mann". Und gleiches gilt für ähn­<br />

liche Fälle. Vom Ehebruch, <strong>de</strong>r nicht nur <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>, son­<br />

<strong>de</strong>rn auch <strong>de</strong>r Keuschheit wi<strong>de</strong>rspricht, wird später, im Traktat<br />

über die Maßhaltung, die Re<strong>de</strong> sein.<br />

110


66. FRAGE<br />

DIEB STAHL UND RAUB<br />

Nunmehr sind die <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> entgegengesetzten Sün­<br />

<strong>de</strong>n zu betrachten, durch die <strong>de</strong>m Nächsten Sachscha<strong>de</strong>n zuge­<br />

fügt wird, nämlich Diebstahl <strong>und</strong> Raub. Dazu ergeben sich 9<br />

Fragen:<br />

1. Kommt materieller Besitz <strong>de</strong>m Menschen von Natur aus<br />

zu?<br />

2. Ist Privateigentum erlaubt?<br />

3. Besteht Diebstahl in <strong>de</strong>r heimlichen Wegnahme einer<br />

frem<strong>de</strong>n Sache?<br />

4. Unterschei<strong>de</strong>t sich Raub spezifisch vom Diebstahl?<br />

5. Ist je<strong>de</strong>r Diebstahl Sün<strong>de</strong>?<br />

6. Ist Diebstahl Todsün<strong>de</strong>?<br />

7. Darf man in Not stehlen?<br />

8. Ist je<strong>de</strong>r Raub Todsün<strong>de</strong>?<br />

9. Ist Raub eine schwerere Sün<strong>de</strong> als Diebstahl?<br />

1. ARTIKEL<br />

Kommt materieller Besitz <strong>de</strong>m Menschen von Natur aus zu?<br />

[34]<br />

1. Niemand darf sich aneignen, was Gott gehört. Doch Gott<br />

gebührt das Eigentumsrecht über alles Geschaffene gemäß <strong>de</strong>m<br />

Psalmwort (23) 24,1: „Des Herrn ist die Er<strong>de</strong>" usw. Also steht<br />

materieller Besitz <strong>de</strong>m Menschen nicht von Natur aus zu.<br />

2. Bei Auslegung jener Stelle Lkl2,18, wo <strong>de</strong>r Reiche sagt:<br />

„Ich wer<strong>de</strong> (in meinen Scheunen) mein ganzes Getrei<strong>de</strong> <strong>und</strong><br />

meine Vorräte unterbringen", schreibt Basilius (Horn. sup.<br />

Luc. 12,18sq.; MG31.276): „Sag' mir, was ist Dein? Woher<br />

hast du es genommen <strong>und</strong> ins Leben mitgebracht?" Von <strong>de</strong>m,<br />

was <strong>de</strong>r Mensch jedoch von Natur aus besitzt, kann er mit<br />

<strong>Recht</strong> sagen: es gehört mir. Also besitzt <strong>de</strong>r Mensch nicht von<br />

Natur aus äußere Güter.<br />

3. Ambrosius schreibt in seinem Buch Über die Dreifaltigkeit<br />

(ML 16,530): ,„Herr' ist Name <strong>de</strong>r Macht." Doch <strong>de</strong>r Mensch<br />

besitzt keine Macht über die materiellen Dinge, kann er doch<br />

111


66. l ihr Wesen nicht verän<strong>de</strong>rn. Also ist <strong>de</strong>r Besitz äußerer Güter für<br />

<strong>de</strong>n Menschen nicht natürlich.<br />

DAGEGEN heißt es im Psalm 8,8: „Alles hast du unter seine<br />

- nämlich <strong>de</strong>s Menschen - Füße gelegt."<br />

ANTWORT. Eine materielle Sache kann auf zweifache Weise<br />

betrachtet wer<strong>de</strong>n. Einmal im Hinblick auf ihr Wesen. Dieses<br />

unterliegt nicht <strong>de</strong>r menschlichen Macht, son<strong>de</strong>rn allein <strong>de</strong>r<br />

Macht Gottes, <strong>de</strong>m alles auf seinen Wink hin gehorcht. Sodann<br />

im Hinblick auf <strong>de</strong>n Gebrauch <strong>de</strong>r Sache. So gesehen besitzt <strong>de</strong>r<br />

Mensch ein natürliches Herrschaftsrecht über die materiellen<br />

Dinge, <strong>de</strong>nn mit Vernunft <strong>und</strong> freiem Willen kann er sie gleich­<br />

sam als für ihn bereitgestellte Schöpfung zu seinem N<strong>utz</strong>en<br />

gebrauchen, - immer nämlich hat das Unvollkommenere <strong>de</strong>m<br />

Vollkommeneren zu dienen, wie oben (64,1) bemerkt wur<strong>de</strong>.<br />

Von dieser Überlegung ausgehend beweist Aristoteles im<br />

I. Buch seiner Politik (c. 8; 1256 b 7), daß <strong>de</strong>r Besitz materieller<br />

Güter für <strong>de</strong>n Menschen natürlich ist. Dieses natürliche<br />

Herrschaftsrecht über die unter ihm stehen<strong>de</strong> Kreatur, das <strong>de</strong>m<br />

Menschen aufgr<strong>und</strong> seiner Geistigkeit, in <strong>de</strong>r seine Gotteben­<br />

bildlichkeit beschlossen liegt, zusteht, offenbart sich bei <strong>de</strong>r<br />

Schöpfung <strong>de</strong>s Menschen selbst, wo es Gnl,26 heißt: „Laßt<br />

uns <strong>de</strong>n Menschen machen als unser Abbild, uns ähnlich, <strong>und</strong> er<br />

soll herrschen über die Fische <strong>de</strong>s Meeres" usw.<br />

Zu 1. Gott, <strong>de</strong>r die Oberherrschaft über alle Dinge innehat,<br />

bestimmte davon in seiner Vorsehung einen gewissen Teil für<br />

<strong>de</strong>n leiblichen Unterhalt <strong>de</strong>s Menschen. Daher besitzt <strong>de</strong>r<br />

Mensch die natürliche Herrschaft über diese Dinge im Sinn <strong>de</strong>r<br />

seinem N<strong>utz</strong>en dienen<strong>de</strong>n Verfügungsmacht.<br />

Zu 2. Jener Reiche wird geta<strong>de</strong>lt, weil er glaubte, die mate­<br />

riellen Güter gehörten ihm als ursprünglichem Besitzer <strong>und</strong> er<br />

habe sie nicht von einem an<strong>de</strong>ren, nämlich von Gott, erhalten.<br />

Zu 3. Jene Überlegung geht aus von <strong>de</strong>r Herrschaft über die<br />

Natur <strong>de</strong>r materiellen Dinge, doch diese Herrschaft steht, wie<br />

gesagt, Gott allein zu.<br />

112


2. ARTIKEL 66. 2<br />

Ist Privateigentum erlaubt?<br />

1. Alles, was <strong>de</strong>m Naturrecht wi<strong>de</strong>rspricht, ist unerlaubt.<br />

Nun gehört nach <strong>de</strong>m Naturrecht alles allen. Zu diesem<br />

Gemeinschaftsbesitz steht Eigenbesitz in Wi<strong>de</strong>rspruch. Also ist<br />

es keinem Menschen erlaubt, sich irgen<strong>de</strong>ine materielle Sache<br />

anzueignen.<br />

2. Basilius schreibt bei <strong>de</strong>r Auslegung <strong>de</strong>s erwähnten Wortes<br />

jenes Reichen (Lkl2,18; MG 31,276): „Die Reichen, die, je<strong>de</strong>m<br />

zuvorkommend, als Privateigentum betrachten, was allen<br />

gehört, gleichen <strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r zuerst am Theater anlangt <strong>und</strong> die<br />

an<strong>de</strong>ren am Eintritt hin<strong>de</strong>rn wollte, in<strong>de</strong>m er für sich allein<br />

genießen möchte, was für alle vorgesehen ist" [35]. Doch wäre<br />

es unerlaubt, an<strong>de</strong>ren <strong>de</strong>n Weg zu <strong>de</strong>n gemeinsamen Gütern zu<br />

verlegen. Also ist es unerlaubt, sich eine materielle Sache als<br />

Privateigentum anzueignen.<br />

3. Ambrosius sagt (Sermo 81; ML 17,613) - zu fin<strong>de</strong>n auch in<br />

<strong>de</strong>n Dekreten (dist. 47; Frdbl,171) -: „Keiner nenne Privat­<br />

eigentum, was gemeinsam ist". Er bezeichnet aber als Gemein­<br />

besitz die materiellen Dinge, wie aus <strong>de</strong>m Zusammenhang<br />

ersichtlich ist. Also ist es unerlaubt, sich irgen<strong>de</strong>ine materielle<br />

Sache anzueignen.<br />

DAGEGEN schreibt Augustinus in seinem Buch Uber die Irr­<br />

lehren (Haeres.40; ML 42,32): „Mit einer Anmaßung son<strong>de</strong>r­<br />

gleichen nennen sie sich ,apostolisch', weil sie in ihre Gemein­<br />

schaft keine Verheirateten <strong>und</strong> Leute mit Privatbesitz aufneh­<br />

men, wo es doch in <strong>de</strong>r katholischen Kirche eine große Anzahl<br />

von solchen unter <strong>de</strong>n Mönchen <strong>und</strong> Klerikern gibt" [36]. Doch<br />

sie sind Häretiker <strong>und</strong> haben sich von <strong>de</strong>r Kirche getrennt, weil<br />

ihrer Meinung nach jene, die Dinge gebrauchen, auf die sie sel­<br />

ber verzichten, keine Hoffnung haben auf das ewige Heil. Es ist<br />

also falsch, zu behaupten, es sei <strong>de</strong>m Menschen nicht erlaubt,<br />

Privateigentum zu besitzen.<br />

ANTWORT. In bezug auf eine materielle Sache steht <strong>de</strong>m<br />

Menschen zweierlei zu. Das ist einmal die Berechtigung <strong>de</strong>s Er­<br />

werbs <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Verwaltung. Und im Hinblick darauf ist es <strong>de</strong>m<br />

Menschen erlaubt, Privateigentum zu besitzen. Dies ist zum<br />

menschlichen Leben auch nötig, <strong>und</strong> zwar aus drei Grün<strong>de</strong>n,<br />

113


66. 2 1. weil jemand mit einer Sache sorgfältiger umgeht, wenn sie<br />

ihm allein, als wenn sie allen o<strong>de</strong>r vielen gehört. Gerne überläßt<br />

man nämlich aus Bequemlichkeit die Arbeit am gemeinsamen<br />

Eigentum an<strong>de</strong>ren, wie das bekanntlich vorkommt, wo die Ver­<br />

antwortung auf viele verteilt ist. - 2. weil die Dinge ordnungsge­<br />

mäßer an die Hand genommen wer<strong>de</strong>n, wenn <strong>de</strong>r einzelne für<br />

ihre Beschaffung selber sorgen muß. Es entstün<strong>de</strong> nämlich ein<br />

heilloses Durcheinan<strong>de</strong>r, falls je<strong>de</strong>r unbekümmert alles besor­<br />

gen wür<strong>de</strong>. - 3. weil <strong>de</strong>r friedliche Zustand unter <strong>de</strong>n Menschen<br />

besser gewahrt bleibt, wenn je<strong>de</strong>r mit seiner Sache zufrie<strong>de</strong>n ist.<br />

Wir stellen ja fest, daß dort, wo gemeinsamer <strong>und</strong> unterschieds­<br />

loser Besitz herrscht, häufig Streitigkeiten ausbrechen.<br />

Das an<strong>de</strong>re, was <strong>de</strong>m Menschen in bezug auf die materiellen<br />

Dinge zusteht, ist ihre N<strong>utz</strong>ung. In dieser Hinsicht darf <strong>de</strong>r<br />

Mensch die materiellen Güter nicht als Privateigentum, son­<br />

<strong>de</strong>rn muß er sie als Gemeingut betrachten, so daß er sie ohne<br />

weiteres für <strong>de</strong>n Bedarf an<strong>de</strong>rer ausgibt. Daher sagt <strong>de</strong>r Apostel<br />

im letzten Kapitel 1 Tim 17f: „Den Reichen dieser Welt gebiete,<br />

... sie sollen freigebig sein <strong>und</strong> mit an<strong>de</strong>ren teilen".<br />

Zu 1. Die Gemeinsamkeit <strong>de</strong>r Dinge geht auf das Natur­<br />

recht zurück, nicht weil es gebieten wür<strong>de</strong>, alles gemeinsam zu<br />

besitzen <strong>und</strong> nichts als Privateigentum zu betrachten, son<strong>de</strong>rn<br />

weil es keinen Unterschied in <strong>de</strong>n Besitzweisen kennt: diese<br />

hängen vielmehr von menschlicher Ubereinkunft ab, die Sache<br />

<strong>de</strong>s positiven <strong>Recht</strong>s ist, wie oben (57,2.3) erklärt wur<strong>de</strong>. Daher<br />

richtet sich das Privateigentum nicht gegen das Naturrecht,<br />

son<strong>de</strong>rn es be<strong>de</strong>utet eine Ausweitung <strong>de</strong>s Naturrechts, welche<br />

die menschliche Vernunft herausgef<strong>und</strong>en hat. [37].<br />

Zu 2. Wer auf <strong>de</strong>m Weg zum Theater an<strong>de</strong>ren vorauseilt,<br />

han<strong>de</strong>lt nicht unerlaubt, doch fragwürdig wird sein Verhalten,<br />

wenn er an<strong>de</strong>re am Eintritt hin<strong>de</strong>rt. Ahnlich han<strong>de</strong>lt <strong>de</strong>r Reiche<br />

nicht unerlaubt, wenn er von <strong>de</strong>m, was zu Anfang Gemein­<br />

besitz war, etwas als Eigentum vorwegnimmt, um an<strong>de</strong>re daran<br />

teilnehmen zu lassen. Er sündigt aber, falls er an<strong>de</strong>re vom<br />

Genuß jener Sache rücksichtslos ausschließt. Daher schreibt<br />

Basilius an <strong>de</strong>r erwähnten Stelle (MG 31,276): „Warum lebst<br />

du im Überfluß, während <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re betteln geht? Nicht etwa<br />

<strong>de</strong>shalb, damit du das Verdienst für gute Verwaltung erlangst,<br />

während jener mit <strong>de</strong>m Lohn <strong>de</strong>r Geduld gekrönt wer<strong>de</strong>?"<br />

Zu 3. Wenn Ambrosius sagt: „Niemand soll als Privateigen­<br />

tum erklären, was allen gehört" (Sermo 81; ML17,613f),<br />

114


spricht er vom Eigentum im Hinblick auf seinen Genuß. Darum 66. 3<br />

fügt er hinzu: „Was über die Lebenskosten hinausgeht, ist mit<br />

Gewalt erworben".<br />

3. ARTIKEL<br />

Besteht Diebstahl in <strong>de</strong>r geheimen Wegnahme einer frem<strong>de</strong>n<br />

Sache?<br />

1. Was die Sündhaftigkeit verringert, gehört nicht zum<br />

Wesen <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>. Doch im Geheimen sündigen be<strong>de</strong>utet Ver­<br />

ringerung <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>, wie es umgekehrt, um die Größe gewisser<br />

Sün<strong>de</strong>n zu zeigen, bei Is 3,9 heißt: „Sie re<strong>de</strong>n von ihren Sün<strong>de</strong>n<br />

wie Sodoma in aller Öffentlichkeit <strong>und</strong> verbergen sie nicht".<br />

Also gehört die geheime Wegnahme einer frem<strong>de</strong>n Sache nicht<br />

zum Wesen <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>.<br />

2. Ambrosius sagt (ML 17,613-614) - das Wort fin<strong>de</strong>t sich<br />

auch in <strong>de</strong>n Dekreten dist.47 (Frdbl,171): „Auch ist es kein<br />

kleineres Verbrechen, <strong>de</strong>m Besitzer etwas zu nehmen, als -<br />

wenn du kannst <strong>und</strong> Überfluß hast - <strong>de</strong>m Bedürftigen etwas zu<br />

verweigern". Wie also <strong>de</strong>r Diebstahl in <strong>de</strong>r Wegnahme einer<br />

frem<strong>de</strong>n Sache besteht, so nicht weniger darin, sie zu behalten.<br />

3. Man kann heimlich jeman<strong>de</strong>m etwas wegnehmen, was<br />

einem selbst gehört, z. B. eine Sache, die man bei einem hinter­<br />

legt hat, o<strong>de</strong>r die von ihm ungerechterweise entwen<strong>de</strong>t wur<strong>de</strong>.<br />

Geheime Wegnahme einer frem<strong>de</strong>n Sache gehört also nicht<br />

zum Wesen <strong>de</strong>s Diebstahls.<br />

DAGEGEN steht das Wort in Isidors Etymologie (X, ad F;<br />

ML82,378): „Für (das Wort ,Dieb') kommt von furvus, das<br />

heißt ,dunkel', <strong>de</strong>nn er nützt die Zeit <strong>de</strong>r Nacht" [38].<br />

ANTWORT. Im Begriff <strong>de</strong>s Diebstahls fließen drei Dinge zu­<br />

sammen. Das erste besteht in seinem Gegensatz zur Gerechtig­<br />

keit, die je<strong>de</strong>m das Seine gibt <strong>und</strong> läßt. Von hier aus gesehen<br />

besagt Diebstahl Aneignung einer frem<strong>de</strong>n Sache. - Das zweite<br />

gehört zum Begriff <strong>de</strong>s Diebstahls, insofern er sich von <strong>de</strong>n<br />

Sün<strong>de</strong>n gegen Personen unterschei<strong>de</strong>t, wie etwa von Mord o<strong>de</strong>r<br />

Ehebruch. Dabei geht es immer um eine Sache im Besitzver­<br />

hältnis. Wer nämlich etwas wegnimmt, was nicht <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>ren<br />

Besitz, son<strong>de</strong>rn ein Teil von ihm ist, wie z. B. wenn er ihn eines<br />

Glie<strong>de</strong>s beraubt, o<strong>de</strong>r als verwandte Person mit ihm verb<strong>und</strong>en<br />

ist, z.B. wenn er die Tochter o<strong>de</strong>r Gattin entführt, dann liegt<br />

115


66. 4 hier nicht <strong>de</strong>r strenge Begriff <strong>de</strong>s Diebstahls vor. - Der dritte<br />

Unterschied macht <strong>de</strong>n Begriff <strong>de</strong>s Diebstahls vollständig,<br />

nämlich daß die frem<strong>de</strong> Sache heimlich entwen<strong>de</strong>t wird. So<br />

stellt sich das eigentliche Wesen <strong>de</strong>s Diebstahls dar als: „Heim­<br />

liche Wegnahme einer frem<strong>de</strong>n Sache" [39].<br />

Zu 1. Bisweilen ist die Verheimlichung Ursache <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>,<br />

z.B. wenn jemand Verheimlichung als Mittel zum Sündigen<br />

einsetzt, wie bei Betrug <strong>und</strong> List. Dadurch wird die Sün<strong>de</strong> kei­<br />

neswegs gemil<strong>de</strong>rt, son<strong>de</strong>rn die Heimlichkeit begrün<strong>de</strong>t viel­<br />

mehr die Art <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>. - Doch kann die Verheimlichung auch<br />

ein einfacher Umstand <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> sein <strong>und</strong> sie dadurch<br />

abschwächen, weil sie entwe<strong>de</strong>r Zeichen <strong>de</strong>r Scham ist o<strong>de</strong>r<br />

Ärgernis verhütet.<br />

Zu 2. Eine Sache behalten, die einem an<strong>de</strong>ren gehört, ist,<br />

vom Scha<strong>de</strong>n her gesehen, soviel wie Diebstahl. Daher versteht<br />

man unter ungerechter Wegnahme auch ungerechtes Behalten.<br />

Zu 3. Was jeman<strong>de</strong>m schlechthin gehört, kann ohne weite­<br />

res in gewisser Hinsicht einem an<strong>de</strong>ren gehören. So gehört eine<br />

hinterlegte Sache schlechthin <strong>de</strong>m Hinterleger, doch bezüglich<br />

<strong>de</strong>s Aufbewahrens gehört sie <strong>de</strong>m, bei <strong>de</strong>m sie hinterlegt ist.<br />

Und was durch Raub entwen<strong>de</strong>t wur<strong>de</strong>, gehört <strong>de</strong>m Räuber,<br />

zwar nicht schlechthin, so doch in Bezug auf das Innehaben<br />

[40].<br />

4. ARTIKEL<br />

Sind Diebstahl <strong>und</strong> Raub spezifisch verschie<strong>de</strong>ne Sün<strong>de</strong>n?<br />

1. Diebstahl <strong>und</strong> Raub unterschei<strong>de</strong>n sich durch geheim <strong>und</strong><br />

offen. Diebstahl be<strong>de</strong>utet nämlich heimliche Wegnahme, Raub<br />

gewaltsame <strong>und</strong> offene. Doch bei an<strong>de</strong>ren Sün<strong>de</strong>narten spielt<br />

geheim <strong>und</strong> offen für die spezifische Unterscheidung keine<br />

Rolle. Also sind Diebstahl <strong>und</strong> Raub keine <strong>de</strong>r Art nach ver­<br />

schie<strong>de</strong>nen Sün<strong>de</strong>n.<br />

2. Sittliche Akte wer<strong>de</strong>n durch ihr Ziel spezifiert, wie oben<br />

(I—II 1,3; 18,6) dargelegt wur<strong>de</strong>. Nun verfolgen Diebstahl <strong>und</strong><br />

Raub das gleiche Ziel, nämlich Besitznahme frem<strong>de</strong>n Gutes.<br />

Also besteht zwischen ihnen kein Artunterschied.<br />

3. Wie etwas geraubt wird, um es zu besitzen, so wird eine<br />

Frau geraubt, um sich an ihr zu ergötzen. Daher schreibt<br />

Isidor in seiner Etymologie (X, adR; ML 82,392): „Raptor (<strong>de</strong>r<br />

116


Räuber) heißt soviel wie corruptor (Ver<strong>de</strong>rber) <strong>und</strong> rapta (die 66. 4<br />

Geraubte) corrupta (die Verdorbene)." Von „Raub" spricht man<br />

aber, gleich ob die Frau offen o<strong>de</strong>r im Geheimen geraubt wur<strong>de</strong>.<br />

Also heißt es auch „Raub", ob eine Sache nun heimlich o<strong>de</strong>r<br />

offen geraubt wor<strong>de</strong>n ist. Somit unterschei<strong>de</strong>t sich Diebstahl<br />

nicht von Raub.<br />

DAGEGEN unterschei<strong>de</strong>t Aristoteles im V. Buch seiner Ethik<br />

(c. 5; 1131 a6) Diebstahl vom Raub, in<strong>de</strong>m er Diebstahl als<br />

etwas Geheimes, Raub als etwas Gewaltsames kennzeichnet.<br />

ANTWORT. Die Sün<strong>de</strong>n Diebstahl <strong>und</strong> Raub stehen insofern<br />

in Gegensatz zur <strong>Gerechtigkeit</strong>, als dabei einer <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>ren<br />

Unrecht zufügt. „Niemand" jedoch „erlei<strong>de</strong>t Unrecht, wenn er<br />

einverstan<strong>de</strong>n ist", wie im V.Buch <strong>de</strong>r Ethik (c. 15; 1138al2)<br />

bewiesen wird. Daher sind Diebstahl <strong>und</strong> Raub Sün<strong>de</strong>n, weil<br />

die Wegnahme ohne Willen <strong>de</strong>ssen geschieht, <strong>de</strong>m etwas<br />

genommen wird. „Ungewollt" aber be<strong>de</strong>utet etwas Zweifaches,<br />

nämlich einmal „ohne Wissen" <strong>und</strong> sodann „mit Gewalt", wie<br />

im II. Buch <strong>de</strong>r Ethik steht (c. 1; 1109 b 35). Daher ist Raub be­<br />

grifflich etwas an<strong>de</strong>res als Diebstahl, <strong>und</strong> <strong>de</strong>shalb unterschei­<br />

<strong>de</strong>n sie sich auch <strong>de</strong>r Art nach.<br />

Zu 1. Bei <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Sün<strong>de</strong>narten spielt das Ungewollt­<br />

sein für <strong>de</strong>n Begriff <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> keine Rolle, dies ist nur bei <strong>de</strong>n<br />

Sün<strong>de</strong>n gegen die <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>de</strong>r Fall. Wo daher ein verschie­<br />

<strong>de</strong>nes Ungewolltsein gegeben ist, liegt auch eine verschie<strong>de</strong>ne<br />

Art <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> vor.<br />

Zu 2. Das weitere Ziel ist bei Raub <strong>und</strong> Diebstahl das<br />

gleiche, doch dieses genügt zur Bildung spezifisch gleicher<br />

Akte nicht, <strong>de</strong>nn es bleibt <strong>de</strong>r Unterschied in <strong>de</strong>n unmittelbaren<br />

Zielen. Der Räuber nämlich möchte durch Gewalt erlangen, <strong>de</strong>r<br />

Dieb hingegen durch List.<br />

Zu 3. Frauenraub kann für die geraubte Frau keine heim­<br />

liche Angelegenheit sein. Wenn daher auch die an<strong>de</strong>ren, <strong>de</strong>nen<br />

sie geraubt wird, davon nichts merken, so han<strong>de</strong>lt es sich für die<br />

gewaltsam ergriffene Frau <strong>de</strong>nnoch um eigentlichen Raub.<br />

117


66. 5 5. ARTIKEL<br />

Ist Diebstahl immer Sün<strong>de</strong>?<br />

1. Eine Sün<strong>de</strong> wird nie von Gott befohlen, heißt es doch bei<br />

Jesus Sirach 15,21: „Niemand hat er geboten, gottlos zu han­<br />

<strong>de</strong>ln." Doch fin<strong>de</strong>t sich im Buche Exl2,35f. eine Stelle, wo<br />

Gott <strong>de</strong>n Diebstahl vorschreibt: „Die Söhne Israels taten, wie<br />

<strong>de</strong>r Herr <strong>de</strong>m Moses befohlen hatte, <strong>und</strong> raubten die Ägypter<br />

aus." Also ist Diebstahl nicht immer Sün<strong>de</strong>.<br />

2. Wer eine gef<strong>und</strong>ene Sache, die ihm nicht gehört, an sich<br />

nimmt, scheint einen Diebstahl zu begehen, <strong>de</strong>nn er eignet sich<br />

eine frem<strong>de</strong> Sache an. Doch ist dies, wie die Juristen sagen (s. u.<br />

Zu 2), aufgr<strong>und</strong> natürlicher Billigkeit erlaubt. Also ist Diebstahl<br />

nicht immer Sün<strong>de</strong>.<br />

3. Wer an sich nimmt, was ihm gehört, sündigt nicht, da er<br />

nicht gegen die <strong>Gerechtigkeit</strong> han<strong>de</strong>lt, <strong>de</strong>ren Gleichmaß er nicht<br />

aufhebt. Doch wer sein Eigentum, das ein an<strong>de</strong>rer aufbewahrt<br />

o<strong>de</strong>r bewacht, heimlich wegnimmt, begeht auch einen Dieb­<br />

stahl. Also ist Diebstahl nicht immer Sün<strong>de</strong>.<br />

DAGEGEN heißt es im Buche Ex20,15: „Du sollst nicht<br />

stehlen."<br />

ANTWORT. Wer <strong>de</strong>n Begriff <strong>de</strong>s Diebstahls untersucht, wird<br />

dabei zwei Grün<strong>de</strong> für seine Sündhaftigkeit ent<strong>de</strong>cken.<br />

Zunächst trifft man auf <strong>de</strong>n Wi<strong>de</strong>rspruch zur <strong>Gerechtigkeit</strong>, die<br />

je<strong>de</strong>m gibt <strong>und</strong> läßt, was sein ist. Und so steht <strong>de</strong>r Diebstahl zu<br />

ihr in Gegensatz, insofern er Wegnahme einer frem<strong>de</strong>n Sache<br />

be<strong>de</strong>utet. Weiter zeigt sich noch <strong>de</strong>r Gesichtspunkt <strong>de</strong>r Arglist<br />

o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Betrugs, <strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Dieb begeht, in<strong>de</strong>m er sich heimlich<br />

<strong>und</strong> gleichsam aus <strong>de</strong>m Hinterhalt heraus einer frem<strong>de</strong>n Sache<br />

bemächtigt. Mithin ist es offensichtlich, daß je<strong>de</strong>r Diebstahl<br />

Sün<strong>de</strong> ist.<br />

Zu 1. Wer eine frem<strong>de</strong> Sache heimlich o<strong>de</strong>r offen aufgr<strong>und</strong><br />

eines autoritativen Entscheids <strong>de</strong>s Richters wegnimmt, begeht<br />

keinen Diebstahl, <strong>de</strong>nn sie ist ihm geschul<strong>de</strong>t, weil durch rich­<br />

terliches Urteil ihm zugesprochen. Daher war es noch viel weni­<br />

ger Diebstahl, als die Söhne Israels die Ägypter auf Befehl <strong>de</strong>s<br />

Herrn beraubten, <strong>de</strong>r ihnen dies zuerkannte für die Drangsale,<br />

mit <strong>de</strong>nen die Ägypter sie ohne Gr<strong>und</strong> heimgesucht hatten.<br />

Daher sagt Weish. 10,19 ausdrücklich: „Die Gerechten trugen<br />

<strong>de</strong>n Raub von <strong>de</strong>n Gottlosen hinweg" [41].<br />

118


Zu 2. Bei gef<strong>und</strong>enen Sachen ist zu unterschei<strong>de</strong>n. Manche 66. 5<br />

waren nie Eigentum von irgendjemand, wie Perlen <strong>und</strong> E<strong>de</strong>l­<br />

steine, die man am Meeresstrand fin<strong>de</strong>t. Diese wer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>m Fin­<br />

<strong>de</strong>r überlassen (Dig. 1,8,3; Inst. 2,1,18). Das gleiche gilt von<br />

<strong>de</strong>n Schätzen, die in alter Zeit in <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> vergraben wur<strong>de</strong>n;<br />

auch sie haben keinen Besitzer, es sei <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Fin<strong>de</strong>r wer<strong>de</strong><br />

nach <strong>de</strong>m Zivilgesetz gehalten, die Hälfte <strong>de</strong>m Eigentümer <strong>de</strong>s<br />

Gr<strong>und</strong>stücks zu überlassen, falls er <strong>de</strong>n F<strong>und</strong> auf frem<strong>de</strong>m<br />

Bo<strong>de</strong>n gemacht hat (Inst. 2,1,39; Cod. 10,15). Daher heißt es<br />

auch im Gleichnis <strong>de</strong>s Evangeliums nach Mt 13,44 vom Fin<strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>s „verborgenen Schatzes im Acker", er habe „<strong>de</strong>n Acker<br />

gekauft", um damit <strong>de</strong>n ganzen Schatz rechtmäßig zu besitzen.<br />

- Manche Dinge befan<strong>de</strong>n sich jedoch bis vor kurzem in irgend­<br />

eines Besitz. Wer sie dann an sich nimmt ohne Absicht, sie zu<br />

behalten, son<strong>de</strong>rn um sie <strong>de</strong>m Besitzer, <strong>de</strong>r sie nicht als „verlas­<br />

sen" betrachtet, zurückzugeben, begeht keinen Diebstahl<br />

(Inst. 2,1,47). Ebenso begeht <strong>de</strong>r Fin<strong>de</strong>r keinen Diebstahl, <strong>de</strong>r<br />

Sachen behält, von <strong>de</strong>nen er annimmt, daß sie aufgegeben wur­<br />

<strong>de</strong>n. Sonst versündigt er sich durch Diebstahl (Dig. XLI, 1,9;<br />

Inst. 2,1,48). Daher sagt Augustinus in einer Predigt<br />

(Sermol78; ML38,965): „Hast du etwas gef<strong>und</strong>en <strong>und</strong> nicht<br />

zurückgegeben, hast du geraubt."<br />

Zu 3. Wer heimlich sein hinterlegtes Eigentum an sich<br />

nimmt, belastet <strong>de</strong>n Verwahrer, <strong>de</strong>nn er ist zur Restitution o<strong>de</strong>r<br />

zum Beweis seiner Unschuld verpflichtet. Daher versündigt er<br />

sich ohne Zweifel <strong>und</strong> ist gehalten, <strong>de</strong>r Beschwernis <strong>de</strong>s Ver­<br />

wahrers ein En<strong>de</strong> zu machen. - Wer jedoch sein Eigentum heim­<br />

lich bei einem, <strong>de</strong>r es zu Unrecht besitzt, wegnimmt, sündigt<br />

zwar nicht, weil er <strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r es ihm vorenthält, Beschwer<strong>de</strong>n<br />

verschafft - <strong>de</strong>shalb ist er auch nicht zur Restitution verpflichtet<br />

-, son<strong>de</strong>rn er sündigt gegen die allgemeine <strong>Gerechtigkeit</strong>, da er<br />

sich unter Umgehung <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>sordnung ein Gerichtsurteil in<br />

eigener Sache anmaßt. Daher muß er Gott Genugtuung leisten<br />

<strong>und</strong> nach Kräften das Ärgernis, das etwa dadurch entstan<strong>de</strong>n<br />

ist, beseitigen [42].<br />

119


66. 6 6. ARTIKEL<br />

Ist Diebstahl schwere Sün<strong>de</strong>?<br />

1. In <strong>de</strong>n Sprichwörtern 6,30 heißt es: „So groß ist die<br />

Schuld nicht, wenn jemand stiehlt. "Doch je<strong>de</strong> Todsün<strong>de</strong> besagt<br />

große Schuld. Also ist Diebstahl keine Todsün<strong>de</strong>.<br />

2. Der Todsün<strong>de</strong> gebührt To<strong>de</strong>sstrafe.Doch für <strong>de</strong>nDiebstahl<br />

wird nach <strong>de</strong>m Gesetz keine To<strong>de</strong>sstrafe verhängt, son<strong>de</strong>rn nur<br />

Buße gemäß Ex 22,1: „Wenn jemand ein Rind o<strong>de</strong>r Schaf<br />

stiehlt,... so soll er fünf Rin<strong>de</strong>r für ein Rind zurückgeben <strong>und</strong><br />

vier Schafe für ein Schaf." Also ist Diebstahl keine Todsün<strong>de</strong>.<br />

3. Stehlen kann man im kleinen wie im großen. Es wäre<br />

jedoch unangemessen, jeman<strong>de</strong>n für <strong>de</strong>n Diebstahl einer gerin­<br />

gen Sache, z. B. einer Na<strong>de</strong>l o<strong>de</strong>r einer Fe<strong>de</strong>r, mit <strong>de</strong>m ewigen<br />

Tod zu bestrafen. Also ist <strong>de</strong>r Diebstahl keine Todsün<strong>de</strong>.<br />

DAGEGEN verdammt das göttliche Gericht nieman<strong>de</strong>n, es<br />

sei <strong>de</strong>nn wegen einer Todsün<strong>de</strong>. Nach Zach 5,3 wird jedoch ein<br />

Verdammungsurteil wegen Diebstahls ausgesprochen: „Dies ist<br />

<strong>de</strong>r Fluch, <strong>de</strong>r ausgeht über das ganze Land: je<strong>de</strong>r Dieb, wie<br />

dort geschrieben steht, wird verdammt wer<strong>de</strong>n." Also ist Dieb­<br />

stahl eine schwere Sün<strong>de</strong>.<br />

ANTWORT. Die Caritas erfüllt die Seele mit geistlichem<br />

Leben. Darum ist ein Tun, das ihm wi<strong>de</strong>rspricht, Todsün<strong>de</strong>. Die<br />

Caritas besteht nun in erster Linie in <strong>de</strong>r Liebe zu Gott, in zwei­<br />

ter in <strong>de</strong>r Liebe zum Nächsten, <strong>und</strong> dazu gehört es, ihm Gutes<br />

zu wollen <strong>und</strong> anzutun. Durch <strong>de</strong>n Diebstahl fügt <strong>de</strong>r Mensch<br />

seinem Nächsten jedoch Scha<strong>de</strong>n an seinen Gütern zu, <strong>und</strong><br />

wenn die Menschen einan<strong>de</strong>r unterschiedslos bestehlen wür­<br />

<strong>de</strong>n, wäre es um die menschliche Gesellschaft geschehen. Daher<br />

ist Diebstahl, als Gegensatz zur Caritas, Todsün<strong>de</strong>.<br />

Zu 1. Mit geringer Schuld ist Diebstahl aus doppeltem<br />

Gr<strong>und</strong> behaftet. Erstens wegen einer Notlage, die zum Dieb­<br />

stahl führt, was die Schuld min<strong>de</strong>rt o<strong>de</strong>r gänzlich aufhebt, wie<br />

weiter unten ausgeführt wird (Art. 7). Daher heißt es dort<br />

(Spr 6,30) weiter: „Er stiehlt ja, um seinen Hunger zu stillen." -<br />

Zweitens läßt sich bei Diebstahl von geringer Schuld sprechen<br />

im Vergleich zum Vergehen <strong>de</strong>s Ehebruchs, <strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>m Tod<br />

bestraft wird (Lv20,10; Dt22,22). Daher heißt es vom Dieb<br />

weiter (V.31 f.): „Wenn er ertappt wird, soll er es siebenfach<br />

ersetzen, wer aber Ehebrecher ist, wird sein Leben verlieren."<br />

120


Zu 2. Die Strafen im gegenwärtigen Leben dienen mehr <strong>de</strong>r 66. 7<br />

Besserung als <strong>de</strong>r Vergeltung. Die Vergeltung nämlich bleibt<br />

<strong>de</strong>m göttlichen Gericht vorbehalten, das „<strong>de</strong>r Wahrheit gemäß"<br />

(Rom 2,2) über die Sün<strong>de</strong>r ergehen wird. Daher verhängt das<br />

irdische Gericht nicht für je<strong>de</strong> Todsün<strong>de</strong> die To<strong>de</strong>sstrafe, son­<br />

<strong>de</strong>rn nur für jene, die unwie<strong>de</strong>rbringlichen Scha<strong>de</strong>n verursa­<br />

chen, o<strong>de</strong>r auch für jene, die Ausdruck höchster Verkommen­<br />

heit sind. Aus diesem Gr<strong>und</strong> wird für Diebstahl, <strong>de</strong>r wie<strong>de</strong>rgut­<br />

zumachen<strong>de</strong>n Scha<strong>de</strong>n verursacht, im irdischen Gericht keine<br />

To<strong>de</strong>sstrafe ausgesprochen, außer wenn die Schwere <strong>de</strong>s Dieb­<br />

stahls durch irgen<strong>de</strong>inen Umstand be<strong>de</strong>utend verschärft wird,<br />

wie dies offenk<strong>und</strong>ig beim Diebstahl einer gottgeweihten<br />

Sache, bei Unterschlagung öffentlicher Gel<strong>de</strong>r (vgl. Augustinus,<br />

Johanneskommentar, Tr. 50; ML 35,1762) <strong>und</strong> bei Menschen­<br />

raub <strong>de</strong>r Fall ist, worauf die To<strong>de</strong>sstrafe steht, wie aus Ex 21,16<br />

hervorgeht.<br />

Zu 3. Etwas Geringwertiges betrachtet die Vernunft gleich­<br />

sam als Nichts. Daher fühlt sich <strong>de</strong>r Mensch durch Verlust von<br />

ganz wenigem nicht geschädigt, <strong>und</strong> wer dieses wegnimmt, darf<br />

voraussetzen, daß ihm <strong>de</strong>r Eigentümer sein Verhalten nicht<br />

übelnimmt. Insoweit kann <strong>de</strong>r Dieb solch geringer Dinge von<br />

Todsün<strong>de</strong> freigesprochen wer<strong>de</strong>n. Hat er aber die Absicht, zu<br />

stehlen <strong>und</strong> dabei zu schädigen, dann kann sogar <strong>de</strong>r Diebstahl<br />

von <strong>de</strong>rlei Kleinigkeiten Todsün<strong>de</strong> sein, wie ja auch ein<br />

bloßer Gedanke dazu genügt, falls man ihm zustimmt.<br />

7. ARTIKEL<br />

Darf man aus Not stehlen?<br />

1. Buße wird nur einem Sün<strong>de</strong>r auferlegt. Doch in <strong>de</strong>r Extra<br />

(Frdbll, 810) heißt es: „Wer durch Not <strong>de</strong>s Hungers o<strong>de</strong>r Klei­<br />

<strong>de</strong>rmangels Speise, Kleidung o<strong>de</strong>r Vieh gestohlen hat, soll drei<br />

Wochen Buße tun." Also ist es nicht erlaubt, aus Not zu stehlen.<br />

2. Im II. Buch seiner Ethik (c. 6; 1107a9) schreibt Aristote­<br />

les: „Manche Handlungen besagen schon ihrem Namen nach<br />

etwas Schlechtes", <strong>und</strong> dabei nennt er <strong>de</strong>n Diebstahl. Was<br />

jedoch in sich schlecht ist, kann wegen eines guten Zweckes<br />

nicht gut wer<strong>de</strong>n. Also kann man auch nicht erlaubterweise<br />

stehlen, um seiner Not abzuhelfen.<br />

121


66. 7 3. Der Mensch muß seinen Nächsten lieben wie sich selbst.<br />

Nun darf man, wie Augustinus in seinem Buch Gegen die Sün<strong>de</strong><br />

(c. 7; ML 40,528) bemerkt, nicht stehlen, um seinem Nächsten<br />

mit einem Almosen zu helfen. Also ist es auch nicht erlaubt,<br />

sich durch Diebstahl selber zu helfen.<br />

DAGEGEN lautet <strong>de</strong>r Gr<strong>und</strong>satz: Im Notfall gehört alles<br />

allen. Somit ist es keine Sün<strong>de</strong>, sich eines an<strong>de</strong>ren Eigentum an­<br />

zueignen, <strong>de</strong>nn die Not hat es zu einer Sache für alle gemacht.<br />

ANTWORT. Menschliches <strong>Recht</strong> kann <strong>de</strong>m natürlichen o<strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>m göttlichen <strong>Recht</strong> keinen Abbruch tun. Nach <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r<br />

göttlichen Vorsehung eingerichteten Naturordnung nun sind<br />

die niedrigen Dinge dazu bestimmt, <strong>de</strong>r menschlichen Bedürf­<br />

tigkeit zu dienen. Daher hin<strong>de</strong>rn Verteilung <strong>und</strong> Besitznahme<br />

<strong>de</strong>r Dinge - ein Werk <strong>de</strong>s menschlichen <strong>Recht</strong>s - nicht, eben-<br />

diese Dinge zur Lin<strong>de</strong>rung menschlicher Not einzusetzen. Des­<br />

halb ist das, was einige im Uberfluß besitzen, aufgr<strong>und</strong> <strong>de</strong>s<br />

Naturrechts, <strong>de</strong>n Armen zu ihrem Lebensunterhalt geschul<strong>de</strong>t.<br />

So sagt Ambrosius (ML 17,613-614) - es steht auch in <strong>de</strong>n<br />

Dekreten dist. 47 (Frdbl, 171) -: „Was du zurückhältst, ist Brot<br />

<strong>de</strong>r Hungrigen, was du einschließest, Kleidung <strong>de</strong>r Nackten,<br />

das Geld, das du im Bo<strong>de</strong>n vergräbst, Loskauf <strong>und</strong> Befreiung<br />

<strong>de</strong>r Elen<strong>de</strong>n." Weil es jedoch viele Notlei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> gibt <strong>und</strong> einer<br />

mit <strong>de</strong>m, was er hat, nicht allen zu helfen vermag, bleibt es <strong>de</strong>m<br />

einzelnen überlassen, seine Sachen so einzuteilen, daß er damit<br />

<strong>de</strong>n Notlei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n beispringen kann. Ist die Not jedoch einmal<br />

ein<strong>de</strong>utig so groß, daß man im drängen<strong>de</strong>m Fall mit <strong>de</strong>m, was<br />

sich gera<strong>de</strong> anbietet, offenk<strong>und</strong>ig Abhilfe schaffen muß, z. B.<br />

wenn einer Person Gefahr droht <strong>und</strong> an<strong>de</strong>rs nicht geholfen wer­<br />

<strong>de</strong>n kann, dann darf man mit einer frem<strong>de</strong>n Sache, sei sie nun<br />

offen o<strong>de</strong>rheimlich weggenommen, ihre Not beheben. VonDieb-<br />

stahl o<strong>de</strong>r Raub kann dann eigentlich nicht die Re<strong>de</strong> sein [43].<br />

Zu 1. Jene Bestimmung <strong>de</strong>r Dekrete faßt <strong>de</strong>n Fall ins Auge,<br />

wo keine dringen<strong>de</strong> Not vorliegt.<br />

Zu 2. Eine heimlich weggenommene frem<strong>de</strong> Sache zur<br />

Behebung äußerster Not gebrauchen, hat streng genommen<br />

mit Diebstahl nichts zu tun. Denn eine <strong>de</strong>rartige Lebenslage<br />

bewirkt, daß das, was jemand an sich nimmt, um sich am Leben<br />

zu halten, „das Seine" wird.<br />

Zu 3. Im Falle ähnlicher Not kann man heimlich etwas ent­<br />

wen<strong>de</strong>n, um auch seinem in Schwierigkeit geratenen Nächsten<br />

zu helfen.<br />

122


8. ARTIKEL 66. 8<br />

Kann Raub Sün<strong>de</strong> sein?<br />

1. Beute wird gewaltsam weggenommen, dies gehört zum<br />

Wesen <strong>de</strong>s Raubes (vgl. Art.4). Doch Beute machen bei <strong>de</strong>n<br />

Fein<strong>de</strong>n ist erlaubt, wie bei Ambrosius in seinem Buch über die<br />

Patriarchen (ML 14,427) steht: „Wenn die Beute in die Hand<br />

<strong>de</strong>s Siegers gefallen ist, verlangt die soldatische Zucht, alles <strong>de</strong>m<br />

König zu übergeben", nämlich zur Verteilung. Also ist Raub in<br />

gewissen Fällen erlaubt.<br />

2. Was einem nicht gehört, darf man ihm nehmen. Nun ist<br />

<strong>de</strong>r Besitz <strong>de</strong>r Ungläubigen nicht ihr Eigentum. Augustinus<br />

schreibt nämlich im Brief an <strong>de</strong>n Donatisten Vincentius (Brief<br />

33; ML 33,345): „Ihr nennt Dinge fälschlich euer eigen, doch<br />

besitzt ihr sie nicht rechtmäßig <strong>und</strong> müßtet sie nach <strong>de</strong>n Geset­<br />

zen <strong>de</strong>r weltlichen Könige herausgeben." Also dürfte man die<br />

Ungläubigen erlaubterweise berauben.<br />

3. Die Lan<strong>de</strong>sfürsten pressen aus ihren Untertanen mit<br />

Gewalt viel heraus, <strong>und</strong> dies ist doch wohl nichts an<strong>de</strong>res als<br />

Raub. Es wäre jedoch be<strong>de</strong>nklich, zu sagen, daß sie damit sün­<br />

digen, <strong>de</strong>nn sonst kämen fast alle Fürsten in die Hölle. Also ist<br />

Raub in gewissen Fällen erlaubt.<br />

DAGEGEN steht, daß von allem rechtmäßig Erworbenen<br />

Gott ein Opfer o<strong>de</strong>r eine Gabe dargebracht wer<strong>de</strong>n kann. Mit<br />

Raubgut darf dies jedoch nicht geschehen gemäß Is61,8:<br />

„Denn ich, <strong>de</strong>r Herr, liebe das <strong>Recht</strong> <strong>und</strong> hasse <strong>de</strong>n Raub als<br />

Brandopfer." Also ist es nicht erlaubt, sich durch Raub etwas zu<br />

verschaffen.<br />

ANTWORT. Raub be<strong>de</strong>utet Gewalt <strong>und</strong> Zwang, wodurch,<br />

<strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> zuwi<strong>de</strong>r, jeman<strong>de</strong>m weggenommen wird, was<br />

sein ist. In <strong>de</strong>r menschlichen Gesellschaft besitzt jedoch<br />

Zwangsrecht nur die öffentliche Gewalt. Wer daher jeman<strong>de</strong>m<br />

als Privatperson ohne öffentliche Gewalt eigenmächtig etwas<br />

nimmt, han<strong>de</strong>lt unerlaubt <strong>und</strong> begeht einen Raub genau so wie<br />

die Räuber.<br />

Den Fürsten jedoch wird öffentliche Gewalt übertragen,<br />

damit sie Hüter <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> seien. Daher dürfen sie nur<br />

nach Maßgabe <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> Gewalt <strong>und</strong> Zwang anwen­<br />

<strong>de</strong>n, <strong>und</strong> das heißt entwe<strong>de</strong>r im Kampf gegen die Fein<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r<br />

bei Strafaktionen gegen verbrecherische Bürger. Was bei <strong>de</strong>rar-<br />

123


66.8 tigen Gewaltanwendungen weggenommen wird, ist nicht<br />

Raub, da dies nicht gegen die <strong>Gerechtigkeit</strong> verstößt. Wird<br />

jedoch gegen die <strong>Gerechtigkeit</strong> von irgendwelchen im Namen<br />

<strong>de</strong>r öffentlichen Gewalt frem<strong>de</strong>s Gut entwen<strong>de</strong>t, so han<strong>de</strong>ln<br />

diese unerlaubt <strong>und</strong> begehen Raub <strong>und</strong> sind zur Restitution<br />

verpflichtet [44].<br />

Zu 1. In Sachen Beute ist zu unterschei<strong>de</strong>n. Führen die<br />

Beutemacher einen gerechten Krieg, dann geht, was sie dabei<br />

gewaltsam an sich reißen, in ihr Eigentum über. Es han<strong>de</strong>lt sich<br />

dann streng genommen nicht um Beute, <strong>und</strong> zur Restitution<br />

besteht darum auch kein Anlaß. Freilich können sich die Beute­<br />

macher in einem gerechten Krieg in schlechter Absicht durch<br />

Besitzgier versündigen, wenn sie hauptsächlich nicht wegen <strong>de</strong>r<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>, son<strong>de</strong>rn um <strong>de</strong>r Beute willen kämpfen. Augustinus<br />

sagt nämlich in seinem Buch über die Worte <strong>de</strong>s Herrn<br />

(Sermo 82; ML 39,1904): „Um <strong>de</strong>r Beute willen Kriegsdienst<br />

zu leisten ist Sün<strong>de</strong>." - Wer jedoch in einem ungerechten Krieg<br />

Beute macht, begeht Raub <strong>und</strong> ist zur Restitution verpflichtet.<br />

Zu 2. Gewisse Ungläubige besitzen ihr Eigentum insofern<br />

ungerechterweise, als sie es „nach <strong>de</strong>n Gesetzen <strong>de</strong>r Lan<strong>de</strong>sfür­<br />

sten abtreten müssen." Daher kann es ihnen gewaltsam abge­<br />

nommen wer<strong>de</strong>n, jedoch nicht mit privater, son<strong>de</strong>rn nur mit<br />

öffentlicher Autorität.<br />

Zu 3. Wenn die Fürsten von ihren Untertanen verlangen,<br />

was ihnen zur Erhaltung <strong>de</strong>s Gemeinwohls gerechterweise<br />

zusteht, so ist dies kein Raub, auch wenn dabei mit Gewalt vor­<br />

gegangen wird. Erpressen die Fürsten jedoch etwas ungerech­<br />

terweise mit Gewalt, dann ist dies genauso Raub, wie an<strong>de</strong>re<br />

Räuberei. Daher schreibt Augustinus im 4. Buch seines Gottes­<br />

staates (c.4; ML41,115): „Was sind die Königreiche ohne<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> an<strong>de</strong>res als große Räuberban<strong>de</strong>n? Denn auch die<br />

Räuberban<strong>de</strong>n, - sind sie nicht etwa kleine Königreiche?" Und<br />

bei Ez22,27 steht: „Die Fürsten in seiner Mitte gleichen Beute<br />

rauben<strong>de</strong>n Wölfen." Daher sind sie genau wie die Räuber zu<br />

Restitution verpflichtet. Dabei sündigen sie umso mehr als die<br />

Räuber, je ver<strong>de</strong>rblicher <strong>und</strong> allgemeiner sie die <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />

als <strong>de</strong>ren Hüter sie berufen wur<strong>de</strong>n, mit Füßen treten.<br />

124


9. ARTIKEL 66. 9<br />

Ist Raub eine schwerere Sün<strong>de</strong> als Diebstahl?<br />

1. Zur Wegnahme einer frem<strong>de</strong>n Sache kommt beim Dieb­<br />

stahl noch Betrug <strong>und</strong> Arglist hinzu, was beim Raub nicht <strong>de</strong>r<br />

Fall ist. Nun sind Betrug <strong>und</strong> Arglist schon für sich genommen<br />

Sün<strong>de</strong>, wie oben (55,4.5) dargelegt wur<strong>de</strong>. Also ist Diebstahl<br />

eine schwerere Sün<strong>de</strong> als Raub.<br />

2. Scham ist Furcht vor schimpflichem Tun, wie es im<br />

IV. Buch <strong>de</strong>r Ethik (c. 15; 1128 b 11) heißt. Doch die Menschen<br />

empfin<strong>de</strong>n mehr Scham über Diebstahl als über Raub. Also ist<br />

Diebstahl schimpflicher als Raub [45].<br />

3. Je mehr Menschen eine Sün<strong>de</strong> scha<strong>de</strong>t, umso schwerer scheint<br />

sie zu sein. Nun kann Diebstahl Große <strong>und</strong> Kleine treffen, Raub<br />

jedoch nur Schwache, gegen die man mit Gewalt vorgehen kann.<br />

Also ist die Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Diebstahls schwerer als die <strong>de</strong>s Raubes.<br />

DAGEGEN steht, daß nach <strong>de</strong>m Gesetz Raub schwerer<br />

bestraft wird als Diebstahl.<br />

ANTWORT. Wie oben (Art. 4) erklärt wur<strong>de</strong>, sind Raub <strong>und</strong><br />

Diebstahl Sün<strong>de</strong>n, weil dabei je<strong>de</strong>smal gegen <strong>de</strong>n Willen <strong>de</strong>s<br />

Eigentümers etwas weggenommen wird, jedoch mit <strong>de</strong>m Un­<br />

terschied, daß beim Diebstahl Ungewolltsein wegen Nichtwis­<br />

sens, beim Raub hingegen Ungewolltsein wegen offener<br />

Gewalt vorliegt. Bei Gewaltanwendung wird <strong>de</strong>r Wille aber<br />

wirksamer ausgeschaltet als durch Nichtwissen, weil Gewalt<br />

unmittelbarer als Nichtwissen auf <strong>de</strong>n Willen einwirkt. Und<br />

<strong>de</strong>shalb ist Raub eine schwerere Sün<strong>de</strong> als Diebstahl.<br />

Dazu kommt noch ein an<strong>de</strong>rer Gesichtspunkt. Beim Raub<br />

wird nicht nur Sachscha<strong>de</strong>n angerichtet, son<strong>de</strong>rn er wen<strong>de</strong>t sich<br />

auch schmachvoll <strong>und</strong> entehrend gegen die Person. Und dies ist<br />

schlimmer als Betrug o<strong>de</strong>r Arglist, die <strong>de</strong>n Diebstahl begleiten.<br />

Daraus ergibt sich die Lösung Zu 1.<br />

Zu 2. Auf Äußerlichkeiten eingestellte Menschen begeistern<br />

sich mehr für körperliche Kraftakte, wie sie beim Raub in<br />

Erscheinung treten, als für die innere Kraft <strong>de</strong>r Tugend, die<br />

durch die Sün<strong>de</strong> verlorengeht. Daher empfin<strong>de</strong>n sie über <strong>de</strong>n<br />

Raub weniger Scham als über <strong>de</strong>n Diebstahl.<br />

Zu 3. Durch Diebstahl kann wohl eine größere Anzahl als<br />

durch Raub geschädigt wer<strong>de</strong>n, doch <strong>de</strong>r Scha<strong>de</strong>n durch Raub<br />

ist größer als <strong>de</strong>r durch Diebstahl. Aus diesem Gr<strong>und</strong>e ist <strong>de</strong>r<br />

Raub auch verabscheuungswürdiger.<br />

125


67 FRAGE<br />

DIE MISSACHTUNG<br />

DER GERECHTIGKEIT BEI DER<br />

AUSÜBUNG DES RICHTERAMTES<br />

Nunmehr sind die Verfehlungen gegen die ausgleichen<strong>de</strong><br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> zu behan<strong>de</strong>ln, die zum Scha<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Nächsten<br />

durch Worte begangen wer<strong>de</strong>n. Dabei sind zunächst die Tätig­<br />

keiten beim Gerichtsverfahren zu untersuchen (Fr. 67-71),<br />

sodann die Verbalinjurien außerhalb <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>sprechung<br />

(Fr. 72-76).<br />

Bezüglich <strong>de</strong>s ersten Punktes drängen sich 5 Themen auf:<br />

1. Die Ungerechtigkeit <strong>de</strong>s Richters bei <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>sprechung.<br />

2. Die Ungerechtigkeit <strong>de</strong>s Anklägers bei seiner Anklage.<br />

3. Die Ungerechtigkeit <strong>de</strong>s Angeklagten bei seiner Verteidi-<br />

4. Die Ungerechtigkeit <strong>de</strong>s Zeugen bei <strong>de</strong>r Zeugenaussage.<br />

5. Die Ungerechtigkeit <strong>de</strong>s Anwalts bei <strong>de</strong>r Verteidigung.<br />

Zum ersten Thema ergeben sich vier Fragen:<br />

1. Kann <strong>de</strong>r Richter über jeman<strong>de</strong>n urteilen, für <strong>de</strong>n er nicht<br />

zuständig ist?<br />

2. Ist es erlaubt, im Hinblick auf die vorgelegten Aussagen<br />

gegen das eigene bessere Wissen ein Urteil zu fällen?<br />

3. Kann <strong>de</strong>r Richter einen Nichtangeklagten gerechterweise<br />

verurteilen?<br />

4. Ist es erlaubt, eine Strafe zu erlassen?<br />

1. ARTIKEL<br />

Kann <strong>de</strong>r Richter über jeman<strong>de</strong>n urteilen, für <strong>de</strong>n er nicht<br />

zuständig ist?<br />

1. Dn 13,45 ff. ist zu lesen, daß Daniel die <strong>de</strong>s falschen<br />

Zeugnisses überführten Ältesten verurteilte. Nun waren diese<br />

Ältesten nicht Daniels Untergebene, im Gegenteil, sie waren<br />

Richter <strong>de</strong>s Volkes. Also darf jemand erlaubterweise einen rich­<br />

ten, für <strong>de</strong>n er nicht zuständig ist.<br />

2. Christus, „<strong>de</strong>r König <strong>de</strong>r Könige <strong>und</strong> Herr <strong>de</strong>r Herren"<br />

(Apkl7,14) war keinem Menschen Untertan, <strong>und</strong> <strong>de</strong>nnoch<br />

126


stellte er sich einem menschlichen Gericht. Also darf man 67 1<br />

jeman<strong>de</strong>n richten, für <strong>de</strong>n man nicht zuständig ist.<br />

3. Nach <strong>de</strong>m <strong>Recht</strong> ist ein Fall vor jenem Gericht zu verhan­<br />

<strong>de</strong>ln, in <strong>de</strong>ssen Bereich die Verfehlung begangen wur<strong>de</strong>. Doch<br />

bisweilen untersteht <strong>de</strong>r Delinquent nicht <strong>de</strong>m Gericht jenes<br />

Ortes, z. B. wenn er einer an<strong>de</strong>ren Diözese angehört o<strong>de</strong>r<br />

exempt ist. Also kann jemand einen richten, für <strong>de</strong>n er nicht<br />

zuständig ist.<br />

DAGEGEN steht das Wort Gregors zur Stelle Dt23,25:<br />

„Wenn du auf <strong>de</strong>n Fruchtacker kommst [darfst du Ähren abrei­<br />

ßen, aber nichts mit <strong>de</strong>r Sichel abschnei<strong>de</strong>n]": „Er kann mit <strong>de</strong>r<br />

Sichel <strong>de</strong>s Richterspruches nicht in eine Sache eingreifen, die<br />

<strong>de</strong>r Zuständigkeit eines an<strong>de</strong>ren untersteht" (Regist. XI, ep. 64;<br />

ML 77,1192; Frdb 1,561).<br />

ANTWORT. Der Spruch <strong>de</strong>s Richters ist gleichsam ein auf<br />

<strong>de</strong>n Einzelfall zugeschnittenes Gesetz. Wie daher das allge­<br />

meine Gesetz nach Aristoteles (Eth.X,10; 1180 a 21) Zwangs­<br />

gewalt haben muß, so auch <strong>de</strong>r Spruch <strong>de</strong>s Richters. Dadurch<br />

wer<strong>de</strong>n bei<strong>de</strong> Teile gezwungen, sich an das Urteil zu halten,<br />

<strong>de</strong>nn sonst wäre es wirkungslos. Erzwingungsgewalt besitzt<br />

im Staat jedoch nur <strong>de</strong>r Inhaber <strong>de</strong>r öffentlichen Gewalt. Und<br />

die sie ausüben, gelten als Vorgesetzte jener, über die sie, wie<br />

über Untergebene, Macht erhalten haben. So ist es klar, daß nie­<br />

mand einen richten kann, wenn ihm dieser nicht irgendwie un­<br />

tergeben ist, entwe<strong>de</strong>r aufgr<strong>und</strong> einer Vollmachtsübertragung<br />

o<strong>de</strong>r or<strong>de</strong>ntlicher Amtsbefugnis.<br />

Zu 1. Daniel wur<strong>de</strong> die Vollmacht, jene Ältesten zu richten,<br />

gewissermaßen durch göttliche Eingebung übertragen. Dies<br />

wird ange<strong>de</strong>utet durch das Wort (V. 45): „Der Herr erweckte<br />

<strong>de</strong>n Geist eines noch jungen Mannes."<br />

Zu 2. In menschlichen Dingen kann sich jemand freiwillig<br />

<strong>de</strong>m Urteil an<strong>de</strong>rer unterstellen, auch wenn sie nicht seine Vor­<br />

gesetzten sind. Dies trifft z. B. bei jenen zu, die einen Schieds­<br />

richter anrufen. Freilich muß dann <strong>de</strong>r Schiedsspruch durch<br />

eine Strafe gesichert wer<strong>de</strong>n; die Schiedsrichter, die nicht Vor­<br />

gesetzte sind, besitzen von sich aus ja keine Erzwingungsge­<br />

walt. So unterwarf sich auch Christus freiwillig <strong>de</strong>m menschli­<br />

chen Gericht, <strong>de</strong>sgleichen Papst Leo (IV.) <strong>de</strong>m Gericht <strong>de</strong>s Kai­<br />

sers (MansiXIV,887; Frdbl,496).<br />

Zu 3. Der Bischof, in <strong>de</strong>ssen Diözese sich einer vergangen<br />

hat, wird <strong>de</strong>ssen Vorgesetzter aufgr<strong>und</strong> <strong>de</strong>s Deliktes, selbst<br />

127


67. 2 wenn er exempt ist, es sei <strong>de</strong>nn, er habe sich in einer exempten<br />

Sache vergangen, z. B. in <strong>de</strong>r Verwaltung eines exempten Klo­<br />

sters. Hat ein Exempter jedoch Diebstahl, Mord o<strong>de</strong>r ähnliches<br />

verschul<strong>de</strong>t, kann er durch <strong>de</strong>n Bischof rechtmäßig verurteilt<br />

wer<strong>de</strong>n [46].<br />

2. ARTIKEL<br />

Ist es erlaubt, angesichts <strong>de</strong>r vorgebrachten Aussagen ein Urteil<br />

gegen das eigene bessere Wissen zu fällen?<br />

1. Dt 17,9 heißt es: „Du sollst vor die Priester vom<br />

Geschlecht Levi treten <strong>und</strong> vor <strong>de</strong>n Richter, <strong>de</strong>r dann im Amte<br />

ist, <strong>und</strong> Umfragen anstellen lassen; so wer<strong>de</strong>n sie dir das <strong>de</strong>r<br />

Wahrheit gemäße Urteil verkün<strong>de</strong>n." Doch bisweilen wird<br />

Unwahres vorgebracht, wie z. B. wenn etwas durch falsche<br />

Zeugen bewiesen wird. Also ist es <strong>de</strong>m Richter nicht erlaubt,<br />

nach <strong>de</strong>m, was vorgebracht <strong>und</strong> bewiesen wird, gegen sein eige­<br />

nes besseres Wissen ein Urteil zu fällen.<br />

2. Der richten<strong>de</strong> Mensch muß sich <strong>de</strong>m Gericht Gottes an­<br />

gleichen, <strong>de</strong>nn „Gottes ist das Gericht", wie es Dt 1,7 heißt. Nun<br />

„ist Gottes Gericht <strong>de</strong>r Wahrheit gemäß" (Rom 2,2) <strong>und</strong><br />

Is 11,3 f. wird von Christus geweissagt: „Er richtet nicht nach<br />

<strong>de</strong>m Augenschein, noch urteilt er nach <strong>de</strong>m Hörensagen, son­<br />

<strong>de</strong>rn er richtet die Armen nach <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> urteilt mit<br />

Billigkeit über die Demütigen <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong>." Also darf <strong>de</strong>r Richter<br />

angesichts <strong>de</strong>r ihm vorgelegten Beweise nicht ein Urteil gegen<br />

sein eigenes besseres Wissen fällen.<br />

3. Vor Gericht wer<strong>de</strong>n Beweise verlangt, damit sich <strong>de</strong>r Rich­<br />

ter eine Meinung vom wahren Sachverhalt bil<strong>de</strong>n kann. Zur<br />

Klarstellung bekannter Dinge bedarf es daher keines Gerichts­<br />

verfahrens gemäß 1 Tim 5,24: „Die Sün<strong>de</strong>n mancher Leute lie­<br />

gen offen zutage, sie laufen ihnen gleichsam voraus zum<br />

Gericht." Kennt <strong>de</strong>r Richter also von sich aus die Wahrheit, darf<br />

er auf die vorgebrachten Beweise keine Rücksicht nehmen, son­<br />

<strong>de</strong>rn muß seinen Spruch nach <strong>de</strong>r ihm bekannten Wahrheit fäl­<br />

len.<br />

4. „Gewissen" heißt soviel wie Anwendung <strong>de</strong>s Wissens auf<br />

das Tun (vgl.I 79,13). Doch gegen das Gewissen han<strong>de</strong>ln ist<br />

Sün<strong>de</strong>. Also sündigt <strong>de</strong>r Richter, wenn er entgegen seinem Wis-<br />

128


sen um die Wahrheit nach <strong>de</strong>n vorliegen<strong>de</strong>n Prozeßakten sein 67 2<br />

Urteil fällt.<br />

DAGEGEN steht, was Ambrosius in einer Homilie zum<br />

Psalm 118 (ML15,1571) schreibt: „Ein guter Richter entschei­<br />

<strong>de</strong>t nicht nach eigenem Gutdünken, son<strong>de</strong>rn er fällt seinen<br />

Spruch nach Gesetz <strong>und</strong> <strong>Recht</strong>." Dies be<strong>de</strong>utet aber nach <strong>de</strong>m<br />

urteilen, was im Gericht vorgebracht <strong>und</strong> bewiesen wird. Also<br />

muß sich <strong>de</strong>r Richter daran halten <strong>und</strong> darf nicht seiner eigenen<br />

Meinung folgen.<br />

ANTWORT. Wie (60,6) gesagt, kommt das <strong>Recht</strong>sprechen<br />

<strong>de</strong>m Richter zu als bestelltem Vertreter <strong>de</strong>r öffentlichen Macht.<br />

Deshalb darf ihn bei seiner Tätigkeit nicht das leiten, was er als<br />

Privatperson weiß, son<strong>de</strong>rn die Kenntnis, die er als öffentliche<br />

Person besitzt. Diese Kenntnis nun wird ihm vermittelt im all­<br />

gemeinen <strong>und</strong> im beson<strong>de</strong>ren. Im allgemeinen durch die öffent­<br />

lichen Gesetze, göttliche <strong>und</strong> menschliche: gegen sie darf er<br />

keine Beweise gelten lassen. Im beson<strong>de</strong>ren, d. h. im einzelnen<br />

Fall, durch Beweismittel, Zeugen <strong>und</strong> an<strong>de</strong>re <strong>de</strong>rgleichen recht­<br />

mäßige Bürgschaften. Diesen muß er bei <strong>de</strong>r Verhandlung mehr<br />

folgen als seinem Wissen als Privatperson. Er kann jedoch seine<br />

eigene Uberzeugung mitspielen lassen, in<strong>de</strong>m er die vor­<br />

gebrachten Beweise einer schärferen Prüfung unterzieht, um<br />

ihre Schwachstellen herauszustellen. Kann er sie jedoch recht­<br />

lich nicht zurückweisen, dann muß er, wie gesagt (DAGEGEN),<br />

sein Urteil darauf stützen [47].<br />

Zu 1. Jener Text über die Umfrage durch die Richter wird<br />

vorausgeschickt, um klarzustellen, daß die Richter nach <strong>de</strong>m<br />

urteilen müssen, was ihnen vorgelegt wur<strong>de</strong>.<br />

Zu 2. Gott fällt seine Urteile aus eigener Machtbefugnis,<br />

<strong>und</strong> daher richtet er sich dabei nach <strong>de</strong>r Wahrheit, die er selber<br />

weiß, <strong>und</strong> nicht nach <strong>de</strong>m, was er von an<strong>de</strong>ren erfährt. Das<br />

gleiche gilt von Christus, <strong>de</strong>r wahrer Gott <strong>und</strong> wahrer Mensch<br />

ist. Die übrigen Richter j edoch fällen ihre Urteile nicht aus eigener<br />

Machtbefugnis. Daher sind die bei<strong>de</strong>n Fälle nicht vergleichbar.<br />

Zu 3. Der Apostel spricht von <strong>de</strong>m Fall, daß <strong>de</strong>r Tatbestand<br />

nicht nur <strong>de</strong>m Richter, son<strong>de</strong>rn auch an<strong>de</strong>ren bekannt ist.<br />

Daher kann <strong>de</strong>r Schuldige auf keine Weise sein Verbrechen in<br />

Abre<strong>de</strong> stellen, son<strong>de</strong>rn er wird sogleich durch <strong>de</strong>n offenk<strong>und</strong>i­<br />

gen Tatbestand überführt. Ist er aber nur <strong>de</strong>m Richter, jedoch<br />

nicht an<strong>de</strong>ren bekannt o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren <strong>und</strong> nicht <strong>de</strong>m Richter,<br />

dann läßt sich ein Prozeßverfahren nicht umgehen.<br />

129


67 3 Zu 4. Für sich selber muß <strong>de</strong>r Mensch sein Gewissen nach<br />

eigenem Wissen bil<strong>de</strong>n. Han<strong>de</strong>lt er jedoch in öffentlicher Funk­<br />

tion, dann gilt für seine Gewissensinformation nur, was in<br />

einem öffentlichen Gerichtsverfahren herauskommen kann<br />

usw.<br />

3. ARTIKEL<br />

Kann <strong>de</strong>r Richter tätig wer<strong>de</strong>n, auch wenn kein Kläger<br />

vorhan<strong>de</strong>n ist?<br />

1. Die menschliche <strong>Gerechtigkeit</strong> leitet sich von <strong>de</strong>r göttli­<br />

chen ab. Doch Gott richtet die Sün<strong>de</strong>r auch dann, wenn es kei­<br />

nen Ankläger gibt. Also kann in gleicher Weise <strong>de</strong>r Mensch<br />

gerichtlich jeman<strong>de</strong>n verurteilen, wenn kein Kläger vorhan<strong>de</strong>n<br />

ist.<br />

2. Der Ankläger ist bei einem Gerichtsverfahren nötig,<br />

damit das Verbrechen <strong>de</strong>m Richter vorgetragen wird. Doch bis­<br />

weilen kann das Verbrechen auf an<strong>de</strong>re Weise als auf <strong>de</strong>m<br />

Anklageweg vor <strong>de</strong>n Richter gelangen, z. B. durch Anzeige,<br />

durch üblen Ruf o<strong>de</strong>r wenn <strong>de</strong>r Richter selbst darauf stößt. Also<br />

kann <strong>de</strong>r Richter jeman<strong>de</strong>n ohne Ankläger verurteilen.<br />

3. Die Taten <strong>de</strong>r Heiligen wer<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Hl. Schrift als Vor­<br />

bil<strong>de</strong>r für das menschliche Leben erzählt. Nun war Daniel zu­<br />

gleich Ankläger <strong>und</strong> Richter im Fall <strong>de</strong>r ruchlosen Ältesten, wie<br />

bei Dn 13,45 ff. geschrieben steht. Also ist es nicht gegen die<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>, wenn jemand als Richter einen verurteilt <strong>und</strong> zu­<br />

gleich als Ankläger gegen ihn auftritt.<br />

DAGEGEN steht, was Ambrosius bei <strong>de</strong>r Auslegung von<br />

1 Kor 5,2 (ML 17,208) zur Ansicht <strong>de</strong>s Apostels über <strong>de</strong>n<br />

Unzüchtigen schreibt: „Der Richter darf nicht ohne Ankläger<br />

verurteilen, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Herr hat <strong>de</strong>n Judas, <strong>de</strong>r ein Dieb war, in<br />

keiner Weise von sich gestoßen, <strong>und</strong> zwar <strong>de</strong>shalb, weil er nicht<br />

angeklagt war."<br />

ANTWORT. Der Richter sagt, was im einzelnen Gerechtig­<br />

keit ist. „Daher nehmen die Leute", wie Aristoteles im V. Buch<br />

seiner Ethik (c.4; 1132 a 20) bemerkt, „ihre Zuflucht zum Rich­<br />

ter wie zur lebendigen <strong>Gerechtigkeit</strong>." Die <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

bezieht sich jedoch, wie oben (58,2) betont, nicht auf einen<br />

selbst, son<strong>de</strong>rn regelt die Beziehungen zu an<strong>de</strong>ren. Daher muß<br />

<strong>de</strong>r Richter zwischen Zweien entschei<strong>de</strong>n, <strong>und</strong> dies setzt vor-<br />

130


aus, daß <strong>de</strong>r eine Kläger <strong>und</strong> <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re Angeklagter ist. Aus 67 3<br />

diesem Gr<strong>und</strong>e kann <strong>de</strong>r Richter jeman<strong>de</strong>n in Kriminalfällen<br />

nur verurteilen, wenn ein Kläger auftritt gemäß jenem Wort<br />

Apg25,16: „Bei <strong>de</strong>n Römern ist es nicht üblich, einen Men­<br />

schen zu verurteilen, bevor <strong>de</strong>r Angeklagte <strong>de</strong>n Anklägern ge­<br />

genübergestellt <strong>und</strong> ihm Gelegenheit zur Verteidigung gegeben<br />

wur<strong>de</strong>, um sich von <strong>de</strong>n Verbrechen, die ihm vorgeworfen wer­<br />

<strong>de</strong>n, zu entlasten" [48].<br />

Zu 1. In seinem Gericht weist Gott <strong>de</strong>m Gewissen <strong>de</strong>s Sün­<br />

<strong>de</strong>rs die Funktion <strong>de</strong>s Anklägers zu gemäß Röm2,15: „Ihre<br />

Gedanken klagen sich gegenseitig an <strong>und</strong> verteidigen sich."<br />

Auch spielt die Evi<strong>de</strong>nz <strong>de</strong>r Tatsachen die gleiche Rolle gemäß<br />

Gn 4,10: „Das Blut <strong>de</strong>ines Bru<strong>de</strong>rs Abel schreit auf zu mir von<br />

<strong>de</strong>r Er<strong>de</strong>."<br />

Zu 2. Der schlechte Ruf in <strong>de</strong>r Öffentlichkeit übt das<br />

Geschäft <strong>de</strong>s Anklägers aus. Daher schreibt die Glosse (interlin.<br />

1,45 v) zu Gn 4,10 „Das Blut <strong>de</strong>ines Bru<strong>de</strong>rs Abel" usw.: „Die<br />

Offenk<strong>und</strong>igkeit <strong>de</strong>s Verbrechens braucht keinen Ankläger." -<br />

Die Anzeige jedoch hat, wie oben (33,7) erwähnt, nicht die<br />

Bestrafung <strong>de</strong>s Sün<strong>de</strong>rs zum Ziel, son<strong>de</strong>rn seine Besserung.<br />

Daher geschieht nichts gegen <strong>de</strong>n angezeigten Sün<strong>de</strong>r, son<strong>de</strong>rn<br />

man tut etwas für ihn. Aus diesem Gr<strong>und</strong> bedarf es hier eben­<br />

falls keines Anklägers. Wi<strong>de</strong>rspenstigkeit gegen die Kirche wird<br />

hingegen ohne beson<strong>de</strong>ren Ankläger bestraft, <strong>de</strong>nn dieses Ver­<br />

gehen ist ebenfalls offenk<strong>und</strong>ig <strong>und</strong> klagt sich selber an. - Ent­<br />

<strong>de</strong>ckt <strong>de</strong>r Richter persönlich ein Verbrechen, so kann er ein<br />

Urteil nur nach <strong>de</strong>n Regeln <strong>de</strong>r offiziellen <strong>Recht</strong>sordnung<br />

fällen.<br />

Zu 3. Gott steht für sein Gericht die eigene Kenntnis <strong>de</strong>r<br />

Wahrheit zur Verfügung, nicht aber <strong>de</strong>m Menschen (Art. 2,3).<br />

Daher kann <strong>de</strong>r Mensch nicht wie Gott zugleich Ankläger,<br />

Richter <strong>und</strong> Zeuge sein. Daniel jedoch war in seiner Person<br />

Ankläger <strong>und</strong> Richter <strong>und</strong> vollzog unter Gottes Eingebung<br />

gleichsam an <strong>de</strong>ssen Stelle das Gericht (Art. 1,1).<br />

131


4. ARTIKEL<br />

Darf <strong>de</strong>r Richter die Strafe erlassen?<br />

1. Bei Jak2,13 steht: „Ein Gericht ohne Erbarmen hat zu<br />

erwarten, wer kein Erbarmen kennt." Doch niemand wird<br />

bestraft, weil er nicht tut, was er erlaubterweise nicht tun kann.<br />

Also kann je<strong>de</strong>r Richter Barmherzigkeit üben, in<strong>de</strong>m er die<br />

Strafe erläßt.<br />

2. Menschliches Richten muß das göttliche Gericht nachah­<br />

men. Nun läßt Gott <strong>de</strong>n reuigen Sün<strong>de</strong>rn die Strafe nach, <strong>de</strong>nn<br />

„er will nicht <strong>de</strong>s Sün<strong>de</strong>rs Tod", wie es bei Ez 18,23 heißt. Also<br />

kann auch <strong>de</strong>r menschliche Richter <strong>de</strong>m reuigen Angeklagten<br />

die Strafe erlassen.<br />

3. Je<strong>de</strong>r kann tun, was ihm nützt <strong>und</strong> an<strong>de</strong>ren nicht scha<strong>de</strong>t.<br />

Dem Schuldigen die Strafe erlassen ist jedoch für diesen von<br />

N<strong>utz</strong>en <strong>und</strong> scha<strong>de</strong>t keinem. Also kann <strong>de</strong>r Richter <strong>de</strong>m Schul­<br />

digen erlaubterweise die Strafe erlassen.<br />

DAGEGEN heißt es Dt 13,8 f. von <strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Rat gibt,<br />

an<strong>de</strong>ren Göttern zu dienen: „Dein Auge schone seiner nicht,<br />

daß du vielleicht Mitleid habest <strong>und</strong> ihn verbergen möchtest,<br />

son<strong>de</strong>rn töte ihn auf <strong>de</strong>r Stelle." Und vom Mör<strong>de</strong>r heißt es<br />

Dt 19,12 f: „Er soll sterben <strong>und</strong> du sollst kein Erbarmen mit<br />

ihm haben."<br />

ANTWORT. Wie aus <strong>de</strong>m obigen (2,3) hervorgeht, sind in<br />

<strong>de</strong>r vorliegen<strong>de</strong>n Frage beim Richter zwei Gesichtspunkte zu<br />

be<strong>de</strong>nken. Einmal muß er zwischen Ankläger <strong>und</strong> Schuldigem<br />

richten, sodann aber fällt er seinen Spruch nicht aus eigener<br />

Machtbefugnis, son<strong>de</strong>rn als Vertreter <strong>de</strong>r öffentlichen Autorität.<br />

Zwei Grün<strong>de</strong> also verbieten es <strong>de</strong>m Richter, <strong>de</strong>m Schuldigen die<br />

Strafe zu erlassen. Erstens die Rücksicht auf <strong>de</strong>n Ankläger, <strong>de</strong>r<br />

die Bestrafung wegen eines erlittenen Unrechts mit gutem<br />

Gr<strong>und</strong> erwarten kann. Ein Nachlaß liegt nicht im Belieben <strong>de</strong>s<br />

Richters, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r muß je<strong>de</strong>m sein <strong>Recht</strong> geben.<br />

Zweitens verwehrt es ihm <strong>de</strong>r Staat, in <strong>de</strong>ssen Namen er sein<br />

Amt ausübt <strong>und</strong> zu <strong>de</strong>ssen Gemeinwohl es gehört, daß die<br />

Übeltäter bestraft wer<strong>de</strong>n. Dennoch gibt es hier einen Unter­<br />

schied zwischen <strong>de</strong>n untergeordneten Richtern <strong>und</strong> <strong>de</strong>m ober­<br />

sten Richter, nämlich <strong>de</strong>m Fürsten, <strong>de</strong>m die öffentliche Gewalt<br />

in vollem Umfang anvertraut ist. Der untergeordnete Richter<br />

nämlich besitzt keine Befugnis, einem Schuldigen gegen die von<br />

132


seinem Vorgesetzten im auferlegten Gesetze die Strafe zu erlas- 67. 4<br />

sen. Daher bemerkt Augustinus zum Johanneswort (19,11) „Du<br />

hättest keine Macht über mich": „Gott hat <strong>de</strong>m Pilatus nur eine<br />

<strong>de</strong>rart <strong>de</strong>m Kaiser untergeordnete Macht verliehen, daß es nicht<br />

in seinem Belieben stand, <strong>de</strong>n Angeklagten freizugeben" (In<br />

Joh.,Tr. 116; ML35,1943). Doch <strong>de</strong>r Fürst, <strong>de</strong>rvolle Macht im<br />

Staate besitzt, kann, wenn das Opfer <strong>de</strong>r Untat damit einver­<br />

stan<strong>de</strong>n ist <strong>und</strong> es <strong>de</strong>m Gemeinwohl nicht zum Scha<strong>de</strong>n aus­<br />

schlägt, <strong>de</strong>n Schuldigen erlaubterweise ohne Strafe davonkom­<br />

men lassen.<br />

Zu 1. Barmherzigkeit kann <strong>de</strong>r Richter in Dingen walten<br />

lassen, die seinem Ermessen freistehen, wo es nach <strong>de</strong>n Worten<br />

<strong>de</strong>s Aristoteles (Eth.V, 14; 1138 a 1) „Zeichen <strong>de</strong>s guten Men­<br />

schen ist, die Strafe zu mil<strong>de</strong>rn." Wo jedoch die Bestimmungen<br />

<strong>de</strong>s göttlichen o<strong>de</strong>r menschlichen Gesetzes herrschen, steht es<br />

ihm nicht zu, Nachsicht zu üben.<br />

Zu 2. Gott besitzt die höchste richterliche Gewalt, <strong>und</strong> ihm<br />

unterliegt alles, was gegen irgendjemand gesündigt wird. Daher<br />

steht es ihm frei, die Strafe zu erlassen, zumal die Sün<strong>de</strong> vor<br />

allem <strong>de</strong>shalb die Strafe verdient, weil sie gegen ihn gerichtet ist.<br />

Doch verzichtet er nur <strong>de</strong>shalb auf Bestrafung, weil dies seiner<br />

Güte, diesem Quellgr<strong>und</strong> all seiner Gesetze, entspricht.<br />

Zu 3. Wenn <strong>de</strong>r Richter unter Mißachtung <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>sord­<br />

nung Strafe erließe, fügte er <strong>de</strong>r Gemeinschaft Scha<strong>de</strong>n zu, für<br />

die es gut ist, wenn die Übeltäter bestraft wer<strong>de</strong>n, damit das<br />

Sündigen unterbleibt. Daher fährt Dt 13,11 nach <strong>de</strong>r Erwäh­<br />

nung <strong>de</strong>r Strafe für <strong>de</strong>n Verführer fort: „Damit ganz Israel es<br />

höre <strong>und</strong> sich fürchte <strong>und</strong> fernerhin nicht mehr etwas <strong>de</strong>rglei­<br />

chen tue." Der Richter scha<strong>de</strong>te aber auch <strong>de</strong>m Opfer <strong>de</strong>r Un­<br />

gerechtigkeit, das in <strong>de</strong>r Bestrafung <strong>de</strong>s Übeltäters eine gewisse<br />

Wie<strong>de</strong>rherstellung seiner Ehre erblickt.<br />

133


68. FRAGE<br />

DIE UNGERECHTE ANKLAGE<br />

Nun steht das Thema „ungerechte Anklage" zur Behandlung<br />

an. Dabei ergeben sich vier Fragen:<br />

1. Ist man verpflichtet, Anklage zu erheben?<br />

2. Muß die Anklage schriftlich abgefaßt wer<strong>de</strong>n?<br />

3. Wodurch wird eine Anklage verwerflich?<br />

4. Wie sind böswillige Ankläger zu bestrafen?<br />

1. ARTIKEL<br />

Ist man verpflichtet, Anklage zu erheben ?<br />

1. Niemand wird wegen einer Sün<strong>de</strong> von <strong>de</strong>r Erfüllung eines<br />

göttlichen Gebotes entschuldigt, <strong>de</strong>nn sonst zöge er aus seiner<br />

Sün<strong>de</strong> einen Vorteil. Doch manche wer<strong>de</strong>n wegen einer Sün<strong>de</strong><br />

unfähig, als Kläger aufzutreten, wie z. B. die Exkommunizier­<br />

ten, die Ehrlosen <strong>und</strong> die größerer Verbrechen Angeklagten,<br />

bevor ihre Unschuld erwiesen ist. Also ist man durch göttliches<br />

Gebot nicht gehalten, Anklage zu erheben.<br />

2. Je<strong>de</strong> Pflicht hängt von <strong>de</strong>r Liebe ab, die „das Ziel <strong>de</strong>s<br />

Gesetzes ist". Daher heißt es Rom 13,8: „Bleibt niemand etwas<br />

schuldig, nur die Liebe schul<strong>de</strong>t ihr einan<strong>de</strong>r immer." Doch die<br />

Liebe schul<strong>de</strong>t <strong>de</strong>r Mensch allen, <strong>de</strong>n Großen <strong>und</strong> <strong>de</strong>n Kleinen,<br />

<strong>de</strong>n Untergebenen <strong>und</strong> <strong>de</strong>n Vorgesetzten. Da nun die Unterge­<br />

benen nicht die Vorgesetzten <strong>und</strong> die Kleinen nicht die Großen<br />

anklagen sollen, wie durch mehrere Kapitel in <strong>de</strong>n Dekreten<br />

II, q. 7 (Frdb1,483 ff.) dargelegt wird, ist offenbar niemand ver­<br />

pflichtet, Klage zu erheben.<br />

3. Niemand ist verpflichtet, gegen die Treue zu han<strong>de</strong>ln, die<br />

er <strong>de</strong>m Fre<strong>und</strong> schul<strong>de</strong>t, <strong>de</strong>nn er darf einem an<strong>de</strong>ren nicht<br />

antun, was er selbst von ihm nicht zugefügt haben möchte. Nun<br />

be<strong>de</strong>utet jeman<strong>de</strong>n anklagen bisweilen einen Verstoß gegen die<br />

Treue, die man <strong>de</strong>m Fre<strong>und</strong> schul<strong>de</strong>t, wie es Sprll,13 heißt:<br />

„Wer trügerisch wan<strong>de</strong>lt, <strong>de</strong>ckt Geheimnisse auf, wer aber treu<br />

ist, schweigt über das, was <strong>de</strong>r Fre<strong>und</strong> ihm anvertraut hat." Also<br />

ist man nicht gehalten, Anklage zu erheben.<br />

134


DAGEGEN heißt es Lv 5,1: „Wenn jemand dadurch sündigt, 68. 1<br />

daß er einem Fluchen<strong>de</strong>n zuhört <strong>und</strong> also Augenzeuge ist, es<br />

jedoch nicht anzeigt, macht er sich schuldig."<br />

ANTWORT. Wie oben (67,3,2) dargelegt, besteht <strong>de</strong>r Unter­<br />

schied zwischen Anzeige <strong>und</strong> Anklage darin, daß die Anzeige<br />

die Besserung <strong>de</strong>s Mitbru<strong>de</strong>rs im Auge hat, während die<br />

Anklage auf die Bestrafung <strong>de</strong>s Verbrechens ausgeht. Die Stra­<br />

fen <strong>de</strong>s gegenwärtigen Lebens jedoch sind nicht an sich gefor­<br />

<strong>de</strong>rt - <strong>de</strong>nn hienie<strong>de</strong>n ist nicht die endgültige Zeit <strong>de</strong>r Vergel­<br />

tung -, son<strong>de</strong>rn als Heilmittel zur Besserung <strong>de</strong>s Sün<strong>de</strong>rs o<strong>de</strong>r<br />

zum Wohl <strong>de</strong>s Gemeinwesens, <strong>de</strong>ssen Frie<strong>de</strong> durch die Bestra­<br />

fung <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>r gesichert wird. Das erste hat, wie gesagt, die<br />

Anzeige im Sinn, das zweite bezweckt man mit <strong>de</strong>r Anklage.<br />

Wenn daher ein Verbrechen ein Ausmaß angenommen hat, daß<br />

es <strong>de</strong>n Staat bedroht, besteht die Verpflichtung zur Klageerhe­<br />

bung - ausreichen<strong>de</strong>r Beweis vorausgesetzt; sich <strong>de</strong>ssen zu ver­<br />

sichern, ist Pflicht <strong>de</strong>s Anklägers -, z. B. wenn jeman<strong>de</strong>s Sün<strong>de</strong><br />

zum leiblichen o<strong>de</strong>r geistlichen Ver<strong>de</strong>rben <strong>de</strong>s Volkes aus­<br />

schlägt. Erreicht die Sün<strong>de</strong> aber nicht eine <strong>de</strong>rartige soziale<br />

Auswirkung o<strong>de</strong>r läßt sie sich nicht genügend beweisen, so<br />

besteht keine Verpflichtung, eine Klage anzustrengen, <strong>de</strong>nn nie­<br />

mand ist zu etwas verpflichtet, was er nicht sachgerecht zu lei­<br />

sten vermag.<br />

Zu 1. Es stimmt tatsächlich, daß <strong>de</strong>r Mensch wegen einer<br />

Sün<strong>de</strong> unfähig wird, zu tun, was alle tun müssen, z. B. das<br />

ewige Leben verdienen o<strong>de</strong>r die Sakramente empfangen. Doch<br />

zieht <strong>de</strong>r Mensch daraus keineswegs einen Vorteil, in Wirklich­<br />

keit nämlich be<strong>de</strong>utet nicht tun können, was man tun sollte,<br />

schwerste Strafe, <strong>de</strong>nn seine Vollkommenheit erlangt <strong>de</strong>r<br />

Mensch durch tugendhaftes Tun.<br />

Zu 2. Untergebene, die das Leben ihrer Vorgesetzten „nicht<br />

aus Liebe, son<strong>de</strong>rn in bösartiger Absicht in Verruf bringen <strong>und</strong><br />

<strong>de</strong>r Kritik aussetzen wollen", dürfen gegen sie keine Klage erhe­<br />

ben (Frdbl,488). Das gleiche gilt nach <strong>de</strong>n Dekreten II,q. 7<br />

(Frdbl,488) für verbrecherische Untergebene. Sonst jedoch<br />

dürfen Untergebene ihre Vorgesetzten aus Liebe anklagen, falls<br />

sie die nötigen Voraussetzungen dazu haben.<br />

Zu 3. Geheimnisse zum Scha<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r betreffen<strong>de</strong>n Person<br />

enthüllen, verstößt gegen die Treue, nicht aber wenn sie ans<br />

Licht <strong>de</strong>r Öffentlichkeit gezogen wer<strong>de</strong>n zum Vorteil <strong>de</strong>s<br />

Gemeinwohls, das <strong>de</strong>m Wohl <strong>de</strong>s einzelnen stets vorgeht. Des-<br />

135


68. 2 halb darf man sich auch auf kein Geheimnis einlassen, das sich<br />

gegen das Gemeinwohl richtet. - Jedoch ist das, was sich durch<br />

vollgültige Zeugen beweisen läßt, kein Geheimnis [49].<br />

2. ARTIKEL<br />

Muß die Anklage schriftlich abgefaßt wer<strong>de</strong>n?<br />

1. Die Schrift wur<strong>de</strong> zur Unterstützung <strong>de</strong>s Gedächtnisses<br />

erf<strong>und</strong>en, damit es das Vergangene besser behalten kann. Doch<br />

eine Anklage hat Gegenwärtiges zum Thema. Also ist es nicht<br />

nötig, sie schriftlich abzufassen.<br />

2. In <strong>de</strong>n Dekreten II, q. 8 (Frdbl,503) steht: „Ein Abwe­<br />

sen<strong>de</strong>r kann we<strong>de</strong>r anklagen noch von jemand angeklagt wer­<br />

<strong>de</strong>n." Die Schrift aber dient gera<strong>de</strong> dazu, Abwesen<strong>de</strong>n etwas<br />

mitzuteilen (vgl. Augustinus: Über die Dreifaltigkeit, 10,1;<br />

ML 42,972). Also ist eine schriftliche Abfassung <strong>de</strong>r Anklage<br />

überflüssig, zumal ein Kanon bestimmt, daß „keine Anklage<br />

schriftlich angenommen wer<strong>de</strong>n darf" (Frdb 1,503).<br />

3. Man kann jemand eines Verbrechens überführen sowohl<br />

durch Anklage wie durch Anzeige. Doch eine Anzeige braucht<br />

man nicht schriftlich abzufassen. Also auch nicht eine Anklage.<br />

DAGEGEN heißt es in <strong>de</strong>n Dekreten II, q. 3 (Frdb 1,503):<br />

„Ankläger ohne schriftlich aufgesetzten Text dürfen nicht zuge­<br />

lassen wer<strong>de</strong>n".<br />

ANTWORT. Wie oben (67,3) bemerkt, ist <strong>de</strong>r Ankläger in<br />

einem Kriminalprozeß Partei, so daß <strong>de</strong>r Richter zur Prüfung<br />

<strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>slage in <strong>de</strong>r Mitte zwischen <strong>de</strong>m Ankläger <strong>und</strong> <strong>de</strong>m<br />

Angeklagten steht. Dabei muß er zu möglichst sicheren<br />

Erkenntnissen gelangen. Weil jedoch nur mündlich Vorgebrach­<br />

tes leicht vergessen wird, stün<strong>de</strong> <strong>de</strong>m Richter bei seiner Urteils­<br />

verkündung das Was- <strong>und</strong> Wie-Gesagte nicht sicher vor Augen.<br />

Daher gibt es die kluge Bestimmung, daß die Anklage, wie<br />

überhaupt alles, was zu einer Gerichtsverhandlung gehört,<br />

schriftlich abzufassen ist [50].<br />

Zu 1. Es ist schwer, sich bei <strong>de</strong>r Menge <strong>und</strong> Mannigfaltigkeit<br />

<strong>de</strong>s Gesprochenen einzelne Worte zu merken. Beweis dafür ist<br />

die Tatsache, daß viele, die das gleiche gehört haben, schon nach<br />

kurzer Zeit, wenn man sie danach fragt, verschie<strong>de</strong>ne Antwor­<br />

ten geben. Und doch än<strong>de</strong>rt schon ein geringer Unterschied in<br />

<strong>de</strong>n Worten <strong>de</strong>n Sinn! Daher ist es für die Sicherheit <strong>de</strong>s Urteils,<br />

136


auch wenn es <strong>de</strong>r Richter schon bald nach Abschluß <strong>de</strong>r Ver- 68. 3<br />

handlung verkün<strong>de</strong>n muß, von Vorteil, wenn die Anklage<br />

schriftlich abgefaßt wird.<br />

Zu 2. Schriftliche Abfassung ist nicht nur nötig, wenn die<br />

Person, die etwas mitteilt o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r etwas mitgeteilt wer<strong>de</strong>n<br />

muß, abwesend ist, son<strong>de</strong>rn auch wenn die Sache sich zeitlich<br />

hinzieht (Zul). Wenn daher <strong>de</strong>r Kanon sagt, daß „keine<br />

Anklage schriftlich angenommen wer<strong>de</strong>n darf", so ist dies vom<br />

Abwesen<strong>de</strong>n zu verstehen, <strong>de</strong>r seine Anklage brieflich ein­<br />

reicht. Dies schließt jedoch nicht aus, daß, wenn <strong>de</strong>r Ankläger<br />

anwesend ist, ein Schriftsatz verlangt wird.<br />

Zu 3. Wer anzeigt, verpflichtet sich nicht, Beweise vorzule­<br />

gen. Deshalb wird er auch nicht bestraft, wenn er keine hat. Aus<br />

diesem Gr<strong>und</strong> ist für die Anzeige auch keine Nie<strong>de</strong>rschrift<br />

nötig, son<strong>de</strong>rn ausreichend, wenn die Anzeige <strong>de</strong>r kirchlichen<br />

Autorität mündlich vorgetragen wird, die dann von Amts<br />

wegen zusieht, daß <strong>de</strong>r Mitbru<strong>de</strong>r auf bessere Wege kommt<br />

[51].<br />

3. ARTIKEL<br />

Wird die Anklage ungerecht durch Verleumdung, Verheimlichung<br />

(praevaricatio) <strong>und</strong> Wi<strong>de</strong>rruf (tergiversatio)? [52]<br />

1. In <strong>de</strong>n Dekreten II, q. 3 (Frdb 1,453) steht: „Verleum<strong>de</strong>n<br />

heißt falsche Verbrechen angeben". Doch bisweilen wirft<br />

jemand einem aus entschuldbarer Unkenntnis <strong>de</strong>r Tatsachen ein<br />

falsches Verbrechen vor. Also wird die Anklage im Fall von Ver­<br />

leumdung nicht immer ungerecht.<br />

2. Ebendort heißt es: „Praevaricari be<strong>de</strong>utet: wahre Verbre­<br />

chen verheimlichen". Doch dies scheint nicht unerlaubt zu sein,<br />

<strong>de</strong>nn man ist nicht gehalten, alle Verbrechen aufzu<strong>de</strong>cken, wie<br />

oben (Art. 1; 33,7) gesagt wur<strong>de</strong>. Also wird die Anklage durch<br />

eine <strong>de</strong>rartige Verheimlichung nicht ungerecht.<br />

3. Ebenfalls steht dort: „Tergiversari heißt: gänzlich von <strong>de</strong>r<br />

Anklage zurücktreten". Doch dies kann ohne Ungerechtigkeit<br />

geschehen; man liest dort nämlich weiter: „Reut es einen, über<br />

etwas nicht Beweisbares eine Strafklage eingereicht <strong>und</strong> schrift­<br />

lich nie<strong>de</strong>rgelegt zu haben, so soll er sich mit <strong>de</strong>m Angeklagten<br />

verständigen, <strong>und</strong> die Sache ist beigelegt". Also wird die<br />

Anklage durch Wi<strong>de</strong>rruf nicht ungerecht.<br />

137


68. 3 DAGEGEN heißt es an <strong>de</strong>r gleichen Stelle: „Die Unbedacht­<br />

samkeit <strong>de</strong>s Anklägers zeigt sich auf dreierlei Weise: entwe<strong>de</strong>r<br />

verleum<strong>de</strong>t er o<strong>de</strong>r er verheimlicht o<strong>de</strong>r er leistet Wi<strong>de</strong>rruf".<br />

ANTWORT. Wer eine Klage erhebt, möchte durch die<br />

Bekanntmachung <strong>de</strong>s Verbrechens <strong>de</strong>m Gemeinwohl einen<br />

Dienst erweisen. Niemand aber darf einem ungerecht Scha<strong>de</strong>n<br />

zufügen, um das Gemeinwohl zu för<strong>de</strong>rn. Daher wird die<br />

Anklage aus zweifachem Gr<strong>und</strong> sündhaft. Einmal durch unge­<br />

rechtes Vorgehen gegen <strong>de</strong>n Angeklagten, in<strong>de</strong>m man ihn<br />

erf<strong>und</strong>ener Verbrechen bezichtigt, <strong>und</strong> das heißt „verleum<strong>de</strong>n".<br />

- Sodann im Hinblick auf <strong>de</strong>n Staat, <strong>de</strong>ssen Wohl man durch die<br />

Anklage hauptsächlich dienen will: eine solche Absicht wird<br />

zunichte, wenn man böswillig die Bestrafung <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> hinter­<br />

treibt, was wie<strong>de</strong>rum auf zweifache Weise geschehen kann. Ein­<br />

mal durch betrügerische Machenschaften in <strong>de</strong>r Anklage; dies<br />

fällt unter „Verheimlichung (praevaricatio) zugunsten <strong>de</strong>s<br />

Angeklagten", <strong>de</strong>nn „ein praevaricator ist gewissermaßen einer,<br />

<strong>de</strong>r, auf krummen Wegen geht', in<strong>de</strong>m er die eigene Sache verrät<br />

<strong>und</strong> es heimlich mit <strong>de</strong>r Gegenpartei hält" (ebda.). - Auf an<strong>de</strong>re<br />

Weise dadurch, daß man die Anklage völlig wi<strong>de</strong>rruft, <strong>und</strong> dies<br />

heißt „tergiversari", „<strong>de</strong>n Rücken wen<strong>de</strong>n", <strong>de</strong>nn wi<strong>de</strong>rruft<br />

jemand das, was er begonnen hat, so „wen<strong>de</strong>t er gleichsam <strong>de</strong>n<br />

Rücken".<br />

Zu 1. Man darf eine Anklage nur dann erheben, wenn man<br />

seiner Sache unbedingt sicher ist <strong>und</strong> keine Zweifel über die Tat­<br />

sachen bestehen. Doch verleum<strong>de</strong>t nicht je<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r einem<br />

fälschlich ein Verbrechen zur Last legt, son<strong>de</strong>rn nur, wer sich<br />

böswillig zu einer falschen Anklage hinreißen läßt. Es kommt<br />

nämlich bisweilen vor, daß jemand aus Leichtsinn zur Anklage<br />

schreitet, weil er in seiner Unbesonnenheit allzu leicht glaubt,<br />

was er hört. Bisweilen jedoch wird jemand auch durch einen un­<br />

vermeidlichen Irrtum zur Klage veranlaßt. All dies hat ein klu­<br />

ger Richter auseinan<strong>de</strong>rzuhalten, damit er nicht voreilig Ver­<br />

leumdung vermutet, wo es sich nur um Leichtsinn han<strong>de</strong>lt o<strong>de</strong>r<br />

um falsche Anklage aufgr<strong>und</strong> unvermeidlichen Irrtums [53].<br />

Zu 2. Nicht je<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r über wahre Verbrechen schweigt, ver­<br />

heimlicht sie im vorliegen<strong>de</strong>n Sinn, son<strong>de</strong>rn nur, wenn er betrü­<br />

gerisch verschweigt, was zu seiner Anklage gehört, <strong>und</strong> mit<br />

<strong>de</strong>m Angeklagten gemeinsame Sache macht, in<strong>de</strong>m er zu <strong>de</strong>s­<br />

sen Gunsten Beweise unterschlägt <strong>und</strong> falsche Entlastungen<br />

zuläßt.<br />

138


Zu 3. „Wi<strong>de</strong>rrufen" heißt die Anklage zurückziehen, in<strong>de</strong>m 68.4<br />

man die Absicht anzuklagen völlig aufgibt, <strong>und</strong> zwar nicht<br />

irgendwie, son<strong>de</strong>rn auf eine rechtswidrige Weise. Einwandfrei<br />

kann jemand eine Anklage auf zweifache Art aufgeben. Einmal,<br />

wenn er im Verlauf <strong>de</strong>s Prozesses erkennt, daß seine Anklage<br />

nicht stimmt <strong>und</strong> Kläger <strong>und</strong> Angeklagter dann durch gegensei­<br />

tige Übereinkunft die Sache für erledigt erklären. Sodann, wenn<br />

<strong>de</strong>r Fürst in seiner Sorge um das Gemeinwohl, <strong>de</strong>m ja die<br />

Anklage dienen wollte, das Verfahren einstellt.<br />

4. ARTIKEL<br />

Verfällt ein Ankläger, <strong>de</strong>r in seiner Beweisführung versagt, <strong>de</strong>r<br />

Strafe <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rvergeltung? [54]<br />

1. Es kommt bisweilen vor, daß jemand aus unvermeidli­<br />

chem Irrtum zur Anklage schreitet. In diesem Fall muß <strong>de</strong>r<br />

Richter <strong>de</strong>n Ankläger straflos ausgehen lassen, wie in <strong>de</strong>n<br />

Dekreten II, q. 3 (Frdb 1,454) gesagt wird. Der Ankläger, <strong>de</strong>r in<br />

<strong>de</strong>r Beweisführung versagt, unterliegt also nicht <strong>de</strong>r Strafe <strong>de</strong>r<br />

Wie<strong>de</strong>rvergeltung.<br />

2. Sollte die Strafe <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rvergeltung <strong>de</strong>m ungerechten<br />

Ankläger auferlegt wer<strong>de</strong>n, dann wegen eines gegen jemand be­<br />

gangenen Unrechts. Nicht aber wegen eines Unrechts gegen die<br />

Person <strong>de</strong>s Anklagten, <strong>de</strong>nn dann könnte <strong>de</strong>r Fürst diese Strafe<br />

nicht erlassen. Aber auch nicht wegen eines Unrechts gegen das<br />

Gemeinwesen, <strong>de</strong>nn dann könnte ihn <strong>de</strong>r Angeklagte nicht frei­<br />

geben. Also gebührt <strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Anklage versagt hat, nicht<br />

die Strafe <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rvergeltung.<br />

3. Ein<strong>und</strong>dieselbe Sün<strong>de</strong> darf nicht mit doppelter Strafe ge­<br />

ahn<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n. So gemäß Nah 1,9: „Gott wird nicht zweimal<br />

verurteilen für dasselbe Vergehen" (Septuagintatext). Doch<br />

wer in <strong>de</strong>r Beweisführung versagt, zieht sich die Strafe <strong>de</strong>r Ehr­<br />

losigkeit zu, die, wie es scheint, selbst <strong>de</strong>r Papst nicht erlassen<br />

kann gemäß <strong>de</strong>m Wort <strong>de</strong>s Papstes Gelasius: „Wenn wir auch<br />

die Seelen durch Buße retten können, am Verlust <strong>de</strong>r Ehre kön­<br />

nen wir nichts än<strong>de</strong>rn". Also verdient <strong>de</strong>r Ankläger nicht auch<br />

noch die Strafe <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rvergeltung.<br />

DAGEGEN steht das Wort <strong>de</strong>s Papstes Hadrian (In capitu-<br />

lari, c. 52; MansiXII,912): „Wer seinen Vorwurf nicht beweisen<br />

139


68. 4 kann, soll die <strong>de</strong>m Angeklagten zugedachte Strafe selbst erlei­<br />

<strong>de</strong>n".<br />

ANTWORT. Wie oben (Art. 2) besprochen, gehört <strong>de</strong>r<br />

Ankläger im Klageprozeß zur Partei, die eine Bestrafung <strong>de</strong>s<br />

Angeklagten durchsetzen will. Die Aufgabe <strong>de</strong>s Richters jedoch<br />

besteht darin, <strong>de</strong>n rechtlichen Ausgleich zwischen bei<strong>de</strong>n her­<br />

zustellen. Dies nun verlangt, daß einer <strong>de</strong>n Scha<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>n er <strong>de</strong>m<br />

an<strong>de</strong>ren zugedacht hat, selbst erlei<strong>de</strong>t gemäß Ex 21,24: „Aug'<br />

um Auge, Zahn um Zahn". Somit ist es nur gerecht, daß, wer<br />

jeman<strong>de</strong>n durch seine Anklage in die Gefahr schwerer Bestra­<br />

fung gebracht hat, selbst eine ähnliche Strafe erlei<strong>de</strong>t.<br />

Zu 1. Wie es bei Aristoteles im V.Buch seiner Ethik (c.8;<br />

1132 b 31) heißt, ist „Wie<strong>de</strong>rvergeltung" auf <strong>de</strong>m Gebiet <strong>de</strong>r<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> schlechthin nicht immer angebracht, <strong>de</strong>nn viel<br />

kommt darauf an, ob einer <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren absichtlich o<strong>de</strong>r unfrei­<br />

willig geschädigt hat. Was mit Absicht geschieht, verdient<br />

Strafe, <strong>de</strong>m Unfreiwilligen jedoch gebührt Nachsicht. Wenn<br />

daher <strong>de</strong>r Richter feststellt, daß einer jeman<strong>de</strong>n fälschlich ange­<br />

klagt hat, ohne <strong>de</strong>n Willen zu scha<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn aus Unkenntnis<br />

aufgr<strong>und</strong> von unverschul<strong>de</strong>tem Irrtum <strong>und</strong> somit unabsicht­<br />

lich, legt er ihm die Strafe <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rvergeltung nicht auf.<br />

Zu 2. Wer böswillig anklagt, sündigt gegen die Person <strong>de</strong>s<br />

Angeklagten <strong>und</strong> auch gegen das Gemeinwesen. Daher wird er<br />

für bei<strong>de</strong>s bestraft. In diesem Sinn ist Dt 19,18 ff. zu verstehen:<br />

„Wenn sie (die Priester <strong>und</strong> Richter) nach sorgfältiger Untersu­<br />

chung gef<strong>und</strong>en haben, daß <strong>de</strong>r falsche Zeuge gegen seinen<br />

Bru<strong>de</strong>r eine Lüge gesprochen hat, so sollen sie ihm antun, was<br />

er seinem Bru<strong>de</strong>r anzutun gedachte". Dies zum Unrecht gegen<br />

die Person; sodann zum Unrecht gegen das Gemeinwesen:<br />

„Und so sollst du das Böse aus <strong>de</strong>iner Mitte fortschaffen, damit<br />

die übrigen es hören <strong>und</strong> sich fürchten <strong>und</strong> nie mehr solches zu<br />

tun wagen". Insbeson<strong>de</strong>re jedoch geschieht bei falscher Anklage<br />

<strong>de</strong>r Person <strong>de</strong>s Angeklagten Unrecht. Daher kann <strong>de</strong>r Ange­<br />

klagte, wenn er unschuldig ist, <strong>de</strong>m Kläger sein Unrecht verzei­<br />

hen, vor allem, wenn dieser nicht verleum<strong>de</strong>risch, son<strong>de</strong>rn aus<br />

Gedankenlosigkeit gegen ihn vorgegangen ist. Verzichtet er<br />

nach Verabredung mit seinem Gegner auf Erhebung <strong>de</strong>r<br />

Anklage, bleibt aber <strong>de</strong>nnoch das Unrecht gegen das Gemein­<br />

wesen, <strong>und</strong> dieses kann vom Angeklagten nicht vergeben wer­<br />

<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn nur vom Fürsten, <strong>de</strong>r die Sorge für das Gemein­<br />

wohl trägt.<br />

140


Zu 3. Der Ankläger verdient die Strafe <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rvergel- 68. 4<br />

tung als Ausgleich für <strong>de</strong>n Scha<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>n er <strong>de</strong>m Nächsten antun<br />

wollte. Die Strafe <strong>de</strong>s Ehrverlusts jedoch gebührt ihm wegen<br />

<strong>de</strong>r Bosheit seiner verleum<strong>de</strong>rischen Anklage. Bisweilen ver­<br />

zichtet <strong>de</strong>r Fürst auf Bestrafung, läßt jedoch die Ehrlosigkeit<br />

weiter bestehen; manchmal aber hebt er auch diese auf. Daher<br />

kann auch <strong>de</strong>r Papst die Ehrlosigkeit aufheben, <strong>und</strong> jenes Wort<br />

<strong>de</strong>s Papstes Gelasius: „Ehrlosigkeit können wir nicht aufheben",<br />

ist zu verstehen entwe<strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r tatbezogenen Ehrlosigkeit<br />

(infamia facti), o<strong>de</strong>r weil es bisweilen nicht ratsam ist, sie auf­<br />

zuheben. O<strong>de</strong>r er spricht dort von <strong>de</strong>r Ehrlosigkeit, die <strong>de</strong>r<br />

weltliche Richter verhängt hat, wie Gratian sagt (Frdb 1,453)<br />

[55].<br />

141


69. FRAGE<br />

DIE SÜNDEN DES ANGEKLAGTEN<br />

GEGEN DIE GERECHTIGKEIT<br />

Nun ist über die Sün<strong>de</strong>n zu re<strong>de</strong>n, die vom Angeklagten<br />

gegen die <strong>Gerechtigkeit</strong> begangen wer<strong>de</strong>n. Dabei stellen sich<br />

vier Fragen:<br />

1. Begeht einer eine Todsün<strong>de</strong> durch Leugnen <strong>de</strong>r Wahrheit,<br />

die seine Verurteilung zur Folge hätte?<br />

2. Darf man sich mit unredlichen Mitteln verteidigen?<br />

3. Ist es erlaubt, Berufung einzulegen, um <strong>de</strong>r Verurteilung<br />

zu entgehen?<br />

4. Darf sich ein Verurteilter mit Gewalt wehren, wenn er die<br />

Möglichkeit dazu hat?<br />

1. ARTIKEL<br />

Kann <strong>de</strong>r Angeklagte, ohne eine Todsün<strong>de</strong> zu begehen, die<br />

Wahrheit leugnen, die seine Verurteilung zur Folge hätte?<br />

1. Cbrysostomus schreibt (Horn. 31 zum Hebräerbrief;<br />

MG 63,216): „Ich sage dir nicht, du sollest dich öffentlich bloß­<br />

stellen o<strong>de</strong>r dich bei einem anklagen." Wenn jedoch ein Ange­<br />

klagter vor Gericht mit <strong>de</strong>r Wahrheit herausrückte, wür<strong>de</strong> er<br />

sich bloßstellen <strong>und</strong> anklagen. Also ist er nicht gehalten, die<br />

Wahrheit zu sagen, <strong>und</strong> darum sündigt er auch nicht schwer,<br />

wenn er vor Gericht lügt.<br />

2. Wie es eine Gefälligkeitslüge ist, wenn jemand die<br />

Unwahrheit sagt, um einen vor <strong>de</strong>m Tod zu retten, so ist es auch<br />

eine Gefälligkeitslüge, wenn jemand lügt, um dadurch selbst<br />

<strong>de</strong>m Tod zu entgehen, <strong>de</strong>nn man ist sich selber mehr schuldig<br />

als an<strong>de</strong>ren. Die Gefälligkeitslüge wird jedoch nicht als Tod­<br />

sün<strong>de</strong> angesehen, son<strong>de</strong>rn gilt als läßlich. Also sündigt ein<br />

Angeklagter nicht schwer, wenn er vor Gericht die Wahrheit<br />

leugnet, um <strong>de</strong>m Tod zu entgehen.<br />

3. Je<strong>de</strong> Todsün<strong>de</strong> ist gegen die Caritas gerichtet (vgl. 24,12).<br />

Wenn nun ein Angeklagter lügt, in<strong>de</strong>m er die Verantwortung für<br />

ein ihm vorgeworfenes Vergehen von sich weist, richtet sich dies<br />

nicht gegen die Caritas, d. h. we<strong>de</strong>r gegen die Liebe zu Gott,<br />

142


noch gegen die Liebe zum Nächsten. Also ist eine <strong>de</strong>rartige 69. l<br />

Lüge keine Todsün<strong>de</strong>.<br />

DAGEGEN steht: alles, was <strong>de</strong>r Ehre Gottes zuwi<strong>de</strong>rläuft,<br />

ist Todsün<strong>de</strong>, <strong>de</strong>nn wir sind verpflichtet, „alles zur Ehre Gottes<br />

zu tun", wie es 1 Kor 10,31 heißt. Nun han<strong>de</strong>lt <strong>de</strong>r Angeklagte<br />

zur Ehre Gottes, wenn er bekennt, was gegen ihn steht. Dies<br />

drückt ganz <strong>de</strong>utlich das Wort <strong>de</strong>s Josue an Achar aus (Jos 7,19):<br />

„Mein Sohn, gib <strong>de</strong>m Herrn, <strong>de</strong>m Gott Israels, die Ehre <strong>und</strong><br />

bekenne <strong>und</strong> zeige mir an, was du getan hast, <strong>und</strong> verheimliche<br />

es nicht." Wer also mit einer Falschaussage seine Sün<strong>de</strong> leugnet,<br />

begeht eine Todsün<strong>de</strong>.<br />

ANTWORT. Wer immer gegen die <strong>Gerechtigkeit</strong> verstößt,<br />

begeht eine Todsün<strong>de</strong>, wie oben (59,4) dargelegt wur<strong>de</strong>. Nun<br />

verlangt die <strong>Gerechtigkeit</strong>, <strong>de</strong>m Vorgesetzten in <strong>de</strong>m, was zu<br />

<strong>de</strong>ssen Amtsbereich gehört, Gehorsam zu leisten. Der Richter<br />

aber ist, wie bemerkt (67,1), Vorgesetzter <strong>de</strong>ssen, <strong>de</strong>r gerichtet<br />

wird. Aus diesem Gr<strong>und</strong> ist <strong>de</strong>r Angeklagte verpflichtet, <strong>de</strong>m<br />

Richter die Wahrheit, wie er sie in rechtlicher Form verlangt,<br />

offenzulegen [56]. Wenn er also die Wahrheit, die er zu sagen<br />

hat, nicht preisgeben will o<strong>de</strong>r sie lügenhaft leugnet, sündigt er<br />

schwer. Stellt <strong>de</strong>r Richter jedoch Fragen außerhalb <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>s­<br />

ordnung, so braucht ihm <strong>de</strong>r Angeklagte nicht zu antworten,<br />

son<strong>de</strong>rn kann sich entwe<strong>de</strong>r durch Berufung o<strong>de</strong>r auf eine<br />

an<strong>de</strong>re einwandfreie Weise aus seiner Lage herauswin<strong>de</strong>n.<br />

Lügen jedoch darf er nicht.<br />

Zu 1. Wer vom Richter <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>sordnung gemäß gefragt<br />

wird, stellt sich nicht selber bloß, son<strong>de</strong>rn wird von einem an<strong>de</strong>­<br />

ren bloßgestellt, insofern ihm <strong>de</strong>r, <strong>de</strong>m er gehorchen muß, die<br />

Antworten abnötigt.<br />

Zu 2. Lügen, um einen aus To<strong>de</strong>snot zu retten, in<strong>de</strong>m man<br />

einem Dritten Unrecht tut, ist keine schlichte Gefälligkeitslüge,<br />

son<strong>de</strong>rn hat etwas Bösartiges an sich. Wenn nun jemand vor<br />

Gericht zu seiner Entlastung lügt, tut er <strong>de</strong>m Unrecht, <strong>de</strong>m er<br />

zum Gehorsam verpflichtet ist, in<strong>de</strong>m er ihm verweigert, was er<br />

ihm schul<strong>de</strong>t, nämlich das Bekenntnis <strong>de</strong>r Wahrheit.<br />

Zu 3. Wer vor Gericht zu seiner Entschuldigung lügt, han­<br />

<strong>de</strong>lt sowohl gegen die Liebe zu Gott, „<strong>de</strong>ssen das Gericht ist"<br />

[Dt 1,17], als auch gegen die Liebe zum Nächsten, <strong>und</strong> dies ein­<br />

mal im Hinblick auf <strong>de</strong>n Richter, <strong>de</strong>m er das Geschul<strong>de</strong>te ver­<br />

weigert, sodann im Hinblick auf <strong>de</strong>n Ankläger, <strong>de</strong>r bestraft<br />

wird, wenn er in seiner Beweisführung versagt. Daher heißt es<br />

143


69.2 im Ps 140,4: „Laß mein Herz sich nicht boshaften Dingen<br />

zuneigen, um Entschuldigungen zu suchen für meine Sün<strong>de</strong>n."<br />

Dazu bemerkt die Glosse (ML 70,1001): „Dies ist bei <strong>de</strong>n Un­<br />

verschämten Sitte, daß sie sich, wenn sie ertappt wer<strong>de</strong>n, mit<br />

irgendwelchen Lügen herausre<strong>de</strong>n." Und Gregor schreibt in<br />

seinen Moralia (22,15; ML 76,230) bei <strong>de</strong>r Erklärung <strong>de</strong>r Job­<br />

stelle 31,33 „Nicht verhehlte ich nach Menschenweise meine<br />

Sün<strong>de</strong>": „Es ist ein Gewohnheitslaster <strong>de</strong>r Menschen, heimlich<br />

Sün<strong>de</strong>n zu begehen <strong>und</strong> sie dann durch Leugnen zu vertuschen<br />

<strong>und</strong>, wenn sie überführt sind, sie bei <strong>de</strong>r Verteidigung noch zu<br />

vermehren."<br />

2. ARTIKEL<br />

Darf sich <strong>de</strong>r Angeklagte mit unredlichen Mitteln verteidigen?<br />

1. Nach <strong>de</strong>m bürgerlichen <strong>Recht</strong> (KRII, 96 a) darf im<br />

<strong>Recht</strong>sverfahren über to<strong>de</strong>swürdige Missetaten je<strong>de</strong>r seinen<br />

Gegner bestechen. Doch dies be<strong>de</strong>utet, sich im höchsten Grad<br />

mit allen Schikanen verteidigen. Also sündigt <strong>de</strong>r Angeklagte<br />

nicht, wenn er sich mit unredlichen Mitteln zur Wehr setzt.<br />

2. „Der Ankläger, <strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>m Angeklagten gemeinsame<br />

Sache macht, erhält die vom Gesetz bestimmte Strafe", wie es in<br />

<strong>de</strong>n Dekreten II,q. 3 (Frdbl,453) heißt. Dem Angeklagten<br />

jedoch wird keine Strafe auferlegt, wenn er mit <strong>de</strong>m Ankläger<br />

gemeinsame Sache macht. Also darf sich <strong>de</strong>r Angeklagte mit<br />

unredlichen Mitteln verteidigen.<br />

3. Spr 14,16 heißt es: „Der Weise fürchtet <strong>und</strong> mei<strong>de</strong>t das<br />

Böse; <strong>de</strong>r Tor setzt sich darüber hinweg <strong>und</strong> fühlt sich sicher."<br />

Was aber aus Weisheit geschieht, ist keine Sün<strong>de</strong>. Also sündigt<br />

nicht, wer mit welchen Mitteln auch immer sich ein Übel vom<br />

Hals zu schaffen sucht.<br />

DAGEGEN steht, daß man auch in einem Strafprozeß <strong>de</strong>n<br />

Kalumnieneid [57] ablegen muß (Extra; FrdbII,265). Dies<br />

wäre nicht <strong>de</strong>r Fall, wenn sich <strong>de</strong>r Angeklagte mit allen Schika­<br />

nen verteidigen dürfte.<br />

ANTWORT. Etwas an<strong>de</strong>res ist die Wahrheit verschweigen,<br />

<strong>und</strong> etwas an<strong>de</strong>res Falsches behaupten. Das erste geht in gewis­<br />

sen Fällen hin, <strong>de</strong>nn niemand muß alle Wahrheit sagen, son<strong>de</strong>rn<br />

nur jene, die <strong>de</strong>r Richter entsprechend <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>sordnung von<br />

ihm verlangen kann <strong>und</strong> muß. So z. B. wenn üble Nachre<strong>de</strong><br />

144


vorausgegangen ist o<strong>de</strong>r ein<strong>de</strong>utige Verdachtsgrün<strong>de</strong> vorliegen 69. 2<br />

o<strong>de</strong>r die Sache schon halbwegs bewiesen ist. Etwas Falsches<br />

behaupten darf man jedoch auf keinen Fall.<br />

Was aber erlaubt ist, kann entwe<strong>de</strong>r auf einwandfreien <strong>und</strong><br />

<strong>de</strong>m erstrebten Zweck angemessenen Wegen unternommen<br />

wer<strong>de</strong>n, <strong>und</strong> dies gehört zur Klugheit; o<strong>de</strong>r auf unerlaubten<br />

<strong>und</strong> <strong>de</strong>m beabsichtigten Zweck unangemessenen Wegen, <strong>und</strong><br />

dies gehört zur Schläue, die sich durch Betrug <strong>und</strong> List aus­<br />

zeichnet (55,3 ff.). Der erste Weg ist lobenswert, <strong>de</strong>r zweite ist<br />

sündhaft. So darf sich also <strong>de</strong>r schuldige Angeklagte verteidi­<br />

gen, in<strong>de</strong>m er die Wahrheit, die er nicht zu bekennen braucht,<br />

auf unta<strong>de</strong>lige Weise verschweigt, z. B. dadurch, daß er nicht<br />

antwortet, worauf er nicht zu antworten braucht. Dies hat mit<br />

unredlicher Verteidigung nichts zu tun, son<strong>de</strong>rn heißt einfach,<br />

sich mit Klugheit in Sicherheit bringen. - Nicht jedoch darf er<br />

Falsches aussagen o<strong>de</strong>r die Wahrheit verschweigen, die er<br />

pflichtgemäß bekennen muß; auch darf er nicht Betrug o<strong>de</strong>r<br />

List anwen<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nn Betrug <strong>und</strong> List kommen <strong>de</strong>r Lüge gleich,<br />

<strong>und</strong> das heißt, sich mit unredlichen Mitteln aus <strong>de</strong>r Gefahr zie­<br />

hen.<br />

Zu 1. Die menschlichen Gesetze lassen vieles ungestraft,<br />

was nach <strong>de</strong>m göttlichen Gericht Sün<strong>de</strong> ist, wie dies z. B. bei <strong>de</strong>r<br />

Unzucht unter Ledigen <strong>de</strong>r Fall ist. Das menschliche Gesetz<br />

verlangt nämlich vom Menschen nicht vollen<strong>de</strong>te Tugend, die<br />

nur Sache von wenigen ist <strong>und</strong> in <strong>de</strong>r großen Masse, wie das<br />

menschliche Gesetz sie notwendig ertragen muß, nicht durch­<br />

wegs gef<strong>und</strong>en wer<strong>de</strong>n kann. Daß aber jemand in einem<br />

<strong>Recht</strong>sverfahren über to<strong>de</strong>swürdige Verbrechen <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong><br />

wi<strong>de</strong>rsteht, die <strong>de</strong>n Schuldigen vor <strong>de</strong>m leiblichen Tod retten<br />

könnte, ist wahrlich vollen<strong>de</strong>te Tugend, <strong>de</strong>nn „das Schreck­<br />

lichste von allem auf <strong>de</strong>r Welt ist <strong>de</strong>r Tod", heißt es im III. Buch<br />

<strong>de</strong>r Ethik (c.9; 1115 a26). Wenn nun <strong>de</strong>r Schuldige in einem<br />

solchen Verfahren seinen Gegner besticht, sündigt er zwar, weil<br />

er ihn zu einer unsauberen Sache verführt, doch im bürgerlichen<br />

Gesetz ist dafür keine Strafe vorgesehen. Und insofern läßt sich<br />

sagen, es sei erlaubt.<br />

Zu 2. Der Ankläger, <strong>de</strong>r mit einem schuldigen Angeklagten<br />

gemeinsame Sache macht, verfällt <strong>de</strong>r Strafe. Dies ist ein klarer<br />

Beweis dafür, daß er sündigt. Da es nun Sün<strong>de</strong> ist, jeman<strong>de</strong>n zur<br />

Sün<strong>de</strong> zu verführen o<strong>de</strong>r sonstwie an einer Sün<strong>de</strong> teilzuhaben -<br />

<strong>de</strong>s To<strong>de</strong>s würdig seien, die <strong>de</strong>n Sün<strong>de</strong>rn zustimmen, sagt <strong>de</strong>r<br />

145


69. 3 Apostel [Rom 1,32] -, sündigt offensichtlich auch <strong>de</strong>r Ange­<br />

klagte, wenn er mit <strong>de</strong>m Gegner gemeinsame Sache macht.<br />

Dennoch zieht er sich nach <strong>de</strong>n menschlichen Gesetzen aus<br />

<strong>de</strong>m erwähnten Gr<strong>und</strong> keine Strafe zu.<br />

Zu 3. Der Weise braucht we<strong>de</strong>r List noch Tücke, um etwas<br />

zu verbergen, er bringt das mit Klugheit zuwege [58].<br />

3. ARTIKEL<br />

Darf <strong>de</strong>r Schuldige Berufung einlegen, um <strong>de</strong>r Verurteilung zu<br />

entgehen?<br />

1. Der Apostel schreibt Rom 13,1: „Je<strong>de</strong>rmann unterwerfe<br />

sich <strong>de</strong>n obrigkeitlichen Gewalten." Doch <strong>de</strong>r Schuldige, <strong>de</strong>r<br />

Berufung einlegt, lehnt es ab, sich <strong>de</strong>r obrigkeitlichen Gewalt -<br />

das ist hier <strong>de</strong>r Richter - zu unterwerfen. Also sündigt er.<br />

2. Stärker ist die bin<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Autorität <strong>de</strong>r or<strong>de</strong>ntlichen<br />

Gewalt als die eines selbst gewählten Richters. In <strong>de</strong>n Dekreten<br />

II,q. 6 (Frdbl,478) aber steht zu lesen: „Es ist nicht erlaubt,<br />

über die Köpfe <strong>de</strong>r gemeinsam (von bei<strong>de</strong>n Parteien) gewählten<br />

Richter hinweg Berufung einzulegen." Also ist dies noch viel<br />

weniger <strong>de</strong>n or<strong>de</strong>ntlichen Richtern gegenüber erlaubt.<br />

3. Was einmal erlaubt ist, ist immer erlaubt. Doch ist nicht<br />

erlaubt, noch nach <strong>de</strong>m zehnten Tag Berufung einzulegen<br />

(Frdb 1,474), <strong>und</strong> auch nicht, dreimal in <strong>de</strong>r gleichen Sache<br />

(Frdbl,481). Also ist Berufung an sich nicht erlaubt.<br />

DAGEGEN steht, daß Paulus Berufung beim Kaiser eingelegt<br />

hat (Apg25,ll).<br />

ANTWORT. Aus zwei Grün<strong>de</strong>n kann jemand Berufung ein­<br />

legen. Einmal im Vertrauen auf die gerechte Sache nach unge­<br />

rechter Verurteilung durch <strong>de</strong>n Richter. In diesem Fall ist Beru­<br />

fung erlaubt, <strong>de</strong>nn dies heißt, sich in kluger Weise <strong>de</strong>r Verurtei­<br />

lung entziehen. Daher steht in <strong>de</strong>n Dekreten II, q. 6<br />

(Frdb 1,467): „Je<strong>de</strong>r Unterdrückte kann nach Belieben frei das<br />

Gericht <strong>de</strong>r Priester anrufen, <strong>und</strong> niemand darf ihn daran hin­<br />

<strong>de</strong>rn."<br />

Sodann legt jemand Berufung ein, um Zeit zu gewinnen <strong>und</strong><br />

die gerechte Verurteilung hinauszuzögern. Dies ist schikanöse<br />

Verteidigungstaktik <strong>und</strong>, wie oben bemerkt, unerlaubt. Sie<br />

be<strong>de</strong>utet nämlich Unrecht sowohl gegen <strong>de</strong>n Richter, <strong>de</strong>m er in<br />

<strong>de</strong>r Ausübung seines Amtes Schwierigkeiten macht, als auch<br />

146


gegen seinen Kontrahenten, <strong>de</strong>ssen <strong>Recht</strong>sansprüche er zu ver- 69. 3<br />

wirren sucht. Deshalb ist nach <strong>de</strong>n Dekreten II, q. 6 (Frdbl, 473)<br />

„unbedingt zu bestrafen, wer eine ungerechtfertigte Berufung<br />

eingereicht hat".<br />

Zu 1. Einer untergeordneten Gewalt muß man sich insoweit<br />

fügen, als sie die über ihr stehen<strong>de</strong> Ordnung beachtet. Sobald<br />

sie davon abrückt, ist die Unterordnung zu been<strong>de</strong>n, z. B.<br />

„wenn <strong>de</strong>r Prokonsul etwas an<strong>de</strong>res befiehlt als <strong>de</strong>r Kaiser", wie<br />

die Glosse zu Rom 13 (ML 191,1505) bemerkt. Wenn nun ein<br />

Richter jeman<strong>de</strong>n ungerecht verurteilt, so verläßt er hierin die<br />

Ordnung <strong>de</strong>r übergeordneten Gewalt, die ihn beauftragt hat,<br />

unbedingt nach <strong>Recht</strong> <strong>und</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong> zu richten. Daher ist<br />

es <strong>de</strong>m ungerecht Verurteilten erlaubt, die höher stehen<strong>de</strong><br />

Instanz anzurufen, sei es vor, sei es nach <strong>de</strong>r Verkündung <strong>de</strong>s<br />

Urteils. - Und weil anzunehmen ist, daß dort, wo <strong>de</strong>r wahre<br />

Glaube fehlt, auch kein richtiges Verhältnis zu <strong>de</strong>m, was gerecht<br />

ist, besteht, darf ein Katholik nicht an einen ungläubigen Rich­<br />

ter Berufung einlegen gemäß <strong>de</strong>n Dekreten II, q. 6 (Frdb 1,478):<br />

„Ein Katholik, <strong>de</strong>r seine Klage, sei sie gerecht o<strong>de</strong>r ungerecht,<br />

vor das Gericht eines an<strong>de</strong>rsgläubigen Richters zieht, sei <strong>de</strong>m<br />

Banne verfallen" (verliert seine kirchlichen <strong>Recht</strong>e). Denn auch<br />

<strong>de</strong>r Apostel ta<strong>de</strong>lt jene, die ihre Streitsachen vor <strong>de</strong>m Gericht<br />

<strong>de</strong>r Ungläubigen austrugen [1 Kor 6,1].<br />

Zu 2. Wer sich einem Gericht unterwirft, <strong>de</strong>ssen <strong>Recht</strong>spre­<br />

chung er nicht traut, hat dies seiner eigenen Sorglosigkeit<br />

zuzuschreiben. Auch scheint es mit <strong>de</strong>r Standfestigkeit <strong>de</strong>ssen<br />

nicht weit her zu sein, <strong>de</strong>r nicht bei <strong>de</strong>m bleibt, was er einmal für<br />

gut bef<strong>und</strong>en hat. Daher wird ihm das Hilfsmittel <strong>de</strong>r Berufung<br />

gegen die selbstgewählten Richter, die ihre Vollmacht nur aus<br />

<strong>de</strong>r Ubereinkunft <strong>de</strong>r streiten<strong>de</strong>n Parteien besitzen, verweigert.<br />

- Die Vollmacht <strong>de</strong>s or<strong>de</strong>ntlichen Richters jedoch hängt nicht<br />

von <strong>de</strong>r Zustimmung <strong>de</strong>ssen ab, <strong>de</strong>r sich seinem Gericht unter­<br />

wirft, son<strong>de</strong>rn von <strong>de</strong>r Autorität <strong>de</strong>s berufen<strong>de</strong>n Königs o<strong>de</strong>r<br />

Fürsten. Daher gewährt das Gesetz gegen seine ungerechte<br />

Entscheidung das Hilfsmittel <strong>de</strong>r Berufung, so daß man, auch<br />

wenn er or<strong>de</strong>ntlicher <strong>und</strong> selbstgewählter Richter zugleich ist,<br />

gegen ihn Berufung einlegen kann. Denn die or<strong>de</strong>ntliche Voll­<br />

macht scheint <strong>de</strong>r Anlaß dazu zu sein, ihn zum Schiedsrichter<br />

zu wählen. Und es darf <strong>de</strong>m kein Nachteil entstehen, <strong>de</strong>r sich<br />

für <strong>de</strong>n als Schiedsrichter entschei<strong>de</strong>n wollte, <strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Fürst<br />

mit or<strong>de</strong>ntlicher Vollmacht ausgestattet hat.<br />

147


69. 4 Zu 3. Der Ausgleich <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s kommt <strong>de</strong>r einen Partei so<br />

zugute, daß <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren kein Nachteil entsteht. Daher gewährt<br />

es zur Berufung eine Frist von zehn Tagen, während <strong>de</strong>r man<br />

genügsam überlegen kann, ob sich eine Berufung lohnt. Gäbe<br />

es jedoch für die Berufung keine Zeitbeschränkung, bliebe die<br />

endgültige Entscheidung zum Nachteil <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite end­<br />

los in <strong>de</strong>r Schwebe. - Niemand darf ein drittes Mal in <strong>de</strong>r glei­<br />

chen Sache Berufung einlegen, weil es unwahrscheinlich ist, daß<br />

die Richter so oft das richtige Urteil verfehlen.<br />

4. ARTIKEL<br />

Darf sich ein zum Tod Verurteilter verteidigen, wenn er kann?<br />

1. Das, wozu die Natur uns hintreibt, ist immer erlaubt, es<br />

besitzt gleichsam <strong>de</strong>n Charakter eines Naturrechts. Nun wen­<br />

<strong>de</strong>t sich die Natur instinktiv gegen das Zerstörerische, nicht nur<br />

bei Menschen <strong>und</strong> Tieren, son<strong>de</strong>rn auch bei nicht sinnbegabten<br />

Wesen. Also ist es <strong>de</strong>m Verurteilten erlaubt, sich zu wehren,<br />

wenn er kann, damit er nicht <strong>de</strong>m Tod ausgeliefert wird.<br />

2. Wie sich jemand <strong>de</strong>m To<strong>de</strong>surteil durch Wi<strong>de</strong>rstand ent­<br />

ziehen kann, so auch durch Flucht. Doch durch Flucht darf man<br />

sich aus To<strong>de</strong>sgefahr befreien gemäß <strong>de</strong>m Wort Sir 9,18: „Halte<br />

dich fern von einem Menschen, <strong>de</strong>r die Macht hat zu töten, aber<br />

nicht, lebendig zu machen." Also ist es auch erlaubt, Wi<strong>de</strong>r­<br />

stand zu leisten.<br />

3. Spr24,11 heißt es: „Rette, die man zum To<strong>de</strong> führt, <strong>und</strong><br />

unterlaß nicht, die zu befreien, die man zum Untergang<br />

schleppt." Nun schul<strong>de</strong>t man sich selbst mehr als an<strong>de</strong>ren. Also<br />

ist es einem Verurteilten erlaubt, sich zu wehren, daß er nicht<br />

<strong>de</strong>m Tod ausgeliefert wird.<br />

DAGEGEN sagt <strong>de</strong>r Apostel Rom 13,2: „Wer sich <strong>de</strong>r staatli­<br />

chen Gewalt wi<strong>de</strong>rsetzt, stellt sich gegen die Ordnung Gottes,<br />

<strong>und</strong> wer sich ihm entgegenstellt, wird <strong>de</strong>m Gericht verfallen."<br />

Nun leistet <strong>de</strong>r Verurteilte, <strong>de</strong>r sich wehrt, <strong>de</strong>r staatlichen<br />

Gewalt gera<strong>de</strong> darin Wi<strong>de</strong>rstand, wozu sie von Gott eingesetzt<br />

wur<strong>de</strong>, nämlich „zur Bestrafung <strong>de</strong>r Bösen <strong>und</strong> zur Belobigung<br />

<strong>de</strong>r Guten" [IPetr 2,14]. Also sündigt er, wenn er sich ver­<br />

teidigt.<br />

ANTWORT. Die Verurteilung zum Tod ist auf zweifache<br />

Weise möglich. Einmal gerecht, <strong>und</strong> dann darf sich <strong>de</strong>r Ver-<br />

148


urteilte nicht dagegen zur Wehr setzen. Tut er es <strong>de</strong>nnoch, ist es 69. 4<br />

<strong>de</strong>m Richter erlaubt, seinen Wi<strong>de</strong>rstand zu brechen, <strong>de</strong>nn vom<br />

Verbrecher aus gesehen han<strong>de</strong>lt es sich um einen ungerechten<br />

Krieg. Daher versündigt er sich ohne Zweifel.<br />

An<strong>de</strong>rs liegt <strong>de</strong>r Fall bei ungerechter Verurteilung. Ein sol­<br />

ches Urteil gleicht einem Gewaltakt nach Räuberart, so wie es<br />

bei Ez 22,27 steht: „Die Fürsten in seiner Mitte, sind wie Beute<br />

rauben<strong>de</strong> Wölfe, nur darauf bedacht, Blut zu vergießen." Wie<br />

man nun <strong>de</strong>n Räubern Wi<strong>de</strong>rstand leisten darf, so ist es auch<br />

erlaubt, sich gegen schlechte Fürsten zur Wehr zu setzen, es sei<br />

<strong>de</strong>nn, ein Ärgernis, in <strong>de</strong>ssen Gefolge schwere Verwirrung zu<br />

befürchten wäre, müßte vermie<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n.<br />

Zu 1. Der Mensch besitzt die Gabe <strong>de</strong>r Vernunft, damit er<br />

seinen natürlichen Neigungen nicht nur irgendwie, son<strong>de</strong>rn mit<br />

Überlegung nachgeht. Daher ist Selbstverteidigung nicht auf<br />

jedwe<strong>de</strong> Art <strong>und</strong> Weise erlaubt, son<strong>de</strong>rn nur nach <strong>de</strong>n Regeln<br />

einer abgewogenen Sch<strong>utz</strong>maßnahme.<br />

Zu 2. Keiner wird dazu verurteilt, sich selbst <strong>de</strong>n Tod zu<br />

geben, son<strong>de</strong>rn daß er <strong>de</strong>n Tod erlei<strong>de</strong>. Daher braucht er nicht<br />

zu tun, was <strong>de</strong>n Tod nach sich zöge,z. B. an <strong>de</strong>m Ort zu bleiben,<br />

von <strong>de</strong>m aus er zur Hinrichtung geführt wird. Jedoch darf er<br />

sich <strong>de</strong>m Henker nicht wi<strong>de</strong>rsetzen, um nicht zu erlei<strong>de</strong>n, was<br />

er nach <strong>Recht</strong> <strong>und</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong> zu erlei<strong>de</strong>n hat. Doch sündigt<br />

ein zum Hungertod Verurteilter nicht, wenn er heimlich ihm<br />

zugesteckte Speise annimmt, <strong>de</strong>nn nicht annehmen wäre soviel<br />

wie Selbstmord.<br />

Zu 3. Jener Spruch <strong>de</strong>s Weisen will nicht dazu verleiten,<br />

jeman<strong>de</strong>n gegen die <strong>Recht</strong>sordnung vom Tod zu erretten.<br />

Daher darf sich auch niemand selbst durch Wi<strong>de</strong>rstand <strong>de</strong>r Hin­<br />

richtung entziehen.<br />

149


70. FRAGE<br />

DIE VERSTÖSSE<br />

GEGEN DIE GERECHTIGKEIT<br />

DURCH DEN ZEUGEN.<br />

Hierauf sind die Verstöße gegen die <strong>Gerechtigkeit</strong>, die <strong>de</strong>r<br />

Zeuge begeht, ins Auge zu fassen. Dabei ergeben sich vier Fra­<br />

gen:<br />

1. Ist man zur Zeugenaussage verpflichtet?<br />

2. Genügen zwei o<strong>de</strong>r drei Zeugen?<br />

3. Kann man die Aussage eines Zeugen zurückweisen, ohne<br />

daß bei diesem ein schuldhaftes Vergehen vorliegt?<br />

4. Ist falsches Zeugnis Todsün<strong>de</strong>?<br />

1. ARTIKEL<br />

Ist man zur Zeugenaussage verpflichtet?<br />

1. Augustinus schreibt in seinen „Fragen zur Genesis [zum<br />

Heptateuch]" (1,26; ML 34,554), daß Abraham, als er von sei­<br />

ner Frau sagte: „Es ist meine Schwester", nicht log, son<strong>de</strong>rn nur<br />

die Wahrheit verbergen wollte. Wer aber die Wahrheit verbirgt,<br />

legt kein Zeugnis ab. Also ist man nicht verpflichtet, Zeugen­<br />

aussage zu machen.<br />

2. Niemand ist verpflichtet, trügerisch zu han<strong>de</strong>ln. Doch<br />

Spr 11,13 heißt es: „Wer trügerisch wan<strong>de</strong>lt, <strong>de</strong>ckt Geheimnisse<br />

auf, wer aber treu ist, verbirgt, was <strong>de</strong>r Fre<strong>und</strong> ihm anvertraut<br />

hat". Also ist man nicht immer zur Zeugenaussage verpflichtet,<br />

beson<strong>de</strong>rs über Dinge, die einem <strong>de</strong>r Fre<strong>und</strong> unter vier Augen<br />

anvertraut hat.<br />

3. Kleriker <strong>und</strong> Priester sind mehr als an<strong>de</strong>re zu <strong>de</strong>m ver­<br />

pflichtet, was zum ewigen Heil notwendig ist. Doch ist es ihnen<br />

nicht gestattet, in <strong>Recht</strong>sverfahren über to<strong>de</strong>swürdige Misseta­<br />

ten Zeugnis abzulegen. Also ist Zeugnisgeben zum ewigen Heil<br />

nicht notwendig.<br />

DAGEGEN sagt Augustinus (Frdbl,665; 11,817): „Wer die<br />

Wahrheit verheimlicht <strong>und</strong> wer eine Lüge sagt, ist schuldig; <strong>de</strong>r<br />

eine, weil er nicht helfen will, <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re, weil er scha<strong>de</strong>n<br />

möchte".<br />

150


ANTWORT. Bei <strong>de</strong>r Zeugenaussage ist zu unterschei<strong>de</strong>n. 70. 1<br />

Denn bisweilen wird sie verlangt, bisweilen nicht. Wird die Zeu­<br />

genaussage eines Untergebenen aufgr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r Autorität <strong>de</strong>s<br />

Vorgesetzten verlangt, <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Untergebene im <strong>Recht</strong>sbereich<br />

Gehorsam schul<strong>de</strong>t, so ist dieser ohne Zweifel zur Zeugnisab­<br />

gabe über alles verpflichtet, was im Rahmen <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>sordnung<br />

diesbezüglich von ihm erwartet wer<strong>de</strong>n kann, z. B. über offen­<br />

k<strong>und</strong>ige Verbrechen o<strong>de</strong>r über solche, <strong>de</strong>nen üble Nachre<strong>de</strong><br />

vorausging. Wür<strong>de</strong> man von ihm aber Zeugenaussage über<br />

an<strong>de</strong>re Dinge verlangen, z. B. über geheime Tatsachen o<strong>de</strong>r<br />

solche, die noch nicht durch üble Nachre<strong>de</strong> in die Öffentlichkeit<br />

gedrungen sind, dann ist er zur Zeugenaussage nicht verpflich­<br />

tet.<br />

Wird er jedoch nicht aufgr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r Autorität eines Vorgesetz­<br />

ten, <strong>de</strong>m er Gehorsam schul<strong>de</strong>t, um Zeugenaussage ersucht, so<br />

muß man wie<strong>de</strong>rum unterschei<strong>de</strong>n. Ist sein Zeugnis erfor<strong>de</strong>r­<br />

lich, um ungerechten Tod o<strong>de</strong>r irgen<strong>de</strong>ine Strafe, verleum<strong>de</strong>ri­<br />

schen Leum<strong>und</strong> o<strong>de</strong>r auch ungerecht zugefügten Scha<strong>de</strong>n von<br />

jeman<strong>de</strong>m abzuwen<strong>de</strong>n, so wird Zeugenaussage zur Pflicht.<br />

Verlangt niemand sein Zeugnis, muß er sein Möglichstes tun,<br />

um die Wahrheit einer Person anzuvertrauen, die in <strong>de</strong>r Sache<br />

nützlich sein kann. Es steht ja im Ps81,4 geschrieben: „Rettet<br />

<strong>de</strong>n Armen <strong>und</strong> befreit <strong>de</strong>n Hilflosen aus <strong>de</strong>r Hand <strong>de</strong>s Sün­<br />

<strong>de</strong>rs", <strong>und</strong> Spr24,11: „Errette die, welche zum To<strong>de</strong> geführt<br />

wer<strong>de</strong>n." Und Rom 1,32 heißt es: „Den Tod verdienen nicht<br />

nur, die solches tun, son<strong>de</strong>rn auch, die <strong>de</strong>n Übeltätern noch<br />

Beifall spen<strong>de</strong>n." Dazu bemerkt die Glosse (ML 191,1337):<br />

„Schweigen, wo du einen Gegenbeweis führen könntest, heißt<br />

zustimmen."<br />

Über das jedoch, was zur Verurteilung eines Menschen führt,<br />

braucht niemand eine Zeugenaussage zu machen, höchstens<br />

wenn er nach <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>sordnung von seinem Vorgesetzten<br />

dazu gedrängt wird. Denn ein Verschweigen <strong>de</strong>r Wahrheit wirkt<br />

sich in einem solchen Fall zu keines Menschen beson<strong>de</strong>rem<br />

Scha<strong>de</strong>n aus. Auch braucht man sich um das Risiko für <strong>de</strong>n<br />

Ankläger nicht zu kümmern, <strong>de</strong>nn er ist es ja aus freien Stücken<br />

eingegangen. An<strong>de</strong>rs verhält es sich, wenn es um <strong>de</strong>n Ange­<br />

klagten geht, <strong>de</strong>nn er ist gegen seinen Willen in Gefahr ge­<br />

raten.<br />

Zu 1. Augustinus spricht von <strong>de</strong>r Verheimlichung <strong>de</strong>r Wahr­<br />

heit für <strong>de</strong>n Fall, daß jemand nicht durch obrigkeitlichen Befehl<br />

151


70. 2 zur Offenlegung <strong>de</strong>r Wahrheit veranlaßt wird <strong>und</strong> das Ver­<br />

schweigen keinem zu beson<strong>de</strong>rem Scha<strong>de</strong>n ausschlägt.<br />

Zu 2. Was einem Menschen unter <strong>de</strong>m Siegel <strong>de</strong>s Beichtge­<br />

heimnisses anvertraut wur<strong>de</strong>, darf niemals in einer Zeugenaus­<br />

sage preisgegeben wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nn das dort Gesagte weiß <strong>de</strong>r<br />

Beichtvater nicht als Mensch, son<strong>de</strong>rn als Diener Gottes, <strong>und</strong><br />

strenger ist die sakramentale Schweigepflicht als je<strong>de</strong>s mensch­<br />

liche Gebot.<br />

Bei <strong>de</strong>n Geheimnissen, die einem sonstwie unter <strong>de</strong>m Siegel<br />

<strong>de</strong>r Verschwiegenheit k<strong>und</strong>getan wer<strong>de</strong>n, ist zu unterschei<strong>de</strong>n.<br />

Bisweilen sind sie von <strong>de</strong>r Art, daß man sie gleich nach Kennt­<br />

nisnahme bekanntgeben muß, z. B. wenn ein Geheimnis zum<br />

geistlichen o<strong>de</strong>r materiellen Ver<strong>de</strong>rben <strong>de</strong>s Volkes o<strong>de</strong>r zum<br />

großen Scha<strong>de</strong>n irgen<strong>de</strong>iner Person führen wür<strong>de</strong>, o<strong>de</strong>r um was<br />

<strong>de</strong>rgleichen es sich auch immer handle, das man durch Zeugen­<br />

aussage o<strong>de</strong>r Anzeige offenbaren muß. Diese Pflicht kann<br />

durch das anvertraute Geheimnis nicht außer Kraft gesetzt wer­<br />

<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nn sonst wür<strong>de</strong> man gegen die Loyalität verstoßen, die<br />

man <strong>de</strong>m Mitmenschen schul<strong>de</strong>t. - Es gibt aber auch Geheim­<br />

nisse, die man nicht unbedingt weitergeben muß. Die Tatsache,<br />

daß sie jeman<strong>de</strong>m unter <strong>de</strong>m Siegel <strong>de</strong>r Verschwiegenheit<br />

anvertraut wur<strong>de</strong>n, verpflichtet, <strong>und</strong> dann darf er sie auf keinen<br />

Fall preisgeben, auch nicht auf Befehl eines Vorgesetzten,<br />

<strong>de</strong>nn Treue wahren ist Naturrecht. Es kann <strong>de</strong>m Menschen aber<br />

nichts befohlen wer<strong>de</strong>n, was <strong>de</strong>m Naturrecht wi<strong>de</strong>rspricht.<br />

Zu 3. Die Diener <strong>de</strong>s Altars haben nicht die Tötung eines<br />

Menschen zu besorgen o<strong>de</strong>r dabei mitzuhelfen, wie oben (64,4;<br />

40,2) betont wur<strong>de</strong>. Daher können sie nach <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>sordnung<br />

nicht dazu veranlaßt wer<strong>de</strong>n, in einem Verfahren über to<strong>de</strong>s­<br />

würdige Missetaten als Zeugen aufzutreten.<br />

2. Artikel<br />

Genügt die Aussage von zwei o<strong>de</strong>r drei Zeugen?<br />

1. Das Urteil verlangt Sicherheit, doch sichere Wahrheit ist<br />

durch die Aussage von zwei Zeugen nicht zu erreichen. 3 Kön<br />

21,9 ff. liest man nämlich, daß Nabotb auf die Aussage von zwei<br />

Zeugen hin unschuldig zum Tod verurteilt wur<strong>de</strong>. Also genügen<br />

die Aussagen von zwei o<strong>de</strong>r drei Zeugen nicht.<br />

152


2. Damit das Zeugnis glaubwürdig sei, müssen die Aussagen 70.2<br />

übereinstimmen. Doch meistens gehen die Aussagen von zwei<br />

o<strong>de</strong>r drei Zeugen auseinan<strong>de</strong>r. Also reichen sie nicht aus, um die<br />

Wahrheit vor Gericht zu beweisen.<br />

3. In <strong>de</strong>n Dekreten II, q. 4 (Frdbl,466) steht: „Ein Bischof<br />

soll nur auf die Aussagen von 72 Zeugen hin verurteilt wer<strong>de</strong>n.<br />

Ein Kardinalpriester ist nur bei 44 Zeugenaussagen abzuset­<br />

zen. Zur Verurteilung eines Kardinaldiakons <strong>de</strong>r Stadt Rom<br />

müssen 28 Zeugenaussagen zusammenkommen. Ein Subdia-<br />

kon, Akolyth, Exorzist, Lektor <strong>und</strong> Ostiarius soll nur aufgr<strong>und</strong><br />

von 7 Zeugenaussagen verurteilt wer<strong>de</strong>n." Doch die Sün<strong>de</strong><br />

eines in höherer Wür<strong>de</strong> Stehen<strong>de</strong>n ist unheilvoller <strong>und</strong> <strong>de</strong>shalb<br />

weniger zu dul<strong>de</strong>n. Also genügt auch zur Verurteilung <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>­<br />

ren die Zeugenaussage von zwei o<strong>de</strong>r drei nicht.<br />

DAGEGEN heißt es Dt 17,6: „Wenn es um Leben o<strong>de</strong>r Tod<br />

eines Angeklagten geht, darf er nur auf die Aussagen von zwei<br />

o<strong>de</strong>r drei Zeugen hin zum Tod verurteilt wer<strong>de</strong>n." Und weiter<br />

19,15: „Auf die Aussage von zwei o<strong>de</strong>r drei Zeugen hin darf<br />

eine Sache <strong>Recht</strong> bekommen."<br />

ANTWORT. Nach <strong>de</strong>s AristotelesEthik (1,1 u.7; 1094b 12 u.<br />

1098 a 26) „darf man in verschie<strong>de</strong>nen Bereichen nicht <strong>de</strong>n glei­<br />

chen Grad von Sicherheit verlangen". Die menschlichen Hand­<br />

lungen nun, über die Gericht gehalten wird <strong>und</strong> Zeugenaussa­<br />

gen entschei<strong>de</strong>n, lassen sich nicht mit absoluter Sicherheit beur­<br />

teilen, <strong>de</strong>nn sie wirken auf <strong>de</strong>m Feld <strong>de</strong>s Zufälligen <strong>und</strong> Ver­<br />

än<strong>de</strong>rlichen. Es genügt hier <strong>de</strong>swegen eine wahrscheinliche<br />

Sicherheit, wie sie in <strong>de</strong>n meisten Fällen gegeben ist, auch wenn<br />

sie sich ausnahmsweise mit <strong>de</strong>r Wahrheit einmal nicht <strong>de</strong>ckt. Es<br />

ist aber wahrscheinlich, daß die Aussage vieler <strong>de</strong>r Wahrheit<br />

näher kommt, als die Aussage nur einer Person. Weil nun <strong>de</strong>r<br />

Angeklagte <strong>de</strong>r einzige ist, <strong>de</strong>r leugnet, viele Zeugen in ihren<br />

Aussagen mit <strong>de</strong>m Ankläger jedoch einig gehen, ist es vom gött­<br />

lichen <strong>und</strong> menschlichen <strong>Recht</strong> vernünftigerweise so bestimmt<br />

wor<strong>de</strong>n, daß man sich an die Aussage <strong>de</strong>r Zeugen halten muß.<br />

Je<strong>de</strong> Vielheit ist in ihren drei Elementen beschlossen, näm­<br />

lich in Anfang, Mitte <strong>und</strong> En<strong>de</strong>. Daher schreibt Aristoteles im<br />

I.Buch seiner Himmelsk<strong>und</strong>e (c. 1; 268a9): „In <strong>de</strong>r Zahl drei<br />

lassen wir Universalität <strong>und</strong> Totalität sich grün<strong>de</strong>n." Nun wird<br />

die Dreizahl <strong>de</strong>r Aussagen erreicht, wenn zwei Zeugen mit <strong>de</strong>m<br />

Ankläger übereinstimmen. Daher sind zwei Zeugen erfor<strong>de</strong>r­<br />

lich o<strong>de</strong>r zur größeren Sicherheit drei, um die Dreiheit zu errei-<br />

153


70. 2 chen, in <strong>de</strong>r die vollkommene Vielheit beruht. Aus diesem<br />

Gr<strong>und</strong> heißt es auch Prd4,12: „Eine dreifache Schnur reißt<br />

nicht so leicht." Augustinus aber sagt zum Wort bei Joh 8,17<br />

„Das Zeugnis von zwei Menschen ist wahr" : „Dadurch wird<br />

symbolisch an das Geheimnis <strong>de</strong>r Dreifaltigkeit erinnert, in <strong>de</strong>r<br />

ewig unverän<strong>de</strong>rlich die Wahrheit ruht" (In Joh, Tr. 36; ML 35,<br />

1669).<br />

Zu 1. Wie hoch auch immer die Anzahl <strong>de</strong>r Zeugen<br />

bestimmt wird, es kann <strong>de</strong>nnoch zu einer falschen Bezeugung<br />

kommen, steht doch Ex 23,2 geschrieben: „Du sollst <strong>de</strong>r gro­<br />

ßen Menge nicht folgen, um Böses zu tun." Und trotz<strong>de</strong>m darf<br />

man, da hier eine unfehlbare Sicherheit eben nicht erreicht wer­<br />

<strong>de</strong>n kann, auf die wahrscheinliche Sicherheit, die durch zwei<br />

o<strong>de</strong>r drei Zeugen zu erlangen ist, nicht verzichten.<br />

Zu 2. Stimmen die Zeugen in <strong>de</strong>n Aussagen über einige<br />

wichtige Umstän<strong>de</strong>, die <strong>de</strong>n Sachverhalt wesentlich berühren,<br />

z. B. in <strong>de</strong>r Frage <strong>de</strong>r Zeit, <strong>de</strong>s Ortes o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r beteiligten Perso­<br />

nen, nicht überein, so besitzt ihr Zeugnis keinen Wert. Denn<br />

wenn sie in diesen Punkten nicht einig sind, haben ihre Aus­<br />

sagen nichts miteinan<strong>de</strong>r zu tun <strong>und</strong> beziehen sich augen­<br />

scheinlich auf verschie<strong>de</strong>ne Ereignisse, z.B. wenn <strong>de</strong>r eine<br />

behauptet, dieser Vorfall habe zu dieser Zeit o<strong>de</strong>r an diesem Ort<br />

stattgef<strong>und</strong>en, <strong>und</strong> <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re erklärt, zu an<strong>de</strong>rer Zeit <strong>und</strong> an<br />

einem an<strong>de</strong>ren Ort, dann re<strong>de</strong>n sie wohl nicht von <strong>de</strong>r gleichen<br />

Sache. Die Zeugenaussage wird jedoch nicht wertlos, wenn sich<br />

<strong>de</strong>r eine mit einer Erinnerungslücke entschuldigt, während <strong>de</strong>r<br />

an<strong>de</strong>re Zeit <strong>und</strong> Ort genau angeben kann.<br />

Wenn sich bei diesen Aussagen die Zeugen <strong>de</strong>s Anklägers<br />

<strong>und</strong> die <strong>de</strong>s Angeklagten völlig wi<strong>de</strong>rsprechen, dann wird, falls<br />

sie an Zahl <strong>und</strong> Gewicht gleich sind, zugunsten <strong>de</strong>s Angeklag­<br />

ten entschie<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Richter muß eher zu Freispruch als<br />

zu Verurteilung neigen, es sei <strong>de</strong>nn, es handle sich um Fälle von<br />

Vergünstigung, wie Befreiung o<strong>de</strong>r dgl. [59]. - Sind sich die<br />

Zeugen <strong>de</strong>rselben Partei jedoch nicht einig, dann muß <strong>de</strong>r Rich­<br />

ter entsprechend ihrer Zahl o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Gewicht ihrer Aussagen<br />

o<strong>de</strong>r mit Rücksicht auf mil<strong>de</strong>rn<strong>de</strong> Umstän<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r die Lage <strong>de</strong>s<br />

Falles <strong>und</strong> all <strong>de</strong>ssen, was vorgebracht wur<strong>de</strong>, herausfin<strong>de</strong>n, für<br />

welche Partei zu entschei<strong>de</strong>n ist.<br />

Noch viel mehr ist die Aussage eines Zeugen zurückzuwei­<br />

sen, <strong>de</strong>r sich auf die Frage, was er gesehen habe <strong>und</strong> wisse,<br />

selbst wi<strong>de</strong>rspricht. Nicht jedoch, wenn er sich, nach seiner<br />

154


Meinung <strong>und</strong> <strong>de</strong>m Hörensagen befragt, in Wi<strong>de</strong>rsprüche ver- 70.3<br />

wickelt, <strong>de</strong>nn er kann je nach <strong>de</strong>m Gesehenen <strong>und</strong> Gehörten<br />

innerlich zu verschie<strong>de</strong>nen Antworten gedrängt wer<strong>de</strong>n.<br />

Beziehen sich wi<strong>de</strong>rsprüchliche Aussagen auf nebensäch­<br />

liche Dinge, z. B. ob das Wetter neblich o<strong>de</strong>r schön gewesen, das<br />

Haus bemalt war o<strong>de</strong>r nicht o<strong>de</strong>r dgl., so spielen solche<br />

Unstimmigkeiten für <strong>de</strong>n Wert <strong>de</strong>s Zeugnisses keine Rolle,<br />

<strong>de</strong>nn auf <strong>de</strong>rlei achten die Leute meist nicht beson<strong>de</strong>rs, weshalb<br />

sie es auch leicht vergessen. Ein wenig Unstimmigkeit macht im<br />

Gegenteil das Zeugnis umso glaubhafter, wie Chrysostomus in<br />

seinem Matthäuskommentar (Horn. 1; MG 57,16) bemerkt.<br />

Denn wi<strong>de</strong>rsprächen sie sich auch in <strong>de</strong>n geringsten Neben­<br />

sächlichkeiten nicht, dann könnte es <strong>de</strong>n Anschein haben, als<br />

hätten sie ihre gleichlauten<strong>de</strong>n Aussagen untereinan<strong>de</strong>r abge­<br />

macht.<br />

Zu 3. Jene Vorschrift ist eine Son<strong>de</strong>rregelung für Bischöfe,<br />

Priester, Diakone <strong>und</strong> Kleriker <strong>de</strong>r Römischen Kirche mit<br />

Rücksicht auf <strong>de</strong>ren Wür<strong>de</strong>. Und zwar aus dreifachem Gr<strong>und</strong>.<br />

1. weil in ihr nur solche ein Amt erlangen dürfen, <strong>de</strong>ren Heilig­<br />

keit mehr Glaube verdient als die Einwendungen vieler Zeugen.<br />

- 2. weil Menschen, die an<strong>de</strong>re richten müssen, um <strong>de</strong>r Gerech­<br />

tigkeit willen oft viele Gegner haben. Daher soll man <strong>de</strong>n gegen<br />

sie auftreten<strong>de</strong>n Zeugen nicht so einfach Glauben schenken, es<br />

sei <strong>de</strong>nn, sie erschienen in großer Zahl. - 3. weil die Verurteilung<br />

eines von ihnen in <strong>de</strong>n Augen <strong>de</strong>r Menschen <strong>de</strong>r Wür<strong>de</strong> <strong>und</strong><br />

<strong>de</strong>m Ansehen jener Teilkirche Abbruch tun wür<strong>de</strong>. Und dies<br />

hätte dort Schlimmeres zur Folge als das Ertragen eines Sün­<br />

<strong>de</strong>rs, es sei <strong>de</strong>nn sein unmoralisches Verhalten dringe in die<br />

breite Öffentlichkeit <strong>und</strong> verursache schweres Ärgernis.<br />

3. ARTIKEL<br />

Kann die Aussage eines Zeugen, ohne daß bei ihm Schuld<br />

vorliegt, zurückgewiesen wer<strong>de</strong>n?<br />

1. Uber manche wird als Strafe verhängt, daß sie als Zeugen<br />

nicht zugelassen wer<strong>de</strong>n, wie dies bei <strong>de</strong>n (rechtlich) Ehrlosen<br />

zutrifft. Doch Strafe darf nur für schuldhaftes Vergehen auf­<br />

erlegt wer<strong>de</strong>n. Also ist niemand von <strong>de</strong>r Zeugenaussage aus­<br />

zuschließen, es sei <strong>de</strong>nn, wegen einer Schuld.<br />

155


70. 3 2. „Je<strong>de</strong>r ist bis zum Beweis <strong>de</strong>s Gegenteils als ehrenhaft zu<br />

betrachten" (Gregor IX., c. Dudum <strong>de</strong> Praesumpt.; Frdb<br />

II, 359). Doch ein ehrenhafter Mensch gibt ein wahres Zeugnis<br />

ab. Weil also das Gegenteil nur bei erwiesener Schuld <strong>de</strong>r Fall<br />

sein kann, darf niemand als Zeuge zurückgewiesen wer<strong>de</strong>n, es<br />

sei <strong>de</strong>nn, wegen einer Schuld.<br />

3. Nur die Sün<strong>de</strong> macht <strong>de</strong>n Menschen unfähig, das zu tun,<br />

was zum ewigen Heil notwendig ist. Doch Zeugnis für die<br />

Wahrheit ablegen ist notwendig zum ewigen Heil (vgl. Art. 1).<br />

Also darf niemand vom Zeugnisgeben ausgeschlossen wer<strong>de</strong>n,<br />

es sei <strong>de</strong>nn, wegen einer Schuld.<br />

DAGEGEN steht das Wort Gregors (Regist. XIII, ep. 45;<br />

ML 77,1299) - es fin<strong>de</strong>t sich auch in <strong>de</strong>n Dekreten II, q. 1<br />

(Frdbl, 442): „Wird ein Bischof von seinen Dienern verklagt, so<br />

ist zu wissen, daß diese auf keinen Fall gehört wer<strong>de</strong>n dürfen."<br />

ANTWORT. Eine Zeugenaussage besitzt, wie betont, keine<br />

unfehlbare Sicherheit, son<strong>de</strong>rn nur eine wahrscheinliche. Daher<br />

macht alles, was die Wahrscheinlichkeit ins Gegenteil verkehrt,<br />

die Zeugenaussage wertlos. Nun wird die Festigkeit in <strong>de</strong>r<br />

Bezeugung <strong>de</strong>r Wahrheit bisweilen in Frage gestellt, <strong>und</strong> zwar<br />

trifft dies einmal bei <strong>de</strong>n schuldhaft Ungläubigen zu, bei Leuten<br />

mit schlechtem Leum<strong>und</strong> sowie bei <strong>de</strong>nen, die ein öffentliches<br />

Verbrechen begangen haben; alle diese können auch nicht als<br />

Ankläger auftreten. Bisweilen liegt jedoch auch keine Schuld<br />

vor. So im Fall mangeln<strong>de</strong>r Vernunft wie bei Kin<strong>de</strong>rn, Geistes­<br />

kranken <strong>und</strong> Frauen, o<strong>de</strong>r wenn Lei<strong>de</strong>nschaften mit ins Spiel<br />

kommen, wie bei Fein<strong>de</strong>n, verwandten Personen <strong>und</strong> Dienst­<br />

personal, o<strong>de</strong>r auch bei Leuten in gewissen sozialen Verhältnis­<br />

sen, wie <strong>de</strong>n Armen, <strong>de</strong>n Sklaven <strong>und</strong> <strong>de</strong>nen, die Befehle emp­<br />

fangen, die alle, wie zu befürchten, leicht zu unwahren Zeugen­<br />

aussagen zu bringen sind. Somit ist also verständlich, daß<br />

sowohl Schuldige wie auch Menschen ohne persönliche Schuld<br />

von <strong>de</strong>r Zeugenaussage ausgeschlossen wer<strong>de</strong>n.<br />

Zu 1. Die Zurückweisung eines Zeugen ist weniger Strafe<br />

als vielmehr Sicherung gegen falsche Aussagen. Also ist <strong>de</strong>r Ein­<br />

wand nicht stichhaltig.<br />

Zu 2. Bis zum Gegenbeweis ist je<strong>de</strong>r als ehrenhaft zu<br />

betrachten, solange bei dieser Annahme ein Dritter nicht in<br />

Gefahr kommt. Denn dann muß man Vorsicht walten lassen<br />

<strong>und</strong> darf nicht leicht je<strong>de</strong>m Glauben schenken gemäß 1JO4, 1:<br />

„Traue nicht je<strong>de</strong>m Geist."<br />

156


Zu 3. Bezeugen ist heilsnotwendig, vorausgesetzt <strong>de</strong>r 70.4<br />

Zeuge ist geeignet <strong>und</strong> wird <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>sordnung entsprechend<br />

aufgerufen. Es steht also nichts im Weg, daß einige zum Zeug­<br />

nisgeben nicht zugelassen wer<strong>de</strong>n, wenn sie <strong>de</strong>n gesetzlichen<br />

Bedingungen nicht entsprechen.<br />

4. ARTIKEL<br />

Ist falsche Zeugenaussage immer Todsün<strong>de</strong>?<br />

1. Falsche Zeugenaussage kann auf Unkenntnis <strong>de</strong>s Tatbe­<br />

stands beruhen. Doch solche Unkenntnis entschuldigt von <strong>de</strong>r<br />

Todsün<strong>de</strong>. Also ist falsche Zeugenaussage nicht immer Tod­<br />

sün<strong>de</strong>.<br />

2. Eine Lüge, die nützt <strong>und</strong> nieman<strong>de</strong>m scha<strong>de</strong>t, ist Gefällig­<br />

keitslüge, <strong>und</strong> diese ist keine Todsün<strong>de</strong>. Doch bisweilen besteht<br />

ein falsches Zeugnis aus einer solchen Lüge, z. B. wenn jemand<br />

ein falsches Zeugnis ablegt, um einen vom Tod zu erretten o<strong>de</strong>r<br />

vor einem ungerechten Urteil zu bewahren, das an<strong>de</strong>re falsche<br />

Zeugen o<strong>de</strong>r ein verkommener Richter durchbringen möchten.<br />

Also ist falsches Zeugnis dieser Art keine Todsün<strong>de</strong>.<br />

3. Vom Zeugen wird ein Eid verlangt, damit er sich bei sei­<br />

nem feierlichen Schwur davor hüte, schwer zu sündigen. Dies<br />

wür<strong>de</strong> sich jedoch erübrigen, wenn das falsche Zeugnis selbst<br />

Todsün<strong>de</strong> wäre. Also ist falsches Zeugnis nicht immer Tod­<br />

sün<strong>de</strong>.<br />

DAGEGEN steht Sprl9,5: „Ein falscher Zeuge bleibt nicht<br />

ungestraft."<br />

ANTWORT. Eine falsche Zeugenaussage ist auf dreifache<br />

Weise eine entstellte Aussage. Einmal durch <strong>de</strong>n Meineid. Zeu­<br />

gen wer<strong>de</strong>n ja erst nach Ablegung <strong>de</strong>s Zeugenei<strong>de</strong>s zugelassen.<br />

Und <strong>de</strong>swegen ist ihre falsche Aussage immer Todsün<strong>de</strong>. -<br />

Sodann durch die Verletzung <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>. Und <strong>de</strong>shalb ist<br />

sie ihrer Art nach Todsün<strong>de</strong>, wie je<strong>de</strong> Ungerechtigkeit. Aus die­<br />

sem Gr<strong>und</strong> wird das falsche Zeugnis in <strong>de</strong>n Zehn Geboten<br />

(Ex20,16) in folgen<strong>de</strong>r Form untersagt: „Du sollst kein fal­<br />

sches Zeugnis geben gegen <strong>de</strong>inen Nächsten." Denn jeman<strong>de</strong>n<br />

daran hin<strong>de</strong>rn, Unrecht zu tun, be<strong>de</strong>utet nicht, gegen ihn han­<br />

<strong>de</strong>ln: dies trifft nur zu, wenn man ihm nimmt, was ihm rechtens<br />

zusteht. - Drittens durch die Falschaussage als solche, die<br />

157


70. 4 Sün<strong>de</strong> ist wie je<strong>de</strong> Lüge. Doch daraus folgt nicht, daß falsches<br />

Zeugnis immer Todsün<strong>de</strong> ist.<br />

Zu 1. Bei <strong>de</strong>r Zeugenaussage darf man nicht etwas als siche­<br />

res Wissen ausgeben, was man in Wirklichkeit doch nicht genau<br />

kennt, son<strong>de</strong>rn was zweifelhaft ist, muß als Zweifel vor­<br />

gebracht, <strong>und</strong> was sicher ist, als sicher vorgetragen wer<strong>de</strong>n.<br />

Wegen <strong>de</strong>r Unzuverlässigkeit <strong>de</strong>s Gedächtnisses jedoch meint<br />

man bisweilen, etwas sicher zu wissen, was tatsächlich nicht<br />

stimmt. Wenn nun jemand nach sorgfältiger Prüfung für sicher<br />

wahr hält, was jedoch falsch ist, so begeht er durch eine entspre­<br />

chen<strong>de</strong> Behauptung keine Todsün<strong>de</strong>, <strong>de</strong>nn er macht an sich <strong>und</strong><br />

seiner Absicht nach keine falsche Aussage, sie hat nur rein<br />

äußerlich <strong>und</strong> zufällig etwas damit zu tun <strong>und</strong> ist gegen das, was<br />

er eigentlich will.<br />

Zu 2. Ein ungerechtes Urteil ist überhaupt kein Urteil.<br />

Daher ist eine falsche Zeugenaussage, die in einer ungerechten<br />

Gerichtsverhandlung gemacht wird, um eine Ungerechtigkeit<br />

zu verhüten, keine Todsün<strong>de</strong> (gegen die <strong>Gerechtigkeit</strong>, weil<br />

keine vorhan<strong>de</strong>n), aber <strong>de</strong>nnoch Todsün<strong>de</strong>, <strong>und</strong> zwar wegen<br />

<strong>de</strong>s gebrochenen Ei<strong>de</strong>s.<br />

Zu 3. DieMenschenschreckenammeistenvorSün<strong>de</strong>ngegen<br />

Gott zurück, sind sie ja doch die schwersten. Darunter fällt auch<br />

<strong>de</strong>r Meineid. Die Sün<strong>de</strong>n gegen <strong>de</strong>n Nächsten verabscheuen sie<br />

nicht so sehr. Aus diesem Gr<strong>und</strong> wird zur größeren Sicherheit<br />

<strong>de</strong>r gerichtlichen Aussage <strong>de</strong>r Zeugeneid verlangt.<br />

158


71. FRAGE<br />

DIE UNGERECHTIGKEITEN,<br />

DIE VOR GERICHT DURCH DIE<br />

ANWÄLTE BEGANGEN WERDEN<br />

Nun ist noch von Ungerechtigkeiten zu re<strong>de</strong>n, die vor<br />

Gericht durch die <strong>Recht</strong>sanwälte begangen wer<strong>de</strong>n.<br />

Hierbei stellen sich vier Fragen:<br />

1. Ist <strong>de</strong>r Anwalt verpflichtet, als <strong>Recht</strong>sbeistand im Prozeß<br />

eines Armen mitzuwirken?<br />

2. Darf jemand vom Amt <strong>de</strong>s Anwalts ausgeschlossen wer­<br />

<strong>de</strong>n?<br />

3. Sündigt <strong>de</strong>r Anwalt, <strong>de</strong>r als Verteidiger einer ungerechten<br />

Sache auftritt?<br />

4. Sündigt er, wenn er für seinen Beistand Geld nimmt?<br />

1. ARTIKEL<br />

Ist <strong>de</strong>r Anwalt verpflichtet, als <strong>Recht</strong>sheistand im Prozeß eines<br />

Armen mitzuwirken?<br />

1. Ex 25,5 heißt es: „Wenn du <strong>de</strong>n Esel <strong>de</strong>ssen, <strong>de</strong>r dich haßt,<br />

unter seiner Last liegen siehst, so sollst du nicht vorübergehen,<br />

son<strong>de</strong>rn ihm helfen, <strong>de</strong>n Esel aufzurichten." Doch nicht weni­<br />

ger Gefahr droht <strong>de</strong>m Armen, wenn seine Sache vor Gericht<br />

gegen alle <strong>Gerechtigkeit</strong> in Bedrängnis gerät, als seinem Esel,<br />

wenn die Last ihn zu Bo<strong>de</strong>n drückt. Also ist <strong>de</strong>r Anwalt ver­<br />

pflichtet, die Sache <strong>de</strong>s Armen in seine Hand zu nehmen.<br />

2. In einer Homilie (In Evang., hom9; ML76,1100) sagt<br />

Gregor. „Wer Verstand <strong>und</strong> Wissen hat, schweige nicht; wer<br />

Überfluß an Hab <strong>und</strong> Gut besitzt, lasse <strong>de</strong>r Barmherzigkeit<br />

großzügigen Lauf; wer die Kunst <strong>de</strong>s Regierens versteht, wirke<br />

damit zum Wohl <strong>de</strong>s Nächsten; wer mit <strong>de</strong>n Reichen ins<br />

Gespräch kommt, verwen<strong>de</strong> sich für die Armen! Je<strong>de</strong> Bega­<br />

bung, <strong>und</strong> sei sie noch so gering, wird nämlich einem je<strong>de</strong>n als<br />

,Talent' angerechnet." Sein anvertrautes Talent darf man aber<br />

nicht vergraben, son<strong>de</strong>rn muß es treu verwalten. Dies beweist<br />

<strong>de</strong>utlich die Strafe <strong>de</strong>s Knechts, <strong>de</strong>r sein Talent vergrub<br />

159


71. l (Mt 25,24 ff.). Also ist <strong>de</strong>r Anwalt verpflichtet, Fürsprecher <strong>de</strong>r<br />

Armen zu sein.<br />

3. Das Gebot, die Werke <strong>de</strong>r Barmherzigkeit zu tun, ist posi­<br />

tiv <strong>und</strong> daher entsprechend Ort <strong>und</strong> Zeit verpflichtend, vor<br />

allem im Fall <strong>de</strong>r Not. Dies ist nun gegeben, wenn die Sache<br />

eines Armen in Schwierigkeiten kommt. Also ist <strong>de</strong>r Anwalt in<br />

einem solchen Fall gehalten, <strong>de</strong>n Armen mit seiner <strong>Recht</strong>shilfe<br />

beizuspringen.<br />

DAGEGEN steht: <strong>de</strong>r Arme, <strong>de</strong>r Nahrung braucht, ist in<br />

einer nicht geringeren Not als <strong>de</strong>r Arme, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n <strong>Recht</strong>sbei­<br />

stand <strong>de</strong>s Anwalts braucht. Wer jedoch <strong>de</strong>s Armen Hunger zu<br />

stillen vermag, ist nicht verpflichtet, dies immer zu tun. Also ist<br />

auch <strong>de</strong>r Anwalt nicht immer verpflichtet, <strong>de</strong>r Sache <strong>de</strong>s Armen<br />

seinen Beistand zu gewähren.<br />

ANTWORT. Da <strong>Recht</strong>shilfe für die Armen zu <strong>de</strong>n Werken<br />

<strong>de</strong>r Barmherzigkeit gehört, ist hier das gleiche zu sagen wie<br />

oben, wo von <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Werken <strong>de</strong>r Barmherzigkeit die Re<strong>de</strong><br />

war (32,5.9). Keiner vermag nämlich allen Armen mit einem<br />

Werk <strong>de</strong>r Barmherzigkeit zu Hilfe zu kommen. Daher sagt<br />

Augustinus im I.Buch seiner Christlichen Lehre (c.28;<br />

ML 34,30): „Da du nicht allen helfen kannst, mußt du <strong>de</strong>nen<br />

vor allem beispringen, die dir nach Ort <strong>und</strong> Zeit <strong>und</strong> an<strong>de</strong>ren<br />

günstigen Umstän<strong>de</strong>n näher stehen <strong>und</strong> gleichsam schicksal­<br />

haft mit dir verb<strong>und</strong>en sind." Er spricht also vom „günstigen<br />

Umstand <strong>de</strong>s Ortes", das heißt: man braucht nicht in <strong>de</strong>r gan­<br />

zen Welt die Armen zusammenzusuchen, son<strong>de</strong>rn es genügt,<br />

<strong>de</strong>nen, die einem gera<strong>de</strong> begegnen, das Werk <strong>de</strong>r Barmherzig­<br />

keit zuzuwen<strong>de</strong>n. Daher heißt es Ex23,4: „Wenn du zufällig<br />

<strong>de</strong>ines Fein<strong>de</strong>s verirrten Ochsen o<strong>de</strong>r Esel siehst, dann bring sie<br />

ihm zurück." - Er fügt auch hinzu: „nach Zeit", <strong>de</strong>nn niemand<br />

braucht für die zukünftige Not <strong>de</strong>s Nächsten Vorsorge zu tref­<br />

fen, son<strong>de</strong>rn es genügt, jetzt <strong>und</strong> heute etwas für ihn zu tun.<br />

Deshalb heißt es 1JO3, 17: „Wer seinen Bru<strong>de</strong>r Not lei<strong>de</strong>n sieht<br />

<strong>und</strong> sein Herz vor ihm verschließt" usw. - Schließlich bemerkt<br />

er noch: „nach an<strong>de</strong>ren günstigen Umstän<strong>de</strong>n", <strong>de</strong>nn man muß<br />

seinen Verwandten in je<strong>de</strong>r Not am meisten seine Fürsorge<br />

ange<strong>de</strong>ihen lassen gemäß 1 Tim 5,8: „Wer aber für seine Ver­<br />

wandten, beson<strong>de</strong>rs für die eigenen Hausgenossen, nicht sorgt,<br />

<strong>de</strong>r verleugnet damit <strong>de</strong>n Glauben."<br />

Wenn dies alles zutrifft, bleibt <strong>de</strong>nnoch zu sehen, ob sich<br />

jemand in einer <strong>de</strong>rartigen Notlage befin<strong>de</strong>t, daß man nicht<br />

160


weiß, wie ihm rasch in an<strong>de</strong>rer Weise zu helfen sei. In diesem 71. 2<br />

Fall ist ihm das Werk <strong>de</strong>r Barmherzigkeit zuzuwen<strong>de</strong>n. -<br />

Erblickt man aber eine an<strong>de</strong>re Möglichkeit, etwas für ihn zu<br />

tun, sei es im Sinn <strong>de</strong>r Hilfe zur Selbsthilfe, sei es, daß eine noch<br />

näher stehen<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r eine vermögen<strong>de</strong>re Person bereitsteht, so<br />

braucht man <strong>de</strong>m Armen nicht unbedingt beizuspringen, so<br />

daß man sich bei Unterlassung versündigen wür<strong>de</strong>, obwohl es<br />

löblich ist, dies auch ohne eine beson<strong>de</strong>re Notlage zu tun.<br />

Daher ist <strong>de</strong>r Anwalt nicht verpflichtet, <strong>de</strong>m Armen immer<br />

seinen <strong>Recht</strong>sbeistand zu gewähren, son<strong>de</strong>rn nur unter <strong>de</strong>n<br />

oben angeführten Bedingungen. Sonst müßte er nämlich alle<br />

an<strong>de</strong>ren Geschäfte liegen lassen <strong>und</strong> sich nur <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>sbeihilfe<br />

für die Armen widmen. - Das gleiche wäre vom Arzt in Sachen<br />

Armenfürsorge zu sagen.<br />

Zu 1. Liegt <strong>de</strong>r Esel zusammengebrochen unter seiner Last,<br />

können ihm nur gera<strong>de</strong> Vorbeikommen<strong>de</strong> wie<strong>de</strong>r auf die Beine<br />

helfen, <strong>und</strong> <strong>de</strong>shalb müssen sie es auch tun. Sie brauchten es<br />

aber nicht, wenn von an<strong>de</strong>rswoher Hilfe käme.<br />

Zu 2. Der Mensch muß das ihm anvertraute Talent hilfreich<br />

einsetzen, doch, wie betont, unter Berücksichtigung von Ort,<br />

Zeit <strong>und</strong> an<strong>de</strong>ren Gegebenheiten.<br />

Zu 3. Nicht je<strong>de</strong> Not for<strong>de</strong>rt notwendig Hilfe heraus, son­<br />

<strong>de</strong>rn nur jene, wie oben beschrieben.<br />

2. ARTIKEL<br />

Ist es in Ordnung, daß bestimmte Personen rechtmäßig vom<br />

Amt <strong>de</strong>s Anwalts ausgeschlossen wer<strong>de</strong>n?<br />

1. Von Werken <strong>de</strong>r Barmherzigkeit darf niemand ferngehal­<br />

ten wer<strong>de</strong>n. Doch <strong>Recht</strong>sbeistand leisten gehört, wie gesagt, zu<br />

<strong>de</strong>n Werken <strong>de</strong>r Barmherzigkeit. Also darf niemand von diesem<br />

Amt ausgeschlossen wer<strong>de</strong>n.<br />

2. Aus zwei entgegengesetzten Ursachen kann nicht die<br />

gleiche Wirkung hervorgehen. Doch sich göttlichen Dingen <strong>und</strong><br />

<strong>de</strong>m Sündigen hingeben sind Gegensätze. Es ist also ungereimt,<br />

wenn vom Amt <strong>de</strong>s Anwalts manche, wie die Mönche <strong>und</strong> Kle­<br />

riker, wegen <strong>de</strong>r Religion, manche aber wegen Sün<strong>de</strong>nschuld,<br />

wie die Ehrlosen <strong>und</strong> Irrlehrer, ausgeschlossen wer<strong>de</strong>n.<br />

3. Man muß <strong>de</strong>n Nächsten lieben wie sich selbst. Nun<br />

drängt die Liebe <strong>de</strong>n Anwalt, sich <strong>de</strong>r Sache seines Nächsten<br />

161


71. 2 anzunehmen. So ist es also nicht in Ordnung, wenn manche<br />

zwar ihre eigene Angelegenheit vor Gericht vertreten können,<br />

die Fälle an<strong>de</strong>rer jedoch nicht übernehmen dürfen.<br />

DAGEGEN steht in <strong>de</strong>n Dekreten III, q.7 (Frdbl,525),<br />

wonach viele Personen vom Amt <strong>de</strong>s Anwalts ausgeschlossen<br />

sind.<br />

ANTWORT. Aus doppeltem Gr<strong>und</strong> wird jeman<strong>de</strong>m eine<br />

Tätigkeit untersagt. Einmal wegen Unfähigkeit <strong>und</strong> sodann<br />

wegen Unschicklichkeit. Bei Unfähigkeit kommt das <strong>Recht</strong> auf<br />

gewisse Handlungen überhaupt nicht in Frage. Unschicklich­<br />

keit hingegen schließt sie nicht völlig aus, weil Notwendigkeit<br />

die Unschicklichkeit aufheben kann. So wer<strong>de</strong>n manche vom<br />

Amt <strong>de</strong>s Anwalts wegen Unfähigkeit ausgeschlossen, weil<br />

ihnen an ihrer sinnhaften Ausstattung etwas abgeht, sei es<br />

innerlich, wie bei <strong>de</strong>n Geisteskranken <strong>und</strong> <strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>rn, sei es<br />

äußerlich, wie bei <strong>de</strong>n Tauben <strong>und</strong> Stummen. Der Anwalt muß<br />

nämlich geistig imstan<strong>de</strong> sein, in angemessener Weise die recht­<br />

liche Seite <strong>de</strong>s übernommenen Falles aufzuzeigen, <strong>und</strong> die<br />

nötige Ausdrucksfähigkeit <strong>und</strong> das aufmerksame Ohr besitzen,<br />

um genau hinzuhören <strong>und</strong> wie<strong>de</strong>rzugeben, was ihm vorgetra­<br />

gen wird. Wer hier also Mängel aufweist, kann als Anwalt nie­<br />

mals in Frage kommen, we<strong>de</strong>r für sich selbst, noch für an<strong>de</strong>re.<br />

Aus zwei Grün<strong>de</strong>n schickt es sich für gewisse Personengrup­<br />

pen nicht, das Amt <strong>de</strong>s Anwalts auszuüben. Einmal für jemand,<br />

<strong>de</strong>r durch höhere Verpflichtungen geb<strong>und</strong>en ist. So geziemt es<br />

sich für Mönche <strong>und</strong> Priester nicht, in irgen<strong>de</strong>iner Sache als<br />

Anwälte zu wirken, ebensowenig für Kleriker vor einem weltli­<br />

chen Gericht, <strong>de</strong>nn alle diese Leute haben für Gott <strong>und</strong> seine<br />

Sache da zu sein. - Sodann für Personen, die an gewissen Män­<br />

geln lei<strong>de</strong>n, seien sie körperlicher Art, wie dies bei <strong>de</strong>n Blin<strong>de</strong>n<br />

<strong>de</strong>r Fall ist, die vernünftigerweise nicht vor <strong>de</strong>m Richter erschei­<br />

nen können, seien sie geistiger Art, weil es sich für einen, <strong>de</strong>r die<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> für sich selbst verachtet hat, nicht geziemt, für<br />

an<strong>de</strong>re <strong>de</strong>n Anwalt zu spielen. Daher können Ehrlose, Ungläu­<br />

bige <strong>und</strong> wegen schwerer Verbrechen Verurteilte geziemen<strong>de</strong>r­<br />

weise nicht als <strong>Recht</strong>sanwälte auftreten.<br />

Zu 1. Manche wer<strong>de</strong>n wegen Unfähigkeit, manche aus<br />

Schicklichkeitsgrün<strong>de</strong>n daran gehin<strong>de</strong>rt, Werke <strong>de</strong>rBarmherzig-<br />

keit zu tun. Denn es ziemt sich nicht für alle, alle Werke <strong>de</strong>r Barm­<br />

herzigkeit auszuüben, wie etwa für die Einfältigen, Ratschläge<br />

zu geben, <strong>und</strong> für die Nichtswisser, Unterricht zu erteilen.<br />

162


Zu 2. Wie die Tugend durch ein Zuviel o<strong>de</strong>r ein Zuwenig 71.3<br />

aufgehoben wird, so ergibt sich das Unangemessene durch ein<br />

Zuhoch <strong>und</strong> ein Zunie<strong>de</strong>r. Aus diesem Gr<strong>und</strong> wer<strong>de</strong>n manche<br />

vom Anwaltsamt ausgeschlossen, weil sie zu hoch über dieser<br />

Tätigkeit stehen, wie die Or<strong>de</strong>nsleute <strong>und</strong> die Kleriker, an<strong>de</strong>re<br />

wie<strong>de</strong>rum, weil sie unterhalb <strong>de</strong>r Erfor<strong>de</strong>rnisse für dieses Amt<br />

stehen, wie die Ehrlosen <strong>und</strong> die Ungläubigen.<br />

Zu 3. Der Mensch hat eine größere Verpflichtung, sich sei­<br />

ner eigenen <strong>Recht</strong>sangelegenheiten anzunehmen als <strong>de</strong>r Sache<br />

an<strong>de</strong>rer. Denn die an<strong>de</strong>ren können selber sehen, wie sie weiter­<br />

kommen. Der Einwand gilt daher nicht.<br />

3. ARTIKEL<br />

Sündigt <strong>de</strong>r Anwalt, <strong>de</strong>r eine ungerechte Sache vertritt?<br />

1. Wie ein Arzt seine Tüchtigkeit dadurch beweist, daß er<br />

einen hoffnungslos Kranken heilt, so <strong>de</strong>r Anwalt sein Können<br />

dadurch, daß er auch eine ungerechte Sache zu verteidigen ver­<br />

steht. Nun wird <strong>de</strong>r Arzt gelobt, wenn er einen hoffnungslos<br />

Kranken heilt. Also sündigt auch <strong>de</strong>r Anwalt nicht, son<strong>de</strong>rn ist<br />

noch mehr zu loben, wenn er eine ungerechte Sache verteidigt.<br />

2. Eine sündhafte Handlung darf man abbrechen. Nun wird<br />

nach <strong>de</strong>n Dekreten II, q. 3 (Frdb 1,454) <strong>de</strong>r Anwalt bestraft,<br />

wenn er seinen Fall aufgibt. Also sündigt <strong>de</strong>r Anwalt nicht,<br />

wenn er eine ungerechte Sache, die er zur Verteidigung über­<br />

nommen hat, weiterführt.<br />

3. Schwerer sündigt, wer Ungerechtigkeit zur Verteidigung<br />

einer gerechten Sache einsetzt, in<strong>de</strong>m er z. B. falsche Zeugen<br />

vorführt o<strong>de</strong>r falsche Gesetze heranzieht, als wer eine unge­<br />

rechte Sache verteidigt, <strong>de</strong>nn jene Sün<strong>de</strong> bezieht sich auf die<br />

Form, die zweite auf <strong>de</strong>n Inhalt. Doch <strong>de</strong>m Anwalt sind <strong>de</strong>rlei<br />

Winkelzüge wohl erlaubt, wie es auch <strong>de</strong>m Soldaten erlaubt ist,<br />

aus <strong>de</strong>m Hinterhalt heraus zu kämpfen. Also sündigt <strong>de</strong>r<br />

Anwalt nicht, wenn er eine ungerechte Sache verteidigt.<br />

DAGEGEN heißt es 2 Chrl9,2: „Du leistest <strong>de</strong>m Gottlosen<br />

Hilfe..., darum verdienst du <strong>de</strong>n Zorn <strong>de</strong>s Herrn." Nun<br />

gewährt <strong>de</strong>r Anwalt durch die Verteidigung einer ungerechten<br />

Sache <strong>de</strong>m Gottlosen Hilfe. Also verdient er wegen dieser<br />

Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>n Zorn Gottes.<br />

163


71. 3 ANTWORT. Es ist unerlaubt, zum Bösen mitzuwirken, sei es<br />

durch Rat, sei es durch Hilfe o<strong>de</strong>r durch irgen<strong>de</strong>ine Art von<br />

Zustimmung, <strong>de</strong>nn wer rät <strong>und</strong> mithilft, ist irgendwie selbst <strong>de</strong>r<br />

Täter. Und <strong>de</strong>r Apostel schreibt Rom 1,32: „Nicht nur die,<br />

welche die Sün<strong>de</strong> tun, sind <strong>de</strong>s To<strong>de</strong>s würdig, son<strong>de</strong>rn auch alle,<br />

die damit einverstan<strong>de</strong>n sind." Daher wur<strong>de</strong> auch oben (62,7)<br />

betont, daß alle diese zur Wie<strong>de</strong>rgutmachung verpflichtet sind.<br />

Es ist nun offensichtlich, daß <strong>de</strong>r Anwalt <strong>de</strong>m Hilfe <strong>und</strong> Rat<br />

zuteil wer<strong>de</strong>n läßt, <strong>de</strong>ssen Sache er vertritt. Wenn er daher<br />

bewußt ein ungerechtes Anliegen verteidigt, so begeht er ohne<br />

Zweifel eine schwere Sün<strong>de</strong> <strong>und</strong> ist verpflichtet, <strong>de</strong>n Scha<strong>de</strong>n,<br />

<strong>de</strong>n die an<strong>de</strong>re Seite durch seine Hilfe gegen alle <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

erlitten hat, wie<strong>de</strong>rg<strong>utz</strong>umachen. Verteidigt er jedoch unwis­<br />

send eine ungerechte Sache in <strong>de</strong>r Meinung, sie sei gerecht,<br />

dann ist er entschuldigt, soweit Unwissenheit entschuldigen<br />

kann.<br />

Zu 1. Wenn sich <strong>de</strong>r Arzt mit einem hoffnungslos Kranken<br />

abgibt, tut er nieman<strong>de</strong>m Unrecht. Der Anwalt jedoch, <strong>de</strong>r eine<br />

ungerechte Sache übernimmt, verletzt die <strong>Gerechtigkeit</strong> jenem<br />

gegenüber, gegen <strong>de</strong>n er zugunsten seines Mandanten auftritt.<br />

Daher sind bei<strong>de</strong> Fälle nicht zu vergleichen. So lobenswert sein<br />

juristisches Talent auch erscheinen mag, - sein ungerechtes Wol­<br />

len zeiht ihn <strong>de</strong>nnoch <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>, <strong>de</strong>nn er gebraucht seine Mei­<br />

sterschaft zum Bösen.<br />

Zu 2. Wenn ein Anwalt zunächst <strong>de</strong>r Meinung ist, seine<br />

Sache sei gerecht, <strong>und</strong> im Verlauf <strong>de</strong>s Prozesses die Ungerechtig­<br />

keit zutage tritt, darf er sie nicht aufgeben, um <strong>de</strong>r Gegenpartei<br />

zu helfen o<strong>de</strong>r ihr die Geheimnisse seiner Akten zuzuspielen.<br />

Er kann <strong>und</strong> muß jedoch seine Teilnahme am Verfahren einstel­<br />

len o<strong>de</strong>r seinen Mandanten zur Aufgabe o<strong>de</strong>r zu einem Ver­<br />

gleich ohne Scha<strong>de</strong>n für <strong>de</strong>n Gegner veranlassen.<br />

Zu 3. Wie oben (40,3) erklärt, darf ein Soldat o<strong>de</strong>r Heerfüh­<br />

rer in einem gerechten Krieg aus <strong>de</strong>m Hinterhalt heraus manö­<br />

vrieren, in<strong>de</strong>m er seine Bewegungen klug verschleiert, es darf<br />

jedoch nicht in gemeine Hinterhältigkeit ausarten, <strong>de</strong>nn „auch<br />

<strong>de</strong>m Feind ist noch die Treue zu wahren", wie Cicero im<br />

III. Buch seiner Pflichtenlehre (c. 29) schreibt. Daher darf auch<br />

ein Anwalt in <strong>de</strong>r Verteidigung einer gerechten Sache klug ver­<br />

bergen, was seinem Vorgehen scha<strong>de</strong>n könnte, zu Betrügereien<br />

allerdings darf es nicht kommen.<br />

164


4. ARTIKEL 71. 4<br />

D


71.4 zufor<strong>de</strong>rn, nicht jedoch, was nach erträglicher Gewohnheit<br />

gegeben wor<strong>de</strong>n ist."<br />

Zu 1. Nicht alles, was man aus Barmherzigkeit tun kann,<br />

braucht man immer umsonst zu machen, sonst dürfte ja nie­<br />

mand etwas verkaufen, <strong>de</strong>nn je<strong>de</strong>n Dienst kann man aus Barm­<br />

herzigkeit erweisen. Leistet er ihn aber aus reiner Barmherzig­<br />

keit, dann soll er nicht menschlichen, son<strong>de</strong>rn göttlichen Lohn<br />

erwarten. Ahnliches gilt für <strong>de</strong>n Anwalt, wenn er aus Barm­<br />

herzigkeit die Sache <strong>de</strong>r Armen vertritt: er soll dann nicht mit<br />

menschlicher, son<strong>de</strong>rn mit göttlicher Vergeltung rechnen. Doch<br />

ist er nicht verpflichtet, seine Anwaltsarbeit stets gratis zu ver­<br />

richten.<br />

Zu 2. Obwohl die <strong>Recht</strong>swissenschaft etwas Geistiges ist,<br />

setzt sie sich in <strong>de</strong>r Praxis in körperliche Leistung um. Daher<br />

darf man als Ausgleich Geld annehmen, sonst wäre es ja auch<br />

keinem Künstler erlaubt, aus seiner Kunst Gewinn zu ziehen.<br />

Zu 3. Richter <strong>und</strong> Zeugen sind für bei<strong>de</strong> Parteien in gleicher<br />

Weise da, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Richter muß ein gerechtes Urteil fällen <strong>und</strong><br />

<strong>de</strong>r Zeuge eine wahre Aussage machen. <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong><br />

Wahrheit dürfen sich jedoch nicht stärker nach <strong>de</strong>r einen als<br />

nach <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite neigen. Daher wer<strong>de</strong>n für die Richter als<br />

Arbeitsentschädigung Gehälter aus öffentlichen Mitteln bereit­<br />

gestellt, <strong>und</strong> die Zeugen erhalten - nicht als Lohn für ihre Aus­<br />

sage, son<strong>de</strong>rn als Entgelt für ihre Mühe - eine finanzielle<br />

Zuwendung entwe<strong>de</strong>r von bei<strong>de</strong>n Parteien o<strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r Seite,<br />

die sie eingeführt hat, <strong>de</strong>nn, so heißt es 1 Kor 9,7: „Niemand<br />

leistet Kriegsdienst auf eigene Kosten." Der Anwalt jedoch ver­<br />

tritt nur die eine Seite. Daher kann er erlaubterweise von <strong>de</strong>r<br />

Partei, die seine <strong>Recht</strong>shilfe erfährt, Honorar beanspruchen.<br />

166


72. FRAGE<br />

DIE SCHMÄHUNG<br />

Nun sind die Verstöße gegen die <strong>Gerechtigkeit</strong> zu untersu­<br />

chen, die durch Worte außerhalb <strong>de</strong>s Gerichtsverfahrens began­<br />

gen wer<strong>de</strong>n. Dabei han<strong>de</strong>lt es sich erstens um Schmähung,<br />

zweitens um Ehrabschneidung, drittens um Ohrenbläserei,<br />

viertens um Verspottung <strong>und</strong> fünftens um Verwünschung.<br />

Zum ersten Punkt stellen sich vier Fragen:<br />

1. Worin besteht die Schmähung?<br />

2. Ist je<strong>de</strong> Schmähung Todsün<strong>de</strong>?<br />

3. Muß man Schmähungen zurückweisen?<br />

4. Woraus entspringt die Schmähung?<br />

1. ARTIKEL<br />

Besteht die Schmähung in Worten?<br />

1. Durch Schmähung wird <strong>de</strong>m Nächsten Scha<strong>de</strong>n zuge­<br />

fügt, <strong>de</strong>nn sie gehört in <strong>de</strong>n Bereich <strong>de</strong>r Ungerechtigkeit. Doch<br />

Worte bewirken für <strong>de</strong>n Nächsten keinerlei Scha<strong>de</strong>n, we<strong>de</strong>r an<br />

seinen Sachen noch an seiner Person. Also besteht Schmähung<br />

nicht in Worten.<br />

2. Schmähung ist eine Art von Entehrung. Doch durch<br />

Handlungen kann man mehr entehren o<strong>de</strong>r schmähen, als<br />

durch Worte. Also drückt sich Schmähung nicht in Worten, son­<br />

<strong>de</strong>rn eher in Handlungen aus.<br />

3. Entehrung durch Worte nennt man Beschimpfung o<strong>de</strong>r<br />

Vorhaltung. Doch Schmähung unterschei<strong>de</strong>t sich von Be­<br />

schimpfung <strong>und</strong> Vorhaltung. Also besteht Schmähung nicht in<br />

Worten.<br />

DAGEGEN nimmt das Gehör nichts an<strong>de</strong>res wahr als das<br />

Wort. Nun wird Schmähung mit <strong>de</strong>m Gehör wahrgenommen<br />

gemäß Jr20,10: „Ich hörte die Schmähungen ringsum." Also<br />

drückt sich Schmähung in Worten aus.<br />

ANTWORT. Schmähung be<strong>de</strong>utet Entehrung eines Men­<br />

schen, <strong>und</strong> dies geschieht auf doppelte Weise. Da Ehre eine<br />

überragen<strong>de</strong> Eigenschaft zur Voraussetzung hat, entehrt man<br />

jeman<strong>de</strong>n einmal dadurch, daß man ihn <strong>de</strong>s Vorzuges beraubt,<br />

<strong>de</strong>r ihm die Ehre einbrachte. Dies geschieht durch die Tatsün-<br />

167


72.1 <strong>de</strong>n, von <strong>de</strong>nen oben (Fr. 64 ff.) die Re<strong>de</strong> war. - Sodann<br />

dadurch, daß man ihm Dinge, die gegen die Ehre sprechen, vor­<br />

hält o<strong>de</strong>r vor an<strong>de</strong>ren ausbreitet. Und darin besteht im eigentli­<br />

chen Sinn die Schmähung. Dies geschieht nun durch gewisse<br />

Zeichen. Doch, wie Augustinus im II. Buch seiner Christlichen<br />

Lehre (c.3; ML 34,37) bemerkt, „sind im Vergleich zu <strong>de</strong>n<br />

Worten alle Zeichen von geringerer Be<strong>de</strong>utung, <strong>de</strong>nn die Worte<br />

stehen bei <strong>de</strong>n Menschen an erster Stelle, wenn es gilt, die<br />

innere Gesinnung zum Ausdruck zu bringen". Daher besteht<br />

die Schmähung, genau genommen, in Worten. Isidor schreibt<br />

<strong>de</strong>nn auch im X. Buch seiner Etymologie (ad C; ML 82,372),<br />

schmähsüchtig heiße jemand, „weil er rasch mit schwülstigen<br />

Worten <strong>de</strong>r Ungerechtigkeit zur Hand ist".<br />

Weil jedoch auch durch Handlungen etwas bezeichnet wer­<br />

<strong>de</strong>n kann <strong>und</strong> sie dadurch die Ausdruckskraft von Worten<br />

erhalten, wird „Schmähung" im weiteren Sinn auch von Hand­<br />

lungen ausgesagt. Daher schreibt die Glosse (ML 191,1335)<br />

zum Wort <strong>de</strong>s Römerbriefs (1,30) „...schmähsüchtig, hoch­<br />

mütig...": schmähsüchtig sind jene, „die mit Worten o<strong>de</strong>r<br />

Handlungen jeman<strong>de</strong>m Schmähungen <strong>und</strong> Schimpflichkeiten<br />

zufügen."<br />

Zu 1. Von Ihrem Wesen her gesehen, also insofern Worte<br />

nichts an<strong>de</strong>res als hörbare Töne sind, verursachen sie bei nie­<br />

man<strong>de</strong>m Scha<strong>de</strong>n, es sei <strong>de</strong>nn, sie belasten das Gehör, falls<br />

jemand zu laut re<strong>de</strong>t. Insofern sie jedoch Zeichen darstellen, die<br />

an<strong>de</strong>ren etwas zur Kenntnis bringen, können sie vielseitigen<br />

Scha<strong>de</strong>n anrichten. Darunter fällt auch die Schmälerung <strong>de</strong>r<br />

geschul<strong>de</strong>ten Ehre o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Ehrerbietung. Deshalb ist die<br />

Schmähung größer, wenn jemand einem an<strong>de</strong>ren seine Fehler in<br />

<strong>de</strong>r Öffentlichkeit vorhält. Doch kann auch von Schmähung die<br />

Re<strong>de</strong> sein, wenn dies unter vier Augen geschieht, insofern <strong>de</strong>r<br />

Re<strong>de</strong>n<strong>de</strong> gegen die Ehrfurcht vor <strong>de</strong>m Hören<strong>de</strong>n verstößt.<br />

Zu 2. Handlungen haben entehren<strong>de</strong>n Charakter, insofern<br />

sie das bewirken o<strong>de</strong>r bezeichnen, was sich gegen die Ehre rich­<br />

tet. Das erste fällt nicht unter Schmähung, son<strong>de</strong>rn unter<br />

an<strong>de</strong>re Arten von Ungerechtigkeit, von <strong>de</strong>nen oben (Fr. 64 ff.)<br />

die Re<strong>de</strong> war. Das zweite jedoch gehört zur Schmähung, inso­<br />

fern Handlungen die Aussagekraft von Worten haben.<br />

Zu 3. Beschimpfung <strong>und</strong> Vorhaltung [60] bestehen ebenso<br />

wie die Schmähung in Worten, <strong>de</strong>nn durch all dies wird <strong>de</strong>m<br />

an<strong>de</strong>ren zum Scha<strong>de</strong>n seiner Ehre ein Gebrechen vorgehalten.<br />

168


Das Gebrechen aber ist dreifach. Einmal das Gebrechen <strong>de</strong>r 72. 2<br />

Schuld; dieses wird durch Schmähworte gebrandmarkt. Dann<br />

allgemein das Gebrechen von Schuld <strong>und</strong> Strafe, das in <strong>de</strong>r<br />

Beschimpfung zum Ausdruck kommt, <strong>de</strong>nn „Schimpfliches"<br />

wird nicht nur von <strong>de</strong>r Seele, son<strong>de</strong>rn auch vom Körper aus­<br />

gesagt. Wenn daher jemand in beleidigen<strong>de</strong>r Weise zu einem<br />

sagt, er sei blind, so spricht er eine Beschimpfung, aber nicht<br />

eine Schmähung aus. Wirft er jedoch einem vor, er sei ein Dieb,<br />

dann ist dies nicht nur eine Beschimpfung, son<strong>de</strong>rn auch eine<br />

Schmähung. - Schließlich erinnert jemand einen an seine nie­<br />

<strong>de</strong>re Herkunft o<strong>de</strong>r seine Armut; auch dies tut <strong>de</strong>r Ehre<br />

Abbruch, die ja auf irgen<strong>de</strong>inem Vorzug beruht. Und dies<br />

geschieht durch ein Wort <strong>de</strong>r „Vorhaltung", wodurch jemand<br />

einen auf beleidigen<strong>de</strong> Art an die Unterstützung erinnert, die er<br />

ihm in seiner Not ange<strong>de</strong>ihen ließ. Daher heißt es Sir 20,15:<br />

„Wenig gibt er <strong>und</strong> viel hält er einem vor." Bisweilen jedoch wird<br />

das eine Wort für das an<strong>de</strong>re genommen.<br />

2. ARTIKEL<br />

Ist Schmähung o<strong>de</strong>r Beschimpfung Todsün<strong>de</strong>?<br />

1. Todsün<strong>de</strong> ist nie Akt einer Tugend. Doch Schimpfen ist<br />

Akt einer Tugend, nämlich <strong>de</strong>r Geselligkeit. Dazu gehört nach<br />

Aristoteles (Eth. IV, 14; 1128 a32), „tüchtig" zu schimpfen. Also<br />

ist Schimpfen o<strong>de</strong>r Schmähen keine Todsün<strong>de</strong>.<br />

2. Todsün<strong>de</strong> fin<strong>de</strong>t sich nicht bei vollkommenen Menschen.<br />

Diese aber sprechen bisweilen Beschimpfungen <strong>und</strong> Schmä­<br />

hungen aus, wie dies beim Apostel <strong>de</strong>r Fall ist, <strong>de</strong>r an die Gala-<br />

ter schreibt (3,1): „O ihr unvernünftigen Galater! "Und <strong>de</strong>r Herr<br />

selbst sagt bei Lk 24,25: „O ihr Unverständigen <strong>und</strong> langsamen<br />

Herzens!" Also ist Beschimpfung o<strong>de</strong>r Schmähung keine Tod­<br />

sün<strong>de</strong>.<br />

3. Was seiner Art nach läßliche Sün<strong>de</strong> ist, kann zwar Tod­<br />

sün<strong>de</strong> wer<strong>de</strong>n, nicht jedoch kann eine <strong>de</strong>r Art nach schwere<br />

Sün<strong>de</strong> sich in eine leichte verwan<strong>de</strong>ln, wie oben (1-1188,4.6)<br />

dargelegt wur<strong>de</strong>. Wenn also Schimpfen o<strong>de</strong>r Schmähen seiner<br />

Art nach Todsün<strong>de</strong> wäre, dann folgte, daß es immer schwer<br />

sündhaft wäre. Dies scheint jedoch falsch zu sein, wie bei <strong>de</strong>m<br />

ins Auge springt, <strong>de</strong>r nur eben leichthin <strong>und</strong> aus Überraschung<br />

169


72. 2 o<strong>de</strong>r ein bißchen zornig ein Schmähwort von sich gibt. Schmä­<br />

hung o<strong>de</strong>r Beschimpfung ist also nicht ihrer Art nach Todsün<strong>de</strong>.<br />

DAGEGEN steht: Nichts verdient die ewige Strafe <strong>de</strong>r Hölle<br />

außer <strong>de</strong>r Todsün<strong>de</strong>. Doch Schmähung o<strong>de</strong>r Beschimpfung ver­<br />

dient die Strafe <strong>de</strong>r Hölle gemäß Mt 5,22: „Wer zu seinem Bru­<br />

<strong>de</strong>r sagt: ,Du Narr!', soll <strong>de</strong>m höllischen Feuer verfallen." Also<br />

ist Beschimpfung o<strong>de</strong>r Schmähung Todsün<strong>de</strong>.<br />

ANTWORT. Wie oben (Art. 1,2) bemerkt, richten die Worte<br />

als reine Töne bei an<strong>de</strong>ren keinen Scha<strong>de</strong>n an, son<strong>de</strong>rn nur<br />

insofern sie etwas be<strong>de</strong>uten. Diese Be<strong>de</strong>utung kommt ihnen<br />

aus <strong>de</strong>r inneren Gesinnung zu. Daher muß man bei <strong>de</strong>n Wort­<br />

sün<strong>de</strong>n vor allem darauf achten, aus welcher Gesinnung<br />

heraus jemand seine Worte vorbringt. Beschimpfung o<strong>de</strong>r<br />

Schmähung besagt nun ihrer Natur nach eine gewisse Ent­<br />

ehrung, <strong>und</strong> wenn die Absicht <strong>de</strong>s Sprechen<strong>de</strong>n darauf ausgeht,<br />

durch seine Worte <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>ren die Ehre zu nehmen, dann<br />

heißt dies eigentlich <strong>und</strong> an sich beschimpfen o<strong>de</strong>r schmähen.<br />

Dies ist nicht weniger Todsün<strong>de</strong> als Diebstahl o<strong>de</strong>r Raub, <strong>de</strong>nn<br />

<strong>de</strong>r Mensch liebt seine Ehre nicht weniger als seinen Besitz.<br />

Sagt jedoch jemand einem ein Wort <strong>de</strong>r Beschimpfung o<strong>de</strong>r<br />

Schmähung ohne Absicht zu entehren, son<strong>de</strong>rn vielleicht als<br />

Zurechtweisung o<strong>de</strong>r aus einem ähnlichen Gr<strong>und</strong>, dann spricht<br />

er im eigentlichen Sinn <strong>und</strong> an sich keine Beschimpfung o<strong>de</strong>r<br />

Schmähung aus, son<strong>de</strong>rn nur zufällig <strong>und</strong> materiell, insofern er<br />

Worte gebraucht, die Beschimpfung o<strong>de</strong>r Schmähung sein<br />

könnten. Daher kann dies bisweilen läßliche, bisweilen jedoch<br />

überhaupt keine Sün<strong>de</strong> sein. - Doch ist hier Zurückhaltung <strong>und</strong><br />

maßvoller Umgang mit <strong>de</strong>rlei Worten geboten. Denn unbe­<br />

dacht könnte eine so schwerwiegen<strong>de</strong> Beschimpfung heraus­<br />

kommen, daß die Ehre <strong>de</strong>s Betroffenen zugr<strong>und</strong>egerichtet<br />

wäre. Dann könnte jemand schwer sündigen, auch wenn die<br />

Entehrung <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>ren nicht in seiner Absicht lag. Sowenig ist<br />

ja auch einer von Schuld frei, <strong>de</strong>r einen beim Spiel unvorsichtig<br />

schlägt <strong>und</strong> dabei schwer verletzt.<br />

Zu 1. Zum Spaßmacher gehört es, ein bißchen zu schimp­<br />

fen, nicht um <strong>de</strong>n Angesprochenen zu entehren o<strong>de</strong>r zu krän­<br />

ken, son<strong>de</strong>rn mehr zur Belustigung <strong>und</strong> zum Scherz. Dies kann<br />

ohne Sün<strong>de</strong> sein, wenn die nötigen Umstän<strong>de</strong> beachtet wer<strong>de</strong>n.<br />

Scheut sich aber jemand nicht, <strong>de</strong>n, <strong>de</strong>m <strong>de</strong>rlei witzige<br />

Beschimpfung gilt, zu betrüben, während er die an<strong>de</strong>ren zum<br />

170


Lachen bringt, so ist er von Schuld nicht frei, wie es dort Ii. 3<br />

(Eth.IV,14; 1128a4) heißt.<br />

Zu 2. Wie es aus Grün<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Zucht erlaubt ist, jeman<strong>de</strong>n<br />

zu schlagen o<strong>de</strong>r an seinem Eigentum zu schädigen, so darf<br />

man aus gleichem Gr<strong>und</strong> einem, <strong>de</strong>n es zurechtzuweisen gilt,<br />

ein Schimpfwort zurufen. In diesem Sinn nannte unser Herr<br />

seine Jünger „unverständig" <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Apostel die Galater „un­<br />

vernünftig". - Nach Augustins Wort im Buch Über die Berg­<br />

predigt (II, 19; ML 34,1299) „sind Schimpfworte jedoch nur im<br />

äußersten Notfall zu gebrauchen <strong>und</strong> nicht mit <strong>de</strong>r Absicht,<br />

unserem Vorteil, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>m Herrn zu dienen".<br />

Zu 3. Weil die Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Beschimpfung o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Schmä­<br />

hung von <strong>de</strong>r Gesinnung <strong>de</strong>s Sprechen<strong>de</strong>n abhängt, ist sie läß-<br />

lich, falls es sich nur um eine geringe, <strong>de</strong>n Menschen wenig ent­<br />

ehren<strong>de</strong> Beschimpfung han<strong>de</strong>lt <strong>und</strong> sie ohne viel Überlegung<br />

o<strong>de</strong>r aus einer leichten Zornesanwandlung dahergere<strong>de</strong>t wird<br />

ohne festen Entschluß, jeman<strong>de</strong>n zu entehren, z. B. wenn<br />

jemand einen mit einem solchen Wort nur leicht kränken will.<br />

3. ARTIKEL<br />

Muß man zugefügte Schmähung dul<strong>de</strong>n?<br />

1. Wer eine zugefügte Schmähung hinnimmt, unterstützt die<br />

Frechheit <strong>de</strong>s Beschimpfen<strong>de</strong>n. Doch so etwas soll man nicht<br />

tun. Also darf man eine zugefügte Schmähung nicht dul<strong>de</strong>n,<br />

son<strong>de</strong>rn muß <strong>de</strong>m Schmähen<strong>de</strong>n vielmehr eine Abfuhr erteilen.<br />

2. Der Mensch muß sich selbst mehr als an<strong>de</strong>re lieben. Nun<br />

darf man nicht zulassen, daß ein an<strong>de</strong>rer geschmäht wird, wes­<br />

halb es Spr 26,10 heißt: „Wer einen Toren zum Schweigen<br />

bringt, besänftigt Erbitterung." Also darf man auch die uns<br />

selbst zugefügten Schmähungen nicht dul<strong>de</strong>n.<br />

3. Entsprechend <strong>de</strong>m Wort (Hebrl0,30) „Mein ist die<br />

Rache, ich wer<strong>de</strong> vergelten" darf man sich selbst nicht rächen.<br />

Wenn jedoch jemand <strong>de</strong>r Schmähung nicht wi<strong>de</strong>rsteht, rächt er<br />

sich gemäß <strong>de</strong>m Wort <strong>de</strong>s Chrysostomus (Horn. 22 in ep. ad<br />

Rom.; MG 60,612): „Willst du dich rächen, dann schweige,<strong>und</strong><br />

du hast ihm einen tödlichen Schlag versetzt." Also darf man<br />

Schmähworte nicht mit Schweigen übergehen, son<strong>de</strong>rn muß<br />

vielmehr mit einer Antwort entgegentreten.<br />

171


72. 3 DAGEGEN steht das Psalmwort 37,13 f.: „Die mir Böses<br />

wünschten, re<strong>de</strong>ten Eitles", <strong>und</strong> weiter: „Ich aber hörte einem<br />

Tauben gleich nicht hin <strong>und</strong> war wie ein Stummer, <strong>de</strong>r seinen<br />

M<strong>und</strong> nicht auf tut."<br />

ANTWORT. Wie man gegen uns gerichtete Machenschaften<br />

aushalten muß, so auch gegen uns gerichtetes Geschwätz. Die<br />

Verpflichtung, zu ertragen, was uns wi<strong>de</strong>rfährt, versteht sich<br />

jedoch nur als innere Bereitschaft, entsprechend <strong>de</strong>r Auslegung<br />

<strong>de</strong>s Herrengebotes „Schlägt dich einer auf die eine Wange, dann<br />

halt' ihm auch die an<strong>de</strong>re hin" (Mt 5,30) bei Augustinus in sei­<br />

nem I.Buch Über die Bergpredigt (c.19; ML34,1260): Der<br />

Mensch muß bereit sein, dies zu tun, wenn es nötig ist; er ist<br />

jedoch nicht verpflichtet, es immer so zu tun, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Herr<br />

selbst hat es auch nicht immer getan, son<strong>de</strong>rn sagte, als er einen<br />

Backenstreich erhielt: „Warum schlägst du mich?" (fol8,23).<br />

Das gleiche gilt auch für <strong>de</strong>n Fall, daß Schmähworte gegen uns<br />

gerichtet wer<strong>de</strong>n. Wir müssen innerlich bereit sein, Schmähun­<br />

gen zu ertragen, wenn es angebracht ist. Bisweilen jedoch gilt<br />

es, eine Schmähung zurückzuweisen, hauptsächlich aus zwei<br />

Grün<strong>de</strong>n. Erstens zum Vorteil <strong>de</strong>s Schmähen<strong>de</strong>n selbst, damit<br />

seine Frechheit einen Dämpfer bekomme <strong>und</strong> er so etwas nicht<br />

noch einmal versuche. Dazu paßt Spr26,5: „Antworte <strong>de</strong>m<br />

Toren nach seiner Torheit, damit er sich nicht weise dünke."<br />

Zweitens um <strong>de</strong>s Wohles vieler willen, <strong>de</strong>ren geistlicher Fort­<br />

schritt durch die uns zugefügten Schmähungen gefähr<strong>de</strong>t wird.<br />

Daher sagt Gregor (Sup.Ezech.,hom. 9; ML76,877): „Jene,<br />

die als lebendige Vorbil<strong>de</strong>r für an<strong>de</strong>re bestellt sind, müssen,<br />

wenn sie können, die Vorwürfe ihrer Verleum<strong>de</strong>r zum Schwei­<br />

gen bringen, damit, wer hören kann, ihre Predigt hört, <strong>und</strong> wer<br />

im Sumpf seiner Laster steckt, ein tugendhaftes Leben nicht<br />

verschmäht."<br />

Zu 1. Die Frechheit <strong>de</strong>s schmähen<strong>de</strong>n Beschimpfers muß<br />

man gelassen zurückweisen als Erfüllung einer Liebespflicht,<br />

nicht im Interesse persönlicher Ehre. Daher heißt es Spr 26,4:<br />

„Antworte <strong>de</strong>m Toren nicht nach seiner Torheit, damit du ihm<br />

nicht gleich wer<strong>de</strong>st."<br />

Zu 2. Weist jemand die gegen einen an<strong>de</strong>ren gerichteten<br />

Schmähungen zurück, ist das Streben nach persönlicher Ehre<br />

nicht so zu fürchten, als wenn jemand die gegen ihn selbst erho­<br />

benen Schmähungen abwehrt; vielmehr scheint jenes <strong>de</strong>m<br />

Beweggr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r Caritas zu entspringen.<br />

172


Zu 3. Wenn jemand nur <strong>de</strong>shalb schwiege, um durch sein 72. 4<br />

Schweigen <strong>de</strong>n Schmähen<strong>de</strong>n zum Zorn zu reizen, dann<br />

geschähe dies aus Rache. Schweigt aber jemand, um „<strong>de</strong>m Zorn<br />

[Gottes] Raum zu geben" [Rom 12,19], dann ist das lobens­<br />

wert. Daher heißt es Sir 8,4: „Streite nicht mit einem zungen­<br />

fertigen Menschen, <strong>und</strong> lege nicht Holz in sein Feuer."<br />

4. ARTIKEL<br />

Entspringt die Schmähung <strong>de</strong>m Zorn?<br />

1. Spr. 11,2 heißt es: „Wo Hochmut, da ist Schmähung."<br />

Doch das Laster <strong>de</strong>s Zornes ist etwas an<strong>de</strong>res als Hochmut.<br />

Also entspringt die Schmähung nicht <strong>de</strong>m Zorn.<br />

2. Spr. 20,3 heißt es: „Alle Toren lassen sich zu Schmähre­<br />

<strong>de</strong>n hinreißen." Doch die Torheit ist ein <strong>de</strong>r Weisheit entgegen­<br />

gesetztes Laster, wie oben (46,1) dargelegt wur<strong>de</strong>. Der Zorn<br />

hingegen steht zur Sanftmut in Gegensatz. Also entspringt die<br />

Schmähung nicht <strong>de</strong>m Zorn.<br />

3. Keine Sün<strong>de</strong> wird je nach ihrer Ursache geringer. Doch<br />

die Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Schmähung wird geringer, wenn sie im Zorn<br />

ihren Ursprung hat. Schwerer sündigt nämlich, wer aus Haß als<br />

wer aus Zorn eine Schmähung ausstößt. Also entspringt die<br />

Schmähung nicht <strong>de</strong>m Zorn.<br />

DAGEGEN schreibt Gregor in seinen Moralia (31,45;<br />

ML 76,621), aus <strong>de</strong>m Zorn entspringe Schmähung.<br />

ANTWORT. Eine Sün<strong>de</strong> kann verschie<strong>de</strong>ne Ursachen<br />

haben. Ihre hauptsächliche Quelle jedoch liegt dort, wo sie in<br />

<strong>de</strong>n meisten Fällen zu entspringen pflegt, <strong>und</strong> zwar wegen <strong>de</strong>r<br />

Nähe zu ihrem Ziel. Nun liegen die Ziele von Schmähung <strong>und</strong><br />

Zorn ganz nah beieinan<strong>de</strong>r: bei<strong>de</strong>n geht es um Rache. Keine<br />

Form <strong>de</strong>r Rache liegt <strong>de</strong>m Zornigen nämlich näher, als gegen<br />

<strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Schmähungen auszustoßen. Also entspringt die<br />

Schmähung hauptsächlich <strong>de</strong>m Zorn.<br />

Zu 1. Die Schmähung ist nicht auf das Ziel <strong>de</strong>s Hochmuts,<br />

das in <strong>de</strong>r Selbstüberhebung liegt, ausgerichtet. Deshalb ent­<br />

springt die Schmähung auch nicht unmittelbar <strong>de</strong>m Hochmut.<br />

Doch bereitet <strong>de</strong>r Hochmut auf die Schmähung vor, insofern<br />

jene, die sich über an<strong>de</strong>re erhaben dünken, diese leicht verach­<br />

ten <strong>und</strong> beleidigen. Sie geraten auch rascher in Zorn, weil sie<br />

sich über alles entrüsten, was gegen ihren Willen geschieht.<br />

173


72.4 Zu 2. Nach Aristoteles (Eth.VII,7; 1149a25) „hört <strong>de</strong>r<br />

Zorn nicht genügend auf die Vernunft", <strong>und</strong> so setzt sich beim<br />

Zornigen die Vernunft nicht immer durch, - genau so verhält es<br />

sich auch mit <strong>de</strong>r Torheit. Deshalb entspringt die Schmähung<br />

aus <strong>de</strong>r Torheit wegen ihrer Nachbarschaft zum Zorn.<br />

Zu 3. Nach^rato£e/es(Rhet.II,2; 1378a31) „geht <strong>de</strong>r Zor­<br />

nige auf die offene Beleidigung aus; <strong>de</strong>r Hassen<strong>de</strong> kümmert<br />

sich darum nicht". Daher ist die Schmähung, die offene Beleidi­<br />

gung be<strong>de</strong>utet, mehr <strong>de</strong>m Zorn als <strong>de</strong>m Haß zuzurechnen.<br />

174


73. FRAGE<br />

DIE EHRABSCHNEIDUNG<br />

Nun ist die Ehrabschneidung zu betrachten. Dabei ergeben<br />

sich vier Fragen:<br />

1. Was ist Ehrabschneidung?<br />

2. Ist sie Todsün<strong>de</strong>?<br />

3. Vergleich mit an<strong>de</strong>ren Sün<strong>de</strong>n.<br />

4. Sündigt, wer Ehrabschneidung anhört?<br />

1. ARTIKEL<br />

Besteht die Ehrabschneidung in <strong>de</strong>r Anschwärzung frem<strong>de</strong>n<br />

Leum<strong>und</strong>s durch heimliche Worte?<br />

1. Es scheint, daß Ehrabschneidung nicht „Anschwärzung<br />

frem<strong>de</strong>n Leum<strong>und</strong>s durch heimliche Worte" ist, wie sie von<br />

einigen <strong>de</strong>finiert wird. Denn „heimlich" <strong>und</strong> „offen" sind keine<br />

Gegebenheiten, die eine Sün<strong>de</strong>nart begrün<strong>de</strong>n. Für die Sün<strong>de</strong><br />

spielt es ja keine Rolle, ob sie vielen o<strong>de</strong>r nur wenigen bekannt<br />

ist. Doch was die Art einer Sün<strong>de</strong> nicht begrün<strong>de</strong>t, gehört nicht<br />

zu ihrem Wesen <strong>und</strong> darf auch nicht in ihrer Definition erschei­<br />

nen. Also darf auch die Ehrabschneidung nicht damit <strong>de</strong>finiert<br />

wer<strong>de</strong>n, daß sie durch heimliche Worte geschieht.<br />

2. Zum Begriff <strong>de</strong>s Leum<strong>und</strong>s gehört seine öffentliche<br />

Bekanntheit. Soll er nun durch Ehrabschneidung angeschwärzt<br />

wer<strong>de</strong>n, so kann dies nicht durch heimliche Worte geschehen,<br />

son<strong>de</strong>rn nur durch öffentlich ausgesprochene.<br />

3. Ehrabschnei<strong>de</strong>r ist, wer von <strong>de</strong>m, was vorhan<strong>de</strong>n ist,<br />

etwas „abschnei<strong>de</strong>t" o<strong>de</strong>r wegnimmt. Doch bisweilen schwärzt<br />

jemand <strong>de</strong>n guten Ruf an, ohne von <strong>de</strong>r Wahrheit etwas „weg­<br />

zunehmen", z. B. wenn einer die wahren Untaten seines Näch­<br />

sten verbreitet. Also ist nicht je<strong>de</strong> Anschwärzung <strong>de</strong>s Leu­<br />

m<strong>und</strong>s Ehrabschneidung.<br />

DAGEGEN steht PrdlO,ll: „Wer heimlich verleum<strong>de</strong>t, un­<br />

terschei<strong>de</strong>t sich in nichts von einer Schlange, die heimlich<br />

beißt." Also heißt ehrabschnei<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>n Ruf an<strong>de</strong>rer heimlich<br />

zugr<strong>und</strong>erichten.<br />

ANTWORT. Wie man durch die Tat jeman<strong>de</strong>n auf doppelte<br />

Weise schädigt: offen wie bei Raub o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>rer Gewalteinwir-<br />

175


73. 1 kung, heimlich wie bei Diebstahl <strong>und</strong> heimtückischem Schla­<br />

gen, so kann man auch durch das Wort jeman<strong>de</strong>n auf doppelte<br />

Weise verletzen: einmal offen durch Schmähung (vgl. oben)<br />

<strong>und</strong> einmal heimlich, <strong>und</strong> dies geschieht durch Ehrabschnei­<br />

dung. Tritt einer offen mit Worten gegen jemand auf, so be<strong>de</strong>u­<br />

tet dies Geringschätzung <strong>und</strong> daraus ergibt sich ohne weiteres<br />

Entehrung, <strong>und</strong> so bewirken Schmähworte für <strong>de</strong>n Geschmäh­<br />

ten Verlust <strong>de</strong>r Ehre. Wer sich jedoch im geheimen gegen jeman­<br />

<strong>de</strong>n ausläßt, scheint ihn mehr zu fürchten als geringzuscbätzen.<br />

Daher schädigt er nicht direkt seine Ehre, son<strong>de</strong>rn seinen Leu­<br />

m<strong>und</strong>, insofern sich durch <strong>de</strong>rlei hinter seinem Rücken vor­<br />

gebrachte Re<strong>de</strong>n - soweit es an ihnen liegt - bei <strong>de</strong>n Zuhörern<br />

eine schlechte Meinung von <strong>de</strong>m Betroffenen bil<strong>de</strong>t. Dies<br />

scheint er zu beabsichtigen, <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Ehrabschnei<strong>de</strong>r tut alles,<br />

damit man seinen Worten glaubt.<br />

Die Ehrabschneidung unterschei<strong>de</strong>t sich also von <strong>de</strong>r Schmä­<br />

hung auf doppelte Weise. Einmal durch die Art <strong>de</strong>s Re<strong>de</strong>ns: <strong>de</strong>r<br />

Schmähen<strong>de</strong> geht gegen seinen Wi<strong>de</strong>rsacher offen vor, <strong>de</strong>r<br />

Ehrabschnei<strong>de</strong>r im geheimen. Sodann durch <strong>de</strong>n angestrebten<br />

Zweck bzw. <strong>de</strong>n verursachten Scha<strong>de</strong>n: <strong>de</strong>r Schmähredner reißt<br />

die Ehre herunter, <strong>de</strong>r Ehrabschnei<strong>de</strong>r macht <strong>de</strong>n guten Ruf<br />

zunichte.<br />

Zu 1. Bei <strong>de</strong>n unfreiwilligen Tauschhandlungen, zu <strong>de</strong>nen<br />

alles gehört, was beim Nächsten durch Wort o<strong>de</strong>r Tat Scha<strong>de</strong>n<br />

verursacht, bewirkt „heimlich" <strong>und</strong> „offen" einen wesentlichen<br />

Unterschied in <strong>de</strong>r Qualität <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>. Jeweils an<strong>de</strong>rs liegt ja<br />

<strong>de</strong>r Fall von Unfreiwilligkeit unter Gewalteinwirkung bzw. bei<br />

Unwissenheit, wie oben (66,4) erklärt wur<strong>de</strong>.<br />

Zu 2. Die Worte <strong>de</strong>r Ehrabschneidung sind nicht schlecht­<br />

hin geheim, son<strong>de</strong>rn nur in bezug auf <strong>de</strong>n, <strong>de</strong>m sie gelten: sie<br />

wer<strong>de</strong>n nämlich in <strong>de</strong>ssen Abwesenheit <strong>und</strong> ohne sein Wissen<br />

ausgesprochen. Im Gegensatz dazu schleu<strong>de</strong>rt <strong>de</strong>r Schmähred­<br />

ner seine Worte <strong>de</strong>m Gegner gera<strong>de</strong>wegs ins Gesicht. Re<strong>de</strong>t<br />

daher jemand vor vielen Leuten Schlechtes über einen an<strong>de</strong>ren<br />

hinter <strong>de</strong>ssen Rücken, so ist dies Ehrabschneidung; geschieht es<br />

mit ihm unter vier Augen, dann heißt es Schmähung. Aber auch<br />

wenn einer nur mit einem einzigen über einen Abwesen<strong>de</strong>n<br />

schlecht re<strong>de</strong>t, schädigt er <strong>de</strong>ssen guten Ruf, zwar nicht gänz­<br />

lich, so doch zum Teil.<br />

Zu 3. „Ehrabschnei<strong>de</strong>r" heißt einer nicht, weil er die Wahr­<br />

heit, son<strong>de</strong>rn weil er <strong>de</strong>n guten Ruf schmälert. Bisweilen<br />

176


geschieht dies indirekt, bisweilen direkt. Direkt auf vierfache 73. 2<br />

Weise: 1. wenn man jeman<strong>de</strong>m etwas Falsches zur Last legt,<br />

2. wenn man seine Sün<strong>de</strong> mit Worten übertreibt, 3. wenn man<br />

Geheimes ausplau<strong>de</strong>rt <strong>und</strong> 4. wenn man guten Taten schlechte<br />

Absichten unterschiebt. Indirekt, in<strong>de</strong>m man <strong>de</strong>m Nächsten<br />

Gutes abspricht o<strong>de</strong>r es böswillig verschweigt.<br />

2. ARTIKEL<br />

Ist Ehrabschneidung Todsün<strong>de</strong>?<br />

1. Ein Tugendakt ist keine Todsün<strong>de</strong>. Doch eine geheime<br />

Sün<strong>de</strong> offenbaren, was, wie gesagt (1,3), zur Ehrabschneidung<br />

gehört, ist ein Akt <strong>de</strong>r Tugend, entwe<strong>de</strong>r nämlich <strong>de</strong>r Caritas,<br />

im Fall, daß einer die Sün<strong>de</strong> seines Bru<strong>de</strong>rs anzeigt mit <strong>de</strong>r<br />

Absicht, seine Besserung herbeizuführen, o<strong>de</strong>r auch <strong>de</strong>r<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>, wenn jemand seinen Bru<strong>de</strong>r anklagt. Also ist<br />

Ehrabschneidung keine Todsün<strong>de</strong>.<br />

2. Zum Wort Spr24,21 „Mache mit <strong>de</strong>m Ehrabschnei<strong>de</strong>r<br />

keine gemeinsame Sache" schreibt die Glosse (ML 111,759):<br />

„Vor allem durch dieses Laster kommt das ganze Menschenge­<br />

schlecht in Gefahr." Doch fin<strong>de</strong>t sich keine Todsün<strong>de</strong>, die über<br />

das ganze Menschengeschlecht verbreitet wäre. Viele nämlich<br />

mei<strong>de</strong>n die Todsün<strong>de</strong>, die läßlichen Sün<strong>de</strong>n hingegen sind es,<br />

die überall vorkommen. Also ist Ehrabschneidung eine läßliche<br />

Sün<strong>de</strong>.<br />

3. In seiner Homilie über das Fegfeuer (Serm. 104;<br />

ML 39,1947) zählt Augustinus unter die „kleinen Sün<strong>de</strong>n",<br />

„wenn wir höchst gedankenlos o<strong>de</strong>r leichtfertig üble Nachre<strong>de</strong><br />

führen", also das tun, was Ehrabschneidung ist. Somit ist<br />

Ehrabschneidung läßliche Sün<strong>de</strong>.<br />

DAGEGEN heißt es im Römerbrief 1,30: „Ehrabschnei<strong>de</strong>r,<br />

Gotteshasser", was, wie die Glosse (ML 191,1335) sagt, <strong>de</strong>shalb<br />

beigefügt wird, „damit man ihre Sün<strong>de</strong> nicht für gering erachtet,<br />

nur weil sie mit Worten begangen wird".<br />

ANTWORT. Wie oben (72,2) bemerkt, muß man die Wort­<br />

sün<strong>de</strong>n vor allem nach <strong>de</strong>r Absicht <strong>de</strong>s Sprechen<strong>de</strong>n beurteilen.<br />

Die Ehrabschneidung aber bezweckt ihrer Natur nach die<br />

Anschwärzung <strong>de</strong>s guten Rufes. Daher ist, an sich gesprochen,<br />

jener Ehrabschnei<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r über einen Abwesen<strong>de</strong>n re<strong>de</strong>t, um<br />

seinen guten Ruf zu schädigen. Den guten Ruf eines Menschen<br />

177


73. 2 zerstören ist jedoch eine sehr schwerwiegen<strong>de</strong> Sache, <strong>de</strong>nn un­<br />

ter <strong>de</strong>n zeitlichen Gütern bil<strong>de</strong>t er etwas höchst Kostbares. Ist<br />

er verloren, sieht sich <strong>de</strong>r Mensch weithin nicht mehr in <strong>de</strong>r<br />

Lage, Gutes zu tun. Deshalb heißt es Sir 41,15: „Trage Sorge für<br />

<strong>de</strong>inen guten Namen, <strong>de</strong>nn dieser bleibt dir länger als tausend<br />

große <strong>und</strong> kostbare Schätze". Und darum ist Ehrabschneidung<br />

eine Todsün<strong>de</strong>.<br />

Es kommt jedoch bisweilen vor, daß jemand mit irgen<strong>de</strong>inem<br />

Wort <strong>de</strong>n Ruf eines an<strong>de</strong>ren beeinträchtigt, ohne dies zu beab­<br />

sichtigen, er hatte nämlich etwas ganz an<strong>de</strong>res im Sinn. An sich<br />

<strong>und</strong> genau genommen ist dies dann keine Ehrabschneidung,<br />

höchstens materiell <strong>und</strong> zufällig. Und wenn jemand Worte, die<br />

<strong>de</strong>n guten Ruf schädigen, wegen eines Gutes o<strong>de</strong>r um einer<br />

Notwendigkeit willen <strong>und</strong> unter Beachtung <strong>de</strong>r erfor<strong>de</strong>rlichen<br />

Umstän<strong>de</strong> ausspricht, dann kann von Sün<strong>de</strong> keine Re<strong>de</strong> sein,<br />

<strong>und</strong> man darf es nicht Ehrabschneidung nennen. - Re<strong>de</strong>t er aber<br />

leichtsinnig daher o<strong>de</strong>r ohne notwendigen Gr<strong>und</strong>, dann ist es<br />

keine Todsün<strong>de</strong>, es sei <strong>de</strong>nn, das ausgesprochene Wort habe ein<br />

solches Gewicht, daß es jeman<strong>de</strong>s Ruf beträchtlich schädigt,<br />

<strong>und</strong> beson<strong>de</strong>rs in Dingen, die zur Ehrenhaftigkeit <strong>de</strong>s Lebens<br />

gehören; solche Worte tragen nämlich schon ihrer Art nach die<br />

Todsün<strong>de</strong> in sich.<br />

Im übrigen ist man gehalten, <strong>de</strong>n guten Ruf wie<strong>de</strong>rherzustel­<br />

len entsprechend <strong>de</strong>r aügemeinen Verpflichtung, angerichteten<br />

Scha<strong>de</strong>n an frem<strong>de</strong>m Eigentum wie<strong>de</strong>rg<strong>utz</strong>umachen. Vgl. dazu<br />

im einzelnen, was oben im Zusammenhang mit <strong>de</strong>r Restitution<br />

gesagt wur<strong>de</strong> (62,2,2).<br />

Zu 1. Die geheime Sün<strong>de</strong> von jeman<strong>de</strong>m offenbaren, in<strong>de</strong>m<br />

man durch Anzeige seine Besserung erreichen will, o<strong>de</strong>r<br />

Anklage erheben wegen <strong>de</strong>s Gutes <strong>de</strong>r öffentlichen Ordnung<br />

ist, wie gesagt, nicht Ehrabschneidung.<br />

Zu 2. Jene Glosse behauptet nicht, Ehrabschneidung sei<br />

über das ganze Menschengeschlecht verbreitet, son<strong>de</strong>rn<br />

schränkt ein mit <strong>de</strong>m Wörtchen „beinah". So heißt es auch<br />

[Prd 1,15]: „Die Zahl <strong>de</strong>r Toren ist unendlich", <strong>und</strong> nur wenige<br />

sind es, die auf <strong>de</strong>m Weg <strong>de</strong>s Heiles wan<strong>de</strong>ln. Und es gibt nur<br />

wenige o<strong>de</strong>r überhaupt keine, die nicht bisweilen aus Unbe­<br />

dachtsamkeit etwas sagen, wodurch bei einem, wenn auch nur<br />

leicht, <strong>de</strong>r gute Ruf getrübt wird. In diesem Sinn heißt es bei Jak<br />

3,2: „Wer sich in seinen Worten nicht verfehlt, ist ein vollkom­<br />

mener Mann".<br />

178


Zu 3. Augustinus hat dort <strong>de</strong>n Fall im Auge, wo jemand 73. 3<br />

einen an<strong>de</strong>ren ein wenig schlecht macht, jedoch nicht in <strong>de</strong>r<br />

Absicht zu scha<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn aus Unüberlegtheit o<strong>de</strong>r mit<br />

einem Wort, das ihm eben so entschlüpft ist.<br />

3. ARTIKEL<br />

Ist Ehrabschneidung die schwerste aller Sün<strong>de</strong>n gegen <strong>de</strong>n<br />

Nächsten?<br />

1. Zum Psalmwort 108,4: „Statt mich zu lieben, nehmen sie<br />

mir die Ehre", schreibt die Glosse (ML 191,988): „Mehr scha­<br />

<strong>de</strong>n jene, die Christus in seinen Glie<strong>de</strong>rn herabsetzen - <strong>de</strong>nn sie<br />

töten die Seelen seiner Gläubigen - als die Mör<strong>de</strong>r seines Leibes,<br />

<strong>de</strong>r bald wie<strong>de</strong>r auferstehen sollte." Daraus geht hervor, daß<br />

Ehrabschneidung eine schwerere Sün<strong>de</strong> ist als Mord: die Seele<br />

töten ist ja wahrlich viel schlimmer als <strong>de</strong>n Leib vernichten.<br />

Doch Mord ist die schwerste aller Sün<strong>de</strong>n gegen <strong>de</strong>n Nächsten.<br />

Also ist Ehrabschneidung schlechthin unter allen Sün<strong>de</strong>n die<br />

schwerste.<br />

2. Die Ehrabschneidung ist eine schwerere Sün<strong>de</strong> als Schmä­<br />

hung, <strong>de</strong>nn gegen diese kann <strong>de</strong>r Mensch sich wehren, gegen die<br />

im Verborgenen wirken<strong>de</strong> Ehrabschneidung jedoch nicht. Nun<br />

ist die Schmähung schlimmer als Ehebruch, <strong>de</strong>nn dieser einigt<br />

zwei zu einem Fleisch, während Schmähung die Geeinten in<br />

viele auseinan<strong>de</strong>rbringt. Also ist Ehrabschneidung eine größere<br />

Sün<strong>de</strong> als Ehebruch, <strong>de</strong>r doch zum Schlimmsten gehört, was<br />

man seinem Nächsten antun kann.<br />

3. Die Schmähung geht aus <strong>de</strong>m Zorn hervor, die Ehrab­<br />

schneidung jedoch aus <strong>de</strong>m Neid, wie Gregor'm seinen Moralia<br />

(31,45; ML 76,621) sagt. Doch <strong>de</strong>r Neid ist eine größere Sün<strong>de</strong><br />

als <strong>de</strong>r Zorn. Also ist auch Ehrabschneidung eine größere<br />

Sün<strong>de</strong> als Schmähung. Und so haben wir dasselbe wie zuvor.<br />

4. Eine Sün<strong>de</strong> ist umso schwerer, je schlimmer <strong>de</strong>r Scha<strong>de</strong>n<br />

ist, <strong>de</strong>n sie anrichtet. Die Ehrabschneidung nun bringt <strong>de</strong>n<br />

schlimmsten Scha<strong>de</strong>n mit sich, nämlich die Erblindung <strong>de</strong>s Gei­<br />

stes. Gregor sagt nämlich [Regist. XI, ep. 2; ML 77,1120]: „Was<br />

tun die Ehrabschnei<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>res als Staub aufwirbeln <strong>und</strong> sich<br />

Sand in die Augen blasen, so daß sie, je mehr sie ihre verleum<strong>de</strong>­<br />

rischen Behauptungen verbreiten, umso weniger die Wahrheit<br />

179


73. 3 sehen." Also ist die Ehrabschneidung die schwerste aller Sün­<br />

<strong>de</strong>n, die gegen <strong>de</strong>n Nächsten begangen wer<strong>de</strong>n.<br />

DAGEGEN steht: man sündigt schwerer durch die Tat, als<br />

durch das Wort. Doch Ehrabschneidung ist Wort-Sün<strong>de</strong>, Ehe­<br />

bruch, Mord <strong>und</strong> Diebstahl hingegen sind Tat-Sün<strong>de</strong>n. Also ist<br />

Ehrabschneidung nicht schlimmer als die an<strong>de</strong>ren Sün<strong>de</strong>n<br />

gegen <strong>de</strong>n Nächsten.<br />

ANTWORT. Die Sün<strong>de</strong>n gegen an<strong>de</strong>re sind an sich (objek­<br />

tiv) nach <strong>de</strong>m Scha<strong>de</strong>n zu beurteilen, <strong>de</strong>n sie beim Nächsten<br />

anrichten, <strong>de</strong>nn daraus ergibt sich ihr Schuldcharakter. Der<br />

Scha<strong>de</strong>n aber ist umso größer, ein je höheres Gut zerstört wird.<br />

Nun besitzt <strong>de</strong>r Mensch ein dreifach gestuftes Gut, nämlich das<br />

Gut <strong>de</strong>r Seele, das Gut <strong>de</strong>s Leibes <strong>und</strong> das Gut äußeren Besit­<br />

zes. Das Gut <strong>de</strong>r Seele - das höchste - kann einem nicht genom­<br />

men wer<strong>de</strong>n, es sei <strong>de</strong>nn indirekt, z. B. durch Überredung zum<br />

Bösen, wodurch jedoch kein Zwang entsteht. Die bei<strong>de</strong>n an<strong>de</strong>­<br />

ren Güter hingegen - Leib <strong>und</strong> äußerer Besitz - können einem<br />

gewaltsam entrissen wer<strong>de</strong>n. Weil aber das Gut <strong>de</strong>s Leibes über<br />

<strong>de</strong>m <strong>de</strong>s äußeren Besitzes steht, sind die Sün<strong>de</strong>n, die <strong>de</strong>m Leib<br />

Scha<strong>de</strong>n zufügen, schwerer als an<strong>de</strong>re, die nur die äußeren<br />

Dinge beeinträchtigen. Daher ist unter allen Sün<strong>de</strong>n gegen <strong>de</strong>n<br />

Nächsten <strong>de</strong>r Mord, <strong>de</strong>r das Leben eines bereits existieren<strong>de</strong>n<br />

Menschen vernichtet, die schwerste. Danach folgt <strong>de</strong>r Ehe­<br />

bruch, <strong>de</strong>r sich gegen die rechte Ordnung <strong>de</strong>r menschlichen<br />

Zeugung - das ist <strong>de</strong>n Weg zum Leben - richtet. Schließlich fol­<br />

gen die äußeren Güter. Hier kommt <strong>de</strong>r gute Ruf vor <strong>de</strong>m<br />

Reichtum, weil er <strong>de</strong>n geistigen Gütern näher steht. Daher heißt<br />

es Spr 22,1: „Ein guter Name ist mehr wert als viele Reichtü­<br />

mer." Und aus diesem Gr<strong>und</strong> ist die Ehrabschneidung ihrer Art<br />

nach auch eine schwerere Sün<strong>de</strong> als <strong>de</strong>r Diebstahl, weniger<br />

schwer jedoch als Mord o<strong>de</strong>r Ehebruch. - Es kann sich aber<br />

wegen erschweren<strong>de</strong>r bzw. erleichtern<strong>de</strong>r Umstän<strong>de</strong> auch eine<br />

an<strong>de</strong>re Reihenfolge ergeben.<br />

Die Schwere <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> ist auch noch (subjektiv) vom Sün<strong>de</strong>r<br />

her zu beurteilen. Er sündigt schwerer, wenn er aus Überlegung,<br />

als wenn er aus Schwachheit o<strong>de</strong>r Unvorsichtigkeit sündigt.<br />

Unter diesem Gesichtspunkt ist <strong>de</strong>n Wortsün<strong>de</strong>n eine gewisse<br />

Geringfügigkeit eigen, weil sie leicht <strong>und</strong> ohne viel Nach<strong>de</strong>nken<br />

von <strong>de</strong>r Zunge gehen.<br />

Zu 1. Wer Christus in Verruf bringt <strong>und</strong> dadurch <strong>de</strong>n Glau­<br />

ben seiner Glie<strong>de</strong>r erschwert, vergreift sich an seiner Gottheit,<br />

180


auf die sich <strong>de</strong>r Glaube stützt. Daher geht es hier nicht um ein- 73. 3<br />

fache Ehrabschneidung, son<strong>de</strong>rn um Gotteslästerung.<br />

Zu 2. Schwerer als Ehrabschneidung ist die Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r<br />

Schmähung, <strong>de</strong>nn in dieser drückt sich mehr Menschenverach­<br />

tung aus, vergleichbar <strong>de</strong>m Raub, <strong>de</strong>r auch schwerer ist als<br />

Diebstahl, wie oben (66,9) dargelegt wur<strong>de</strong>. Hingegen ist<br />

Schmähung nicht sündhafter als Ehebruch, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>ssen<br />

Schwere ergibt sich nicht aus <strong>de</strong>r Vereinigung <strong>de</strong>r Leiber, son­<br />

<strong>de</strong>rn aus <strong>de</strong>r Unordnung in <strong>de</strong>r menschlichen Zeugung. Der<br />

Schmähen<strong>de</strong> ist auch keine eigentliche Ursache für ein Feind­<br />

schafts Verhältnis, son<strong>de</strong>rn lediglich Anlaß von Entzweiung,<br />

insofern er durch Ausplau<strong>de</strong>rn von eines an<strong>de</strong>ren Schlechtigkei­<br />

ten vorhan<strong>de</strong>ne Fre<strong>und</strong>schaftsban<strong>de</strong>, soweit es an ihm liegt,<br />

zerstört, obgleich dazu aufgr<strong>und</strong> seiner Worte kein echter<br />

Gr<strong>und</strong> besteht. So ist <strong>de</strong>r Ehrabschnei<strong>de</strong>r indirekt auch Mör<strong>de</strong>r,<br />

insofern er durch seine Worte jeman<strong>de</strong>n veranlaßt, <strong>de</strong>n Näch­<br />

sten zu hassen o<strong>de</strong>r zu verachten. Daher sagt <strong>de</strong>r Klemens-<br />

brief (Mansi 1,505; Frdbl, 1164), „die Ehrabschnei<strong>de</strong>r seien<br />

Mör<strong>de</strong>r", nämlich indirekt, <strong>de</strong>nn „wer seinen Bru<strong>de</strong>r haßt, ist<br />

ein Mör<strong>de</strong>r", wie bei 1 Jo 3,15 steht.<br />

Zu 3. Nach Aristoteles (Rhet.11,2; 1378a31) „sucht <strong>de</strong>r<br />

Zorn, offen Rache zu nehmen". Somit ist die Ehrabschneidung,<br />

die im Verborgenen geschieht, keine Tochter <strong>de</strong>s Zornes wie die<br />

Schmähung, son<strong>de</strong>rn eher <strong>de</strong>s Nei<strong>de</strong>s, die auf je<strong>de</strong> Weise das<br />

Ansehen <strong>de</strong>s Nächsten herabsetzen möchte. Daraus folgt<br />

jedoch nicht, daß die Ehrabschneidung schwerer ist als die<br />

Schmähung, <strong>de</strong>nn aus einem geringeren Laster kann eine grö­<br />

ßere Sün<strong>de</strong> hervorgehen, wie z. B. Mord <strong>und</strong> Gotteslästerung<br />

aus <strong>de</strong>m Zorn entstehen. Die Herkunft <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>n ist nämlich<br />

aus ihrer Zielrichtung ersichtlich, d. h. aus ihrer „Hinwendung",<br />

ihre Schwere hingegen mehr aus ihrer „Abkehr" [61].<br />

4. Weil „sich <strong>de</strong>r Mensch freut am Ausspruch seines Mun­<br />

<strong>de</strong>s", wie es Spr 15,23 heißt, ist <strong>de</strong>r Ehrabschnei<strong>de</strong>r geneigt,<br />

immer mehr zu lieben <strong>und</strong> zu glauben, was er sagt, <strong>und</strong> infolge­<br />

<strong>de</strong>ssen seinen Nächsten immer mehr zu hassen <strong>und</strong> sich so<br />

immer mehr von <strong>de</strong>r Erkenntnis <strong>de</strong>r Wahrheit zu entfernen.<br />

Diese Wirkung kann sich allerdings auch aus an<strong>de</strong>ren Sün<strong>de</strong>n,<br />

die zum Nächstenhaß gehören, ergeben.<br />

181


73.4 4. ARTIKEL<br />

Sündigt <strong>de</strong>r Zuhörer, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Ehrabschnei<strong>de</strong>r gewähren läßt,<br />

schwer?<br />

1. Niemand ist einem an<strong>de</strong>ren gegenüber mehr verpflichtet,<br />

als sich selbst. Doch selber mit Geduld seine Verleum<strong>de</strong>r ertra­<br />

gen ist etwas Lobenswertes, sagt doch Gregor (Sup.<br />

Ezech.,hom. 9; ML76,877): „Wie wir die Zungen <strong>de</strong>r Ver­<br />

leum<strong>de</strong>r nicht absichtlich reizen dürfen, damit sie nicht verloren<br />

gehen, so müssen wir die durch ihre eigene Bosheit aufgebrach­<br />

ten ertragen, damit unser Verdienst wächst." Also sündigt nicht,<br />

wer die Ehrabschneidungen an<strong>de</strong>rer nicht unterbin<strong>de</strong>t.<br />

2. Sir 4,30 heißt es: „Du sollst <strong>de</strong>m Wort <strong>de</strong>r Wahrheit in<br />

keiner Weise wi<strong>de</strong>rsprechen." Zuweilen aber wird jemand zum<br />

Ehrabschnei<strong>de</strong>r, in<strong>de</strong>m er die Wahrheit sagt, wie oben (1,3)<br />

erklärt wur<strong>de</strong>. Also ist man nicht immer verpflichtet, <strong>de</strong>n<br />

Ehrabschneidungen zu wi<strong>de</strong>rstehen.<br />

3. Was an<strong>de</strong>ren nützt, soll man nicht verhin<strong>de</strong>rn. Doch oft<br />

dient die Ehrabschneidung <strong>de</strong>m N<strong>utz</strong>en <strong>de</strong>rer, gegen die sie<br />

gerichtet ist. Papst Pius [L] sagt nämlich (Frdb 1,556): „Biswei­<br />

len wer<strong>de</strong>n ehrenhafte Leute in Verruf gebracht, damit sie,<br />

<strong>de</strong>nen die Schmeicheleien <strong>de</strong>r Hausgenossen o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>rer<br />

Gunst <strong>de</strong>n Kamm schwellen ließ, durch Ehrabschneidung zur<br />

Demut zurückfin<strong>de</strong>n." Also braucht man Ehrabschneidung<br />

nicht zu unterbin<strong>de</strong>n.<br />

DAGEGEN schreibt Hieronymus (ML 22,538): „Hüte dich<br />

vor lüsterner Zunge <strong>und</strong> gierigen Ohren, das heißt: du sollst<br />

we<strong>de</strong>r selbst an<strong>de</strong>re herunterreißen, noch zuhören, wie an<strong>de</strong>re<br />

das tun."<br />

ANTWORT. Nach <strong>de</strong>m Römerbrief <strong>de</strong>s Apostels (1,32)<br />

„sind <strong>de</strong>s To<strong>de</strong>s würdig nicht nur, die Sün<strong>de</strong>n tun, son<strong>de</strong>rn<br />

auch, die <strong>de</strong>n Übeltätern noch Beifall spen<strong>de</strong>n." Dies geschieht<br />

nun auf zweifache Weise. Einmal direkt durch Verführung zur<br />

Sün<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r durch Wohlgefallen an <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>. Sodann indirekt,<br />

wenn man nicht dagegen auftritt, obwohl man könnte. Und die­<br />

ses Versagen hat seinen Gr<strong>und</strong> nicht etwa im Wohlgefallen an<br />

<strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>r Menschenfurcht. Es ist also zu sagen:<br />

Wer sich Ehrabschnei<strong>de</strong>reien anhört, ohne dagegen aufzutre­<br />

ten, stimmt <strong>de</strong>m Ehrabschnei<strong>de</strong>r zu, <strong>und</strong> damit macht er sich an<br />

seiner Sün<strong>de</strong> mitschuldig. Verführt er ihn zur Ehrabschneidung<br />

182


o<strong>de</strong>r fin<strong>de</strong>t er aus Haß gegen <strong>de</strong>n Betroffenen daran Gefallen, 73. 4<br />

dann sündigt er nicht weniger als <strong>de</strong>r Ehrabschnei<strong>de</strong>r selbst, bis­<br />

weilen sogar noch mehr. Daher schreibt Bernhard (ML 182,<br />

756). „Ehrabschnei<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r Ehrabschnei<strong>de</strong>r anhören, - ich<br />

kann nicht leicht sagen, was von <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n das Schlimmere<br />

ist." - Empfin<strong>de</strong>t er jedoch keinen Gefallen an <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>, son­<br />

<strong>de</strong>rn scheut aus Furcht o<strong>de</strong>r Gleichgültigkeit o<strong>de</strong>r auch aus<br />

einer gewissen Scham davor zurück, <strong>de</strong>n Ehrabschnei<strong>de</strong>r in die<br />

Schranken zu weisen, so sündigt er, doch weit weniger als <strong>de</strong>r<br />

Ehrabschnei<strong>de</strong>r, <strong>und</strong> gewöhnlich nur läßlich. Bisweilen jedoch<br />

kann es auch schwere Sün<strong>de</strong> sein, sei es für <strong>de</strong>n Fall, daß jemand<br />

amtlich verpflichtet ist, <strong>de</strong>n Ehrabschnei<strong>de</strong>r eines besseren zu<br />

belehren, sei es wegen einer daraus entstehen<strong>de</strong>n Gefahr, sei es<br />

schließlich, daß sein Stillschweigen in einer Menschenfurcht be­<br />

grün<strong>de</strong>t ist, die, wie oben (19,3) dargelegt wur<strong>de</strong>, Todsün<strong>de</strong><br />

sein kann.<br />

Zu 1. Keiner hört selbst die gegen ihn ausgesprochenen<br />

Ehrabschnei<strong>de</strong>reien. Das Schlechte nämlich, das in seiner<br />

Gegenwart von ihm gesagt wird, ist nicht Ehrabschneidung,<br />

son<strong>de</strong>rn, streng genommen, Schmähung (vgl. 1,2). Doch kön­<br />

nen die gegen jemand ausgesprochenen Ehrverletzungen durch<br />

Dritte zu seiner Kenntnis gelangen. Dann mag er selbst ent­<br />

schei<strong>de</strong>n, ob er die Schädigung seines Leum<strong>und</strong>s zulassen will,<br />

es sei <strong>de</strong>nn, sie wer<strong>de</strong> zur Gefahr für an<strong>de</strong>re (72,3). Je<strong>de</strong>nfalls<br />

verdient er volles Lob, wenn er die angetane Verunglimpfung<br />

mit Gelassenheit erträgt. - Es steht jedoch nicht in seinem Belie­<br />

ben, die Rufschädigung eines an<strong>de</strong>ren geduldig hinzunehmen.<br />

Daher macht er sich schuldig, wenn er nicht dagegen auftritt,<br />

falls er kann, <strong>und</strong> zwar aus <strong>de</strong>m gleichen Gr<strong>und</strong>, wie jemand<br />

gehalten ist, „<strong>de</strong>m Esel seines Nächsten, <strong>de</strong>r unter <strong>de</strong>r Last zu­<br />

sammengesunken ist, wie<strong>de</strong>r auf die Beine zu helfen", wie es<br />

Dt 22,4 geboten ist.<br />

Zu 2. Man braucht <strong>de</strong>n Ehrabschnei<strong>de</strong>r nicht immer<br />

dadurch zum Schweigen zu bringen, daß man ihm die Unwahr­<br />

heit nachweist. Dies erübrigt sich von vornherein, wenn er die<br />

Wahrheit sagt. Doch muß man ihm beibringen, daß er eine<br />

Sün<strong>de</strong> begeht, wenn er seinen Bru<strong>de</strong>r so heruntermacht, o<strong>de</strong>r<br />

man muß ihm wenigstens durch einen traurigen Blick sein Miß-<br />

fallen an <strong>de</strong>r Ehrabschneidung k<strong>und</strong>geben. Denn wie es<br />

Spr25,23 heißt, „vertreibt <strong>de</strong>r Nordwind <strong>de</strong>n Regen <strong>und</strong> ein<br />

finsteres Gesicht die verleum<strong>de</strong>rische Zunge".<br />

183


73. 4 Zu 3. Der N<strong>utz</strong>en, <strong>de</strong>n die Ehrabschneidung mit sich bringt,<br />

fließt nicht aus <strong>de</strong>r Absicht <strong>de</strong>s Ehrabschnei<strong>de</strong>rs, son<strong>de</strong>rn aus<br />

<strong>de</strong>m Willen Gottes, <strong>de</strong>r alles Böse zum Guten wen<strong>de</strong>n kann.<br />

Dennoch muß man <strong>de</strong>n Ehrabschnei<strong>de</strong>rn entgegentreten, ge­<br />

nau wie <strong>de</strong>n Räubern <strong>und</strong> Unterdrückern, mag auch bei <strong>de</strong>n<br />

Unterdrückten <strong>und</strong> Beraubten wegen ihrer standhaften Geduld<br />

das Verdienst sich mehren.<br />

184


74. FRAGE<br />

DIE OHRENBLÄSEREI<br />

Nunmehr ist die Ohrenbläserei zu behan<strong>de</strong>ln. Und hier stel­<br />

len sich zwei Fragen:<br />

1. Unterschei<strong>de</strong>t sich die Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Ohrenbläserei von <strong>de</strong>r<br />

Ehrabschneidung ?<br />

2. Welche von <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n Sün<strong>de</strong>n ist die schwerere?<br />

1. ARTIKEL<br />

Unterschei<strong>de</strong>t sich die Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Ohrenbläserei von <strong>de</strong>r<br />

Ehrabschneidung?<br />

1. Im X.Buch seiner Etymologie (adS; ML 82,394) schreibt<br />

Isidor. „Susurro (<strong>de</strong>r Ohrenbläser) ist ein lautmalen<strong>de</strong>s Wort,<br />

<strong>de</strong>nn da spricht jemand einem verleum<strong>de</strong>risch nicht ins Gesicht,<br />

son<strong>de</strong>rn ins Ohr." Doch in herabsetzen<strong>de</strong>r Weise über einen<br />

re<strong>de</strong>n ist Ehrabschneidung. Also unterschei<strong>de</strong>t sich die Sün<strong>de</strong><br />

<strong>de</strong>r Ohrenbläserei nicht von <strong>de</strong>r Ehrabschneidung.<br />

2. Lvl9,16 heißt es: „Du sollst kein Verleum<strong>de</strong>r noch<br />

Ohrenbläser im Volke sein." Doch verleum<strong>de</strong>n scheint das<br />

gleiche wie ehrabschnei<strong>de</strong>n zu sein. Also unterschei<strong>de</strong>t sich<br />

auch die Ohrenbläserei nicht von <strong>de</strong>r Ehrabschneidung.<br />

3. Sir 28,15 steht: „Ohrenbläser <strong>und</strong> Doppelzüngige sollen<br />

verflucht sein." Doch <strong>de</strong>r Doppelzüngige ist das gleiche wie <strong>de</strong>r<br />

Verleum<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>nn ehrabschnei<strong>de</strong>n heißt mit doppelter Zunge<br />

re<strong>de</strong>n: an<strong>de</strong>rs in Abwesenheit, an<strong>de</strong>rs in Gegenwart <strong>de</strong>s Betrof­<br />

fenen. Also ist Ohrenbläserei das gleiche wie Ehrabschneidung.<br />

DAGEGEN schreibt die Glosse (ML 191,1335) zu Rom 1,29<br />

f. „Ohrenbläserei, Verleum<strong>de</strong>r": „Ohrenbläser säen Zwietracht<br />

unter Fre<strong>und</strong>en, Ehrabschnei<strong>de</strong>r streiten bei an<strong>de</strong>ren das Gute<br />

ab o<strong>de</strong>r setzen es herunter."<br />

ANTWORT. Ohrenbläserei <strong>und</strong> Ehrabschneidung kommen<br />

in <strong>de</strong>r Sache wie auch in <strong>de</strong>r Form, d. h. in <strong>de</strong>r Art <strong>und</strong> Weise zu<br />

re<strong>de</strong>n, überein: bei<strong>de</strong> Male wird nämlich vom Nächsten etwas<br />

Schlechtes ausgesagt. Wegen dieser Ähnlichkeit nimmt man bis­<br />

weilen auch eins für das an<strong>de</strong>re. Darum schreibt die Glosse (in-<br />

terlin. III, 393 r) zum Sirachwort (5,16) „Laß dich nicht Ohren­<br />

bläser nennen": „das heißt,Ehrabschnei<strong>de</strong>r'". Der Unterschied<br />

185


74. 2 liegt jedoch im Zweck. Der Ehrabschnei<strong>de</strong>r will nämlich <strong>de</strong>n<br />

guten Ruf <strong>de</strong>s Nächsten anschwärzen, weshalb er von ihm vor<br />

allem jenes Schlechte vorbringt, das seinen Leum<strong>und</strong> zugrun­<br />

<strong>de</strong>richten o<strong>de</strong>r wenigstens beeinträchtigen kann. Der Ohren­<br />

bläser hingegen möchte Fre<strong>und</strong>e auseinan<strong>de</strong>rbringen, wie die<br />

erwähnte Glosse bemerkt <strong>und</strong> Spr26,20 an<strong>de</strong>uten: „Ist <strong>de</strong>r<br />

Ohrenbläser weg, hören die Streitereien auf." Daher flüstert <strong>de</strong>r<br />

Ohrenbläser jenes Schlechte vom Nächsten zu, das <strong>de</strong>n Hören­<br />

<strong>de</strong>n gegen ihn aufbringt gemäß Sir 28,11: „Ein Mann <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong><br />

bringt Fre<strong>und</strong>e gegeneinan<strong>de</strong>r auf <strong>und</strong> stiftet Feindschaft unter<br />

<strong>de</strong>nen, die in Frie<strong>de</strong>n leben."<br />

Zu 1. Insofern <strong>de</strong>r Ohrenbläser von an<strong>de</strong>ren Schlechtes<br />

sagt, ist er Ehrabschnei<strong>de</strong>r. Er unterschei<strong>de</strong>t sich jedoch von<br />

ihm, weil er nicht ausgesprochen etwas Schlechtes sagen will,<br />

son<strong>de</strong>rn nur, was <strong>de</strong>n einen gegen <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren aufbringen<br />

kann, auch wenn es sich dabei um etwas an sich Gutes han<strong>de</strong>lt,<br />

was jedoch insofern als schlecht erscheint, als es <strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r es<br />

hört, mißfällt.<br />

Zu 2. Der Verleum<strong>de</strong>r unterschei<strong>de</strong>t sich vom Ohrenbläser<br />

<strong>und</strong> vom Ehrabschnei<strong>de</strong>r. Der Verleum<strong>de</strong>r legt an<strong>de</strong>ren ent­<br />

we<strong>de</strong>r durch Anklage o<strong>de</strong>r durch Lästerung öffentlich Verbre­<br />

chen zur Last. Dies jedoch ist bei Ehrabschneidung <strong>und</strong> Ohren­<br />

bläserei nicht <strong>de</strong>r Fall.<br />

Zu 3. Der Doppelzüngige wird recht <strong>und</strong> eigentlich Ohren­<br />

bläser genannt. Besteht nämlich zwischen Zweien ein Fre<strong>und</strong>­<br />

schaftsverhältnis, so sucht <strong>de</strong>r Ohrenbläser, es von bei<strong>de</strong>n Sei­<br />

ten aus zu zerstören. Darum spricht er zu bei<strong>de</strong>n mit zwei ver­<br />

schie<strong>de</strong>nen Zungen, in<strong>de</strong>m er jeweils beim einen Schlechtes<br />

über <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren re<strong>de</strong>t. Daher heißt es Sir 28,15: „Fluch <strong>de</strong>m<br />

Ohrenbläser <strong>und</strong> Doppelzüngigen!", <strong>und</strong> weiter: „Denn viele,<br />

die in Frie<strong>de</strong>n leben, entzweit er."<br />

2. ARTIKEL<br />

Ist die Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Ehrabschneidung schwerer als die<br />

Ohrenbläserei?<br />

1. Die Wortsün<strong>de</strong>n bestehen darin, daß jemand Böses re<strong>de</strong>t.<br />

Der Ehrabschnei<strong>de</strong>r nun re<strong>de</strong>t vom Nächsten, was schlechthin<br />

böse ist, <strong>de</strong>nn daraus entsteht Ehrlosigkeit o<strong>de</strong>r Min<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s<br />

guten Rufes. Dem Ohrenbläser jedoch liegt nur daran, schein-<br />

186


ar Böses, etwas nämlich, das <strong>de</strong>m Hören<strong>de</strong>n mißfällt, vor- 74. 2<br />

zubringen. Also ist die Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Ehrabschneidung schwerer als<br />

die Ohrenbläserei.<br />

2. Wer einem <strong>de</strong>n guten Ruf nimmt, nimmt ihm nicht nur<br />

einen Fre<strong>und</strong>, son<strong>de</strong>rn viele Fre<strong>und</strong>e, <strong>de</strong>nn je<strong>de</strong>r mei<strong>de</strong>t die<br />

Fre<strong>und</strong>schaft mit Leuten von schlechtem Ruf. Darum heißt es<br />

2 Chr 19,2 gegen irgendjeman<strong>de</strong>n: „Du schließest Fre<strong>und</strong>schaft<br />

mit <strong>de</strong>nen, die <strong>de</strong>n Herrn hassen." Durch Ohrenbläserei verliert<br />

man hingegen nur einen einzigen Fre<strong>und</strong>. Schwerer also ist die<br />

Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Ehrabschneidung als die Ohrenbläserei.<br />

3. Jak4,ll heißt es: „Wer seinen Bru<strong>de</strong>r herabsetzt, setzt<br />

das Gesetz herab", <strong>und</strong> folglich Gott, <strong>de</strong>n Gesetzgeber. So ist<br />

die Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Ehrabschneidung gegen Gott gerichtet, <strong>und</strong> das<br />

ist das allerschlimmste, wie oben (20,3; 1-1173,3) dargelegt<br />

wur<strong>de</strong>. Die Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Ohrenbläserei hingegen richtet sich<br />

gegen <strong>de</strong>n Nächsten. Also ist die Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Ehrabschneidung<br />

schwerer als die Ohrenbläserei.<br />

DAGEGEN heißt es Sir 5,17: „Über <strong>de</strong>n Doppelzüngigen<br />

kommt schärfster Ta<strong>de</strong>l, über <strong>de</strong>n Ohrenbläser jedoch Haß,<br />

Feindschaft <strong>und</strong> Schan<strong>de</strong>."<br />

ANTWORT. Wie oben (73,3; 1-1173,8) dargelegt, ist die<br />

Sün<strong>de</strong> gegen <strong>de</strong>n Nächsten umso schwerer, je größerer Scha<strong>de</strong>n<br />

ihm zugefügt wird. Die Größe <strong>de</strong>s Scha<strong>de</strong>ns jedoch bemißt sich<br />

nach <strong>de</strong>m Gut, das verlorengeht. Unter <strong>de</strong>n äußeren Gütern<br />

nun steht <strong>de</strong>r Fre<strong>und</strong> an <strong>de</strong>r Spitze, <strong>de</strong>nn „ohne Fre<strong>und</strong>e kann<br />

man nicht leben", wie Aristoteles im VIII. Buch seiner Ethik<br />

(c. 1; 1155a5) sagt. Daher heißt es auch Sir6,15: „Mit einem<br />

treuen Fre<strong>und</strong> ist nichts zu vergleichen." Ein guter Leum<strong>und</strong> -<br />

durch Ehrabschneidung zerstörbar - ist nun unbedingt nötig,<br />

damit ein Mensch <strong>de</strong>r Fre<strong>und</strong>schaft würdig sei. Darum ist<br />

Ohrenbläserei eine größere Sün<strong>de</strong> als Ehrabschneidung <strong>und</strong><br />

auch als Schmähung, <strong>de</strong>nn „<strong>de</strong>r Fre<strong>und</strong> ist mehr wert als Ehre<br />

<strong>und</strong> geliebt wer<strong>de</strong>n mehr als geehrt wer<strong>de</strong>n", wie Aristoteles<br />

schreibt (Eth.VIII,9; 1159a25).<br />

Zu 1. Art <strong>und</strong> Schwere einer Sün<strong>de</strong> sind mehr von ihrem<br />

Zweck als von ihren materiellen Gegebenheiten her zu beurtei­<br />

len. Von ihrem Zweck aus gesehen, ist die Ohrenbläserei darum<br />

auch schwerer, wenngleich <strong>de</strong>r Ehrabschnei<strong>de</strong>r bisweilen zu<br />

schlimmeren Aussagen greift.<br />

Zu 2. Guter Ruf ist Voraussetzung zu Fre<strong>und</strong>schaft, schlech­<br />

ter Ruf zu Feindschaft. Die Voraussetzung aber steht tiefer im<br />

187


74. 2 Rangais das, wozusie Voraussetzungist. Daher sündigt weniger,<br />

wer nur etwas tut, um die Voraussetzung zur Feindschaft<br />

zu schaffen, als wer diese direkt herbeizuführen trachtet.<br />

Zu 3. Wer seinen Bru<strong>de</strong>r herabsetzt, setzt insoweit auch das<br />

Gesetz herab, als er das Gebot <strong>de</strong>r Nächstenliebe verachtet.<br />

Gegen sie han<strong>de</strong>lt direkter, wer Fre<strong>und</strong>schaft zu zerstören<br />

sucht. Daher richtet sich diese Sün<strong>de</strong> am meisten gegen Gott,<br />

<strong>de</strong>nn „Gott ist Liebe" (1JO4,8.16). Und <strong>de</strong>shalb heißt es<br />

Spr6,16: „Sechs Dinge sind's, die <strong>de</strong>r Herr haßt,<strong>und</strong> das siebte<br />

verabscheut seine Seele"; <strong>und</strong> als dieses Siebte nennt er (19)<br />

„<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r unter Brü<strong>de</strong>rn Zwietracht sät."<br />

188


75. FRAGE<br />

DIE VERSPOTTUNG<br />

Hierauf ist über die Verspottung zu re<strong>de</strong>n. Dabei stellen sich<br />

zwei Fragen?<br />

1. Unterschei<strong>de</strong>t sich die Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Verspottung spezifisch<br />

von <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Sün<strong>de</strong>n, durch die <strong>de</strong>m Nächsten durch<br />

Worte Scha<strong>de</strong>n zugefügt wird?<br />

2. Ist Verspottung schwere Sün<strong>de</strong>?<br />

1. ARTIKEL<br />

Ist die Verspottung eine beson<strong>de</strong>re Sün<strong>de</strong>?<br />

1. Verhöhnung ist das gleiche wie Verspottung. Doch Ver­<br />

höhnung gehört zur Schmähung. Also unterschei<strong>de</strong>t sich Ver­<br />

spottung nicht von Schmähung.<br />

2. Verspottet wird jemand nur wegen einer schimpflichen<br />

Sache, über die <strong>de</strong>r Mensch errötet, <strong>und</strong> von solcher Art ist die<br />

Sün<strong>de</strong>. Spricht man sie offen aus, dann han<strong>de</strong>lt es sich um<br />

Schmähung, wird sie im geheimen weitererzählt, dann ist es<br />

Ehrabschneidung o<strong>de</strong>r Ohrenbläserei. Also ist die Verspottung<br />

keine von <strong>de</strong>n vorgenannten verschie<strong>de</strong>ne Sün<strong>de</strong>.<br />

3. Diese Sün<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n nach <strong>de</strong>m Scha<strong>de</strong>n unterschie<strong>de</strong>n,<br />

<strong>de</strong>n sie <strong>de</strong>m Nächsten zufügen. Doch durch Verspottung wird<br />

<strong>de</strong>m Nächsten auch an nichts an<strong>de</strong>rem als an <strong>de</strong>r Ehre, <strong>de</strong>m<br />

guten Ruf o<strong>de</strong>r durch Beeinträchtigung <strong>de</strong>r Fre<strong>und</strong>schaft<br />

gescha<strong>de</strong>t. Verspottung unterschei<strong>de</strong>t sich also nicht von <strong>de</strong>n<br />

vorgenannten Sün<strong>de</strong>n.<br />

DAGEGEN steht, daß Verspottung auf lustige Weise<br />

geschieht [vgl. Aristoteles, Eth.IV,14; 1128a4], weshalb man<br />

auch sagt: „sich über einen lustig machen". Die vorgenannten<br />

Sün<strong>de</strong>n haben jedoch mit Sich-lustig-machen nichts zu tun, sie<br />

geschehen im Ernst. Also unterschei<strong>de</strong>t sich Verspottung von<br />

allem Vorgenannten.<br />

ANTWORT. Wie oben (72,2) bemerkt, sind die Wortsün<strong>de</strong>n<br />

vor allem nach <strong>de</strong>r Absicht <strong>de</strong>s Sprechen<strong>de</strong>n zu beurteilen. Und<br />

so wer<strong>de</strong>n die Sün<strong>de</strong>n je nach <strong>de</strong>m, was einer mit seinen gegen<br />

<strong>de</strong>n Nächsten gerichteten Worten bezweckt, unterschie<strong>de</strong>n.<br />

Wie nun aber jemand mit seinen Beschimpfungen die Ehre <strong>de</strong>s<br />

189


75. 1 Beschimpften herabsetzen, durch Ehrabschneidung seinen<br />

guten Ruf schädigen <strong>und</strong> durch Ohrenbläserei Fre<strong>und</strong>schaft<br />

zerstören möchte, so hat auch <strong>de</strong>r Spötter die Absicht, <strong>de</strong>n Ver­<br />

spotteten zum Erröten zu bringen. Und weil sich dieser Zweck<br />

von <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Zwecken unterschei<strong>de</strong>t, ist auch die Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r<br />

Verspottung von <strong>de</strong>n vorgenannten Sün<strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>n.<br />

Zu 1. Verhöhnung <strong>und</strong> Verspottung haben <strong>de</strong>n gleichen<br />

Zweck, doch sie unterschei<strong>de</strong>n sich durch die Art <strong>und</strong> Weise,<br />

<strong>de</strong>nn „die Verspottung geschieht mit <strong>de</strong>r Zunge", d. h. mit Wor­<br />

ten <strong>und</strong> schallen<strong>de</strong>m Gelächter, „die Verhöhnung hingegen<br />

durch Naserümpfen" [62], wie die Glosse (ML 191,71) zum<br />

Psalmwort (2,4) „Der im Himmel thront, lacht über sie",<br />

schreibt. Aus einem solchen Unterschied ergibt sich aber keine<br />

An<strong>de</strong>rsartigkeit. Bei<strong>de</strong> jedoch (Verspottung <strong>und</strong> Verhöhnung)<br />

unterschei<strong>de</strong>n sich von <strong>de</strong>r Schmähung wie die Scham von <strong>de</strong>r<br />

Entehrung, <strong>de</strong>nn die Scham ist die „Furcht vor Entehrung", wie<br />

Johannes von Damaskus sagt (MG94,932).<br />

Zu 2. Eine tugendhafte Tat bringt Hochachtung <strong>und</strong> guten<br />

Ruf bei an<strong>de</strong>ren ein, bei sich selbst <strong>de</strong>n Ruhm eines guten<br />

Gewissens gemäß 2 Kor 1,12: „Das ist unser Ruhm: das Zeug­<br />

nis unseres Gewissens." Umgekehrt verliert <strong>de</strong>r Mensch durch<br />

schimpfliche, d. h. lasterhafte Handlungen bei an<strong>de</strong>ren Ehre<br />

<strong>und</strong> guten Namen. Und um dieses zu bewirken, sagt <strong>de</strong>r<br />

Schmähsüchtige <strong>und</strong> Ehrabschnei<strong>de</strong>r Schimpfliches von an<strong>de</strong>­<br />

ren aus. Der Betroffene verliert jedoch wegen <strong>de</strong>r Verbreitung<br />

seiner Schandtaten <strong>de</strong>n „Ruhm <strong>de</strong>s Gewissens", in<strong>de</strong>m er in<br />

Verwirrung gerät <strong>und</strong> Scham empfin<strong>de</strong>t. Und um dies zu errei­<br />

chen, spricht <strong>de</strong>r Spötter von schimpflichen Dingen. So ist klar,<br />

daß die Verspottung mit <strong>de</strong>n vorgenannten Sün<strong>de</strong>n materiell<br />

übereinstimmt, sich in <strong>de</strong>r Zwecksetzung jedoch davon abhebt<br />

Zu 3. Sicherheit <strong>und</strong> Ruhe <strong>de</strong>s Gewissens sind ein hohes<br />

Gut gemäß Spr 15,15: „Ein ruhiger Geist ist ein beständiges<br />

Freu<strong>de</strong>nmahl". Wer darum das Gewissen <strong>de</strong>s Nächsten durch<br />

Verwirrung beunruhigt, fügt ihm einen beson<strong>de</strong>ren Scha<strong>de</strong>n zu.<br />

Aus diesem Gr<strong>und</strong> ist die Verspottung auch eine beson<strong>de</strong>re<br />

Sün<strong>de</strong>.<br />

190


2. ARTIKEL 75. 2<br />

Kann Verspottung Todsün<strong>de</strong> sein?<br />

1. Je<strong>de</strong> Todsün<strong>de</strong> wi<strong>de</strong>rspricht <strong>de</strong>r Caritas. Doch bei <strong>de</strong>r<br />

Verspottung ist dies nicht <strong>de</strong>r Fall, han<strong>de</strong>lt es sich dabei doch<br />

meist nur um Spaß unter Fre<strong>und</strong>en, weshalb es ja auch „Spaß-<br />

macherei" heißt. Also kann Verspottung keine Todsün<strong>de</strong> sein.<br />

2. Jener Spott ist <strong>de</strong>r schlimmste, mit <strong>de</strong>m jemand Gott<br />

beleidigen will. Doch nicht je<strong>de</strong>r Spott, durch <strong>de</strong>n Gott belei­<br />

digt wird, ist schwere Sün<strong>de</strong>. Denn sonst sündigte je<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r in<br />

eine bereute läßliche Sün<strong>de</strong> zurückfällt, schwer. Isidor sagt näm­<br />

lich (II De summo Bono, 16; ML83,619): „Spötter ist ein<br />

Unbußfertiger, <strong>de</strong>r weitertut, was er bereut." Desgleichen<br />

wür<strong>de</strong> folgen, daß jegliche Heuchelei Todsün<strong>de</strong> wäre, <strong>de</strong>nn, wie<br />

Gregor schreibt (Moralia 31,15; ML 76,588), mit <strong>de</strong>m „Strauß"<br />

[Job 39,13.18] ist <strong>de</strong>r Heuchler gemeint, <strong>de</strong>r das „Roß", d. h.<br />

<strong>de</strong>n gerechten Menschen, <strong>und</strong> <strong>de</strong>n „Reiter", d. h. Gott, verlacht.<br />

Also kann Verspottung keine Todsün<strong>de</strong> sein.<br />

3. Schmähung <strong>und</strong> Ehrabschneidung sind schwerere Sün­<br />

<strong>de</strong>n als Verspottung, <strong>de</strong>nn es ist schlimmer, etwas (Böses) im<br />

Ernst als im Scherz zu tun. Doch nicht je<strong>de</strong> Ehrabschneidung<br />

o<strong>de</strong>r Schmähung ist schwere Sün<strong>de</strong>. Also viel weniger noch Ver­<br />

spottung.<br />

DAGEGEN heißt es Spr3,34: „Er spottet <strong>de</strong>r Spötter". Der<br />

Spott Gottes besteht jedoch darin, daß er die Todsün<strong>de</strong> ewig<br />

bestraft, wie sich klar aus <strong>de</strong>m Psalmwort 2,4 ergibt: „Der im<br />

Himmel thront, lacht über sie." Also ist Verspottung Todsün<strong>de</strong>.<br />

ANTWORT. Man verspottet nur irgen<strong>de</strong>in Übel o<strong>de</strong>r Gebre­<br />

chen. Ist das Übel groß, wird es freilich nicht als Spaß genom­<br />

men, son<strong>de</strong>rn als ernste Sache. Zieht man es ins Spaßhafte o<strong>de</strong>r<br />

Lächerliche - daher „Spaßmacherei" <strong>und</strong> „auslachen" -, so <strong>de</strong>s­<br />

halb, weil es für etwas Unbe<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>s gehalten wird. Als „un­<br />

be<strong>de</strong>utend" läßt sich nun etwas auf zweifache Weise verstehen:<br />

einmal an sich, <strong>und</strong> dann in Bezug auf die Person. Verspöttelt<br />

<strong>und</strong> verlacht jemand das Übel o<strong>de</strong>r Gebrechen einer Person,<br />

weil es an sich dabei um etwas Unbe<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>s geht, so ist dies<br />

seiner Art nach nur eine läßliche <strong>und</strong> leichte Sün<strong>de</strong>. - Hält man<br />

jedoch etwas für unbe<strong>de</strong>utend wegen <strong>de</strong>r Person, wie wir etwa<br />

Mängel bei Kin<strong>de</strong>rn <strong>und</strong> Beschränkten leicht zu nehmen pfle­<br />

gen, so be<strong>de</strong>utet verspotten <strong>und</strong> auslachen, ihn völlig gering-<br />

191


75. 2 schätzen <strong>und</strong> ihn für so nichtig halten, daß man sich um sein<br />

Gebrechen nicht zu kümmern braucht, son<strong>de</strong>rn es sozusagen<br />

als Spaßobjekt ben<strong>utz</strong>en darf. Eine <strong>de</strong>rartige Verspottung ist<br />

Todsün<strong>de</strong>. Und sie ist, was auf <strong>de</strong>r Hand liegt, schwerer als<br />

Schmähung, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Schmähen<strong>de</strong> nimmt das Gebrechen <strong>de</strong>s<br />

an<strong>de</strong>ren wenigstens ernst, <strong>de</strong>r Spötter aber zieht es ins Lächer­<br />

liche. Deshalb liegt darin eine größere Verachtung <strong>und</strong> Ent­<br />

ehrung.<br />

Demnach ist Verspottung schwere Sün<strong>de</strong>, <strong>und</strong> umso schwe­<br />

rer, eine je größere Ehrfurcht <strong>de</strong>r Person gebührt, die verspottet<br />

wird. Aus diesem Gr<strong>und</strong> ist es eine sehr schwere Sün<strong>de</strong>, Gott<br />

<strong>und</strong> was Gottes ist, zu verspotten gemäß Is 37,23: „Wen hast du<br />

beschimpft <strong>und</strong> verhöhnt? Und gegen wen die Stimme erho­<br />

ben?" Und dann fügt er hinzu: „Gegen <strong>de</strong>n Heiligen Israels!" -<br />

An zweiter Stelle kommt dann die Verspottung <strong>de</strong>r Eltern.<br />

Daher heißt es Spr 30,17: „Das Auge, das <strong>de</strong>n Vater verspottet<br />

<strong>und</strong> die alte Mutter verachtet, hacken die Raben am Bache aus<br />

<strong>und</strong> die Adlerjungen fressen es." - Sodann ist auch die Verspot­<br />

tung <strong>de</strong>r Gerechten schwer sündhaft, <strong>de</strong>nn „<strong>de</strong>r Tugend Lohn<br />

ist die Ehre" [Aristoteles, Eth.IV,7; 1123 b 35]. Auch Job 12,4<br />

beklagt sich: „Die Aufrichtigkeit <strong>de</strong>r Gerechten wird verlacht."<br />

Derlei Verspottung ist höchst verhängnisvoll, <strong>de</strong>nn dadurch<br />

wer<strong>de</strong>n die Menschen davon abgehalten, Gutes zu tun gemäß<br />

Gregor (Moralia 20,14; ML 76,155): „Die da im Wirken an<strong>de</strong>rer<br />

das Gute aufkeimen sehen, reißen es mit <strong>de</strong>r Hand ihres gif­<br />

tigen Spottes bald heraus."<br />

Zu 1. Spaßmachen verstößt nicht gegen die Liebe zu <strong>de</strong>m,<br />

mit <strong>de</strong>m Spaß gemacht wird, es kann jedoch Lieblosigkeit<br />

gegen <strong>de</strong>n ins Spiel kommen, über <strong>de</strong>n man lacht, wegen <strong>de</strong>r<br />

Verachtung, wie soeben bemerkt.<br />

Zu 2. Wer in die bereute Sün<strong>de</strong> zurückfällt <strong>und</strong> wer heu­<br />

chelt, verspottet Gott nicht ausdrücklich, son<strong>de</strong>rn nur <strong>de</strong>m<br />

Anschein nach, insofern er sich wie ein Spötter verhält. Auch ist<br />

nicht schlechthin rückfällig o<strong>de</strong>r heuchlerisch, wer läßlich sün­<br />

digt, son<strong>de</strong>rn es liegt nur eine Bereitschaft <strong>und</strong> eine unvollkom­<br />

mene Regung dazu vor.<br />

Zu 3. Die Verspottung ist ihrer Natur nach etwas weniger<br />

Belangvolles als Ehrabschneidung <strong>und</strong> Schmähung, <strong>de</strong>nn sie<br />

be<strong>de</strong>utet nicht Verachtung, son<strong>de</strong>rn Spiel. Bisweilen jedoch<br />

schließt sie größere Verachtung ein als selbst Schmähung, wie<br />

oben (ANTW.) dargelegt wur<strong>de</strong>. Und dann ist sie Todsün<strong>de</strong>.<br />

192


76. FRAGE<br />

DIE VERFLUCHUNG<br />

Nunmehr ist die Verfluchung zu besprechen. Hierbei stellen<br />

sich vier Fragen:<br />

1. Ist es erlaubt, jemand zu verfluchen?<br />

2. Darf man etwas Vernunftloses verfluchen?<br />

3. Ist Verfluchung Todsün<strong>de</strong>?<br />

4. Vergleich mit an<strong>de</strong>ren Sün<strong>de</strong>n.<br />

1. ARTIKEL<br />

Darf man jemand verfluchen?<br />

1. Es ist nicht erlaubt, das Gebot <strong>de</strong>s Apostels zu übertreten,<br />

<strong>de</strong>r im Namen Christi sprach, wie es 2 Kor 13.3 heißt. Der<br />

Apostel selbst aber befiehlt Rom 12,14: „Segnet, <strong>und</strong> flucht<br />

nicht!" Also ist es nicht erlaubt, jeman<strong>de</strong>n zu verfluchen.<br />

2. Alle sind verpflichtet, Gott zu segnen (preisen) gemäß<br />

Dn3,82: „Segnet (preiset), ihr Menschenkin<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Herrn!"<br />

Aus <strong>de</strong>mselben M<strong>und</strong> kann aber nicht zugleich Segnung (Prei­<br />

sung) Gottes <strong>und</strong> Verfluchung <strong>de</strong>s Menschen hervorgehen, wie<br />

Jakobus (3,9ff) darlegt. Also ist es nicht erlaubt, jeman<strong>de</strong>n zu<br />

verfluchen.<br />

3. Wer jeman<strong>de</strong>n verflucht, wünscht ihm das Übel <strong>de</strong>r<br />

Schuld o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Strafe, <strong>de</strong>nn Verfluchung ist eine Art von Ver­<br />

wünschung. Doch darf man einem an<strong>de</strong>ren nicht Böses wün­<br />

schen, vielmehr muß man für alle beten, damit sie vom Bösen<br />

befreit wer<strong>de</strong>n. Also ist es nieman<strong>de</strong>m erlaubt, zu fluchen.<br />

4. Der Teufel ist wegen seiner Verstocktheit am meisten <strong>de</strong>r<br />

Bosheit ausgeliefert. Doch niemand darf <strong>de</strong>n Teufel verfluchen,<br />

so wenig wie sich selbst. Es heißt nämlich Sir21,30: „Wenn <strong>de</strong>r<br />

Gottlose <strong>de</strong>n Teufel verflucht, verflucht er seine Seele (sich<br />

selbst)". Also darf man noch viel weniger einen Menschen ver­<br />

fluchen.<br />

5. Zu Nm23,8 „Wie soll ich <strong>de</strong>n verfluchen, <strong>de</strong>n Gott nicht<br />

verflucht?" sagt die Glosse (MG 12,687): „Wo die Gesinnung<br />

<strong>de</strong>s Sün<strong>de</strong>rs nicht bekannt ist, liegt da ein gerechter Gr<strong>und</strong> zur<br />

Verfluchung vor?" Nun kann niemand die Gesinnung eines<br />

an<strong>de</strong>ren Menschen kennen, <strong>und</strong> auch nicht wissen, ob er von<br />

193


76. l Gott verflucht ist. Also ist es nieman<strong>de</strong>m erlaubt, einem Men­<br />

schen zu fluchen.<br />

DAGEGEN steht Dt27,26: „Verflucht sei, wer die Gebote<br />

dieses Gesetzes nicht hält." Auch Elisäus verfluchte die Knaben,<br />

die ihn verspotteten (4Kön2,24).<br />

ANTWORT. Verfluchen (maledicere = malum dicere=Böses<br />

sagen) ist soviel wie „Böses aussagen". Aussagen steht nun in<br />

einem dreifachen Verhältnis zu <strong>de</strong>m, was ausgesagt wird. Ein­<br />

mal nämlich als schlichte Aussage, wie dies durch Indikativform<br />

ausgedrückt wird. So be<strong>de</strong>utet „Böses aussagen" nichts an<strong>de</strong>res<br />

als Böses über <strong>de</strong>n Nächsten berichten. Dies gehört zur Ehr­<br />

abschneidung. Daher nennt man die, welche Übles re<strong>de</strong>n, auch<br />

Ehrabschnei<strong>de</strong>r. - Zweitens wird das Wort „sagen" zur Bezeich­<br />

nung <strong>de</strong>r Verursachung gebraucht. So steht es in erster Linie<br />

<strong>und</strong> hauptsächlich Gott zu, <strong>de</strong>r alles durch sein Wort erschaffen<br />

hat, gemäß Ps32,9: „Er sagte (sprach), <strong>und</strong> es ward." In <strong>de</strong>r<br />

Folge kommt es auch <strong>de</strong>n Menschen zu, die durch ihr Befehls­<br />

wort an<strong>de</strong>re veranlassen, etwas zu tun. In diesem Sinn gibt es<br />

die imperativische Aussageform. - Drittens wird „sagen" noch<br />

gebraucht, um die in einem Wort enthaltenen Wünsche zum<br />

Ausdruck zu bringen. Und zu diesem Zweck wur<strong>de</strong> die Optative<br />

Wortform eingeführt.<br />

Die erste Weise, durch die schlicht <strong>und</strong> einfach Böses ausge­<br />

sagt wird, sei übergangen, <strong>und</strong> es sei nur von <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n an<strong>de</strong>­<br />

ren die Re<strong>de</strong>. Dabei muß man wissen, daß „etwas tun" <strong>und</strong> „es<br />

wollen" sich moralisch nicht unterschei<strong>de</strong>n: bei<strong>de</strong> Akte sind<br />

jeweils gut o<strong>de</strong>r böse, wie oben (1-1120,3) dargelegt wur<strong>de</strong>.<br />

Folglich gilt auch für die imperative wie für die Optative Aus­<br />

sageform das gleiche bezüglich erlaubt <strong>und</strong> unerlaubt. Wenn<br />

nämlich einer Böses für seinen Nächsten befiehlt o<strong>de</strong>r wünscht,<br />

<strong>und</strong> zwar absichtlich Böses als Böses, dann ist solches „Böses<br />

aussagen" auf je<strong>de</strong> Art unerlaubt. Und dies heißt im eigentli­<br />

chen Sinn „verfluchen". - Befiehlt o<strong>de</strong>r wünscht jedoch einer<br />

Böses für seinen Nächsten unter <strong>de</strong>m Gesichtspunkt <strong>de</strong>s<br />

Guten, dann ist es erlaubt. Dies ist eigentlich auch gar kein ver­<br />

fluchen, son<strong>de</strong>rn sieht nur danach aus, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Sprechen<strong>de</strong> hat<br />

in erster Linie nicht das Böse, son<strong>de</strong>rn das Gute im Auge.<br />

Böses kann man jedoch unter einem doppelten Gesichts­<br />

punkt <strong>de</strong>s Guten befehlen o<strong>de</strong>r wünschen. Bisweilen nämlich<br />

unter <strong>de</strong>m Gesichtspunkt <strong>de</strong>s Gerechten. So „verdammt" <strong>de</strong>r<br />

Richter erlaubterweise einen, <strong>de</strong>m er gerechte Strafe aufzuerle-<br />

194


gen befiehlt. Und in dieser Weise „verurteilt" auch die Kirche, 76. 2<br />

in<strong>de</strong>m sie <strong>de</strong>n Kirchenbann (das Anathem) ausspricht. Ebenso<br />

haben auch die Propheten <strong>de</strong>n Sün<strong>de</strong>rn bisweilen Böses ange­<br />

droht, in<strong>de</strong>m sie gleichsam ihren Willen mit <strong>de</strong>r göttlichen<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> gleichsetzten, - doch kann man <strong>de</strong>rlei Verwün­<br />

schungen auch als Verkündigung kommen<strong>de</strong>n Unheils verste­<br />

hen. - Bisweilen wird etwas Böses unter <strong>de</strong>m Gesichtspunkt<br />

<strong>de</strong>s Nützlichen ausgesprochen, z. B. wenn jemand einem Sün­<br />

<strong>de</strong>r Krankheit o<strong>de</strong>r sonst eine hin<strong>de</strong>rliche Sache wünscht, damit<br />

er sich entwe<strong>de</strong>r bessert o<strong>de</strong>r wenigstens aufhört, an<strong>de</strong>ren zu<br />

scha<strong>de</strong>n.<br />

Zu 1. Der Apostel verbietet das eigentliche Verfluchen, d. h.<br />

jenes, das mit schlechter Absicht verb<strong>und</strong>en ist.<br />

Die gleiche Antwort gilt für Zu 2.<br />

Zu 3: Jeman<strong>de</strong>m etwas Böses unter <strong>de</strong>m Gesichtspunkt <strong>de</strong>s<br />

Guten wünschen wi<strong>de</strong>rspricht nicht <strong>de</strong>r Absicht, einem<br />

schlechthin Gutes zu erweisen, son<strong>de</strong>rn steht damit vielmehr in<br />

Einklang.<br />

Zu 4. Beim Teufel ist zwischen Natur <strong>und</strong> Schuld zu unter­<br />

schei<strong>de</strong>n. Seine Natur ist gut <strong>und</strong> stammt von Gott, darum darf<br />

man sie auch nicht verfluchen. Seine Schuld jedoch ist zu verflu­<br />

chen gemäß Job 3,8: „Es sollen ihr (nämlich <strong>de</strong>r Nacht, in <strong>de</strong>r er<br />

geboren wur<strong>de</strong>) fluchen, die <strong>de</strong>m Tag fluchen." Wenn aber <strong>de</strong>r<br />

Sün<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Teufel flucht wegen <strong>de</strong>ssen Schuld, so hält er sich<br />

selbst aus ähnlichem Gr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r Verfluchung wert. In diesem<br />

Sinn ist auch das Wort „Seine Seele verfluchen" zu verstehen.<br />

Zu 5. Auch wenn die Gesinnung <strong>de</strong>s Sün<strong>de</strong>rs an sich nicht<br />

zu sehen ist, so läßt sie sich aus einer offenk<strong>und</strong>igen Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>n­<br />

noch erkennen, <strong>und</strong> dafür wird ihm die Strafe auferlegt. Ebenso<br />

gilt: wenngleich man nicht wissen kann, wen Gott im Hinblick<br />

auf die endgültige Verwerfung verflucht, so kann man immer­<br />

hin wissen, wen Gott angesichts einer hier <strong>und</strong> jetzt vorliegen­<br />

<strong>de</strong>n Schuld verflucht.<br />

2. ARTIKEL<br />

Darf man etwas Vernunftloses verfluchen?<br />

1. Die Verfluchung scheint vor allem als Strafe für ein Vergehen<br />

erlaubt zu sein. Doch die vernunftlose Kreatur ist we<strong>de</strong>r einer<br />

Schuld noch Strafe fähig. Also darf man sie nicht verfluchen.<br />

195


76. 2 2. Bei <strong>de</strong>r vernunftlosen Schöpfung fin<strong>de</strong>t sich nichts an<strong>de</strong>­<br />

res als die Natur, die Gott geschaffen hat. Diese jedoch darf<br />

man selbst beim Teufel nicht verfluchen (o. Zu 4). Also darf<br />

man die vernunftlose Kreatur überhaupt nicht verfluchen.<br />

3. Das Vernunftlose ist entwe<strong>de</strong>r etwas Bleiben<strong>de</strong>s, wie die<br />

Körper, o<strong>de</strong>r etwas Vorübergehen<strong>de</strong>s, wie die Zeit. Nach Gre­<br />

gor (Moralia4,2; ML 75,634) ist es nun „müßig, zu verfluchen,<br />

was nicht existiert, sündhaft jedoch, wenn es existierte". Also<br />

darf man etwas Vernunftloses überhaupt nicht verfluchen.<br />

DAGEGEN steht, daß <strong>de</strong>r Herr <strong>de</strong>n Feigenbaum verflucht<br />

hat (Mt21,19), <strong>und</strong> „Job verfluchte seinen Tag" (Job 3,1).<br />

ANTWORT. Nur etwas, <strong>de</strong>m Gutes o<strong>de</strong>r Böses wi<strong>de</strong>rfahren<br />

kann, läßt sich streng genommen segnen o<strong>de</strong>r verfluchen, <strong>und</strong><br />

das ist die vernunftbegabte Kreatur. Den vernunftlosen Wesen<br />

jedoch wird „gut" <strong>und</strong> „böse" zugeschrieben im Hinblick auf<br />

die vernunftbegabte Kreatur, <strong>de</strong>r sie zu dienen hat. In vielfacher<br />

Weise nun sind sie auf diese hingeordnet. Einmal als Hilfe, inso­<br />

fern die Bedürfnisse <strong>de</strong>s Menschen durch die vernunftlosen<br />

Geschöpfe befriedigt wer<strong>de</strong>n. In diesem Sinn sprach Gott zum<br />

Menschen Gn3,17: „Die Er<strong>de</strong> sei verflucht wegen <strong>de</strong>iner<br />

Taten", nämlich auf daß <strong>de</strong>r Mensch durch ihre Unfruchtbarkeit<br />

bestraft wer<strong>de</strong>. So ist auch Dt28,5 zu verstehen: „Gesegnet<br />

seien <strong>de</strong>ine Scheuern", <strong>und</strong> danach: „Verflucht sei <strong>de</strong>ine<br />

Scheuer". In diesem Sinn auch verfluchte David die Berge Gel­<br />

boes, [2 Sam 1,21] gemäß <strong>de</strong>r Auslegung Gregors (Moralia 4,4;<br />

ML 75,636). - Sodann dienen die vernunftlosen Dinge <strong>de</strong>r ver­<br />

nunftbegabten Kreatur als Sinnbil<strong>de</strong>r. Auf diese Weise verfluch­<br />

te <strong>de</strong>r Herr <strong>de</strong>n Feigenbaum als Zeichen für Juda. - Drittens<br />

nimmt die vernünftige Kreatur vernunftlose Dinge als zeitli­<br />

chen o<strong>de</strong>r ortsbestimmen<strong>de</strong>n Rahmen. So verfluchte Job <strong>de</strong>n<br />

Tag seiner Geburt, weil ihn da, bei seiner Geburt, die Erbschuld<br />

traf, <strong>und</strong> wegen <strong>de</strong>r daraus folgen<strong>de</strong>n Strafen. Aus <strong>de</strong>mselben<br />

Gr<strong>und</strong> verfluchte David - so kann man 2 Sam 1,21 verstehen -<br />

die Berge Gelboes, weil sein Volk dort eine Nie<strong>de</strong>rlage erlitten<br />

hatte.<br />

Vernunftlose Dinge zu verfluchen, insofern sie Schöpfung<br />

Gottes sind, ist eine Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Gotteslästerung . - Sie verflu­<br />

chen, weil sie sind, wie sie sind, ist müßig <strong>und</strong> sinnlos <strong>und</strong> daher<br />

unerlaubt.<br />

196<br />

Daraus ergibt sich die Lösung <strong>de</strong>r Einwän<strong>de</strong>.


3. ARTIKEL 76. 3<br />

Ist Verfluchen Todsün<strong>de</strong>?<br />

1. Augustinus rechnet in seiner Homilie Über das Fegfeuer<br />

(Sermol04; ML 30,1947) die Verfluchung unter die leichten<br />

Sün<strong>de</strong>n. Solcher Art aber sind die läßlichen. Also ist Verflu­<br />

chung nicht Todsün<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn nur läßliche.<br />

2. Was einer flüchtigen Geistesregung entspringt, ist nicht<br />

Todsün<strong>de</strong>. Doch Verfluchung entsteht zuweilen aus diesem<br />

Gr<strong>und</strong>. Also ist sie nicht Todsün<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn nur läßliche.<br />

3. Schlimmer ist Böses tun als „Böses sagen" (fluchen).<br />

Doch Böses tun ist nicht immer Todsün<strong>de</strong>. Also noch viel weni­<br />

ger „Böses sagen".<br />

DAGEGEN steht, daß nichts vom Reich Gottes ausschließt<br />

außer <strong>de</strong>r Todsün<strong>de</strong>. Doch Verfluchung schließt vom Reich<br />

Gottes aus gemäß lKor6,10: „We<strong>de</strong>r Verflucher noch Räuber<br />

wer<strong>de</strong>n das Reich Gottes besitzen". Also ist Verfluchung Tod­<br />

sün<strong>de</strong>.<br />

ANTWORT. Die Verfluchung, von <strong>de</strong>r hier die Re<strong>de</strong> ist,<br />

besteht im Aussprechen von etwas Bösem gegen jemand, sei es<br />

in Befehls-, sei es in Wunschform. Dem Nächsten aber etwas<br />

Böses wünschen o<strong>de</strong>r durch Befehl dazu bewegen wi<strong>de</strong>rspricht<br />

an sich <strong>de</strong>r Caritas, mit <strong>de</strong>r wir <strong>de</strong>n Nächsten lieben, in<strong>de</strong>m wir<br />

Gutes für ihn wollen. Daher ist jenes Han<strong>de</strong>ln seiner Art nach<br />

Todsün<strong>de</strong>, <strong>und</strong> eine umso schwerere, je mehr wir die Person, die<br />

wir verfluchen, lieben <strong>und</strong> verehren müssen. Daher heißt es<br />

Lv20,9: „Wer seinem Vater o<strong>de</strong>r seiner Mutter flucht, soll <strong>de</strong>s<br />

To<strong>de</strong>s sterben".<br />

Es kommt jedoch vor, daß ein Verfluchungswort nur läßliche<br />

Sün<strong>de</strong> ist, sei es wegen <strong>de</strong>r Geringfügigkeit <strong>de</strong>s Übels, das<br />

jemand einem an<strong>de</strong>ren verfluchend wünscht, sei es wegen <strong>de</strong>r<br />

Geistesverfassung <strong>de</strong>s Verfluchen<strong>de</strong>n, wenn er aus flüchtiger<br />

Erregung o<strong>de</strong>r im Spaß o<strong>de</strong>r irgendwie spontan <strong>de</strong>rlei Worte<br />

von sich gibt. Wortsün<strong>de</strong>n sind ja, wie oben (72,2) bemerkt, vor<br />

allem nach <strong>de</strong>r Gesinnung zu beurteilen.<br />

Daraus ergibt sich die Lösung <strong>de</strong>r Einwän<strong>de</strong>.<br />

197


76. 4 4. ARTIKEL<br />

Ist Verfluchen eine schwerere Sün<strong>de</strong> als Ehrabschneidung?<br />

1. Verfluchung ist eine Art Lästerung, wie aus <strong>de</strong>m Judasbrief<br />

(V. 9) hervorgeht: „Als <strong>de</strong>r Erzengel Michael mit <strong>de</strong>m Teu­<br />

fel rechtete <strong>und</strong> um <strong>de</strong>n Leib <strong>de</strong>s Moses stritt, hat er nicht<br />

gewagt, ein lästerliches Urteil zu fällen". Und „Lästerung"<br />

nimmt die Glosse (interlin.VI,238r) hier für Verfluchung.<br />

Lästerung aber ist eine schwerere Sün<strong>de</strong> als Ehrabschneidung.<br />

Also auch Verfluchung.<br />

2. Mord ist schwerer als Ehrabschneidung, wie oben (73,3)<br />

erklärt wur<strong>de</strong>. Doch Verfluchung <strong>und</strong> Mord sind gleich schwer.<br />

Cbrysostomus schreibt nämlich in seinem Matthäuskommentar<br />

(Horn. 19; MG57,285): „Wenn du sagst: ,Fluch ihm, reiße sein<br />

Haus ein <strong>und</strong> laß alles zugr<strong>und</strong>egehen', so bist du nichts an<strong>de</strong>res<br />

als ein Mör<strong>de</strong>r". Also ist Verfluchung schwerer als Ehrabschnei­<br />

dung.<br />

3. Eine Ursache ist wirksamer als ein Zeichen. Doch wer<br />

verflucht, verursacht durch seinen Befehl ein Übel. Wer hinge­<br />

gen die Ehre abschnei<strong>de</strong>t, zeigt nur ein bereits bestehen<strong>de</strong>s<br />

Übel an. Also sündigt <strong>de</strong>r Verfluchen<strong>de</strong> mehr als <strong>de</strong>r Ehrab­<br />

schnei<strong>de</strong>r.<br />

DAGEGEN steht, daß Ehrabschneidung niemals gut wer<strong>de</strong>n<br />

kann. Die Verfluchung hingegen läßt sich, wie dargelegt wur<strong>de</strong>,<br />

im guten <strong>und</strong> schlechten Sinn anwen<strong>de</strong>n. Also ist Ehrabschnei­<br />

dung schwerer sündhaft als Verfluchung.<br />

ANTWORT. Wie im I. Buch (148,5) erklärt wur<strong>de</strong>, gibt es ein<br />

zweifaches Übel: das <strong>de</strong>r Schuld <strong>und</strong> das <strong>de</strong>r Strafe. Das Übel<br />

<strong>de</strong>r Schuld aber ist schlimmer (ebda). Und so ist das Aussagen<br />

von Schuld auch schlimmer als das Aussagen von Strafe, vor­<br />

ausgesetzt, die Art <strong>de</strong>s Aussagens ist die gleiche. Bei Schmä­<br />

hung nun wie auch bei Ohrenbläserei <strong>und</strong> Ehrabschneidung<br />

sowie bei Verspottung wird Schuld ausgesagt, doch <strong>de</strong>r Verflu­<br />

cher, wie jetzt von ihm die Re<strong>de</strong> ist, spricht Strafübel, aber kein<br />

Schuldübel aus, - dieses höchstens unter <strong>de</strong>m Gesichtspunkt<br />

<strong>de</strong>r Strafe. Die Art <strong>und</strong> Weise <strong>de</strong>s Sprechens ist jedoch verschie­<br />

<strong>de</strong>n. Denn um die vier vorgenannten Laster auszusprechen,<br />

genügt es, die Schuld einfach zu nennen; bei <strong>de</strong>r Verfluchung<br />

jedoch wird Strafe ausgesprochen, in<strong>de</strong>m man sie entwe<strong>de</strong>r in<br />

Form eines Befehls o<strong>de</strong>r eines Wunsches verursacht. Das Aus-<br />

198


sagen von Schuld ist nun Sün<strong>de</strong>, insofern dadurch <strong>de</strong>m Nach- 76. 4<br />

sten Scha<strong>de</strong>n zugefügt wird. Schwerer jedoch wiegt Scha<strong>de</strong>n<br />

zufügen als - unter gleichen Voraussetzungen - Scha<strong>de</strong>n nur<br />

wünschen. Daher ist Ehrabschneidung nach gemeinem Ver­<br />

ständnis eine schwerere Sün<strong>de</strong> als jene Verfluchung, die nur<br />

einen einfachen Wunsch zum Ausdruck bringt. Die Verfluchung<br />

jedoch in Form eines Befehls kann wegen ihres Ursachecharak­<br />

ters schwerer als Ehrabschneidung sein, falls sie mehr Scha<strong>de</strong>n<br />

bewirkt als es Anschwärzung ist, - o<strong>de</strong>r bei geringem Scha<strong>de</strong>n<br />

auch leichter.<br />

All dies versteht sich entsprechend <strong>de</strong>m, was zu <strong>de</strong>n wesent­<br />

lichen Elementen dieser Sün<strong>de</strong>n gehört. Es können freilich auch<br />

noch zufällige Umstän<strong>de</strong> in Betracht kommen, wodurch sich<br />

die Sündhaftigkeit verschlimmert o<strong>de</strong>r abschwächt.<br />

Zu 1. Die Verfluchung <strong>de</strong>r Schöpfung, insofern sie Schöp­<br />

fung ist, fällt auf Gott zurück <strong>und</strong> nimmt dadurch <strong>de</strong>n Charak­<br />

ter <strong>de</strong>r Gotteslästerung an. Nicht so verhielte es sich, wenn die<br />

Schöpfung verflucht wür<strong>de</strong> wegen einer Schuld. Und das<br />

gleiche gilt von <strong>de</strong>r Ehrabschneidung.<br />

Zu 2. Wie gesagt (s. o.), verbin<strong>de</strong>t sich eine Form von Verflu­<br />

chung mit <strong>de</strong>m Wunsch, daß Böses geschehe. Wenn daher<br />

jemand in seinen Fluch <strong>de</strong>n Gedanken <strong>de</strong>s Mor<strong>de</strong>s an seinem<br />

Nächsten miteinbezieht, so unterschei<strong>de</strong>t er sich <strong>de</strong>r Absicht<br />

nach nicht von einem Mör<strong>de</strong>r. Ein Unterschied besteht freilich<br />

darin, daß durch die äußere Ausführung zum reinen Willensakt<br />

noch etwas hinzukommt.<br />

Zu 3. Diese Überlegung gilt nur für die imperative Verflu­<br />

chung.<br />

199


77. FRAGE<br />

DER BETRUG<br />

BEI KAUF UND VERKAUF<br />

Nun sind die Sün<strong>de</strong>n zu besprechen, die bei freiwilligen<br />

Tauschhandlungen vorkommen.<br />

Dabei geht es erstens um Betrug bei Kauf <strong>und</strong> Verkauf, zwei­<br />

tens um <strong>de</strong>n Wucher bei Leihgeschäften. Bei <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren frei­<br />

willigen Tauschhandlungen gibt es nämlich keine von Raub<br />

o<strong>de</strong>r Diebstahl verschie<strong>de</strong>nen Arten von Sün<strong>de</strong>.<br />

Bezüglich <strong>de</strong>s ersten Punktes ergeben sich vier Fragen:<br />

1. Der Preis beim ungerechten Verkauf, d. h. darf man etwas<br />

über seinen Wert verkaufen?<br />

2. Der ungerechte Verkauf von <strong>de</strong>r Ware her gesehen.<br />

3. Muß <strong>de</strong>r Verkäufer auf einen Warenfehler hinweisen?<br />

4. Darf bei Han<strong>de</strong>lsgeschäften <strong>de</strong>r Verkaufspreis höher sein<br />

als <strong>de</strong>r Einkaufspreis?<br />

1. ARTIKEL<br />

Darf man etwas über seinen Wert verkaufen?<br />

1. Das Gerechte bei <strong>de</strong>n Tauschgeschäften wird in <strong>de</strong>r<br />

menschlichen Gesellschaft nach bürgerlichen Gesetzen be­<br />

stimmt. Doch danach (KRII,179b u. 180a) ist es Käufer <strong>und</strong><br />

Verkäufer erlaubt, sich gegenseitig zu hintergehen. Dies ge­<br />

schieht dadurch, daß <strong>de</strong>r Verkäufer seine Ware über Wert ver­<br />

kauft, <strong>de</strong>r Käufer sie hingegen unter Wert bezahlt. Also darf<br />

man eine Sache über Wert verkaufen.<br />

2. Was unter <strong>de</strong>n Menschen allgemein verbreitet ist, scheint<br />

etwas Natürliches zu sein. Augustinus gibt nun im XIII. Buch<br />

Über die Dreifaltigkeit (c. 3; ML 42,1017) das Wort eines von<br />

allen beklatschten Schauspielers wie<strong>de</strong>r: „Ihr wollt billig ein­<br />

kaufen <strong>und</strong> teuer verkaufen." Damit stimmt auch Spr20,14<br />

überein: „,Schlecht, schlecht!' sagt je<strong>de</strong>r Käufer, ist er aber weg,<br />

dann prahlt er." Also ist es erlaubt, etwas teurer zu verkaufen<br />

<strong>und</strong> billiger einzukaufen, als es wert ist.<br />

3. Es scheint nicht unerlaubt, auf-Vereinbarung hin zu tun,<br />

was man schon nach <strong>de</strong>n Regeln <strong>de</strong>r Ehrbarkeit tun muß. Nun<br />

200


hat nach Aristoteles (Eth.VIII, 15; 1163 a 16) unter Fre<strong>und</strong>en 77 1<br />

jener, <strong>de</strong>r eine Wohltat empfangen hat, entsprechend <strong>de</strong>m<br />

erlangten N<strong>utz</strong>en einen Ausgleich zugunsten <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>ren zu<br />

leisten [64]. Diese Gegenleistung übersteigt bisweilen <strong>de</strong>n Wert<br />

<strong>de</strong>r erhaltenen Sache, z. B. wenn jemand etwas sehr nötig hat,<br />

um einer Gefahr zu begegnen o<strong>de</strong>r einen Vorteil zu erlangen.<br />

Also ist es erlaubt, im Kauf- <strong>und</strong> Verkaufsvertrag etwas um<br />

höheren Preis, als es wert ist, abzugeben.<br />

DAGEGEN steht bei Mt7,12: „Alles, was ihr von an<strong>de</strong>ren<br />

erwartet, das tut auch ihnen." Niemand aber will, daß ihm eine<br />

Sache teurer verkauft wer<strong>de</strong>, als sie wert ist. Also darf niemand<br />

<strong>de</strong>m an<strong>de</strong>ren eine Sache über Wert verkaufen.<br />

ANTWORT. Betrug anwen<strong>de</strong>n, um etwas über <strong>de</strong>m gerech­<br />

ten Preis zu verkaufen, ist unter allen Umstän<strong>de</strong>n Sün<strong>de</strong>, <strong>de</strong>nn<br />

dadurch wird <strong>de</strong>r Nächste zu seinem Scha<strong>de</strong>n hintergangen.<br />

Daher sagt auch Cicero im III. Buch seiner Pflichtenlehre<br />

(c. 15): „Von Verträgen ist je<strong>de</strong> Lüge fernzuhalten; <strong>de</strong>r Verkäu­<br />

fer soll keinen Mehrbieten<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r Käufer keinen, <strong>de</strong>r ihn unter­<br />

bietet, zulassen."<br />

Sehen wir vom Betrug einmal ab, so können wir über Kauf<br />

<strong>und</strong> Verkauf in doppelter Weise sprechen. Einmal an sich. Und<br />

so scheinen Kauf <strong>und</strong> Verkauf zum gemeinsamen N<strong>utz</strong>en bei­<br />

<strong>de</strong>r Teile eingeführt wor<strong>de</strong>n zu sein, in<strong>de</strong>m nämlich <strong>de</strong>r eine die<br />

Sache <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>ren nötig hat <strong>und</strong> umgekehrt, wie Aristoteles im<br />

I.Buch seiner Politik (c.9; 1257a6) bemerkt. Was nun zum<br />

gemeinsamen N<strong>utz</strong>en eingeführt wur<strong>de</strong>, darf <strong>de</strong>n einen nicht<br />

mehr belasten als <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren. Daher muß <strong>de</strong>r Vertrag zwi­<br />

schen ihnen unter <strong>de</strong>m Gesichtspunkt <strong>de</strong>s sachlichen Aus­<br />

gleichs abgeschlossen wer<strong>de</strong>n. Der Wert <strong>de</strong>r Dinge aber, die<br />

zum N<strong>utz</strong>en <strong>de</strong>s Menschen in Umlauf kommen, wird nach <strong>de</strong>m<br />

bezahlten Preis bemessen. Zu diesem Zweck wur<strong>de</strong> das Geld<br />

erf<strong>und</strong>en, wie es im V.Buch <strong>de</strong>r Ethik (c. 8; 1133a29) heißt.<br />

Wenn daher <strong>de</strong>r Preis <strong>de</strong>n Sachwert übersteigt o<strong>de</strong>r, umgekehrt,<br />

<strong>de</strong>r Sachwert <strong>de</strong>n Preis übersteigt, ist von ausgleichen<strong>de</strong>r<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> keine Re<strong>de</strong> mehr. Teurer verkaufen o<strong>de</strong>r billiger<br />

einkaufen, als eine Sache wert ist, ist also an sich ungerecht <strong>und</strong><br />

unerlaubt.<br />

In an<strong>de</strong>rer Weise können wir von Kauf <strong>und</strong> Verkauf spre­<br />

chen, sofern daraus zufällig <strong>de</strong>m einen ein Vorteil <strong>und</strong> <strong>de</strong>m<br />

an<strong>de</strong>ren ein Nachteil entsteht, z. B. wenn einer etwas sehr nötig<br />

hat <strong>und</strong> <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re geschädigt wür<strong>de</strong>, wenn er es entbehren<br />

201


77. l müßte. In diesem Fall ergibt sich <strong>de</strong>r gerechte Preis nicht nur im<br />

Hinblick auf die Sache, die verkauft wird, son<strong>de</strong>rn auch im Hin­<br />

blick auf <strong>de</strong>n Scha<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Verkäufer aus <strong>de</strong>m Verkauf ent­<br />

steht. Und so kann etwas teurer verkauft wer<strong>de</strong>n, als es an sich<br />

wert ist, obwohl es nicht teurer verkauft wer<strong>de</strong>n sollte, als es<br />

<strong>de</strong>m Besitzer wert ist.<br />

Hat aber jemand einen großen N<strong>utz</strong>en von <strong>de</strong>r erhaltenen<br />

Sache, <strong>de</strong>r Verkäufer durch die Weggabe jedoch keinen Nach­<br />

teil, so darf er sie nicht teurer verkaufen. Denn <strong>de</strong>r Vorteil, <strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>m an<strong>de</strong>ren zufällt, entsteht nicht aus <strong>de</strong>m Verkauf, son<strong>de</strong>rn<br />

aus <strong>de</strong>r Lage <strong>de</strong>s Käufers. Niemand aber darf jeman<strong>de</strong>m etwas<br />

verkaufen, was ihm nicht gehört, wenn er ihm auch <strong>de</strong>n Scha­<br />

<strong>de</strong>n berechnen kann, <strong>de</strong>n er erlei<strong>de</strong>t. Wer hingegen durch die<br />

erhaltene Sache eine große Hilfe erfährt, kann <strong>de</strong>m Verkäufer<br />

freiwillig etwas dreingeben, - dies wäre eine ehrenhafte Geste.<br />

Zu 1. Wie oben (1-1196,2) bemerkt, beansprucht das<br />

menschliche Gesetz seine Gültigkeit für die ganze Gesellschaft,<br />

in <strong>de</strong>r es viele lasterhafte Glie<strong>de</strong>r gibt, <strong>und</strong> nicht nur für die<br />

Tugendhaften. Daher konnte es nicht alles verhin<strong>de</strong>rn, was <strong>de</strong>r<br />

Tugend wi<strong>de</strong>rspricht, es genügt ihm, das zu verhin<strong>de</strong>rn, was das<br />

Zusammenleben <strong>de</strong>r Menschen unmöglich macht. An<strong>de</strong>re<br />

Dinge hingegen gelten ihm als „erlaubt", nicht weil es sie gut­<br />

hieße, son<strong>de</strong>rn nur, weil es sie nicht bestraft. So hält es gleich­<br />

sam auch für erlaubt <strong>und</strong> for<strong>de</strong>rt dafür keine Bestrafung, wenn<br />

<strong>de</strong>r Verkäufer, ohne zu betrügen, seine Sache teurer verkauft<br />

o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Käufer billiger einkauft, immer vorausgesetzt, <strong>de</strong>r Un­<br />

terschied ist nicht zu groß, <strong>de</strong>nn dann zwingt auch das mensch­<br />

liche Gesetz zur Restitution, z. B. wenn jemand um mehr als die<br />

Hälfte <strong>de</strong>s gerechten Preises betrogen wur<strong>de</strong> (KRII, 179 b). Das<br />

göttliche Gesetz jedoch läßt nichts, was <strong>de</strong>r Tugend wi<strong>de</strong>r­<br />

spricht, ungestraft. Daher gilt nach ihm als unerlaubt, wenn bei<br />

Kauf <strong>und</strong> Verkauf <strong>de</strong>r gerechte Ausgleich nicht gewahrt wird.<br />

Und wer zuviel an sich genommen hat, muß <strong>de</strong>m Geschädigten<br />

Ersatz leisten, falls es sich um nennenswerten Scha<strong>de</strong>n han<strong>de</strong>lt.<br />

Ich sage dies <strong>de</strong>shalb, weil sich <strong>de</strong>r gerechte Preis nicht immer<br />

auf <strong>de</strong>n i-Punkt genau ausmachen läßt, son<strong>de</strong>rn mehr auf Schät­<br />

zung beruht, so daß ein geringes Mehr o<strong>de</strong>r Weniger <strong>de</strong>n<br />

gerechten Ausgleich nicht aufzuheben scheint.<br />

Zu 2. Augustinus sagt ebendort: „Beim Gedanken an sich<br />

selbst o<strong>de</strong>r die Erfahrung mit an<strong>de</strong>ren vor Augen meinte jener<br />

Schauspieler, billig einkaufen <strong>und</strong> teuer verkaufen wollen sei<br />

202


allgemein verbreitet. Weil dies aber tatsächlich Sün<strong>de</strong> ist, kann 77. 2<br />

hier je<strong>de</strong>r dadurch <strong>Gerechtigkeit</strong> erlangen, daß er <strong>de</strong>m siegreich<br />

wi<strong>de</strong>rsteht." Und er bringt ein Beispiel von einem, <strong>de</strong>r, obgleich<br />

ihm jemand aus Unwissenheit nur eine geringe Summe für ein<br />

Buch abverlangte, <strong>de</strong>n gerechten Preis bezahlte. Daraus folgt,<br />

daß jenes allgemeine Bestreben nicht aus <strong>de</strong>r Natur, son<strong>de</strong>rn<br />

aus <strong>de</strong>m Laster folgt. Es ist nur jenen vielen allgemein geläufig,<br />

die auf <strong>de</strong>r breiten Straße <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> einhergehen.<br />

Zu 3. Bei <strong>de</strong>r Tauschgerechtigkeit wird vor allem auf <strong>de</strong>n<br />

sachlichen Ausgleich geachtet. Doch die auf N<strong>utz</strong>en beruhen<strong>de</strong><br />

Fre<strong>und</strong>schaft sieht eben auf <strong>de</strong>n N<strong>utz</strong>en, <strong>und</strong> daher muß sich<br />

die Gegenleistung nach <strong>de</strong>m herausgekommenen N<strong>utz</strong>en rich­<br />

ten, beim Kauf hingegen entsprechend <strong>de</strong>m Ausgleich in <strong>de</strong>r<br />

Sache.<br />

2. ARTIKEL<br />

Wird <strong>de</strong>r Verkauf ungerecht <strong>und</strong> unerlaubt wegen Fehlerhaftigkeit<br />

<strong>de</strong>r verkauften Sache?<br />

1. Ist <strong>de</strong>r wesentliche Bestand einer Sache vorhan<strong>de</strong>n, so fällt<br />

das übrige weniger mehr ins Gewicht. Nun scheint <strong>de</strong>r Verkauf<br />

nicht unerlaubt zu sein, selbst wenn <strong>de</strong>r wesentliche Bestand<br />

nicht vorhan<strong>de</strong>n ist, z. B. wenn jemand Alchimiesilber o<strong>de</strong>r<br />

-gold anstelle von echtem verkauft, das man für alle Gebrauchs­<br />

gegenstän<strong>de</strong> aus Silber <strong>und</strong> Gold benötigt, z. B. zur Herstellung<br />

von Gefäßen <strong>und</strong> <strong>de</strong>rgleichen. Also ist <strong>de</strong>r Verkauf noch viel<br />

weniger unerlaubt, wenn es sich um an<strong>de</strong>re Mängel han<strong>de</strong>lt.<br />

2. Mengenmäßige Mängel in <strong>de</strong>r Sache scheinen <strong>de</strong>r Gerech­<br />

tigkeit, die im Gleichmaß besteht, am meisten zu wi<strong>de</strong>rspre­<br />

chen. Die Menge aber wird durch das Maß festgestellt. Die<br />

Meßgrößen für die Dinge, die <strong>de</strong>m Menschen zum Gebrauch<br />

dienen, sind jedoch nicht genau festgelegt, son<strong>de</strong>rn hier größer,<br />

dort kleiner, wie aus <strong>de</strong>s Aristoteles V.Buch <strong>de</strong>r Ethik (c. 10;<br />

1135a 1) hervorgeht. Ein quantitativer Mangel bei <strong>de</strong>r verkauf­<br />

ten Sache läßt sich also nicht vermei<strong>de</strong>n, <strong>und</strong> darum wird <strong>de</strong>r<br />

Verkauf <strong>de</strong>swegen wohl nicht unerlaubt sein.<br />

3. Ein Mangel an <strong>de</strong>r Sache liegt vor, wenn ihr die entspre­<br />

chen<strong>de</strong> Qualität fehlt. Wer jedoch über Qualität einer Sache<br />

Bescheid wissen will, braucht umfassen<strong>de</strong> Kenntnisse, die <strong>de</strong>n<br />

meisten Kaufleuten abgehen. Also wird <strong>de</strong>r Verkauf nicht uner­<br />

laubt wegen eines Fehlers <strong>de</strong>r Sache. .<br />

203


77. 2 DAGEGEN schreibt Ambrosius im III. Buch seiner Pflichten­<br />

lehre (c. 11; ML 16,175): „Es ist eine klare Regel <strong>de</strong>r Gerechtig­<br />

keit, daß es sich für <strong>de</strong>n rechtschaffenen Mann nicht geziemt,<br />

vom Wahren abzuweichen, noch irgendwem einen Scha<strong>de</strong>n<br />

zuzufügen, noch seine Sache irgendwie mit Betrug in Verbin­<br />

dung zu bringen."<br />

ANTWORT. Eine Sache, die verkauft wird, kann einen dreifa­<br />

chen Mangel aufweisen. Der erste bezieht sich auf ihren<br />

Wesensbestand. Ist ein solcher Mangel <strong>de</strong>m Verkäufer beim<br />

Verkauf <strong>de</strong>r Sache bekannt, dann begeht er dabei einen Betrug;<br />

daher wird <strong>de</strong>r Verkauf unerlaubt. Und das ist es, was bei<br />

Is 1,22 gegen gewisse Leute gesagt wird: „Dein Silber wur<strong>de</strong> zu<br />

Schlacke, <strong>de</strong>in Wein ist mit Wasser vermischt." Was vermischt<br />

ist, verliert nämlich seinen spezifischen Wesensbestand. - Der<br />

zweite Mangel liegt in <strong>de</strong>r Quantität, die durch Messung festge­<br />

stellt wird. Wer darum wissentlich beim Verkauf zu wenig mißt,<br />

begeht Betrug, <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Verkauf ist unerlaubt. Daher heißt es<br />

Dt 25,13 f.: „Du sollst nicht zweierlei Gewicht im Beutel haben,<br />

ein größeres <strong>und</strong> ein kleineres; auch sollst du in <strong>de</strong>inem Hause<br />

nicht einen größeren <strong>und</strong> einen kleineren Scheffel haben." Und<br />

nachher (V. 16) wird hinzugefügt: „Denn <strong>de</strong>r Herr verabscheut<br />

<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r solches tut, <strong>und</strong> ist ein Feind aller Ungerechtigkeit." -<br />

Der dritte Mangel bezieht sich auf die Qualität, z. B. wenn einer<br />

ein krankes Tier als ges<strong>und</strong>es verkauft. Wer dies bewußt tut, be­<br />

geht Betrug beim Verkauf, <strong>de</strong>shalb ist <strong>de</strong>r Verkauf unerlaubt.<br />

Und bei alle<strong>de</strong>m sündigt einer nicht nur durch ungerechten<br />

Verkauf, son<strong>de</strong>rn er ist auch zur Restitution verpflichtet. Fin<strong>de</strong>t<br />

sich aber ohne sein Wissen einer <strong>de</strong>r erwähnten Mängel in <strong>de</strong>r<br />

verkauften Sache, sündigt <strong>de</strong>r Verkäufer zwar nicht, weil er nur<br />

materiell etwas Ungerechtes tut, auch ist sein Verhalten nicht<br />

ungerecht, wie aus <strong>de</strong>m Obigen (59,2) hervorgeht. Doch<br />

sobald <strong>de</strong>r Mangel bekannt wird, ist er verpflichtet, <strong>de</strong>m Käufer<br />

<strong>de</strong>n Scha<strong>de</strong>n zu ersetzen.<br />

Was vom Verkäufer gesagt wur<strong>de</strong>, gilt auch für <strong>de</strong>n Käufer.<br />

Es kommt nämlich zuweilen vor, daß <strong>de</strong>r Verkäufer seine Sache<br />

für weniger wertvoll hält, als sie in Wirklichkeit ist. So kauft<br />

jemand, <strong>de</strong>m Gold anstelle von Messing angeboten wird, unge­<br />

recht ein, falls er es merkt, <strong>und</strong> ist zur Restitution verpflichtet.<br />

Dasselbe gilt bei qualitativen <strong>und</strong> quantitativen Mängeln.<br />

Zu 1. Gold <strong>und</strong> Silber sind nicht nur teuer wegen <strong>de</strong>s Nut­<br />

zens <strong>de</strong>r Gefäße, die daraus hergestellt wer<strong>de</strong>n, o<strong>de</strong>r wegen<br />

204


an<strong>de</strong>rer <strong>de</strong>rgleichen Dinge, son<strong>de</strong>rn auch wegen <strong>de</strong>r Schönheit 77. 2<br />

<strong>und</strong> <strong>de</strong>r Reinheit ihrer natürlichen Beschaffenheit. Wenn daher<br />

das von Alchimisten hergestellte Gold o<strong>de</strong>r Silber <strong>de</strong>n Charakter<br />

von echtem Gold o<strong>de</strong>r Silber nicht besitzt, so ist <strong>de</strong>r Verkauf<br />

betrügerisch <strong>und</strong> ungerecht. Dies vor allem auch <strong>de</strong>shalb, weil<br />

es für echtes Gold <strong>und</strong> Silber wegen ihrer natürlichen Wirksam­<br />

keit Verwendungszwecke gibt, die alchimistisch vorgetäusch­<br />

tem Gold nicht zukommen, wie z. B. daß es die Eigenschaft hat,<br />

Freu<strong>de</strong> zu wecken o<strong>de</strong>r medizinisch gegen gewisse Krankheiten<br />

zu helfen. Außer<strong>de</strong>m läßt sich echtes Gold auch in vielfältiger<br />

Weise verwen<strong>de</strong>n <strong>und</strong> bewahrt seine Reinheit länger als Schein­<br />

gold. - Käme jedoch bei alchimistischen Verfahren echtes Gold<br />

heraus, dann dürfte man es auch als echtes verkaufen, <strong>de</strong>nn<br />

nichts steht im Weg, daß ein künstliches Verfahren mit Hilfe<br />

natürlicher Ursachen natürliche <strong>und</strong> echte Wirkungen hervor­<br />

bringt, wie Augustinus im III. Buch Über die Dreifaltigkeit<br />

(c. 8; ML42, 875) zu <strong>de</strong>m bemerkt, was die Dämonen zu­<br />

stan<strong>de</strong>bringen.<br />

Zu 2. Die Maße für die Han<strong>de</strong>lswaren müssen an verschie­<br />

<strong>de</strong>nen Orten wegen <strong>de</strong>s verschie<strong>de</strong>n großen Angebots verschie­<br />

<strong>de</strong>n sein; <strong>de</strong>nn wo es mehr Ware gibt, sind die Maßeinheiten<br />

meist größer. An je<strong>de</strong>m Ort jedoch ist es Sache <strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong>­<br />

vorsteher, in Anbetracht <strong>de</strong>r örtlichen Verhältnisse <strong>und</strong> <strong>de</strong>r vor­<br />

han<strong>de</strong>nen Dinge die richtigen Maße für die Waren zu bestim­<br />

men. Daher darf man diese von <strong>de</strong>r öffentlichen Autorität o<strong>de</strong>r<br />

durch Gewohnheit festgelegten Maße nicht außer acht lassen.<br />

Zu 3. Wie Augustinus im XI. Buch seines Gottesstaates<br />

(c. 16; ML 41,331) schreibt, richtet sich <strong>de</strong>r Preis von Han<strong>de</strong>ls­<br />

waren nicht nach ihrem natürlichen Rang, da bisweilen ein<br />

Pferd teurer zu stehen kommt als ein Sklave, son<strong>de</strong>rn danach,<br />

welchen N<strong>utz</strong>wert eine Sache für <strong>de</strong>n Gebrauch <strong>de</strong>s Menschen<br />

besitzt. Daher braucht <strong>de</strong>r Verkäufer o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Käufer die ver­<br />

borgene Qualität <strong>de</strong>r verkauften Sache nicht zu kennen, son­<br />

<strong>de</strong>rn nur jene, die sie für <strong>de</strong>n menschlichen Gebrauch geeignet<br />

machen, z. B. daß ein Pferd kräftig sei <strong>und</strong> tüchtig laufe, <strong>und</strong> so<br />

in ähnlichen Fällen. Diese Eigenschaften können Käufer <strong>und</strong><br />

Verkäufer jedoch leicht erkennen.<br />

205


3. ARTIKEL<br />

Muß <strong>de</strong>r Verkäufer auf einen Warenfehler hinweisen?<br />

1. Da <strong>de</strong>r Verkäufer <strong>de</strong>n Käufer zum Kauf nicht zwingt,<br />

scheint er die Ware, die er verkauft, <strong>de</strong>ssen Urteil zu überlassen.<br />

Doch eine Ware beurteilen <strong>und</strong> sich genaue Kenntnis von ihr<br />

verschaffen, ist Sache <strong>de</strong>rselben Person. Also ist es wohl nicht<br />

<strong>de</strong>m Verkäufer anzurechnen, wenn <strong>de</strong>r K<strong>und</strong>e wegen über­<br />

stürzten Kaufs <strong>und</strong> ohne sorgfältige Prüfung <strong>de</strong>s Warenzustands<br />

in seinem Urteil fehlgeht.<br />

2. Töricht ist, wer durch ein bestimmtes Han<strong>de</strong>ln sein Vor­<br />

haben zunichte macht. Doch wenn einer die Mängel seiner Ware<br />

auf<strong>de</strong>ckt, macht er <strong>de</strong>n Verkauf zunichte. So führt Cicero in sei­<br />

ner Pflichtenlehre (111,13) einen an, <strong>de</strong>r sagt: „Was gäbe es<br />

Wi<strong>de</strong>rsinnigeres, als wenn auf Befehl <strong>de</strong>s Eigentümers <strong>de</strong>r Aus­<br />

rufer ankündigen wür<strong>de</strong>: Ich biete ein verseuchtes Haus zum<br />

Kaufe an!" Also ist <strong>de</strong>r Verkäufer nicht verpflichtet, die Mängel<br />

<strong>de</strong>r verkauften Sache anzugeben.<br />

3. Für einen Menschen ist es wichtiger, <strong>de</strong>n Weg <strong>de</strong>r Tugend<br />

zu kennen als die Mängel von Han<strong>de</strong>lswaren. Doch man ist<br />

nicht verpflichtet, einem je<strong>de</strong>n Ratschläge zu erteilen <strong>und</strong> über<br />

<strong>de</strong>n Tugendweg Aufklärung zu verschaffen, - wenngleich man<br />

nieman<strong>de</strong>m etwas Falsches sagen darf. Viel weniger also ist <strong>de</strong>r<br />

Verkäufer gehalten, auf Mängel einer verkauften Sache hinzu­<br />

weisen, in<strong>de</strong>m er <strong>de</strong>m Käufer gleichsam guten Rat erteilt.<br />

4. Wäre man verpflichtet, Warenmangel anzugeben, so<br />

könnte dies nur eine Senkung <strong>de</strong>s Preises zur Folge haben.<br />

Doch bisweilen fällt <strong>de</strong>r Preis auch ohne Warenmängel aus<br />

einem an<strong>de</strong>ren Gr<strong>und</strong>, z. B. wenn <strong>de</strong>r Verkäufer, <strong>de</strong>r seinen<br />

Weizen an einen Ort bringt, wo Getrei<strong>de</strong>mangel herrscht, weiß,<br />

daß da viele mit ihren Erzeugnissen hinkommen können; wenn<br />

die Käufer dies wüßten, wür<strong>de</strong>n sie einen geringeren Preis zah­<br />

len. Einen diesbezüglichen Hinweis braucht <strong>de</strong>r Verkäufer<br />

jedoch wohl nicht zu geben. Also aus gleichem Gr<strong>und</strong> auch<br />

keine Auskunft über Mängel seiner verkauften Ware.<br />

DAGEGEN schreibt Ambrosius im III. Buch seiner Pflichten­<br />

lehre (c. 10; ML 16,173): „Bei Kaufverträgen muß auf Waren­<br />

mängel hingewiesen wer<strong>de</strong>n. Und falls <strong>de</strong>r Verkäufer dies un-<br />

terläßt, ist <strong>de</strong>r Verkauf, obwohl die Ware an <strong>de</strong>n Käufer überge­<br />

gangen ist, wegen Betrugs hinfällig."<br />

206


ANTWORT. Jeman<strong>de</strong>n in Gefahr bringen o<strong>de</strong>r einem Scha- 77. 3<br />

<strong>de</strong>n aussetzen ist immer unerlaubt, obwohl <strong>de</strong>r Mensch einem<br />

an<strong>de</strong>ren nicht immer notwendigerweise Hilfe gewähren o<strong>de</strong>r<br />

einen Ratschlag erteilen muß, um ihm irgendwelche För<strong>de</strong>rung<br />

zuteil wer<strong>de</strong>n zu lassen; dies ist nur in einem bestimmten Fall<br />

vonnöten, z. B. wenn jemand seiner Obhut anvertraut ist o<strong>de</strong>r<br />

wenn ihm kein an<strong>de</strong>rer zu Hilfe kommen kann. Der Verkäufer<br />

nun, <strong>de</strong>r eine Ware anbietet, bringt <strong>de</strong>n Käufer dadurch, daß er<br />

ihm ein fehlerhaftes Produkt anbietet, in eine scha<strong>de</strong>ndrohen<strong>de</strong><br />

o<strong>de</strong>r gefährliche Lage, falls ihm <strong>de</strong>r Fehler tatsächlich zum<br />

Scha<strong>de</strong>n ausschlagen o<strong>de</strong>r eine Gefahr für ihn be<strong>de</strong>uten kann.<br />

Ein Scha<strong>de</strong>n entsteht dadurch, daß die Ware wegen solchen<br />

Mangels im Wert gemin<strong>de</strong>rt wird, <strong>de</strong>r Verkäufer jedoch <strong>de</strong>n<br />

Preis <strong>de</strong>nnoch nicht herabsetzt. Eine Gefahr, z. B. wenn ein <strong>de</strong>r­<br />

artiger Mangel <strong>de</strong>n Gebrauch <strong>de</strong>r Sache unmöglich macht o<strong>de</strong>r<br />

Scha<strong>de</strong>n verursacht, so etwa, wenn jemand einem ein lahmen­<br />

<strong>de</strong>s Pferd für ein schnelles, ein baufälliges Haus für eine soli<strong>de</strong>s<br />

o<strong>de</strong>r eine verdorbene o<strong>de</strong>r vergiftete Speise für eine gute ver­<br />

kauft. Sind <strong>de</strong>rlei Fehler verborgen <strong>und</strong> gibt sie <strong>de</strong>r Verkäufer<br />

nicht an, dann ist <strong>de</strong>r Verkauf unerlaubt <strong>und</strong> betrügerisch, <strong>und</strong><br />

<strong>de</strong>r Verkäufer ist zu Scha<strong>de</strong>nersatz verpflichtet.<br />

Ist <strong>de</strong>r Fehler jedoch offensichtlich, z.B. wenn das Pferd ein­<br />

äugig ist o<strong>de</strong>r wenn die Ware zwar für <strong>de</strong>n Verkäufer keinen<br />

Wert hat, jedoch an<strong>de</strong>ren nützlich sein kann <strong>und</strong> wenn er wegen<br />

eines <strong>de</strong>rartigen Fehlers vom Preis entsprechend heruntergeht,<br />

ist er nicht verpflichtet, <strong>de</strong>n Fehler aufzu<strong>de</strong>cken, weil <strong>de</strong>r Käufer<br />

dann <strong>de</strong>n Preis wegen dieses Fehlers mehr als angemessen her­<br />

unterdrücken möchte. Daher darf <strong>de</strong>r Verkäufer sich vor Scha­<br />

<strong>de</strong>n schützen, in<strong>de</strong>m er <strong>de</strong>n Fehler verschweigt.<br />

Zu 1. Beurteilen kann man nur, was offen zutage liegt.<br />

Denn, wie es im I. Buch <strong>de</strong>r Ethik (c. 1; 1094 b27) heißt, „rich­<br />

tet sich ein Urteil eines je<strong>de</strong>n nach <strong>de</strong>m, was er kennt". Wenn<br />

daher die Warenmängel verborgen sind <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Verkäufer sie<br />

nicht erwähnt, wird <strong>de</strong>m Käufer nicht genügend Möglichkeit<br />

zur Beurteilung gegeben. An<strong>de</strong>rs wäre es im Fall, wo die Män­<br />

gel auf <strong>de</strong>r Hand liegen.<br />

Zu 2. Es ist nicht nötig, daß jemand durch einen Ausrufer<br />

die Mängel seiner Ware bekanntmachen läßt. Ankündigungen<br />

dieser Art wür<strong>de</strong>n die Käufer nur vom Kauf abschrecken <strong>und</strong><br />

sie über die Güte <strong>und</strong> Nützlichkeit <strong>de</strong>r Sache in Unkenntnis las­<br />

sen. Doch im einzelnen ist je<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r mit Kaufabsichten heran-<br />

207


77. 4 tritt, auf <strong>de</strong>n Mangel hinzuweisen, damit er dann alle Eigen­<br />

schaften, die guten <strong>und</strong> die schlechten, miteinan<strong>de</strong>r vergleichen<br />

kann, <strong>de</strong>nn nichts steht im Weg, daß etwas in einem Punkt feh­<br />

lerhaft, in vielen an<strong>de</strong>ren aber nützlich sein kann.<br />

Zu 3. Obwohl <strong>de</strong>r Mensch nicht gehalten ist, schlechthin<br />

je<strong>de</strong>n bezüglich <strong>de</strong>ssen, was zur Tugend gehört, aufzuklären, so<br />

wäre er <strong>de</strong>nnoch für <strong>de</strong>n Fall dazu verpflichtet, daß durch sein<br />

Tun einem an<strong>de</strong>ren Gefahr zum Scha<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Tugend drohte,<br />

wenn er die Wahrheit verschwiege. Und so liegt die Sache hier.<br />

Zu 4. Ein Fehler an einer Sache bewirkt, daß sie im Augen­<br />

blick von geringerem Wert ist, als es <strong>de</strong>n Anschein hat. Doch im<br />

erwähnten Fall wird eine Wertmin<strong>de</strong>rung erst in Zukunft<br />

erwartet wegen <strong>de</strong>r Zahl <strong>de</strong>r herbeiströmen<strong>de</strong>n Händler, von<br />

<strong>de</strong>nen die Käufer nichts wissen. Daher han<strong>de</strong>lt <strong>de</strong>r Verkäufer,<br />

<strong>de</strong>r seine Ware zum augenblicklich gültigen Preis absetzt, nicht<br />

gegen die <strong>Gerechtigkeit</strong>, wenn er sich über die zukünftigen Ver­<br />

hältnisse nicht ausläßt. Käme er jedoch darauf zu sprechen o<strong>de</strong>r<br />

ginge er im Preis herunter, dann wäre dies ein Zeichen vollkom­<br />

menerer Tugend. Doch scheint er dazu aufgr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r Gerechtig­<br />

keit nicht verpflichtet zu sein.<br />

4. ARTIKEL<br />

Darf bei Han<strong>de</strong>lsgeschäften <strong>de</strong>r Verkaufspreis höher sein als <strong>de</strong>r<br />

Einkaufspreis?<br />

1. Cbrysostomus schreibt zu Mt21,12 (MG56,840): „Wer<br />

immer eine Sache kauft, um sie, wie sie ist, mit Gewinn wie<strong>de</strong>r<br />

zu verkaufen, <strong>de</strong>r ist <strong>de</strong>r Händler, <strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>m Tempel Gottes<br />

hinausgetrieben wird". Und das gleiche sagt Cassiodor (ML 700,<br />

500) zum Psalmwort 70,15 „Weil ich unerfahren bin in <strong>de</strong>r Wis­<br />

senschaft" o<strong>de</strong>r, nach einer an<strong>de</strong>ren Leseart (Septuaginta), „in<br />

Han<strong>de</strong>lsgeschäften" [65]: „Was - sagt er - ist <strong>de</strong>r Han<strong>de</strong>l an<strong>de</strong>­<br />

res als billig einkaufen <strong>und</strong> teurer verkaufen wollen?" <strong>und</strong> fügt<br />

hinzu: „Derlei Händler treibt <strong>de</strong>r Herr aus <strong>de</strong>m Tempel hinaus".<br />

Doch niemand wird aus <strong>de</strong>m Tempel hinausgetrieben, es sei<br />

<strong>de</strong>nn wegen einer Sün<strong>de</strong>. Also ist ein so ausgeübter Han<strong>de</strong>l<br />

sündhaft.<br />

2. Gegen die <strong>Gerechtigkeit</strong> verstößt, wer etwas teurer ver­<br />

kauft o<strong>de</strong>r billiger einkauft, als es wert ist (vgl. Art. 1). Doch wer<br />

im Han<strong>de</strong>l teurer verkauft als einkauft, hat entwe<strong>de</strong>r unter Wert<br />

208


eingekauft o<strong>de</strong>r zu teuer verkauft. Eine Sün<strong>de</strong> läßt sich dabei 77. 4<br />

nicht vermei<strong>de</strong>n.<br />

3. Hieronymus schreibt an Nepotian (ML22,531): „Einen<br />

Kleriker, <strong>de</strong>r Han<strong>de</strong>l treibt, <strong>de</strong>r aus einem Armen ein Reicher,<br />

aus einem Unbekannten ein berühmter Mann wird, <strong>de</strong>n fliehe<br />

wie die Pest". Doch Han<strong>de</strong>lsgeschäfte sind für die Kleriker nur<br />

zu verbieten wegen <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>. Also ist es Sün<strong>de</strong>, im Han<strong>de</strong>l<br />

etwas billig einzukaufen <strong>und</strong> teurer zu verkaufen.<br />

DAGEGEN schreibt Augustinus (ML 36,886) zum Psalm­<br />

wort 70,15 „Weil ich in <strong>de</strong>r Wissenschaft nicht bewan<strong>de</strong>rt bin":<br />

„Ein Kaufmann, <strong>de</strong>r darauf aus ist, zum Scha<strong>de</strong>n [<strong>de</strong>s Näch­<br />

sten] Gewinn zu erzielen, lästert Gott; um <strong>de</strong>r Preise willen<br />

lügt <strong>und</strong> schwört er. Doch dies sind Mängel <strong>de</strong>s Menschen,<br />

nicht <strong>de</strong>r kaufmännischen Kunst, die ohne diese Laster ausgeübt<br />

wer<strong>de</strong>n kann". Also ist Han<strong>de</strong>ltreiben an sich nicht unerlaubt.<br />

ANTWORT. Die Aufgabe <strong>de</strong>r Kaufleute besteht darin, sich<br />

mit <strong>de</strong>m Tausch von Waren zu beschäftigen. Wie nun Aristoteles<br />

im I.Buch seiner Politik (c.9; 1257a 19) schreibt, gibt es eine<br />

doppelte Art von Warentausch. Die eine ist gleichsam natürlich<br />

<strong>und</strong> notwendig. Bei ihr wird Sache gegen Sache o<strong>de</strong>r Sache<br />

gegen Geld getauscht um <strong>de</strong>r Bedürfnisse <strong>de</strong>s Lebens willen.<br />

Diese Art von Tausch ist nicht eigentlich Angelegenheit <strong>de</strong>r<br />

Händler, son<strong>de</strong>rn eher <strong>de</strong>r Haushaltsvorstän<strong>de</strong> <strong>und</strong> staatlichen<br />

Stellen, die sich um die lebensnotwendigen Dinge im Haus o<strong>de</strong>r<br />

Gemeinwesen zu kümmern haben. Die an<strong>de</strong>re Art von Tausch<br />

besteht darin, Geld gegen Geld o<strong>de</strong>r irgendwelche Waren gegen<br />

Geld zu tauschen, <strong>und</strong> zwar nicht wegen notwendiger Lebens­<br />

bedürfnisse, son<strong>de</strong>rn mit <strong>de</strong>m Ziel, Gewinn zu machen. Und in<br />

diesen Geschäften liegt das eigentliche Betätigungsfeld <strong>de</strong>r<br />

Kaufleute. Nach Aristoteles nun (Pol. 1,10; 1258 a 38) gebührt<br />

<strong>de</strong>r ersten Art von Tauschgeschäft Lob, <strong>de</strong>nn sie dient einer<br />

natürlichen Notwendigkeit. Die zweite jedoch wird aus gutem<br />

Gr<strong>und</strong> geta<strong>de</strong>lt, <strong>de</strong>nn an sich gesehen dient sie <strong>de</strong>m Gewinn­<br />

streben, das keine Grenzen kennt, son<strong>de</strong>rn endlos weitergeht.<br />

Daher haftet am Han<strong>de</strong>lsgeschäft, in sich betrachtet, eine<br />

gewisse Schimpflichkeit, insofern es seiner Natur nach keine<br />

ehrenhafte o<strong>de</strong>r notwendige Zweckbestimmung besitzt.<br />

Der Gewinn jedoch - Ziel <strong>de</strong>s Han<strong>de</strong>ls - hat, obwohl er in<br />

seinem Begriff nichts über ehrenhaft o<strong>de</strong>r notwendig aussagt,<br />

<strong>de</strong>nnoch nicht etwas Lasterhaftes o<strong>de</strong>r Tugendwidriges in sich.<br />

Daher besteht keine Schwierigkeit, ihn einem notwendigen<br />

209


77 4 o<strong>de</strong>r auch einem ehrenhaften Ziel dienstbar zu machen. Und<br />

somit wird das Han<strong>de</strong>lsgeschäft eine erlaubte Sache, z. B. wenn<br />

einer <strong>de</strong>n maßvollen Gewinn, <strong>de</strong>n er beim Han<strong>de</strong>l sucht, für die<br />

Erhaltung seines Hauses verwen<strong>de</strong>t o<strong>de</strong>r wenn er damit die<br />

Armen unterstützt o<strong>de</strong>r auch, wenn er Han<strong>de</strong>l treibt zum öffent­<br />

lichen N<strong>utz</strong>en, damit seinem Land das Notwendige zum Leben<br />

nicht fehle, <strong>und</strong> er <strong>de</strong>n Gewinn dabei weniger als Ziel, son<strong>de</strong>rn<br />

sozusagen als Arbeitsentgelt auffaßt.<br />

Zu 1. Das Chrysostomuswort ist vom Han<strong>de</strong>l zu verstehen,<br />

<strong>de</strong>r sein letztes Ziel im Gewinn sieht, was vor allem dann <strong>de</strong>r<br />

Fall ist, wenn einer eine unverän<strong>de</strong>rte Sache teurer verkauft.<br />

Verkauft er nämlich seine zum besseren verän<strong>de</strong>rte Sache um<br />

höheren Preis, dann nimmt er damit einfach <strong>de</strong>n Lohn für seine<br />

Arbeit entgegen. Doch darf man <strong>de</strong>n Gewinn auch selbst<br />

erlaubterweise erstreben, zwar nicht als letztes Ziel, aber, wie ge­<br />

sagt, wegen eines an<strong>de</strong>ren notwendigen o<strong>de</strong>r ehrenhaften Zieles.<br />

Zu 2. Nicht wer etwas teurer verkauft, als er eingekauft hat,<br />

treibt schon Han<strong>de</strong>l, son<strong>de</strong>rn nur, wer mit <strong>de</strong>r bewußten<br />

Absicht einkauft, teurer zu verkaufen. Kauft aber jemand etwas<br />

ein, nicht um es zu verkaufen, son<strong>de</strong>rn um es zu behalten,<br />

möchte es aber später aus irgen<strong>de</strong>inem Gr<strong>und</strong> abstoßen, so<br />

treibt er nicht Han<strong>de</strong>l, auch wenn er es teurer verkauft. Er kann<br />

dies nämlich erlaubterweise tun, weil er entwe<strong>de</strong>r die Sache<br />

irgendwie aufgewertet hat o<strong>de</strong>r weil <strong>de</strong>r Preis entsprechend <strong>de</strong>n<br />

Umstän<strong>de</strong>n von Ort o<strong>de</strong>r Zeit gestiegen ist o<strong>de</strong>r auch wegen<br />

<strong>de</strong>r Gefahr, <strong>de</strong>r er sich o<strong>de</strong>r seine Beauftragten beim Transport<br />

<strong>de</strong>r Sache von einem zum an<strong>de</strong>ren Ort ausgesetzt hat. Und<br />

<strong>de</strong>mentsprechend ist we<strong>de</strong>r Kauf noch Verkauf ungerecht.<br />

Zu 3. Die Kleriker müssen nicht nur das an sich Schlechte,<br />

son<strong>de</strong>rn auch das scheinbar Schlechte mei<strong>de</strong>n. Dies ist <strong>de</strong>r Fall<br />

bei Han<strong>de</strong>lsgeschäften, <strong>und</strong> zwar sowohl weil sie auf irdischen<br />

Gewinn hingeordnet sind, <strong>de</strong>n die Kleriker verachten müssen,<br />

als auch wegen <strong>de</strong>r häufigen Laster <strong>de</strong>r Han<strong>de</strong>ltreiben<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nn<br />

„nur schwer bleibt ein Händler frei von Zungensün<strong>de</strong>n", wie es<br />

Sir26,28 heißt. Dazu kommt noch, daß das Han<strong>de</strong>lsgeschäft<br />

<strong>de</strong>n Geist zu sehr in irdische Sorgen verstrickt <strong>und</strong> in Folge<br />

davon vom geistlichen Leben abhält. Daher schreibt <strong>de</strong>r Apo­<br />

stel 2Tim2,4: „Keiner, <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n Krieg zieht, läßt sich in All­<br />

tagsgeschäfte verwickeln". - Erlaubt ist jedoch <strong>de</strong>n Klerikern<br />

die erste Art von Tauschgeschäften, wo bei Kauf <strong>und</strong> Verkauf<br />

<strong>de</strong>n Bedürfnissen <strong>de</strong>s Lebens Rechnung getragen wird.<br />

210


78. FRAGE<br />

DIE SÜNDE DES ZINSNEHMENS [66]<br />

Nun ist von <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Zinsnehmens, die bei Leihge­<br />

schäften begangen wird, zu re<strong>de</strong>n.<br />

Dabei ergeben sich vier Fragen:<br />

1. Ist es Sün<strong>de</strong>, Geld als Bezahlung für geliehenes Geld<br />

anzunehmen, was dasselbe wie Zinsnehmen ist?<br />

2. Ist es erlaubt, dafür als Gegenleistung irgen<strong>de</strong>ine Gefällig­<br />

keit entgegenzunehmen?<br />

3. Muß einer <strong>de</strong>n Gewinn restituieren, <strong>de</strong>n er aus <strong>de</strong>m Zins<br />

auf gerechtem Weg gemacht hat?<br />

4. Darf man Geld gegen Zins ausleihen?<br />

1. ARTIKEL<br />

Ist es Sün<strong>de</strong>, Zins für geliehenes Geld anzunehmen?<br />

1. Niemand sündigt, wenn er <strong>de</strong>m Beispiel Christi folgt.<br />

Doch <strong>de</strong>r Herr sagt von sich selbst Lkl9,23: „Bei meiner<br />

Rückkehr hätte ich es mit Zinsen zurückgefor<strong>de</strong>rt", nämlich das<br />

ausgeliehene Geld. Also ist es keine Sün<strong>de</strong>, für geliehenes Geld<br />

Zins zu nehmen.<br />

2. Im Psalm 18,8 heißt es: „Das Gesetz <strong>de</strong>s Herrn ist unbe­<br />

fleckt", weil es die Sün<strong>de</strong> verbietet. Doch im Gesetz Gottes wird<br />

ein gewisser Zins gestattet gemäß Dt23,19f.: „Du sollst <strong>de</strong>i­<br />

nem Bru<strong>de</strong>r we<strong>de</strong>r Geld noch Früchte noch irgen<strong>de</strong>twas an<strong>de</strong>­<br />

res auf Zins leihen, wohl aber <strong>de</strong>m Frem<strong>de</strong>n." Und, was noch<br />

mehr ist: für die Beobachtung <strong>de</strong>s Gesetzes wird sogar eine<br />

Belohnung versprochen gemäß Dt 28,12: „Du wirst vielen Völ­<br />

kern Darlehen geben können <strong>und</strong> selbst von nieman<strong>de</strong>m entlei­<br />

hen müssen." Also ist Zinsnehmen keine Sün<strong>de</strong>.<br />

3. In <strong>de</strong>n Beziehungen unter <strong>de</strong>n Menschen wird die<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> durch bürgerliche Gesetze bestimmt. Nach ihnen<br />

ist das Zinsnehmen jedoch gestattet. Also scheint dies nicht un­<br />

erlaubt zu sein.<br />

4. Die Beobachtung <strong>de</strong>r Räte verpflichtet nicht unter Sün<strong>de</strong>.<br />

Doch Lk6,35 steht unter an<strong>de</strong>ren Räten: „Leiht aus, ohne<br />

etwas dafür zu erhoffen." Also kann man, ohne zu sündigen,<br />

Zins entgegennehmen.<br />

211


78.1 5. Lohn für etwas annehmen, das man zu tun nicht ver­<br />

pflichtet ist, scheint an sich keine Sün<strong>de</strong> zu sein. Doch wer Geld<br />

hat, ist nicht in je<strong>de</strong>m Fall verpflichtet, es seinem Nächsten zu<br />

leihen. Also ist es irgendwann einmal erlaubt, Entgelt für ein<br />

Darlehen zu nehmen.<br />

6. Zwischen zu Münzen geprägtem <strong>und</strong> zu Gefäßen ver­<br />

arbeitetem Silber besteht kein wesentlicher Unterschied. Doch<br />

für ausgeliehene Silbergefäße darf man Geld annehmen. Also<br />

gilt das gleiche auch für ausgeliehene Silbermünzen. Zinsneh­<br />

men ist also an sich keine Sün<strong>de</strong>.<br />

7. Je<strong>de</strong>rmann darf erlaubterweise eine Sache annehmen, die<br />

ihm <strong>de</strong>ssen Besitzer freiwillig überläßt. Wer nun ein Darlehen<br />

entgegennimmt, übergibt dafür freiwillig Zins. Also darf ihn <strong>de</strong>r<br />

Entleiher erlaubterweise annehmen.<br />

DAGEGEN steht Ex22,25: „Leihst du einem aus meinem<br />

Volk, einem Armen, <strong>de</strong>r neben dir wohnt, Geld, dann sollst du<br />

dich gegen ihn nicht wie ein Wucherer benehmen. Ihr sollt von<br />

ihm keinen Wucherzins for<strong>de</strong>rn."<br />

ANTWORT. Für geliehenes Geld Zins verlangen ist in sich<br />

unrecht, <strong>de</strong>nn es wird dabei verkauft, was nicht existiert.<br />

Dadurch ergibt sich ein<strong>de</strong>utig eine Ungleichheit, die <strong>de</strong>r<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> wi<strong>de</strong>rspricht. Hierzu muß man wissen, daß es<br />

gewisse Dinge gibt, <strong>de</strong>ren Gebrauch in ihrem Verbrauch<br />

besteht. So verbrauchen wir <strong>de</strong>n Wein, in<strong>de</strong>m wir ihn als Trank<br />

gebrauchen, <strong>und</strong> <strong>de</strong>n Weizen verbrauchen wir, in<strong>de</strong>m wir ihn als<br />

Speise gebrauchen. Bei diesen Dingen darf man also <strong>de</strong>n<br />

Gebrauch <strong>de</strong>r Sache nicht von <strong>de</strong>r Sache selbst trennen, son<strong>de</strong>rn<br />

wem immer <strong>de</strong>r Gebrauch zugestan<strong>de</strong>n wird, <strong>de</strong>m wird auch<br />

die Sache zugestan<strong>de</strong>n. Deshalb be<strong>de</strong>utet hier Leihe zugleich<br />

Besitzübertragung. Wollte daher jemand <strong>de</strong>n Wein verkaufen<br />

<strong>und</strong> außer<strong>de</strong>m noch <strong>de</strong>n Gebrauch <strong>de</strong>s Weines, dann wür<strong>de</strong> er<br />

diesselbe Sache zweimal verkaufen, o<strong>de</strong>r er wür<strong>de</strong> etwas ver­<br />

kaufen, das nicht vorhan<strong>de</strong>n ist. Damit versündigt er sich ein­<br />

<strong>de</strong>utig gegen die <strong>Gerechtigkeit</strong>. In gleicher Weise begeht ein<br />

Unrecht, wer Wein o<strong>de</strong>r Weizen leiht <strong>und</strong> dafür zweifaches Ent­<br />

gelt verlangt, eines als Gegenleistung zum sachlichen Ausgleich<br />

<strong>und</strong> eines als Preis für <strong>de</strong>n Gebrauch, was soviel be<strong>de</strong>utet wie<br />

„Zins".<br />

Es gibt jedoch Dinge, <strong>de</strong>ren Gebrauch nicht in ihrem Ver­<br />

brauch liegt. So besteht <strong>de</strong>r Gebrauch eines Hauses im Bewoh­<br />

nen, nicht jedoch im Zerstören. Daher kann bei <strong>de</strong>rlei Dingen<br />

212


ei<strong>de</strong>s getrennt gestattet wer<strong>de</strong>n, z.B. wenn jemand sein Haus 78. l<br />

einem an<strong>de</strong>ren zu Eigentum überträgt <strong>und</strong> für sich eine Zeit­<br />

lang <strong>de</strong>n Gebrauch vorbehält, o<strong>de</strong>r, umgekehrt, wenn jemand<br />

einem <strong>de</strong>n Gebrauch <strong>de</strong>s Hauses einräumt, es aber als Eigen­<br />

tum behält. Und <strong>de</strong>shalb darf man einen Preis für <strong>de</strong>n Gebrauch<br />

<strong>de</strong>s Hauses for<strong>de</strong>rn <strong>und</strong> außer<strong>de</strong>m das geliehene Haus zurück­<br />

verlangen, wie dies bei Verpachtung o<strong>de</strong>r Vermietung eines<br />

Hauses <strong>de</strong>r Fall ist.<br />

Das Geld aber wur<strong>de</strong> nach Aristoteles (Eth.V,8; 1133a20,<br />

<strong>und</strong> Pol. 1,9; 1257a35) hauptsächlich erf<strong>und</strong>en, um Tausch­<br />

handlungen vorzunehmen. Daher besteht <strong>de</strong>r eigentliche <strong>und</strong><br />

vorrangige Gebrauch <strong>de</strong>s Gel<strong>de</strong>s in seinem Verbrauch o<strong>de</strong>r sei­<br />

ner Verausgabung, wie dies bei Tauschgeschäften getätigt wird.<br />

Aus diesem Gr<strong>und</strong> ist es in sich unerlaubt, für <strong>de</strong>n Gebrauch<br />

geliehenen Gel<strong>de</strong>s eine Entschädigung anzunehmen, die „Zins"<br />

heißt. Und wie an<strong>de</strong>res unrechtmäßig Erworbenes zurückgege­<br />

ben wer<strong>de</strong>n muß, so auch das Geld, das man als Zins erhaltenhat.<br />

Zu 1. „Zins" wird dort im übertragenen Sinn als Zuwachs<br />

an geistigen Gütern genommen, <strong>de</strong>n Gott erwartet. Er will<br />

nämlich, daß wir einen immer besseren Gebrauch von <strong>de</strong>n von<br />

ihm empfangenen Gaben machen, - dies zu unserem, nicht zu<br />

seinem Gewinn.<br />

Zu 2. Den Ju<strong>de</strong>n war es verboten, „von ihren Brü<strong>de</strong>rn" Zins<br />

zu nehmen, nämlich eben von <strong>de</strong>n Ju<strong>de</strong>n. Damit wird zu verste­<br />

hen gegeben, daß Zins von irgendjeman<strong>de</strong>m zu verlangen abso­<br />

lut schlecht ist, müssen wir doch je<strong>de</strong>n Menschen „gleichsam als<br />

Nächsten <strong>und</strong> Bru<strong>de</strong>r" betrachten, vor allem wir, die unter <strong>de</strong>m<br />

Gesetz <strong>de</strong>s Evangeliums stehen, zu <strong>de</strong>m alle berufen sind [67].<br />

Daher heißt es im Psalm 14,5 ohne Einschränkung: „Er gibt<br />

sein Geld nicht auf Zins", <strong>und</strong> Ezl8,17: „Er nimmt keinen<br />

Zins." Daß sie (die Ju<strong>de</strong>n) aber von <strong>de</strong>n Volksfrem<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n Zins<br />

nahmen, war ihnen nicht als erlaubt zugestan<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn nur<br />

zur Vermeidung größeren Übels gestattet, nämlich damit sie<br />

nicht aus Geiz, <strong>de</strong>m sie nach Is 56,11 verfallen waren, von <strong>de</strong>n<br />

Ju<strong>de</strong>n, die Gott verehren, Zins nahmen. - Wenn aber Lohn ver­<br />

sprochen wird mit <strong>de</strong>n Worten: „Du wirst vielen Völkern Dar­<br />

lehen geben usw.", so ist dort „Darlehen" im weiteren Sinn zu<br />

verstehen, wie es auch Sir29,10 heißt: „Viele geben nicht aus<br />

Bosheit kein Darlehen", d. h. sie leihen nicht. Den Ju<strong>de</strong>n wird<br />

also als Belohnung Fülle <strong>de</strong>s Reichtums versprochen, <strong>de</strong>r es<br />

ihnen möglich macht, an<strong>de</strong>ren auszuleihen.<br />

213


78. l Zu 3. Die menschlichen Gesetze lassen wegen <strong>de</strong>s Zustan-<br />

<strong>de</strong>s <strong>de</strong>r unvollkommenen Menschen manche Sün<strong>de</strong>n ungestraft<br />

durchgehen. Wür<strong>de</strong>n nämlich alle Sün<strong>de</strong>n mit Strafen streng<br />

unterdrückt, dann wür<strong>de</strong> bei ihnen mancher gute Dienst unge­<br />

tan bleiben. Daher hat das menschliche Gesetz das Zinsnehmen<br />

erlaubt, nicht als ob es dieses als gerecht ansähe, son<strong>de</strong>rn um<br />

vielen einen Vorteil zu verschaffen. Deshalb heißt es auch im<br />

bürgerlichen <strong>Recht</strong> (Inst.,KR1,13b): „Dinge, die durch <strong>de</strong>n<br />

Gebrauch verzehrt wer<strong>de</strong>n, lassen we<strong>de</strong>r vom natürlichen noch<br />

vom zivilrechtlichen Standpunkt aus eine N<strong>utz</strong>nießung zu",<br />

<strong>und</strong>: „Der Senat hat die N<strong>utz</strong>nießung dieser Dinge nicht zuge­<br />

lassen, er konnte es auch gar nicht, son<strong>de</strong>rn er gewährte nur<br />

eine Art von N<strong>utz</strong>nießung", in<strong>de</strong>m er nämlich <strong>de</strong>n Zins gestat­<br />

tete. Und von natürlicher Überlegung geleitet, schreibt Aristote­<br />

les im I. Buch <strong>de</strong>r Politik (c. 10; 1258b7): „Gel<strong>de</strong>rwerb durch<br />

Zinsnehmen ist in höchstem Maße gegen die Natur."<br />

Zu 4. Der Mensch ist nicht immer verpflichtet zu leihen,<br />

<strong>und</strong> darum wird von <strong>de</strong>r Leihe nur in <strong>de</strong>n Räten gesprochen.<br />

Doch das Verbot, aus <strong>de</strong>m Darlehen Gewinn zu ziehen, fällt<br />

unter das Gebot. - Es kann aber als „Rat" bezeichnet wer<strong>de</strong>n im<br />

Hinblick auf die Aussprüche <strong>de</strong>r Pharisäer, die meinten, ein<br />

gewisser Zins sei erlaubt; in diesem Sinn ist auch die Fein<strong>de</strong>s­<br />

liebe ein „Rat". - O<strong>de</strong>r er (Christus) spricht dort nicht von <strong>de</strong>r<br />

Aussicht auf Zinsgewinn, son<strong>de</strong>rn von <strong>de</strong>r Erwartung, die man<br />

an einen Menschen stellt. Wir dürfen nämlich kein Darlehen<br />

geben o<strong>de</strong>r sonst etwas Gutes tun in <strong>de</strong>r erwartungsvollen<br />

Hoffnung auf einen Menschen, son<strong>de</strong>rn nur wegen <strong>de</strong>r Hoff­<br />

nung auf Gott.<br />

Zu 5. Wer leiht, ohne dazu verpflichtet zu sein, kann eine<br />

Vergütung für seine Leistung annehmen, aber nichts darüber<br />

hinaus. Diese Vergütung entspricht <strong>de</strong>m Gleichmaß <strong>de</strong>r Ge­<br />

rechtigkeit, wenn er genau so viel zurückerhält, als er ausgelie­<br />

hen hat. Verlangt er mehr für die N<strong>utz</strong>nießung einer Sache,<br />

<strong>de</strong>ren Gebrauch ausschließlich im Verbrauch besteht, dann ver­<br />

langt er einen Preis für etwas, das nicht existiert. Dies ist <strong>de</strong>m­<br />

nach eine ungerechte For<strong>de</strong>rung.<br />

Z u 6. Die vorzügliche Verwendung silberner Gefäße besteht<br />

nicht in ihrem Verbrauch <strong>und</strong> daher kann für ihre Ben<strong>utz</strong>ung<br />

unter Vorbehalt <strong>de</strong>s Eigentumsrechts erlaubterweise Geld ver­<br />

langt wer<strong>de</strong>n. Silbergeld hingegen dient in erster Linie <strong>de</strong>m Ver­<br />

brauch bei Tauschgeschäften. Daher darf man seinen Gebrauch<br />

214


nicht verkaufen <strong>und</strong> dann auch noch die Rückgabe <strong>de</strong>ssen ver- 78. 2<br />

langen, was man einem als Darlehen gegeben hat.<br />

Es ist jedoch zu be<strong>de</strong>nken, daß Silbergefäße auch noch als<br />

Objekte im Tauschhan<strong>de</strong>l gebraucht wer<strong>de</strong>n können. Einen sol­<br />

chen Gebrauch dürfte man nicht verkaufen. Und in gleicher<br />

Weise kann es auch noch einen zweiten Gebrauch von Silber­<br />

geld geben, z. B. wenn jemand geprägte Münzen für eine Schau­<br />

stellung hergibt o<strong>de</strong>r sie anstelle eines Pfan<strong>de</strong>s verwen<strong>de</strong>t.<br />

Einen solchen Gebrauch <strong>de</strong>s Gel<strong>de</strong>s kann man erlaubterweise<br />

verkaufen [68].<br />

Zu 7. Wer Zins gibt, gibt ihn nicht schlechthin freiwillig, son­<br />

<strong>de</strong>rn unter <strong>de</strong>m Druck einer gewissen Notwendigkeit, insofern<br />

er ein Darlehen nötig hat, das <strong>de</strong>r Darlehensgeber nicht ohne<br />

Zins gewähren will.<br />

2. ARTIKEL<br />

Kann man für ein Darlehen irgen<strong>de</strong>ine an<strong>de</strong>re Gefälligkeit<br />

erbitten?<br />

1. Je<strong>de</strong>r kann erlaubterweise dafür sorgen, daß ihm kein<br />

Scha<strong>de</strong>n entsteht. Doch bisweilen erlei<strong>de</strong>t jemand einen Scha­<br />

<strong>de</strong>n durch Gewährung eines Darlehens. Also darf er zum gelie­<br />

henen Geld noch etwas für <strong>de</strong>n Scha<strong>de</strong>n erbitten o<strong>de</strong>r verlan­<br />

gen.<br />

2. Je<strong>de</strong>r ist aus Grün<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Anständigkeit gehalten, „<strong>de</strong>m,<br />

<strong>de</strong>r ihm eine Gefälligkeit erwiesen hat, mit einer Gegenleistung<br />

zu vergelten", wie es im V. Buch <strong>de</strong>r Ethik (c. 8; 1133 a 4) heißt.<br />

Nun erweist, wer einem, <strong>de</strong>r sich in Bedrängnis befin<strong>de</strong>t, Geld<br />

leiht, eine Gefälligkeit, daher gebührt ihm ein Zeichen <strong>de</strong>s Dan­<br />

kes. Also ist <strong>de</strong>r Empfänger aus natürlicher Pflicht gehalten,<br />

irgen<strong>de</strong>ine Gegenleistung zu erbringen. Es scheint aber nicht<br />

unerlaubt zu sein, sich zu etwas zu verpflichten, wozu jemand<br />

durch das Naturrecht gehalten ist. Also scheint es auch nicht<br />

unerlaubt, wenn einer, <strong>de</strong>r jeman<strong>de</strong>m ein Darlehen gibt, von<br />

ihm eine gewisse Gegenleistung verlangt.<br />

3. Wie es ein „Handgeld" gibt, so gibt es auch ein „M<strong>und</strong>­<br />

geld" <strong>und</strong> ein „Dienstgeld" [69], wie die Glosse zu Is33,15:<br />

„Selig, wer seine Hän<strong>de</strong> von je<strong>de</strong>m Geschenk rein hält" (inter-<br />

lin. IV, 61 r) schreibt. Doch ist es erlaubt, einen Dienst o<strong>de</strong>r auch<br />

ein Lob von <strong>de</strong>m anzunehmen, <strong>de</strong>m man ein Gelddarlehen<br />

215


78. 2 gewährt hat. Also ist es aus gleichem Gr<strong>und</strong> erlaubt, irgen<strong>de</strong>in<br />

an<strong>de</strong>res Geschenk anzunehmen.<br />

4. Das Verhältnis von einer Gabe zu einer an<strong>de</strong>ren ist das<br />

gleiche wie von einem Darlehen zu einem an<strong>de</strong>ren Darlehen.<br />

Nun ist es erlaubt, Geld gegen an<strong>de</strong>res Geld anzunehmen. Also<br />

ist es auch erlaubt, für ein gewährtes Darlehen als Gegenlei­<br />

stung ein an<strong>de</strong>res Darlehen entgegenzunehmen.<br />

5. Wer durch Darlehensgewährung sein Besitzrecht über­<br />

trägt, trennt sich mehr von seinem Geld, als wer es einem Kauf­<br />

mann o<strong>de</strong>r Handwerker anvertraut. Nun ist es erlaubt, aus <strong>de</strong>m<br />

Geld, das man einem Kaufmann o<strong>de</strong>r Handwerker anvertraut,<br />

Gewinn zu ziehen. Also ist es auch erlaubt, mit einem Gelddar­<br />

lehen Gewinn zu machen.<br />

6. Für ein Gelddarlehen kann man ein Pfand nehmen, <strong>de</strong>s­<br />

sen Gebrauch sich für einen gewissen Preis verkaufen ließe, so,<br />

wenn ein Acker o<strong>de</strong>r ein bewohntes Haus verpfän<strong>de</strong>t wird.<br />

Also darf man auch aus geliehenem Geld einen gewissen<br />

Gewinn haben.<br />

7. Es kommt bisweilen vor, daß jemand seine Sachen wegen<br />

eines Darlehens teurer verkauft o<strong>de</strong>r die eines an<strong>de</strong>ren billiger<br />

einkauft, o<strong>de</strong>r wegen Zahlungsverzögerung <strong>de</strong>n Preis erhöht<br />

o<strong>de</strong>r für frühzeitige Rückzahlung senkt. In all diesen Fällen<br />

ergibt sich sozusagen ein vorteilhafter Ausgleich für das Auslei­<br />

hen <strong>de</strong>s Gel<strong>de</strong>s. Dies nun scheint nicht ein<strong>de</strong>utig unerlaubt zu<br />

sein. Also ist es wohl auch erlaubt, für das ausgeliehene Geld<br />

eine Vergünstigung zu erwarten o<strong>de</strong>r zu verlangen.<br />

DAGEGEN steht Ezl8,17 unter an<strong>de</strong>rem, was von einem<br />

gerechten Mann verlangt wird: „Zins <strong>und</strong> Zuschlag nimmt er<br />

nicht."<br />

ANTWORT. Nach Aristoteles (Eth.IV,l; 1119 b 26) gilt als<br />

Geld alles, „<strong>de</strong>ssen Wert sich mit Geld messen läßt". Wie daher<br />

je<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r für ein Gelddarlehen o<strong>de</strong>r etwas an<strong>de</strong>res, das im<br />

Gebrauch verbraucht wird, Geld annimmt, sei es nach still­<br />

schweigen<strong>de</strong>r o<strong>de</strong>r ausdrücklicher Abmachung, gegen die<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> sündigt (Art. 1), so begeht die gleiche Sün<strong>de</strong>, wer<br />

nach stillschweigen<strong>de</strong>ro<strong>de</strong>rausdrücklicherÜbereinkunft irgend­<br />

etwas an<strong>de</strong>res annimmt, <strong>de</strong>ssen Wert mit Geld gemessen wer­<br />

<strong>de</strong>n kann. Nimmt er etwas <strong>de</strong>rgleichen jedoch we<strong>de</strong>r als For<strong>de</strong>­<br />

rung noch als stillschweigen<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r ausdrückliche Verpflich­<br />

tung, son<strong>de</strong>rn als freiwilliges Geschenk an, so sündigt er nicht,<br />

<strong>de</strong>nn bereits vor <strong>de</strong>r Gewährung <strong>de</strong>s Darlehens konnte er<br />

216


erlaubterweise ein Geschenk umsonst annehmen, <strong>und</strong> er 78.2<br />

kommt wegen seiner Darlehensvergabe nicht in eine schlech­<br />

tere Lage. - Eine Gegenleistung jedoch, die man mit Geld nicht<br />

messen kann, darf man für ein Darlehen verlangen, z.B. Wohl­<br />

wollen o<strong>de</strong>r Zuneigung <strong>de</strong>s Darlehensnehmers o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>rglei­<br />

chen.<br />

Zu 1. Der Darlehensgeber kann mit <strong>de</strong>m Darlehensnehmer<br />

ohne Sün<strong>de</strong> eine Entschädigung für <strong>de</strong>n Nachteil vereinbaren,<br />

<strong>de</strong>n er durch die Weggabe <strong>de</strong>ssen, was sein ist, erlei<strong>de</strong>t. Dies<br />

heißt nämlich nicht, <strong>de</strong>n Gebrauch <strong>de</strong>s Gel<strong>de</strong>s verkaufen, son­<br />

<strong>de</strong>rn Scha<strong>de</strong>n von sich fernhalten. Dabei ist es möglich, daß <strong>de</strong>r<br />

Darlehensnehmer einen größeren Scha<strong>de</strong>n vermei<strong>de</strong>t als <strong>de</strong>r<br />

Geber riskiert. Der Darlehensnehmer gleicht also mit seiner<br />

Gefälligkeit <strong>de</strong>n Verlust <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>ren aus. - Der Ersatz <strong>de</strong>s Scha­<br />

<strong>de</strong>ns jedoch, <strong>de</strong>r darin besteht, daß dieser mit seinem Geld kei­<br />

nen Gewinn macht, kann nicht vertraglich abgesichert wer<strong>de</strong>n,<br />

<strong>de</strong>nn er darf nicht verkaufen, was er noch nicht hat <strong>und</strong> <strong>de</strong>ssen<br />

Erwerb sich vielfache Hin<strong>de</strong>rnisse in <strong>de</strong>n Weg stellen können.<br />

Zu 2. Der Ausgleich für eine empfangene Wohltat kann auf<br />

zweifache Weise geschehen. Einmal unter <strong>de</strong>m Gesichtspunkt<br />

rechtlicher Verpflichtung, an die jemand aufgr<strong>und</strong> eines ge­<br />

nauen Vertrags geb<strong>und</strong>en sein kann, <strong>und</strong> diese Verpflichtung<br />

richtet sich nach <strong>de</strong>r Größe <strong>de</strong>r empfangenen Wohltat. Daher<br />

braucht <strong>de</strong>r Empfänger eines Gelddarlehens o<strong>de</strong>r von etwas<br />

an<strong>de</strong>rem <strong>de</strong>rgleichen, <strong>de</strong>ssen Gebrauch im Verbrauch besteht,<br />

nicht mehr zu erstatten, als er im Darlehen erhalten hat. Es ver­<br />

stößt also gegen die <strong>Gerechtigkeit</strong>, ihn zu einer größeren<br />

Gegenleistung zu verpflichten. - In an<strong>de</strong>rer Weise ist einer zum<br />

Entgelt einer Wohltat aus fre<strong>und</strong>schaftlicher Verb<strong>und</strong>enheit<br />

verpflichtet. Hierbei ist mehr die Zuneigung zu beachten, aus<br />

<strong>de</strong>r die Wohltat entsprungen ist, als die Größe <strong>de</strong>r erwiesenen<br />

Gefälligkeit selbst. Eine Schuld von dieser Art liegt nicht auf <strong>de</strong>r<br />

Ebene bürgerlicher Verpflichtung, <strong>de</strong>nn diese übt einen gewis­<br />

sen Zwang aus, so daß sich eine spontane Bezeugung <strong>de</strong>r Dank­<br />

barkeit nicht mehr entfalten kann.<br />

Zu 3. Wenn jemand für sein dargeliehenes Geld gleichsam<br />

als stillschweigen<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r ausdrückliche Vertragspflicht eine<br />

Entschädigung in Form von körperlicher o<strong>de</strong>r geistiger Lei­<br />

stung erwartet o<strong>de</strong>r verlangt, so ist dies soviel, als erwarte o<strong>de</strong>r<br />

verlange er ein „Handgeld", <strong>de</strong>nn bei<strong>de</strong>s läßt sich mit Geld<br />

bemessen, wie dies <strong>de</strong>utlich bei <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r Fall ist, die ihre mit<br />

217


78. 2 Körperkraft o<strong>de</strong>r mit geistigen Mitteln ausgeübte Arbeit ver­<br />

dingen. Bietet <strong>de</strong>r Darlehensnehmer seine körperlichen Dienste<br />

o<strong>de</strong>r seine geistigen Fähigkeiten nicht als Verpflichtung an, son­<br />

<strong>de</strong>rn aus Fre<strong>und</strong>lichkeit, die man mit Geld nicht bemessen<br />

kann, so darf man sie annehmen, for<strong>de</strong>rn <strong>und</strong> erwarten [70].<br />

Zu 4. Geld kann nicht um mehr Geld verkauft wer<strong>de</strong>n als<br />

um die Summe <strong>de</strong>s Darlehens, das man zurückzahlen muß.<br />

Auch ist dabei nichts zu for<strong>de</strong>rn o<strong>de</strong>r zu erwarten als Wohlwol­<br />

len, das sich nicht mit Geld berechnen läßt, jedoch Ursache für<br />

ein frei angebotenes Darlehen sein kann. Dies zieht aber keines­<br />

wegs die Verpflichtung für ein Darlehen in <strong>de</strong>r Zukunft nach<br />

sich, <strong>de</strong>nn auch eine solche Verpflichtung könnte mit Geld<br />

bemessen wer<strong>de</strong>n. Und so ist es zwar <strong>de</strong>m Darlehensgeber<br />

erlaubt, zugleich von seinem Darlehensnehmer ein Darlehen<br />

aufzunehmen, er darf diesen aber nicht verpflichten, ihm auch<br />

in Zukunft ein Darlehen zu gewähren.<br />

Zu 5. Wer ein Gelddarlehen gibt, überträgt das Besitzrecht<br />

<strong>de</strong>s Gel<strong>de</strong>s auf <strong>de</strong>n, <strong>de</strong>m er es leiht. Daher liegt es nun beim<br />

Empfänger auf seine Gefahr, <strong>und</strong> dieser ist verpflichtet, es voll­<br />

ständig zurückzubezahlen. Aus diesem Gr<strong>und</strong> darf <strong>de</strong>r Darle­<br />

hensgeber nichts darüber hinaus verlangen. Doch wer sein Geld<br />

einem Kaufmann o<strong>de</strong>r Handwerker etwa wie einem Gesell­<br />

schafter zur Verfügung stellt, überträgt diesem sein Eigentums­<br />

recht nicht, son<strong>de</strong>rn behält es, so daß <strong>de</strong>r Kaufmann auf <strong>de</strong>s<br />

Geldgebers Gefahr Han<strong>de</strong>l treibt o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Handwerker damit<br />

arbeitet. Und <strong>de</strong>shalb darf er auch einen Teil <strong>de</strong>s Gewinns, <strong>de</strong>r<br />

dabei herauskommt, als etwas, das ihm gehört, für sich bean­<br />

spruchen [71].<br />

Zu 6. Wenn jemand für sein Gelddarlehen etwas verpfän<strong>de</strong>t,<br />

<strong>de</strong>ssen Gebrauch sich mit Geld bemessen läßt, muß <strong>de</strong>r Darle­<br />

hensgeber <strong>de</strong>n Gebrauch dieser Sache bei <strong>de</strong>r Rückzahlung <strong>de</strong>s<br />

Darlehens miteinberechnen. Wollte er nämlich <strong>de</strong>n Gebrauch<br />

jener Sache gleichsam als Gratiszulage behalten, so wäre dies<br />

soviel, als nähme er Geld für das Darlehen, also Zins, an. Frei­<br />

lich mag es hingehen, wenn es sich um eine Sache han<strong>de</strong>lt, mit<br />

<strong>de</strong>ren Gebrauch man unter Fre<strong>und</strong>en ohne Entgelt einverstan­<br />

<strong>de</strong>n ist, wie etwa bei <strong>de</strong>r Ausleihe eines Buches [72].<br />

Zu 7. Wer seine Waren über <strong>de</strong>n gerechten Preis verkaufen<br />

wollte, um <strong>de</strong>m Käufer einen Zahlungsaufschub einzuräumen,<br />

versündigt sich ohne Zweifel durch Wucher, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Zahlungs­<br />

aufschub be<strong>de</strong>utet soviel wie ein Darlehen. Was immer also<br />

218


über die gerechte Vergütung für einen solchen Aufschub ver- 78. 3<br />

langt wird, hat die Be<strong>de</strong>utung von Wucherzins. - Das gleiche<br />

gilt, wenn ein Käufer etwas um einen geringeren als <strong>de</strong>n gerech­<br />

ten Preis einkaufen wollte mit <strong>de</strong>r Begründung, daß er bereits<br />

vor <strong>de</strong>r Übergabe <strong>de</strong>r Ware bezahlt habe: auch dies wäre Sün<strong>de</strong><br />

<strong>de</strong>s Wuchers, weil diese Vorauszahlung ebenfalls <strong>de</strong>n Charakter<br />

eines Darlehens aufweist, <strong>de</strong>ssen Preis in <strong>de</strong>r vom or<strong>de</strong>ntlichen<br />

Zahlungsbetrag abgezogenen Summe besteht. - Wer jedoch <strong>de</strong>n<br />

gerechten Preis herabsetzt, um schneller an sein Geld zu kom­<br />

men, verfehlt sich nicht durch die Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Wuchers.<br />

3. ARTIKEL<br />

Muß man <strong>de</strong>n Gewinn aus Wucherzinsen zurückerstatten?<br />

1. Der Apostel schreibt Rom 11,16: „Ist die Wurzel heilig,<br />

dann sind es auch die Zweige." Also gilt gleicherweise: Ist die<br />

Wurzel vergiftet, dann sind es auch die Zweige. Nun war die<br />

Wurzel wucherisch, also ist alles, was aus ihr gezogen wird,<br />

wucherisch, <strong>und</strong> folglich muß man dies restituieren.<br />

2. Im Buch Extra „Über <strong>de</strong>n Wucher" steht in jener Dekre­<br />

tale „Da du, wie du sagst" (Frdbll, 812): „Besitz, <strong>de</strong>r mit<br />

Wucherzinsen gekauft wur<strong>de</strong>, muß veräußert wer<strong>de</strong>n, <strong>und</strong> <strong>de</strong>r<br />

Erlös ist <strong>de</strong>nen zurückzugeben, von <strong>de</strong>nen die Zinsen erpreßt<br />

wur<strong>de</strong>n." Also muß aus gleichem Gr<strong>und</strong> alles restituiert wer­<br />

<strong>de</strong>n, was sonstwie aus Wucherzinsen erworben wur<strong>de</strong>.<br />

3. Was jemand mit Wucherzinsen kauft, gehört ihm auf­<br />

gr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r Geldausgabe, die er dafür geleistet hat. Er besitzt also<br />

kein größeres <strong>Recht</strong> auf die Sache als auf das Geld, daß er dafür<br />

aufwandte. Doch dieses Wuchergeld muß er zurückerstatten,<br />

also auch das, was er dafür gekauft hat.<br />

DAGEGEN steht: Je<strong>de</strong>r darf erlaubterweise behalten, was er<br />

rechtmäßig erworben hat. Doch was mit Wuchergeld erworben<br />

wird, ist bisweilen zu <strong>Recht</strong> erworben. Also kann man es<br />

erlaubterweise behalten.<br />

ANTWORT. Wie oben betont, besteht <strong>de</strong>r Gebrauch gewis­<br />

ser Dinge in ihrem Verbrauch, <strong>und</strong> sie lassen daher nach <strong>de</strong>r<br />

<strong>Recht</strong>ssammlung (Inst.,KR1,13b) keinen Nießbrauch zu.<br />

Wenn nun solche Dinge, wie z. B. Geld, Weizen, Wein <strong>und</strong><br />

an<strong>de</strong>res <strong>de</strong>rgleichen, als Zinsen erpreßt wur<strong>de</strong>n, muß man nur<br />

zurückgeben, was man erhalten hat, <strong>de</strong>nn das Weitere, was<br />

219


78. 4 damit erstan<strong>de</strong>n wur<strong>de</strong>, ist nicht Frucht jener Dinge, son<strong>de</strong>rn<br />

<strong>de</strong>r menschlichen Geschäftstüchtigkeit, es sei <strong>de</strong>nn, <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re<br />

erlei<strong>de</strong> durch ihre Zurückhaltung Scha<strong>de</strong>n wegen teilweisen<br />

Verlusts seiner Güter. Dann muß für <strong>de</strong>n Scha<strong>de</strong>n Ersatz gelei­<br />

stet wer<strong>de</strong>n.<br />

Es gibt jedoch Dinge, <strong>de</strong>ren Gebrauch nicht in ihrem Ver­<br />

brauch besteht, <strong>und</strong> diese lassen Nießbrauch zu, wie z. B. ein<br />

Haus, ein Acker <strong>und</strong> an<strong>de</strong>res <strong>de</strong>rgleichen. Wenn nun jemand<br />

eines an<strong>de</strong>ren Haus o<strong>de</strong>r Acker als Zins erpreßt hätte, wäre er<br />

nicht nur gehalten, das Haus o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Acker zurückzugeben,<br />

son<strong>de</strong>rn auch die Früchte von Dingen, <strong>de</strong>ren Herr <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re<br />

ist, <strong>und</strong> die folglich diesem gehören [73].<br />

Zul. Die Wurzel ist nicht nur „Materie" nach Art <strong>de</strong>s<br />

Wucherzinses, son<strong>de</strong>rn hat in etwa auch die Funktion einer<br />

Wirkursache, insofern sie <strong>de</strong>r Ernährung (<strong>de</strong>s Baumes) dient.<br />

Daher ist es nicht das gleiche.<br />

Zu 2. Besitz, <strong>de</strong>r aus Wucherzins erworben wur<strong>de</strong>, gehört<br />

nicht <strong>de</strong>nen, von <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r Wucherzins stammt, son<strong>de</strong>rn<br />

<strong>de</strong>nen, die ihn gekauft haben. Er bleibt jedoch <strong>de</strong>n Zinsgebern<br />

verpfän<strong>de</strong>t gleich wie auch alle an<strong>de</strong>ren Güter <strong>de</strong>s Wucherers.<br />

Deshalb besteht keine Vorschrift, jenen Besitz auf die Zinsgeber<br />

zu übertragen, <strong>de</strong>nn vielleicht ist er mehr Wert als die Zinsen,<br />

die sie bezahlt haben. Doch wird vorgeschrieben, <strong>de</strong>n Besitz<br />

zu verkaufen <strong>und</strong> <strong>de</strong>n Erlös davon entsprechend <strong>de</strong>r Höhe<br />

<strong>de</strong>s eingenommenen Wucherzinses zurückzuerstatten.<br />

Zu 3. Was jemand mit Wucherzins erwirbt, gehört <strong>de</strong>m Käu­<br />

fer, zwar nicht wegen <strong>de</strong>s dafür ausgegebenen Wuchergel<strong>de</strong>s<br />

gleichsam als <strong>de</strong>r Instrumentalursache, son<strong>de</strong>rn wegen seiner<br />

Geschäftstüchtigkeit als Hauptursache. Daher besitzt er mehr<br />

<strong>Recht</strong> an <strong>de</strong>r mit Wucherzins bezahlten Sache als am Wucher­<br />

geld selbst.<br />

4. ARTIKEL<br />

Ist es erlaubt, gegen Zins ein Darlehen aufzunehmen?<br />

1. Der Apostel schreibt Rom 1,32: „Des To<strong>de</strong>s würdig sind<br />

nicht nur, die Sün<strong>de</strong> tun, son<strong>de</strong>rn auch, die <strong>de</strong>nen bereitwillig<br />

zustimmen, die sie tun." Doch wer ein Darlehen gegen Zinsen<br />

aufnimmt, stimmt <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Wucherers zu <strong>und</strong> veranlaßt<br />

ihn zu sündigen. Also sündigt auch er.<br />

220


2. Man darf einem an<strong>de</strong>ren um keines zeitlichen Vorteils 78. 4<br />

willen Gelegenheit zur Sün<strong>de</strong> geben, dies be<strong>de</strong>utet nämlich<br />

aktives Ärgernisgeben [74], was, wie oben [11-1143,2)<br />

bemerkt, immer Sün<strong>de</strong> ist. Nun gibt, wer ein Darlehen vom<br />

Wucherer verlangt, ausdrücklich Gelegenheit zur Sün<strong>de</strong>. Also<br />

ist er durch keinen zeitlichen Vorteil entschuldigt.<br />

3. Die Notwendigkeit, sein Geld bisweilen beim Wucherer<br />

zu hinterlegen, ist wohl nicht geringer, als bei ihm ein Darlehen<br />

aufzunehmen. Doch sein Geld <strong>de</strong>m Wucherer anzuvertrauen<br />

scheint ebenso gänzlich unerlaubt zu sein wie ein Schwert bei<br />

einem Wahnsinnigen aufzubewahren o<strong>de</strong>r eine Jungfrau einem<br />

Wüstling zu überlassen o<strong>de</strong>r Nahrungsmittel einem Schlem­<br />

mer. Also ist es auch nicht erlaubt, ein Darlehen beim Wucherer<br />

aufzunehmen.<br />

DAGEGEN verfehlt sich, nach Aristoteles (Eth.V, 15;<br />

1138 a 34) nicht, wer Unrecht erlei<strong>de</strong>t. Daher steht die Gerech­<br />

tigkeit auch nicht in <strong>de</strong>r Mitte zwischen zwei Lastern, wie es<br />

dort (c.9; 1138b32) heißt. Doch <strong>de</strong>r Wucherer sündigt, inso­<br />

fern er <strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r gegen Zins ein Darlehen aufnimmt, Unrecht<br />

tut. Also sündigt, wer ein Darlehen gegen Zins aufnimmt, nicht.<br />

ANTWORT. Einen Menschen zum Sündigen verleiten ist in<br />

keiner Weise erlaubt. Die Sün<strong>de</strong> eines an<strong>de</strong>ren zum Guten<br />

gebrauchen ist hingegen erlaubt. Auch Gott gebraucht alle Sün­<br />

<strong>de</strong>n zu etwas Gutem, aus je<strong>de</strong>m Bösen lockt er etwas Gutes<br />

hervor, wie es im Enchiridion heißt (Augustinus: Enchiridion <strong>de</strong><br />

fi<strong>de</strong>, spe et caritate, c. 11; ML 40,236). Daher antwortet<br />

Augustinus <strong>de</strong>m Publicola (Ep. 47; ML 33,184) auf die Frage, ob<br />

es erlaubt sei, sich <strong>de</strong>n Eid <strong>de</strong>ssen zun<strong>utz</strong>e zu machen, <strong>de</strong>r bei<br />

falschen Göttern schwört, (wobei er offenk<strong>und</strong>ig sündigt,<br />

in<strong>de</strong>m er ihnen göttliche Ehrung erweist): „Wer sich die Über­<br />

zeugung <strong>de</strong>ssen, <strong>de</strong>r bei falschen Göttern schwört, zun<strong>utz</strong>e<br />

macht, nicht zum Bösen, son<strong>de</strong>rn zum Guten, verstrickt sich<br />

nicht in seine Sün<strong>de</strong>, durch die er bei <strong>de</strong>n bösen Geistern<br />

geschworen hat, son<strong>de</strong>rn verbin<strong>de</strong>t sich nur mit <strong>de</strong>r guten Seite<br />

seiner Ei<strong>de</strong>sformel, durch die jener sich verpflichtet hat, die<br />

Treue zu wahren." Wür<strong>de</strong> er ihn aber dazu verleiten, bei fal­<br />

schen Göttern zu schwören, dann beginge er eine Sün<strong>de</strong>.<br />

So ist auch im vorliegen<strong>de</strong>n Fall zu sagen, daß es unter kei­<br />

nen Umstän<strong>de</strong>n erlaubt ist, jeman<strong>de</strong>n zu veranlassen, Darlehen<br />

gegen Zins zu geben. Man darf jedoch bei einem, <strong>de</strong>r dazu<br />

bereit ist <strong>und</strong> Zinsen nimmt, um eines Gutes willen, d. h. um<br />

221


78. 4 sich selbst o<strong>de</strong>r einen an<strong>de</strong>ren aus einer Notlage zu befreien,<br />

ein Darlehen gegen Zins aufnehmen. So darf ja auch einer, um<br />

<strong>de</strong>m Tod zu entgehen, die Räuber, unter die er gefallen ist, auf<br />

seine mitgeführten Sachen hinweisen, obwohl die Banditen<br />

durch <strong>de</strong>ren Raub eine Sün<strong>de</strong> begehen. Dies entspricht genau<br />

<strong>de</strong>m Beispiel <strong>de</strong>r zehn Männer, die zu Ismael sagten: „Töte uns<br />

nicht, <strong>de</strong>nn wir haben einen versteckten Schatz im Acker"<br />

(Jer41,8).<br />

Zu 1. Wer ein Darlehen gegen Zins aufnimmt, stimmt <strong>de</strong>r<br />

Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Wucherers nicht zu, son<strong>de</strong>rn macht sie sich nur<br />

zun<strong>utz</strong>e. Auch fin<strong>de</strong>t er keinen Gefallen am Einheimsen <strong>de</strong>s<br />

Zinses, son<strong>de</strong>rn am Darlehen, <strong>und</strong> das ist eine gute Sache.<br />

Zu 2. Wer ein Darlehen gegen Zins entgegennimmt, ver­<br />

anlaßt <strong>de</strong>n Wucherer nicht, Zinsen zu verlangen, son<strong>de</strong>rn nur,<br />

ein Darlehen auszuhändigen. Für <strong>de</strong>n Wucherer hingegen ist<br />

dies eine Gelegenheit, aus Bosheit zu sündigen. Daher liegt die<br />

Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Ärgernisses auf seiner Seite, <strong>de</strong>r Darlehensnehmer<br />

jedoch hat damit ursächlich nichts zu tun. Er braucht sich<br />

wegen eines solchen Ärgernisses von einem dringlichen Darle­<br />

hensgesuch auch nicht abhalten zu lassen, <strong>de</strong>nn jenes Ärgernis<br />

kommt nicht aus Schwäche o<strong>de</strong>r Unwissenheit, son<strong>de</strong>rn aus<br />

Bosheit.<br />

Zu 3. Wenn einer sein Geld <strong>de</strong>m Wucherer brächte, <strong>de</strong>r sonst<br />

nichts hätte, womit er sich Zinsen verschaffen könnte, o<strong>de</strong>r es<br />

ihm mit <strong>de</strong>r Absicht übergäbe, damit größeren Zinsgewinn<br />

zu erzielen, dann böte er ihm das „Material" zur Sün<strong>de</strong>. Daher<br />

wür<strong>de</strong> er auch sich selbst in die Schuld verstricken. Ubergäbe<br />

aber jemand einem Wucherer, <strong>de</strong>r sonst genug hat, um damit<br />

sein Wuchergeschäft zu betreiben, sein Geld, damit es bei ihm<br />

sicherer aufgehoben ist, so sündigt er nicht, son<strong>de</strong>rn gebraucht<br />

<strong>de</strong>n Sün<strong>de</strong>r nur für einen guten Zweck.<br />

222


79. FRAGE<br />

DIE DER VERVOLLSTÄNDIGUNG<br />

DIENENDEN TEILTUGENDEN<br />

DER GERECHTIGKEIT.<br />

Schließlich sind noch die Teiltugen<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> zu<br />

behan<strong>de</strong>ln, die ihrer Vervollständigung dienen, nämlich: das<br />

Gute tun <strong>und</strong> das Böse mei<strong>de</strong>n, sowie die entgegenstehen<strong>de</strong>n<br />

Laster.<br />

Dabei ergeben sich vier Fragen:<br />

1. Sind die bei<strong>de</strong>n vorgenannten Tugen<strong>de</strong>n Teile <strong>de</strong>r Gerech­<br />

tigkeit?<br />

2. Ist die Übertretung eine Sün<strong>de</strong> beson<strong>de</strong>rer Art?<br />

3. Ist die Unterlassung eine Sün<strong>de</strong> beson<strong>de</strong>rer Art?<br />

4. Vergleich zwischen Unterlassung <strong>und</strong> Übertretung.<br />

1. ARTIKEL<br />

Sind Das-Gute-tun <strong>und</strong> Das-Böse-mei<strong>de</strong>n Teile <strong>de</strong>r<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>?<br />

1. „Das Gute tun" <strong>und</strong> „das Böse mei<strong>de</strong>n" gehören zu je<strong>de</strong>r<br />

Tugend. Die Teile aber gehen nicht über das Ganze hinaus. Also<br />

dürfen „Das Böse mei<strong>de</strong>n" <strong>und</strong> „Das Gute tun" nicht als Teile<br />

<strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>, die eine Tugend beson<strong>de</strong>rer Art ist, ange­<br />

sehen wer<strong>de</strong>n.<br />

2. Zum Psalmwort 33,15 „Mei<strong>de</strong> das Böse <strong>und</strong> tue das<br />

Gute" sagt die Glosse (ML191,343): „Jenes vermei<strong>de</strong>t die<br />

Schuld", nämlich das Mei<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Bösen, „dieses verdient Leben<br />

<strong>und</strong> Siegespalme", nämlich das Tun <strong>de</strong>s Guten. Doch je<strong>de</strong>r Teil<br />

<strong>de</strong>r Tugend verdient Leben <strong>und</strong> Siegespalme. Also ist „das Böse<br />

mei<strong>de</strong>n" nicht Teil <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>.<br />

3. Wenn die eine Sache in <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren enthalten ist, unter­<br />

schei<strong>de</strong>n sie sich nicht voneinan<strong>de</strong>r wie Teile eines Ganzen.<br />

„Das Böse mei<strong>de</strong>n" aber ist im „das Gute tun" enthalten, <strong>de</strong>nn<br />

niemand tut zugleich Böses <strong>und</strong> Gutes. Also sind „Böses mei­<br />

<strong>de</strong>n" <strong>und</strong> „Gutes tun" nicht Teile <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>.<br />

223


79. l DAGEGEN hält Augustinus im Buch De correptione et gratia<br />

(c. 1; ML 44,917) dafür, daß zur Gesetzesgerechtigkeit „Böses<br />

mei<strong>de</strong>n <strong>und</strong> Gutes tun" gehören.<br />

ANTWORT. Wenn wir vom Guten <strong>und</strong> Bösen im allgemei­<br />

nen sprechen dann gehören „Gutes tun" <strong>und</strong> „Böses mei<strong>de</strong>n"<br />

zu je<strong>de</strong>r Tugend. Und so gesehen können sie nicht Teile <strong>de</strong>r<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> sein, es sei <strong>de</strong>nn, man nehme <strong>Gerechtigkeit</strong> im<br />

Sinn von „je<strong>de</strong> Tugend" („je<strong>de</strong> Tugend ist <strong>Gerechtigkeit</strong>").<br />

Gleichwohl stellt sich das Gute auch in einer so verstan<strong>de</strong>nen<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> von einer beson<strong>de</strong>ren Seite dar, nämlich in seiner<br />

Hinordnung auf das göttliche o<strong>de</strong>r das menschliche Gesetz.<br />

Doch als beson<strong>de</strong>re Tugend erfaßt die <strong>Gerechtigkeit</strong> das<br />

Gute unter <strong>de</strong>m Gesichtspunkt <strong>de</strong>s Geschul<strong>de</strong>tseins gegenüber<br />

<strong>de</strong>m Nächsten. Und so gehört es zur Einzelgerechtigkeit, das<br />

Gute als Geschul<strong>de</strong>tes gegenüber <strong>de</strong>m Nächsten zu tun <strong>und</strong> das<br />

entgegengesetzte Böse zu unterlassen, nämlich das, was <strong>de</strong>m<br />

Nächsten scha<strong>de</strong>t. Zur allgemeinen <strong>Gerechtigkeit</strong> jedoch<br />

gehört es, das geschul<strong>de</strong>te Gute in Hinordnung auf das<br />

Gemeinwesen o<strong>de</strong>r auf Gott zu tun <strong>und</strong> das entgegengesetzte<br />

Böse zu mei<strong>de</strong>n.<br />

Nun wer<strong>de</strong>n diese bei<strong>de</strong>n Teile <strong>de</strong>r allgemeinen o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Son­<br />

<strong>de</strong>rgerechtigkeit als „gleichsam vervollständigen<strong>de</strong> Teile"<br />

bezeichnet, weil sie für die Vollkommenheit <strong>de</strong>s gerechten<br />

Aktes unerläßlich sind. <strong>Gerechtigkeit</strong> muß bekanntlich <strong>de</strong>n<br />

Ausgleich in <strong>de</strong>n sachlichen Beziehungen zu <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren her­<br />

stellen, wie oben (58,2) dargelegt wur<strong>de</strong>. Nun ist beim Herstel­<br />

len <strong>und</strong> beim Erhalten <strong>de</strong>s Hergestellten das gleiche Prinzip<br />

wirksam. Das Gleichmaß <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> stellt aber einer<br />

dadurch her, daß er das Gute tut, d. h. <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>ren läßt <strong>und</strong><br />

gibt, was sein ist. Er bewahrt <strong>de</strong>n Ausgleich <strong>de</strong>r bereits her­<br />

gestellten <strong>Gerechtigkeit</strong>, in<strong>de</strong>m er das Böse mei<strong>de</strong>t, d. h. seinem<br />

Nächsten keinerlei Scha<strong>de</strong>n zufügt.<br />

Zu 1. Gut <strong>und</strong> böse wer<strong>de</strong>n hier unter einem beson<strong>de</strong>ren<br />

Gesichtspunkt <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> zugeordnet. Die bei<strong>de</strong>n<br />

erscheinen nämlich wegen einer eigenen Art von gut <strong>und</strong> böse<br />

als Teile nur <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> nicht einer an<strong>de</strong>ren sittlichen<br />

Tugend, weil die an<strong>de</strong>ren sittlichen Tugen<strong>de</strong>n sich auf die Lei­<br />

<strong>de</strong>nschaften beziehen, wobei es beim Tun <strong>de</strong>s Guten um das<br />

Erreichen <strong>de</strong>r Tugendmitte geht, d. h. um das Vermei<strong>de</strong>n eines<br />

fragwürdigen Extremverhaltens. Und so kommt bei diesen<br />

an<strong>de</strong>ren Tugen<strong>de</strong>n Gutes tun <strong>und</strong> Böses lassen auf dasselbe her-<br />

224


aus. Die <strong>Gerechtigkeit</strong> hingegen hat es mit Handlungen <strong>und</strong> 79. 2<br />

äußeren Dingen zu tun, wobei es etwas an<strong>de</strong>res ist, das Gleich­<br />

maß herzustellen, <strong>und</strong> etwas an<strong>de</strong>res, das hergestellte nicht zu<br />

gefähr<strong>de</strong>n.<br />

Zu 2. Sich vom Bösen abwen<strong>de</strong>n be<strong>de</strong>utet als Teil <strong>de</strong>r<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> nicht reine Verneinung im Sinn von „Böses nicht<br />

tun", <strong>de</strong>nn dies verdiente nicht die Siegespalme (ewigen Lohn),<br />

son<strong>de</strong>rn vermie<strong>de</strong> nur Strafe; es be<strong>de</strong>utet vielmehr einen positi­<br />

ven Willensakt, <strong>de</strong>r das Böse von sich weist, wie dies ja auch im<br />

Wort „sich abwen<strong>de</strong>n" zum Ausdruck kommt. So etwas ist ver­<br />

dienstlich, vor allem, wenn jemand angefochten wird, das Böse<br />

zu tun, <strong>und</strong> <strong>de</strong>m dann wi<strong>de</strong>rsteht.<br />

Zu 3. Im Tun <strong>de</strong>s Guten liegt die Vollendung <strong>de</strong>r Gerechtig­<br />

keit, es ist gleichsam ihr hauptsächlichster Teil. Sich vom Bösen<br />

abwen<strong>de</strong>n hingegen ist <strong>de</strong>r unvollkommenere Akt <strong>und</strong> ihr zweit­<br />

rangiger Teil. Er bil<strong>de</strong>t daher sozusagen die materielle Seite,<br />

ohne die <strong>de</strong>r eigentliche <strong>und</strong> vollen<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Teil nicht sein kann.<br />

2. ARTIKEL<br />

Ist die Übertretung eine Sün<strong>de</strong> beson<strong>de</strong>rer Art?<br />

1. Die Art wird nicht in die Definition <strong>de</strong>r Gattung auf­<br />

genommen. „Übertretung" aber fin<strong>de</strong>t sich in <strong>de</strong>r allgemeinen<br />

Definition <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>. Ambrosius schreibt nämlich (De Paradiso,<br />

c.8; ML 14,292), die Sün<strong>de</strong> bestehe in <strong>de</strong>r „Übertretung <strong>de</strong>s<br />

göttlichen Gesetzes". Also bietet die Übertretung keine beson­<br />

<strong>de</strong>re Art <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>.<br />

2. Keine Art geht über ihre Gattung hinaus. Doch die Über­<br />

tretung geht über <strong>de</strong>n Bereich <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> hinaus, <strong>de</strong>nn nach<br />

Augustins Contra Faustum, BuchXXII (c.27; ML42,418) ist<br />

die Sün<strong>de</strong> „Wort o<strong>de</strong>r Tat o<strong>de</strong>r ein Begehren gegen das Gesetz<br />

Gottes". Übertretung aber gibt es auch gegen die Natur o<strong>de</strong>r die<br />

Gewohnheit. Also ist Übertretung keine beson<strong>de</strong>re Art von<br />

Sün<strong>de</strong>.<br />

3. Die Art enthält in sich nicht alle Teile, aus <strong>de</strong>r die Gattung<br />

besteht. Doch die Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Übertretung erstreckt sich auf alle<br />

Hauptsün<strong>de</strong>n <strong>und</strong> auch auf die Gedanken-, Wort- <strong>und</strong> Tatsün­<br />

<strong>de</strong>n. Also ist die Übertretung keine beson<strong>de</strong>re Art von Sün<strong>de</strong>.<br />

DAGEGEN steht, daß sie einer beson<strong>de</strong>ren Tugend wi<strong>de</strong>r­<br />

spricht, nämlich <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>.<br />

225


ANTWORT. Der Ausdruck „Übertretung" wur<strong>de</strong> von kör­<br />

perlichen Bewegungen auf sittliche Akte übertragen. Wenn nun<br />

jemand in körperlicher Bewegung „übertritt", so heißt dies, er<br />

„tritt über" die für ihn bestimmte Grenze. Auf sittlichem Gebiet<br />

sind es die negativen Gebote, die <strong>de</strong>m Menschen eine Grenze<br />

vorschreiben, die er nicht überschreiten darf. Daher spricht man<br />

im eigentlichen Sinn von Übertretung, wenn jemand gegen ein<br />

negatives Gebot han<strong>de</strong>lt.<br />

Materiell gesehen kann dies bei allen Sün<strong>de</strong>narten ebenso<br />

sein, <strong>de</strong>nn bei je<strong>de</strong>r Art von Todsün<strong>de</strong> übertritt <strong>de</strong>r Mensch ein<br />

göttliches Gebot. - Nimmt man es aber im eigentlichen Sinn,<br />

nämlich unter <strong>de</strong>m beson<strong>de</strong>ren Gesichtspunkt <strong>de</strong>s Verstoßes<br />

gegen ein negatives Gebot, so han<strong>de</strong>lt es sich in zweifacher<br />

Weise um eine beson<strong>de</strong>re Sün<strong>de</strong>. Einmal, insofern sie sich von<br />

<strong>de</strong>n Sün<strong>de</strong>narten unterschei<strong>de</strong>t, die <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Tugen<strong>de</strong>n ent­<br />

gegengesetzt sind: wie nämlich die Gesetzesgerechtigkeit ihren<br />

eigentlichen Ausdruck darin fin<strong>de</strong>t, daß sie auf die Verpflich­<br />

tung gegenüber <strong>de</strong>m Gesetz achtet, so ist die Übertretung<br />

wesentlich dadurch gekennzeichnet, daß sie auf die Verachtung<br />

<strong>de</strong>s Gesetzes hinausläuft. Sodann, insofern sie sich von <strong>de</strong>r<br />

„Unterlassung" abhebt, die <strong>de</strong>m positiven Gebot gegenüber­<br />

steht.<br />

Zu 1. Wie die Gesetzesgerechtigkeit von ihrem Subjekt<br />

(Willen) <strong>und</strong> gewissermaßen von ihrem materiellen Umfang<br />

her gesehen „allumfassen<strong>de</strong> Tugend" ist, so liegt in je<strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong><br />

ein Verstoß gegen die Gesetzesgerechtigkeit. Und so hat<br />

Ambrosius die Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>finiert, nämlich nach <strong>de</strong>m Gesichtspunkt<br />

<strong>de</strong>r Gesetzesgerechtigkeit [75].<br />

Zu 2. Die naturhafte Neigung gehört zu <strong>de</strong>n Geboten <strong>de</strong>s<br />

Naturgesetzes. Auch ehrenhafte Gewohnheit hat das Gewicht<br />

eines Gebotes, <strong>de</strong>nn, wie Augustinus in seinem Brief über das<br />

Samstagsfasten schreibt (ep.33; ML 33,136), „sind die Sitten<br />

<strong>de</strong>s Volkes Gottes als Gesetze zu betrachten". Daher kann es<br />

sowohl Sün<strong>de</strong> als auch Übertretung gegen die ehrenhafte<br />

Gewohnheit <strong>und</strong> gegen die naturhafte Neigung geben.<br />

Zu 3. Bei allen aufgezählten Sün<strong>de</strong>narten kann eine Über­<br />

tretung vorkommen, zwar nicht gemäß ihrer spezifischen<br />

Natur, son<strong>de</strong>rn unter einem beson<strong>de</strong>ren Gesichtspunkt, wie<br />

gesagt wur<strong>de</strong>. - Die Unterlassungssün<strong>de</strong> jedoch ist unbedingt<br />

von <strong>de</strong>r Übertretung zu unterschei<strong>de</strong>n.<br />

226


3. ARTIKEL<br />

Ist die Unterlassung eine Sün<strong>de</strong> beson<strong>de</strong>rer Art?<br />

1. Die Sün<strong>de</strong> ist entwe<strong>de</strong>r Erbsün<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r persönliche<br />

Sün<strong>de</strong>. Doch die Unterlassung ist nicht Erbsün<strong>de</strong>, <strong>de</strong>nn man<br />

bekommt sie nicht durch die Geburt, sie ist aber auch nicht per­<br />

sönlich getan, weil sie ohne unser Zutun entstehen kann, wie<br />

oben dargelegt wur<strong>de</strong>, als es um die Sün<strong>de</strong>n im allgemeinen<br />

ging (I-II71,5). Also ist Unterlassung keine Sün<strong>de</strong> beson<strong>de</strong>rer<br />

Art.<br />

2. Je<strong>de</strong> Sün<strong>de</strong> wird freiwillig getan. Doch die Unterlassung<br />

ist bisweilen nicht freiwillig, son<strong>de</strong>rn ergibt sich ohne willentli­<br />

ches Zutun, z. B. wenn eine nicht mehr jungfräuliche Frau,<br />

Jungfräulichkeit gelobt hat, o<strong>de</strong>r wenn jeman<strong>de</strong>m eine Sache,<br />

die er zurückgeben muß, abhan<strong>de</strong>n gekommen ist, o<strong>de</strong>r wenn<br />

ein Priester Messe lesen sollte <strong>und</strong> durch irgen<strong>de</strong>twas daran<br />

gehin<strong>de</strong>rt wird. Also ist die Unterlassung nicht immer Sün<strong>de</strong>.<br />

3. Für je<strong>de</strong> beson<strong>de</strong>re Sün<strong>de</strong> kann man <strong>de</strong>n Zeitpunkt ange­<br />

ben, wann sie beginnt. Doch dies ist bei <strong>de</strong>r Unterlassung nicht<br />

möglich, weil sie während <strong>de</strong>r ganzen Zeit, in <strong>de</strong>r das Han<strong>de</strong>ln<br />

ruht, andauert, <strong>und</strong> <strong>de</strong>nnoch sündigt man nicht ohne Unterlaß.<br />

Also ist die Unterlassung keine Sün<strong>de</strong> beson<strong>de</strong>rer Art.<br />

4. Je<strong>de</strong> beson<strong>de</strong>re Sün<strong>de</strong> ist einer beson<strong>de</strong>ren Tugend entge­<br />

gengesetzt. Doch gibt es keine beson<strong>de</strong>re Tugend, die <strong>de</strong>r Un­<br />

terlassung entgegengesetzt wäre, einmal, weil das Gut je<strong>de</strong>r<br />

Tugend Objekt von Unterlassung sein kann, <strong>und</strong> sodann, weil<br />

die <strong>Gerechtigkeit</strong>, <strong>de</strong>r sie am meisten entgegensetzt zu sein<br />

scheint, stets einen Akt verlangt, selbst um sich vom Bösen<br />

abzuwen<strong>de</strong>n (Art. 1,2). Die Unterlassung jedoch kann ohne<br />

je<strong>de</strong>n Akt geschehen. Also ist sie keine Sün<strong>de</strong>.<br />

DAGEGEN heißt es bei Jak4,17: „Wer das Gute tun kann<br />

<strong>und</strong> es nicht tut, <strong>de</strong>r sündigt."<br />

ANTWORT. Unterlassung be<strong>de</strong>utet Auslassung <strong>de</strong>s Guten,<br />

jedoch nicht irgendwelchen, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>s geschul<strong>de</strong>ten Guten.<br />

Das Gute als etwas Geschul<strong>de</strong>tes gehört jedoch im eigentlichen<br />

Sinn zur <strong>Gerechtigkeit</strong>: zur Gesetzesgerechtigkeit, falls das<br />

Geschul<strong>de</strong>te aufgr<strong>und</strong> <strong>de</strong>s göttlichen o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s menschlichen<br />

Gesetzes zu leisten ist, zur Son<strong>de</strong>rgerechtigkeit, wenn sich das<br />

Geschul<strong>de</strong>te auf eine Verpflichtung gegenüber <strong>de</strong>m Nächsten<br />

bezieht. Ebenso also wie die <strong>Gerechtigkeit</strong> eine beson<strong>de</strong>re<br />

227<br />

79. 3


79. 3 Tugend ist (vgl. 58,5), ist auch die Unterlassung eine beson<strong>de</strong>re<br />

Sün<strong>de</strong>, die sich von <strong>de</strong>n Sün<strong>de</strong>n gegen an<strong>de</strong>re Tugen<strong>de</strong>n unter­<br />

schei<strong>de</strong>t. In <strong>de</strong>rselben Weise aber wie „Das Gute tun", <strong>de</strong>m die<br />

Unterlassung gegenübersteht, ein beson<strong>de</strong>rer Teil <strong>de</strong>r Gerech­<br />

tigkeit ist - unterschie<strong>de</strong>n vom „Das Böse mei<strong>de</strong>n", <strong>de</strong>m<br />

Gegensatz zur Übertretung -, unterschei<strong>de</strong>t sich auch die Un­<br />

terlassung von <strong>de</strong>r Übertretung.<br />

Zu 1. Die Unterlassung ist nicht Erbsün<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn persön­<br />

lich begangene Sün<strong>de</strong>, nicht weil sie aus einem ihr wesentlich<br />

eigenen Akt bestün<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn weil <strong>de</strong>r NichtVollzug einer<br />

Handlung <strong>de</strong>r Gattung <strong>de</strong>s Han<strong>de</strong>lns zugerechnet wird. Dem<br />

entsprechend wird, wie oben erklärt, Nichttun als eine Art Tun<br />

genommen.<br />

Zu 2. Die Unterlassung bezieht sich, wie erklärt, nurauf das<br />

Gute, das man hätte tun müssen. Niemand aber ist zum<br />

Unmöglichen verpflichtet. Daher sündigt niemand durch Un­<br />

terlassung, <strong>de</strong>r nicht tut, was er nicht tun kann. Die Frau also,<br />

die Jungfräulichkeit gelobt hat, ohne sie noch zu besitzen, be­<br />

geht dadurch, daß sie nicht mehr Jungfrau ist, keine Unterlas­<br />

sungssün<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn nur dann, wenn sie ihre begangene Sün<strong>de</strong><br />

nicht bereut o<strong>de</strong>r wenn sie nicht durch Beobachtung <strong>de</strong>r<br />

Keuschheit nach Kräften ihr Gelüb<strong>de</strong> zu erfüllen trachtet. Auch<br />

<strong>de</strong>r Priester ist nur zur Meßfeier verpflichtet, wenn die nötigen<br />

Voraussetzungen gegeben sind; fehlen sie, dann begeht er keine<br />

Unterlassungssün<strong>de</strong>. Ebenso ist nur zur Restitution verpflich­<br />

tet, wer die Möglichkeit dazu besitzt; hat er sie nicht <strong>und</strong> kann<br />

er sie nicht haben, ist, falls er nur sein Möglichstes tut, von Un­<br />

terlassungssün<strong>de</strong> nicht die Re<strong>de</strong>. Und ähnliches gilt für an<strong>de</strong>re<br />

Fälle.<br />

Zu 3. Wie die Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Übertretung <strong>de</strong>n negativen Gebo­<br />

ten, die sich auf das „Sich vom Bösen abwen<strong>de</strong>n" beziehen, ent­<br />

gegengesetzt ist, so bil<strong>de</strong>t die Unterlassungssün<strong>de</strong> <strong>de</strong>n Gegen­<br />

satz zu <strong>de</strong>n positiven Geboten, die „Das Gute tun" vorschrei­<br />

ben. Die positiven Gebote verpflichten jedoch nicht ununter­<br />

brochen, son<strong>de</strong>rn nur, wenn es darauf ankommt. Han<strong>de</strong>lt man<br />

dann nicht, beginnt die Unterlassungssün<strong>de</strong>.<br />

Es kann jedoch vorkommen, daß sich einer dann nicht<br />

imstan<strong>de</strong> sieht, zu tun, was er soll. Trägt er daran keine Schuld,<br />

dann ist, wie gesagt, von Unterlassungssün<strong>de</strong> keine Re<strong>de</strong>. -<br />

Beruht die Unterlassung jedoch auf vorausgehen<strong>de</strong>r Schuld,<br />

z. B. wenn sich einer am Abend betrunken hat <strong>und</strong> sich <strong>de</strong>shalb<br />

228


zu <strong>de</strong>n pflichtgemäßen Metten nicht erheben kann, dann fängt 79. 4<br />

nach einigen die Unterlassungssün<strong>de</strong> in <strong>de</strong>m Augenblick an, wo<br />

er <strong>de</strong>n unerlaubten <strong>und</strong> mit seiner Pflicht nicht zu vereinbaren­<br />

<strong>de</strong>n Akt begeht. Doch dies scheint nicht richtig zu sein. Denn<br />

angenommen, er wür<strong>de</strong> mit Gewalt aus <strong>de</strong>m Schlaf gerissen<br />

<strong>und</strong> ginge zu <strong>de</strong>n Metten, dann wür<strong>de</strong> er keine Unterlassungs­<br />

sün<strong>de</strong> begehen. Somit ist es klar, daß <strong>de</strong>r vorausgehen<strong>de</strong> Trun­<br />

kenheitszustand nicht die Unterlassungssün<strong>de</strong> selbst, son<strong>de</strong>rn<br />

<strong>de</strong>ren Ursache war. - Man muß daher sagen: die Unterlassung<br />

wird ihm erst dann als Schuld angerechnet, wenn die Zeit zum<br />

Han<strong>de</strong>ln gekommen ist, allerdings wegen <strong>de</strong>r vorausgehen<strong>de</strong>n<br />

Ursache, wodurch die nachfolgen<strong>de</strong> Unterlassung zur freiwilli­<br />

gen wird.<br />

Zu 4. Die Unterlassung ist, wie gesagt, direkt <strong>de</strong>r Gerechtig­<br />

keit entgegengesetzt, <strong>de</strong>nn es gibt Unterlassung <strong>de</strong>s Guten<br />

irgen<strong>de</strong>iner Tugend nur, wenn dieses Gut <strong>de</strong>n Charakter <strong>de</strong>s<br />

Geschul<strong>de</strong>ten trägt, <strong>und</strong> dadurch fällt es unter die Gerechtig­<br />

keit. Mehr aber verlangt <strong>de</strong>r verdienstliche Tugendakt als das<br />

Mißverdienst <strong>de</strong>r Schuld, <strong>de</strong>nn „das Gute kommt nur zustan<strong>de</strong><br />

durch Erfüllung sämtlicher Bedingungen, das Schlechte ergibt<br />

sich aus jeglichem Versagen" (Dionysius Areopagita: De div.<br />

nom.; MG 3,729).<br />

4. ARTIKEL<br />

Ist die Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Unterlassung schwerer als die Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r<br />

Übertretung?<br />

1. Verfehlung ist das gleiche wie „Fehlen", <strong>und</strong> folglich das­<br />

selbe wie Unterlassung. Doch eine Verfehlung ist schwerer als<br />

eine sündhafte Übertretung, weil sie nach Lv 5,15 größerer<br />

Sühne bedurfte. Also ist die Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Unterlassung schwerer<br />

als die Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Übertretung.<br />

2. Dem größeren Gut steht das größere Übel gegenüber, wie<br />

Aristoteles im V.Buch seiner Ethik (c. 12; 1160b9) erklärt.<br />

Doch „Das Gute tun", <strong>de</strong>m die Unterlassung entgegensteht, ist<br />

ein vornehmerer Teil <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> als „Das Böse mei<strong>de</strong>n",<br />

<strong>de</strong>m als Gegensatz die Übertretung entspricht (Art. 1,3). Also<br />

ist die Unterlassung eine schwerere Sün<strong>de</strong> als die Übertretung.<br />

3. Die Tatsün<strong>de</strong> kann leicht <strong>und</strong> schwer sein. Doch die Un­<br />

terlassungssün<strong>de</strong> scheint immer schwer zu sein, <strong>de</strong>nn sie wi<strong>de</strong>r-<br />

229


79. 4 setzt sich einem positiven Gebot. Also ist die Unterlassung<br />

wohl eine schwerere Sün<strong>de</strong> als die Übertretung.<br />

4. Die ewige Verdammnis, d. h. <strong>de</strong>r Ausschluß von Gottes<br />

Anschauung, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Unterlassungssün<strong>de</strong>r droht, ist eine grö­<br />

ßere Strafe als die Qual <strong>de</strong>r Sinne, die <strong>de</strong>m Übertretungssün<strong>de</strong>r<br />

bevorsteht, wie Cbrysostomus in seinem Matthäuskommentar<br />

(Horn. 23; MG57,317) schreibt. Doch die Strafe entspricht <strong>de</strong>r<br />

Schuld. Also ist die Unterlassung schwerer sündhaft als die<br />

Übertretung.<br />

DAGEGEN steht: es ist leichter, das Böse zu lassen als das<br />

Gute zu tun. Also sündigt schwerer, wer das Böse nicht läßt,<br />

also durch Übertretung sündigt, als wer das Gute nicht tut,<br />

was sündhafte Unterlassung be<strong>de</strong>utet.<br />

ANTWORT. Die Schwere <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> wächst mit ihrem<br />

Abstand von <strong>de</strong>r Tugend. „Gegensätzlichkeit" ist jedoch „<strong>de</strong>r<br />

größte Abstand", wie es (bei Aristoteles) im X. Buch <strong>de</strong>r Meta­<br />

physik (c.4; 1055a9) heißt. Daher steht das Entgegengesetzte<br />

von seinem Entgegengesetzten weiter ab als seine bloße Vernei­<br />

nung, wie etwa schwarz weiter absteht von weiß als das bloße<br />

nicht-weiss. Alles Schwarze ist nämlich nicht weiß, aber nicht<br />

umgekehrt. Ganz ein<strong>de</strong>utig ist nun die Übertretung <strong>de</strong>m Akt<br />

<strong>de</strong>r Tugend entgegengesetzt, die Unterlassung hingegen besagt<br />

nur seine Verneinung. Wer z. B. <strong>de</strong>n Eltern die geschul<strong>de</strong>te Ehr­<br />

erbietung nicht erweist, begeht eine Unterlassungssün<strong>de</strong>, eine<br />

Übertretungssün<strong>de</strong> aber, wenn er sie schmäht o<strong>de</strong>r sonstwie<br />

beleidigt. Schlechthin <strong>und</strong> absolut gesagt ist die Übertretung<br />

ohne Zweifel eine schwerere Sün<strong>de</strong> als die Unterlassung, wenn­<br />

gleich gegebenenfalls eine Unterlassung schwerer wiegen kann<br />

als eine Übertretung.<br />

Zu 1. Das Wort „Verfehlung" be<strong>de</strong>utet in seinem allgemei­<br />

nen Sinn Unterlassung irgendwelcher Art. Bisweilen aber wird<br />

es streng genommen für die Unterlassung unserer Pflichten<br />

gegen Gott, z. B. wenn <strong>de</strong>r Mensch wissentlich <strong>und</strong> mit einer<br />

gewissen Verachtung das unterläßt, was er tun sollte. So erhält<br />

die Verfehlung eine beson<strong>de</strong>re Schwere <strong>und</strong> bedarf daher grö­<br />

ßerer Sühne.<br />

Zu 2. Dem Tun <strong>de</strong>s Guten ist sowohl das Nichttun <strong>de</strong>s<br />

Guten, d. h. das Unterlassen, als auch das Bösestun, d. h. die<br />

Übertretung, entgegengesetzt, doch das erstere kontradikto­<br />

risch, das zweite konträr, <strong>und</strong> dies be<strong>de</strong>utet einen größeren<br />

Abstand. Daher ist die Übertretung eine schwerere Sün<strong>de</strong>.<br />

230


Zu 3. Wie die Unterlassung positiven Geboten entgegenge- 79. 4<br />

setzt ist, so die Übertretung negativen. Und daher fallen bei<strong>de</strong>,<br />

nimmt man sie im strengen Sinn, in die Kategorie <strong>de</strong>r Todsün<strong>de</strong>.<br />

„Übertretung" o<strong>de</strong>r „Unterlassung" lassen sich jedoch auch<br />

weiter fassen: als etwas, das einfach außerhalb positiver o<strong>de</strong>r<br />

negativer Gebote liegt <strong>und</strong> zu ihren Gegensätzen disponiert.<br />

Und so gesehen können bei<strong>de</strong> läßliche Sün<strong>de</strong> sein.<br />

Zu 4. Der Übertretungssün<strong>de</strong> entspricht die Strafe <strong>de</strong>r Ver­<br />

dammnis wegen ihrer Abwendung von Gott <strong>und</strong> die <strong>de</strong>r Sinne<br />

wegen ihrer Hinwendung zu vergänglichen Dingen. In gleicher<br />

Weise gebührt auch <strong>de</strong>r Unterlassung nicht nur die Strafe <strong>de</strong>r<br />

Verdammnis, son<strong>de</strong>rn auch die Strafe <strong>de</strong>r Sinne gemäß Mt 7,19:<br />

„Je<strong>de</strong>r Baum, <strong>de</strong>r keine guten Früchte bringt, wird ausgehauen<br />

<strong>und</strong> ins Feuer geworfen." Und dies wegen <strong>de</strong>r Wurzel, aus <strong>de</strong>r<br />

die Unterlassung hervorgeht, wenngleich sie nicht notwendi­<br />

gerweise eine tatsächliche Hinwendung zu vergänglichen Din­<br />

gen besagt.<br />

231


ANMERKUNGEN


[1] Thomas macht hier auf <strong>de</strong>n Unterschied zwischen <strong>Recht</strong><br />

<strong>und</strong> Gesetz aufmerksam. Das Gesetz ist die Begründung <strong>de</strong>s<br />

<strong>Recht</strong>s. Der Inhalt <strong>de</strong>s Gesetzes wird durch das Soll <strong>de</strong>s Geset­<br />

zes zum <strong>Recht</strong>. Das <strong>Recht</strong> be<strong>de</strong>utet also <strong>de</strong>n Inhalt <strong>de</strong>s Geset­<br />

zes, insofern er zwischen zwei Ansprüchen die Frie<strong>de</strong>nsord­<br />

nung herstellt o<strong>de</strong>r, wie Thomas im Artikel sagt, <strong>de</strong>n Ausgleich<br />

schafft. Es ist nun be<strong>de</strong>utsam, daß Thomas nicht irgen<strong>de</strong>ine<br />

logische Deduktion als solche bereits zur rechtsbegrün<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n<br />

Instanz macht, son<strong>de</strong>rn eben das Gesetz. Die <strong>Recht</strong>spositivi-<br />

sten, so vor allem Kelsen, werfen es <strong>de</strong>r Naturrechtslehre vor, sie<br />

operiere mit logischen Ableitungen, um das <strong>Recht</strong> zu begrün­<br />

<strong>de</strong>n. Damit aber wür<strong>de</strong> ein außerjuristischer Prozeß eingeleitet,<br />

<strong>de</strong>r niemals zu <strong>Recht</strong> führen könne. Thomas stimmt ganz mit<br />

<strong>de</strong>n mo<strong>de</strong>rnen <strong>Recht</strong>sphilosophen überein, daß nur das Gesetz<br />

<strong>Recht</strong> begrün<strong>de</strong>n kann. Der logische Prozeß hat bei ihm nicht<br />

als solcher rechtsbegrün<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Funktion, son<strong>de</strong>rn insofern er<br />

gesetzbil<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Bewandtnis hat. Es han<strong>de</strong>lt sich nämlich in <strong>de</strong>n<br />

naturrechtlichen Ableitungen nicht um irgendwelche Deduk­<br />

tionen unserer Vernunft, son<strong>de</strong>rn um die Deduktionen <strong>de</strong>r<br />

praktischen Vernunft. Die praktische Vernunft aber hat bei<br />

Thomas, sofern sie allgemeine sittliche Ableitungen aus <strong>de</strong>r<br />

menschlichen Natur im Hinblick auf das geordnete Zusam­<br />

menleben <strong>de</strong>r Menschen macht, gesetzgeben<strong>de</strong> Bewandtnis. Es<br />

ist also auch nicht einfach die Finalität <strong>de</strong>s geordneten Zusam­<br />

menlebens als solche, welche rechtserzeugend wirkt. Auch hie­<br />

rin wur<strong>de</strong> die scholastische Naturrechtslehre miß<strong>de</strong>utet, als ob<br />

sie annähme, die Zweckdienlichkeit irgendwelcher Einsicht<br />

bewirke das <strong>Recht</strong>." Gewiß spielt diese Zweckdienlichkeit eine<br />

Rolle, insofern sie nämlich im Zusammenhang mit <strong>de</strong>r gesell­<br />

schaftlichen Ordnung steht. Aber nicht die Zweckdienlichkeit<br />

als solche bewirkt das Gesetz, son<strong>de</strong>rn die praktische Vernunft,<br />

welche diese Zweckdienlichkeit in naturhaftem Soll zur For<strong>de</strong>­<br />

rung <strong>de</strong>s Zusammenseins erhebt. Die thomasische Natur­<br />

rechtslehre verbleibt also voll <strong>und</strong> ganz im reotelogischen Pro­<br />

zeß. Vgl. hierzu Kommentar zu Art. 2.<br />

[2] Unter <strong>de</strong>r menschlichen Natur, die als „verän<strong>de</strong>rlich"<br />

bezeichnet wird, ist hier nicht etwa die spezifische Wesenheit<br />

<strong>de</strong>s Menschen verstan<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn die konkrete Natur, wie sie<br />

entsprechend <strong>de</strong>r geschichtlichen Befindlichkeit sich wan<strong>de</strong>lt.<br />

Das Naturrecht, sofern es auf <strong>de</strong>r allgemeinen Natur, d. h. <strong>de</strong>r<br />

235


spezifischen Wesenheit <strong>de</strong>s Menschen, aufbaut, ist unwan<strong>de</strong>l­<br />

bar. Was gegen diese Natur verstößt, be<strong>de</strong>utet einen Wi<strong>de</strong>r­<br />

spruch gegen das Naturrecht „an sich", wovon Thomas in <strong>de</strong>r<br />

Lösung <strong>de</strong>s zweiten Einwan<strong>de</strong>s spricht. Thomas will also das<br />

Naturrecht nicht nur im allgemeinen Sinn verstan<strong>de</strong>n wissen,<br />

son<strong>de</strong>rn auch im konkreten Sachbestand, als <strong>Recht</strong>, das sich<br />

hier <strong>und</strong> jetzt aus <strong>de</strong>r Sachanalyse ergibt. Natürlich wird die<br />

sachliche Analyse nach Normen beurteilt. Diese Normen sind<br />

<strong>de</strong>r Natur „an sich" entnommen. Da diese Normen zweckbe­<br />

stimmte Normen sind, nämlich Normen im Hinblick auf die<br />

Vervollkommnung <strong>de</strong>r menschlichen Natur, wird <strong>de</strong>r konkrete<br />

Fall, d. h. die sachliche Analyse <strong>de</strong>r konkreten Wirklichkeit nach<br />

dieser Zweckbestimmung o<strong>de</strong>r Zweckentsprechung beurteilt.<br />

<strong>Recht</strong> wird also entsprechend dieser Finalität, d. h. dasjenige ist<br />

Naturrecht im konkreten Sinne, was <strong>de</strong>n Sinn, die innere<br />

Zweckhaftigkeit <strong>de</strong>r Normen am besten erfüllt. Es wur<strong>de</strong> aber<br />

bereits in <strong>de</strong>r Anmerkung [1] gesagt, daß nicht eigentlich die<br />

Finalität als solche die rechts erzeugen<strong>de</strong> Kraft besitzt, son<strong>de</strong>rn<br />

die Vernunft, welche diese Finalität erkennt <strong>und</strong> als Norm aus­<br />

spricht. Das Naturrecht in diesem konkreten Sinn ist also etwas<br />

Wan<strong>de</strong>lbares. Es ist kein Schema, son<strong>de</strong>rn wird je <strong>und</strong> je neu<br />

geformt von <strong>de</strong>r menschlichen Vernunft, die nach Thomas, wie<br />

bereits gesagt, rechtserzeugen<strong>de</strong> Kraft ist, sofern sie wahrheits­<br />

getreu <strong>de</strong>n objektiven Sachverhalt trifft. Damit ist spekulativ<br />

(wenngleich noch nicht praktisch) <strong>de</strong>r Vorwurf beseitigt, <strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>m Naturrechts<strong>de</strong>nken namentlich von Seiten <strong>de</strong>r Positivisten<br />

gemacht wur<strong>de</strong>, daß nämlich das Naturrecht zu allem nütze sei<br />

<strong>und</strong> je<strong>de</strong>r politischen Zielsetzung dienen könne. Das Natur­<br />

recht <strong>de</strong>s hl. Thomas ist weit entfernt von dieser subjektiven<br />

Zielsetzung. Seine Sachanalyse ist außerhalb <strong>de</strong>r politischen<br />

Zielsetzung. Diese ergibt sich erst aus jener.<br />

Um das Gesagte, das für ein richtiges Verständnis <strong>de</strong>r thoma­<br />

sischen Naturrechtslehre so überaus wichtig ist, etwas auf­<br />

zuhellen, sei ein Beispiel angeführt. Thomas hält dafür, daß die<br />

„Sklavenschaft", d.h. bei ihm das Verhältnis <strong>de</strong>r Leibeigen­<br />

schaft (vgl. Kommentar zu 57,4), ein „naturrechtlicher"<br />

Zustand sei. Wir wür<strong>de</strong>n uns heute über diese Ausdrucksweise<br />

entsetzen, da für uns das Naturrecht nur im Sinne <strong>de</strong>r unwan­<br />

<strong>de</strong>lbaren Normen genommen wird. Thomas aber — Aristoteles<br />

folgend — analysiert die konkrete Befindlichkeit <strong>de</strong>r Gesell­<br />

schaft <strong>und</strong> erklärt, daß tatsächlich viele Menschen von Natur<br />

236


einfach keine Veranlagung haben, sich selbst zü regieren <strong>und</strong> ihr<br />

Leben nach eigener Verantwortung einzurichten. Wenn sie<br />

darum in lebenslänglichem Dienstverhältnis unter <strong>de</strong>r<br />

Herrschaft eines an<strong>de</strong>ren stehen, erfüllen sie in <strong>de</strong>r menschli­<br />

chen Gesellschaft noch einen nützlichen Beruf. Die Feststel­<br />

lung, daß manche Menschen einfach nicht fähig sind, ein völlig<br />

freies Leben zu führen, son<strong>de</strong>rn besser immer in Abhängigkeit<br />

<strong>und</strong> Unterordnung bleiben, wer<strong>de</strong>n wir wohl auch heute noch<br />

nicht abstreiten können, wenngleich wir darum nicht zum<br />

Schluß kommen, daß <strong>de</strong>swegen alle diese Menschen natur­<br />

rechtlich ins Verhältnis <strong>de</strong>r Leibeigenschaft gehören. Im allge­<br />

meinen gelangen bei uns heute solche Menschen von selbst in<br />

untergeordnete Stellungen, da sie <strong>de</strong>n Konkurrenzkampf nicht<br />

bestehen. Sofern diese nie<strong>de</strong>re Stellung im sozialen Ganzen<br />

nicht menschenunwürdig ist, wer<strong>de</strong>n doch wohl auch wir sagen<br />

müssen, daß damit <strong>de</strong>n betreffen<strong>de</strong>n Menschen <strong>de</strong>r ihrer Natur<br />

entsprechen<strong>de</strong> Platz eingeräumt wor<strong>de</strong>n sei. Thomas wür<strong>de</strong><br />

diesen „naturentsprechen<strong>de</strong>n" Platz als <strong>de</strong>n „naturrechtlichen"<br />

Ort bezeichenen, naturrechtlich entsprechend ihrer Natur <strong>und</strong><br />

entsprechend <strong>de</strong>m soziologischen Bestand <strong>de</strong>r Gesellschaft. So<br />

ist das konkrete Naturrecht nichts Starres, son<strong>de</strong>rn ungeheuer<br />

beweglich, an<strong>de</strong>rerseits aber auch nichts durch irgendwelche<br />

politischen Willensbildungen willkürlich Bestimmbares, son­<br />

<strong>de</strong>rn zu bestimmen gemäß <strong>de</strong>m objektiven Sachverhalt.<br />

Dieser objektive Sachverhalt kann allerdings auch die Wil­<br />

lensbildung <strong>de</strong>r Menschen miteinschließen, aber nicht, weil<br />

etwa diese Willensbildung <strong>de</strong>r Gr<strong>und</strong> für die nähere Bestim­<br />

mung <strong>de</strong>s Naturrechts wäre, son<strong>de</strong>rn weil die Willensbildung<br />

ein objektiver, unabän<strong>de</strong>rlicher soziologischer Sachverhalt ist.<br />

So nimmt z.B. Thomas die Willensbildung <strong>de</strong>s Tyrannen in<br />

Kauf <strong>und</strong> bestimmt danach das, was Naturrecht ist, nicht weil<br />

<strong>de</strong>r Wille <strong>de</strong>s Tyrannen das Naturrecht festlegen wür<strong>de</strong>, son­<br />

<strong>de</strong>rn weil dieser Wille in seiner Unabän<strong>de</strong>rlichkeit einen sozio­<br />

logischen Bef<strong>und</strong> darstellt, <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Sachanalyse ins Gewicht<br />

fällt. Darum kann sich Thomas die Erlaubtheit <strong>de</strong>s Tyrannen­<br />

mor<strong>de</strong>s nicht vorstellen, wenn sich daraus eine größere soziale<br />

Unordnung ergeben wür<strong>de</strong>, als sie schon besteht. Es wird also<br />

nicht irgen<strong>de</strong>in politisches Ziel (etwa gar <strong>de</strong>r Wille <strong>de</strong>s Tyran­<br />

nen) zum Bestimmungsgr<strong>und</strong> <strong>de</strong>s Naturrechts gemacht, son­<br />

<strong>de</strong>rn einzig die objektive Sachanalyse in Hinordnung auf die<br />

ewigen Normen <strong>de</strong>r menschlichen Natur.<br />

237


[3] Wie das menschliche <strong>Recht</strong> viele Dinge enthält, die an<br />

sich schon von Natur <strong>Recht</strong> sind, so ist auch im göttlichen <strong>Recht</strong><br />

vieles enthalten, was nicht vom göttlichen Willen her die innere<br />

Bestimmung empfängt, son<strong>de</strong>rn bereits „an sich" gut <strong>und</strong><br />

gerecht ist. Mit dieser Feststellung will <strong>de</strong>r hl. Thomas keines­<br />

wegs die rationalistische Auffassung von Hugo Grotius vertre­<br />

ten, nach <strong>de</strong>r es ein Naturrecht gäbe, das besteht, auch wenn es<br />

Gott nicht gäbe. Nach Thomas wird das Naturrecht von Gott<br />

nicht frei erf<strong>und</strong>en. Es ist vielmehr wie die Wesenheiten <strong>de</strong>r<br />

Dinge im Wesen Gottes selbst begrün<strong>de</strong>t. In<strong>de</strong>m Gott, vor Sei­<br />

nem Wollen <strong>und</strong> Lieben, Sein eigenes Wesen erkennt, erkennt<br />

Er auch alle möglich seien<strong>de</strong>n Wesenheiten. Sie auszuwählen ist<br />

selbstre<strong>de</strong>nd Seinem freien Entscheid anheimgestellt. Aber ihre<br />

innere Formung haben sie bereits vor <strong>de</strong>m Wollen Gottes, nicht<br />

aber — wie <strong>de</strong>r Ausspruch von Grotius es nahelegt — vor Gott.<br />

Im göttlichen Wesen <strong>und</strong> im göttlichen Selbsterkennen liegt im<br />

tiefsten die Rationalität <strong>de</strong>s Naturrechts begrün<strong>de</strong>t. Sie ist also<br />

niemals eine Rationalität außerhalb Gottes. Wenngleich Gott<br />

die Welt schaffen, d.h. ins Dasein rufen mußte, damit das<br />

Naturrecht überhaupt da sei, so ist doch nicht <strong>de</strong>r Schöpferwille<br />

Gottes die Ursache <strong>de</strong>s Naturrechts. Es ist vielmehr seine prak­<br />

tische Erkenntnis, welche allen Wesenheiten die ihnen eigene<br />

Finalität vorschreibt <strong>und</strong> so zu ihrem Gesetzgeber wird. Die<br />

thomasische Naturrechtsauffassung bleibt also auch hier, wo sie<br />

in die göttliche Begründung hineinsteigt, voll <strong>und</strong> ganz auf <strong>de</strong>n<br />

Bahnen <strong>de</strong>s rechtslogischen Prozesses. Gott wird nicht einge­<br />

führt als irgen<strong>de</strong>in allmächtiges Wesen, son<strong>de</strong>rn als <strong>de</strong>r ewige<br />

Gesetzgeber. Wenn es nur <strong>de</strong>r Wille Gottes wäre, welcher das<br />

Naturrecht begrün<strong>de</strong>t, dann allerdings könnte nur <strong>de</strong>r religiöse<br />

Glaube die Erkenntnis <strong>de</strong>s Naturrechts vermitteln. Und dann<br />

könnte man es begreifen, wenn ein Nicht-Gläubiger, wie z. B.<br />

Kelsen, erklärt, daß das Naturrecht eine primitive Auffassung<br />

von <strong>Recht</strong> sei, da rechtsfrem<strong>de</strong> Kategorien eingeführt wür<strong>de</strong>n.<br />

Selbstre<strong>de</strong>nd kann Gott, wie <strong>de</strong>r hl. Thomas hier ausdrücklich<br />

erklärt, durch Seinen freien Entscheid <strong>Recht</strong> schaffen. Er kann<br />

aber auf diese Weise nicht Autorrecht schaffen, weil das Natur­<br />

recht in sich inhaltlich bestimmt ist, ehe <strong>de</strong>r Schöpferwille die<br />

Welt schafft. Während <strong>de</strong>r Mensch <strong>de</strong>m Schöpferwillen Ehr­<br />

furcht <strong>und</strong> Furcht entgegenbringt, bringt er Gott als <strong>de</strong>m ewi­<br />

gen Gesetzgeber Gehorsam entgegen. Es ist darum falsch,<br />

wenn Kelsen meint, daß die Naturrechtsauffassung nichts<br />

238


an<strong>de</strong>res sei als die Äußerung einer primitiven Furcht vor einem<br />

überweltlichen Wesen, das Blitz <strong>und</strong> Donner zu schicken<br />

imstan<strong>de</strong> ist.<br />

[4] Unter <strong>de</strong>m jus gentium, das wir hier mit „Völkerrecht"<br />

übersetzen, ist nicht das mo<strong>de</strong>rne Völkerrecht zu verstehen.<br />

Wie im Kommentar dargelegt wird, be<strong>de</strong>utet dieser Ausdruck<br />

„das bei allen Völkern gelten<strong>de</strong> <strong>Recht</strong>", ein <strong>Recht</strong>, das als<br />

ursprüngliches Gewohnheitsrecht zum positiven römischen<br />

<strong>Recht</strong> erhoben wur<strong>de</strong>. Der Inhalt dieses bei allen Völkern gel­<br />

ten<strong>de</strong>n <strong>Recht</strong>s bestand durchwegs aus Sachverhalten, die sich<br />

aus <strong>de</strong>r naturgemäß <strong>de</strong>nken<strong>de</strong>n Vernunft ergaben, also in <strong>de</strong>r<br />

thomasischen Sicht als Naturrecht zu gelten hatten. Für Tho­<br />

mas bestand nun das spekulativ schwere <strong>und</strong> historisch überaus<br />

wichtige Problem, dieses jus gentium entsprechend einzuord­<br />

nen. Vgl. hierzu <strong>de</strong>n Kommentar.<br />

Lei<strong>de</strong>r konnte in <strong>de</strong>r Ubersetzung nicht die sinngemäßere<br />

Formulierung „das bei allen Völkern gelten<strong>de</strong> <strong>Recht</strong>" gebraucht<br />

wer<strong>de</strong>n, weil sich sonst Tautologien ergeben hätten.<br />

[5] Während die Güter aus sich keine Zueignung an private<br />

Personen haben, so erklärt Thomas hier, wer<strong>de</strong>n sie doch klu­<br />

gerweise im Hinblick auf die konkrete Befindlichkeit <strong>de</strong>r Men­<br />

schen von <strong>de</strong>n einzelnen in verschie<strong>de</strong>ner <strong>und</strong> verteilter Weise<br />

verwaltet, um so eine bessere Verwendung, d. h. eine größere<br />

Produktivität zu erzielen. Es ist dies die Begründung <strong>de</strong>s Privat­<br />

eigentums, von <strong>de</strong>r Thomas in 66,2 eingehen<strong>de</strong>r sprechen wird<br />

(vgl. <strong>de</strong>n Kommentar dazu). Es ist nun eigentümlich, daß dort<br />

nicht auf Aristoteles zurückgegriffen wird, während hier die<br />

eigentliche Quelle <strong>de</strong>r Befürwortung <strong>de</strong>s Privateigentums ange­<br />

geben wird. Es ist daher hier <strong>de</strong>r Ort, um näher auf die Bezie­<br />

hung <strong>de</strong>r thomasischen Eigentumslehre zu Aristoteles einzuge­<br />

hen.<br />

Aristoteles (Pol. 2,5) hat sich schon sehr präzis die Frage<br />

gestellt, „ob es besser ist, daß Besitzungen <strong>und</strong> N<strong>utz</strong>nießungen<br />

gemeinsam sind, nämlich entwe<strong>de</strong>r so, daß die Gr<strong>und</strong>stücke<br />

Privateigentum bleiben, die Erträgnisse aber als Gemeingut zu­<br />

sammengetan <strong>und</strong> verbraucht wer<strong>de</strong>n — wie dies einige Völker­<br />

stämme tun —, o<strong>de</strong>r umgekehrt so, daß das Land gemeinsam ist<br />

<strong>und</strong> seine Bestellung gemeinsam geschieht, dagegen die Erträg­<br />

nisse zum Privatverbrauch verteilt wer<strong>de</strong>n — auch diese Art<br />

239


von Gemeinschaft soll sich bei einigen Barbarenvölkern fin<strong>de</strong>n<br />

—, o<strong>de</strong>r endlich so, daß Gr<strong>und</strong>stücke so gut wie Erträgnisse<br />

Gemeingut sind".<br />

Aristoteles setzt sich mit <strong>de</strong>m von Plato befürworteten Kom­<br />

munismus auseinan<strong>de</strong>r. Er meint zwar, daß trotz <strong>de</strong>r privaten<br />

Aufteilung eine gewisse Gemeinsamkeit im Gebrauch <strong>und</strong> in<br />

<strong>de</strong>r Ben<strong>utz</strong>ung <strong>de</strong>r Güter das Gemeinschaftsgefühl steigern<br />

wür<strong>de</strong>. Er verweist dabei auch auf die Verwirklichung einer<br />

gewissen Gütergemeinschaft in Lazedämon (vgl. <strong>de</strong>n Text im<br />

Kommentar zu 66,2). Er fin<strong>de</strong>t aber doch, daß Plato sehr über­<br />

trieben hat. Außer<strong>de</strong>m meint er, daß die Befürwortung <strong>de</strong>s<br />

Kommunismus bei Plato doch nur bei reichlich allgemeinen<br />

Angaben stehengeblieben sei. Wenn man <strong>de</strong>r Sache einmal auf<br />

<strong>de</strong>n Gr<strong>und</strong> gehe, dann sei nicht abzusehen, wie im einzelnen die<br />

Durchführung gedacht sei. „Man darf aber auch nicht überse­<br />

hen, daß die lange Zeit <strong>und</strong> die vielen Jahre be<strong>de</strong>nklich machen<br />

müssen, in <strong>de</strong>nen es nicht verborgen geblieben wäre, wenn<br />

solche Einrichtungen wirklich etwas für sich hätten. Denn man<br />

ist schon so ziemlich auf alles verfallen, aber manches hat man<br />

nicht gesammelt, <strong>und</strong> manches war zwar gesammelt <strong>und</strong><br />

bekannt, aber es wird doch nicht eingeführt. Die Sache wür<strong>de</strong><br />

aber am klarsten wer<strong>de</strong>n, wenn man eine solche Verfassung ein­<br />

mal tatsächlich durchgeführt sähe. Denn man wür<strong>de</strong> mit <strong>de</strong>r<br />

Einrichtung <strong>de</strong>s Staates nicht zurechtkommen ohne Teilung<br />

<strong>und</strong> Son<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r gemeinsamen Güter, einmal unter Tischge­<br />

nossenschaften <strong>und</strong> dann unter Geschlechterverbän<strong>de</strong>n <strong>und</strong><br />

Stämmen, so daß bei dieser Gesetzgebung keine an<strong>de</strong>re beson­<br />

<strong>de</strong>re Bestimmung sich ergäbe als die, daß die Wächter <strong>de</strong>s Staa­<br />

tes keinen Ackerbau treiben sollen, was ja auch die Lazedämo-<br />

nier schon jetzt bei sich einführen wollen". Aristoteles ist also<br />

gegenüber Plato sehr skeptisch. Er nimmt <strong>de</strong>n Menschen, wie er<br />

nun einmal ist, <strong>und</strong> meint, daß das Zusammenleben <strong>und</strong> die<br />

Gemeinschaft in allen menschlichen Dingen schwer sei, beson­<br />

<strong>de</strong>rs aber hinsichtlich <strong>de</strong>r materiellen Güter. „Man sieht das an<br />

<strong>de</strong>n Gesellschaften <strong>de</strong>r Reisegefährten, wo fast die meisten über<br />

Kleinigkeiten <strong>und</strong> das erste beste, was ihnen in <strong>de</strong>n Weg<br />

kommt, sich entzweien <strong>und</strong> aneinan<strong>de</strong>rgeraten." Aristoteles<br />

schätzt auch das ganz eigene Gefühl, das <strong>de</strong>r Mensch empfin­<br />

<strong>de</strong>t, wenn er etwas als sein eigen bezeichnen kann: „Es ist auch<br />

mit Worten nicht zu sagen, welche eigenartige Befriedigung es<br />

gewährt, wenn man etwas sein eigen nennen kann. Sicherlich<br />

240


nicht umsonst hat je<strong>de</strong>r die Liebe zu sich selbst, son<strong>de</strong>rn es ist<br />

uns von <strong>de</strong>r Natur so eingepflanzt, <strong>und</strong> nur die egoistische Liebe<br />

erfährt <strong>de</strong>n gerechten Ta<strong>de</strong>l; sie ist aber auch nicht dasselbe wie<br />

die Selbstliebe, son<strong>de</strong>rn ist die übertriebene Liebe zu sich<br />

selbst, wie man auch <strong>de</strong>n Habsüchtigen ta<strong>de</strong>lt, obgleich doch im<br />

einzelnen je<strong>de</strong>r an seiner Habe Freu<strong>de</strong> hat." Nur in einer gesell­<br />

schaftlichen Ordnung, in welcher das Privateigentum ordnen­<br />

<strong>de</strong>s Prinzip ist, kann auch, so meint Aristoteles, die Tugend <strong>de</strong>r<br />

Freigebigkeit <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Gastfre<strong>und</strong>schaft geübt wer<strong>de</strong>n: „Aber<br />

auch das bereitet hohe Lust, <strong>de</strong>n Fre<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Gästen o<strong>de</strong>r<br />

Gefährten Gunst <strong>und</strong> Hilfe zu erweisen, was nur geschehen<br />

kann, wenn es ein Eigentum gibt." Darum bleibt Gr<strong>und</strong>gesetz<br />

<strong>de</strong>r gesellschaftlichen Ordnung für Aristoteles das Privateigen­<br />

tum.<br />

Allerdings solle zugleich <strong>de</strong>r Eigentümer aus sittlicher Ver­<br />

antwortung, d. h. „um <strong>de</strong>r Tugend willen", gerne von seinem<br />

Eigentum an an<strong>de</strong>re abgeben <strong>und</strong> vor allem die Ben<strong>utz</strong>ung <strong>und</strong><br />

<strong>de</strong>n Gebrauch seiner Güter als etwas Gemeinsames betrachten:<br />

„Fre<strong>und</strong>en ist alles gemein." Und Aristoteles meint sogar, daß<br />

die Gesetzgeber eine solche Gesinnung in <strong>de</strong>n Bürgern wachru­<br />

fen sollten.<br />

Den Einwand, daß mit <strong>de</strong>r Teilung in Privateigentum die<br />

<strong>Recht</strong>shän<strong>de</strong>l sich mehren <strong>und</strong> Unfrie<strong>de</strong> entstän<strong>de</strong>, erledigt<br />

Aristoteles mit <strong>de</strong>r Bemerkung, daß solche Hän<strong>de</strong>l nicht von <strong>de</strong>r<br />

fehlen<strong>de</strong>n Gütergemeinschaft, son<strong>de</strong>rn von <strong>de</strong>r menschlichen<br />

Schlechtheit herrühren, „da ja doch erfahrungsgemäß solche,<br />

die etwas gemeinsam haben <strong>und</strong> n<strong>utz</strong>en, viel mehr Streit mit­<br />

einan<strong>de</strong>r bekommen als die Inhaber von Privateigentum".<br />

Thomas hat nun diese aristotelische Lehre in ihren Einzelhei­<br />

ten übernommen, ohne allerdings sich ihr ganz zu ergeben. Er<br />

nimmt die allgemeine menschliche Schwäche, wie sie nun ein­<br />

mal besteht, zur Kenntnis als einen soziologischen Bef<strong>und</strong>, um<br />

danach die soziale Ordnung einzurichten. Das Argument man­<br />

cher Kirchenväter (vgl. Kommentar zu 66,2), daß die Aneig­<br />

nung privaten Gutes eigentlich einem egoistischen Triebe folge<br />

<strong>und</strong> somit gr<strong>und</strong>sätzlich ein moralisches Übel sei, <strong>de</strong>m man zu<br />

Leibe rücken müsse, wird abgeschwächt zugunsten eines Be­<br />

griffs von Selbstliebe, <strong>de</strong>r je<strong>de</strong> egoistische Note fehlt, im Hin­<br />

blick darauf, daß das Eigenwohl leichter gesucht wird als das<br />

Gemeinwohl. Thomas konnte hierfür aus <strong>de</strong>r Theologie <strong>de</strong>r<br />

Erbsün<strong>de</strong>, <strong>de</strong>ren physische <strong>und</strong> moralische Folgen nun einmal<br />

241


nicht aus <strong>de</strong>r Welt zu schaffen sind, eine noch tiefere Begrün­<br />

dung für die Befürwortung <strong>de</strong>r privaten Ordnung schöpfen.<br />

Thomas hat von Aristoteles gelernt, die Selbstliebe, die zunächst<br />

das eigene Individuum betrachtet <strong>und</strong> erst in <strong>de</strong>r Folge das<br />

Gemeinwohl, als einen ganz natürlichen Bef<strong>und</strong> einzuschätzen.<br />

Mit Aristoteles betont dann Thomas die gemeinsame Nut­<br />

zung <strong>de</strong>r Güter. Mit ihm unterstreicht er ebenfalls die sittliche<br />

Gestalt <strong>de</strong>r Verpflichtung, welche je<strong>de</strong>m Besitzer in dieser Hin­<br />

sicht obliegt. Hier greift er allerdings zu schärferen Formulie­<br />

rungen als etwa Aristoteles, in<strong>de</strong>m er erklärt, daß <strong>de</strong>r Uberfluß<br />

<strong>de</strong>n Armen vom Naturrecht her geschul<strong>de</strong>t sei (66,7). Damit<br />

spricht nun eigentlich <strong>de</strong>r Theologe in Thomas, <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>n<br />

Vätern <strong>de</strong>n negativen Kommunismus (vgl. Kommentar zu<br />

66,2) kennen <strong>und</strong> schätzen gelernt hat <strong>und</strong> mit ihnen für <strong>de</strong>n<br />

ethischen Kommunismus <strong>de</strong>s Paradiesesmenschen eintritt (vgl.<br />

hierzu Anm. [34]).<br />

So bringt die Übernahme <strong>de</strong>s negativen Kommunismus, wie<br />

die Väter ihn lehrten, in die aristotelisch-thomasische Eigen­<br />

tumslehre eine ganz neue Note, <strong>de</strong>rgestalt, daß die aristote­<br />

lische Sicht im Gr<strong>und</strong>e doch verlassen ist, wenngleich die ein­<br />

zelnen Elemente noch <strong>de</strong>utlich erkennbar bleiben. In<strong>de</strong>m näm­<br />

lich Thomas mit <strong>de</strong>n Vätern dafür einsteht, daß die Güter aus<br />

sich nieman<strong>de</strong>m gehören <strong>und</strong> daß auch die menschliche Natur<br />

als solche eine Aufteilung nicht for<strong>de</strong>rt, wird <strong>de</strong>r aristotelische<br />

Gedanke, daß das Privateigentum <strong>de</strong>r „Natur" <strong>de</strong>s Menschen<br />

entspräche, zurückgestellt. Das — im Zustand <strong>de</strong>r Erbsün<strong>de</strong> lei­<br />

<strong>de</strong>r nicht durchführbare — I<strong>de</strong>al <strong>de</strong>r Natur bleibt für Thomas<br />

eben doch <strong>de</strong>r freie Kommunismus. Zwar hat auch Aristoteles<br />

um <strong>de</strong>s Guten <strong>de</strong>r Tugend willen die Gemeinsamkeit <strong>de</strong>r Güter<br />

gepriesen. Thomas kommt aber zu diesem Gedanken aus einer<br />

ganz an<strong>de</strong>ren Richtung, nicht etwa nur wegen irgendwelcher<br />

Übung sittlicher Tugen<strong>de</strong>n wie <strong>de</strong>r Fre<strong>und</strong>schaft o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Frei­<br />

gebigkeit, son<strong>de</strong>rn aus <strong>de</strong>r Überlegung, daß <strong>de</strong>r innere Sinn <strong>de</strong>r<br />

Güter niemals auf diesen o<strong>de</strong>r jenen Menschen abzielen kann,<br />

son<strong>de</strong>rn nur auf <strong>de</strong>n Menschen überhaupt. Er kommt daher zur<br />

Formulierung, daß es nach <strong>de</strong>m „Naturrecht" keine Unter­<br />

scheidung im Besitz gäbe (66,2 Zu 1). Und da für Thomas, <strong>de</strong>n<br />

Theologen, die innere Zweckbestimmung <strong>de</strong>r Güter einer ewi­<br />

gen Absicht Gottes entspricht, lastet in seiner Lehre die soziale<br />

Verpflichtung auf <strong>de</strong>m Menschen zugleich als eine religiöse Ver­<br />

antwortung. So hat es Thomas verstan<strong>de</strong>n, Aristoteles auf-<br />

242


zunehmen <strong>und</strong> im Sinne <strong>de</strong>s christlichen Denkens weiterzufüh­<br />

ren.<br />

[6] Dasjenige, was durch die menschliche Vernunft erschlos­<br />

sen wird, zählt nach Thomas zu <strong>de</strong>n naturgegebenen Sachver­<br />

halten. Nimmt man nun die Lehre <strong>de</strong>s zweiten Artikels hinzu,<br />

dann muß man sagen, daß das durch die Vernunft Erschlossene<br />

zum Naturrecht gehört. Thomas aber kann hier, wo es um die<br />

Erklärung <strong>de</strong>s Begriffs <strong>de</strong>s „jus gentium" geht, diese Formulie­<br />

rung nicht anwen<strong>de</strong>n, weil es ja nun gera<strong>de</strong> darauf ankommt,<br />

jenes Eigentümliche herauszuheben, das gemäß <strong>de</strong>r Tradition<br />

im jus gentium enthalten ist, nämlich ein <strong>Recht</strong> zu sein, das bei<br />

allen Menschen „im Gebrauch" ist. Da <strong>de</strong>m jus gentium <strong>de</strong>r<br />

stoische Naturrechtsbegriff gegenübersteht, wonach Natur­<br />

recht alles das ist, was unmittelbar im animalischen Trieb <strong>de</strong>s<br />

Menschen beschlossen ist, kann Thomas nicht sagen, das jus<br />

gentium sei Naturrecht. Denn das stoische Naturrecht ist da,<br />

bevor die Menschen <strong>de</strong>nken, es ist also nicht erst <strong>de</strong>swegen<br />

<strong>Recht</strong>, weil die Menschen irgendwie im vernünftigen Verkehr es<br />

gestalten, also „gebrauchen". Die vernünftige <strong>Recht</strong>sgestaltung<br />

<strong>de</strong>s Menschen ist aber ebenfalls als etwas Natürliches für <strong>de</strong>n<br />

Menschen zu bezeichnen. Und sofern diese Vernunft auf einer<br />

objektiven Sachanalyse beruht, ist dieses <strong>Recht</strong> Naturrecht.<br />

Das jus gentium ist aber kein an<strong>de</strong>res als das vernünftige, auf<br />

objektiver Sachanalyse beruhen<strong>de</strong> <strong>Recht</strong>, darum Naturrecht.<br />

[7] Die Ehe be<strong>de</strong>utet zwar eine Liebesgemeinschaft <strong>und</strong><br />

insofern begrün<strong>de</strong>t sie eine Gemeinschaft, die über die <strong>Recht</strong>s­<br />

ordnung herausragt. An<strong>de</strong>rerseits baut dieses gemeinschaft­<br />

liche Leben auf einem gegenseitigen Vertrag auf. Und zwar<br />

bestimmt dieser Vertrag das Wesen <strong>de</strong>r Ehe. Aus diesem<br />

Gr<strong>und</strong>e bewahrheitet sich hier die Bewandtnis <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s aus­<br />

geprägter als etwa im Verhältnis vom Vater zum Sohn.<br />

[8] Aus diesem Gr<strong>und</strong>e sprechen wir auch vom Menschen­<br />

recht <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s gegenüber <strong>de</strong>n Eltern. Das <strong>Recht</strong> <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s<br />

auf eine angemessene Erziehung ist darum nicht nur ein <strong>Recht</strong>,<br />

das sich an die Gesellschaft o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Staat, son<strong>de</strong>rn in erster<br />

Linie an die Eltern richtet. Der Staat hat darum in subsidiärer<br />

Dienstleistung zunächst Maßnahmen zu ergreifen, daß von Sei­<br />

ten <strong>de</strong>r Eltern die Pflicht <strong>de</strong>r Erziehung erfüllt wer<strong>de</strong>n kann. Die<br />

243


Eltern ihrerseits haben wie<strong>de</strong>rum mit ihrer Pflicht gegenüber<br />

<strong>de</strong>m Kin<strong>de</strong> zugleich auch ein <strong>Recht</strong>, die Erziehung ihres Kin<strong>de</strong>s<br />

selbst zu bestimmen. (Näheres bei A. F. Utz, Sozialethik, Teil<br />

III, Bonn 1986, 131 ff.)<br />

[9] Wie Th. Graf (De subjecto psychico gratiae et virtutum<br />

sec. doctrinam scholasticorum usque ad medium saeculum<br />

XIV. Pars prima, De subjecto virtutum cardinalium, Roma<br />

1935, 27f.) nachwies, hat Aristoteles mit größter Wahrschein­<br />

lichkeit die <strong>Gerechtigkeit</strong> nicht in <strong>de</strong>n Willen, son<strong>de</strong>rn in das<br />

sinnliche Strebevermögen verlegt. Daß dabei in <strong>de</strong>r aristoteli­<br />

schen Definition <strong>de</strong>s Willens Erwähnung getan wird, kann diese<br />

Ansicht von Graf nicht entkräften, weil dies auch bei <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>­<br />

ren Tugen<strong>de</strong>n geschieht. Dem thomasischen Schema <strong>de</strong>r Tugen­<br />

<strong>de</strong>n lag es näher, die <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>de</strong>m Willen zuzuteilen. Im<br />

sinnlichen Strebevermögen war in <strong>de</strong>r thomasischen Vorstel­<br />

lung für die <strong>Gerechtigkeit</strong> kein Raum mehr. Darum wird <strong>de</strong>r in<br />

Art. 1, Einwand 1 zitierte aristotelische Text nach <strong>de</strong>m thomasi­<br />

schen Schema ausgelegt. Allerdings ergeben sich für die Erklä­<br />

rung, warum <strong>de</strong>r Wille einer Tugend bedarf <strong>und</strong> nicht schon von<br />

Natur auf das Gute <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> ausgerichtet sei, beson­<br />

<strong>de</strong>re Schwierigkeiten. Die Frage wur<strong>de</strong> eingehend besprochen<br />

in meinem Kommentar zu I—II 56,6 (DT, Bd. 11, S. 545 ff.).<br />

[10] Der Artikel han<strong>de</strong>lt von <strong>de</strong>r Gemeinwohlgerechtigkeit.<br />

Dabei ist <strong>de</strong>r Zugang zu diesem Objekt bei Thomas ein ganz<br />

an<strong>de</strong>rer als etwa bei uns heute. Wir wür<strong>de</strong>n das Problem formu­<br />

lieren: Gibt es eine Gemeinwohlgerechtigkeit? Thomas aber<br />

kommt hier vom aristotelischen Gedankengut her (das seiner­<br />

seits platonische Elemente enthält) <strong>und</strong> fragt: In welchem Sinne<br />

kann die <strong>Gerechtigkeit</strong> eine umfassen<strong>de</strong> Tugend sein? Nach<br />

platonischer Auffassung mün<strong>de</strong>te je<strong>de</strong> Tugend in die Gerechtig­<br />

keit, ja im Gr<strong>und</strong>e war je<strong>de</strong> Tugend <strong>Gerechtigkeit</strong>. Nach Aristo­<br />

teles ist die <strong>Gerechtigkeit</strong> die überragen<strong>de</strong>, alle Tugen<strong>de</strong>n um­<br />

greifen<strong>de</strong> sittliche Haltung. Es stellt sich also für Thomas, <strong>de</strong>r<br />

bisher von <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> als einer eigenen, nämlich einer<br />

Kardinaltugend gesprochen hat, die Frage, in welchem Sinne<br />

diese nun eine allgemeine Tugend sein könne. Bei <strong>de</strong>r Untersu­<br />

chung <strong>de</strong>s Begriffes „allgemein" stellt sich sodann heraus, daß<br />

man in einem doppelten Sinn von einer allgemeinen Gerechtig­<br />

keit sprechen kann: 1. im Sinne von Gemeinwohlgerechtigkeit,<br />

244


die <strong>de</strong>swegen allgemein genannt wird, weil ihr eigentümlicher<br />

Gegenstand ein vielen gemeinsames Objekt ist, die aber um<br />

ihres eigenen, nur ihr zugehörigen Gegenstan<strong>de</strong>s willen zu­<br />

gleich von <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Tugen<strong>de</strong>n klar unterschie<strong>de</strong>n ist; 2. im<br />

Sinne einer Tugend mit universalem, allgemeinem Einfluß auf<br />

das gesamte sittliche Leben. In dieser Weise ist die Gemein­<br />

wohlgerechtigkeit zugleich auch „allgemein", da sie alle Tugen­<br />

<strong>de</strong>n auf das Gemeinwohl ausrichtet. Die Gemeinwohlgerech­<br />

tigkeit ist ihrer Kraft nach gewissermaßen in allen Tugen<strong>de</strong>n<br />

„investiert", da sie allen ihre sittliche Stärke leiht, wie ähnlich<br />

die göttliche Liebe in alle Tugen<strong>de</strong>n einfließt. Vom ersten Ge­<br />

sichtspunkt spricht Thomas hier im fünften Artikel, vom zwei­<br />

ten in Art. 6.<br />

[11] Die Gesetzesgerechtigkeit (= Gemeinwohlgerechtig­<br />

keit) regelt mittelbar, wie Thomas hier ausführt, auch die<br />

<strong>Recht</strong>sverhältnisse zwischen <strong>de</strong>n einzelnen Menschen. Dage­<br />

gen bezieht sich die Son<strong>de</strong>rgerechtigkeit, z.B. die Verkehrsge­<br />

rechtigkeit, nur auf das Verhältnis zum einzelnen Menschen.<br />

Die Gesetzesgerechtigkeit ist darum ein umspannen<strong>de</strong>res Ord­<br />

nungsprinzip als die Verkehrsgerechtigkeit. Mit an<strong>de</strong>ren Wor­<br />

ten: Die Verkehrsgerechtigkeit mit ihrem Aquivalenzprinzip<br />

hat sich <strong>de</strong>r Gemeinwohlgerechtigkeit unterzuordnen. Damit<br />

ist <strong>de</strong>m Liberalismus <strong>und</strong> Individualismus <strong>de</strong>r Kampf angesagt.<br />

Es ist <strong>de</strong>r Gedanke ausgesprochen, <strong>de</strong>n Leo XIII. in „Rerum<br />

novarum" <strong>und</strong> Pius XL in „Quadragesimo anno" unterstrichen<br />

haben, daß vom Gemeinwohl her jegliche individualrechtliche<br />

Freiheit ihre Begrenzung erhält. Wir fin<strong>de</strong>n <strong>de</strong>nselben Gedan­<br />

ken noch schärfer in Art. 9 Zu 3 formuliert. Und es könnte dort<br />

scheinen, daß das Kollektiv über die Person gestellt wür<strong>de</strong>.<br />

Jedoch ist zu be<strong>de</strong>nken, daß das Gemeinwohl bei Thomas das<br />

gemeinsame Wohl vieler Personen ist. Dieses Gut geht über das<br />

Gut einer einzelnen Person.<br />

[12] Die Tugendmitte ist ein altes <strong>und</strong> beliebtes Thema <strong>de</strong>r<br />

Moral. Thomas hat es bereits in I—II 64 (vgl. meinen Kommen­<br />

tar in DT, Bd. 11, S. 606ff.) behan<strong>de</strong>lt. Für die <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

ergibt sich hier eine beson<strong>de</strong>re Schwierigkeit, weil sie, streng<br />

genommen, keine Mitte hat, da sie nicht zwischen zwei Lastern<br />

als Extremen steht. Denn gibt man <strong>de</strong>m Nächsten wissentlich<br />

mehr, als ihm zusteht, so ist dies Liebe. Gibt man ihm weniger,<br />

245


als ihm zusteht, dann ist dies Ungerechtigkeit. Dennoch kann<br />

man, so erklärt Thomas, sagen, die <strong>Gerechtigkeit</strong> sei zwischen<br />

zwei Extremen, insofern <strong>de</strong>r Sachverhalt, nämlich das<br />

Gerechte, zwischen mehr <strong>und</strong> zu wenig liegt. Die Tugendmitte<br />

<strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> ist <strong>de</strong>mnach eine sachbestimmte Mitte.<br />

[13] Gemeint ist <strong>de</strong>r übernatürlich leben<strong>de</strong> Mensch, <strong>de</strong>r sein<br />

„geistliches Leben" pflegt. Die göttliche Liebe ist die Wurzel <strong>de</strong>r<br />

Gaben <strong>de</strong>s Heiligen Geistes, wie Thomas in I—II 68,5 ausführt.<br />

In beson<strong>de</strong>rer Weise wird die Weisheit als die höchste Gabe <strong>de</strong>r<br />

vornehmsten Tugend, nämlich <strong>de</strong>r Liebe, zugeteilt (vgl. Fr. 45,<br />

Art. 1 u. 2).<br />

[14] Der Ausdruck „Teile" wird hier analog gebraucht (vgl.<br />

hierzu meinen Kommentar in DT, Bd. 11, S. 519). Der Begriff<br />

<strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> ist ein Sammelbegriff, in <strong>de</strong>m eine Vielheit<br />

von sittlichen Haltungen <strong>und</strong> Kräften enthalten ist, die als<br />

„Teile" bezeichnet wer<strong>de</strong>n. Je nach<strong>de</strong>m nun <strong>de</strong>r Denkprozeß<br />

von <strong>de</strong>m allgemeinen Begriff <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> zu <strong>de</strong>n einzel­<br />

nen, dazu gehören<strong>de</strong>n Elementen fortschreitet, spricht man in<br />

verschie<strong>de</strong>ner Weise von „Teilen" <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>. Geht <strong>de</strong>r<br />

logische Prozeß vom Gattungsbegriff zu <strong>de</strong>n Arten, dann<br />

kommt man, wie Thomas mit Aristoteles sagt, zu <strong>de</strong>n subjekti­<br />

ven Teilen. Geht er aber von <strong>de</strong>r noch unklaren zur klareren,<br />

„<strong>de</strong>taillierten" Betrachtung ein <strong>und</strong> <strong>de</strong>rselben Tugend, dann<br />

spricht Thomas von vervollständigen<strong>de</strong>n (integralen) Teilen.<br />

Wen<strong>de</strong>t sich schließlich die Betrachtung zu <strong>de</strong>n seelischen Ver­<br />

haltensweisen, die wohl mit <strong>de</strong>m Allgemeinbegriff <strong>de</strong>r Gerech­<br />

tigkeit in Beziehung stehen, weil sie in irgen<strong>de</strong>iner, wenn auch<br />

abgeschwächten Weise noch etwas von <strong>Gerechtigkeit</strong> besagen,<br />

die aber doch nicht im strengen Sinn <strong>Gerechtigkeit</strong> sind, dann<br />

spricht man von potentiellen Teilen <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>. Hierzu<br />

gehören z. B. die Gottesverehrung, die Pietät u. a. (vgl. DT,<br />

Bd. 11, a.a.O.).<br />

[15] Das lateinische Wort „justitia commutativa" kann in<br />

dreifacher Weise sinngemäß übersetzt wer<strong>de</strong>n: 1. ausgleichen<strong>de</strong><br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>, 2.Verkehrsgerechtigkeit, 3.Tauschgerechtigkeit.<br />

„Ausgleichen<strong>de</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>" drückt das eigentliche Wesen<br />

<strong>de</strong>ssen aus, was unter <strong>de</strong>r „kommutativen <strong>Gerechtigkeit</strong>" be­<br />

griffen ist, <strong>de</strong>nn das Eigene <strong>de</strong>r kommutativen <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

246


esteht in <strong>de</strong>r vollen Äquivalenz, im mathematischen Ausgleich<br />

zwischen Leistung <strong>und</strong> Gegenleistung. Diese Art <strong>de</strong>r Gerech­<br />

tigkeit heißt Verkehrsgerechtigkeit, insofern dieses strenge<br />

<strong>Recht</strong>sverhältnis zwischen <strong>de</strong>n Menschen untereinan<strong>de</strong>r im<br />

gegenseitigen Verkehr von Individuum zu Individuum her­<br />

gestellt wird. Sie heißt Tauschgerechtigkeit, weil dieser individu­<br />

alrechtliche Verkehr in <strong>de</strong>r überwiegen<strong>de</strong>n Mehrheit sich in<br />

Form <strong>de</strong>r Tauschgeschäfte abspielt.<br />

[16] Thomas setzt hier <strong>de</strong>n strengen Begriff <strong>de</strong>r Gerechtig­<br />

keit auseinan<strong>de</strong>r, in<strong>de</strong>m er erklärt, daß bei <strong>de</strong>r Verkehrsgerech­<br />

tigkeit das Äquivalenzprinzip im eigentlichen Sinne gelte, so<br />

daß die Verkehrsgerechtigkeit <strong>de</strong>n Begriff <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> in<br />

ausgeprägtester Weise wie<strong>de</strong>rgibt. Eine an<strong>de</strong>re Frage aber ist<br />

nun, ob dieser Begriff in solch reiner Form in <strong>de</strong>r Wirklichkeit<br />

auch vorkommt. Die Beantwortung dieser Frage hängt davon<br />

ab, ob <strong>de</strong>r Mensch überhaupt als Nur-Individuum <strong>de</strong>nkbar ist<br />

o<strong>de</strong>r ob er nicht wesentlich das Verhältnis zum Nächsten <strong>und</strong><br />

zu einem Ganzen, in welchem er lebt, einschließt. Wie bereits<br />

aus Anm.[11] hervorgeht, gibt es keine Verkehrsgerechtigkeit,<br />

die von <strong>de</strong>r Gemeinwohlgerechtigkeit unabhängig wäre. Dar­<br />

aus wird klar, daß die Vorstellung <strong>de</strong>r reinen Verkehrsgesell­<br />

schaft <strong>und</strong> <strong>de</strong>s sich aus ihr ergeben<strong>de</strong>n Äquivalenzprinzips eine<br />

reine Abstraktion be<strong>de</strong>utet, wie etwa in <strong>de</strong>r Wirtschaftstheorie<br />

<strong>de</strong>r sogenannte homo oeconomicus.<br />

[17] Wenngleich <strong>de</strong>r Mensch sein ganzes Tun auf das<br />

Gemeinwohl abstellen muß, kann er an<strong>de</strong>rerseits nicht erwar­<br />

ten, daß er die ganze Leistung durch die austeilen<strong>de</strong> Gerechtig­<br />

keit wie<strong>de</strong>rum zurückerhalte. Der Reiche zahlt mehr Steuern<br />

als <strong>de</strong>r Arme, während <strong>de</strong>r Arme mehr empfängt als <strong>de</strong>r Reiche.<br />

Man erkennt hier <strong>de</strong>utlich die Verschie<strong>de</strong>nheit in <strong>de</strong>r Bewe­<br />

gung, welche <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n Arten <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>, Gemein­<br />

wohlgerechtigkeit <strong>und</strong> austeilen<strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>, eigen ist:<br />

vom einzelnen zum Gemeinwohl (Gesetzesgerechtigkeit) <strong>und</strong><br />

von dort zum einzelnen (austeilen<strong>de</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>). Diese Ver­<br />

schie<strong>de</strong>nheit <strong>de</strong>r Bewegung, die sich in einer Verschie<strong>de</strong>nheit<br />

<strong>de</strong>r Leistung <strong>und</strong> <strong>de</strong>s Empfangens ausdrückt, ist für uns heute<br />

unter <strong>de</strong>m Namen <strong>de</strong>r Sozialgerechtigkeit in einem begriffen<br />

(vgl. Exkurs II). Denn im Gr<strong>und</strong>e ist es bei<strong>de</strong> Male das Gemein­<br />

wohl, welches die Verschie<strong>de</strong>nheit in <strong>de</strong>r Leistung <strong>und</strong> in <strong>de</strong>r<br />

Gegenleistung for<strong>de</strong>rt.<br />

247


[18] Der Traktat <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rerstattung bereitet, so einfach er<br />

in <strong>de</strong>r Theorie sein mag, in <strong>de</strong>r Praxis vielfältige Schwierigkei­<br />

ten. Alphonsv. Liguori schreibt, daß er in diesem Traktat wohl<br />

kaum <strong>de</strong>m Wertempfin<strong>de</strong>n aller entsprechen könne, obwohl er<br />

sich die größte Mühe gebe, das Gerechte zu treffen. Und er<br />

übertreibt nicht, wenn er schreibt: „Manchmal habe ich zur<br />

Ermittlung eines gerechten Urteils tagelang daran gearbeitet"<br />

(Theologia Moralis, Editio Leon. Gau<strong>de</strong>, II Nr. 547). Vor allem<br />

heikel <strong>und</strong> verwickelt wird die Frage nach <strong>de</strong>r Pflicht zur Wie­<br />

<strong>de</strong>rerstattung dort, wo keine Schuld vorliegt: beim gutgläubi­<br />

gen Besitzer frem<strong>de</strong>n Eigentums, bei Schädigung durch Unge­<br />

schicklichkeit, Versehen, bei leichter Fahrlässigkeit.<br />

[19] Thomas spricht hier von <strong>de</strong>r Pflicht zur Wie<strong>de</strong>rgutma­<br />

chung in folgen<strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n Fällen: bei Schädigung am bereits<br />

bestehen<strong>de</strong>n Eigentum durch Diebstahl <strong>und</strong> bei Schädigung an<br />

<strong>de</strong>m zu erwarten<strong>de</strong>n Eigentumszuwachs (vgl. <strong>de</strong>n Text). Es<br />

wäre aber noch <strong>de</strong>r Fall <strong>de</strong>nkbar, daß einer einem an<strong>de</strong>rn einen<br />

Scha<strong>de</strong>n zufügt, ohne sittlich schwer o<strong>de</strong>r überhaupt verant­<br />

wortlich zu sein (leichte Fahrlässigkeit o<strong>de</strong>r überhaupt völlige<br />

Schuldlosigkeit). Der Moralist kann die Verpflichtung zur Wie­<br />

<strong>de</strong>rgutmachung nur im Verhältnis zur schuldhaften Handlung<br />

for<strong>de</strong>rn. Darum kann nach ihm aus einer leichten Schuld — un­<br />

besehen <strong>de</strong>s dadurch entstan<strong>de</strong>nen großen Scha<strong>de</strong>ns — niemals<br />

eine schwere Verpflichtung zur Wie<strong>de</strong>rgutmachung entstehen.<br />

Aus einer völlig schuldlosen Schädigung ergibt sich überhaupt<br />

keine Restitutionspflicht. Solche schuldlose Schädigung fällt<br />

unter das Kapitel „Betriebsunfall <strong>de</strong>r Menschlichkeit". Mit sol­<br />

chen Betriebsunfällen muß je<strong>de</strong>rmann ebensogut rechnen wie<br />

mit einer rein naturhaften Einwirkung wie Blitz <strong>und</strong> Hagel.<br />

Die Sachlage än<strong>de</strong>rt sich allerdings, wenn das richterliche Urteil<br />

dazwischengreift, weil dann im Hinblick auf eine allgemeine<br />

Ordnung <strong>de</strong>r einzelne um <strong>de</strong>s Gemeinwohls willen zu einem<br />

Scha<strong>de</strong>nersatz sittlich <strong>und</strong> rechtlich verpflichtet wird, wozu er<br />

sonst nicht gehalten wäre. Die diesbezüglichen Ausführungen<br />

bei Alphonsv. Liguori sind klar <strong>und</strong> tief durchdacht.<br />

[20] Es ist hier nicht nur von <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rerstattung gestohle­<br />

nen Gutes die Re<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn überhaupt von <strong>de</strong>r Rückgabe jeg­<br />

lichen Gutes, wie immer man es erhalten hat, selbst auch als<br />

Gut <strong>de</strong>r Aufbewahrung. Ein Gut ist, wie im Artikel dargelegt<br />

wird, <strong>de</strong>m zurückzuerstatten, von <strong>de</strong>m es rechtlich stammt.<br />

248


[21] Unter Simonie versteht man <strong>de</strong>n Han<strong>de</strong>l mit geistlichen<br />

Dingen.<br />

[22] Im Zusammenhang mit <strong>de</strong>r hier besprochenen Rück­<br />

gabe steht die Frage nach <strong>de</strong>r Rückerstattung von frem<strong>de</strong>n<br />

Gütern, die man guten Glaubens übernommen hat. Es sei hier­<br />

für auf die Moralbücher verwiesen. D. Prümmer (Manuale<br />

Theologiae Moralis, II, Ed. 9,Friburgi 1940, pg. 187f.) erklärt<br />

mit <strong>Recht</strong>, daß es wenige moraltheologische Traktate gäbe, in<br />

welchen die Autoren unter sich so uneins seien wie in diesem.<br />

[23] Die Scholastik unterschei<strong>de</strong>t die Gebote in for<strong>de</strong>rn<strong>de</strong><br />

Gebote <strong>und</strong> Verbote. Das for<strong>de</strong>rn<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r affirmative Gebot<br />

verlangt von <strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r ihm unterworfen ist, eine ganz<br />

bestimmte Handlung, unter Umstän<strong>de</strong>n, sogar eventuell zu<br />

einer bestimmten Zeit, einem bestimmten Ort (z. B. Sonntags­<br />

heiligung durch Besuch <strong>de</strong>r heiligen Messe). Das Verbot unter­<br />

sagt bestimmte Handlungen, verlangt also eine Unterlassung<br />

von bestimmten Akten (nicht stehlen, nicht töten.)<br />

[24] Über diese Meinung, die Thomas im Anschluß an Ari­<br />

stoteles auch sonst vorträgt, vergleiche beson<strong>de</strong>rs I 118,2 Zu 2,<br />

DT, Bd. 8, S. 301 ff., ebendort in Anm. [94] S.383 die Lite­<br />

ratur zu dieser Frage <strong>und</strong> im Kommentar S. 596 die heutige<br />

Auffassung.<br />

[25] Es ist wohl zu beachten, daß es sich um einen Verbre­<br />

cher han<strong>de</strong>lt, <strong>de</strong>ssen To<strong>de</strong>sstrafe <strong>de</strong>m Gemeinwohl zugeordnet<br />

wird. Es wi<strong>de</strong>rspräche völlig <strong>de</strong>m Gedanken <strong>de</strong>s hl. Thomas,<br />

wollte man <strong>de</strong>n Satz dahin auslegen, daß überhaupt je<strong>de</strong><br />

Tötung, „sofern sie auf das Wohl <strong>de</strong>r ganzen Gemeinschaft hin­<br />

geordnet ist", erlaubt sei.<br />

[26] Vgl. hierzu Canon 9 <strong>de</strong>s 4. Laterankonzils (1215): „Kein<br />

Kleriker darf ein To<strong>de</strong>surteil befehlen o<strong>de</strong>r fällen, auch darf er<br />

die To<strong>de</strong>sstrafe nicht ausführen o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Vollstreckung beiwoh­<br />

nen."<br />

[27] Thomas spricht hier von <strong>de</strong>r doppelten <strong>Recht</strong>sausrü­<br />

stung eines Klerikers (Bischofs o<strong>de</strong>r Abtes): <strong>de</strong>r kirchlichen <strong>und</strong><br />

<strong>de</strong>r weltlichen. Ein Bischof konnte damals als weltlicher Fürst<br />

249


auch die Jurisdiktion in weltlichen Dingen haben. Er hätte also<br />

an sich auch die rechtliche Befugnis haben müssen, die To<strong>de</strong>s­<br />

strafe zu verhängen. „Dennoch", so sagt Cajetan, <strong>de</strong>r diese<br />

Stelle im Sinne <strong>de</strong>s hl. Thomas erklärt, „war es klar, daß ein<br />

Bischof als weltlicher Herr nicht ein To<strong>de</strong>surteil fällen, Krieg<br />

führen <strong>und</strong> ähnliches vollführen kann, was er zwar könnte,<br />

wenn er nur weltlicher Herr wäre. Jedoch wird die weltliche<br />

Herrschaft durch die geistliche gemäßigt, so daß, was immer<br />

sich für <strong>de</strong>n Prälaten nicht ziemt, auch <strong>de</strong>m Herrn nicht ziemt,<br />

<strong>de</strong>r zugleich Prälat <strong>und</strong> Herr ist."<br />

[28] Der Artikel hat seine beson<strong>de</strong>re geschichtliche Be<strong>de</strong>u­<br />

tung im Hinblick auf die Sekte <strong>de</strong>r Katharer. Manche „Vollkom­<br />

menen" (die Vollkommenen bil<strong>de</strong>ten <strong>de</strong>n Kern <strong>de</strong>r Sekte),<br />

namentlich solche, die in schwerer Krankheit die sogenannte<br />

Geistestaufe empfangen hatten, suchten die Gefahr <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong><br />

<strong>und</strong> damit eine Verletzung <strong>de</strong>s Sakramentes dadurch zu ver­<br />

mei<strong>de</strong>n, daß sie sich <strong>de</strong>m Hungertod (Endura) preisgaben. Vgl.<br />

Bihlmeyer-Tüchle, Kirchengeschichte, 2.Teil: Das Mittelalter,<br />

1948 12 , S.212.<br />

[29] Cajetan gibt in seinem Kommentar <strong>de</strong>n Sinn <strong>de</strong>s Arti­<br />

kels treffend wie<strong>de</strong>r: „Auf zweifache Weise kann die Tötung <strong>de</strong>s<br />

an<strong>de</strong>rn auf die Bewahrung <strong>de</strong>s eigenen Lebens hingeordnet<br />

sein: 1. als Mittel zum Ziel, 2. als Folge aus <strong>de</strong>r Notwendigkeit<br />

<strong>de</strong>s Zieles ... Sowohl das Ziel wie das Mittel zum Ziele fallen<br />

unter die Absicht, wie dies beim Arzt offenbar ist, <strong>de</strong>r durch<br />

einen Trunk o<strong>de</strong>r eine Diät die Ges<strong>und</strong>heit beabsichtigt. Das<br />

aber, was aus <strong>de</strong>r Notwendigkeit <strong>de</strong>s Zieles sich ergibt, fällt<br />

nicht unter die Absicht, son<strong>de</strong>rn ergibt sich als etwas Nicht-<br />

Beabsichtigtes, wie dies z.B. bezüglich <strong>de</strong>r Schwächung <strong>de</strong>s<br />

Kranken, die aus <strong>de</strong>r heilen<strong>de</strong>n Medizin folgt, offenbar ist.<br />

Gemäß diesen bei<strong>de</strong>n Arten kann je verschie<strong>de</strong>n eine Amtsper­<br />

son <strong>und</strong> eine Privatperson erlaubterweise töten. Die Amtsper­<br />

son ordnet wie <strong>de</strong>r Soldat die Tötung <strong>de</strong>s Fein<strong>de</strong>s als Mittel auf<br />

das <strong>de</strong>m Gemeinwohl untergeordnete Ziel hin... Die Privat­<br />

person hat nicht die Absicht zu töten, um sich zu retten, son­<br />

<strong>de</strong>rn beabsichtigt, sich zu retten <strong>und</strong> sich <strong>de</strong>r Selbstverteidigung<br />

nicht zu enthalten, auch wenn aus dieser sich <strong>de</strong>r Tod <strong>de</strong>s<br />

an<strong>de</strong>rn notwendigerweise ergeben wür<strong>de</strong>. Und so tötet dieser<br />

nur beiläufig, jener aber an sich."<br />

250


[30] Thomas spricht hier von <strong>de</strong>n Irregularitäten, wodurch<br />

<strong>de</strong>rjenige, welcher ihnen verfallen ist, sowohl von <strong>de</strong>m Empfang<br />

einer Weihevollmacht ausgeschlossen wie auch an <strong>de</strong>ren Aus­<br />

übung gehin<strong>de</strong>rt ist. Abgesehen von gewissen schuldhaften<br />

Handlungen, auf welche eine Irregularität folgt, anerkennt das<br />

kanonische <strong>Recht</strong> auch Irregularitäten auf Gr<strong>und</strong> irgendwel­<br />

cher äußerer, <strong>de</strong>m Stand <strong>de</strong>s Klerikers wi<strong>de</strong>rsprechen<strong>de</strong>r<br />

Unziemlichkeiten. Unter diese gehörte zu Thomas' Zeiten<br />

auch die unfreiwillige Tötung in <strong>de</strong>r Selbstverteidigung. Heute<br />

jedoch nicht mehr, ebenso wenig <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re von Thomas<br />

erwähnte Fall.<br />

[31] Unzucht <strong>und</strong> Ehebruch sind an sich schlecht, können<br />

also niemals auf ein gutes Ziel hingeordnet wer<strong>de</strong>n. Dagegen ist<br />

die Tötung eines Menschen in sich nicht schlecht; <strong>de</strong>nn sie<br />

geschieht auch auf gerechte Weise, wie z. B. in <strong>de</strong>r Vollstrek-<br />

kung eines gerechten To<strong>de</strong>surteils.<br />

[32] /. Le Foyer (Expose du droit penal normand au XIIP<br />

siecle, Paris 1931,53) berichtet von einer Bestimmung <strong>de</strong>s nor­<br />

mannischen <strong>Recht</strong>s <strong>de</strong>s 13. Jahrh<strong>und</strong>erts, wonach <strong>de</strong>rjenige,<br />

<strong>de</strong>r einen an<strong>de</strong>rn durch Zufall getötet hat, zwar keiner Strafe<br />

unterliegt, jedoch die von <strong>de</strong>r Kirche verhängte Buße überneh­<br />

men muß.<br />

[33] Der Einwand ist in seinem logischen Aufbau ziemlich<br />

verwickelt. Es han<strong>de</strong>lt sich in diesem Artikel um die Beleidigun­<br />

gen, die man jeman<strong>de</strong>m zufügt, <strong>de</strong>r mit einer an<strong>de</strong>rn Person<br />

(Hauptperson) als verwandt angenommen wird. Z.B. sei <strong>de</strong>r<br />

Ehemann die in Frage stehen<strong>de</strong> Hauptperson. Wer nun die Ehe­<br />

frau beleidigt, beleidigt zugleich <strong>de</strong>n Mann. Nun ist aber die<br />

Frau, wenn sie freiwillig mit einem frem<strong>de</strong>n Manne Unzucht<br />

treibt, selbst nicht beleidigt (<strong>de</strong>nn gemäß 59,3 ist niemand<br />

Opfer einer Beleidigung, wenn er mit <strong>de</strong>r Handlung <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>rn<br />

einverstan<strong>de</strong>n ist). Also, so scheint es, kann auch <strong>de</strong>r Mann<br />

nicht beleidigt sein, weil <strong>de</strong>r Mann als verwandte Hauptperson<br />

nur beleidigt wird, sofern seine Verwandte, d. h. in diesem Falle<br />

die Ehefrau, wirklich beleidigt ist.<br />

[34] Der Ausdruck „Besitz" darf nicht etwa schon im Sinne<br />

von Privateigentum aufgefaßt wer<strong>de</strong>n. Im Vergleich zu <strong>de</strong>n Be-<br />

251


griffenproprietas (Eigentum) <strong>und</strong> dominium (Herrschaft) ist <strong>de</strong>r<br />

Begriff possessio (Besitz) <strong>de</strong>r allgemeinste bei Thomas (vgl.<br />

hierzu: C. Spicq, Notes <strong>de</strong> lexicographie philosophique medie-<br />

vale: „Dominium, possessio, proprietas" chez S.Thomas et<br />

chez les juristes romains, RSPTh 18, 1929, 269-281; <strong>de</strong>rs., La<br />

notion analogique <strong>de</strong> „Dominium" et le droit <strong>de</strong> propriete,<br />

RSPTh 20,1931,52-76). Wenn also Thomas hier erklärt, daß es<br />

<strong>de</strong>m Menschen natürlich sei, die äußeren Güter zu besitzen,<br />

dann hat dies noch nichts mit einer Verteidigung <strong>de</strong>s Naturrech­<br />

tes auf Privateigentum zu tun. Der Artikel ist keineswegs ari­<br />

stotelisch (vgl. Anm. [5]). Er hält sich voll <strong>und</strong> ganz in <strong>de</strong>r Linie<br />

<strong>de</strong>r Väter. Eine aristotelische Auslegung allerdings müßte aus<br />

diesem Artikel herauslesen, <strong>de</strong>r Einzelmensch habe eine natür­<br />

liche Veranlagung, die Dinge für sich selbst zu besitzen, ent­<br />

sprechend <strong>de</strong>m aristotelischen Gedanken, daß <strong>de</strong>r Mensch von<br />

Natur (!) zunächst auf das eigene Wohl <strong>und</strong> dann erst auf das<br />

Gemeinwohl abziele. Doch kann hiervon in unserem Artikel<br />

keine Re<strong>de</strong> sein, wenngleich Thomas <strong>de</strong>n Philosophen Aristote­<br />

les als Gewährsmann heranzieht. Thomas bleibt hier <strong>de</strong>m alt­<br />

christlichen Gedankengut treu, daß Gott die Welt für <strong>de</strong>n Men­<br />

schen geschaffen habe, damit <strong>de</strong>r Mensch, nicht irgen<strong>de</strong>in ein­<br />

zelner, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Mensch überhaupt, sie zu Seiner Ehre<br />

„benütze", d. h. über die Dinge herrsche, sie sich zu eigen mache,<br />

soweit die Dinge überhaupt <strong>de</strong>m Menschen gehorchen können.<br />

Es ist also auch nicht, wie man es gemeint hat, davon die Re<strong>de</strong>,<br />

daß <strong>de</strong>r Einzelmensch nur ein N<strong>utz</strong>recht habe. Denn sobald man<br />

<strong>de</strong>n Einzelmenschen einführt, steigt man ins Private hinab.<br />

Thomas will aber hier nicht vom Individuellen <strong>und</strong> Privaten<br />

re<strong>de</strong>n. Der Einzelne wird gegen <strong>de</strong>n Einzelnen nicht abgeho­<br />

ben. Es ist nur die Re<strong>de</strong> vom Menschen als solchem. Dieser<br />

Mensch ist eine abstrakte, i<strong>de</strong>elle Größe, die zwar potentiell die<br />

einzelnen in sich birgt, aber nicht ausspricht. Es ist daher meta­<br />

physisch unmöglich, daß im ersten Artikel von Privateigentum<br />

gesprochen wer<strong>de</strong>. Aus <strong>de</strong>mselben Gr<strong>und</strong> ist es aber auch aus­<br />

geschlossen, daß irgendwie ein Kollektiv gemeint sei; <strong>de</strong>nn die<br />

Vorstellung <strong>de</strong>s Kollektivs schließt bereits <strong>de</strong>n ausdrücklichen<br />

Gedanken an die vielen in sich, die als viele eins sein sollen. Der<br />

Universalbegriff „Mensch" ist kein Kollektivbegriff, er ist eine<br />

Einheit, die potentiell viele einschließt. In diesem Zusammen­<br />

hang ist es zu begreifen, daß Thomas, <strong>de</strong>r die ganze Ethik <strong>de</strong>s<br />

<strong>Recht</strong>s unter <strong>de</strong>m Gesichtspunkt <strong>de</strong>r universalen natura<br />

252


humana sieht, nicht sagen konnte, das „Privateigentum" sei<br />

„naturrechtlich" im Sinne <strong>de</strong>r natura humana. In <strong>de</strong>r natura<br />

humana gibt es eben noch kein „privat", wie ebensowenig ein<br />

„kollektiv".<br />

Dieses nach <strong>de</strong>m Privaten <strong>und</strong> <strong>de</strong>m Kommunistischen (Kol­<br />

lektiven) hin noch Indifferentsein <strong>de</strong>r materiellen Güter<br />

bezeichnet man als negativen Kommunismus.<br />

Von hier aus ergeben sich nun zunächst zwei Möglichkeiten<br />

<strong>de</strong>s Abstiegs ins Individuelle:<br />

X.Privateigentum, 2.Gütergemeinschaft (Kollektivbesitz),<br />

d. h. positiver Kommunismus, <strong>de</strong>r natürlich verschie<strong>de</strong>n stark<br />

ausgeprägt sein kann (bezüglich <strong>de</strong>r Produktionsgüter <strong>und</strong><br />

Konsumgüter). Der positive Kommunismus aber ist wie<strong>de</strong>rum<br />

doppelt möglich: a) als ethischer Kommunismus, insofern alle<br />

Einzelglie<strong>de</strong>r aus innerer Freiheit <strong>und</strong> I<strong>de</strong>alismus alles ins<br />

Gemeinwohl tragen (in diesem Sinne sprachen die Kirchenväter<br />

im allgemeinen von <strong>de</strong>r Gütergemeinschaft <strong>de</strong>s Paradiesesmen­<br />

schen <strong>und</strong> sprachen sich manche Väter für das I<strong>de</strong>al <strong>de</strong>s Kom­<br />

munismus auch nach <strong>de</strong>m Sün<strong>de</strong>nfalle aus); b) als rechtlicher<br />

Zwangskommunismus. Thomas nimmt nun erst hier, wo es<br />

darum geht, vom negativen Kommunismus aus sich für eine <strong>de</strong>r<br />

potentiell <strong>de</strong>nkbaren Formen <strong>de</strong>r konkreten Verwirklichung<br />

<strong>de</strong>r Eigentumsordnung zu entschei<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>n aristotelischen<br />

Gedanken auf. Das Privateigentum wird darum bei ihm erst<br />

zum Naturrecht in <strong>de</strong>r konkreten Situation <strong>de</strong>r menschlichen<br />

Natur, nicht schon in <strong>de</strong>r natura humana als solcher (vgl. <strong>de</strong>n<br />

Kommentar).<br />

[35] Die Stelle stammt aus Cicero, <strong>de</strong>r sie seinerseits Chrysipp<br />

entleiht (vgl. Kommentar).<br />

[36] Thomas zitiert diesen Augustinustext wohl im Hinblick<br />

auf die damals die Kirche stark beunruhigen<strong>de</strong>n Apostoliker<br />

o<strong>de</strong>r Apostelbrü<strong>de</strong>r, die auf Gerard Segarelli von Parma zurück­<br />

gehen. Dieser versuchte, von <strong>de</strong>n Franziskanern abgewiesen,<br />

seit 1260 in eigener Institution <strong>und</strong> unabhängig von <strong>de</strong>r kirchli­<br />

chen Obrigkeit mit Gleichgesinnten das apostolische Leben in<br />

Armut <strong>und</strong> Wan<strong>de</strong>rpredigt zu erneuern. Honorius IV. (1286)<br />

<strong>und</strong> Nikolaus IV (1290) haben gegen die Bru<strong>de</strong>rschaft dieser<br />

„Pseudoapostel" scharfe Verbote erlassen. Gerard Segarelli<br />

wur<strong>de</strong> 1294 von <strong>de</strong>r Inquisition zu dauern<strong>de</strong>m Kerker verurteilt<br />

253


<strong>und</strong> 1300 als „rückfälliger Häretiker" verbrannt. Vgl. Bihlmeyer-<br />

Tüchle, a. a. 0.309.<br />

[37] Daß das Privateigentum durch eine „Ausweitung", d. h.<br />

einen logischen Denkprozeß zum allgemeinen Naturrecht<br />

erschlossen wird, läßt sich leicht begreifen, wenn man sich an<br />

das in Anm. [34] Gesagte erinnert, daß nämlich im allgemeinen<br />

Naturrecht (d. h. in jenem <strong>Recht</strong>, das in <strong>de</strong>r allgemeinen natura<br />

humana unmittelbar enthalten ist) nur <strong>de</strong>r negative Kommunis­<br />

mus steht.<br />

[38] Die isidorische Wort<strong>de</strong>utung stützt sich auf die Institu­<br />

tionen Justinians (IV. I §2). Etymologisch ist sie nicht richtig.<br />

Der Stamm von furtum ist für, <strong>und</strong> für kommt vom griechischen<br />

phor (= Dieb). Was nun die inhaltliche Verwandtschaft angeht,<br />

so steht, wie Thomas in Fr. 108,8 Zu 3 sagt, furtum (Diebstahl)<br />

<strong>de</strong>m Begriff fraus (Betrug) nahe.<br />

[39] Thomas gibt hier eine Erklärung <strong>de</strong>r Justinianischen<br />

Institutionen (IV, I §9). Dort wird nämlich als Gegenstand <strong>de</strong>s<br />

Diebstahls dasjenige bezeichnet, was in <strong>de</strong>r Gewalt <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>rn<br />

steht. Da die Gattin nicht als willenlose Sache unter <strong>de</strong>r Gewalt<br />

<strong>de</strong>s Mannes steht, kann die Entführung <strong>de</strong>r Gattin nicht als<br />

Diebstahl bezeichnet wer<strong>de</strong>n. Dagegen haben die Justiniani­<br />

schen Institutionen die heimliche Entführung eines Kin<strong>de</strong>s als<br />

Diebstahl angesehen.<br />

[40] Es klingt vielleicht eigenartig, wenn Thomas hier <strong>de</strong>m<br />

Dieb einer Sache ein gewisses <strong>Recht</strong> auf die Sache einräumt.<br />

Und <strong>de</strong>nnoch hat <strong>de</strong>r Dieb die Sache nicht ganz rechtsunab­<br />

hängig in Besitz, insofern er, solange er die gestohlene Sache<br />

nicht zurückgegeben hat, die Pflicht hat, dieselbe im Interesse<br />

<strong>de</strong>s Eigentümers unversehrt zu bewahren. Wenn also ein Eigen­<br />

tümer seine Sache auf geheimem Wege zurückholen wollte,<br />

dann wür<strong>de</strong> er damit die innere sittliche Verpflichtung <strong>de</strong>s Die­<br />

bes zur Rückgabe nicht beheben, da <strong>de</strong>r Dieb immer noch sitt­<br />

lich als Dieb zu betrachten ist, wenngleich er es vielleicht posi­<br />

tivrechtlich nicht mehr sein mag. Vgl. Art. 5 Zu 1.<br />

[41] Das Beispiel vom Raub <strong>de</strong>r Israeliten in Ägypten fin<strong>de</strong>t<br />

sich bereits bei Irenaus. Vgl. Kommentar zu 66,2.<br />

254


[42] Vgl. Anm. [40]. Thomas beweist hier wie<strong>de</strong>rum seinen<br />

Sinn für die Ordnung in <strong>de</strong>r Gesellschaft. Der or<strong>de</strong>ntliche Weg,<br />

seine Habe aus Diebeshand zurückzuholen, ist nicht die<br />

geheime Heimholung, son<strong>de</strong>rn, sofern <strong>de</strong>r Dieb sie nicht frei­<br />

willig zurückerstattet, <strong>de</strong>r gerichtliche Prozeß.<br />

[43] Die Lehre <strong>de</strong>s Artikels wird leicht einsichtig, wenn man<br />

sich vergegenwärtigt, daß <strong>de</strong>r ursprüngliche Sinn <strong>de</strong>r Güterwelt<br />

nicht <strong>de</strong>r einzelne, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Mensch überhaupt ist. Vgl.<br />

Anm. [34] <strong>und</strong> [37] sowie Kommentar zu 66,2. Auch hier wird<br />

wie<strong>de</strong>r einmal mehr <strong>de</strong>utlich, wie stark Thomas es mit <strong>de</strong>r<br />

Väterlehre vom negativen Kommunismus hält.<br />

[44] Die augustinische Auffassung hängt mit <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r<br />

Stoa beeinflußten Lehre zusammen, daß man nur das in Wirk­<br />

lichkeit als sein Eigentum betrachten könne, wovon man einen<br />

sittlich-guten Gebrauch macht. Da nun die Ungläubigen keinen<br />

für das ewige Leben gültigen Gebrauch von <strong>de</strong>n Gütern<br />

machen können, so scheinen sie vom Eigentumsrecht ausge­<br />

schlossen zu sein. Vgl. Kommentar zu 66,2, wo die Väterlehre<br />

<strong>de</strong>s näheren dargestellt ist.<br />

[45] Thomas sieht in <strong>de</strong>r Scham eine Furchtempfindung, die<br />

sowohl vor wie nach <strong>de</strong>r schlechten Tat steht. Denn theologisch<br />

gesehen ist es je<strong>de</strong>smal dieselbe Furcht vor <strong>de</strong>m einen ewigen<br />

Richter, <strong>de</strong>r vor einer schlechten Tat warnt, wie Er auch nachher<br />

sie zu strafen willens ist.<br />

[46] Ein Kloster ist exemt, wenn es <strong>de</strong>r bischöflichen Juris­<br />

diktion entzogen ist.<br />

[47] Wie <strong>de</strong>r Kommentar von Cajetan beweist, wur<strong>de</strong> die<br />

Frage <strong>de</strong>s Artikels viel diskutiert. Die rechtsformalistische<br />

Ansicht <strong>de</strong>s hl. Thomas, wonach <strong>de</strong>r Richter nicht nach eige­<br />

nem, wenn auch noch so sicherem Wissen, son<strong>de</strong>rn nach <strong>de</strong>n<br />

Zeugenaussagen, d.h. nach <strong>de</strong>r rechtlichen Form zu urteilen<br />

habe, scheint in <strong>de</strong>r Tat gegen das Naturrecht zu stehen, gemäß<br />

welchem ein Unschuldiger ein naturgegebenes <strong>Recht</strong> auf Frei­<br />

spruch hat. Heute tritt ein Richter, <strong>de</strong>r nach privatem Wissen<br />

„gerechter" zu urteilen versteht als nach <strong>de</strong>m Wissen, das er<br />

durch die Zeugenaussagen gewinnt, in <strong>de</strong>n Ausstand. Auch<br />

255


Thomas kennt diese Pflicht <strong>de</strong>s Richters, wie aus 64,6 Zu 3 her­<br />

vorgeht. Damit ist <strong>de</strong>m Artikel je<strong>de</strong> Härte genommen.<br />

[48] Vgl. hierzu E. Chenon, Histoire generale du Droit fran-<br />

cais publique et prive <strong>de</strong>s origines ä 1815,1, Paris 1926, 663:<br />

„Das Prozeßverfahren war dasselbe in Zivil- <strong>und</strong> in Strafsa­<br />

chen. In Strafsachen gab es nämlich keine amtliche Klage. Das<br />

Verfahren ging immer vom Kläger aus, d. h. die rechtliche Ver­<br />

folgung war einzig Sache <strong>de</strong>s Beleidigten o<strong>de</strong>r von <strong>de</strong>ssen Ver­<br />

wandten. Wenn diese nicht eingriffen, gab es keinen Prozeß,<br />

auch nicht in Strafsachen". Dagegen steht die Entwicklung zum<br />

Inquisitionsverfahren. Vgl. Anmerkung [51].<br />

[49] Wir übersetzen hier „sufficiens" sinngemäß mit „voll­<br />

gültig", nicht mit „genügend". Denn es ist Thomas hier um eine<br />

wirksame, nicht etwa nur hinlängliche Zeugenaussage zu<br />

tun. Vgl. zum Begriff „sufficiens" M.-D. Chenu, Sufficiens, in<br />

RSPTh 22, 1933, 251-259.<br />

[50] Das gerichtliche Verfahren war bis ins 12. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

hinein nur mündlich. Erst gegen En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s 12. Jahrh<strong>und</strong>erts tritt<br />

<strong>de</strong>r Gerichtsschreiber auf. Vgl. E. Chenon, a. a. 0.663.<br />

[51] Thomas <strong>de</strong>utet hier bereits das Verfahren <strong>de</strong>s Inquisi­<br />

tionsprozesses an. Im Gegensatz zum Anklageprozeß über­<br />

nimmt hier das Gericht selbst die Aufspürung <strong>de</strong>s strafwürdi­<br />

gen Gegenstan<strong>de</strong>s, meist geführt durch eine Anzeige (nicht also<br />

durch eine eigentliche Klage). Vgl. E. Chenon, a. a. 0.712f. All­<br />

gemein über die Entwicklung <strong>de</strong>s Inquisitionsverfahrens orien­<br />

tiert <strong>de</strong>r Artikel „Inquisition" von G. Schnürerim LThK V, 1933,<br />

419ff.<br />

[52] Durch die Anklage tritt nach Ansicht <strong>de</strong>s hl. Thomas <strong>de</strong>r<br />

Kläger nach Art eines Prozeßkontraktes mit <strong>de</strong>m Angeklagten<br />

in das Verhältnis <strong>de</strong>r strengen <strong>Gerechtigkeit</strong> (Verkehrsgerech­<br />

tigkeit) . Der Kläger verstößt gegen diese <strong>Gerechtigkeit</strong>, wenn er<br />

<strong>de</strong>n Angeklagten entwe<strong>de</strong>r verleum<strong>de</strong>t o<strong>de</strong>r mit ihm gemein­<br />

same Sache macht o<strong>de</strong>r unbegrün<strong>de</strong>terweise vom begonnenen<br />

Prozeß zurücksteht. Vgl. E. Chenon, a. a. 0.711.<br />

[53] Mit <strong>de</strong>m Freispruch <strong>de</strong>s Angeklagten war die richter­<br />

liche Aufgabe noch nicht erschöpft. Der Richter hatte ebenfalls<br />

256


zu untersuchen, auf welcher Gesinnung die falsche Anklage<br />

eigentlich beruhte. Vgl. E. Chenon, a.a.O.712.<br />

[54] Das jus talionis, von <strong>de</strong>m hier die Re<strong>de</strong> ist, be<strong>de</strong>utet die<br />

Vergeltung durch Gleiches. Sosehr auch dieses <strong>Recht</strong> sich aus<br />

<strong>de</strong>r Geschichte entwickelt haben mag, so ist es doch in <strong>de</strong>r<br />

Metaphysik von Sün<strong>de</strong> <strong>und</strong> Strafe begrün<strong>de</strong>t, wie im Kommen­<br />

tar von 64,2 ausgeführt ist.<br />

[55] Der „Ehrverlust" ist doppelt: entwe<strong>de</strong>r vom Richter<br />

ausgesprochen o<strong>de</strong>r auf Gr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r öffentlichen Tat selbst. Von<br />

letzterem spricht Thomas in 67,3 Zu 2.<br />

[56] Die Antworten <strong>de</strong>s Angeklagten hatten nach <strong>de</strong>r stren­<br />

gen Form <strong>de</strong>r Frage zu erfolgen. Vgl. E. Chenon, a. a. 0.667f.<br />

[57] Calumnia ist im Prozeßrecht die Schikane, d. h. das<br />

bewußte Vorgehen mit unwahren Behauptungen o<strong>de</strong>r unge­<br />

rechtfertigten Anträgen. Als Sch<strong>utz</strong> gegen die Schikane wur<strong>de</strong><br />

<strong>de</strong>r hier erwähnte Kalumnieneid auferlegt, d. h. <strong>de</strong>r Schwur, daß<br />

man nicht aus Schikane handle. Vgl. „calumnia" in Heumanns<br />

Handlexikon zu <strong>de</strong>n Quellen <strong>de</strong>s Römischen <strong>Recht</strong>s. 9. Auflage<br />

von E. Seckel, Jena 1914, 52.<br />

[58] Unter „Klugheit" ist hier nicht etwa die „Gerissenheit",<br />

son<strong>de</strong>rn die sittliche Klugheit zu verstehen.<br />

[59] Es han<strong>de</strong>lt sich hier um Befreiung jeglicher Art, z. B. von<br />

väterlicher Gewalt, von einem bisher bestan<strong>de</strong>nen Dienstver­<br />

hältnis.<br />

[60] Bezüglich <strong>de</strong>r Unterscheidung <strong>de</strong>r Begriffe vgl. Kom­<br />

mentar zu diesem Artikel.<br />

[61] Die Sün<strong>de</strong> be<strong>de</strong>utet eine zweifache Bewegung: eine<br />

Hinwendung auf ein verbotenes Gut <strong>und</strong> eine Abkehr vom<br />

guten Ziel. Im Anschluß an diese doppelte Betrachtungsweise<br />

<strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> haben die Scholastiker lange Traktate über <strong>de</strong>n<br />

Wesensbestandteil <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> geschrieben. Es ging dabei um die<br />

Frage, ob die Sün<strong>de</strong> zunächst <strong>und</strong> zuerst wesentlich in <strong>de</strong>r Hin­<br />

wendung auf ein verbotenes Gut o<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Abkehr von <strong>de</strong>m<br />

257


guten Ziel bestehe. Das Textmaterial weist bei Thomas nach<br />

bei<strong>de</strong>n Richtungen. Auch <strong>de</strong>r Text hier ist nicht ein<strong>de</strong>utig.<br />

[62] Thomas macht hier <strong>de</strong>n etwas spitzfindig erscheinen<strong>de</strong>n<br />

Unterschied zwischen Verhöhnung <strong>und</strong> Verspottung. Die Ver­<br />

höhnung äußert sich in überheblichem Naserümpfen, die Ver­<br />

spottung dagegen in Worten <strong>und</strong> tönen<strong>de</strong>m Lachen. In <strong>de</strong>r Tat<br />

aber steckt hierin eine feinsinnige Psychologie. Gera<strong>de</strong> im<br />

Naserümpfen kann ein Mensch wortlos seine Verachtung ge­<br />

genüber <strong>de</strong>m Nächsten in sehr empfindlicher Weise zum Aus­<br />

druck bringen. Wir sprechen in etwas an<strong>de</strong>rem Zusammenhang<br />

auch von „Hochnäsigkeit".<br />

[63] Man könnte meinen, es scha<strong>de</strong> <strong>de</strong>m Nächsten weiter<br />

nicht, wenn man ihm persönlich unter vier Augen die Fehler<br />

vorhalte, <strong>de</strong>nn we<strong>de</strong>r guter Ruf noch Ehre stän<strong>de</strong>n im Spiel.<br />

Dagegen bemerkt Thomas — <strong>und</strong> hier verrät er wie<strong>de</strong>r einmal<br />

mehr <strong>de</strong>n feinsinnigen Psychologen —, daß <strong>de</strong>r Nächste in sei­<br />

nem seelischen Gleichgewicht <strong>de</strong>nnoch schwerstens getroffen<br />

wer<strong>de</strong>, was schon sein Erröten anzeige. Wieviel seelisches<br />

Unheil hat falscher Ta<strong>de</strong>l schon angerichtet in <strong>de</strong>r Erziehung!<br />

Uberaus treffend setzt Thomas diese durch unangebrachten<br />

Ta<strong>de</strong>l zerstörte Selbstsicherheit <strong>de</strong>s eigenen Gewissens <strong>de</strong>m<br />

Verlust <strong>de</strong>r „gloria conscientiae", d. h. <strong>de</strong>s Ruhmes <strong>de</strong>s Gewis­<br />

sens gleich.<br />

[64] Thomas unterschei<strong>de</strong>t mit Aristoteles drei Arten von<br />

Fre<strong>und</strong>schaften (vgl. Kommentar in Eth.VIII, lectio 3, Ed.<br />

Marietti 1563ff.): die vollkommene Fre<strong>und</strong>schaft, die auf Nut­<br />

zen beruhen<strong>de</strong> Fre<strong>und</strong>schaft <strong>und</strong> die auf geistigen Gewinn<br />

bedachte Fre<strong>und</strong>schaft. Fre<strong>und</strong>schaft ist immer gegenseitige<br />

Liebe, gemäß Augustinus „amicus amico amicus". In <strong>de</strong>r voll­<br />

kommenen Fre<strong>und</strong>schaft nun ist das Gut, das von bei<strong>de</strong>n Seiten<br />

her geliebt wird, die wahre sittliche Größe <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>rn. In <strong>de</strong>r<br />

auf N<strong>utz</strong>en beruhen<strong>de</strong>n Fre<strong>und</strong>schaft ist das bei<strong>de</strong>rseits<br />

geliebte Gut <strong>de</strong>r Vorteil, <strong>de</strong>n je<strong>de</strong>r vom an<strong>de</strong>rn hat. Diese ist die<br />

kaufmännische o<strong>de</strong>r Geschäftsfre<strong>und</strong>schaft, von <strong>de</strong>r im Text die<br />

Re<strong>de</strong> ist. In <strong>de</strong>r auf geistigen Gewinn bedachten wird das Ver­<br />

gnügen <strong>und</strong> die persönliche Freu<strong>de</strong> gesucht, welche die Fre<strong>und</strong>e<br />

einan<strong>de</strong>r bereiten.<br />

258


[65] Vgl. DT, Bd.24, Anm [111] zu 188,5, Einw. 1.<br />

[66] Der Darlehenszins galt als Sün<strong>de</strong>. Um diesen Sachver­<br />

halt auszudrücken, übersetzen wir nicht: „Von <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>s<br />

Wuchers", wenngleich usura gleich Wucher ist; <strong>de</strong>nn es ist hier<br />

bei Thomas mit Wucher die For<strong>de</strong>rung eines Darlehenszinses<br />

gemeint. Vgl. Näheres im Kommentar.<br />

[67] Vgl. DT, Bd.24, Anm [97], S. 319.<br />

[68] Hier wird Geld nicht mehr als Tauschmittel betrachtet,<br />

son<strong>de</strong>rn als Schmuck o<strong>de</strong>r Gegenstand <strong>de</strong>r Numismatik. Man<br />

kann also unter diesem zweiten Zweck, von <strong>de</strong>m Thomas hier<br />

spricht, nicht etwa die Investition verstehen, wie C. Spicq es tut<br />

(S.Thomas d' Aquin, Somme Theologique, La Justice III, Paris-<br />

Tournai-Rome 1935, 345).<br />

[69] Thomas spricht hier von <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen Formen,<br />

gemäß <strong>de</strong>nen man sich für ein Darlehen einen Mehrwert aus­<br />

bitten könnte: als Handleistung (Geld für Geld), Leistung<br />

durch Worte (Lob, Gunst, wir wür<strong>de</strong>n heute sagen: „Bezie­<br />

hung"), Dienstleistung (Mithilfe im Haushalt, in <strong>de</strong>r Landbe­<br />

stellung, jegliche Arbeitsleistung).<br />

[70] Selbstre<strong>de</strong>nd kann je<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r einem an<strong>de</strong>rn einen Gefal­<br />

len erweist, von diesem die Gesinnung <strong>de</strong>r Dankbarkeit erwar­<br />

ten <strong>und</strong> sogar for<strong>de</strong>rn. Jedoch ist diese For<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Dankbar­<br />

keit nie rechtlich erzwingbar. Sie bleibt immer eine moralische<br />

For<strong>de</strong>rung. In diesem Sinne sagt Thomas hier, daß <strong>de</strong>rjenige,<br />

<strong>de</strong>r einem an<strong>de</strong>rn in Form eines an sich unentgeltlichen Darle­<br />

hens einen Gefallen erweist, von <strong>de</strong>m Darlehensnehmer Dank­<br />

barkeit „for<strong>de</strong>rn" (exigere) könne.<br />

[71] Die Antwort könnte vielleicht die Meinung nahelegen,<br />

daß Thomas <strong>de</strong>n eigentlichen Mehrgewinn ausschlösse <strong>und</strong> nur<br />

die Risikoprämie zulasse. Vgl. hierzu <strong>de</strong>n Kommentar.<br />

[72] Für Gelddarlehen mußte <strong>de</strong>r Darlehensempfänger zur<br />

Garantieleistung oft ein Pfand hinterlegen. Wenn dieses Pfand<br />

einen eigenen N<strong>utz</strong>wert bot, <strong>de</strong>r in Geld meßbar war, war <strong>de</strong>r<br />

259


Darlehensgeber verpflichtet, diesen N<strong>utz</strong>preis nachher zu Gun­<br />

sten <strong>de</strong>s Darlehensempfängers zu berechnen. Sonst hätte ein<br />

reiner Mehrgewinn durch Darlehen vorgelegen, was Wucher<br />

gleichkam.<br />

[73] Der Gedankengang dieses Artikels ist etwas verwickelt.<br />

Thomas nimmt zunächst <strong>de</strong>n Fall an, daß A <strong>de</strong>m B Konsum­<br />

güter (Weizen, Wein usw.) leihe <strong>und</strong> dafür Zins verlange in<br />

Form einer größeren als <strong>de</strong>r geliehenen Menge. Nun ist B an<br />

sich zur Rückgabe dieser Mehrmenge verpflichtet. B arbeitet<br />

aber mit diesem Mehr (z. B. durch Anpflanzen <strong>de</strong>s Weizens,<br />

durch Verkauf <strong>de</strong>s Weines im Kleinhan<strong>de</strong>l), wodurch er einen<br />

weiteren Mehrwert erzielt. Muß nun B dieses durch eigenen<br />

Fleiß dazuerworbene Quantum ebenfalls zurückerstatten?<br />

Thomas antwortet: Er brauche <strong>de</strong>m A nur die Darlehensgröße<br />

plus <strong>de</strong>m gefor<strong>de</strong>rten Mehr zurückzuerstatten, weil es sich um<br />

eine Sache handle, die in sich nicht produktiv sei. Produktiv war<br />

nach seiner Ansicht nur die Arbeit, es sei <strong>de</strong>nn, <strong>de</strong>m Eigentümer<br />

wäre irgendwie ein Scha<strong>de</strong>n entstan<strong>de</strong>n.<br />

Thomas führt nun weiter aus: Gesetzt <strong>de</strong>n Fall, <strong>de</strong>r Darle­<br />

hensgeber A verlange als Zins für die <strong>de</strong>m B geliehenen Kon­<br />

sumgüter irgendwelche Produktivgüter, wie ein Haus, einen<br />

Acker. Wie verhält es sich dann? Muß A nur das Haus zurücker­<br />

statten, das er auf Gr<strong>und</strong> eines „Wuchers" erworben hat, o<strong>de</strong>r<br />

auch <strong>de</strong>n Gewinn, <strong>de</strong>n er daraus gezogen hat? Thomas erklärt:<br />

er muß bei<strong>de</strong>s zurückerstatten, weil die Natur <strong>de</strong>s Hauses <strong>und</strong><br />

die <strong>de</strong>s Ackers produktiv ist.<br />

[74] Gemeint ist eine Tat, die unmittelbar aus sich eine Ver­<br />

führung zur Sün<strong>de</strong> be<strong>de</strong>utet, die also ein Ärgernis hervorruft.<br />

An<strong>de</strong>rs bei irgen<strong>de</strong>iner Tat, die unmittelbar keinen Zusammen­<br />

hang mit einem Ärgernis hat, die aber doch tatsächlich zum<br />

Ärgernis für an<strong>de</strong>re wird, weil die äußeren Umstän<strong>de</strong> ein sol­<br />

ches herbeiführen. Z. B. kann ein Journalist an sich aus Berufs­<br />

grün<strong>de</strong>n glaubensfeindliche Zeitungen lesen müssen. Er wür<strong>de</strong><br />

aber Ärgernis geben, wenn er es in <strong>de</strong>r Eisenbahn vor <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>­<br />

ren Fahrgästen tun wür<strong>de</strong>, weil die Mitfahren<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n Gr<strong>und</strong><br />

nicht kennen. In diesem Fall ist die Tat zwar aus sich nicht auf<br />

Ärgernis eingestellt. Das Ärgernis entsteht erst im an<strong>de</strong>rn, nicht<br />

vom Täter aus.<br />

260


[75] Die Gesetzesgerechtigkeit hat einen allgemeinen Wirk­<br />

kreis, da sie alle Tugen<strong>de</strong>n auf das Gemeinwohl ausrichtet.<br />

Darum be<strong>de</strong>utet sie für <strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r sie besitzt, also für ihren „Trä­<br />

ger", jegliche Tugend. Sowohl von <strong>de</strong>r sittlichen Verpflichtung<br />

<strong>de</strong>s Menschen wie auch vom umfassen<strong>de</strong>n Wirkkreis (Objekt)<br />

<strong>de</strong>r Tugend <strong>de</strong>r Gesetzesgerechtigkeit her wird also die Geset­<br />

zesgerechtigkeit zur universalen Tugend. Dies ist gemeint,<br />

wenn Thomas hier sagt, die Gesetzesgerechtigkeit sei sowohl<br />

für <strong>de</strong>n Träger wie gleichsam nach außen „je<strong>de</strong> Tugend". Die<br />

Ungerechtigkeit ist nun, wenn auch nicht vom Subjekt, so doch<br />

im äußeren Wirkkreis, d. h. im Objekt, eine allgemein umfas­<br />

sen<strong>de</strong> Sün<strong>de</strong>.<br />

261


KOMMENTAR


ZUR EINFÜHRUNG<br />

Dem mo<strong>de</strong>rnen Denken kommt bereits die Überschrift <strong>de</strong>s<br />

Traktats bei Thomas überraschend, wenn nicht gar befrem<strong>de</strong>nd<br />

vor. Denn „<strong>Recht</strong> <strong>und</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>" meint bei Thomas etwas<br />

an<strong>de</strong>res als in <strong>de</strong>r heutigen <strong>Recht</strong>sphilosophie. Wer heute von<br />

<strong>Recht</strong> <strong>und</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong> spricht, versteht darunter das beste­<br />

hen<strong>de</strong> <strong>Recht</strong> in seiner Beziehung zur I<strong>de</strong>e <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>.<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> ist dabei das I<strong>de</strong>al, das je<strong>de</strong>m gelten<strong>de</strong>n <strong>Recht</strong><br />

vorschweben soll, um „richtiges <strong>Recht</strong>" zu sein, ein I<strong>de</strong>al also,<br />

an <strong>de</strong>m alle <strong>Recht</strong>sbildung sich orientieren soll.<br />

Dagegen wird hier bei Thomas „<strong>Gerechtigkeit</strong>" in einem<br />

ganz an<strong>de</strong>ren Sinn verstan<strong>de</strong>n. Der Begriff ist tief verankert im<br />

ethischen Gefüge <strong>de</strong>s Traktats. <strong>Gerechtigkeit</strong> ist eine Tugend,<br />

eine persönliche Vollkommenheit, eine Festigkeit unseres Wil­<br />

lens, gerecht han<strong>de</strong>ln zu wollen <strong>und</strong> wirklich, d. h. durch die<br />

Tat, gerecht zu sein, wo immer wir es mit <strong>de</strong>m „<strong>Recht</strong>" als<br />

Gegenstand zu tun haben. Wir wer<strong>de</strong>n also mitten in die Ethik<br />

versetzt, in die Lehre von <strong>de</strong>n Tugen<strong>de</strong>n, von <strong>de</strong>n seelischen<br />

Verhaltensweisen im Hinblick auf das Gute. Das <strong>Recht</strong><br />

erscheint <strong>de</strong>mnach schon bei seinem ersten Auftreten in <strong>de</strong>r<br />

Summa als ein Gegenstand <strong>de</strong>s sittlich guten Willens. Das ist<br />

zwar nicht ganz überraschend, <strong>de</strong>nn auch die mo<strong>de</strong>rne <strong>Recht</strong>s­<br />

philosophie hält dafür, daß das <strong>Recht</strong> ein wahres Gut sei, ein<br />

Gut <strong>de</strong>r Ordnung, ein Gut <strong>de</strong>r Gesellschaft. Daß aber <strong>de</strong>r ein­<br />

zelne dieses Gut zum Gegenstand eigenen persönlichen sittli­<br />

chen Strebens macht, kümmert sie dann weniger o<strong>de</strong>r über­<br />

haupt nicht mehr. Der Begriff <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> kann daher, wo<br />

er in <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen <strong>Recht</strong>sphilosophie verwandt wird, nicht<br />

diesen „Sprung" ins Persönlich-Verantwortliche <strong>de</strong>s einzelnen<br />

machen. Bei Thomas aber wird er gera<strong>de</strong> dorthin verlegt, <strong>und</strong><br />

dies nicht ohne Absicht, wie sich in <strong>de</strong>r Analyse <strong>de</strong>s Begriffs <strong>de</strong>s<br />

<strong>Recht</strong>s erweisen wird. Was die Mo<strong>de</strong>rnen unter <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

begreifen ist bei Thomas nicht ein i<strong>de</strong>alisiertes Gut, das hoch<br />

über <strong>de</strong>m Horizont <strong>de</strong>s Lebens als Leitstern voranleuchtet <strong>und</strong><br />

so vor <strong>de</strong>m <strong>Recht</strong> steht; vielmehr kann er das I<strong>de</strong>al, wonach<br />

<strong>Recht</strong> gebil<strong>de</strong>t wird, nur verstehen als etwas, das in sich selbst<br />

schon <strong>Recht</strong> ist.<br />

Von dieser Gr<strong>und</strong>schau <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> als sittlicher<br />

Tugend her ist erst die Einteilung <strong>de</strong>s Traktats verständlich: die<br />

Betrachtung <strong>de</strong>r Tugend <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> in sich (Fr. J7—60)<br />

265


<strong>und</strong> in ihren Teilen (Fr. 61—120), entsprechend <strong>de</strong>r Art <strong>de</strong>r<br />

Behandlung, wie sie Thomas sonst bei je<strong>de</strong>r sittlichen Tugend<br />

eingehalten hat. Es sei dabei in Erinnerung gerufen (vgl. DT,<br />

Bd. 11), daß <strong>de</strong>r Ausdruck „Teile <strong>de</strong>r Tugend" nichts zu tun hat<br />

mit einer quantitativen Auffassung, son<strong>de</strong>rn die verschie<strong>de</strong>nen<br />

Verwirklichungsweisen <strong>de</strong>r Tugend, entsprechend <strong>de</strong>r jeweili­<br />

gen Lagerung <strong>de</strong>s Objekts, be<strong>de</strong>utet. Das Nähere ergibt sich<br />

aus <strong>de</strong>r Darstellung <strong>de</strong>r einzelnen Teile.<br />

266


ERSTER TEIL<br />

DAS WESEN DER TUGEND<br />

DER GERECHTIGKEIT<br />

(Fr. 57-60)<br />

Erstes Kapitel<br />

DAS RECHT ALS GEGENSTAND<br />

DER TUGEND DER GERECHTIGKEIT<br />

(Fr. 57)<br />

I. Der Begriff <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s<br />

(Art. 1)<br />

Die Schlußfolgerung auf die <strong>de</strong>r erste Artikel in anscheinend 57. l<br />

umständlichen Wendungen hinausläuft, klingt für einen unbe­<br />

fangenen, nicht tiefer loten<strong>de</strong>n Leser selbstverständlich, kaum<br />

wert, daß darüber überhaupt ein Wort verloren wird: Gegen­<br />

stand <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> ist das <strong>Recht</strong>. Und doch verbirgt sich<br />

hinter diesem einfachen Schlußsatz das Problem, um das sich<br />

die <strong>Recht</strong>sphilosophie aller Jahrh<strong>und</strong>erte bemüht hat: Einheit<br />

o<strong>de</strong>r Mehrheit <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s.<br />

Der Positivismus faßt seine sämtlichen Gewinnchancen im<br />

Kampf mit <strong>de</strong>r Naturrechtslehre zusammen in <strong>de</strong>m monisti­<br />

schen Apriori: es gibt nur ein einziges <strong>Recht</strong>. Dieser Satz ergibt<br />

sich notwendig aus <strong>de</strong>r Auffassung <strong>de</strong>r Gesellschaft als einer<br />

rechtlich geordneten Gemeinschaft. Innerhalb einer rechtlichen<br />

Gemeinschaft kann doch nur ein einziges <strong>Recht</strong> gelten, sonst<br />

wür<strong>de</strong> die Einheit <strong>de</strong>r Gemeinschaft zerbrechen. Selbst die<br />

Naturrechtslehre kann auf dieses Apriori nicht verzichten,<br />

wenngleich sie vorstaatliche <strong>Recht</strong>e, also <strong>Recht</strong>e verteidigt, die<br />

vor <strong>de</strong>r faktischen <strong>und</strong> positiv gebil<strong>de</strong>ten <strong>Recht</strong>sgemeinschaft<br />

liegen, insofern sie im Fall einer <strong>Recht</strong>skollision <strong>de</strong>m einen,<br />

nämlich <strong>de</strong>m natürlichen <strong>Recht</strong> <strong>de</strong>n Vorzug geben muß. Man<br />

mag dabei von einer „Intoleranz", von einer Selbstüberhebung<br />

<strong>de</strong>s Naturrechts re<strong>de</strong>n. Aber sowohl das rein begriffliche als<br />

auch das praktische Denken zwingen zu diesem Schluß auf die<br />

Einheit <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s: das begriffliche Denken, insofern „<strong>Recht</strong>"<br />

als solches nicht zwei gegensätzliche Inhalte in gleicher Weise<br />

qualifizieren kann, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>n einen als <strong>Recht</strong>, <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren als<br />

Unrecht bezeichnen muß; das praktische Denken, insofern wir<br />

in <strong>de</strong>r Praxis zu irgen<strong>de</strong>iner Frie<strong>de</strong>nsordnung kommen müssen,<br />

267


57. l wenn zwei Parteien sich streiten. Mit einer Doppelspurigkeit<br />

<strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s kämen wir niemals zur Ruhe. In diesem Sinne mag,<br />

allerdings mit <strong>de</strong>r Verwahrung gegen die Anschuldigung <strong>de</strong>r<br />

Intoleranz <strong>de</strong>s Naturrechts, stimmen, was <strong>de</strong>r Positivist<br />

W. R. Beyer 1 sagt: „Es kann begrifflich nur ei« <strong>Recht</strong> geben. Der<br />

Begriff <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s steht über <strong>de</strong>r Erscheinungsform <strong>de</strong>sselben.<br />

Die Unteilbarkeit <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>sbegriffs zwingt das Naturrecht ja,<br />

im Wege einer Intoleranz sich selbst überzuordnen <strong>und</strong> alles<br />

positive <strong>Recht</strong> nur als Ausfluß, als Ausdruck, als Teil seiner<br />

selbst zu betrachten". Allerdings verrät dieser Text klar <strong>de</strong>n<br />

positivistischen, naturrechtlich unhaltbaren Gedanken, daß die<br />

Bestimmung <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s an sich überhaupt nichts mit <strong>de</strong>r<br />

Erscheinungsform, d. h. mit <strong>de</strong>r inhaltlichen Bestimmung <strong>de</strong>s­<br />

sen, was recht ist, zu tun habe. Wohl kann die Nominal<strong>de</strong>fini­<br />

tion <strong>de</strong>s allgemeinen Begriffs „<strong>Recht</strong>" von <strong>de</strong>n Inhalten, die als<br />

recht bezeichnet wer<strong>de</strong>n, absehen, niemals aber die Real<strong>de</strong>fini­<br />

tion <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s. Das bolschewistische <strong>Recht</strong> erfüllt nur die<br />

Nominal<strong>de</strong>finition, nicht aber die Real<strong>de</strong>finition von <strong>Recht</strong>. Es<br />

wird sogleich noch darauf eingegangen wer<strong>de</strong>n.<br />

Das Gr<strong>und</strong>anliegen einer konsequent <strong>de</strong>nken<strong>de</strong>n <strong>Recht</strong>swis­<br />

senschaft ist also damit erfüllt, daß Thomas klar <strong>und</strong> bestimmt<br />

herausstellt: Gegenstand <strong>de</strong>s gerechten Verhaltens ist einzig<br />

<strong>und</strong> allein das <strong>Recht</strong>. Nicht das <strong>Recht</strong> <strong>und</strong> eine <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />

d. h. nicht ein gelten<strong>de</strong>s <strong>Recht</strong> <strong>und</strong> eine diesem vorschweben<strong>de</strong><br />

i<strong>de</strong>ale <strong>Gerechtigkeit</strong> sind Gegenstand einer gerechten Hand­<br />

lung, son<strong>de</strong>rn einzig das <strong>Recht</strong>. Dieses <strong>Recht</strong> ist so ein<strong>de</strong>utig,<br />

wie je<strong>de</strong>s Maß, wonach zwei Dinge zu messen sind, ein<strong>de</strong>utig<br />

sein muß.<br />

Was ist nun das wesentliche Merkmal <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s? O<strong>de</strong>r bes­<br />

ser: Wie lautet die Definition <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s? 2 Bereits hier stellt sich<br />

die <strong>Recht</strong>swissenschaft als ein ziemlich <strong>und</strong>urchsichtiges<br />

Gebil<strong>de</strong> dar. Außer in <strong>de</strong>r Soziologie wur<strong>de</strong> wohl in keiner Wis­<br />

senschaft so um die Definition <strong>de</strong>s eigentlichen Gegenstands<br />

gestritten. Pascal bemerkt darum nicht ohne Gr<strong>und</strong>: „Eine<br />

Ortsverän<strong>de</strong>rung um drei Breitengra<strong>de</strong> macht die ganze<br />

<strong>Recht</strong>swissenschaft zunichte". Wohl hat er dabei mehr an das,<br />

was man als inhaltliches <strong>Recht</strong> bestimmt, als etwa an das <strong>Recht</strong><br />

1 W.R. Beyer, <strong>Recht</strong>sphilosophische Besinnung. Eine Warnung vor <strong>de</strong>r ewigen<br />

Wie<strong>de</strong>rkehr <strong>de</strong>s Naturrechts. 1947, 69.<br />

2 Vgl. hierzu A.F.Utz, Sozialethik, Teil II: <strong>Recht</strong>sphilosophie, 19—56.<br />

268


selbst gedacht. Die mo<strong>de</strong>rne <strong>Recht</strong>sphilosophie macht ganz 57. l<br />

richtig eine klare Unterscheidung zwischen <strong>Recht</strong> <strong>und</strong> <strong>de</strong>m,<br />

was recht ist. Ebenso bemüht sie sich heute, aus einem bereits<br />

in dieser Anfangsfrage sich vordrängen<strong>de</strong>n Positivismus heraus,<br />

um die Unterscheidung zwischen <strong>Recht</strong> <strong>und</strong> I<strong>de</strong>al <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s.<br />

Diese letzte Unterscheidung zwischen <strong>Recht</strong> <strong>und</strong> I<strong>de</strong>al <strong>de</strong>s<br />

<strong>Recht</strong>s hängt, wie wir sehen wer<strong>de</strong>n, zuinnerst mit <strong>de</strong>r Frage<br />

zusammen, ob das „richtige" <strong>Recht</strong> aus sich schon <strong>Recht</strong> sei.<br />

Zur Abklärung <strong>de</strong>r Definition <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s ist zuvor<strong>de</strong>rst die<br />

Unterscheidung zwischen <strong>Recht</strong> <strong>und</strong> <strong>de</strong>m <strong>Recht</strong>, d. h. <strong>de</strong>m, was<br />

recht ist, also <strong>de</strong>m Gerechten vonnöten. W.R. Beyer' drückt dies<br />

in <strong>de</strong>r Weise aus, daß er sagt, <strong>de</strong>r Frage nach <strong>de</strong>m <strong>Recht</strong> gehe die<br />

Frage nach <strong>Recht</strong> voraus; es sei erheblich, ob <strong>Recht</strong> o<strong>de</strong>r das<br />

jeweilige <strong>Recht</strong> in Frage gestellt sei. Bereits hier verbirgt sich ein<br />

gefährlicher Positivismus, sofern man es darauf absieht, <strong>Recht</strong><br />

von <strong>de</strong>m <strong>Recht</strong> o<strong>de</strong>r Gerechten nicht nur zu unterschei<strong>de</strong>n,<br />

son<strong>de</strong>rn zu trennen. Das Naturrechts<strong>de</strong>nken kann mit einer<br />

Trennung nicht einverstan<strong>de</strong>n sein. Es kann sich nur für eine<br />

Unterscheidung erklären.<br />

Sehen wir also einmal davon ab, was als <strong>Recht</strong> zu gelten hat<br />

<strong>und</strong> was darum — im Naturrechts<strong>de</strong>nken — überhaupt erst ein<br />

<strong>Recht</strong> sein kann, so müssen wir trotz aller wirklichen Bindung<br />

<strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s an einen Inhalt zu einer allgemeinen Begriffsbestim­<br />

mung von <strong>Recht</strong> gelangen, in <strong>de</strong>r eben nicht Moral, nicht Reli­<br />

gion o<strong>de</strong>r was sonst immer, son<strong>de</strong>rn eben nur <strong>Recht</strong> begriffen<br />

wird. Das heißt, es geht um eine Begriffsabgrenzung von <strong>Recht</strong>,<br />

welche gilt, wo immer von <strong>Recht</strong> die Re<strong>de</strong> ist <strong>und</strong> wie immer<br />

auch <strong>de</strong>r Inhalt <strong>de</strong>ssen, was man als <strong>Recht</strong> bezeichnet, aussehen<br />

mag.<br />

Ganz im Sinne <strong>de</strong>s aristotelisch-thomasischen Denkens ist<br />

hierbei von <strong>de</strong>r Erfahrung auszugehen; <strong>de</strong>nn je<strong>de</strong> Begriffsbe­<br />

stimmung beginnt bei <strong>de</strong>r Festlegung <strong>de</strong>s Namens, wie er tat­<br />

sächlich im Gebrauch ist. Freilich sind wir damit erst bei <strong>de</strong>r<br />

Nominal<strong>de</strong>finition. Und eben daran kranken die Begriffsbe­<br />

stimmungen <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen <strong>Recht</strong>sphilosophen durchweg, daß<br />

sie diese als eine Realbestimmung ausgeben. Sind wir aber in<br />

<strong>de</strong>r Erkenntnis so weit, daß wir die Vorläufigkeit <strong>de</strong>r Definition<br />

von <strong>Recht</strong>, im Unterschied zum <strong>Recht</strong>en, zugeben, dann wird<br />

es wohl kein allzugroßer Schritt mehr sein bis zur Anerkennung<br />

3 W.R.Beyer, <strong>Recht</strong> <strong>und</strong> <strong>Recht</strong>s-Ordnung. Meisenheim-Glan 1951.<br />

269


einer Bestimmung <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s, das vom Inhalt <strong>und</strong> zu guter<br />

Letzt auch von einer <strong>Recht</strong>si<strong>de</strong>e, somit einem <strong>Recht</strong>si<strong>de</strong>al be­<br />

griffen wer<strong>de</strong>n muß.<br />

Welches aber ist nun die Nominal<strong>de</strong>finition von <strong>Recht</strong>? Im<br />

mo<strong>de</strong>rnen Denken wird <strong>Recht</strong> stets als mit Zwang durchsetz­<br />

bare gesellschaftliche Ordnung verstan<strong>de</strong>n. In diesem Sinne<br />

sagt z. B. H. Lauterpacht:* „<strong>Recht</strong> ist das Werkzeug einer gel­<br />

ten<strong>de</strong>n Gesellschaftsordnung". Obwohl <strong>de</strong>r Sinn, <strong>de</strong>r sich hinter<br />

dieser Begriffsbestimmung verbirgt, einen unzwei<strong>de</strong>utigen<br />

Positivismus verrät, können wir diese Definition als reine<br />

Nominal<strong>de</strong>finition ruhig gelten lassen, wobei dann die Frage<br />

offen bleibt, was nun als gelten<strong>de</strong> Gesellschaftsordnung ange­<br />

sprochen wer<strong>de</strong>n kann. <strong>Recht</strong> ist immer Frie<strong>de</strong>nsordnung <strong>de</strong>r in<br />

Gemeinschaft zusammenleben<strong>de</strong>n Menschen. Im Gr<strong>und</strong>e<br />

genommen kommt diese Sicht auf das hinaus, was Thomas hier<br />

in unserem Artikel sagt: Das <strong>Recht</strong> ist ein Ausgleich zwischen<br />

verschie<strong>de</strong>nen Personen.<br />

Es fragt sich dann weiter, wie nun die Real<strong>de</strong>finition <strong>de</strong>s<br />

<strong>Recht</strong>s lautet. Mit dieser Frage verbin<strong>de</strong>t sich notwendig die<br />

Vorstellung eines „<strong>Recht</strong>s an sich", also gera<strong>de</strong> <strong>de</strong>ssen, was die<br />

mo<strong>de</strong>rne <strong>Recht</strong>sphilosophie aus <strong>de</strong>m Begriff <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s aus­<br />

schließen möchte. Die mo<strong>de</strong>rne <strong>Recht</strong>sphilosophie, die die Re­<br />

alität <strong>de</strong>r Universalien leugnet, muß notwendigerweise beim<br />

rein Nominalen stehen bleiben. Sie erklärt das, was naturrecht­<br />

liches Denken notwendigerweise nur als „nominal" bezeichnen<br />

kann, als <strong>de</strong>n „Begriff". Für das thomasische Denken aber gilt es<br />

als eine Selbstverständlichkeit, daß wir aus <strong>de</strong>n Erscheinungen,<br />

die als <strong>Recht</strong> bezeichnet wer<strong>de</strong>n, das Allgemeine herauslösen<br />

können, ja noch mehr, daß wir aus <strong>de</strong>m, was überhaupt als<br />

<strong>Recht</strong> bezeichnet wer<strong>de</strong>n darf, die allgemeine Realbestimmung<br />

<strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s gewinnen. In <strong>de</strong>r Ordnung <strong>de</strong>r Tätigkeit kann Tho­<br />

mas sich nun die Definition nur <strong>de</strong>nken entsprechend einer vor­<br />

gegebenen Teleologie; d.h. die Real<strong>de</strong>finition wird nicht etwa<br />

aus <strong>de</strong>m genommen, was man als solches bezeichnet <strong>und</strong> was<br />

vielleicht allen bezeichneten Erscheinungen faktisch zugr<strong>und</strong>e­<br />

liegt, son<strong>de</strong>rn aus <strong>de</strong>m, was <strong>de</strong>r Begriff enthalten muß, um die<br />

Bezeichnung <strong>Recht</strong> zu verdienen. Schon hier in <strong>de</strong>r Real<strong>de</strong>fini­<br />

tion <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s stoßen wir auf das schwierige Problem von<br />

<strong>Recht</strong> <strong>und</strong> Moral. Das <strong>Recht</strong> steht in <strong>de</strong>r Ordnung <strong>de</strong>s Sollens<br />

4 H. Lauterpacht, Recognition in International Law. Cambridge 1947, 154.<br />

270


<strong>und</strong> wird darum real auch nur von einem Sollen, also von einer 57. l<br />

absolut gültigen Norm her bestimmt. Es ist eigenartig, daß<br />

nicht einmal Del Vecchio, <strong>de</strong>r sich selbst mit Eifer für ein Natur­<br />

recht einsetzt, dies gespürt hat. Er unterschei<strong>de</strong>t sich daher<br />

trotz aller Bemühungen, über das „richtige <strong>Recht</strong>" von Rudolf<br />

Stammler hinauszukommen, gr<strong>und</strong>sätzlich nicht von ihm.<br />

Gleich diesem bleibt er I<strong>de</strong>alist, bei <strong>de</strong>m die I<strong>de</strong>alvorstellung<br />

von <strong>Recht</strong> stets von <strong>de</strong>m fernbleibt, was zum Wesen <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s<br />

gehört. Kant, <strong>de</strong>ssen Definition <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s zwar insofern posi­<br />

tivistisch gefärbt war, als darin das <strong>Recht</strong> an die kontingente,<br />

positive Willensbildung <strong>de</strong>r Gesellschaftsglie<strong>de</strong>r geb<strong>und</strong>en war,<br />

steht trotz allem <strong>de</strong>m Denken <strong>de</strong>s hl. Thomas noch näher als die<br />

neueren <strong>Recht</strong>sphilosophen: „Das <strong>Recht</strong> ist <strong>de</strong>r Inbegriff <strong>de</strong>r<br />

Bedingungen, unter <strong>de</strong>nen die Willkür <strong>de</strong>s einen mit <strong>de</strong>r Willkür<br />

<strong>de</strong>s an<strong>de</strong>rn nach einem allgemeinen Gesetz <strong>de</strong>r Freiheit zusam­<br />

men vereinigt wer<strong>de</strong>n kann" (WWIX, 33 fi.).Del Vecchio hat zu<br />

dieser Bestimmung nicht mehr zu sagen als dies: „Diese Be­<br />

griffsbestimmung bezieht sich in Wirklichkeit auf das Natur­<br />

recht, also das I<strong>de</strong>al <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s, aber sie gibt keineswegs <strong>de</strong>n Be­<br />

griff, die Vorstellung von <strong>de</strong>m <strong>Recht</strong> als logischer Kategorie.<br />

Wollte man sie in diesem Sinne verstehen, so könnte sie zu <strong>de</strong>r<br />

Schlußfolgerung veranlassen, daß das <strong>Recht</strong> in Wirklichkeit nie<br />

<strong>und</strong> nirgends vorhan<strong>de</strong>n gewesen ist. Denn die <strong>Recht</strong>ssysteme,<br />

welche wir als solche gelten lassen, sind mehr o<strong>de</strong>r weniger weit<br />

von dieser Höchstform entfernt. Das Ergebnis wäre, daß man<br />

ohne weiteres aus <strong>de</strong>m Begriffsbereiche <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s alle die<br />

Systeme ausschließen müßte, in <strong>de</strong>nen die Gleichheit <strong>de</strong>r Frei­<br />

heit nicht die volle Anerkennung gef<strong>und</strong>en hat". 5 Die Kritik Del<br />

Vecchios an <strong>de</strong>r kantischen Definition beweist die Begrenztheit<br />

mo<strong>de</strong>rnen <strong>Recht</strong>s<strong>de</strong>nkens, weil sie meint, mit <strong>de</strong>r „logischen"<br />

Begriffsbestimmung schon <strong>de</strong>n wissenschaftlichen Bo<strong>de</strong>n für<br />

eine Diskussion über <strong>Recht</strong> geschaffen zu haben. Denn in <strong>de</strong>r<br />

Tat glaubt diese <strong>Recht</strong>sphilosophie, daß in ihrer logischen<br />

Bestimmung mehr ausgedrückt sei, als was etwa Thomas unter<br />

einer reinen Nominal<strong>de</strong>finition versteht. Sie meint nämlich, daß<br />

überall das, was man als <strong>Recht</strong> erklärt, auch <strong>Recht</strong> sei <strong>und</strong> als<br />

solches darum bezeichnet wer<strong>de</strong>n müsse, während Thomas<br />

diesen „dämonischen" Sprachgebrauch am Inhalt selbst wie<strong>de</strong>r<br />

5 G. Del Veccio, Lehrbuch <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>sphilosophie. 2. Aufl., hrsg. von F. Darm-<br />

staedter. Basel 1951, 342.<br />

271


57. l zurechtbiegt. Und dieser Inhalt ist nun einmal in <strong>de</strong>r Ordnung<br />

<strong>de</strong>s Han<strong>de</strong>lns nichts an<strong>de</strong>res als eine real gültige I<strong>de</strong>e von <strong>Recht</strong>.<br />

Es bleibt darum bestehen: eine Real<strong>de</strong>finition von <strong>Recht</strong> ist nur<br />

aufzustellen im Hinblick auf die I<strong>de</strong>e von <strong>Recht</strong>, wobei die I<strong>de</strong>e<br />

keine i<strong>de</strong>alistische Vorstellung ist, son<strong>de</strong>rn eine <strong>de</strong>r Natur <strong>de</strong>s<br />

Menschen entnommene Norm.<br />

Folgenschwer wird allerdings die Erkenntnis, die sich daraus<br />

ergibt: alles, was nicht ausgerichtet ist nach dieser absolut gülti­<br />

gen Norm, ist kein <strong>Recht</strong>. Damit wird die Begriffsbestimmung<br />

von Lauterpacht umgekehrt: eine gelten<strong>de</strong> Gesellschaftsord­<br />

nung gibt es überhaupt nicht, wo nicht „i<strong>de</strong>ales" <strong>Recht</strong> verwirk­<br />

licht ist.<br />

So verstehen wir, daß Thomas die be<strong>de</strong>utsame Gleichset­<br />

zung von <strong>Recht</strong> <strong>und</strong> Gerechtem, d. h. <strong>de</strong>m, was recht ist, voll­<br />

ziehen muß. Dies besagt nichts an<strong>de</strong>res, als daß <strong>de</strong>r Inhalt selbst<br />

auf Gr<strong>und</strong> seines inneren Bezuges zur absoluten Norm <strong>Recht</strong><br />

ist. Das auf Gr<strong>und</strong> menschlicher Bestimmung in Rußland gül­<br />

tige <strong>Recht</strong> kann darum kein <strong>Recht</strong> sein, son<strong>de</strong>rn ist <strong>und</strong> bleibt<br />

Gewalt. Das ist <strong>de</strong>r erkenntnistheoretische Hintergr<strong>und</strong> <strong>de</strong>s<br />

ersten Artikels. Die Real<strong>de</strong>finition <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s lautet also nach<br />

Thomas: Das <strong>Recht</strong> ist ein Ausgleich zwischen verschie<strong>de</strong>nen<br />

Personen entsprechend <strong>de</strong>n Normen <strong>de</strong>r Natur. Dabei kann<br />

diese Entsprechung zu <strong>de</strong>n Normen <strong>de</strong>r Natur auch mittelbar<br />

geschehen auf <strong>de</strong>m Wege über das positive Gesetz, sofern die­<br />

ses <strong>de</strong>r Natur entspricht.<br />

Thomas bemüht sich nun weiterhin in diesem Artikel um die<br />

Abgrenzung <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Gerechten von <strong>de</strong>m, was<br />

Gegenstand <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren sittlichen Tugen<strong>de</strong>n ist. Maß für das<br />

<strong>Recht</strong> ist, so sagt er, nicht eine Gewissensentscheidung, son­<br />

<strong>de</strong>rn die Abmessung von Ansprüchen mehrerer Personen. Die<br />

Zuständigkeit <strong>de</strong>s subjektiven Gewissensspruchs als <strong>de</strong>s Maßes<br />

<strong>de</strong>r menschlichen Handlungen wird nur dort anerkannt, wo es<br />

um Handlungen geht, die in ihrer ganzen inneren Bestimmung<br />

vom sittlichen Streben <strong>de</strong>s Menschen abhängig sind. So ent­<br />

schei<strong>de</strong>t z.B. das jeweilige sittlich gute Streben, inwieweit wir<br />

uns Opfer <strong>und</strong> Entsagung aufzuerlegen haben. Es gibt da kein<br />

absolut bestimmen<strong>de</strong>s äußeres Maß, wenngleich äußere<br />

Bestimmungsgrün<strong>de</strong> nicht ausgeschlossen sind, insofern auch<br />

sachliche Überlegungen, wie z.B. Alter, Beruf, Geschlecht, in<br />

die sittliche Wertung mithineinbezogen wer<strong>de</strong>n müssen. Ent­<br />

schei<strong>de</strong>nd aber ist einzig, wie Thomas mit Aristoteles immer<br />

272


wie<strong>de</strong>r betont, das rechtschaffene, d. h. das sittlich gute Stre- 57. 1<br />

ben, <strong>de</strong>r gute Wille in eben diesem Augenblick, in welchem die<br />

Handlung Vollzogen wer<strong>de</strong>n soll. Die sittliche „Situation" kann<br />

je <strong>und</strong> je verschie<strong>de</strong>n sein. Entsprechend fühlt sich das gute,<br />

zielhaft auf Gott gerichtete Wollen in das konkrete Sollen ein.<br />

Ganz an<strong>de</strong>rs verhält es sich auf <strong>de</strong>m Gebiet <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s <strong>und</strong><br />

<strong>de</strong>r ihm entsprechen<strong>de</strong>n Haltung. Hier ist nicht das konkrete<br />

Wertempfin<strong>de</strong>n, die Werteinfühlung in die sittliche Situation<br />

das Maßgeben<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn die äußerlich geregelte Beziehung<br />

zwischen Mensch <strong>und</strong> Mensch. <strong>Recht</strong> ist also wirklich Frie<strong>de</strong>ns­<br />

ordnung zwischen mehreren Personen. Es unterschei<strong>de</strong>t sich<br />

darum gr<strong>und</strong>sätzlich von <strong>de</strong>r sittlichen Zumessung, die <strong>de</strong>r ein­<br />

zelne Mensch für seine eigene Person vornimmt. Wir haben also<br />

insofern auch eine gewisse Abgrenzung zwischen <strong>Recht</strong> <strong>und</strong><br />

Moral vorgenommen, wenngleich sich zeigen wird, daß Tho­<br />

mas zur Erkenntnis <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s auch eine sittliche Ausrüstung<br />

verlangt, so vor allem beim Richter. Diese ist aber nicht die<br />

Bedingung <strong>de</strong>s Gegenstands wie bei <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>rn sittlichen<br />

Tugen<strong>de</strong>n, etwa <strong>de</strong>r Maßhaltung <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Tapferkeit, son<strong>de</strong>rn<br />

die Voraussetzung <strong>de</strong>r Erkenntnis eines sachlich vorliegen<strong>de</strong>n<br />

Gegenstands, wobei wir allerdings nicht <strong>de</strong>n ausgefallenen<br />

Gedanken heraufbeschwören wollen, daß es nur ein fertiges<br />

<strong>und</strong> nicht auch ein noch zu setzen<strong>de</strong>s <strong>Recht</strong> gäbe.<br />

Damit ist noch nichts über das eigentliche Problem von<br />

<strong>Recht</strong> <strong>und</strong> Moral gesagt, wie wir es heute verstehen. Im Gr<strong>und</strong>e<br />

ist nur eine Unterscheidung vorgenommen zwischen <strong>de</strong>m<br />

Gegenstand <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren sittlichen<br />

Tugen<strong>de</strong>n. Wenn wir heute von <strong>Recht</strong> <strong>und</strong> Moral sprechen,<br />

dann meinen wir die heikle Frage, ob rein sittliche Normen zu<br />

<strong>Recht</strong>snormen erhoben wer<strong>de</strong>n können, d.h., ob <strong>de</strong>m <strong>Recht</strong><br />

irgendwelche politisch-pädagogische Zielhaftigkeit innewohnt.<br />

Kann das <strong>Recht</strong> irgendwelche sittlichen Zweckbestimmungen<br />

verfolgen, z.B. <strong>de</strong>n sittlichen Stand einer Gesellschaft heben<br />

wollen? Es ist klar, daß je<strong>de</strong>s <strong>Recht</strong> irgenwie Ausdruck <strong>de</strong>s sitt­<br />

lichen Stan<strong>de</strong>s <strong>de</strong>r Gesellschaft ist. Es fragt sich aber, ob das<br />

<strong>Recht</strong> darüber hinaus auch noch höhere ethische Normen in<br />

sich begreift, so daß es die Zwangsinstitution wäre, um einen<br />

I<strong>de</strong>alstand <strong>de</strong>r Gesellschaft zu schaffen. Die Frage ist folgen­<br />

schwer. Es geht dabei z. B. auch darum, ob eine christliche<br />

Autorität gegen das heidnische Schwergewicht <strong>de</strong>r Gesellschaft<br />

auf rechtlichem Wege, also mit <strong>de</strong>n Zwangsmitteln <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s,<br />

273


57. l das sittliche Gepräge <strong>de</strong>s gesellschaftlichen Lebens bestimmen<br />

könne. Dabei wird noch ganz abgesehen von <strong>de</strong>r Frage, ob ein<br />

solches Unternehmen klug sei o<strong>de</strong>r nicht. Es han<strong>de</strong>lt sich ledig­<br />

lich darum, ob ein <strong>Recht</strong> dazu bestehe, d. h., ob eine sittliche<br />

For<strong>de</strong>rung potentiell rechtliche Qualität habe.<br />

Diese Fragen sind von Thomas im ersten Artikel noch nicht<br />

behan<strong>de</strong>lt. Geht es ihm hier doch zunächst nur um die Defini­<br />

tion, also um <strong>de</strong>n Begriff <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s. Es ist dabei noch keines­<br />

wegs von einem I<strong>de</strong>al <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s die Re<strong>de</strong>, somit auch nicht<br />

vom eigentlichen Problem „<strong>Recht</strong> <strong>und</strong> Moral". Selbstre<strong>de</strong>nd<br />

drängt sich unmittelbar nach <strong>de</strong>r Begriffsbestimmung die Frage<br />

auf: Woher stammt die Begründung <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s? Welche Fakto­<br />

ren bestimmen es? Irgen<strong>de</strong>ine ethische Norm o<strong>de</strong>r ein fakti­<br />

scher Zustand o<strong>de</strong>r vielleicht sogar nur ein faktischer Willensbe-<br />

schluß? Hierüber spricht Thomas in <strong>de</strong>n Artikeln 2—4.<br />

IL Naturrecht <strong>und</strong> positives <strong>Recht</strong><br />

(Art. 2-4)<br />

1. DIE ENTSTEHUNG DES RECHTS AUFGRUND DER NATUR UND DER<br />

POSITIVEN SATZUNG<br />

(Art. 2)<br />

57. 2 Es ist sehr bezeichnend, daß Thomas nicht vom Gedanken<br />

<strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>snorm her <strong>de</strong>n Weg zur Unterscheidung zwischen<br />

Naturrecht <strong>und</strong> positivem <strong>Recht</strong> sucht, son<strong>de</strong>rn von <strong>de</strong>r Frage<br />

aus, auf welche Weise <strong>Recht</strong> entstehe. Gera<strong>de</strong> die mo<strong>de</strong>rne<br />

<strong>Recht</strong>sphilosophie müßte daran ihre Freu<strong>de</strong> haben, da es ihr<br />

doch darum zu tun ist, die <strong>Recht</strong>sentstehung von <strong>de</strong>r Normie­<br />

rung <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s zu unterschei<strong>de</strong>n. Mit dieser Unterscheidung<br />

glaubt ja die mo<strong>de</strong>rne <strong>Recht</strong>sphilosophie, soweit sie nicht völlig<br />

im Positivismus erstickt ist, son<strong>de</strong>rn noch <strong>de</strong>n i<strong>de</strong>alistischen<br />

Standpunkt <strong>de</strong>r Vorstellung einer I<strong>de</strong>e <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

bewahrt hat, ihre Unterscheidung zwischen Geltung <strong>de</strong>s<br />

<strong>Recht</strong>s <strong>und</strong> richtigem o<strong>de</strong>r besserem <strong>Recht</strong> stützen zu können.<br />

Allerdings kommt für das mo<strong>de</strong>rne <strong>Recht</strong><strong>de</strong>nken sogleich die<br />

Ernüchterung, wenn wir dann durch Thomas belehrt wer<strong>de</strong>n,<br />

daß die Natur, die als rechtsetzend bezeichnet wird, eben<br />

gera<strong>de</strong> jenen Himmel <strong>de</strong>r Normen in die Sphäre <strong>de</strong>r Geltung<br />

herunterholt, <strong>de</strong>n die i<strong>de</strong>alistische <strong>Recht</strong>sphilosophie stets als<br />

außerhalb <strong>de</strong>s gelten<strong>de</strong>n <strong>Recht</strong>s befindlich betrachtet. Es wird<br />

274


sich nämlich noch zeigen, daß die Natur, welche <strong>Recht</strong> konsti- 57. 2<br />

tuiert, in sich vielschichtig ist, also real gültige I<strong>de</strong>engehalte<br />

überzeitlicher Gültigkeit in sich beschließt, die darum nicht nur<br />

normierend, son<strong>de</strong>rn zugleich rechtschaffend sind.<br />

Es ist also hier nicht mehr die Re<strong>de</strong> von <strong>de</strong>r Definition <strong>de</strong>s<br />

<strong>Recht</strong>s o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m <strong>Recht</strong>sbegriff, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>m Weg, wie konkre­<br />

tes, wirkliches <strong>Recht</strong> entsteht. Thomas sieht hier eine doppelte<br />

Möglichkeit: l.die rein sachliche Bestimmtheit, 2.die freie<br />

Konvention. Auf eine zweifache Weise, so sagt er in Art. 2, kann<br />

zwischen zwei o<strong>de</strong>r mehreren Personen das Gleichgewicht her­<br />

gestellt wer<strong>de</strong>n, erstens, in<strong>de</strong>m die Natur, zweitens, in<strong>de</strong>m die<br />

freie willentliche Abmachung <strong>Recht</strong> setzt. Bemerkenswert sind<br />

dabei die Beispiele, die Thomas für die naturhafte Setzung <strong>de</strong>s<br />

<strong>Recht</strong>s angibt. Er nennt hierbei nicht etwa, wie die mo<strong>de</strong>rne<br />

Naturrechtslehre es erwarten wür<strong>de</strong>, die menschliche Natur im<br />

allgemeinen, son<strong>de</strong>rn einen ganz konkreten Sachverhalt: soviel<br />

wur<strong>de</strong> geleistet, soviel also muß wie<strong>de</strong>rgeleistet o<strong>de</strong>r bezahlt<br />

wer<strong>de</strong>n. Selbst dann also, wenn es sich um ein wirtschaftliches<br />

Geschäft aus freiem Willen han<strong>de</strong>lt, muß man sich fragen: Wie<br />

liegt <strong>de</strong>r natürliche Sachverhalt? Was ist <strong>de</strong>r Gegenstand wert?<br />

Wenngleich Verkauf <strong>und</strong> Kauf einen freien Vertrag be<strong>de</strong>uten, so<br />

kann dieses Geschäft doch nach <strong>de</strong>r vor je<strong>de</strong>r Konvention lie­<br />

gen<strong>de</strong>n sachlichen Inhaltlichkeit betrachtet wer<strong>de</strong>n. Diese<br />

Form <strong>de</strong>r Betrachtung ist die naturgerechte Betrachtung.<br />

Darum wird das so statuierte <strong>Recht</strong> Afoter-<strong>Recht</strong> genannt. Es<br />

sei auf diese Sicht <strong>de</strong>s Naturrechts beson<strong>de</strong>rs geachtet. Wir nei­<br />

gen heute dazu, Naturrecht nur als jenes <strong>Recht</strong> zu bezeichnen,<br />

das sich aus <strong>de</strong>r Wesenheit <strong>de</strong>s Menschen ergibt. Wir kommen<br />

darum im so gefaßten Naturrecht nicht weiter als zu allgemei­<br />

nen Normen, die ihre Anwendung auf Gr<strong>und</strong> eines eigenen<br />

„rechtslogischen" Prozesses suchen. Das so universal gefaßte<br />

Naturrecht verbleibt darum immer noch im i<strong>de</strong>alistischen<br />

Raum, im Bereich <strong>de</strong>r reinen Norm. Für Thomas dagegen ist<br />

Naturrecht ein bis in die konkrete Sachlage hineinreichen<strong>de</strong>s<br />

Soll. Wir könnten seinen Gedanken auch so ausdrücken, daß<br />

wir sagen: Alles das hat als Naturrecht zu gelten, was objektiv<br />

rational, d. h. sachlich analysierbar ist. Ob es nun immer mög­<br />

lich sein wird, auf rationalem Wege die an sich rationale,<br />

genauer gesagt, rationable <strong>und</strong> intelligible, weil sachlich vorlie­<br />

gen<strong>de</strong>, <strong>Recht</strong>slage zu analysieren, ist eine an<strong>de</strong>re Frage. Thomas<br />

selbst hat (I—II 94,4; DT, Bd. 13) verschie<strong>de</strong>ne Stufen <strong>de</strong>r<br />

275


57. 2 Erkennbarkeit <strong>de</strong>s Naturgesetzes unterschie<strong>de</strong>n: einmal die all­<br />

gemeinen Prinzipien, die von allen leicht erkannt wer<strong>de</strong>n kön­<br />

nen; dann die vielfältigen, daraus erschlossenen For<strong>de</strong>rungen,<br />

die erfahrungsgemäß vielen verborgen bleiben. Tatsächlich wird<br />

die objektiv an sich erkennbare Inhaltlichkeit <strong>de</strong>r Natursachlage<br />

von unserer Seite oft nur durch eine entsprechend ethisch unter­<br />

baute Ratio erschlossen. Wir kommen also <strong>de</strong>m nahe, was die<br />

mo<strong>de</strong>rne Philosophie Werterkenntnis nennt, wenngleich bei<br />

Thomas diese Werterkenntnis eine etwas an<strong>de</strong>re Struktur zeigt,<br />

als es im mo<strong>de</strong>rnen Denken <strong>de</strong>r Fall ist.<br />

Thomas hält also daran fest: Es gibt ein Naturrecht, das kon­<br />

kret als solches formuliert wer<strong>de</strong>n kann. Und da <strong>Recht</strong> immer<br />

ein konkreter Bestand ist, ist Natur-<strong>Recht</strong> immer mit konkre­<br />

ter Inhaltlichkeit gefüllt. Darin gera<strong>de</strong> liegt einer <strong>de</strong>r be<strong>de</strong>uten­<br />

<strong>de</strong>n Unterschie<strong>de</strong> zwischen <strong>de</strong>m <strong>Recht</strong> <strong>und</strong> <strong>de</strong>m Gesetz. Das<br />

Gesetz kann sich in allgemeinen Normen bewegen, während<br />

das <strong>Recht</strong> eben wesentlich eine Situation im Hier <strong>und</strong> Jetzt ent­<br />

schei<strong>de</strong>t. Es wäre daher an <strong>de</strong>r Zeit, daß die Naturrechts<strong>de</strong>nker,<br />

die sich auf Thomas berufen, diesen Unterschied zwischen<br />

Naturgesetz <strong>und</strong> Naturrecht voll <strong>und</strong> ganz ernstnehmen<br />

wür<strong>de</strong>n.<br />

Dem mo<strong>de</strong>rnen <strong>Recht</strong>s<strong>de</strong>nken kommt diese konkrete Sicht<br />

<strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s, wie bereits gesagt, sehr entgegen. Nur <strong>de</strong>r Positivis­<br />

mus sieht die Gestaltungsursache dieses konkreten <strong>Recht</strong>s<br />

nicht in <strong>de</strong>r Natur, son<strong>de</strong>rn allein in <strong>de</strong>r positiven Setzung. Das<br />

positive Gesetz ist aber noch weit entfernt vom konkreten<br />

<strong>Recht</strong> im Hier <strong>und</strong> Jetzt. Darum hatte die Freirechtsschule die<br />

eigentliche <strong>Recht</strong>sbildung in <strong>de</strong>n richterlichen Spruch verlegt.<br />

Immerhin wur<strong>de</strong> im europäischen Positivismus noch ein Weg<br />

gesucht von irgendwelchen übergeordneten Normen zur kon­<br />

kreten <strong>Recht</strong>ssetzung. Auch Kelsen, <strong>de</strong>r konsequenteste Positi­<br />

vist, geht von einem Normensystem aus. Um das <strong>Recht</strong> noch<br />

als konkreten Entscheid zu retten, zieht auch er <strong>de</strong>n rechts er­<br />

zeugen<strong>de</strong>n Prozeß folgerichtig durch bis in das richterliche<br />

Urteil. Dagegen gibt es gemäß <strong>de</strong>m vom Darwinismus stark<br />

beeinflußten Amerikaner Oliver Wen<strong>de</strong>il Holmes überhaupt<br />

kein geschlossenes <strong>Recht</strong>ssystem mehr. Im gleichen Materialis­<br />

mus bewegen sich die Amerikaner J.Frank, Th.W.Arnold,<br />

EdwinN. Garlan. Hier heißt es: <strong>Recht</strong> ist; es wird also eigent­<br />

lich nicht; <strong>und</strong> zwar ist es je<strong>de</strong>smal neu im Urteilsspruch <strong>de</strong>s<br />

Richters.<br />

276


Im Hinblick auf die konkrete Formung <strong>de</strong>s Naturrechts 57. 2<br />

kann es dann nicht mehr w<strong>und</strong>ernehmen, wenn Thomas (Art. 2<br />

Zu 1) erklärt: „Die Natur <strong>de</strong>s Menschen ist verän<strong>de</strong>rlich". Die<br />

Sachlage än<strong>de</strong>rt sich nach <strong>de</strong>n konkrten Umstän<strong>de</strong>n. Die allge­<br />

meinen Normen gehören zum Gesetz. Sie sind <strong>de</strong>m konkreten<br />

<strong>Recht</strong> einverleibt. Dennoch aber sind sie mit diesem nicht i<strong>de</strong>n­<br />

tisch, sonst wür<strong>de</strong>n sie ihre Allgemeinheit <strong>und</strong> Unverän<strong>de</strong>rlich-<br />

keit verlieren.<br />

Damit läßt sich das Naturrecht, also das, was konkret von<br />

Natur recht ist, als ein Sollen erkennen, das in sich vielschichtig<br />

ist. Es sind darin die Normen enthalten, die, mit einem konkre­<br />

ten Sachverhalt zusammengebracht, eben das <strong>Recht</strong> ergeben.<br />

Und das alles soll, wie Thomas im zweiten Artikel erklärt, ohne<br />

Dazwischentreten irgen<strong>de</strong>iner positiven Gesetzesgewalt ge­<br />

schehen, so daß das Naturrecht seine Existenz einem, wenn<br />

man so sagen darf, „Naturprozeß" verdankt. Damit sind wir<br />

beim Kern <strong>de</strong>r thomasischen Naturrechtslehre angelangt. Um<br />

seinen Inhalt aufzubrechen <strong>und</strong> in seiner Be<strong>de</strong>utung für uns<br />

heute erst richtig zu erkennen, bringen wir die thomasische<br />

Naturrechtslehre mit <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen <strong>Recht</strong>sphilosophie in Ver­<br />

gleich.<br />

2. DIE NATURRECHTS LEHRE DES HL. THOMAS UND DIE DER<br />

MODERNEN RECHTSPHILOSOPHIE 6<br />

a) Die Normen <strong>de</strong>s Naturrechts<br />

Thomas anerkennt, wie gesagt, trotz <strong>de</strong>r konkreten Fassung<br />

<strong>de</strong>s Naturrechts allgemeine Naturrechtsprinzipien. So spricht<br />

er in Art. 2 Zu 2 von einem „Wi<strong>de</strong>rspruch an sich", <strong>de</strong>n eine<br />

<strong>Recht</strong>sbehauptung besagt, z. B. ist die Behauptung, <strong>de</strong>r Dieb­<br />

stahl sei erlaubt, in sich ein Wi<strong>de</strong>rspruch, weil das Wesen <strong>de</strong>s<br />

Diebstahls immer <strong>und</strong> überall <strong>de</strong>n <strong>Recht</strong>sprinzipien wi<strong>de</strong>r­<br />

spricht (a. a. 0.). Die mo<strong>de</strong>rne Scholastik bezeichnet durchweg<br />

dieses An-sich als „das Naturrecht" <strong>und</strong> sieht in <strong>de</strong>r konkreten<br />

6 Die umfangreiche Literatur zu diesem Thema habe ich besprochen in: Die<br />

Neue Ordnung 5 (1951) 201-219,313-329. Eine erweiterte Besprechung in<br />

Bulletin Thomiste 8 (1947/53) 650—664. Weitere Literaturangaben in<br />

A.F. Utz, Sozialethik,Teil II: <strong>Recht</strong>sphilosophie; ebenso in <strong>de</strong>rs., Bibliographie<br />

<strong>de</strong>r Sozialethik (11 B<strong>de</strong>) unter II. 10.3.<br />

277


57. 2 Formulierung nur mehr eine Anwendung <strong>de</strong>s Naturrechts. So<br />

meint z.B./. Messner (Das Naturrecht. 1950, 345): „Im Natur­<br />

recht ist in <strong>de</strong>r Tat nur ein Gr<strong>und</strong>riß von <strong>Recht</strong>sbeziehungen<br />

gegeben, alles übrige ist <strong>de</strong>m Willen <strong>de</strong>r Gesellschaftsmitglie<strong>de</strong>r<br />

überlassen, sobald die Demokratie rechtmäßige Staatsform<br />

gewor<strong>de</strong>n ist". Thomas hätte diese Formulierung nicht<br />

gebracht. Er hätte im entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Teil <strong>de</strong>s zitierten Textes<br />

gesagt: „alles übrige ist <strong>de</strong>r Vernunft überlassen..." In <strong>de</strong>r neue­<br />

sten, 7. Auflage (1984, 623) ist dieser Text allerdings geän<strong>de</strong>rt<br />

wor<strong>de</strong>n im Hinblick auf die staatliche Verfassung. Die Vernunft<br />

ist das Maßgeben<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r Analyse <strong>de</strong>s Sachbereichs. So weit sie<br />

dringt, ebenso weit dringt das Naturrecht. Wo <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rne<br />

Scholastiker schon eine willentliche, interessenmäßige Anwen­<br />

dung <strong>de</strong>s Naturrechts (bei Thomas <strong>de</strong>r Naturrechtsprinzipien)<br />

sehen möchte, da sieht Thomas noch Vernunft. Allerdings aner­<br />

kennt er, wie aus <strong>de</strong>m zweiten Artikel ersichtlich ist, auch die<br />

rein willensmäßige Festlegung. Jedoch hat diese bei Thomas<br />

nicht <strong>de</strong>n Raum wie im Denken <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen Scholastiker.<br />

Freilich behält Messner im Hinblick auf die mo<strong>de</strong>rne Gesell­<br />

schaft, in <strong>de</strong>r eine allgemeingültige Vernunft nicht mehr aner­<br />

kannt wird, <strong>de</strong>nnoch <strong>Recht</strong>. In <strong>de</strong>r gr<strong>und</strong>sätzlichen Schau aber<br />

ist Thomas beizupflichten, sofern man <strong>de</strong>m thomasischen<br />

Erkenntnisoptimismus folgt, gemäß <strong>de</strong>m die menschliche Ver­<br />

nunft fähig genug ist, eine konkrete Sachanalyse vorzunehmen,<br />

ohne voreilig zu rein willentlicher Festlegung zu greifen. Die<br />

protestantische Naturrechtsauffassung krankt eben daran, daß<br />

sie <strong>de</strong>r menschlichen Vernunft um <strong>de</strong>r Erbsün<strong>de</strong> willen kaum<br />

Vertrauen o<strong>de</strong>r teilweise sogar in je<strong>de</strong>r Hinsicht Mißtrauen ent­<br />

gegenbringt <strong>und</strong> so zu einem übernatürlichen Erkenntnisprin­<br />

zip, nämlich <strong>de</strong>m Glauben, als <strong>de</strong>m einzigen Maßstab <strong>de</strong>s<br />

Naturrechts greifen muß (vgl. E. Brunner, <strong>Gerechtigkeit</strong>.<br />

Zürich 1943).<br />

Auch außerhalb <strong>de</strong>r Scholastik läßt sich heute, so vor allem<br />

im Arbeitsrecht 7 , ein starker Ruf nach naturrechtlicher F<strong>und</strong>ie­<br />

rung <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s erkennen. Die Wandlung, welche die <strong>Recht</strong>s­<br />

philosophie durch die Abkehr vom Positivismus <strong>und</strong> die Hin­<br />

wendung zum Naturrechts<strong>de</strong>nken durchmacht, darf aber durch­<br />

aus nicht in übereiltem Optimismus als eine Rückkehr zur<br />

christlichen Naturrechtslehre ge<strong>de</strong>utet wer<strong>de</strong>n. Zwar wer<strong>de</strong>n<br />

278<br />

Vgl. auch <strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Fußnote 6 angegebenen Artikel <strong>de</strong>r Neuen Ordnung.


Normen proklamiert, gemäß <strong>de</strong>nen sich das konkrete <strong>Recht</strong> zu 57. 2<br />

bil<strong>de</strong>n habe. Und diese Normen wer<strong>de</strong>n als Naturrechtsnor­<br />

men bezeichnet. Es ist aber sorgsam zu untersuchen, ob es sich<br />

wirklich um Naturrechtsnormen han<strong>de</strong>lt o<strong>de</strong>r schließlich doch<br />

nur um „das richtige <strong>Recht</strong>" Stammlers, „das Kulturrecht" Koh­<br />

lers, „die apriorischen Gr<strong>und</strong>lagen" Reinachs, „das autonome<br />

<strong>Recht</strong>" o<strong>de</strong>r „die Autonomie <strong>de</strong>s Gewissens" Laims. W. G. Bek-<br />

ker* glaubt — wenn auch in sehr eigenwilliger Weise — nicht<br />

weniger als sechs Definitionen <strong>de</strong>s Naturrechts zusammen­<br />

stellen zu können. Man scheut sich nicht, von Naturrecht zu<br />

sprechen <strong>und</strong> dabei im Neukantianismus steckenzubleiben. Wer<br />

die Geschichte <strong>de</strong>s Naturrechts von <strong>de</strong>r Stoa bis in die Neuzeit<br />

verfolgt, dürfte über die Vielgestalt <strong>de</strong>s Begriffs „Naturrecht"<br />

nicht mehr im Zweifel sein.<br />

Das Entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> für eine naturrechtliche Auffassung <strong>de</strong>r<br />

<strong>Recht</strong>snormen ist, daß diese Normen wirklich als gültige Nor­<br />

men konkreten <strong>Recht</strong>s anerkannt wer<strong>de</strong>n <strong>und</strong> nicht nur als<br />

metajuristische Kategorien, die in irgen<strong>de</strong>iner Weise für die<br />

<strong>Recht</strong>sbildung als notwendig bezeichnet wer<strong>de</strong>n. Auch <strong>de</strong>r<br />

Positivismus hat Normen <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>sbildung verlangt, abge­<br />

sehen vielleicht von <strong>de</strong>m materialistischen Suprarealismus ame­<br />

rikanischer <strong>Recht</strong>sphilosophen. Man wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>m Positivisten<br />

Unrecht tun, wollte man ihm vorwerfen, er leugne <strong>de</strong>n wirkli­<br />

chen Einfluß irgendwelcher Naturrechtsi<strong>de</strong>en von seiten <strong>de</strong>r<br />

Menschen, die das <strong>Recht</strong> gestalten. Nach ihm ist es durchaus<br />

möglich, daß eine Gesellschaft, die überwiegend naturrechtlich<br />

<strong>de</strong>nkt, auf Gr<strong>und</strong> dieser soziologischen Struktur <strong>de</strong>n Inhalt <strong>de</strong>s<br />

<strong>Recht</strong>s im Sinne <strong>de</strong>s Naturrechts gestaltet. Für <strong>de</strong>n Positivisten<br />

sind aber diese Entstehungsgrün<strong>de</strong> <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s, also alle sittli­<br />

chen <strong>und</strong> politischen Absichten, die etwa zur <strong>Recht</strong>schaffung<br />

führen können, außerrechtlich, ohne je<strong>de</strong> rechtliche Bewandt­<br />

nis. Sie sind einfach Daten, die zur <strong>Recht</strong>sbildung führen, die<br />

politisch sogar gefor<strong>de</strong>rt sind, mit „<strong>Recht</strong>" aber nichts zu tun<br />

haben, d. h. keine rechtlichen Sollenssätze darstellen. Die tat­<br />

sächliche Gültigkeit in einer konkreten Gesellschaft ist im<br />

<strong>Recht</strong> das Entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>. Alles an<strong>de</strong>re gehört in die <strong>Recht</strong>spoli­<br />

tik.<br />

1 WG. Becker, Die symptomatische Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s Naturrechts im Rahmen<br />

<strong>de</strong>s bürgerlichen <strong>Recht</strong>s. In: Archiv für die zivilistische Praxis 150 (1948) 97—<br />

130. Vgl. ebenso E.Wolf, Das Problem <strong>de</strong>r Naturrechtslehre, Karlsruhe 1964,<br />

bes. 193-201. A.Elitz, Sozialethik, Teil II: <strong>Recht</strong>sphilosophie, 119-124.<br />

279


57. 2 Nicht viel an<strong>de</strong>rs verhält es sich mit <strong>de</strong>n meisten mo<strong>de</strong>rnen<br />

Verteidigern <strong>de</strong>s Naturrechts. Wer die <strong>Recht</strong>snorm zwar als<br />

einen — wenn auch noch so starken — rechtsbil<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Faktor<br />

auffaßt, in ihr aber nur die Bedingung für richtiges <strong>Recht</strong> aner­<br />

kennt, kann nicht als Vertreter <strong>de</strong>r Naturrechtslehre angesehen<br />

wer<strong>de</strong>n. Stammler mit seinem „richtigen <strong>Recht</strong>" als einen Ver­<br />

fechter <strong>de</strong>s Naturrechts zu bezeichnen, wäre daher höchst irr­<br />

tümlich. Becker (a. a. 0.117) hat die Wahrheit getroffen, wenn er<br />

sagt, daß Stammler durchaus Positivist im technischen Sinne sei.<br />

Auf folgen<strong>de</strong>s kommt es an: Eine echte Naturrechtslehre aner­<br />

kennt reale, allgemeingültige Normen, die aus sich, ohne Rück­<br />

griff auf die bestehen<strong>de</strong> Gesellschaft, konkret rechtliche Aner­<br />

kennung for<strong>de</strong>rn <strong>und</strong> darum in <strong>de</strong>r durch die Vernunft (nicht<br />

<strong>de</strong>n Willen) vorgenommenen Konkretisierung <strong>Recht</strong> sind.<br />

Von <strong>de</strong>n „realen, allgemeingültigen Normen" ist hier zu­<br />

nächst die Re<strong>de</strong>. Es han<strong>de</strong>lt sich hierbei um die For<strong>de</strong>rungen<br />

<strong>de</strong>r Naturrechtsprinzipien an die lex ferenda, an das erst in <strong>de</strong>r<br />

Bildung begriffene <strong>Recht</strong>. Die Konkretisierung durch die Ver­<br />

nunft kommt nachher zur Sprache. Es geht dann dort um <strong>de</strong>n<br />

rechtslogischen Prozeß, mit Hilfe <strong>de</strong>ssen Naturrecht gebil<strong>de</strong>t<br />

wird.<br />

Becker (a. a. 0.121) unterschei<strong>de</strong>t das Naturrecht im direkten<br />

Sinne (sensu proprio) vom Naturrecht im symptomatischen<br />

Sinne (sensu symbolico o<strong>de</strong>r allegorico). Unter <strong>de</strong>m Natur­<br />

recht im direkten Sinne versteht er die Naturrechtsnormen, wie<br />

sie von Thomas als rechtliche For<strong>de</strong>rungen an das zu bil<strong>de</strong>n<strong>de</strong><br />

<strong>Recht</strong> aufgefaßt wer<strong>de</strong>n. Er nennt diese Art, das Naturrecht zu<br />

sehen, einen „naiven Naturrechtsbegriff". Nach Becker ist<br />

Naturrecht nur haltbar als ein symbolischer Begriff, <strong>de</strong>r unmit­<br />

telbar mit <strong>de</strong>r Natur als solcher nichts zu tun hat. In dieser Fas­<br />

sung ist Naturrecht „ein Inbegriff von historisch geschehenen,<br />

positiv registrierbaren, in <strong>Recht</strong>sakten zum Ausdruck gelan­<br />

gen<strong>de</strong>n Erkenntnissen von Menschen, welche von <strong>de</strong>m Gedan­<br />

ken einer effektiven <strong>Recht</strong>sbesserung motiviert <strong>und</strong> dirigiert<br />

sind, damit von <strong>de</strong>m Bedürfnis, ein nach logischen <strong>und</strong> ethi­<br />

schen Maßstäben unbefriedigen<strong>de</strong>s <strong>Recht</strong> ohne Rücksicht auf<br />

seine staatliche Sanktionierung bei seiner konkreten Anwen­<br />

dung durch die dazu berufenen Menschen nur in verbesserter<br />

<strong>und</strong> befriedigen<strong>de</strong>r Gestalt zur Wirkung gelangen zu lassen"<br />

(a. a. 0.). Es han<strong>de</strong>lt sich hierbei nicht um eine <strong>de</strong>r menschlichen<br />

Vernunft <strong>und</strong> erst recht nicht <strong>de</strong>m menschlichen Werterleben<br />

280


vorgegebene Norm in Sinn <strong>de</strong>r überzeitlichen natura humana, 57. 2<br />

son<strong>de</strong>rn lediglich um die am gesellschaftlichen Leben gemes­<br />

sene, aus ihm erst entstehen<strong>de</strong> <strong>Recht</strong>sauffassung. <strong>Recht</strong>sbesse­<br />

rung ist also nach Becker, <strong>de</strong>r Stärkstens von Stammler <strong>und</strong> teil­<br />

weise von Kierkegaard beeinflußt ist, keine Besserung gemäß<br />

Annäherung an eine objektive, von <strong>de</strong>m menschlichen Wollen<br />

unabhängige Normenordnung, son<strong>de</strong>rn nichts an<strong>de</strong>res als eine<br />

von <strong>de</strong>n konkret leben<strong>de</strong>n Menschen gewertete Lebensord­<br />

nung. Die Naturrechtsordnung ist so eine Ordnung <strong>de</strong>r „norma­<br />

len" — richtiger wäre es zu sagen: <strong>de</strong>r durchschnittlich leben<strong>de</strong>n<br />

— Menschen in <strong>de</strong>r Gesellschaft, im Gr<strong>und</strong>e: <strong>de</strong>r Mehrheit im<br />

formal<strong>de</strong>mokratischen Sinn.<br />

Der Begriff <strong>de</strong>r Natur wird also aus <strong>de</strong>m „naiven Realismus"<br />

<strong>de</strong>r philosophischen Abstraktion in die konkrete Willensord­<br />

nung verlagert. Allerdings ist auch diese Natur in gewissem<br />

Sinn eine vorgegebene Größe, vorgegeben aber nicht als on-<br />

tisch-metaphysische Realität, son<strong>de</strong>rn als soziologischer<br />

Bef<strong>und</strong>. Ähnlich ist auch <strong>de</strong>r Begriff <strong>de</strong>r „conscientia", <strong>de</strong>s<br />

Gewissens, umge<strong>de</strong>utet. Conscientia ist nicht mehr das prak­<br />

tische Wissen um die Verwirklichung ewiger Normen, son<strong>de</strong>rn<br />

ein con-scire, ein Wissen mit an<strong>de</strong>ren zusammen um gemein­<br />

sam erkannte Gr<strong>und</strong>sollenssätze. Ein solches Naturrecht ent­<br />

spricht in etwa <strong>de</strong>r „kommunikativen Kompetenz" bei/. Haber­<br />

mas?<br />

Die Verlagerung <strong>de</strong>s Begriffs „Natur" ist bezeichnend für die<br />

gesamte Naturrechtsauffassung unserer Tage. Wer „Natur" nur<br />

im Sinn <strong>de</strong>s realistischen Optimismus <strong>de</strong>r Erkenntnis zu neh­<br />

men gewohnt ist, wird durch die stets anwachsen<strong>de</strong> Natur­<br />

rechtsliteratur geblen<strong>de</strong>t <strong>und</strong> zur Annahme verleitet, es voll­<br />

ziehe sich heute eine allgemeine Rückkehr zur alten Natur­<br />

rechtsauffassung <strong>de</strong>s hl. Thomas. Bei Ed. Spranger 10 ist <strong>de</strong>r Cha­<br />

rakter <strong>de</strong>s Universalen <strong>de</strong>rart außer Kraft gesetzt, daß das<br />

Naturrecht im Sinn einer ewig gelten<strong>de</strong>n Norm ausdrücklich<br />

als „Utopie" bezeichnet wird, da es für neu auftreten<strong>de</strong> kritische<br />

Situationen keine bestimmten Anwendungen enthalte. Das<br />

Naturrecht, das jeweils in Kraft sein mag, wird nur im Sinn<br />

einer Zukunftsnorm anerkannt, d. h. im zeitlichen Fluß <strong>de</strong>rTra-<br />

9 /. Habermai, Vorbereiten<strong>de</strong> Bemerkungen zu einer Theorie <strong>de</strong>r kommunikativen<br />

Kompetenz, in: J. Habermas/N. Luhmann, Theorie <strong>de</strong>r Gesellschaft<br />

o<strong>de</strong>r Sozialtechnologie — Was leistet die Systemforschung?, 101—141.<br />

1 0 E. Spranger, Zur Frage <strong>de</strong>s Naturrechts, in: Universitas 3 (1948) 405—420.<br />

281


57. 2 dition, <strong>und</strong> zwar hier nur richtunggebend auf das Kommen<strong>de</strong><br />

hin. Wir begegnen hier einer existentiellen <strong>Recht</strong>sphilosophie,<br />

wie sie auch <strong>de</strong>r bereits zitierte Autor Beyer vertritt.<br />

Immerhin wirken in <strong>de</strong>r heutigen Naturrechtsauffassung<br />

noch stark einige Überreste <strong>de</strong>r christlichen Tradition <strong>und</strong> vor<br />

allem auch die auf <strong>de</strong>n jüngsten Bankrott <strong>de</strong>s Positivismus<br />

erfolgte Neubesinnung auf die ursprünglichen <strong>Recht</strong>san­<br />

sprüche <strong>de</strong>s Menschen, so daß sich die Ergebnisse dieses heuti­<br />

gen „versubjektivierten" Naturrechts oft in auffallen<strong>de</strong>r Ähn­<br />

lichkeit mit <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r alten christlichen Naturrechtslehre tref­<br />

fen.<br />

Dasjenige, woran eigentlich die mo<strong>de</strong>rnste Naturrechtsauf­<br />

fassung, soweit sie sich nicht in <strong>de</strong>n Bahnen <strong>de</strong>r thomistischen<br />

Tradition bewegt, Anstoß nimmt, ist <strong>de</strong>r Begriff <strong>de</strong>r „vorstaatli­<br />

chen" <strong>Recht</strong>e. Das <strong>Recht</strong> kann man sich nach mo<strong>de</strong>rner An­<br />

schauung nur in <strong>de</strong>r existenten Gesellschaft vorstellen, <strong>und</strong><br />

auch da nur, insofern diese organisiert ist. Die Gesellschaft wird<br />

ihrerseits durch an<strong>de</strong>re Motive als die <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s aufgerufen,<br />

sich <strong>de</strong>r menschlichen Lebenswerte bewußt zu sein <strong>und</strong> ihnen<br />

entsprechend <strong>Recht</strong>spolitik zu betreiben zur Schaffung <strong>de</strong>s<br />

„richtigen" <strong>Recht</strong>s. So kommt man heute durchweg auf die<br />

Werte als Normen von zu bil<strong>de</strong>n<strong>de</strong>m <strong>Recht</strong>. Und zwar sind<br />

diese Werte in ihrer Allgemeingültigkeit <strong>und</strong> Allgemeinver­<br />

pflichtung anerkannt. Der Gedanke J.Tammelos 1 , daß die<br />

<strong>Recht</strong>snorm jeweils nur <strong>de</strong>m Forscher intuitiv gegeben sei,<br />

nähert sich stark einem individualistischen Wert<strong>de</strong>nken.<br />

Im weitaus größeren Teil <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen Literatur ist Vorfeld<br />

<strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s das Feld <strong>de</strong>r Werte im Sinne <strong>de</strong>r materiellen Werte<br />

M. Schelers <strong>und</strong> N. Hartmanns. Ph. Heck hatte in seinem um­<br />

strittenen Buch „Begriffs- <strong>und</strong> Interessenjurispru<strong>de</strong>nz" (1932)<br />

die Notwendigkeit einer Wertforschung, also einer Wertlehre,<br />

für die <strong>Recht</strong>swissenschaft verteidigt. Dabei aber verwies er<br />

diese Wertforschung in die <strong>Recht</strong>sphilosophie, die ihm keine<br />

Wissenschaft vom <strong>Recht</strong>, son<strong>de</strong>rn eine „Vorwissenschaft" ist.<br />

Die Literatur <strong>de</strong>r Nachkriegszeit legt Gewicht darauf, diese<br />

Wertforschung, wie sie für die <strong>Recht</strong>sbildung von Be<strong>de</strong>utung<br />

ist, nicht mehr in <strong>de</strong>n Vorhof <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>swissenschaft zu verwei­<br />

sen, son<strong>de</strong>rn sie unmittelbar als Gegenstand <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>swissen­<br />

schaft anzuerkennen. Ob aber diese Annäherung an altes<br />

11 J.Tammelo, Untersuchungen zum Wesen <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>snorm. 1947.<br />

282


Naturrechts<strong>de</strong>nken wirklich so viel be<strong>de</strong>utet, wie es <strong>de</strong>n 57. 2<br />

Anschein hat?<br />

H. Mitteis 12 hebt als einen zentralen Wert das Ethos <strong>de</strong>r Persönlichkeit<br />

hervor. Im selben Sinne fin<strong>de</strong>n wir bei H. Coing 13<br />

dieses Persönlichkeitsi<strong>de</strong>al als einen Gr<strong>und</strong>ton <strong>de</strong>s mo<strong>de</strong>rnen<br />

<strong>Recht</strong>sempfin<strong>de</strong>ns. Durchweg hat man sich damit abgef<strong>und</strong>en,<br />

<strong>und</strong> mehr als das, man hat es sogar befürwortet, daß die morali­<br />

schen Kategorien zu <strong>de</strong>n rechtsbestimmen<strong>de</strong>n Faktoren gehören.<br />

So auch, nach langer Entwicklung, selbst G. Radbruch.<br />

Und doch sind diese Werte nicht eigentlich aus sich <strong>Recht</strong>s­<br />

normen; <strong>de</strong>r Weg von <strong>de</strong>r Moral o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Werten geht nicht<br />

direkt zum Inhalt <strong>de</strong>ssen, was <strong>Recht</strong> sein soll, son<strong>de</strong>rn über das<br />

<strong>Recht</strong>sbewußtsein <strong>de</strong>r Gesellschaft; nicht <strong>de</strong>r objektive Wert als<br />

solcher hat rechtsbil<strong>de</strong>n<strong>de</strong> <strong>und</strong> rechtserzeugen<strong>de</strong> Kraft, son­<br />

<strong>de</strong>rn nur das Bewußtsein von diesen Werten, <strong>und</strong> zwar das<br />

Bewußtsein, sofern es sich in <strong>de</strong>r Gesellschaft ausbreitet. Auch<br />

bei Thomas begegnen wir etwas Ähnlichem, insofern nicht <strong>de</strong>r<br />

Inhalt aus sich die Bewandtnis <strong>de</strong>s Sollens hat, son<strong>de</strong>rn nur,<br />

insofern er ins menschliche Bewußtsein eintritt <strong>und</strong> von diesem<br />

als For<strong>de</strong>rung gestellt wird. Wir wer<strong>de</strong>n darauf noch bei <strong>de</strong>r<br />

Besprechung <strong>de</strong>s rechtslogischen Prozesses zurückkommen.<br />

Aber Thomas erkennt in diesem Bewußtsein noch eine allge­<br />

meingültige menschliche Vernunft <strong>und</strong> nicht bloß ein Wertge­<br />

fühl. In <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen <strong>Recht</strong>sphilosophie wer<strong>de</strong>n aber die<br />

Werte als <strong>Recht</strong>snormen nivelliert entsprechend <strong>de</strong>m Kultur-<br />

<strong>und</strong> Moralniveau <strong>de</strong>r Gesellschaft. Im Gr<strong>und</strong>e genommen<br />

kommt man also auf die alten Auffassungen vom <strong>Recht</strong>sgefühl<br />

zurück. Die Ethik wird im <strong>Recht</strong>sbereich zu <strong>de</strong>m, was die<br />

Gemeinschaft als solche empfin<strong>de</strong>t, entsprechend <strong>de</strong>r Defini­<br />

tion <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s, das nichts an<strong>de</strong>res als „eine soziale Frie<strong>de</strong>ns­<br />

ordnung" sein soll, <strong>und</strong> zwar eine Frie<strong>de</strong>nsordnung <strong>de</strong>r exi­<br />

stenten Gesellschaft, wie sie augenblicklich <strong>de</strong>nkt <strong>und</strong> fühlt.<br />

Diese Nivellierung <strong>de</strong>r Ethik im Bereich <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>snormen<br />

<strong>und</strong> entsprechend die Verbannung <strong>de</strong>r Ethik aus <strong>de</strong>m <strong>Recht</strong><br />

selbst haben nicht zuletzt ihren Gr<strong>und</strong> in <strong>de</strong>r inhaltlich völlig<br />

entleerten Fassung <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>snorm. Aus <strong>de</strong>m i<strong>de</strong>alistischen Be-<br />

1 2 H. Mitteis, Über das Naturrecht. Deutsche Aka<strong>de</strong>mie <strong>de</strong>r Wissenschaften zu<br />

Berlin, Vorträge <strong>und</strong> Schriften, Heft 26, 1948.<br />

13 H. Coing, Die obersten Gr<strong>und</strong>sätze <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s. Ein Versuch <strong>de</strong>r Neubegründung<br />

<strong>de</strong>s Naturrechts. Schriften <strong>de</strong>r „Süd<strong>de</strong>utschen Juristenzeitung", Heft 4,<br />

1947.<br />

283


57. 2 griff <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> wer<strong>de</strong>n die Achtung vor <strong>de</strong>r Persönlich­<br />

keit sowie die verschie<strong>de</strong>nen <strong>Recht</strong>snormen abgeleitet. Es<br />

bedarf also einer ganz bestimmten <strong>und</strong> vorgefaßten I<strong>de</strong>e <strong>und</strong><br />

Wertempfindung, wenn man aus <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> die verschie­<br />

<strong>de</strong>nen Menschenrechte ableiten will. Im Gr<strong>und</strong>e han<strong>de</strong>lt es sich<br />

daher nicht um eine Analyse <strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Wesen <strong>de</strong>s Menschen <strong>und</strong><br />

<strong>de</strong>r menschlichen Gesellschaft entnommenen I<strong>de</strong>e „Gerechtig­<br />

keit", son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>s Wertempfin<strong>de</strong>ns in bezug auf die Gerechtig­<br />

keit. Bereits die oberste <strong>Recht</strong>snorm läßt wegen ihrer kategoria-<br />

len Leere eine verschie<strong>de</strong>ne Aus<strong>de</strong>utung im konkreten <strong>Recht</strong>s­<br />

empfin<strong>de</strong>n zu, so daß es nur an<strong>de</strong>rer Menschen mit an<strong>de</strong>rer<br />

Erziehung <strong>und</strong> an<strong>de</strong>ren Erfahrungen bedarf, um sogleich einen<br />

Wan<strong>de</strong>l in <strong>de</strong>n <strong>Recht</strong>snormen <strong>und</strong> in <strong>de</strong>r Folge im <strong>Recht</strong> herbei­<br />

zuführen.<br />

Doch sei nicht verschwiegen, daß die Scholastik selbst Anlaß<br />

zu einer solch entleerten Auffassung <strong>de</strong>s obersten Gerechtig­<br />

keitsbegriffs gibt. Aus <strong>de</strong>n Erörterungen <strong>de</strong>r Scholastiker über<br />

das Prinzip „Je<strong>de</strong>m das Seine geben" gewinnt man leicht <strong>de</strong>n<br />

Eindruck einer formalen Kategorie. Dieser Eindruck wird noch<br />

dadurch verstärkt, daß die Scholastik nur das allgemeinste Prin­<br />

zip „Das Gute ist zu tun, das Böse zu mei<strong>de</strong>n" <strong>und</strong> ähnliche<br />

Formulierungen, wie „<strong>de</strong>m an<strong>de</strong>rn nichts Böses zufügen", als<br />

eigentlich allgemeingültige Normen hinstellte, während die<br />

Ableitungen schon nicht mehr diese Unabän<strong>de</strong>rlichkeit aufwei­<br />

sen, so daß man von Naturrechtsprinzipien her sowohl auf die<br />

Monogamie wie auch auf die Polygamie schließen konnte. 14<br />

Thomas hatte zwei Arten von Naturrechtsprinzipien unter­<br />

schie<strong>de</strong>n: allgemeinste <strong>und</strong> zweitrangige (I—II 94,5). Die allge­<br />

meinen, unter <strong>de</strong>nen sich z. B. auch das Prinzip <strong>de</strong>r Gerechtig­<br />

keit fin<strong>de</strong>t: „Je<strong>de</strong>m das Seine geben, nieman<strong>de</strong>m das Seinige<br />

nehmen", erinnern sehr stark an <strong>de</strong>n neukantianischen Norm­<br />

begriff. Gera<strong>de</strong> dies ist es wahrscheinlich auch, was <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>r­<br />

nen <strong>Recht</strong>sphilosophie bei Thomas so gefällt <strong>und</strong> sie anzieht.<br />

Selbst ein Positivist wie <strong>de</strong>r Amerikaner Jerome Frank zollt Tho­<br />

mas v. Aquin das unerhört schmeicheln<strong>de</strong> Lob: „Ich verstehe<br />

nicht, wie irgen<strong>de</strong>in vernünftiger <strong>und</strong> gesitteter Mensch heute<br />

es ablehnen kann, die Gr<strong>und</strong>prinzipien <strong>de</strong>s Naturrechts bezüg­<br />

lich <strong>de</strong>s menschlichen Verhaltens, wie sie Thomas v. Aquin fest-<br />

14 Vgl. C.R.Billuart, Summa S.Th., T.IV., Tract.<strong>de</strong>leg., Diss.II, Art.IV.<br />

284


gestellt hat, als Gr<strong>und</strong>lage <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen Kultur anzuerken- 57. 2<br />

nen". 15<br />

Das Lob steht durchaus zurecht, aber nicht in <strong>de</strong>m Sinne,<br />

wie es etwa die i<strong>de</strong>alistische o<strong>de</strong>r positivistische <strong>Recht</strong>sphiloso­<br />

phie meint. Die ungeheure Weite <strong>und</strong> Wan<strong>de</strong>lbarkeit, die Tho­<br />

mas <strong>de</strong>n Naturrechtsnormen zuerkennt, ist alles an<strong>de</strong>re als <strong>de</strong>r<br />

Ausdruck einer Naturrechtsauffassung im Sinne <strong>de</strong>r Lehre vom<br />

Wertempfin<strong>de</strong>n <strong>und</strong> Wertgefühl. Thomas spricht an jener Stelle<br />

vom sittlichen Teil <strong>de</strong>r Naturgesetze <strong>und</strong> meint, daß die sittliche<br />

Verantwortung in <strong>de</strong>m Maße abnimmt, in welchem man die<br />

Normen nicht mehr mit Sicherheit erkennt. Natürlich ist dann<br />

auch die Gesellschaft sittlich nicht gehalten, diese Prinzipien in<br />

ihrer vollgültigen objektiven Werthaftigkeit zu ihren <strong>Recht</strong>snor­<br />

men zu erklären. Hier ist darum auch die Stelle, an <strong>de</strong>r von Tho­<br />

mas her <strong>de</strong>r Zugang zu <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen Lehre vom soziologi­<br />

schen Wertgefühl als <strong>de</strong>m rechtsformen<strong>de</strong>n Faktor gef<strong>und</strong>en<br />

wer<strong>de</strong>n kann. 16 Es wäre aber gr<strong>und</strong>falsch, die Naturrechtsprin­<br />

zipien ihrer absoluten Normkraft entklei<strong>de</strong>n zu wollen. Diese<br />

absolute Normkraft läßt z.B. nicht zu, daß man mit manchen<br />

Scholastikern erklärt, Gott habe im Alten Testament von <strong>de</strong>r<br />

Monogamie „dispensiert". Wenn die Monogamie wirklich eine<br />

naturrechtliche For<strong>de</strong>rung ist, dann gibt es keine Dispens. Es<br />

mag sein, daß die Erkenntnis einer solchen For<strong>de</strong>rung nicht<br />

einer je<strong>de</strong>n Menschheitsgruppe aufgeht. Darum gibt es eine sitt­<br />

liche Entschuldigung für diese Menschen. Nie aber kann es eine<br />

objektive, wertmäßige Wandlung geben; darum auch kann die<br />

göttliche Autorität niemals dispensieren; sie kann einzig <strong>de</strong>n<br />

konkreten, sittlich entschuldbaren mißlichen Umstän<strong>de</strong>n Rech­<br />

nung tragen, in<strong>de</strong>m sie <strong>de</strong>n objektiven Abfall nicht anrechnet.<br />

Die Scholastiker hätten klarer unterschei<strong>de</strong>n müssen zwischen<br />

<strong>de</strong>n (objektiv) rechtlichen Normen <strong>und</strong> <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r Erkenntnis<br />

abhängigen sittlichen Verantwortung gegenüber diesen Nor­<br />

men. Allein von <strong>de</strong>r Erkenntnisfähigkeit <strong>und</strong> <strong>de</strong>r dieser entspre­<br />

chen<strong>de</strong>n sittlichen Verantwortung her spricht Thomas von <strong>de</strong>r<br />

Unterscheidung zwischen primären (allgemeinsten) <strong>und</strong><br />

15 J.Frank, Einleitung zur 6.Aufl. von „Law and the Mo<strong>de</strong>rn Mind", XVII.<br />

Zitiert nach H. Coing, in: Archivfür<strong>Recht</strong>s-<strong>und</strong> Sozialphilosophie 38 (1949/<br />

50) 554.<br />

1 6 Beispielhaft für die soziologische Sicht von <strong>Recht</strong>snormen: P.Trappe, Soziale<br />

Norm, Normalität <strong>und</strong> Wirklichkeit, in: P.Trappe, Kritischer Realismus in<br />

<strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>ssoziologie, Wiesba<strong>de</strong>n 1983, 67—84.<br />

285


57. 2 sek<strong>und</strong>ären Naturrechtsprinzipien. Für Thomas ist das Natur­<br />

recht gr<strong>und</strong>sätzlich ein rational analysierbarer Sachverhalt, in<br />

welchen die unwan<strong>de</strong>lbaren Prinzipien (also die <strong>Recht</strong>snor­<br />

men) verwoben sind.<br />

In<strong>de</strong>m die mo<strong>de</strong>rne <strong>Recht</strong>sphilosophie das Wertempfin<strong>de</strong>n<br />

<strong>de</strong>r Gesellschaft als die <strong>de</strong>m positiven Gesetz vorgeordnete<br />

<strong>Recht</strong>snorm bezeichnet, entfernt sie sich völlig vom eigentli­<br />

chen Naturrechts<strong>de</strong>nken, sosehr sie vielleicht sich als solches<br />

ausgibt. Wenn man schon in das Wertbewußtsein <strong>de</strong>r Gesell­<br />

schaft abgleitet, dann wäre es, um das kollektive Gewissen zu<br />

erforschen, schließlich das einzig Folgerichtige, mit Fr. W. Jeru­<br />

salem 17 die Soziologie zu befragen, also mit Hilfe <strong>de</strong>r soziologi­<br />

schen Metho<strong>de</strong> die Zweckmäßigkeit <strong>de</strong>r sozialen Wirklichkeit<br />

festzustellen <strong>und</strong> damit auch zu festen <strong>Recht</strong>ssprüchen zu<br />

gelangen. So allerdings wird die Soziologie „das Naturrecht<br />

unserer Zeit" 18 . Das Resultat solchen Naturrechts ist in <strong>de</strong>m<br />

Satz nie<strong>de</strong>rgelegt: „Entschei<strong>de</strong>nd ist nicht, daß diese Ergebnisse<br />

wahr sind, son<strong>de</strong>rn daß sie gelten, <strong>und</strong> zwar für die <strong>Recht</strong>sge­<br />

meinschaft gelten, d.h. daß sie Bestandteil <strong>de</strong>s Geistes <strong>de</strong>r<br />

<strong>Recht</strong>sgemeinschaft <strong>und</strong> von diesem rezipiert o<strong>de</strong>r je<strong>de</strong>nfalls<br />

anerkannt sind bzw. anerkannt wer<strong>de</strong>n können". 19<br />

Von hier aus ist dann kein weiter Weg mehr zu Savignys<br />

Volksgeist, <strong>de</strong>m auch O. Veit 20 , selbst ein Verteidiger <strong>de</strong>r Natur­<br />

rechtslehre, sich verschreibt. Damit aber sind wir beim ewigen<br />

Wer<strong>de</strong>n <strong>und</strong> Vergehen <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>snormen (nicht etwa nur <strong>de</strong>s<br />

<strong>Recht</strong>s, <strong>de</strong>m ja auch Thomas Wan<strong>de</strong>lbarkeit zuerkennt) ange­<br />

langt, <strong>und</strong> wir könnten genau so gut mit <strong>de</strong>m Materialisten <strong>und</strong><br />

Marxisten H.J. Laski 21 die natürliche Ordnung, das Vorgege­<br />

bene, das im Mittelalter <strong>und</strong> in <strong>de</strong>r spanischen Tradition so hoch<br />

im Kurs stand, als in die wirtschaftliche Entwicklung verwoben<br />

ansehen <strong>und</strong> so <strong>de</strong>r „unabän<strong>de</strong>rlichen Verän<strong>de</strong>rung" die<br />

unwan<strong>de</strong>lbaren Naturrechtsprinzipien opfern.<br />

Entfernt man sich aber so weit von <strong>de</strong>n natürlichen Normen,<br />

dann wäre es immer noch besser <strong>und</strong> folgerichtiger, mit <strong>de</strong>m<br />

amerikanischen Realisten Justice Holmes erst dort <strong>Recht</strong> zu<br />

17 F.W.Jemsalem, Kritik <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>swissenschaft, 1948.<br />

1 8 A.a.O.XX,5.<br />

1 9 A.a.O.52.<br />

2 0 O.Veit, Die geistesgeschichtliche Situation <strong>de</strong>s Naturrechts, in: Merkur 1<br />

(1947) 390-405.<br />

2 1 H.J. Laski, Grammär of Politics, 1941.<br />

286


erkennen, wo <strong>de</strong>r Richter es ausspricht, <strong>und</strong> je<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren 57. 2<br />

<strong>Recht</strong>snorm die Wirklichkeit abzusprechen, weil sie nicht mehr<br />

wirklich sei in <strong>de</strong>m Augenblick, da wir über sie nach<strong>de</strong>nken.<br />

O<strong>de</strong>r wir können ebensogut mit <strong>de</strong>r Freirechtslehre einig<br />

gehen <strong>und</strong> etwa mit Fi. Isay, H. Kantorowicz o<strong>de</strong>r E. Fuchs erklä­<br />

ren, daß erst <strong>de</strong>r Richter <strong>Recht</strong> schaffe, da je<strong>de</strong> Norm um ihrer<br />

abstrakten Form willen zu einer solchen Wirkung unfähig sei.<br />

Zu guter Letzt schließt sich wie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Kreis: vom Positivis­<br />

mus zum scheinbaren Naturrecht <strong>und</strong> von hier wie<strong>de</strong>r zurück<br />

zum Positivismus.<br />

Die Unterscheidung zwischen <strong>Recht</strong> <strong>und</strong> Moral, von <strong>de</strong>r<br />

bereits kurz die Re<strong>de</strong> war, bedarf — im engen Rahmen, <strong>de</strong>r hier<br />

zur Verfügung steht — noch einer Erklärung. Der Unterschied<br />

zwischen <strong>Recht</strong> <strong>und</strong> Moral kann einem hellsichtigen Auge nicht<br />

entgehen, sosehr er von einem Teil <strong>de</strong>r Scholastiker auf Gr<strong>und</strong><br />

<strong>de</strong>r nicht in Abre<strong>de</strong> zu stellen<strong>de</strong>n Wahrheit, daß die Normen<br />

<strong>de</strong>s Naturrechts zugleich auch sittliche Normen sind, überse­<br />

hen wur<strong>de</strong>.<br />

Es ist nicht unmittelbar einsichtig, warum die absoluten<br />

Normen <strong>de</strong>r Ethik zugleich auch rechtliche Bewandtnis haben<br />

sollen. Wenn man z. B. sagt, daß je<strong>de</strong>r Mensch, <strong>de</strong>r eine Ehe ein­<br />

gehen will, im Gewissen verpflichtet sei, sie nur als Einehe ein­<br />

zugehen, dann scheint noch nicht gegeben zu sein, daß <strong>de</strong>r­<br />

jenige, <strong>de</strong>r polygam lebt, von <strong>de</strong>r menschlichen Gesellschaft<br />

belangt wer<strong>de</strong>n könnte, also auf rechtlichem Wege erfaßbar sei,<br />

es sei <strong>de</strong>nn, die menschliche Gesellschaft habe ihrerseits die<br />

Einehe zu einem Bestandteil <strong>de</strong>s friedlichen Zusammenlebens<br />

erklärt. Ethische Normen sind nicht schon <strong>de</strong>swegen, weil sie<br />

ethisch sind, rechtliche Normen. Darin liegt auch <strong>de</strong>r Gr<strong>und</strong>,<br />

warum in <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen Sozialethik je<strong>de</strong>r Gedanke an ein<br />

rechtliches Zwangsnormensystem ausgeschaltet <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Blick<br />

nur auf das <strong>de</strong>r Gesellschaft vorzustellen<strong>de</strong>, von dieser frei zu<br />

erwählen<strong>de</strong> I<strong>de</strong>al gerichtet wird. Der Unterschied zwischen<br />

ethischer <strong>und</strong> rechtlicher Betrachtung ist also nicht zu leugnen.<br />

Die ethische ist die vertikale Sicht zu <strong>de</strong>n ewigen Gesetzen, die<br />

rechtliche die horizontale zu <strong>de</strong>n Mitmenschen. Die vertikale<br />

weist auf das absolute Sollen, <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r einzelne Mensch in sei­<br />

nem Gewissen wie einem ewigen Gericht anheimgegeben ist;<br />

die horizontale dagegen <strong>de</strong>utet auf die Organisation <strong>de</strong>r Men­<br />

schen untereinan<strong>de</strong>r, nicht um irgen<strong>de</strong>ines I<strong>de</strong>ales, son<strong>de</strong>rn um<br />

<strong>de</strong>r konkret irgendwie noch möglichen Frie<strong>de</strong>nsordnung wil-<br />

287


57. 2 len, da die konkrete soziale Ordnung notgedrungen <strong>de</strong>r kon­<br />

kreten Willensbildung <strong>de</strong>r Gesellschaftsglie<strong>de</strong>r Rechnung tra­<br />

gen muß, wenn sie nicht utopisch sein will. Der Unterschied<br />

zwischen <strong>Recht</strong> <strong>und</strong> Moral ist sogar ein realer, sofern man <strong>Recht</strong><br />

<strong>und</strong> Individualmoral einan<strong>de</strong>r gegenüberstellt. Denn es gibt in<br />

Wahrheit sittliche I<strong>de</strong>ale, die nur <strong>de</strong>r Einzelmensch ergreift <strong>und</strong><br />

vor seinem Gewissen als verpflichtend anerkennen muß. Der<br />

einzelne Mensch hat seinen eigenen Gewissensspruch, <strong>de</strong>n er<br />

nicht ohne weiteres <strong>de</strong>r Gemeinschaft aufzwingen kann.<br />

Im Raum <strong>de</strong>r Sozialethik sind <strong>Recht</strong> <strong>und</strong> Moral nicht mehr in<br />

dieser Wirklichkeit unterschie<strong>de</strong>n. Denn hier ist <strong>de</strong>rselbe Inhalt<br />

mit zwei verschie<strong>de</strong>nen Funktionen ausgerüstet, <strong>de</strong>r sittlichen<br />

<strong>und</strong> <strong>de</strong>r rechtlichen. Es gibt für Thomas ethische Werte, die<br />

wesentlich Gemeinschaftswerte sind, nämlich alle jene, welche<br />

aus <strong>de</strong>r menschlichen Wesenheit als solcher folgen, eben jener<br />

Wesenheit, in welcher alle Menschen zur menschlichen <strong>Recht</strong>s­<br />

gemeinschaft zusammengeschlossen sind. Diese ethischen<br />

Werte sind nicht nur Werte, son<strong>de</strong>rn zugleich <strong>Recht</strong>sansprüche<br />

<strong>de</strong>r Menschen untereinan<strong>de</strong>r. Das ethische Sollen <strong>de</strong>r natura<br />

humana ist ein Kulturauftrag an die gesamte Menschheit <strong>und</strong><br />

von ihr als solcher zu erfüllen. Denn nicht etwa nur das Gewis­<br />

sen <strong>de</strong>s einzelnen o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r vielen einzelnen Menschen ist zur<br />

Verwirklichung <strong>de</strong>s in <strong>de</strong>r natura humana enthaltenen Sollens<br />

aufgerufen, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Mensch als solcher. Darum ist das<br />

Ethos <strong>de</strong>r natura humana ein rechtliches Organisationsprinzip.<br />

Je<strong>de</strong>r kann <strong>und</strong> muß daher vom an<strong>de</strong>rn erwarten können, daß<br />

er „mitmache" in <strong>de</strong>r tatkräftigen Verwirklichung <strong>de</strong>r unabän­<br />

<strong>de</strong>rlichen ethischen Sollensordnung, soweit diese in <strong>de</strong>r<br />

menschlichen Natur nie<strong>de</strong>rgelegt ist.<br />

Dieser Gedanke ist allerdings nicht völlig durchzu<strong>de</strong>nken,<br />

ohne daß man auf <strong>de</strong>n Gesetzgeber dieser rechtlichen Normen<br />

zurückgreift, nämlich auf Gott. Wenngleich an <strong>de</strong>m Wort von<br />

Hugo Grotius, daß das Naturrecht auch ohne die Existenz Got­<br />

tes bestün<strong>de</strong> (si Deus non esset...), insofern etwas Wahres ist,<br />

als die naturrechtlichen Normen nicht im Willen Gottes, son­<br />

<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>r Natur <strong>de</strong>s Menschen begrün<strong>de</strong>t sind, so wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>m<br />

Naturrecht eben doch die gesetzliche Kraft abgehen, wenn man<br />

nicht auf Gott, näherhin die Vernunft Gottes, als die vorgege­<br />

bene Autorität, zurückginge. Eine weitere Erklärung dieses<br />

Gedankens können wir uns hier ersparen, da er in <strong>de</strong>n Traktat<br />

über das Gesetz gehört.<br />

288


In <strong>de</strong>r thomasischen <strong>Recht</strong>sphilosophie ist also je<strong>de</strong>r sittliche 57. 2<br />

Verstoß gegen die natura humana ein Skandal für die Mensch­<br />

heit, auch wenn diese <strong>de</strong> facto nicht skandalisiert ist. Der Skan­<br />

dal wird nicht nach <strong>de</strong>r gesellschaftlich gültigen Wertethik beur­<br />

teilt, son<strong>de</strong>rn nach <strong>de</strong>n Aufbauprinzipien, die ins Sein <strong>de</strong>r<br />

menschlichen Natur verflochten sind. Daß nur äußere Hand­<br />

lungen durch das menschliche Gesetz erfaßt wer<strong>de</strong>n können,<br />

tut dieser Auffassung keinen Eintrag.<br />

Wer aber besorgt nun die Bekanntgabe dieser naturrecht­<br />

lichen Normen? Diese Frage führt in das folgen<strong>de</strong> Thema hin­<br />

über.<br />

b) Der rechtslogische Prozeß<br />

von <strong>de</strong>n Normen zum konkreten <strong>Recht</strong><br />

Thomas steht für <strong>de</strong>n erkenntnistheoretischen Optimismus<br />

ein, <strong>de</strong>r besagt, daß die menschliche Vernunft naturhaft die Ver­<br />

anlagung in sich trägt, die absoluten Normen zu erkennen, so<br />

daß es an sich keiner eigenen Instanz zur Bekanntgabe bedarf,<br />

son<strong>de</strong>rn die praktische Vernunft <strong>de</strong>r Menschen genügt. Die<br />

praktische Vernunft aber ist nichts an<strong>de</strong>res als das, was wir<br />

Gewissen nennen. Damit ist jedoch nicht gesagt, daß das sitt­<br />

liche Gewissen <strong>de</strong>s einzelnen sich ohne weiteres zum Richter<br />

über die gesellschaftliche Organisation <strong>und</strong> Frie<strong>de</strong>nsordnung<br />

aufwerfen könne. Denn Thomas <strong>de</strong>nkt an das naturhafte<br />

Gewissen, das diesen rechtslogischen Prozeß vornimmt. Dar­<br />

unter versteht er jene subjektive Kraft <strong>de</strong>r Vernunft, die <strong>de</strong>n<br />

objektiven absoluten Normen als naturhaftes Organ entspricht.<br />

Natürlich ist damit nicht ein verobjektivierter Geist gemeint. Es<br />

wird aber die Auffassung vertreten, daß <strong>de</strong>r Mensch an sich,<br />

eben weil er eine natura humana besitzt, Vernunftkraft genug<br />

habe, um die Normen erkennen <strong>und</strong> von diesen aus unter Ein­<br />

beziehung <strong>de</strong>r konkreten Sachkenntnis die sachgeb<strong>und</strong>ene Fol­<br />

gerung ziehen zu können, was als im Hier <strong>und</strong> Jetzt von <strong>de</strong>r<br />

Gesellschaft rechtmäßig zu verwirklichen ist. Das Resultat die­<br />

ses logischen Prozesses ist Naturrecht.<br />

Man könnte nun mit <strong>de</strong>n vielen positivistisch eingestellten<br />

Gegnern <strong>de</strong>s hl. Thomas erklären, daß dieser Denkprozeß eben<br />

mehr ein logischer Prozeß <strong>de</strong>r Deduktion als ein rechtslogischer<br />

Prozeß sei. Um im <strong>Recht</strong>svorgang zu verbleiben, hat z.B. die<br />

Kelsensche Theorie <strong>de</strong>n rechtserzeugen<strong>de</strong>n Prozeß bis zur kon-<br />

289


57. 2 kreten <strong>Recht</strong>sanwendung durchgeführt. Aber gera<strong>de</strong> die tho­<br />

masische Auffassung von <strong>de</strong>r Vernunft als <strong>de</strong>r Kraft, die <strong>de</strong>n<br />

Weg von <strong>de</strong>n Normen zum konkreten <strong>Recht</strong> überwin<strong>de</strong>n hel­<br />

fen soll, scheint daran zu kranken, daß sie einen metajuristi­<br />

schen Faktor einbezieht.<br />

Dem ist nicht so, weil in <strong>de</strong>r Lehre <strong>de</strong>s hl. Thomas die prak­<br />

tische Vernunft, insofern sie <strong>de</strong>n objektiven Sachverhalt richtig<br />

analysiert, d. h. insofern sie wahr ist, rechtserzeugen<strong>de</strong> Kraft<br />

besitzt; <strong>de</strong>nn entsprechend <strong>de</strong>r scholastischen Lehre von <strong>de</strong>r<br />

Syn<strong>de</strong>resis ist die menschliche Vernunft von Natur aus darauf<br />

angelegt, die objektiv vorliegen<strong>de</strong>n Sachverhalte in ihrem Nor­<br />

mengehalt zu erkennen <strong>und</strong> als Normen auszusprechen. Die<br />

Naturrechtslehre <strong>de</strong>s hl. Thomas sieht im naturhaften Spruch<br />

<strong>de</strong>r praktischen Vernunft <strong>de</strong>n nächsten Gesetzgeber <strong>de</strong>r Men­<br />

schenrechte, <strong>de</strong>r dann seinerseits höher weist, nämlich auf <strong>de</strong>n<br />

ewigen Gesetzgeber über dieser Welt. Man mag diese Metaphy­<br />

sik als verworrene Spekulation ablehnen. Man wird aber mit ihr<br />

in <strong>de</strong>r Praxis doch immer rechnen müssen. Denn in <strong>de</strong>r Tiefe<br />

<strong>de</strong>s Bewußtseins lebt in einem je<strong>de</strong>n Menschen immer die<br />

Überzeugung, daß er irgendwie autorisiert sei, gegen die Verlet­<br />

zungen seiner ursprünglichen <strong>Recht</strong>e in revolutionärer Aufleh­<br />

nung Front zu machen. Tatsächlich hat keine an<strong>de</strong>re Metaphy­<br />

sik als diese die Revolutionäre von 1789 <strong>und</strong> 1848 im Kampf um<br />

das <strong>Recht</strong> auf Arbeit begeistert.<br />

Damit ist das Gewissen in vollständig logischer Form in <strong>de</strong>n<br />

rechtserzeugen<strong>de</strong>n Prozeß eingereiht, nicht allerdings das<br />

Gewissen, sofern es nach persönlicher sittlicher Haltung in per­<br />

sönlichen sittlichen Fragen urteilt, son<strong>de</strong>rn insofern es ein Wis­<br />

sen um <strong>de</strong>n Sachverhalt ist, <strong>de</strong>r die Frie<strong>de</strong>nsordnung <strong>de</strong>r Men­<br />

schen objektiv bestimmen soll, ein Wissen, das in <strong>de</strong>r Folge ent­<br />

sprechend seiner naturhaften Anlage diese Frie<strong>de</strong>nsordnung<br />

spontan for<strong>de</strong>rt, <strong>und</strong> zwar mit einer Autorität, die ihre letztgül­<br />

tige Sendung vom ewigen Gesetzgeber ableitet.<br />

Daraus ergibt sich eine folgenschwere Einsicht: Je<strong>de</strong>s gewis­<br />

senlose Han<strong>de</strong>ln gegen die Menschenwür<strong>de</strong>, sei es nun vonsei­<br />

ten <strong>de</strong>r gesetzgeben<strong>de</strong>n Autorität, sei es vonseiten <strong>de</strong>r ausfüh­<br />

ren<strong>de</strong>n Organe, ist ein naturrechtliches Verbrechen <strong>und</strong> darum<br />

in sich strafwürdig. Es kann daher in durchaus rechtslogischem<br />

Sinne von einer kommen<strong>de</strong>n Autorität bestraft wer<strong>de</strong>n, auch<br />

wenn die früheren positiven Gesetze, unter <strong>de</strong>nen das Verbre­<br />

chen gegen die Menschenwür<strong>de</strong> geschehen ist, dieses als sol-<br />

290


ches nicht geahn<strong>de</strong>t hätten. Mit an<strong>de</strong>ren Worten: das Natur- 57. 2<br />

recht hat wirkliche Geltung, auch wenn das positive <strong>Recht</strong><br />

dagegensteht.<br />

Damit sind wir bei <strong>de</strong>m für einen Positivisten so ungeheuer­<br />

lich klingen<strong>de</strong>n Thema von <strong>de</strong>r Mehrheit <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s angelangt,<br />

ein Thema, das das Problem von <strong>de</strong>r Kollision zwischen Natur­<br />

recht <strong>und</strong> positivem <strong>Recht</strong> in sich birgt. Für Thomas gibt es kein<br />

positives <strong>Recht</strong>, das im Wi<strong>de</strong>rspruch stän<strong>de</strong> zum Naturrecht;<br />

<strong>de</strong>nn es wäre nicht <strong>Recht</strong>, weil je<strong>de</strong>s positive Gesetz, das <strong>de</strong>m<br />

Naturrecht wi<strong>de</strong>rstreitet, wirkungslos, also unfähig ist, <strong>Recht</strong><br />

zu konstituieren. Damit ist die For<strong>de</strong>rung nach Einheit <strong>de</strong>s<br />

<strong>Recht</strong>s gewahrt.<br />

Im übrigen ist niemand ein eifrigerer Verteidiger <strong>de</strong>r Einheit<br />

<strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s als Thomas selbst. Kein Gedanke beherrscht die<br />

thomasische <strong>Recht</strong>sphilosophie stärker als <strong>de</strong>r Gedanke <strong>de</strong>r<br />

Ordnung <strong>und</strong> <strong>de</strong>s Frie<strong>de</strong>ns. Gera<strong>de</strong> darin sieht Thomas <strong>de</strong>n<br />

Sinn <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s, die Frie<strong>de</strong>nsordnung zu garantieren. So kann<br />

es nach ihm nur jeweils ein einziges <strong>Recht</strong> geben, wenngleich es<br />

zwei <strong>Recht</strong>squellen (Naturrecht <strong>und</strong> positives Gesetz) gibt. Um<br />

dieser Gr<strong>und</strong>finalität <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s überhaupt (also <strong>de</strong>r Natur <strong>de</strong>s<br />

<strong>Recht</strong>s) zu entsprechen, wird daher die Gesellschaft nicht je<strong>de</strong>m<br />

Einzelgewissen freien Lauf gewähren können. Die positivrecht­<br />

liche Festlegung wird von selbst zur dringlichen Notwendigkeit<br />

<strong>und</strong> damit zum naturrechtlichen Erfor<strong>de</strong>rnis. Bei aller Bevorzu­<br />

gung, welche das Naturrecht bei Thomas auf philosophischer<br />

Ebene genießt, ist Thomas Realist genug <strong>und</strong> räumt <strong>de</strong>m positi­<br />

ven <strong>Recht</strong> in <strong>de</strong>r Praxis eine weite Aktionsbasis ein. Wie stark er<br />

bei aller gr<strong>und</strong>sätzlichen Naturrechtsauffassung das formale<br />

<strong>Recht</strong> <strong>de</strong>s Staates betont, beweisen seine Fragen über das Pro-<br />

zeßrecht (Fr. 67—71) <strong>und</strong> vor allem seine gr<strong>und</strong>sätzliche For<strong>de</strong>­<br />

rung <strong>de</strong>r Unterordnung unter die gegebene staatliche Autorität.<br />

Das Mittelalter dachte um <strong>de</strong>r naturrechtlichen Gr<strong>und</strong>for<strong>de</strong>­<br />

rung <strong>de</strong>r Frie<strong>de</strong>nsordnung willen im Hinblick auf das beste­<br />

hen<strong>de</strong> positive <strong>Recht</strong> viel zu konservativ, als daß er z.B. <strong>de</strong>n<br />

Mord an einer auch noch so tyrannischen Obrigkeit befürwor­<br />

tet hätte, es sei <strong>de</strong>nn einzig in <strong>de</strong>m Fall, daß diese überhaupt<br />

noch nicht im gefestigten Besitze <strong>de</strong>r Gewalt wäre. 22 Selbst<br />

In diesem Sinne ist die Thomasstelle in 2. Sent. dist. 44, q. 2, a. 2 ad 5 zu verstehen.<br />

291


57. 2 einem ungerechterweise zum To<strong>de</strong> Verurteilten erlaubt Thomas<br />

<strong>de</strong>n aktiven Wi<strong>de</strong>rstand nur, wenn keine öffentliche Unruhe zu<br />

befürchten ist (68,4).<br />

3. DAS JUS GENTIUM"<br />

(Art. 3)<br />

57. 3 Ist die Einteilung <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s in Naturrecht <strong>und</strong> positives<br />

<strong>Recht</strong> erschöpfend? Das ist die sich unmittelbar aufdrängen<strong>de</strong><br />

Frage. Dem hl. Thomas wur<strong>de</strong> diese Frage durch verschie<strong>de</strong>ne<br />

an<strong>de</strong>re Einteilungen <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s vorgelegt, von <strong>de</strong>nen in <strong>de</strong>n bei­<br />

<strong>de</strong>n Artikeln 3 <strong>und</strong> 4 die Re<strong>de</strong> ist. Als erste be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong> Schwie­<br />

rigkeit (Art. 3) ergab sich für Thomas die Einordnung <strong>de</strong>s „jus<br />

gentium", das nach römischem <strong>Recht</strong> gegen das bürgerliche<br />

<strong>Recht</strong> abgetrennt wur<strong>de</strong>. Dieser dritte Artikel wur<strong>de</strong> durch die<br />

eigenwillige Erklärung, die er bei Franziskus <strong>de</strong> Vitoria erfahren<br />

hat, zum Anlaß einer umwälzen<strong>de</strong>n Entwicklung auf <strong>de</strong>m<br />

Gebiet <strong>de</strong>s Völkerrechts.<br />

In Rom stan<strong>de</strong>n von jeher <strong>de</strong>n feierlichen, mit <strong>Recht</strong>skraft<br />

<strong>de</strong>s bürgerlichen <strong>Recht</strong>s ausgestatteten <strong>Recht</strong>sgeschäften auch<br />

zahllose Verkehrsgeschäfte gegenüber, die ohne jegliche Form<br />

abgewickelt wur<strong>de</strong>n. Die „bona fi<strong>de</strong>s" war hier das Prinzip, jene<br />

bona fi<strong>de</strong>s, die noch nicht zu einer Quelle <strong>de</strong>s römischen <strong>Recht</strong>s<br />

gewor<strong>de</strong>n war. 23<br />

Wie sollten nun solche formlosen Geschäfte rechtliche Gül­<br />

tigkeit erlangen? Diese Frage war <strong>de</strong>swegen wichtig, weil sämt­<br />

liche Geschäfte mit Auslän<strong>de</strong>rn formlos waren, da <strong>de</strong>r Frem<strong>de</strong><br />

nach römischem <strong>Recht</strong> gr<strong>und</strong>sätzlich als rechtlos galt. Es war<br />

daher im Interesse <strong>de</strong>r Ordnung, daß sowohl die Geschäfte<br />

zwischen Frem<strong>de</strong>n als auch solche zwischen römischen Bür­<br />

gern <strong>und</strong> Frem<strong>de</strong>n juristisch geformt wur<strong>de</strong>n.<br />

Bis etwa 250 v.Chr. hatten immerhin die römischen<br />

Gemein<strong>de</strong>n mit an<strong>de</strong>ren Staaten nicht selten Staats- <strong>und</strong> Han­<br />

<strong>de</strong>lsverträge geschlossen (z.B. Karthago), wonach gegenseitig<br />

<strong>Recht</strong>ssch<strong>utz</strong> <strong>und</strong> <strong>Recht</strong>sfähigkeit zugesagt wur<strong>de</strong>n. So. z.B.<br />

2 3 Vgl. zum Geschichtlichen <strong>de</strong>s jus gentium R. Sohm, Institutionen.<br />

Geschichte <strong>und</strong> System <strong>de</strong>s römischen Privatrechtes. München-Leipzig<br />

1919 16 . O. Lottin, Le droit naturel chez S.Thomas d'Aquin et ses pre<strong>de</strong>cesseurs,<br />

1931 2 . R. Linharät, Die Sozialprinzipien <strong>de</strong>s hl. Thomas v. Aquin,<br />

Freiburg i.Br. 1932, 106ff.<br />

292


hatte nach <strong>de</strong>m zweiten Han<strong>de</strong>lsvertrag mit Karthago <strong>de</strong>r 57. 3<br />

Römer in Karthago die privatrechtliche Verkehrsfähigkeit <strong>de</strong>s<br />

karthagischen Bürgers, <strong>de</strong>r Karthager in Rom die privatrecht­<br />

liche Verkehrsfähigkeit <strong>de</strong>s römischen Bürgers. Den privilegier­<br />

ten Nichtbürgern (Peregrini) war so durch internationalen<br />

Fre<strong>und</strong>schaftsvertrag ein Teil <strong>de</strong>s römischen Bürgerrechts (das<br />

jus commercii) verliehen.<br />

Etwa im dritten Jahrh<strong>und</strong>ert än<strong>de</strong>rt sich die Lage. Rom, das<br />

zur Großmacht wird, braucht solche Fre<strong>und</strong>schafts vertrage<br />

nicht mehr. Zahlreiche Gemeinwesen wer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>m römischen<br />

Gemeinwesen einverleibt, ohne jedoch das Bürgerrecht <strong>de</strong>r<br />

Römer zu bekommen. Das römische Bürgerrecht ist also ein<br />

Privileg. Dadurch wird die juristische Formlosigkeit <strong>de</strong>r Han­<br />

<strong>de</strong>lsgeschäfte zwischen Römern <strong>und</strong> Frem<strong>de</strong>n <strong>und</strong> zwischen<br />

Frem<strong>de</strong>n untereinan<strong>de</strong>r noch stärker unterstrichen. Dabei<br />

gehörten <strong>Recht</strong>sgeschäfte zwischen Römern <strong>und</strong> Frem<strong>de</strong>n<br />

nicht zu <strong>de</strong>n Seltenheiten. Die Notwendigkeit eines <strong>Recht</strong>s, das<br />

außerhalb <strong>de</strong>s römischen Bürgerrechts <strong>de</strong>n <strong>Recht</strong>sverkehr<br />

unter <strong>de</strong>n Peregrini <strong>und</strong> mit diesen formte, lag auf <strong>de</strong>r Hand. In<br />

Rom wur<strong>de</strong> um 242 v. Chr. ein eigener Prätor für die Frem<strong>de</strong>n­<br />

rechtsprechung eingesetzt. Man erkannte also jetzt ein <strong>Recht</strong><br />

für die Frem<strong>de</strong>n an, das sogenannte jus gentium. Quellen dieses<br />

<strong>Recht</strong>s waren die Amtsgewalt <strong>de</strong>s römischen Magistrats, d. h.<br />

<strong>de</strong>s Prätors, <strong>und</strong> die Tradition. Das römische <strong>Recht</strong>, das Volks­<br />

gesetz, galt nur für die römische Bürgerschaft. Das Amtsrecht,<br />

das magistratische jus honorarium <strong>und</strong> das Gewohnheitsrecht<br />

brachten das jus gentium hervor, das ohne nationale Schranken<br />

für Frem<strong>de</strong> genau so gut Gültigkeit hatte wie für die Bürger­<br />

schaft. Im jus gentium vollzieht sich also eine Anpassung <strong>de</strong>s<br />

<strong>Recht</strong>s<strong>de</strong>nkens an das allgemein menschliche <strong>Recht</strong>bewußt-<br />

sein. Wir haben somit im jus gentium inhaltlich ein Weltrecht<br />

vor uns, ein <strong>Recht</strong> im Sinne eines naturhaften Sachverhalts, in<br />

gewissem Sinne ein „Naturrecht", das nach Treu <strong>und</strong> Glauben,<br />

nicht nach <strong>de</strong>m Buchstaben wirkt. Das jus gentium war also ein<br />

gemeines Menschenrecht, gemeinsam allen Völkern auf Gr<strong>und</strong><br />

<strong>de</strong>r Dinge. Es sprach sich darin das allgemein menschliche<br />

Gefühl <strong>de</strong>r Billigkeit aus. Und <strong>de</strong>nnoch war es als <strong>Recht</strong> nicht<br />

das Naturrecht <strong>de</strong>r Philosophie. Es bleibt ein Teil <strong>de</strong>s positiven,<br />

durch die Verkehrsgewohnheiten <strong>und</strong> an<strong>de</strong>re <strong>Recht</strong>squellen<br />

(beson<strong>de</strong>rs das prätorische Edikt) konkret gestalteten römischen<br />

<strong>Recht</strong>s. R. Sohm (a.a.O. 84) bestimmt darum das jus gen-<br />

293


57. 3 tium in folgen<strong>de</strong>r Formulierung: „Das jus gentium war <strong>de</strong>r Teil<br />

<strong>de</strong>s römischen Privatrechts, welcher mit <strong>de</strong>m <strong>Recht</strong> an<strong>de</strong>rer<br />

Völker (insbeson<strong>de</strong>re mit <strong>de</strong>m griechischen <strong>Recht</strong>, das an <strong>de</strong>n<br />

Gesta<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Mittelmeers eine natürliche Vorherrschaft aus­<br />

übte) in seinen Gr<strong>und</strong>gedanken übereinstimmte. Mit an<strong>de</strong>ren<br />

Worten, das jus gentium war <strong>de</strong>rjenige Teil <strong>de</strong>s römischen<br />

<strong>Recht</strong>s, welcher schon <strong>de</strong>n Römern als eine Art von ratio<br />

scripta, als gemeingültiges <strong>und</strong> gemeinmenschliches <strong>Recht</strong><br />

erschien."<br />

Da es für Thomas vom Gesichtspunkt <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>sentstehung<br />

her nur zwei Formen von <strong>Recht</strong> gibt, das natürliche <strong>und</strong> das<br />

positive, war es ihm zweifellos schwer gewor<strong>de</strong>n, dieses schil­<br />

lern<strong>de</strong> jus gentium vorbehaltlos in eine <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Kategorien<br />

einzuordnen. Diese schwere Aufgabe wird noch klarer, wenn<br />

man sich die verschie<strong>de</strong>nen Definitionen <strong>de</strong>s jus gentium, die<br />

Thomas vor sich hatte, vor Augen führt.<br />

Gaius (gegen 160) unterschied zwei Arten von <strong>Recht</strong>: das bürgerliche<br />

<strong>Recht</strong>, das je<strong>de</strong>s Volk aus eigenem Gutdünken gestal­<br />

tet, <strong>und</strong> das jus gentium, ein allgemeines Erbteil <strong>de</strong>r gesamten<br />

Menschheit, diktiert von <strong>de</strong>r menschlichen Vernunft. Das jus<br />

gentium scheint dabei <strong>de</strong>m Naturrecht gleichzukommen. Es ist,<br />

wie Gaius (Dig. 1.41,tit. 1,1) sagt, mit <strong>de</strong>m Menschenge­<br />

schlecht zugleich entstan<strong>de</strong>n. So gelte z.B. in gleicher Weise,<br />

daß die Dinge, die noch keinen Eigentümer haben, <strong>de</strong>mjenigen<br />

gehören, <strong>de</strong>r sich ihrer zuerst bemächtigt. 24 Ebenso gehören<br />

auch die Gefangenen <strong>de</strong>n Siegern. 25 Auch die Sklavenschaft<br />

wird zum jus gentium gezählt. 26<br />

Ulpian (gest. 228) übernahm die bereits bei Cicero stehen<strong>de</strong><br />

Einteilung <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s in Naturrecht, jus gentium <strong>und</strong> bürgerli­<br />

ches <strong>Recht</strong>. Neben <strong>de</strong>m bürgerlichen <strong>Recht</strong>, welches wie bei<br />

Gaius das einem je<strong>de</strong>n Volk eigene <strong>Recht</strong> besagt, gehört das jus<br />

gentium wie auch das Naturrecht <strong>de</strong>r ganzen Menschheit. Das<br />

Naturrecht ist nach stoischem Vorbild jene Richtschnur, nach<br />

welcher sowohl Menschen wie Tiere tätig sind: die animalischen<br />

Triebe. Das jus gentium ist im eigentlichen Sinn menschliches<br />

294<br />

Dig. 1.41, tit. 1,1 u.3.<br />

Ebd. tit. 1,5 u.7.<br />

Dig. 1.1, tit. 6,1.


<strong>Recht</strong> <strong>und</strong> dient allen Völkern in gleicher Weise als Norm. 2 7 57. 3<br />

Zum jus gentium gehört auch die Sklaverei. 28<br />

Die Institutionen Justinians (533) übernehmen die Dreitei­<br />

lung Ulpians. Zum jus gentium wer<strong>de</strong>n die Sklaverei <strong>und</strong>, von<br />

Hermogenian beeinflußt, die verschie<strong>de</strong>nen Institutionen<br />

bezüglich privater <strong>Recht</strong>sgeschäfte gerechnet. Auffallend ist,<br />

daß die Institutionen Justinians nicht mehr die Definition <strong>de</strong>s<br />

Naturrechts, wie sie sich bei Ulpian fin<strong>de</strong>t, übernehmen, son­<br />

<strong>de</strong>rn unter <strong>de</strong>m Naturrecht dasselbe verstehen wie unter <strong>de</strong>m<br />

jus gentium (vgl. O.Lottin, a.a.O.8). Beson<strong>de</strong>re Erwähnung<br />

verdient, daß die Institutionen Justinians, einen Text Marcians<br />

übernehmend, zu diesem natürlichen <strong>Recht</strong>, das bei allen Völ­<br />

kern gilt, auch die Ben<strong>utz</strong>ung <strong>de</strong>r Flüsse <strong>und</strong> Meere zählen.<br />

Sosehr das jus gentium durch die Anerkennung vonseiten <strong>de</strong>s<br />

römischen <strong>Recht</strong>s positiven Charakter angenommen hat, so<br />

geht dieser Aufnahme ins positive <strong>Recht</strong> <strong>de</strong>nnoch die Überle­<br />

gung voraus, daß alles, was überall durch die menschliche Ver­<br />

nunft diktiert <strong>und</strong> anerkannt wird, Naturfor<strong>de</strong>rung <strong>und</strong> darum<br />

ein Naturrecht sei.<br />

Isidor von Sevilla greift in seiner Einteilung auf Aristoteles<br />

zurück. Aristoteles hatte das bürgerliche <strong>Recht</strong> in das Natur­<br />

recht <strong>und</strong> das gesatzte <strong>Recht</strong> eingeteilt. Naturrecht war dabei<br />

alles, was irgendwie in <strong>de</strong>r Natur selbst beschlossen ist, unab­<br />

hängig von menschlichen Meinungen, unabhängig vor allem<br />

von je<strong>de</strong>r Gesetzgebung <strong>und</strong> <strong>Recht</strong>sprechung. Diesen Begriff<br />

<strong>de</strong>s Naturrechts übernimmt Isidor. Er verzichtet also auf die<br />

stoische Unterscheidung zwischen <strong>de</strong>m, was <strong>de</strong>m animalischen<br />

Trieb, <strong>und</strong> <strong>de</strong>m, was <strong>de</strong>r menschlichen Vernunft als solcher ent­<br />

spricht. So kann er das Naturrecht schlechthin <strong>de</strong>finieren als<br />

das <strong>Recht</strong>, das allen Nationen gemeinsam ist. Das jus gentium<br />

ist <strong>de</strong>m gegenüber jenes <strong>Recht</strong>, <strong>de</strong>ssen sich fast alle Völker<br />

bedienen. Es ist also bereits von <strong>de</strong>r Natur weg zu irgendwel­<br />

chem faktischen Gewohnheitsrecht hinübergenommen. Im<br />

übrigen wird die Unterscheidung nicht klar durchgeführt. Von<br />

beson<strong>de</strong>rem Interesse ist, daß Isidor unter <strong>de</strong>n einzelnen Bei­<br />

spielen <strong>de</strong>s jus gentium nicht nur allgemein privatrechtliche<br />

Institutionen, son<strong>de</strong>rn auch völkerrechtliche Gepflogenheiten<br />

Ebd. tit. 1,1.<br />

Ebd. tit. 1,4.<br />

295


57. 3 im heutigen Sinne aufzählt: Unverletzlichkeit <strong>de</strong>r Gesandten,<br />

Frie<strong>de</strong>nsverträge, Waffenstillstand.<br />

Das Dekret Gratians bringt in die Frage nur Verwirrung zwi­<br />

schen göttlichem <strong>und</strong> natürlichem Gesetz (vgl. O. Lottin,<br />

a. a. 0.11). Er wie<strong>de</strong>rholt außer<strong>de</strong>m nur die Einteilung von Lsi-<br />

dor.<br />

Was hat nun Thomas unter <strong>de</strong>m jus gentium verstan<strong>de</strong>n? Die<br />

scheinbaren Unstimmigkeiten rühren einzig daher, daß er mit<br />

<strong>de</strong>r aristotelischen Einteilung, wie auch mit <strong>de</strong>r von Ulpian-Isi-<br />

dor <strong>und</strong> <strong>de</strong>r von Gaius sich auseinan<strong>de</strong>rsetzen mußte (vgl. Eth.<br />

V, 12; I—II 95,4, DT, Bd. 13). Aus Art. 2 <strong>und</strong> I—II 95,4 folgt ein­<br />

<strong>de</strong>utig, daß Thomas das <strong>Recht</strong> vollgültig teilt in Naturrecht <strong>und</strong><br />

positives <strong>Recht</strong>. Naturrecht ist dabei nicht nur das, was bereits<br />

an sich nach Art eines analytischen Urteils gilt, son<strong>de</strong>rn auch<br />

dasjenige, was unter <strong>de</strong>n gegebenen konkreten Umstän<strong>de</strong>n ver­<br />

nunftgemäß sich aus <strong>de</strong>r Sachanalyse ergibt. Die Inhalte, welche<br />

die Tradition durchweg unter <strong>de</strong>m Namen <strong>de</strong>s jus gentium<br />

begriff, waren für Thomas nichts an<strong>de</strong>res als das durch vernünf­<br />

tige Sachanalyse gegebene <strong>Recht</strong>, also ebenfalls Naturrecht.<br />

Denn das Naturrecht ist wie das <strong>Recht</strong> überhaupt ein konkreter<br />

Sachverhalt. An<strong>de</strong>rerseits mußte Thomas, durch die Tradition<br />

gezwungen, <strong>de</strong>m jus gentium einen eigenen rechtlichen Gegen­<br />

standsbereich zuteilen. Dies geschieht, in<strong>de</strong>m er erklärt, daß<br />

alles unter das jus gentium falle, was mit <strong>de</strong>r menschlichen Ver­<br />

nunft aus <strong>de</strong>m naturrechtlichen An-sich erschlossen wor<strong>de</strong>n ist.<br />

Daraus folgt, daß Thomas im Gr<strong>und</strong>e einen doppelten Begriff<br />

von Naturrecht aufweist, insofern erstens alles, was unmittel­<br />

bar <strong>und</strong> an sich bereits als Naturrecht erkannt wird, zweitens<br />

dasjenige darunter gefaßt wird, was durch einen weiteren logi­<br />

schen Prozeß im Zusammenhang mit <strong>de</strong>r konkreten Befindlich­<br />

keit <strong>de</strong>r menschlichen Natur, d. h. ihrer existentiellen Um­<br />

stän<strong>de</strong>, erschlossen wird. Es besteht aber kein Zweifel, daß<br />

auch die zweite Fassung zum wahren Naturrecht gehört, wie<br />

wir es in <strong>de</strong>r Erklärung von Art. 2 dargestellt haben. Die Unter­<br />

scheidung in „an sich naturrechtlich" <strong>und</strong> „erschlossen natur­<br />

rechtlich" ist nur eine Unterscheidung <strong>de</strong>s Gegenstandsberei­<br />

ches eines <strong>und</strong> <strong>de</strong>sselben sachbegrün<strong>de</strong>ten <strong>und</strong> darum natürli­<br />

chen <strong>Recht</strong>s. In I—II 95,4 begreift Thomas z. B. <strong>de</strong>n gerechten<br />

Kauf—Verkauf unter <strong>de</strong>m jus gentium. Im zweiten Artikel unse­<br />

rer Frage dagegen teilt er <strong>de</strong>nselben Sachverhalt <strong>de</strong>m „Natur­<br />

recht" zu, in<strong>de</strong>m er von <strong>de</strong>r „natürlichen" Entsprechung von<br />

296


Leistung <strong>und</strong> Gegenleistung spricht, womit im Gr<strong>und</strong>e nur eine 57. 3<br />

allgemeinere Formulierung für das gebraucht wird, was in I—II<br />

95,4 Kauf—Verkauf genannt wird.<br />

Daß Thomas die Sklaverei unter das jus gentium <strong>und</strong> damit<br />

auch unter das Naturrecht zählt, darf nicht verw<strong>und</strong>ern; <strong>de</strong>nn<br />

erstens versteht er darunter nicht die Sklaverei im römisch­<br />

rechtlichen Sinn, son<strong>de</strong>rn nur das lebenslängliche Dienstver­<br />

hältnis eines Menschen im Dienste seines Herrn (im Sinne <strong>de</strong>r<br />

mittelalterlichen Leibeigenschaft); sodann ist damit nur soviel<br />

gesagt, daß unter <strong>de</strong>n für ihn damals gegebenen Umstän<strong>de</strong>n<br />

nicht alle Menschen in <strong>de</strong>r Lage waren, sich selbst als freie Her­<br />

ren im Leben zu behaupten, son<strong>de</strong>rn daß sie <strong>de</strong>r Führung durch<br />

einen „Weiseren" bedurften, daß es somit im Hinblick auf die<br />

konkrete gesellschaftliche Situation angemessen, also natürlich<br />

war, <strong>de</strong>n Zustand <strong>de</strong>s Dienstverhältnisses zu befürworten. Die<br />

natürliche Vernunft mußte ein solches gesellschaftliches Gefüge<br />

„diktieren" (vgl. Zu 3). Damit ist nicht gesagt, daß ein solcher<br />

gesellschaftlicher Zustand, <strong>de</strong>r als „naturrechtlich" bezeichnet<br />

wird, unabän<strong>de</strong>rlich wäre. Entsprechend <strong>de</strong>m Wan<strong>de</strong>l <strong>de</strong>r<br />

Umstän<strong>de</strong> wan<strong>de</strong>lt sich auch das vernünftige Urteil, die sach­<br />

liche Analyse, <strong>und</strong> damit das konkrete <strong>Recht</strong> <strong>de</strong>r Natur (vgl.<br />

Komm, zu Art. 2).<br />

Da nun all das, was das vernünftige Zusammenleben <strong>de</strong>r<br />

Völker untereinan<strong>de</strong>r (also in unserem Sinne das Völkerrecht)<br />

angeht, im Namen <strong>de</strong>s jus gentium mitbegriffen war, wur<strong>de</strong><br />

das, was wir heute Völkerrecht nennen, stark beeinflußt durch<br />

das weitere geschichtliche Schicksal <strong>de</strong>s Begriffs <strong>de</strong>s „jus gen­<br />

tium". Für uns ist heute das Völkerrecht in selbstverständlich­<br />

ster Weise ein positiver <strong>Recht</strong>sbegriff, sosehr auch vieles inhalt­<br />

lich aus <strong>de</strong>m naturrechtlichen Denken <strong>und</strong> aus <strong>de</strong>m Gewohn­<br />

heitsrecht stammen mag, formell aber han<strong>de</strong>lt es sich um ein<br />

positives <strong>Recht</strong>. Diese Entwicklung <strong>de</strong>s Begriffs <strong>de</strong>s jus gentium<br />

zum mo<strong>de</strong>rnen positiven Sinn <strong>de</strong>s Völkerrechts ist aber nicht<br />

erst durch <strong>de</strong>n Positivismus eingeleitet wor<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn geht<br />

bereits auf Vitoria zurück. Zwar wird über die Ehre eines Initia­<br />

tors <strong>de</strong>s Völkerrechts im mo<strong>de</strong>rnen Sinne viel gestritten — die<br />

Ehre, die lange Zeit Vitoria zugeteilt wor<strong>de</strong>n war, wur<strong>de</strong> ihm<br />

zugunsten von Hugo Grotius genommen —, <strong>und</strong> doch muß man<br />

diese Ehre Vitoria lassen, sofern man bei ihm auf <strong>de</strong>n tieferen<br />

rechtsphilosophischen Gr<strong>und</strong> seiner Jus-gentium-Lehre hin­<br />

absteigt. <strong>Recht</strong>sgeschichtlich gesehen ist nämlich die Frage, was<br />

297


57. 3 an einzelnen Bestimmungen zum Völkerrecht gezählt wur<strong>de</strong>,<br />

nicht so entschei<strong>de</strong>nd wie die Frage, welcher Autor als erster<br />

das Völkerrecht als eine positive Abmachung zwischen <strong>de</strong>n Völ­<br />

kern begriffen hat. Und hierin ist Vitoria <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren vorange­<br />

gangen, in<strong>de</strong>m er erklärte, daß das jus gentium <strong>und</strong> damit auch<br />

<strong>de</strong>r gesamte völkerrechtliche Inhalt mehr zum positiven als<br />

zum natürlichen <strong>Recht</strong> gehöre (Comment. in S.Thom. II—II<br />

57,3). 29 Hierliegt<strong>de</strong>r eigentliche rechtsphilosophische Wan<strong>de</strong>l. Es<br />

war dann verhältnismäßig leicht, die einzelnen Gr<strong>und</strong>sätze auf­<br />

zustellen, die in dieses positive Völkerrecht aufzunehmen<br />

waren. Vom Standpunkt <strong>de</strong>s Naturrechts<strong>de</strong>nkens her muß<br />

allerdings gesagt wer<strong>de</strong>n, daß die Wendung, welche Vitoria <strong>de</strong>m<br />

Begriff <strong>de</strong>s jus gentium gegeben hat, überaus zu bedauern ist,<br />

weil so <strong>de</strong>r erste Griff zur Abriegelung <strong>de</strong>s Völkerrechts vom<br />

Naturrecht getan wur<strong>de</strong>.<br />

4. VATERRECHT UND HERRSCHAFTSRECHT<br />

(Art. 4)<br />

57. 4 In <strong>de</strong>r Auseinan<strong>de</strong>rsetzung mit <strong>de</strong>m traditionellen Begriff<br />

<strong>de</strong>s jus gentium kam Thomas zu <strong>de</strong>m Resultat, daß die Eintei­<br />

lung <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s in Naturrecht <strong>und</strong> positives <strong>Recht</strong> keinerlei<br />

Einbuße durch das jus gentium erlei<strong>de</strong>. In an<strong>de</strong>rem Zusammen­<br />

hang stellt die geschichtliche Überlieferung noch einige weitere<br />

Einteilungen zur Diskussion, gegen die Thomas seine These<br />

von <strong>de</strong>r vollgültigen Einteilung <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s in Naturrecht <strong>und</strong><br />

positives <strong>Recht</strong> verteidigen muß. Es han<strong>de</strong>lt sich dabei um das<br />

<strong>Recht</strong>sverhältnis zwischen Vater <strong>und</strong> Sohn <strong>und</strong> zwischen Herrn<br />

<strong>und</strong> Sklaven, wofür bei <strong>de</strong>n Römern ein eigenes <strong>Recht</strong> bestand.<br />

Das römische <strong>Recht</strong> hatte sowohl Kin<strong>de</strong>r wie Ehefrau in die<br />

väterliche Gewalt gegeben. Was <strong>de</strong>r Sohn erwarb, erwarb er<br />

<strong>de</strong>m Vater. Die väterliche Gewalt wur<strong>de</strong> als eine Gewalt um <strong>de</strong>s<br />

Vaters willen betrachtet, während nach <strong>de</strong>utschem <strong>Recht</strong>s<strong>de</strong>n­<br />

ken die väterliche Gewalt eine Gewalt um <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s willen ist.<br />

Darum erlischt nach <strong>de</strong>utschem <strong>Recht</strong>s<strong>de</strong>nken die väterliche<br />

Gewalt mit <strong>de</strong>r Mündigkeit <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s, nicht aber im römi­<br />

schen <strong>Recht</strong>. Auch konnte im römischen <strong>Recht</strong> im Falle <strong>de</strong>s To­<br />

<strong>de</strong>s <strong>de</strong>s Vaters die Mutter nicht die Stelle <strong>de</strong>s Vaters überneh-<br />

298<br />

Vgl. hierzu S.Ramirez, El <strong>de</strong>recho <strong>de</strong> gentes, Madrid 1955.


men. An die Stelle <strong>de</strong>s Vaters trat ein Vorm<strong>und</strong>. Die Frau wur<strong>de</strong> 57. 4<br />

also nicht Herrin <strong>de</strong>s Hauses (vgl. Sohm, a.a.O.).<br />

Obwohl <strong>de</strong>r Sklave im römischen <strong>Recht</strong> als Träger natürli­<br />

cher Persönlichkeit anerkannt <strong>und</strong> ihm daher die Befugnis,<br />

gewisse <strong>Recht</strong>sgeschäfte abzuschließen, nicht versagt war, so<br />

war er doch <strong>de</strong>m Herrn gegenüber völlig rechtlos. Erst die kai­<br />

serliche <strong>Recht</strong>sprechung schritt gegen die gr<strong>und</strong>lose Tötung<br />

<strong>und</strong> gegen unmenschliche Behandlung <strong>de</strong>r Sklaven <strong>und</strong> Miß-<br />

brauch <strong>de</strong>r Sklavinnen ein.<br />

Das römische <strong>Recht</strong> bietet in diesen Betrachtungen <strong>de</strong>s<br />

Vater- <strong>und</strong> Herrschaftsrechts im Gr<strong>und</strong>e nichts an<strong>de</strong>res als eine<br />

konkrete Formulierung aristotelisch-griechischen Denkens.<br />

Aristoteles hatte in <strong>de</strong>r Hausgemeinschaft folgen<strong>de</strong> vier <strong>Recht</strong>s­<br />

beziehungen festgestellt: 1. die Beziehungen zwischen <strong>de</strong>n<br />

Ehegatten; 2. die Beziehungen zwischen <strong>de</strong>m Vater <strong>und</strong> <strong>de</strong>n<br />

Kin<strong>de</strong>rn; 3. die Beziehungen zwischen <strong>de</strong>m Herrn <strong>und</strong> <strong>de</strong>n<br />

Sklaven; 4. die Beziehungen vom Herrn zu <strong>de</strong>n materiellen<br />

Dingen. Die drei ersten kommen bei Thomas hier zur Sprache,<br />

die vierte wird in Fr. 66 behan<strong>de</strong>lt.<br />

Für Aristoteles war das Verhältnis <strong>de</strong>r Ehegatten zueinan<strong>de</strong>r<br />

sowie das zwischen Vater <strong>und</strong> Sohn <strong>und</strong> zwischen <strong>de</strong>m Herrn<br />

<strong>und</strong> <strong>de</strong>m Sklaven nicht ohne weiteres ein <strong>Recht</strong>sverhältnis. Es<br />

klingt für unser Ohr gera<strong>de</strong>zu wild-barbarisch, wenn wir <strong>de</strong>n<br />

sonst so gefeierten Philosophen von Stagyra in seiner Politik<br />

mit Hesiod aufzählen hören: Haus, Weib <strong>und</strong> Ochse, wobei<br />

dann noch die Bemerkung beigefügt ist, daß <strong>de</strong>r arbeiten<strong>de</strong><br />

Ochse für <strong>de</strong>n armen Mann die Stelle <strong>de</strong>s Sklaven ersetze<br />

(Pol. 1,1). Aristoteles hält es mit Homer, gemäß welchem <strong>de</strong>r<br />

Hausvater <strong>de</strong>r Gesetzgeber für Kin<strong>de</strong>r <strong>und</strong> Frauen ist. Nimmt<br />

man nun noch <strong>de</strong>n Gr<strong>und</strong>gedanken <strong>de</strong>r aristotelischen Politik,<br />

daß <strong>de</strong>r Vater in seiner gesellschaftlichen Funktion Bürger ist,<br />

hinzu, dann kann man sich die Folgen für die Erziehungspolitik<br />

von selbst vorstellen. Darum auch behan<strong>de</strong>lt Aristoteles Ehe<br />

<strong>und</strong> Erziehung nicht etwa im Traktat über die Hausgemein­<br />

schaft, son<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>r Staatslehre. Den Unterschied zwischen<br />

Gesellschaft <strong>und</strong> Staat kennt Aristoteles nicht. Die Gesellschaft<br />

wächst bei ihm organisch in die Form <strong>de</strong>s Staates hinein, so daß<br />

<strong>de</strong>r Staat die „vollkommene Gesellschaft" wird. In dieser voll­<br />

kommenen Gesellschaft aber verschwin<strong>de</strong>t <strong>de</strong>r Organismus,<br />

obwohl Aristoteles noch äußerlich von ihm re<strong>de</strong>t. In diesem<br />

Schein-Organismus wird das Gesetz zur Seele, so also zum<br />

299


57. 4 eigentlichen Formprinzip. Mit an<strong>de</strong>ren Worten: alles ist staat­<br />

lich. Nicht zuletzt trägt <strong>de</strong>r aristotelische Gesellschafts- <strong>und</strong><br />

Staatsbegriff die Schuld, daß in <strong>de</strong>r Summa <strong>de</strong>s hl. Thomas kein<br />

sozialethischer Traktat über die Familie o<strong>de</strong>r die Berufsstän<strong>de</strong><br />

zu fin<strong>de</strong>n ist. Der Stän<strong>de</strong>gedanke wur<strong>de</strong> Thomas dort, wo er<br />

ihn bespricht (Kleriker- <strong>und</strong> Or<strong>de</strong>nsstand), nicht etwa durch<br />

<strong>de</strong>n Gesellschaftsbegriff, son<strong>de</strong>rn einzig durch das kirchliche<br />

<strong>Recht</strong> aufgedrängt.<br />

Einen unverkennbaren Rest aristotelischen <strong>Recht</strong>s<strong>de</strong>nkens<br />

möchte man bei Thomas hier im vierten Artikel (Antw.; vgl.<br />

auch Zu 3) fin<strong>de</strong>n. Thomas erklärt hier, daß dort, wo zwei Men­<br />

schen eine unmittelbare Beziehung zum Staat <strong>und</strong> <strong>de</strong>ssen Für­<br />

sten haben, eine Beziehung mit vollgültigem <strong>Recht</strong>scharakter<br />

vorliege. Man gewinnt also <strong>de</strong>n Eindruck, als ob <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>s­<br />

charakter nach <strong>de</strong>m Verhältnis abgestuft wür<strong>de</strong>, in welchem <strong>de</strong>r<br />

einzelne zum Staat steht, ob unmittelbar o<strong>de</strong>r mittelbar, ob<br />

direkt als Mensch o<strong>de</strong>r nur über <strong>de</strong>n Gatten, <strong>de</strong>n Vater o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n<br />

Herrn. Nach Aristoteles war <strong>Recht</strong>sträger einzig <strong>de</strong>r Bürger. Hat<br />

sich Thomas dieser Auffassung restlos angeschlossen?<br />

Während Aristoteles noch sehr stark an <strong>de</strong>n griechischen<br />

Stadt-Staat dachte <strong>und</strong> von hier aus seine Philosophie über die<br />

Entstehung <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s begann, schreitet Thomas viel weiter in<br />

die Abstraktion, zum Staat an sich. Hier aber gilt uneinge­<br />

schränkt, daß <strong>de</strong>r Staat als die letzte <strong>und</strong> höchste Gesellschaft<br />

das oberste rechtliche Bezugssystem darstellt. Thomas ist, wie<br />

bereits gesagt wur<strong>de</strong>, Monist im Sinne <strong>de</strong>r einen naturrechtli­<br />

chen Norm, die je<strong>de</strong> Kollision mit <strong>de</strong>m positiven <strong>Recht</strong> aus­<br />

schließt, weil dieses, wenn es in Kollision treten wür<strong>de</strong>, bereits<br />

nicht mehr <strong>Recht</strong> wäre. Das hin<strong>de</strong>rt nicht, daß Thomas dieses<br />

gr<strong>und</strong>sätzliche <strong>Recht</strong>s<strong>de</strong>nken mit <strong>de</strong>m mittelalterlichen Staat in<br />

Verbindung bringt. Der Ausgang seiner Politik ist aber das<br />

bonum humanum, nicht das Wohl eines konkreten Staatsgebil­<br />

<strong>de</strong>s. Deutlich wird diese Weite <strong>de</strong>s Gesichtswinkels in Zu 2, wo<br />

Thomas erklärt, daß zwischen Vater <strong>und</strong> Sohn, Herrn <strong>und</strong> Skla­<br />

ven nicht nur das Vater-Sohn- <strong>und</strong> Herr-Sklave-Verhältnis<br />

besteht, son<strong>de</strong>rn zugleich die <strong>Recht</strong>sbeziehung zwischen<br />

Mensch <strong>und</strong> Mensch.<br />

Trotz dieser gr<strong>und</strong>sätzlichen <strong>Recht</strong>sgleichheit zwischen<br />

Vater <strong>und</strong> Sohn kann Thomas die Ansicht verteidigen, daß <strong>de</strong>r<br />

Sohn ein Teil <strong>de</strong>s Vaters ist <strong>und</strong> ihm darum rechtlich untersteht,<br />

nicht im Menschsein, aber im Sohnsein, mit all <strong>de</strong>n Folgen die-<br />

300


ses so gearteten Verhältnisses. Es ist sattsam bekannt, welch un- 57.4<br />

geheure Tragweite diese naturrechtliche Lehre hat: das <strong>Recht</strong><br />

<strong>de</strong>r Eltern auf die Erziehung <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r <strong>und</strong> das damit gege­<br />

bene Schulrecht. Für Thomas war dies alles noch kein Problem.<br />

Für ihn stand im Vor<strong>de</strong>rgr<strong>und</strong> die in II-II 10,12 (DT, Bd. 15)<br />

aufgeworfene Frage, wie es sich mit <strong>de</strong>r Taufe von ungläubigen<br />

<strong>und</strong> jüdischen Kin<strong>de</strong>rn gegen <strong>de</strong>n Willen <strong>de</strong>s Vaters verhalte.<br />

Die völlig gesellschaftlich geformte Staatsauffassung <strong>de</strong>s hl.<br />

Thomas konnte <strong>de</strong>r Frau nicht die bürgerlichen <strong>Recht</strong>e zuspre­<br />

chen wie <strong>de</strong>m Mann. Der Staat als vollkommene Gesellschaft<br />

bil<strong>de</strong>t sich aus <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen Gesellschaftskörpern, vorab<br />

aus <strong>de</strong>n Familien. In <strong>de</strong>r Familie aber ist die Frau <strong>de</strong>m Mann<br />

untergeordnet, wenngleich nicht in <strong>de</strong>m Maße wie etwa <strong>de</strong>r<br />

Sohn <strong>de</strong>m Vater o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Diener <strong>de</strong>m Herrn (vgl. Antw.). Die<br />

unmittelbare Beziehung zur Hausgemeinschaft geht bei <strong>de</strong>r<br />

Frau vor. Darum ist sie nicht unmittelbarer Träger von bürgerli­<br />

chen <strong>Recht</strong>en.<br />

Die wirtschaftliche <strong>und</strong> politische Entwicklung aber hat <strong>de</strong>r<br />

Frau neue Aufgaben zugewiesen, die sie unmittelbar ins poli­<br />

tische Leben hineinstellt. Erst recht gilt dies, seit<strong>de</strong>m man die<br />

letzten Folgerungen aus <strong>de</strong>r politischen Emanzipation <strong>de</strong>r Frau<br />

gezogen hat, in<strong>de</strong>m man sie sogar in <strong>de</strong>n Kriegsdienst stellte,<br />

wenigstens in <strong>de</strong>m Maße, als sie ihrer physischen <strong>und</strong> psychi­<br />

schen Konstitution nach diesen Dienst zu leisten vermag: Ver­<br />

w<strong>und</strong>etendienst, selbst an <strong>de</strong>r Front, Luftsch<strong>utz</strong>organisationen,<br />

Schreibkraft beim Militär usw. Daß die Frau in politischen Din­<br />

gen mitzusprechen das <strong>Recht</strong> hat, ergibt sich aus <strong>de</strong>r unwan<strong>de</strong>l­<br />

bar gewor<strong>de</strong>nen Stellung, welche sie in <strong>de</strong>m durch Arbeitstei­<br />

lung weitverzweigten Wirtschaftsprozeß innehat. Unsere Wirt­<br />

schaft ist keine Hauswirtschaft mehr. Eines je<strong>de</strong>n Existenz ist in<br />

die Wirtschaftspolitik mithineinverflochten, <strong>de</strong>ren Hauptpro­<br />

blem die — richtig verstan<strong>de</strong>ne — Vollbeschäftigung ist, just also<br />

die Frage, die <strong>de</strong>r Frau äußerst nahegeht, da ein Großteil von<br />

Frauen keine Möglichkeit zur Gründung eines Familienstan<strong>de</strong>s<br />

fin<strong>de</strong>t.<br />

Die Mo<strong>de</strong>rne hat mit <strong>de</strong>r gr<strong>und</strong>sätzlichen Gleichstellung von<br />

Mann <strong>und</strong> Frau, wovon Thomas hier an<strong>de</strong>utungsweise spricht,<br />

in einer neuen gesellschaftlichen Situation Ernst gemacht <strong>und</strong><br />

so — wenigstens in <strong>de</strong>n meisten Staaten — die politische Gleich­<br />

heit bei<strong>de</strong>r erklärt. Thomas konnte zu diesem Schluß noch<br />

nicht kommen, nicht etwa nur wegen <strong>de</strong>r starken Abhängigkeit<br />

301


von Aristoteles, son<strong>de</strong>rn auch im Hinblick auf die Struktur <strong>de</strong>r<br />

damaligen Gesellschaft. Die Anwendung eines naturrechtlichen<br />

Prinzips ist eben je <strong>und</strong> je verschie<strong>de</strong>n, entsprechend <strong>de</strong>r kon­<br />

kreten Befindlichkeit sowohl <strong>de</strong>s Menschen wie <strong>de</strong>r Gesell­<br />

schaft, entsprechend <strong>de</strong>m Satz, <strong>de</strong>n Thomas in Art. 2 Zu 1 aus­<br />

gesprochen hat: „Die Natur <strong>de</strong>s Menschen ist verän<strong>de</strong>rlich".<br />

Das will heißen: Die sachgegebenen Umstän<strong>de</strong>, in <strong>de</strong>nen wir<br />

leben, än<strong>de</strong>rn sich unaufhaltsam, so daß wir entsprechend auch<br />

die Ordnungsformen än<strong>de</strong>rn müssen.<br />

Zweites Kapitel<br />

GERECHTIGKEIT ALS TUGEND<br />

(Fr. 58)<br />

1. DIE ALLGEMEINE BEGRIFFSBESTIMMUNG DER GERECHTIGKEIT<br />

UND DEREN SITTLICHE BEWANDTNIS<br />

(An. 1-4)<br />

Die <strong>Gerechtigkeit</strong>, um die es hier geht, ist nicht die allge­<br />

meine <strong>Recht</strong>heit im Sinne Anselms (vgl. Art. 1, Einw. 2), auch<br />

nicht die übernatürliche <strong>Recht</strong>fertigung durch <strong>und</strong> vor Gott<br />

(vgl. Art. 2, Einw. 1), son<strong>de</strong>rn die sittliche Stärke, welche das<br />

<strong>Recht</strong> <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>rn gegenüber verwirklichen soll. Thomas hat<br />

bei <strong>de</strong>r Abfassung <strong>de</strong>s ersten Artikels, wo es um die Definition<br />

<strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> in diesem eigentlichen Sinne geht, die durch<br />

die Institutionen Justinians übernommene Definition Ulpians<br />

vor Augen: „Die <strong>Gerechtigkeit</strong> ist <strong>de</strong>r anhalten<strong>de</strong> <strong>und</strong> feste<br />

Wille, je<strong>de</strong>m sein <strong>Recht</strong> zu geben". Ulpian fin<strong>de</strong>t dabei <strong>de</strong>n Bei­<br />

fall <strong>de</strong>s hl. Thomas mit <strong>de</strong>r einen Verbesserung, daß es bei <strong>de</strong>r<br />

Definition von Tugen<strong>de</strong>n, wie Thomas sagt, eigentlich nicht um<br />

<strong>de</strong>n Willensakt, son<strong>de</strong>rn um eine dauern<strong>de</strong> sittliche Haltung<br />

gehe. Aus diesem Gr<strong>und</strong>e fin<strong>de</strong>t Thomas die aristotelische<br />

Definition aus <strong>de</strong>m 5. Buch <strong>de</strong>r Ethik besser, wie er am Schluß<br />

<strong>de</strong>s Artikels leicht an<strong>de</strong>utet: „Die <strong>Gerechtigkeit</strong> ist jener Habi­<br />

tus, auf Gr<strong>und</strong> <strong>de</strong>ssen jemand sich für das <strong>Recht</strong> entschei<strong>de</strong>t".<br />

Es möchte vielleicht überflüssig <strong>und</strong> belanglos erscheinen,<br />

wenn dann Thomas, nach<strong>de</strong>m er doch bereits in <strong>de</strong>r vorigen<br />

Frage die innere Bewandtnis <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s als einer Frie<strong>de</strong>nsord­<br />

nung zwischen vielen getrennten Personen dargestellt hat, nun<br />

im zweiten Artikel nochmals fragt, ob die <strong>Gerechtigkeit</strong> immer<br />

302


auf einen an<strong>de</strong>rn bezogen sei. Und <strong>de</strong>nnoch be<strong>de</strong>utet gera<strong>de</strong> 58. 1-4<br />

diese Frage <strong>de</strong>n Auftakt zu <strong>de</strong>r Abklärung <strong>de</strong>r Diskussion <strong>de</strong>s<br />

dritten Artikels, ob die <strong>Gerechtigkeit</strong> als Tugend bezeichnet<br />

wer<strong>de</strong>n könne. Es bleibt nämlich immer Eigenheit <strong>de</strong>r Gerech­<br />

tigkeit, <strong>de</strong>n Abstand <strong>de</strong>s Ich vom Du zu behalten <strong>und</strong> keine Ver­<br />

mengung <strong>de</strong>r Interessen vorzunehmen. So möchte es eben<br />

scheinen, daß <strong>de</strong>r Begriff <strong>de</strong>s Guten völlig schwin<strong>de</strong>t. Und dies<br />

aus einem doppelten Gr<strong>und</strong>e: l.Es wird scheinbar die Tren­<br />

nung vor <strong>de</strong>r Gemeinsamkeit bevorzugt, wo im Verhältnis zwi­<br />

schen <strong>de</strong>n Menschen doch gera<strong>de</strong> im Zusammenstehen <strong>und</strong><br />

Vereinigen die Vollendung zu liegen scheint; 2. <strong>de</strong>m <strong>Recht</strong><br />

scheint sich die Vorstellung <strong>de</strong>s Zwanges notwendig zu verbin­<br />

<strong>de</strong>n, so daß die sittliche Größe <strong>de</strong>s gerechten Han<strong>de</strong>lns völlig<br />

verschwin<strong>de</strong>t. Mit dieser zweiten Schwierigkeit beschäftigt sich<br />

Thomas ausdrücklich im dritten Artikel, während die erste im<br />

Gedankengang <strong>de</strong>s zweiten Artikels verborgen liegt.<br />

Was nun die erste Fragestellung betrifft, so betont Thomas<br />

zwar mit Nachdruck (Art. 2) das wesentliche Element in jegli­<br />

cher Form von <strong>Gerechtigkeit</strong>: das „Ein-an<strong>de</strong>rer-sein". Er erklärt<br />

aber dabei, daß es bei aller Verschie<strong>de</strong>nheit eben doch auf einen<br />

Ausgleich ankommt, ohne dabei auf eine Verwischung <strong>de</strong>r In­<br />

teressen hinzusteuern. Zurückgreifend auf diesen Gedanken,<br />

formuliert Thomas zu Beginn <strong>de</strong>s fünften Artikels das Ergebnis<br />

<strong>de</strong>s zweiten: Die <strong>Gerechtigkeit</strong> ordnet <strong>de</strong>n Menschen in seinem<br />

Verhältnis zu einem an<strong>de</strong>rn. Die <strong>Gerechtigkeit</strong> sieht es also<br />

nicht auf das Ich ab in seiner Geschie<strong>de</strong>nheit vom Du, son<strong>de</strong>rn<br />

auf die Ordnung <strong>de</strong>s Ich zum Du. Sie ist Frie<strong>de</strong>nsordnung.<br />

Damit ist ihre sittliche Aufgabe gewahrt.<br />

Auf die zweite Frage eingehend, unterstreicht Thomas<br />

(Art. 3) nochmals die Bewandtnis <strong>de</strong>s Guten im <strong>Recht</strong> gegen­<br />

über je<strong>de</strong>m Zwangsnormensystem, von <strong>de</strong>m in <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>sphi­<br />

losophie Kelsens ausschließlich die Re<strong>de</strong> ist. Der Gedanke <strong>de</strong>s<br />

<strong>Recht</strong>szwanges ist erst eine weitere Konsequenz, die sich aus<br />

<strong>de</strong>m Begriff <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>sgutes ergibt. Er folgt erst aus <strong>de</strong>m<br />

Guten, das die Bewandtnis <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s hat, insofern <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re,<br />

auf seinen <strong>Recht</strong>sanspruch pochend, zu Gegenmaßnahmen<br />

greift <strong>und</strong> damit zur <strong>Recht</strong>sbefolgung zwingt. Man kann aller­<br />

dings <strong>de</strong>n Gedanken <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>szwanges aus <strong>de</strong>m <strong>Recht</strong> selbst<br />

nicht bannen. Er ergibt sich aus <strong>de</strong>m Begriff <strong>de</strong>s Geschie<strong>de</strong>n­<br />

seins <strong>de</strong>rer, zwischen <strong>de</strong>nen die Frie<strong>de</strong>nsordnung hergestellt<br />

wer<strong>de</strong>n soll.<br />

303


58. 1-4 Der Zwang bleibt aber im Wesen <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s nur als Möglich­<br />

keit beschlossen <strong>und</strong> verborgen. Es ist für das <strong>Recht</strong> durchaus<br />

nicht wesentlich, sich tatsächlich im Zwang auszuwirken. Tho­<br />

mas unterstreicht also <strong>de</strong>n unleugbaren sittlichen Wert <strong>de</strong>s<br />

<strong>Recht</strong>s. Aus ihm leitet er ab, daß die Tugend <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

zum vollkommenen Menschen gehört, daß es darum ein utopi­<br />

scher Gedanke ist, sich eine Gemeinschaft vorzustellen, die nur<br />

Liebesverband wäre. Sosehr die Liebe vorherrschen mag, wie<br />

die Theologie sich dies für <strong>de</strong>n paradiesischen Menschen <strong>und</strong><br />

für <strong>de</strong>n Zustand am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Dinge für das Jenseits vorstellt, so<br />

bleibt doch das wahre Gut <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s immer bestehen, insofern<br />

die Menschen unter sich getrennte Wesen mit eigenständiger<br />

Handlungsweise darstellen. Der Zwang liegt freilich bei diesem<br />

I<strong>de</strong>alzustand außerhalb <strong>de</strong>r Betrachtung. Er bleibt aber doch in<br />

<strong>de</strong>r Möglichkeit beschlossen, für <strong>de</strong>n Fall, daß <strong>de</strong>r eine <strong>de</strong>m<br />

an<strong>de</strong>rn nicht freiwillig das Seine gäbe. Die Vorstellung Tolstois<br />

von einer reinen Liebesgemeinschaft mag viel Verlocken<strong>de</strong>s an<br />

sich haben, ähnlich wie die erdachten Ausführungen mancher<br />

Kirchenväter über ein verlängertes Paradiesesdasein.<br />

Allerdings könnte man sich weiterhin die ernste Frage vor­<br />

legen, ob die <strong>Gerechtigkeit</strong> nur die freie sittliche Einstellung zu<br />

<strong>de</strong>m Gut <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s sei o<strong>de</strong>r ob sich darin nicht doch auch eine<br />

gewisse Unterwerfung unter ein Gesetz <strong>und</strong> damit unter einen<br />

Gesetzgeber fin<strong>de</strong>. Mit dieser Frage stoßen wir wohl o<strong>de</strong>r übel<br />

doch auf das Problem <strong>de</strong>s Zuammenhangs zwischen <strong>Recht</strong> <strong>und</strong><br />

Autorität. Thomas spricht hiervon an unserer Stelle nicht. Wir<br />

begnügen uns daher damit, die Schwierigkeit nur kurz zu strei­<br />

fen.<br />

Man beachte, daß es in <strong>de</strong>r Frage nach <strong>de</strong>r Beziehung <strong>de</strong>s<br />

<strong>Recht</strong>s zur Autorität keineswegs um die Frage nach <strong>de</strong>m Zwang<br />

geht. Auch hier bleibt die Vorstellung <strong>de</strong>s Zwanges zweitrangig,<br />

insofern man sich eine Autorität vorstellen kann, die nur Ord­<br />

nungsprinzip <strong>und</strong> nur <strong>de</strong>r Möglichkeit, nicht unbedingt <strong>de</strong>r Tat­<br />

sächlichkeit nach, Vollzieherin <strong>de</strong>s Zwanges ist.<br />

Thomas kann sich, wie sich aus seinem Traktat über das<br />

Gesetz (I—II 90-108; DT, Bd. 13) ergibt, das <strong>Recht</strong> ohne<br />

Gesetz <strong>und</strong> so auch ohne Gesetzgeber nicht vorstellen. Gera<strong>de</strong><br />

hier liegt ja <strong>de</strong>r Gr<strong>und</strong>, warum er im <strong>Recht</strong>, mit welchem ein<br />

an<strong>de</strong>rer gegen uns auftritt, nicht nur eine frem<strong>de</strong> Zwangshand­<br />

lung sieht, son<strong>de</strong>rn ein wahres sittliches Gut, das Frie<strong>de</strong>n zwi­<br />

schen uns stiftet. Die Hobbessche Vorstellung sah im Mitmen-<br />

304


sehen einen Wolf, <strong>de</strong>m gegenüber man sich sichern muß, was 58. 1-4<br />

nur durch gegenseitige Ubereinkunft, durch ein notgedrungen<br />

vereinbartes <strong>Recht</strong>ssystem möglich sei. Für Thomas ist das<br />

<strong>Recht</strong>ssystem kein notgedrungenes Frie<strong>de</strong>nsabkommen, son­<br />

<strong>de</strong>rn ein Ordnungsgefüge, das die Partner vorfin<strong>de</strong>n, nicht<br />

eigenmächtig schaffen.<br />

Es liegt nun in <strong>de</strong>r Eigenart <strong>de</strong>s kausalen Denkens, sogleich<br />

nach <strong>de</strong>m Woher dieser Frie<strong>de</strong>nsordnung zu fragen. Gewiß hat<br />

<strong>de</strong>r Positivismus <strong>und</strong> vor allem Kelsen dieses Fragen nach <strong>de</strong>r<br />

Ursache als ein <strong>de</strong>m <strong>Recht</strong>s<strong>de</strong>nken artfrem<strong>de</strong>s Vorgehen<br />

bezeichnet. Und <strong>de</strong>nnoch bewegt sich Thomas ganz folgerich­<br />

tig nur auf <strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s rechtlichen Denkens <strong>und</strong> begibt sich<br />

keineswegs hinüber auf <strong>de</strong>n allgemeinen Bereich kausalen Wir­<br />

kens, etwa in <strong>de</strong>n Gedanken <strong>de</strong>r Weltschöpfung durch Gott. Wo<br />

immer ein Mensch uns gegenüber mit einem Anspruch auftritt,<br />

spricht er ein gewisses Machtwort, in <strong>de</strong>r Weise nämlich, als er<br />

sich je<strong>de</strong> Einmischung von an<strong>de</strong>rer Seite verbittet <strong>und</strong> auf seine<br />

Eigenständigkeit pocht. Er muß sich also von selbst als uns<br />

überlegen ausweisen, zwar nicht durch die Kraft seiner Faust,<br />

son<strong>de</strong>rn vielmehr durch die Macht <strong>de</strong>s i<strong>de</strong>ellen Gehaltes, um<br />

<strong>de</strong>ssentwillen er sich uns gegenüber als unantastbar bezeichnet.<br />

Die Tatsache nun, daß auf unserer Seite <strong>de</strong>m Selbständigkeits­<br />

anspruch <strong>de</strong>s Mitmenschen gegenüber eine spontane Aner­<br />

kennung dieser seiner Eigenständigkeit entspricht, zeigt <strong>de</strong>ut­<br />

lich, daß hier ein Frie<strong>de</strong>nsordnungsprinzip vorliegt, das wir<br />

nicht aus uns haben, das vielmehr zurück- o<strong>de</strong>r hinüberweist<br />

auf eine bei<strong>de</strong>n übergeordnete Gesetzes-Macht, die wir als <strong>de</strong>n<br />

Schöpfer unserer geistigen Eigenständigkeit bezeichnen müs­<br />

sen. Verbin<strong>de</strong>n wir diese aus unzwei<strong>de</strong>utig juristischem Denk-<br />

prozeß ermittelte höchste Autorität mit <strong>de</strong>m ontologisch-kau-<br />

salen Denken, dann wer<strong>de</strong>n wir sie nur mit <strong>de</strong>m Namen „ Gott"<br />

anre<strong>de</strong>n können. Wenn Kelsen solches Denken mit <strong>de</strong>m Aber­<br />

glauben <strong>de</strong>r Primitiven vergleicht, als ob es sich hier um die un-<br />

bewußten Auswirkungen einer Angst vor <strong>de</strong>m frem<strong>de</strong>n Wesen<br />

handle, das uns Blitz <strong>und</strong> Donner schickt, dann übersieht er die<br />

Gr<strong>und</strong>struktur unseres kausalen Denkens, <strong>de</strong>m auch er nicht<br />

entrinnen kann.<br />

Thomas spricht von all <strong>de</strong>m hier in unserer Frage nicht mehr,<br />

weil es ihm eine Selbstverständlichkeit ist. Er zieht nur die<br />

Schlußfolgerung (Art. 3): Die <strong>Gerechtigkeit</strong> ist eine wahre<br />

Tugend, eine sittliche Einstellung auf das Gut <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s.<br />

305


58. 1-4 Daraus mag man zugleich erkennen, daß es einfach eine<br />

absolute Unmöglichkeit ist, <strong>Recht</strong> <strong>und</strong> Moral zu trennen, d. h.<br />

<strong>de</strong>n Begriff <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s von <strong>de</strong>m <strong>de</strong>s Guten loszu<strong>de</strong>nken, um<br />

eine reine <strong>Recht</strong>slehre im Sinne Kelsens auszubauen. Allerdings<br />

ist das Gute <strong>und</strong> das <strong>Recht</strong> nicht schlechthin dasselbe. Aber das<br />

<strong>Recht</strong> ist ein Gut <strong>und</strong> nur als ein Gut vorstellbar. So ist auch die<br />

scholastische Auffassung <strong>de</strong>r Sozialethik gerechtfertigt, welche<br />

in <strong>de</strong>r Sozialetik das rechtlich geordnete Gefüge <strong>de</strong>r Gesell­<br />

schaft betrachtet. Es wäre verhängnisvoll, ausgehend vom kan­<br />

tischen Standpunkt zu meinen, daß die Ethik nur die Entwick­<br />

lung o<strong>de</strong>r Entfaltung <strong>de</strong>s persönlichen kategorischen Impera­<br />

tivs zum Gegenstand habe. Damit wäre natürlich je<strong>de</strong> Ethik <strong>de</strong>s<br />

Sozialen außer Kurs gesetzt. An<strong>de</strong>rerseits besagt diese Uber­<br />

einstimmung von Gut <strong>und</strong> <strong>Recht</strong> nicht, daß Sozialethik <strong>und</strong><br />

<strong>Recht</strong>, im Sinne von positivem <strong>Recht</strong>, sich <strong>de</strong>cken wür<strong>de</strong>n. In<br />

<strong>de</strong>r Schaffung positiven <strong>Recht</strong>s sind wir Vertragspartner, wenig­<br />

stens zu einem großen Teil, so daß wir hier die freie Willensbil­<br />

dung aller in Betracht ziehen müssen, also vom „I<strong>de</strong>al" <strong>de</strong>r<br />

natürlichen Sittlichkeit oft genug dadurch abweichen, daß wir<br />

nicht abzuän<strong>de</strong>rn<strong>de</strong> sittliche Deka<strong>de</strong>nz in Kauf nehmen. Hier<br />

erhält die absolute Ethik <strong>de</strong>n Charakter einer „Situations­<br />

ethik", d. h. einer Ethik, die sich <strong>de</strong>r gegebenen soziologischen<br />

<strong>und</strong> psychologischen Verfassung <strong>de</strong>r Gesellschaft anpaßt, weil<br />

an<strong>de</strong>rs eine Frie<strong>de</strong>nsordnung nicht möglich wäre. In <strong>de</strong>r positi­<br />

ven <strong>Recht</strong>sgestaltung müssen wir oft genug moralische Übel<br />

<strong>de</strong>r Gesellschaft hinnehmen (vgl. Ehescheidungsgesetze), um<br />

wenigstens ein Min<strong>de</strong>stmaß <strong>de</strong>r an sich für alle unbedingt gel­<br />

ten<strong>de</strong>n Ethik zu retten.<br />

Dennoch aber bleibt die Schlußfolgerung <strong>de</strong>s hl. Thomas<br />

bestehen: Die <strong>Gerechtigkeit</strong> ist eine wahre Tugend, eine sitt­<br />

liche Einstellung auf das Gut <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s. Daß das <strong>Recht</strong> seiner­<br />

seits wesentlich die Autorität einschließt, kann seinen sittlichen<br />

Wert nicht beeinträchtigen, da die Autorität keine Heteronomie<br />

be<strong>de</strong>utet, wie Kant gemeint hat. Denn die Autorität ist bereits in<br />

das sittliche Apriori unserer Vernunft verwoben. Be<strong>de</strong>utet doch<br />

das Urgewissen, die sogenannte Syn<strong>de</strong>resis, nicht einfachhin<br />

das Hören auf eine außenstehen<strong>de</strong> Macht, son<strong>de</strong>rn eine uns ein­<br />

geschaffene Teilhabe <strong>de</strong>r göttlichen Autorität 1 . Unser kategori-<br />

1 Vgl. A.F.Utz, Ethik, Hei<strong>de</strong>lberg 1970, 145.<br />

306


scher Imperativ, um Kants Ausdruckweise zu gebrauchen, ist<br />

eben eine Partizipation göttlichen Imperativs.<br />

Im Anschluß an die Frage nach <strong>de</strong>r sittlichen Bewandtnis <strong>de</strong>r<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> konnte Thomas, <strong>de</strong>r in unserem Traktat weitge­<br />

hend Aristoteles folgt, die Frage nach <strong>de</strong>m psychologischen Trä­<br />

ger <strong>de</strong>r Tugend <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> nicht übergehen (Art. 4). Ari­<br />

stoteles hatte die <strong>Gerechtigkeit</strong> in <strong>de</strong>n sinnlichen Strebeteil ver­<br />

legt, Thomas dagegen schreibt sie <strong>de</strong>m Willen zu. Für uns liegt<br />

heute dies Problem am Ran<strong>de</strong>, während es für Thomas aus<br />

geschichtlichen <strong>und</strong> theologischen Grün<strong>de</strong>n nicht zu umgehen<br />

war 2 .<br />

2. DIE ALLGEMEINE GERECHTIGKEIT.<br />

DAS PROBLEM DER SOZIALEN GERECHTIGKEIT<br />

(Art. 5 u. 6).<br />

In <strong>de</strong>n Artikeln 5 ff. beschäftigt sich <strong>de</strong>r hl. Thomas mit einer<br />

alten, von Aristoteles stammen<strong>de</strong>n Einteilung <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />

die beson<strong>de</strong>re Aufmerksamkeit verdient: die Unterscheidung<br />

<strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> in Gemeinwohl- <strong>und</strong> ScWergerechtigkeit,<br />

wobei letztere wie<strong>de</strong>rum untergeteilt wird in austeilen<strong>de</strong> <strong>und</strong><br />

ausgleichen<strong>de</strong>.<br />

Man wür<strong>de</strong> Thomas falsch verstehen, wollte man diese Teil­<br />

gerechtigkeiten nur als verschie<strong>de</strong>ne Gesichtspunkte einer ein­<br />

zigen sittlichen Haltung betrachten <strong>und</strong> dabei die Sicht auf die<br />

Verschie<strong>de</strong>nheit <strong>de</strong>s Objekts, d. h. die Unterscheidung von Sei­<br />

ten <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s übersehen. Gemäß <strong>de</strong>r aristotelisch-thomisti-<br />

schen Philosophie wird jegliche seelische, erst recht sittliche<br />

Haltung vom Objekt her bestimmt.<br />

Allerdings wäre man wie<strong>de</strong>rum auf falscher Fährte, wollte<br />

man glauben, Thomas fän<strong>de</strong> <strong>de</strong>n Gr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r besagten Glie<strong>de</strong>­<br />

rung <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> in <strong>de</strong>r Wesensfunktion <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s, d. h.<br />

im <strong>Recht</strong> als solchem. Das <strong>Recht</strong> ist immer Frie<strong>de</strong>nsordnung<br />

zwischen verschie<strong>de</strong>nen Subjekten. Der Unterschied zwischen<br />

Gemeinwohl- <strong>und</strong> Son<strong>de</strong>rgerechtigkeit ist darum nicht in einer<br />

Verschie<strong>de</strong>nheit <strong>de</strong>r wesentlichen <strong>Recht</strong>sfunktion zu suchen.<br />

Thomas erklärt dies ausdrücklich, wenn er (Art. 5) sagt, daß<br />

sich in bei<strong>de</strong>n die „eigentliche Bewandtnis" <strong>de</strong>s Gerechtseins<br />

bewahrheite (sec<strong>und</strong>um propriam rationem).<br />

2 Siehe meinen Kommentar in DT, Bd. 11, 545—550.<br />

307


Man erinnert sich bei dieser Gelegenheit <strong>de</strong>r Lehre <strong>de</strong>s Arti­<br />

kels 5 in Frage 57, wo das Verhältnis zwischen Vater <strong>und</strong> Kind<br />

nicht als streng rechtliche Beziehung bezeichnet wur<strong>de</strong>. Dort<br />

wäre eine solche Bezeichnung „<strong>Gerechtigkeit</strong>" in ihrer eigentli­<br />

chen Bewandtnis für die Vater-Sohn-Beziehung nicht möglich<br />

gewesen. Dagegen heißt es hier, daß auch die Gemeinwohlge­<br />

rechtigkeit zur Kategorie <strong>de</strong>s strengen <strong>Recht</strong>s gehöre, wenn­<br />

gleich <strong>de</strong>r einzelne Mensch als Teil <strong>de</strong>s Ganzen bezeichnet wird,<br />

wie ähnlich in 57,5 <strong>de</strong>r Sohn als Teil <strong>de</strong>s Vaters. Man mag daraus<br />

die Be<strong>de</strong>utung dieser an sich unscheinbaren <strong>und</strong> im allgemeinen<br />

wenig beachteten, sogar „mißachteten" Bemerkung in unserem<br />

Artikel erkennen. In <strong>de</strong>r Diskussion über die Wie<strong>de</strong>rgutma­<br />

chung hätte man darauf das Augenmerk richten sollen (vgl.<br />

Kommentar zu 62,1).<br />

Die Unterscheidung also, um die es hier geht, ist nicht <strong>de</strong>r<br />

Wesensfunktion <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>ssen Sachbereich ent­<br />

nommen. Der Sachbereich <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s ist nämlich verschie<strong>de</strong>n,<br />

entsprechend <strong>de</strong>r Verschie<strong>de</strong>nheit <strong>de</strong>s „an<strong>de</strong>rn", <strong>de</strong>m man das<br />

Seine geben soll. Es ist ihm immer das „Seine" zu geben. Wir<br />

verbleiben also im Bereich <strong>de</strong>s strengen <strong>Recht</strong>s. Der „an<strong>de</strong>re"<br />

aber, <strong>de</strong>m das <strong>Recht</strong> gilt, kann eine einzelne Person sein o<strong>de</strong>r die<br />

Gemeinschaft, zu <strong>de</strong>r wir gehören. Im ersten Fall haben wir die<br />

Son<strong>de</strong>rgerechtigkeit, im zweiten die Gemeinwohlgerechtigkeit.<br />

Um die Gemeinwohlgerechügkek geht es nun zunächst (Art. 5<br />

u. 6).<br />

Der Mensch lebt naturhaft in <strong>de</strong>r Gemeinschaft von Men­<br />

schen, er bil<strong>de</strong>t also einen Teil eines Ganzen <strong>und</strong> ist somit <strong>de</strong>m<br />

Ganzen gegenüber verpflichtet. Uberraschend für das mo<strong>de</strong>rne<br />

Denken über die Menschenrechte kommt sodann die völlig ari­<br />

stotelische Wendung: „Der Teil aber ist, was er ist, durch das<br />

Ganze". Darum steht <strong>de</strong>r ganze sittliche Mensch in <strong>de</strong>r Spann­<br />

weite <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>, nämlich <strong>de</strong>r Gemeinwohlgerechtigkeit.<br />

Aus diesem Gr<strong>und</strong> erhält dann die Gemeinwohlgerechtigkeit<br />

<strong>de</strong>n Namen „allgemeine <strong>Gerechtigkeit</strong>".<br />

Man <strong>de</strong>nkt unwillkürlich an <strong>de</strong>n Spannschen Universalis­<br />

mus: Das Ganze, die Gemeinschaft wird aufgebaut von oben,<br />

vom Universalen <strong>und</strong> Umfassen<strong>de</strong>n her. Die Glie<strong>de</strong>r sind<br />

Funktion <strong>de</strong>s Ganzen. Das Ganze tritt also mit Herrschaftsan­<br />

sprüchen an die Glie<strong>de</strong>r heran. Die Anerkennung dieses<br />

Herrschaftsanspruchs vollzieht sich in <strong>de</strong>r Gemeinwohlgerech­<br />

tigkeit. Es möchte fast scheinen, als ob hier <strong>de</strong>r Christ Thomas<br />

308


<strong>de</strong>n Totalitarismus <strong>de</strong>s Hei<strong>de</strong>n Aristoteles kopieren wür<strong>de</strong>. 58. 5/6<br />

Doch können wir <strong>de</strong>m thomasischen Text unmöglich diese<br />

Deutung geben, da Thomas sonst in seinen Werken unzwei<strong>de</strong>u­<br />

tig eine personalistische Gesellschaftslehre vorträgt 3 .<br />

Wie aber löst sich <strong>de</strong>r scheinbare Wi<strong>de</strong>rspruch in <strong>de</strong>r Lehre<br />

<strong>de</strong>s hl. Thomas? Man könnte versucht sein, die Antwort darin<br />

zu fin<strong>de</strong>n, daß Thomas eigentlich nur von <strong>de</strong>r Möglichkeit<br />

spricht, die gesamte sittliche Haltung <strong>de</strong>s Individuums auf die<br />

Gemeinschaft auszurichten, wie man etwa von <strong>de</strong>r Liebe sagt,<br />

sie könne sich frei verschenken, ohne dadurch ihren persönli­<br />

chen Charakter zu verlieren. Thomas gebraucht ja auch <strong>de</strong>n<br />

Ausdruck „ausrichtbar" <strong>und</strong> nicht „auszurichten". Ebenso:<br />

„Die Akte aller Tugen<strong>de</strong>n können zur <strong>Gerechtigkeit</strong> gehören,<br />

insofern diese <strong>de</strong>n Menschen auf das Gemeinwohl ausrichtet".<br />

An<strong>de</strong>rerseits ist zu be<strong>de</strong>nken, daß wir uns auf <strong>de</strong>m Gebiet <strong>de</strong>r<br />

strengen <strong>Gerechtigkeit</strong> befin<strong>de</strong>n, wo ein unabän<strong>de</strong>rliches Muß<br />

gilt, das vom an<strong>de</strong>rn, nämlich von <strong>de</strong>r Gemeinschaft, eingefor­<br />

<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n kann. Zu alle<strong>de</strong>m fährt Thomas fort, die Gemein­<br />

wohl- o<strong>de</strong>r allgemeine <strong>Gerechtigkeit</strong> könne auch Gesetzesge­<br />

rechtigkeit genannt wer<strong>de</strong>n, insofern <strong>de</strong>r Mensch durch sie sich<br />

<strong>de</strong>m Gesetz unterwirft, welches die Akte aller Tugen<strong>de</strong>n auf das<br />

Gemeinwohl hinordnet.<br />

Die theologische Ordnung bleibt außer acht, da es sich um<br />

ein rein philosophisches Problem han<strong>de</strong>lt. Der Traktat über die<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> steht auf <strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Natur, da es darum<br />

geht, was <strong>de</strong>r Mensch <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>rn auf Gr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r Naturverbun­<br />

<strong>de</strong>nheit schul<strong>de</strong>t. Die übernatürliche Ordnung von Mensch zu<br />

Mensch ist die Ordnung <strong>de</strong>r Liebe, die ihrerseits zwar <strong>de</strong>r<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> nicht entraten kann, aber an<strong>de</strong>rerseits eben nicht<br />

selbst <strong>Gerechtigkeit</strong> besagt, son<strong>de</strong>rn weit darüber hinausragt 4 .<br />

Auch <strong>de</strong>m Theologen darf diese philosophische Schauweise<br />

nicht fehlen, da die göttliche Liebe Königin aller Tugen<strong>de</strong>n, auch<br />

3 Vgl. /. Th. Eschmann, Bonum commune etc., Med. St. 5 (1943) 126—165.<br />

A. F. Verpaalen, Der Begriff <strong>de</strong>s Gemeinwohls bei Thomas von Aquin, Ein Beitrag<br />

zum Problem <strong>de</strong>s Personalismus. Hei<strong>de</strong>lberg 1954. Die gesamten das<br />

Gemeinwohl betreffen<strong>de</strong>n Thomastexte (von A. F. Verpaalen zusammengestellt)<br />

sind im Teil I meiner Sozialethik abgedruckt.<br />

4 Dabei darf aber nicht übersehen wer<strong>de</strong>n, daß beim Christen jedwe<strong>de</strong> Ungerechtigkeit<br />

zugleich Sün<strong>de</strong> gegen die übernatürliche Gottesliebe ist. Vgl. 59,4<br />

mit Kommentar. Hier wird <strong>de</strong>r unzerreißbare innere Zusammenhang von<br />

natürlicher <strong>und</strong> übernatürlicher Ordnung <strong>de</strong>utlich.<br />

309


58. 5/6 <strong>de</strong>r natürlichen, ist, d. h. <strong>de</strong>n gesamten sittlichen, auch rein<br />

natürlichen Kräftekosmos zur Tätigkeit aufruft. Die innere Er­<br />

neuerung <strong>de</strong>r in Gemeinschaft leben<strong>de</strong>n Individuen durch die<br />

Liebe kann noch nicht die ganze gesellschaftliche Erneuerung<br />

be<strong>de</strong>uten, da diese ihre Verwirklichung in einer sogenannten<br />

„Zustän<strong>de</strong>reform", d. h. in rechtlichen Abgrenzungen verlangt.<br />

Es kann also in unserem Artikel keineswegs von einer Hin­<br />

ordnung <strong>de</strong>r theologischen o<strong>de</strong>r eingegossenen sittlichen<br />

Tugen<strong>de</strong>n auf das Gemeinwohl auf Gr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r Gemeinwohlge­<br />

rechtigkeit die Re<strong>de</strong> sein. Die Frage bezieht sich einzig auf die<br />

natürlichen Tugen<strong>de</strong>n: „Das Wohl <strong>de</strong>s Bürgers ist nicht das<br />

letzte Ziel <strong>de</strong>r eingegossenen Kardinaltugen<strong>de</strong>n [erst recht<br />

nicht <strong>de</strong>r theologischen Tugen<strong>de</strong>n], son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r erworbenen<br />

Tugen<strong>de</strong>n, von <strong>de</strong>nen bei <strong>de</strong>n Philosophen die Re<strong>de</strong> war" (Virt.<br />

card., 4 Zu 3). Im natürlichen Bereich bewegen sich alle Tugen­<br />

<strong>de</strong>n im Raum <strong>de</strong>r sozialen Natur. Zwar anerkennt auch <strong>de</strong>r Phi­<br />

losoph ein persönliches Verhältnis eines je<strong>de</strong>n geistigen Wesens<br />

zu Gott. Doch be<strong>de</strong>utet dieses Verhältnis zu Gott in <strong>de</strong>r Natur<br />

keine Tugend, son<strong>de</strong>rn eben Natur. Es liegt in <strong>de</strong>r Teilhabe <strong>de</strong>s<br />

Seins, also im Sein <strong>de</strong>s natürlich Personalen. Das natürliche<br />

Streben nach Gott ist nichts an<strong>de</strong>res als die naturhafte Ausrich­<br />

tung <strong>de</strong>s Menschen auf <strong>de</strong>n Schöpfer. Man wird darum in <strong>de</strong>r<br />

Tugendlehre, d. h. unter jenen vom Menschen durch eigenen<br />

sittlichen Fleiß erworbenen sittlichen Kräften, umsonst nach<br />

einer „Tugend" <strong>de</strong>r Gottesliebe suchen. Die Tugen<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Philo­<br />

sophen bewegen sich im Bereich <strong>de</strong>r Mittel zum Endziel, auf<br />

welches wir naturhaft hingeordnet sind. Auf diesem Tätigkeits­<br />

feld aber sind wir naturhaft sozial, gesellschaftsverb<strong>und</strong>en.<br />

Unsere naturhafte Gottbezogenheit beweisen wir dadurch, daß<br />

wir uns zu allem „recht" verhalten, was uns umgibt <strong>und</strong> uns un­<br />

terstellt ist: <strong>de</strong>m Mitmenschen gegenüber, uns selbst gegenüber<br />

<strong>und</strong> <strong>de</strong>r Welt gegenüber. Dem Mitmenschen gegenüber durch<br />

die <strong>Gerechtigkeit</strong> im eigentlichen Sinn, uns selbst <strong>und</strong> <strong>de</strong>r nicht­<br />

geistigen Welt gegenüber durch die Tugen<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Maßhaltung<br />

<strong>und</strong> <strong>de</strong>r Tapferkeit. Das Objekt <strong>de</strong>r Maßhaltung wie auch jenes<br />

<strong>de</strong>r Tapferkeit steht aber in engem Kontakt mit <strong>de</strong>m Mitmen­<br />

schen. Der Genußsüchtige mißbraucht Güter dieser Welt, mit­<br />

tels <strong>de</strong>ren er <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Mitmensch sich vervollkommnen sollten.<br />

Die Drogensüchtigen z.B. be<strong>de</strong>uten eine kostenmäßige Bela­<br />

stung <strong>de</strong>r Gesellschaft. Der Feige mißachtet Güter, für die er<br />

sich um <strong>de</strong>r Mitmenschen willen einsetzen sollte, weil sie allge-<br />

310


mein menschliche Güter sind. Wenngleich sich ein Großteil <strong>de</strong>r<br />

Maßhaltung <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Tapferkeit im geheimen Leben unserer<br />

eigenen Person abspielt, so ist doch das Objekt unserer Lei<strong>de</strong>n­<br />

schaften, <strong>de</strong>ren Regelung diesen bei<strong>de</strong>n Tugen<strong>de</strong>n obliegt, aufs<br />

innigste mit <strong>de</strong>r Umwelt verknüpft. Das sittliche Leben kennt<br />

keine säuberliche Abtrennung, son<strong>de</strong>rn ist in sich geeint (vgl.<br />

„Verknüpfung <strong>de</strong>r Tugen<strong>de</strong>n" in I—II 65; DT, Bd. 11). Wir<br />

haben uns nicht nur vor Uberschreitungen zu hüten, die <strong>de</strong>m<br />

Nächsten scha<strong>de</strong>n könnten, son<strong>de</strong>rn müssen darüber hinaus<br />

unsere sittlichen Kräfte positiv einsetzen zur Beteiligung am<br />

Aufbau <strong>de</strong>r Gemeinschaft, am allgemeinen Kulturschaffen, das<br />

nicht nur etwas Personales, son<strong>de</strong>rn zugleich ein soziales Gut<br />

ist. Wür<strong>de</strong>n wir uns <strong>de</strong>m Kulturauftrag, <strong>de</strong>r an die Menschheit<br />

als solche ergangen ist, entziehen, wir wür<strong>de</strong>n nicht nur unsere<br />

persönliche sittliche Vollendung hintansetzen, son<strong>de</strong>rn auch<br />

<strong>de</strong>n Mitmenschen um unseren Beitrag kürzen, <strong>de</strong>n wir ihm auf­<br />

gr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r Gemeinsamkeit <strong>de</strong>r menschlichen Natur schul<strong>de</strong>n.<br />

So gilt also in Wahrheit <strong>de</strong>r Satz <strong>de</strong>s hl. Thomas: „Das Gut<br />

einer je<strong>de</strong>n Tugend, ob diese nun <strong>de</strong>n Menschen in sich selbst<br />

o<strong>de</strong>r in Beziehung auf <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>rn Einzelmenschen ordnet, ist<br />

auf das Gemeinwohl ausrichtbar", <strong>und</strong> zwar ausrichtbar im<br />

Sinne <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>, ist also „auszurichten" auf das<br />

Gemeinwohl, das einen Anspruch auf die sittliche Leistung<br />

eines je<strong>de</strong>n hat.<br />

Der Begriff <strong>de</strong>s Gemeinwohls, <strong>de</strong>n Thomas hier zugr<strong>und</strong>e­<br />

legt, hat seine eigene Färbung, die wir heute nicht mehr kennen<br />

(vgl. die Exkurse).<br />

Die Gemeinwohlgerechtigkeit wird vom hl. Thomas als eine<br />

eigene Tugend im strengen Sinn aufgefaßt, da sie ein eigenes<br />

Objekt hat, eben das Gemeinwohl (Art. 6). Sie ist aber zugleich<br />

eine Tugend, die die an<strong>de</strong>rn auf sich bezieht, die darum <strong>de</strong>m ge­<br />

samten sittlichen Leben eine neue Zielrichtung gibt. In dieser<br />

Hinsicht kann sie als Kommandostelle <strong>de</strong>r natürlichen Tugend­<br />

ordnungen bezeichnet wer<strong>de</strong>n. Thomas gibt ihr unter diesem<br />

Betracht <strong>de</strong>n Namen „allgemeine" <strong>Gerechtigkeit</strong>. Nicht, daß<br />

die an<strong>de</strong>ren Tugen<strong>de</strong>n ihre eigene Funktion verlieren. Es soll<br />

nur gesagt sein, daß sie eine neue Werthaftigkeit, eine neue sitt­<br />

liche Note, empfangen. Darum ist die Gemeinwohlgerechtig­<br />

keit in gewisser Hinsicht in allen Tugen<strong>de</strong>n, wie Thomas (Art. 5<br />

u. 6) sich ausdrückt. Sie wird auch, wie bereits erwähnt, „Geset-<br />

311


zesgerechtigkeit" genannt, weil ihr Objekt durch die Gesetze<br />

bestimmt wer<strong>de</strong>n kann.<br />

Entsprechend <strong>de</strong>m aristotelischen Vorbild unterschei<strong>de</strong>t<br />

Thomas (Art. 6) die Gemeinwohlgerechtigkeit selbst wie<strong>de</strong>rum<br />

je nach <strong>de</strong>m Subjekt, in welchem sie sich fin<strong>de</strong>t, ob im Fürsten<br />

o<strong>de</strong>r im Untertan. Im Fürsten, so meint er, sei sie „hauptsäch­<br />

lich" <strong>und</strong> in erster Linie, im Untertan erst zweitlinig <strong>und</strong> aus­<br />

führend. Auffallend ist, daß Thomas nicht sagt: eigentlich <strong>und</strong><br />

uneigentlich. Man erinnere sich <strong>de</strong>r Lehre von <strong>de</strong>r politischen<br />

Klugheit in II—II 50,2, wo die gleiche Unterscheidung ange­<br />

wandt wird. Hat eigentlich Thomas diese Rangunterschie<strong>de</strong> in<br />

<strong>de</strong>r Gemeinwohlgerechtigkeit nicht doch stark im Sinn einer<br />

Wesensunterscheidung gesehen? Aus II—II 50,2 zu schlie­<br />

ßen, han<strong>de</strong>lt es sich je<strong>de</strong>nfalls nur um eine gradmäßige Unter­<br />

scheidung. Diese Erkenntnis könnte an sich belanglos erschei­<br />

nen. Jedoch ergibt sich aus ihr die gr<strong>und</strong>sätzliche politische<br />

Gleichstellung zwischen Regieren<strong>de</strong>m <strong>und</strong> Untertan. In <strong>de</strong>r<br />

mo<strong>de</strong>rnen Demokratie, in welcher ein je<strong>de</strong>r in gleichem Maße<br />

die Verantwortung für das Gemeinwohl übernimmt, ist diese<br />

Erkenntnis eine Selbstverständlichkeit. So wenig die Unter­<br />

scheidung zwischen Demokratie <strong>und</strong> Monarchie für die poli­<br />

tische Gemeinschaft eine Wesensunterscheidung be<strong>de</strong>utet, son­<br />

<strong>de</strong>rn nur <strong>de</strong>ren äußere Form betrifft, ebensowenig berührt die<br />

Unterscheidung <strong>de</strong>r Funktionen, welche <strong>de</strong>m Untertan einer­<br />

seits <strong>und</strong> <strong>de</strong>m Regieren<strong>de</strong>n an<strong>de</strong>rerseits im Staate zufallen, das<br />

Wesen <strong>de</strong>r sittlich-politischen Verantwortung.<br />

3. DIE SONDERGERECHTIGKEIT<br />

(Art. 7-10)<br />

Die Son<strong>de</strong>rgerechtigkeit ist bei Thomas nicht die Gerechtig­<br />

keit eines einzelnen Menschen, son<strong>de</strong>rn zu einem einzelnen.<br />

Aus diesem Gr<strong>und</strong>e kann Thomas sie unterschei<strong>de</strong>n in ausglei­<br />

chen<strong>de</strong> (zwischen zwei einzelnen Menschen) <strong>und</strong> austeilen<strong>de</strong><br />

(vom Gemeinwohl zum einzelnen Menschen). Allerdings sagt<br />

Thomas (61,1) selbst, daß die austeilen<strong>de</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong> im<br />

Gr<strong>und</strong>e nicht nur <strong>de</strong>n einzelnen, son<strong>de</strong>rn zugleich auch die ge­<br />

samte Ordnung im Auge hat, insofern die Güter <strong>de</strong>s Gemein­<br />

wohls ordnungsgerecht (sec<strong>und</strong>um proportionalitatem) <strong>de</strong>m<br />

einzelnen zugeteilt wer<strong>de</strong>n. Damit aber nähert sich die austei-<br />

312


len<strong>de</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>de</strong>s hl. Thomas unserem mo<strong>de</strong>rnen Begriff 58. 7-10<br />

von <strong>de</strong>r Gemeinwohlgerechtigkeit, die auch als soziale <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

bezeichnet wird. Wir können uns heute, wie im zweiten<br />

Exkurs dargestellt ist, das Gemeinwohl nur noch im Sinn <strong>de</strong>r<br />

ausgeglichenen Proportion <strong>und</strong> Koordination aller vorstellen,<br />

so daß notwendigerweise Gemeinwohlgerechtigkeit <strong>und</strong> aus­<br />

teilen<strong>de</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong> nur verschie<strong>de</strong>ne Funktionen ein <strong>und</strong><br />

<strong>de</strong>rselben <strong>Gerechtigkeit</strong> (<strong>de</strong>r sozialen <strong>Gerechtigkeit</strong>) sind. Für<br />

unser vom Individualismus beeinflußtes <strong>und</strong> <strong>de</strong>r konkreten<br />

<strong>Recht</strong>sverteilung zugewandtes Denken kann das Gemeinwohl,<br />

sofern es Gegenstand <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s ist, nur noch in <strong>de</strong>r Ordnung<br />

<strong>de</strong>r vom Gesetz <strong>de</strong>n vielen einzelnen aufgetragenen Lasten <strong>und</strong><br />

Pflichten bestehen. Allerdings möchte das christliche Denken<br />

sich gegen die Gefangennahme durch <strong>de</strong>n Individualismus<br />

dadurch wehren, daß es eben doch noch eine Zielstrebigkeit <strong>de</strong>s<br />

Gemeinwesens nach einem I<strong>de</strong>al anerkennt. Damit bleibt <strong>de</strong>m<br />

Gesetz die Vollmacht erhalten, für alle Menschen gelten<strong>de</strong> sitt­<br />

liche For<strong>de</strong>rungen rechtskräftig aufzustellen, auch wenn die<br />

faktische Willensbildung, die soziologische Situation, ihnen<br />

wi<strong>de</strong>rstreben wür<strong>de</strong>. Thomas bedurfte dieses Sperriegels gegen<br />

<strong>de</strong>n Individualismus nicht, da die Gemeinwohlgerechtigkeit bei<br />

ihm ein integrales Ja zur Gemeinschaft be<strong>de</strong>utet. Aus diesem<br />

Gr<strong>und</strong>e wird <strong>de</strong>r innere Mensch mit seinen Affekten durch die<br />

Gemeinwohlgerechtigkeit in einer Weise aufgerufen, wie man<br />

es sonst von <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> nicht erwarten wür<strong>de</strong> (Art. 9 Zu<br />

3). Allerdings bleibt es Eigenheit einer je<strong>de</strong>n Art <strong>de</strong>r Gerechtig­<br />

keit, durch eine äußere Handlung auf die Umwelt zu wirken<br />

(Art. 9 u. 10). In diese äußere Betätigung aber wird bei <strong>de</strong>r<br />

Gemeinwohlgerechtigkeit das Affektleben <strong>de</strong>s Menschen in<br />

wesentlicher Weise mit hineingezogen (Art. 9 Zu 3).<br />

4. DAS GERECHTE TUN<br />

(Art. 11)<br />

Entsprechend <strong>de</strong>r Gr<strong>und</strong>auffassung <strong>de</strong>r Scholastik, daß die 58. 11<br />

Tugend eine dauerhafte sittliche Haltung (Habitus) be<strong>de</strong>ute,<br />

ergibt sich von selbst die Notwendigkeit, <strong>de</strong>n Akt, d. h. die<br />

Äußerung dieser sittlichen Einstellung, zu studieren. Die Ant­<br />

wort liegt auf <strong>de</strong>r Hand, da die sittliche Haltung selbst durch<br />

<strong>de</strong>n Akt <strong>und</strong> dieser durch das Objekt bestimmt ist. Das<br />

313


58. Ii Gerechtsein äußert sich im gerechten Tun, das in nichts an<strong>de</strong>­<br />

rem besteht, als je<strong>de</strong>m das Seine zu geben.<br />

5. DIE WERTHÖHE DER GERECHTIGKEIT<br />

(Art. 12)<br />

58. 12 Der Vergleich <strong>de</strong>r Tugen<strong>de</strong>n nach ihrer Werthöhe ist in <strong>de</strong>r<br />

Ethik <strong>de</strong>s hl. Thomas ein bevorzugtes Thema. Im ersten Teil<br />

seiner Moraltheologie hat er diesem Thema eine eigene Frage<br />

(I—II 66; DT, Bd. 11) gewidmet. In II-II 30,4 (DT, Bd. 16)<br />

erwog er die beson<strong>de</strong>ren Auszeichnungen <strong>de</strong>r Barmherzigkeit.<br />

In II-II 81,7 (DT, Bd. 19) wer<strong>de</strong>n die Vorzüge <strong>de</strong>r Gottesver­<br />

ehrung dargestellt. Ahnliche Vergleiche fin<strong>de</strong>n sich an zahlrei­<br />

chen an<strong>de</strong>ren Stellen (vgl. II-II 102,3; 104,3; 117,6; 123,12;<br />

136,2; 141,8; 152,5; 155,4; 157,4).<br />

Das Fragen nach <strong>de</strong>r besten Tugend ist keine n<strong>utz</strong>lose Spiele­<br />

rei, wenngleich je<strong>de</strong> sittliche Tat ihren eigenen unvergleichlichen<br />

Wert besitzt, so daß ein in <strong>de</strong>r absoluten Wertskala weniger<br />

hoch eingeschätzter Tugendakt auf Gr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r konkreten Um­<br />

stän<strong>de</strong>, <strong>de</strong>r persönlichen Intensität usw. Ausdruck höchster sitt­<br />

licher Bemühung sein kann. Sofern man aber <strong>de</strong>r Ethik die<br />

Wesenserkenntnis <strong>de</strong>r sittlichen Werte nicht abspricht, muß<br />

man dieser absoluten Wertskala ihre Berechtigung zuerkennen.<br />

Thomas zieht hier keinen Vergleich von <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> zu<br />

<strong>de</strong>n theologischen Tugen<strong>de</strong>n, auch nicht zur Klugheit, son<strong>de</strong>rn<br />

lediglich zu <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n an<strong>de</strong>rn sittlichen Tugen<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Tapfer­<br />

keit <strong>und</strong> Maßhaltung.<br />

Gemäß <strong>de</strong>m Gr<strong>und</strong>satz, daß das Gemeinwohl <strong>de</strong>m Einzel­<br />

wohl vorgehe, stellt Thomas ohne Umschweife die Gemein­<br />

wohlgerechtigkeit <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n genannten sittlichen Tugen<strong>de</strong>n<br />

voran.<br />

Bezüglich <strong>de</strong>r Son<strong>de</strong>rgerechtigkeit möchte es schwer schei­<br />

nen, das Lob auf die <strong>Gerechtigkeit</strong> aufrechtzuerhalten. Und<br />

<strong>de</strong>nnoch wird Thomas auch dieser Beweis leicht. Die Gerech­<br />

tigkeit ist ihm die geistigste unter <strong>de</strong>n sittlichen Tugen<strong>de</strong>n. Dazu<br />

kommt noch, daß sie nicht im Subjekt verbleibt, son<strong>de</strong>rn aus<br />

ihm hinausgeht zum Nächsten. Man vermute hier bei Thomas<br />

nicht die unbesorgte Nachfolge <strong>de</strong>s Philosophen Aristotelesl Es<br />

entspricht durchaus einem gr<strong>und</strong>sätzlich christlichen Gedan­<br />

ken, daß eine Tugend, je mehr sie über sich hinaus zum Näch-<br />

314


sten geht, an Vollkommenheit gewinnt. Aus diesem Gr<strong>und</strong>e<br />

wird die Barmherzigkeit von Thomas (II—II 30,4 Zu 2; DT,<br />

Bd. 16) als die „Summe <strong>de</strong>r christlichen Religion" bezeichnet,<br />

„soweit die äußeren Werke in Frage kommen". Entsprechend<br />

wird hier auf einer Vorstufe <strong>de</strong>r theologischen Tugen<strong>de</strong>n, näm­<br />

lich im Bereich <strong>de</strong>r sittlichen Tugen<strong>de</strong>n, die <strong>Gerechtigkeit</strong> als die<br />

vornehmste <strong>de</strong>r Tugen<strong>de</strong>n bezeichnet.<br />

Dies für die mo<strong>de</strong>rne praktische Moral zu notieren, dürfte<br />

beson<strong>de</strong>rs angezeigt sein, nach<strong>de</strong>m durch eine jahrh<strong>und</strong>erte­<br />

lange Tradition hindurch <strong>de</strong>r Schwerpunkt <strong>de</strong>r Aufmerksamkeit<br />

auf einer Tugend lag, die in erster Linie das persönlich seelische<br />

Gleichgewicht regelt, nämlich auf <strong>de</strong>r Keuschheit. Ohne die<br />

Werthöhe dieser Tugend, die ihren beson<strong>de</strong>ren christlichen<br />

Glanz durch die Jungfräulichkeit um Christi willen erhält, auch<br />

nur im geringsten herabzusetzen, müssen wir in <strong>de</strong>r absoluten<br />

Wertung <strong>de</strong>nnoch <strong>de</strong>r Tugend, die das Subjekt transzendiert,<br />

<strong>de</strong>n Vorzug geben. In <strong>de</strong>r konkreten Situation allerdings mag<br />

die Keuschheit, vorab die Jungfräulichkeit, eine stärkere sitt­<br />

liche Intensität beweisen, weil sie die Uberwindung größerer<br />

subjektiver Schwierigkeiten for<strong>de</strong>rt. Die absolute Werthöhe <strong>de</strong>r<br />

Tugen<strong>de</strong>n wird aber eben nicht nach <strong>de</strong>r Uberwindung <strong>de</strong>r<br />

Hemmungen bestimmt, <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r Mensch unterliegt, son<strong>de</strong>rn<br />

gemäß <strong>de</strong>r geistigen Gutheit <strong>de</strong>s Objekts.<br />

Drittes Kapitel<br />

DIE UNGERECHTIGKEIT<br />

(Fr. 59)<br />

Der erste Artikel ist nicht nur durch die biblische Lehre von<br />

<strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Ungerechtigkeit (vgl. Einw. 1), son<strong>de</strong>rn<br />

auch durch die Feststellung <strong>de</strong>s praktischen Lebens veranlaßt,<br />

daß nämlich die Ungerechtigkeit selten allein auftritt, son<strong>de</strong>rn<br />

immer mit an<strong>de</strong>rn Verfehlungen zusammen, wie <strong>de</strong>r 2. Ein­<br />

wand darstellt.<br />

Wie die Gemeinwohlgerechtigkeit eine eigene Tugend ist, so<br />

be<strong>de</strong>utet <strong>de</strong>r Verstoß gegen sie eine eigene Sün<strong>de</strong> <strong>und</strong>, sofern es<br />

aus verfestigter Haltung geschieht, ein eigenes Laster. Die ego­<br />

zentrische Einstellung, welche <strong>de</strong>r Gemeinschaft das Ihrige vor­<br />

enthält, ist wirklich Sün<strong>de</strong>, <strong>und</strong> zwar eine eigene Sün<strong>de</strong>, nicht<br />

315


nur unor<strong>de</strong>ntliche Begier<strong>de</strong> nach Reichtum, son<strong>de</strong>rn eine vor<br />

<strong>de</strong>r Gemeinschaft zu verantworten<strong>de</strong> Ungerechtigkeit: asoziale<br />

Haltung <strong>und</strong> Tat. Das Sich-selbst-Abschließen <strong>und</strong> Sich-Sträu-<br />

ben gegenüber <strong>de</strong>r Einglie<strong>de</strong>rung in das allgemeine Kultur­<br />

schaffen fügt <strong>de</strong>r Gemeinschaft Scha<strong>de</strong>n zu <strong>und</strong> be<strong>de</strong>utet zu­<br />

gleich einen Verstoß gegen die eigene sittliche Vollendung <strong>de</strong>s<br />

Einzelmenschen. Ein erneuter Beweis dafür, wie tief Thomas<br />

die soziale Natur <strong>de</strong>s Menschen als sittliche Aufgabe anerkannt<br />

wissen will.<br />

Wo <strong>de</strong>r Mensch <strong>de</strong>m Mitmenschen das versagt, was ihm<br />

zusteht, liegt, wie Thomas weiter ausführt, eine Ungerechtig­<br />

keit gegen die Son<strong>de</strong>rgerechtigkeit vor.<br />

Allerdings kann man nur dort von Ungerechtigkeit sprechen,<br />

wo ein ungerechtes Wollen im Menschen vorliegt (Art. 2).<br />

Da die <strong>Gerechtigkeit</strong> stets <strong>de</strong>n <strong>Recht</strong>sanspruch <strong>de</strong>s Mitmen­<br />

schen miteinbezieht, so geschieht Ungerechtigkeit niemals,<br />

wenn <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re sich nicht unwillig zeigt, d. h. <strong>de</strong>n ihm zuge­<br />

fügten Scha<strong>de</strong>n überhaupt nicht einschätzt (Art. 3). Diese von<br />

Aristoteles stammen<strong>de</strong> Lehre zeitigt verhängnisvolle Folgen,<br />

sobald man <strong>de</strong>n Bo<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Naturrechts<strong>de</strong>nkens verläßt, wo es<br />

noch <strong>Recht</strong>e gibt, auf welche <strong>de</strong>r Mitmensch nicht verzichten<br />

kann. Der <strong>Recht</strong>spositivismus, <strong>de</strong>r die Frie<strong>de</strong>nsordnung <strong>de</strong>r<br />

Gesellschaft nicht im Sinne absoluter Normen, son<strong>de</strong>rn als<br />

Ordnung innerhalb verschie<strong>de</strong>ner Willensbildungen auffaßt,<br />

kann folgerichtig z.B. die Homosexualität als strafwürdiges<br />

Verbrechen streichen, sofern die bei<strong>de</strong>n Partner in bei<strong>de</strong>rseiti­<br />

ger Einwilligung han<strong>de</strong>ln. Es liegt dann kein Unrecht mehr vor,<br />

zumal wenn die gesamte Gesellschaft an dieser Handlung kei­<br />

nen Anstoß mehr nimmt. Im Naturrechts<strong>de</strong>nken jedoch bleibt<br />

die Homosexualität immer ein von <strong>de</strong>r Gesellschaftsmoral<br />

absolut <strong>und</strong> überzeitlich zu verwerfen<strong>de</strong>s Vergehen, so daß sie<br />

immer eine Ungerechtigkeit be<strong>de</strong>utet, nicht nur in <strong>de</strong>m rein reli­<br />

giösen Sinn <strong>de</strong>r sündhaften Tat gegen Gott, son<strong>de</strong>rn auch im<br />

zwischenmenschlichen Bereich, weil eben eine Norm verletzt<br />

wird, die <strong>de</strong>r Gesellschaft als Ganzes aufgetragen ist. Auch hier<br />

mag man wie<strong>de</strong>rum die sittliche Spannweite <strong>de</strong>r Gemeinwohl­<br />

gerechtigkeit erkennen.<br />

Welches Gewicht die sittliche Verpflichtung zu gerechtem<br />

Han<strong>de</strong>ln besitzt, ergibt sich aus Artikel 4, wo Thomas erklärt,<br />

daß die Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Ungerechtigkeit wesentlich eine schwere<br />

Sün<strong>de</strong> sei. Wer <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>rn das Seine nimmt o<strong>de</strong>r nicht gibt,<br />

316


verfehlt sich sogar gegen das Gr<strong>und</strong>gebot <strong>de</strong>r übernatürlichen<br />

Sittlichkeit, gegen die göttliche Liebe. Nicht, als ob die Gerech­<br />

tigkeit im Gr<strong>und</strong>e doch auf die Liebe hinausliefe. Wer aber die<br />

Liebe hat <strong>und</strong> sie bewahren will, muß gerecht sein, muß <strong>de</strong>m<br />

Nächsten das geben, was ihm gehört, sonst kann er in <strong>de</strong>r Liebe<br />

nicht bleiben. Mit an<strong>de</strong>rn Worten: sonst versündigt er sich<br />

schwer, <strong>de</strong>nn in <strong>de</strong>r Theologie ist jene Sün<strong>de</strong> als schwer zu<br />

bezeichnen, die mit <strong>de</strong>r Liebe nicht mehr vereinbar ist.<br />

Dies schließt aber im Bereich <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> die Möglich­<br />

keit einer „kleinen", theologisch ausgedrückt, einer läßlichen<br />

Sün<strong>de</strong> nicht aus. In kleinen <strong>und</strong> belanglosen Dingen hat <strong>de</strong>r<br />

Geschädigte keinen sachlichen Gr<strong>und</strong> zum Unwillen. Wer also<br />

in kleineren Dingen Unrecht begeht, kann berechtigterweise<br />

annehmen, daß <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re sich nicht geschädigt fühlt (Art. 4 Zu<br />

2). Damit aber ist <strong>de</strong>r Ungerechtigkeit die Spitze abgebrochen,<br />

da es, wie Thomas im 3. Artikel ausführte, Unrecht nur gibt, wo<br />

<strong>de</strong>r Mitmensch das Unrecht „erlei<strong>de</strong>t". Man kann daher auf <strong>de</strong>m<br />

Gebiet <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s von schwerwiegen<strong>de</strong>m <strong>und</strong> geringfügigem<br />

Tatbestand re<strong>de</strong>n (materia gravis <strong>und</strong> materia levis, wie die<br />

Theologie sich ausdrückt).<br />

Viertes Kapitel<br />

DIE RECHTSPRECHUNG<br />

(Fr. 60)<br />

Sosehr die Gesetzesbildung für ein ruhiges gesellschaftliches<br />

Leben im Vor<strong>de</strong>rgr<strong>und</strong> stehen muß, so wird sie <strong>de</strong>nnoch end­<br />

gültig ihre Wirksamkeit erst in <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>sprechung erhalten.<br />

Hier erst wird eigentlich <strong>Recht</strong> im entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Sinn. Es ent­<br />

spricht dies ganz <strong>de</strong>m Denken <strong>de</strong>s hl. Thomas, insofern er<br />

selbst als <strong>Recht</strong> das hic et nunc gelten<strong>de</strong> Objekt <strong>de</strong>r Tugend <strong>de</strong>r<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> bezeichnet (vgl. Kommentar zu 57,1). Kelsen hat<br />

daher, wie bereits gesagt, mit feinem Gespür <strong>de</strong>m Richter<br />

rechtserzeugen<strong>de</strong> Kraft zugesprochen. Auch bei Thomas<br />

schreitet <strong>de</strong>r rechtsbil<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Prozeß folgerichtig von <strong>de</strong>n Geset­<br />

zen vor bis zum richterlichen Urteil. In Art. 6 Zu 1 sagt er aus­<br />

drücklich, daß das richterliche Urteil nicht nur eine Feststellung<br />

<strong>de</strong>s Tatbestan<strong>de</strong>s sei, son<strong>de</strong>rn ein autoritativer Anstoß. Darum<br />

gehört die <strong>Recht</strong>sprechung in jenen Bereich <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s, <strong>de</strong>r<br />

317


nicht einzig <strong>Recht</strong> vollführt <strong>und</strong> befolgt, son<strong>de</strong>rn als übergeord­<br />

nete Instanz <strong>Recht</strong> festlegt (Art. 1 Zu 4). Zur <strong>Recht</strong>sprechung<br />

ist eine höhere Gewalt vonnöten, welche bei<strong>de</strong> rechtsuchen<strong>de</strong>n<br />

Teile gewissermaßen in <strong>de</strong>r Hand hat (Art. 1 Zu 3). Das richter­<br />

liche Urteil wird darum als „auf <strong>de</strong>n Einzelfall zugeschnittenes<br />

Gesetz" bezeichnet (67,1).<br />

Es möchte sogar scheinen, als ob Thomas im Sinn <strong>de</strong>r Frei­<br />

rechtsschule <strong>de</strong>m Richter die freie <strong>Recht</strong>sbildung zusprechen<br />

wür<strong>de</strong>. Denn außer <strong>de</strong>r Tugend <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> <strong>de</strong>r legiti­<br />

men Zuständigkeit verlangt er auch noch die <strong>Recht</strong>sklugheit auf<br />

seiten <strong>de</strong>s Richters (Art. 2). Soll diese Klugheit etwa be<strong>de</strong>uten,<br />

daß <strong>de</strong>r Richter selbständig, vielleicht sogar über das Gesetz<br />

hinweg neues <strong>Recht</strong> schaffen kann? Die Lehre von Frage 60<br />

beweist, daß Thomas insoweit <strong>de</strong>n Gedanken <strong>de</strong>r Freirechts­<br />

schule vertritt, als er, wie sie, die Lückenhaftigkeit <strong>de</strong>s Gesetzes<br />

unterstreicht. Er unterschei<strong>de</strong>t sich jedoch von ihr, insofern er<br />

nicht einfach eine Berücksichtigung <strong>de</strong>r Verkehrsbedürfnisse<br />

<strong>und</strong> <strong>de</strong>r For<strong>de</strong>rungen von Treu <strong>und</strong> Glauben, son<strong>de</strong>rn über<br />

diese mehr praktische Sicht hinaus eine Rückbesinnung auf die<br />

absoluten Normen for<strong>de</strong>rt.<br />

Die thomasische Auffassung von <strong>de</strong>r Lückenhaftigkeit <strong>de</strong>s<br />

Gesetzes <strong>und</strong> <strong>de</strong>r damit gegebenen Notwendigkeit einer neuen<br />

<strong>Recht</strong>sbildung durch <strong>de</strong>n Richter spricht sich in <strong>de</strong>m Begriff<br />

jener Klugheit <strong>und</strong> <strong>de</strong>r mit ihr verb<strong>und</strong>enen Tugend <strong>de</strong>r Gerech­<br />

tigkeit aus, die Thomas als wesentliche Ausrüstung <strong>de</strong>s Richters<br />

verlangt.<br />

Diese Klugheit ist zunächst die „rechte Vernunft" zur Auf­<br />

<strong>de</strong>ckung <strong>de</strong>s unter das Gesetz fallen<strong>de</strong>n Tatbestan<strong>de</strong>s (vgl.<br />

Art. 1 Zu 1; Art. 2). Damit ist allerdings zunächst mehr <strong>de</strong>m<br />

<strong>Recht</strong>sformalismus als <strong>de</strong>r Freirechtslehre das Wort gespro­<br />

chen. Immerhin führt bereits die beson<strong>de</strong>re Art, mit welcher <strong>de</strong>r<br />

Richter bei <strong>de</strong>r Feststellung <strong>de</strong>s Tatbestan<strong>de</strong>s vorzugehen hat,<br />

einen Gedanken ein, <strong>de</strong>r zur freien sittlichen <strong>Recht</strong>sentschei­<br />

dung <strong>de</strong>s Richters hinüberführt. Denn es soll <strong>de</strong>m Richter, wie<br />

Thomas (Art. 4 Zu 2) sagt, nicht nur um die Ermittlung einer<br />

materiellen Wahrheit nach Art einer rein juristischen Technik<br />

gehen, son<strong>de</strong>rn er soll selbst mit eigener sittlicher Verantwor­<br />

tung für die Wahrheit <strong>de</strong>s Tatbestan<strong>de</strong>s eintreten können. Aus<br />

diesem Gr<strong>und</strong>e rät Thomas (Art. 4 Zu 3), immer zum Besten<br />

<strong>de</strong>s Nächsten zu urteilen, <strong>de</strong>nn besser sei es, sich öfters zu täu­<br />

schen, als sich <strong>de</strong>r Gefahr auszusetzen, <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>rn Unrecht zu<br />

318


tun (Art. 4 Zu 1). So wird <strong>de</strong>r Richter zum sittlichen, nicht nur 60. 1-6<br />

zum sachverständigen Interpreten <strong>de</strong>s vorliegen<strong>de</strong>n Falles.<br />

Uber <strong>de</strong>n Tatbestand hinaus reicht nun diese sittliche Hal­<br />

tung <strong>de</strong>s Richters bis hinein in das Innere <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>sprechung,<br />

<strong>de</strong>s Urteils. Den aristotelischen Begriff <strong>de</strong>r Billigkeit anwen­<br />

<strong>de</strong>nd, meint Thomas (Art. 5 Zu 2), <strong>de</strong>r Richter habe zu urteilen,<br />

ob billigerweise das Gesetz in einem konkreten Fall überhaupt<br />

Geltung habe; <strong>de</strong>nn die positiven Gesetze könnten, wenngleich<br />

sie an sich eine <strong>Recht</strong>sordnung im allgemeinen beabsichtigten,<br />

<strong>de</strong>nnoch im Einzelfall die Ordnung stören. Thomas macht also<br />

<strong>de</strong>n Richter nicht nur zum Interpreten <strong>de</strong>s statuierten Gesetzes,<br />

son<strong>de</strong>rn spricht ihm darüber hinaus noch die Fähigkeit zu,<br />

selbst gegen <strong>de</strong>n Wortlaut <strong>de</strong>s Gesetzes zu urteilen, also im<br />

konkreten Fall gesetzgebend, besser: rechtsverbessernd zu wir­<br />

ken. Das Prinzip dieser <strong>Recht</strong>serzeugung ist dabei die mit <strong>de</strong>r<br />

Tugend <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> gepaarte sittliche Klugheit. Damit<br />

wird ein Orientierungspunkt eingeführt, <strong>de</strong>r nicht in <strong>de</strong>m allge­<br />

meinen <strong>Recht</strong>sgeühl <strong>de</strong>r Gesellschaft, wie etwa bei <strong>de</strong>n Vertre­<br />

tern <strong>de</strong>r Freirechtsschule, son<strong>de</strong>rn über <strong>de</strong>r gesellschaftlichen<br />

Praxis, erst recht natürlich über <strong>de</strong>r rein juristischen Praxis liegt,<br />

nämlich in <strong>de</strong>n Normen <strong>de</strong>r natürlichen Sittlichkeit, die für alle<br />

gelten, die sich in <strong>de</strong>r menschlichen Gesellschaft zusammenge­<br />

f<strong>und</strong>en haben. So kann Thomas (Art. 2 Zu 2) <strong>de</strong>n Richter <strong>de</strong>n<br />

„Diener Gottes" nennen, ähnlich wie Ulpian <strong>de</strong>n Juristen als<br />

„Priester <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>" bezeichnet hat. H. Coing 1 scheint<br />

sich dieser Auffassung zu nähern, wenn er in <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>sanwen­<br />

dung nicht eine rein logische Tätigkeit sieht, ein „Rechnen mit<br />

Begriffen" nach Art <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Pan<strong>de</strong>ktistik <strong>de</strong>s vorigen<br />

Jahrh<strong>und</strong>erts, eine reine Subsumption <strong>de</strong>s gegebenen Tatbe­<br />

stan<strong>de</strong>s unter <strong>de</strong>n Tatbestand <strong>de</strong>s Gesetzes, son<strong>de</strong>rn eine, frei­<br />

lich irgendwie geb<strong>und</strong>ene, aber doch freie Entscheidung. Das<br />

sogenannte „Richterrecht" hat sich in Deutschland beson<strong>de</strong>rs<br />

im Arbeitsrecht entwickelt, da hinsichtlich <strong>de</strong>r Arbeitskämpfe<br />

(Kampfparität <strong>de</strong>r Sozialpartner) keine gesetzlichen Normen<br />

bestehen.<br />

Allerdings wirft eine solche Auffassung <strong>de</strong>s richterlichen<br />

Amtes die Frage nach <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>ssicherheit auf, die für Radbruch<br />

das zentrale Thema war. Thomas selbst hat dies gefühlt <strong>und</strong><br />

darum nicht umsonst im 5. Artikel (vgl. auch Art. 6) die Be<strong>de</strong>u-<br />

1 Die obersten Gr<strong>und</strong>sätze <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s, 1947, 141.<br />

319


60. 1-6 tung <strong>de</strong>s geschriebenen Gesetzes hervorgehoben. Diese „for­<br />

malistische" Seite seines <strong>Recht</strong>s<strong>de</strong>nkens kommt namentlich in<br />

67,2 zur Geltung. Dennoch kann er die <strong>Recht</strong>sprechung nicht<br />

einem toten Formalismus ausliefern. Darum verteidigt er die<br />

lebendige Rückorientierung aller konkreten <strong>Recht</strong>sbildung an<br />

<strong>de</strong>n Gr<strong>und</strong>normen <strong>de</strong>s Naturrechts. Schärfer konnte Thomas<br />

seine Befürwortung <strong>de</strong>s Naturrechts gegen das positive Gesetz<br />

nicht formulieren, als daß er erklärt, daß positive Gesetze, die<br />

gegen das Naturrecht sind, nicht Gesetze, son<strong>de</strong>rn Gesetzes­<br />

ver<strong>de</strong>rbnis seien <strong>und</strong> daß darum nach ihnen nicht gerichtet wer­<br />

<strong>de</strong>n dürfe (Art. 5 Zu 1). Das Instrument <strong>de</strong>r Rückbesinnung auf<br />

das Naturrecht ist das Gewissen. Wo dieses seine Funktion<br />

nicht mehr leistet, sieht Thomas keine Gr<strong>und</strong>lage mehr für ein<br />

rechtlich geordnetes Zusammenleben. Darum gibt es für ihn<br />

nur ein Mittel zur Wahrung einer Ordnung in <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>spre­<br />

chung: neben fachlicher Kenntnis die Erziehung <strong>de</strong>s Richters<br />

zum Diener Gottes. Ganz übereinstimmend mit dieser thoma­<br />

sischen Schauweise sieht V.Tomberg 2 die Regeneration <strong>de</strong>r<br />

<strong>Recht</strong>sbildung <strong>und</strong> <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>sprechung: „Das moralische Den­<br />

ken als Denken, das in <strong>de</strong>n Kategorien von Gut <strong>und</strong> Böse<br />

geschieht, ist die Quelle <strong>de</strong>s entstehen<strong>de</strong>n <strong>Recht</strong>s <strong>und</strong> <strong>de</strong>r<br />

Bo<strong>de</strong>n, auf <strong>de</strong>m die Jurispru<strong>de</strong>nz ihr wahres Wesen wie<strong>de</strong>rfin­<br />

<strong>de</strong>n kann <strong>und</strong> muß". Eigentlich ist dies nichts an<strong>de</strong>res, als was<br />

bereits Justinian gesagt hat: „Jurispru<strong>de</strong>ntia est divinarum atque<br />

humanarum rerum notitia", die Jurispru<strong>de</strong>nz ist die Kenntnis<br />

<strong>de</strong>r göttlichen <strong>und</strong> menschlichen Wahrheiten.<br />

Thomas hat diese seine Darlegungen über die <strong>Recht</strong>spre­<br />

chung im Gr<strong>und</strong>e nicht einmal <strong>de</strong>n römischen Juristen entnom­<br />

men, son<strong>de</strong>rn aus einer älteren Quelle geschöpft, aus Aristote­<br />

les, <strong>de</strong>r die Billigkeit als das bessere <strong>Recht</strong> bezeichnet<br />

(Eth.V, 14). Die Begründung sieht Aristoteles in <strong>de</strong>m Rückgriff<br />

auf höhere Normen gesellschaftlicher Ordnung: „Das Billige ist<br />

zwar ein <strong>Recht</strong>, aber nicht <strong>de</strong>m Gesetze nach, son<strong>de</strong>rn als eine<br />

Korrektur <strong>de</strong>s gesetzlich Gerechten. Das hat seinen Gr<strong>und</strong><br />

darin, daß je<strong>de</strong>s Gesetz allgemein ist <strong>und</strong> bei manchen Dingen<br />

richtige Bestimmungen durch ein allgemeines Gesetz sich nicht<br />

geben lassen. Wo nun eine allgemeine Bestimmung zu treffen<br />

ist, ohne daß sie ganz richtig sein kann, da berücksichtigt das<br />

2 V.Tomberg, Degeneration <strong>und</strong> Regeneration <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>swissenschaft, 1946,<br />

28.<br />

320


Gesetz die Mehrheit <strong>de</strong>r Fälle, ohne über das diesem Verfahren 60. 1-6<br />

anhaften<strong>de</strong> Gebrechen im unklaren zu sein. Nichts<strong>de</strong>stoweni­<br />

ger ist dieses Verfahren richtig. Denn <strong>de</strong>r Fehler liegt nicht an<br />

<strong>de</strong>m Gesetz, noch an <strong>de</strong>m Gesetzgeber, son<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>r Natur<br />

<strong>de</strong>r Sache. Denn im Gebiet <strong>de</strong>s Han<strong>de</strong>lns ist die ganze Materie<br />

von vornherein dieser Art" (1137 b 11—19). Wichtig ist, daß<br />

Thomas mit <strong>de</strong>m Begriff <strong>de</strong>r Korrektur Ernst macht <strong>und</strong> nicht<br />

etwa nur Gesetzeslücken, d.h. gesetzlich überhaupt nicht<br />

Geregeltes, durch <strong>de</strong>n Richter ausfüllen, son<strong>de</strong>rn auch Wi<strong>de</strong>r­<br />

sinniges in <strong>de</strong>r gesetzlichen Anwendung durch <strong>de</strong>n Richter aus­<br />

merzen <strong>und</strong> sinnvoll gestalten läßt. Dieser moralische Optimis­<br />

mus dürfte allerdings <strong>de</strong>m mo<strong>de</strong>rnen Verständnis <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s­<br />

staates <strong>und</strong> <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>ssicherheit nicht mehr entsprechen. Im<br />

mo<strong>de</strong>rnen <strong>Recht</strong>sstaat kann man we<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Wissen noch <strong>de</strong>r<br />

Moral <strong>de</strong>s Richters soviel Vorschuß an Vertrauen geben.<br />

321


ZWEITER TEIL<br />

DIE TEILTUGENDEN DER GERECHTIGKEIT<br />

(Fr. 61-79)<br />

Erstes Kapitel<br />

DIE AUSGLEICHENDE UND DIE AUSTEILENDE<br />

GERECHTIGKEIT<br />

(Fr. 61 u. 62)<br />

61-62 Mit Frage 61 beginnt Thomas eigentlich einen neuen<br />

Abschnitt im Traktat <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>. Nach<strong>de</strong>m er in <strong>de</strong>n vor­<br />

hergehen<strong>de</strong>n Fragen das Wesen <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Gerechtig­<br />

keit sowie <strong>de</strong>ren Gegenteil, die Ungerechtigkeit, wie auch einen<br />

ausgeprägten <strong>Recht</strong>sakt, nämlich <strong>de</strong>n richterlichen Urteils­<br />

spruch, behan<strong>de</strong>lt hat, befaßt er sich nun mit <strong>de</strong>n einzelnen Tei­<br />

len; <strong>und</strong> zwar zunächst mit <strong>de</strong>n eigentlichen Arten <strong>de</strong>r Gerech­<br />

tigkeit, einschließlich <strong>de</strong>r ihnen entgegengesetzten Laster<br />

(Fr. 61—78), sodann mit <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen sittlichen Haltun­<br />

gen <strong>und</strong> Handlungen, die zur Vollständigkeit <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

gehören (Fr. 79), <strong>und</strong> schließlich mit jenen Tugen<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s<br />

Bereichs <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>, die vom strengen Begriff <strong>de</strong>r<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> etwas abweichen wie Gottesverehrung, Pietät<br />

usw. (Fr. 80-120; DT, Bd. 19 u. 20).<br />

Auffallend ist, daß Thomas unter <strong>de</strong>n Arten <strong>de</strong>r Gerechtig­<br />

keit nur die bei<strong>de</strong>n Tugen<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Son<strong>de</strong>rgerechtigkeit, die aus­<br />

gleichen<strong>de</strong> <strong>und</strong> die austeilen<strong>de</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>, nicht aber die<br />

Gemeinwohlgerechtigkeit bespricht, da er dieser doch ebenso<br />

die eigentliche Bewandtnis <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> zuerkennt. Die<br />

Gemeinwohlgerechtigkeit ist ihm die universale gerechte Hal­<br />

tung, die nicht nur die einzelnen Arten <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>, son­<br />

<strong>de</strong>rn überhaupt <strong>de</strong>n ganzen sittlichen Menschen auf das<br />

Gemeinwohl hinordnet, sosehr sie ein eigenes Objekt hat wie<br />

je<strong>de</strong> an<strong>de</strong>re Tugend. Als „principalis" justitia gehört sie nicht<br />

unter die einzelnen Arten <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>. Außer<strong>de</strong>m ist Tho­<br />

mas an das Schema von Aristoteles geb<strong>und</strong>en, <strong>de</strong>r unter <strong>de</strong>m<br />

Namen <strong>de</strong>r Kardinaltugend <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> nur die bei<strong>de</strong>n<br />

Son<strong>de</strong>rgerechtigkeiten begriff. Da die sogenannten Teiltugen­<br />

<strong>de</strong>n bei Aristoteles nichts an<strong>de</strong>res als Teile <strong>de</strong>r Kardinaltugen<strong>de</strong>n<br />

sind, konnte Thomas hier im Traktat über die Teile <strong>de</strong>r Gerech­<br />

tigkeit nur von jenen Tugen<strong>de</strong>n sprechen, die im Begriff <strong>de</strong>r<br />

322


Kardinaltugend enthalten sind. Ein mo<strong>de</strong>rner Traktat über die 61-62<br />

Tugend <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> wür<strong>de</strong> sich wohl dieser historischen<br />

Bindung entledigen müssen. Der aristotelische Begriff <strong>de</strong>r Kar­<br />

dinaltugend <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> hat Thomas daran gehin<strong>de</strong>rt,<br />

seine eigene Systematik <strong>de</strong>r verschie<strong>de</strong>nen Arten <strong>de</strong>r Gerechtig­<br />

keit auszubauen. 1<br />

Zum Unterschied von <strong>de</strong>r austeilen<strong>de</strong>n <strong>Gerechtigkeit</strong> hebt<br />

Thomas als eigentliches Merkmal <strong>de</strong>r ausgleichen<strong>de</strong>n Gerech­<br />

tigkeit die sozusagen mathematische Bestimmbarkeit <strong>de</strong>s<br />

Objekts hervor. Das <strong>Recht</strong>sgeschäft zwischen zwei Individuen<br />

ist leicht zu bestimmen, insofern <strong>de</strong>r eine <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>rn das zu<br />

erstatten hat, was er von ihm erhalten o<strong>de</strong>r genommen hat.<br />

Dagegen läßt sich das Maß <strong>de</strong>r austeilen<strong>de</strong>n <strong>Gerechtigkeit</strong> nur<br />

im Vergleich zu allen an<strong>de</strong>rn festlegen, da die Güter <strong>de</strong>s<br />

Gemeinwohls entsprechend <strong>de</strong>n Verdiensten am Gemeinwohl<br />

verteilt wer<strong>de</strong>n; wir wür<strong>de</strong>n noch hinzufügen: entsprechend<br />

auch <strong>de</strong>r Unterstützungsbedürftigkeit durch das Gemeinwohl.<br />

Sobald man aber hier <strong>de</strong>m einen mehr gibt, als ihm zukommt,<br />

schmälert man die an<strong>de</strong>rn. Das <strong>Recht</strong>sverhältnis zwischen Ein­<br />

zelmensch <strong>und</strong> Gemeinschaft bedarf also immer <strong>de</strong>r Rück-<br />

orientierung an <strong>de</strong>r Umwelt, <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>rn Glie<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Gemein­<br />

schaft. Es ist <strong>de</strong>mnach kein so glattes Geschäft zwischen Ein­<br />

zelmensch <strong>und</strong> Gemeinwesen zu tätigen, wie dies zwischen<br />

Mensch <strong>und</strong> Mensch in <strong>de</strong>r ausgleichen<strong>de</strong>n <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

geschieht, wo wirklich ein voller Ausgleich zwischen zwei Part­<br />

nern zustan<strong>de</strong> kommt, weswegen die ausgleichen<strong>de</strong> Gerechtig­<br />

keit auch „Verkehrsgerechtigkeit" heißt.<br />

Es ist nun ein Verhängnis <strong>de</strong>r Geschichte, daß dieses Geben<br />

<strong>und</strong> Nehmen, wie es sich in <strong>de</strong>r Verkehrsgerechtigkeit abspielt,<br />

die Vorstellung von <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> überhaupt so sehr<br />

beherrscht hat, daß <strong>de</strong>r Begriff <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rgutmachung einzig<br />

ihr zugedacht wur<strong>de</strong>. Moraltheologen <strong>de</strong>s Mittelalters <strong>und</strong> <strong>de</strong>r<br />

Neuzeit haben keine Anstrengung gescheut, um diese einmal<br />

festgewurzelte Lehre von <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rgutmachung als <strong>de</strong>m<br />

eigentlichen Akt <strong>de</strong>r Verkehrsgerechtigkeit durchzuretten. Wie<br />

ist eigentlich die Verkehrsgerechtigkeit zu dieser ihrer unver­<br />

dienten Son<strong>de</strong>rstellung gekommen?<br />

Das lateinische Wort hat ursprünglich gar nichts mit Wie<strong>de</strong>r­<br />

erstattung von zugefügtem Scha<strong>de</strong>n zu tun, son<strong>de</strong>rn will nur<br />

1 Vgl. hierzu A.F.Utz, Sozialethik I, 210ff.<br />

323


61-62 einfach <strong>und</strong> allgemein „erstatten" o<strong>de</strong>r „vergelten" besagen. In<br />

<strong>de</strong>r Verkehrsgerechtigkeit vollzieht sich ein Austausch. Der eine<br />

gibt <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>rn etwas, <strong>und</strong> <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re erstattet ihm <strong>de</strong>n glei­<br />

chen Wert zurück. Das ist <strong>de</strong>r einfache Vorgang, weswegen <strong>de</strong>r<br />

Verkehrsgerechtigkeit die Wie<strong>de</strong>rerstattung zuerkannt wer<strong>de</strong>n<br />

muß (62,1). Dieser Vorgang <strong>de</strong>s Empfangens <strong>und</strong> Wie<strong>de</strong>rge­<br />

bens fin<strong>de</strong>t allerdings in keiner an<strong>de</strong>rn Form von <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

statt. Jedoch ist darin nicht das typische Merkmal <strong>de</strong>r Gerech­<br />

tigkeit an sich zu sehen. Denn <strong>de</strong>r Ausgleich zwischen mehre­<br />

ren, <strong>de</strong>r zu je<strong>de</strong>r Art von <strong>Gerechtigkeit</strong> gehört, braucht sich<br />

nicht notwendig in Form von Geben <strong>und</strong> Empfangen zu voll­<br />

ziehen. Wo immer vom Gemeinwohl her ein Ausgleich zwi­<br />

schen mehreren stattfin<strong>de</strong>n soll, da muß für <strong>de</strong>n Fall, daß <strong>de</strong>r<br />

eine zuviel erhalten hat, dieses Zuviel wie<strong>de</strong>rerstattet wer<strong>de</strong>n,<br />

<strong>und</strong> zwar eben <strong>de</strong>swegen, weil sonst die austeilen<strong>de</strong> Gerechtig­<br />

keit verletzt wür<strong>de</strong>. Allerdings vollzieht sich in diesem Akt <strong>de</strong>s<br />

Zurückgebens etwas, was an sich für die Sache, d. h. Leistung<br />

auf Gegenleistung, passen soll. Und dies ist eben wesentlich bei<br />

<strong>de</strong>r Verkehrsgerechtigkeit <strong>de</strong>r Fall. Jedoch folgt daraus nicht,<br />

daß die Verpflichtung zur Wie<strong>de</strong>rgutmachung von <strong>de</strong>r Ver­<br />

kehrsgerechtigkeit aus zu begrün<strong>de</strong>n sei. Man kann wohl mit<br />

Thomas (Art. 1 Zu 3) zugeben, daß die Wie<strong>de</strong>rgutmachung zur<br />

Verkehrsgerechtigkeit gehört, sofern man das äußere Gesche­<br />

hen, <strong>de</strong>n Vorgang <strong>de</strong>r äußeren Handlung, betrachtet. Thomas<br />

selbst hatte erklärt, daß die <strong>Gerechtigkeit</strong> äußere Handlungen<br />

betreffe. Nach diesen also wird nun das Wesen <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rgut­<br />

machung bestimmt. Damit ist aber noch nichts über die Pflicht<br />

zur Wie<strong>de</strong>rgutmachung gesagt! Die Pflicht zur Wie<strong>de</strong>rgutma­<br />

chung besteht auch um <strong>de</strong>r austeilen<strong>de</strong>n bzw. <strong>de</strong>r Gemeinwohl­<br />

gerechtigkeit willen. Die Verteilung einer sozialen Prämie<br />

geschieht nach einem ganz bestimmten Schlüssel. Wo <strong>de</strong>m<br />

einen zuviel gegeben wur<strong>de</strong>, muß es ihm wie<strong>de</strong>r genommen<br />

wer<strong>de</strong>n. Das praktiziert von selbst je<strong>de</strong> Behör<strong>de</strong>, in<strong>de</strong>m sie bei<br />

<strong>de</strong>r nächsten Zahlung <strong>de</strong>r Rente das abhält, was sie vorher viel­<br />

leicht zuviel ausbezahlt hat. Dies verlangt die austeilen<strong>de</strong><br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>. Nur bezüglich <strong>de</strong>s Aktes <strong>de</strong>s Zurückholens<br />

könnte man, wenn man ganz formal <strong>de</strong>nken will, sagen, daß er<br />

die Bewandtnis eines Aktes <strong>de</strong>r Verkehrsgerechtigkeit habe,<br />

weil mathematisch genau zurückverlangt wird, was zuviel<br />

gegeben wor<strong>de</strong>n ist. Es wickelt sich also dabei <strong>de</strong>r äußere Vor­<br />

gang <strong>de</strong>r Verkehrsgerechtigkeit ab. Aber die moralische Innen-<br />

324


sehe <strong>de</strong>s Sollens ist doch die austeilen<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r Gemeinwohlge- 61-62<br />

rechtigkeit. Man fragt sich, wie es möglich war, daß so viel Tinte<br />

verschrieben wur<strong>de</strong> für ein Thema, das durch die Wirklichkeit<br />

schon lange klargestellt ist. Die Ansicht von Faidherbe <strong>und</strong><br />

Welty verdient Anerkennung: „Wer die allgemeine o<strong>de</strong>r gesetz­<br />

liche <strong>Gerechtigkeit</strong> verletzt, kann aus diesem Gr<strong>und</strong>e, <strong>und</strong> nicht<br />

nur wegen <strong>de</strong>r beiläufig mitverletzten ausgleichen<strong>de</strong>n Gerech­<br />

tigkeit, entschädigungspflichtig sein". 1<br />

Zweites Kapitel<br />

DIE SÜNDEN<br />

GEGEN DIE AUSTEILENDE GERECHTIGKEIT.<br />

DIE FALSCHE RÜCKSICHT AUF PERSONEN<br />

(Fr. 63)<br />

Das in Fr. 63 behan<strong>de</strong>lte Thema wäre auf zu schmale Spur 63. 1-4<br />

gestellt, wollte man nur an <strong>de</strong>n Nepotismus <strong>de</strong>nken, <strong>de</strong>r als<br />

Krebsscha<strong>de</strong>n die mittelalterliche Hierarchie verseuchte. Im<br />

übrigen hätte die Frage in dieser Beschränkung auch für uns<br />

heute noch Be<strong>de</strong>utung genug, wo die „Beziehung" im sozialen<br />

Leben alles <strong>und</strong> die Sachlichkeit oft nichts erreicht. Thomas<br />

aber zeigt im vierten Artikel, daß die falsche Rücksicht auf die<br />

Person nicht nur in <strong>de</strong>r unsachlichen Verteilung von Amtern<br />

vorliegt, son<strong>de</strong>rn überall dort gegeben ist, wo mit behördlicher<br />

Autorität <strong>de</strong>m einen zum Nachteil <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>rn mehr gegeben<br />

wird, als ihm zusteht, das heißt, wo das Gesetz <strong>de</strong>r gerechten<br />

Verteilung verletzt, also nach mo<strong>de</strong>rnem Denken die soziale<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> gestört wird.<br />

Der Begriff <strong>de</strong>r sozialen <strong>Gerechtigkeit</strong> spannt allerdings <strong>de</strong>n<br />

Aufgabenkreis weiter als <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r austeilen<strong>de</strong>n <strong>Gerechtigkeit</strong> bei<br />

Thomas. In <strong>de</strong>r sozialen <strong>Gerechtigkeit</strong> han<strong>de</strong>lt es sich nicht nur<br />

um die von oben her in Angriff zu nehmen<strong>de</strong> Verteilung <strong>und</strong><br />

Zuteilung von Amtern <strong>und</strong> Gütern, son<strong>de</strong>rn auch um die vom<br />

einzelnen Gemeinschaftsglied zu übernehmen<strong>de</strong>n Lasten.<br />

Darum wird überall dort die soziale <strong>Gerechtigkeit</strong> verletzt, wo<br />

ein einzelner <strong>de</strong>m Gemeinwohl etwas entzieht, was diesem<br />

zusteht. Der Begriff <strong>de</strong>r falschen Rücksicht auf Personen paßt<br />

1 E. Welty, Sozialkatechismus, Bd. 1,263, Fußnote.<br />

325


63. 1-4 also nicht mehr recht für die Sün<strong>de</strong> gegen die soziale Gerechtig­<br />

keit in ihrem ganzen Umfang. Denn er lenkt <strong>de</strong>n Blick zu sehr<br />

auf die Autorität, welche in Vertretung <strong>de</strong>s Gemeinwohls <strong>de</strong>n<br />

gerechten Ausgleich schaffen soll. Allerdings wird dann in <strong>de</strong>r<br />

Folge auch die beraten<strong>de</strong> <strong>und</strong> Intrige spielen<strong>de</strong> Person <strong>de</strong>rsel­<br />

ben Sün<strong>de</strong> schuldig. Von hier ist <strong>de</strong>r Weg dann nicht mehr weit<br />

zur Überlegung, daß <strong>de</strong>r einzelne auch ohne <strong>de</strong>n Weg über die<br />

Behör<strong>de</strong> <strong>de</strong>m Gemeinwohl Scha<strong>de</strong>n zufügen <strong>und</strong> sich damit<br />

wesentlich <strong>de</strong>rselben Sün<strong>de</strong> schuldig machen kann, die Thomas<br />

als falsche Rücksicht auf Personen bezeichnet, die aber dann<br />

besser mit Sün<strong>de</strong> gegen das Gemeinwohl bezeichnet wür<strong>de</strong>.<br />

Beson<strong>de</strong>rer Erwähnung würdig ist die Lehre <strong>de</strong>s zweiten<br />

Artikels, wonach die Wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Person im gesellschaftlichen<br />

Bereich nicht einfach nach <strong>de</strong>r sittlichen Gutheit bemessen wer­<br />

<strong>de</strong>n darf, son<strong>de</strong>rn nach <strong>de</strong>r Eignung, das Gemeinwohl sachlich<br />

zu för<strong>de</strong>rn. Man möchte zwar annehmen, daß gera<strong>de</strong> <strong>de</strong>r<br />

Tugendhafte um seiner Tugend willen <strong>de</strong>r passen<strong>de</strong> Mann sei,<br />

ein gesellschaftliches Ganzes zu leiten, da das Ziel <strong>de</strong>r Gesell­<br />

schaft eben im Gr<strong>und</strong>e doch ein ethisches ist. Thomas ist Realist<br />

genug, um diesen Gedanken nicht restlos zu bejahen, da das<br />

Gemeinwohl in <strong>de</strong>r konkreten Situation <strong>de</strong>rart verwickelt ist,<br />

daß die Tugend allein <strong>und</strong> die mit ihr gegebene persönliche sitt­<br />

liche Klugheit eben nicht ausreichen, um das Ordnungsganze<br />

zu durchschauen. Um <strong>de</strong>n Weg zur vollkommenen Ordnung<br />

anzubahnen, bedarf es daher <strong>de</strong>r Begabung <strong>und</strong> einer gewissen<br />

Geschäftstüchtigkeit, nicht nur <strong>de</strong>r Tugend, wie ja auch Gott<br />

bisweilen die außergewöhnlichen Gna<strong>de</strong>ngaben, wie zum Bei­<br />

spiel W<strong>und</strong>er <strong>und</strong> Weissagungen, <strong>de</strong>n weniger Guten zuteilt<br />

(Art. 2). Wir sind heute mit diesem Gedanken noch mehr ver­<br />

traut, als es etwa Thomas zu seiner Zeit sein konnte, da wir mit<br />

einem beinahe unabsehbaren Mechanismus <strong>de</strong>s gesellschaftli­<br />

chen Zusammenlebens rechnen müssen, wie wir ihn in <strong>de</strong>r<br />

mo<strong>de</strong>rnen Wirtschaft vor uns haben. Um einen Ausweg aus<br />

<strong>de</strong>m Gewirr von wirtschaftlichen Problemen zu fin<strong>de</strong>n, genügt<br />

die reine Ethik keinesfalls; son<strong>de</strong>rn es ist zugleich, sogar vor­<br />

dringlich ein gerütteltes Maß an wirtschaftswissenschaftlichen<br />

Kenntnissen gefor<strong>de</strong>rt.<br />

326


Drittes Kapitel<br />

DIE SÜNDEN GEGEN<br />

DIE AUSGLEICHENDE GERECHTIGKEIT<br />

(Fr. 64-78)<br />

In diesem Traktat über die Sün<strong>de</strong>n wi<strong>de</strong>r die ausgleichen<strong>de</strong> 64/78<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> wird erst so recht <strong>de</strong>utlich, daß die wörtliche<br />

Übersetzung von „kommutativer" <strong>Gerechtigkeit</strong> mit „Tausch"-<br />

gerechtigkeit eigentlich nur einen Ausschnitt aus <strong>de</strong>m umfas­<br />

sen<strong>de</strong>n Bereich <strong>de</strong>r kommutativen <strong>Gerechtigkeit</strong> begreift. Geht<br />

es doch hier Thomas nicht nur darum, die verschie<strong>de</strong>nen Ver­<br />

fehlungen in <strong>de</strong>n Tauschgeschäften o<strong>de</strong>r Verträgen zwischen<br />

Einzelmenschen, son<strong>de</strong>rn überhaupt jedwe<strong>de</strong>n Verstoß eines<br />

Einzelmenschen gegen das <strong>Recht</strong> eines an<strong>de</strong>rn zu behan<strong>de</strong>ln.<br />

Es geht also im Gr<strong>und</strong>e um nichts an<strong>de</strong>res als um die <strong>Recht</strong>s­<br />

kürzung eines einzelnen Menschen durch einen an<strong>de</strong>rn einzel­<br />

nen Menschen, d.h. um die Verfehlungen im gegenseitigen<br />

rechtlichen Zusammenleben, im Verkehr. Gera<strong>de</strong> darum<br />

erscheint <strong>de</strong>r Ausdruck „Verkehrsgerechtigkeit" als die geeig­<br />

netste Übersetzung <strong>de</strong>r „kommutativen" <strong>Gerechtigkeit</strong>. Diese<br />

Übersetzung hat <strong>de</strong>m Namen „ausgleichen<strong>de</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>"<br />

das voraus, daß sie <strong>de</strong>n Inhalt plastischer wie<strong>de</strong>rgibt, wenn­<br />

gleich „ausgleichen<strong>de</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>" mehr ins Wesen dieser<br />

beson<strong>de</strong>ren Art <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> vordringt, insofern darin die<br />

streng arithmetische Bemessung ausgesprochen ist. In <strong>de</strong>r<br />

Übersetzung wird jeweils <strong>de</strong>r passendste Terminus gewählt.<br />

Thomas unterschei<strong>de</strong>t nun zwei praktische Formen <strong>de</strong>r Ver­<br />

kehrsgerechtigkeit, die eine, die <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>rn das Seine nicht<br />

nimmt, ohne mit ihm in einem <strong>Recht</strong>sgeschäft zu stehen; die<br />

an<strong>de</strong>re, die <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>rn das ihm Gehörige leistet, weil er darauf<br />

einen Anspruch hat aufgr<strong>und</strong> einer Leistung seinerseits. Ent­<br />

sprechend sieht nun Thomas zwei Arten von Ungerechtigkei­<br />

ten: 1. das <strong>Recht</strong>svergehen gegen <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>rn in Fällen, wo man<br />

mit ihm in keinem direkten Austausch stand, <strong>und</strong> zwar durch<br />

die Tat, im Mord, in <strong>de</strong>r Körperverletzung <strong>und</strong> im Diebstahl<br />

o<strong>de</strong>r Raub, <strong>und</strong> durch das Wort, im gerichtlichen Prozeß in<br />

Form von falschem Urteil, falscher Anklage usw. o<strong>de</strong>r im außer­<br />

gerichtlichen Leben in Form von Verleumdung. Ehrabschnei­<br />

dung usw., <strong>und</strong> 2. das <strong>Recht</strong>svergehen gegen <strong>de</strong>n Nächsten bei<br />

Tauschgeschäften, wie Betrug, Wucher usw.<br />

327


I. Der Mord<br />

(Fr. 64)<br />

1. DIE TODESSTRAFE<br />

(Art. 1-4)<br />

64. 1-4 Es fällt vielleicht auf, daß Thomas vom Mord als von einer<br />

Sün<strong>de</strong> gegen die <strong>Gerechtigkeit</strong> nur in einem Artikel (6) spricht,<br />

während er im übrigen die Frage nach Erlaubtheit <strong>de</strong>r Tötung<br />

von Menschen untersucht. Doch ist zu be<strong>de</strong>nken, daß die<br />

Sün<strong>de</strong> eigentlich nur zufällig zur Ethik <strong>und</strong> Moraltheologie<br />

gehört, wenngleich sie in <strong>de</strong>r Praxis <strong>de</strong>r Menschen einen beacht­<br />

lichen Raum behauptet. Gegenstand <strong>de</strong>r Ethik ist das Gute, das<br />

Böse dagegen nur als Abfall vom Guten. So wird auch hier das<br />

Gebiet abgeschritten, innerhalb <strong>de</strong>ssen eine Tötung erlaubt,<br />

also noch gut ist. Jenseits dieses Bereiches beginnt dann die Un­<br />

gerechtigkeit gegen das menschliche Leben.<br />

Etwas weit ausholend untersucht Thomas zunächst (Art. 1)<br />

die Frage, ob es überhaupt erlaubt sei, Lebewesen irgendwel­<br />

cher Art zu töten. Allerdings dachte er dabei nicht an die von<br />

manchen Exegeten behan<strong>de</strong>lte Frage, ob <strong>de</strong>r Mensch ursprüng­<br />

lich sich von Pflanzen o<strong>de</strong>r Tieren ernährte. Der erste Artikel<br />

dient nur als Rahmen, um <strong>de</strong>n Zusammenhang aufzuzeigen, in<br />

welchem die Frage nach <strong>de</strong>r Tötung von Menschen überhaupt<br />

steht: das Ordnungsgefüge <strong>de</strong>s Universums. Denn, wie sich<br />

noch zeigen wird, kann auch die legitime Tötung eines Men­<br />

schen nur von einem, wenn auch kleineren, Ordnungsgefüge<br />

aus verteidigt wer<strong>de</strong>n. Schwierig ist die Frage nach <strong>de</strong>r Erlaubt­<br />

heit <strong>de</strong>r To<strong>de</strong>sstrafe, welche Thomas in Art. 2 behan<strong>de</strong>lt: „Ist es<br />

erlaubt, einen Sün<strong>de</strong>r zu töten?" Die private Tötung eines Ver­<br />

brechers wird dabei verneint, höchstens für <strong>de</strong>n Fall anerkannt,<br />

wo <strong>de</strong>r Verbrecher <strong>de</strong>m Nächsten als Angreifer begegnet<br />

(Art. 7).<br />

Im systematischen Zusammenhang ist es bezeichnend, daß<br />

Thomas das Problem <strong>de</strong>r Tötung eines Verbrechers durch eine<br />

Privatperson erst nach Behandlung <strong>de</strong>r Frage bespricht, ob ein<br />

Verbrecher durch die öffentliche Hand hingerichtet wer<strong>de</strong>n<br />

könne. Denn hier stellen sich die wesentlichen Probleme:<br />

Wesen <strong>de</strong>r Strafe überhaupt, Vollzug <strong>de</strong>r Strafe, To<strong>de</strong>sstrafe,<br />

durch eine menschliche Autorität verhängt, Zweck <strong>de</strong>r To<strong>de</strong>s­<br />

strafe.<br />

328


Wohl auf keinem Feld <strong>de</strong>r Ethik wird wie hier das Problem 64. 1-4<br />

nach <strong>de</strong>m Ursprung unserer Werturteile aufgeworfen. Ist es<br />

schon schwierig, auf rationalem Wege <strong>de</strong>n Satz zu begrün<strong>de</strong>n,<br />

daß je<strong>de</strong> Sün<strong>de</strong> eine Strafe verdient, so wird es erst recht müh­<br />

sam, durch sachliche Analyse zu <strong>de</strong>m Ergebnis zu kommen,<br />

daß eine bestimmte Sün<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r auch irgen<strong>de</strong>ine Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r To­<br />

<strong>de</strong>sstrafe würdig sei.<br />

a) Schuld <strong>und</strong> Strafe 1<br />

Woher nehmen wir das Werturteil, daß eine Sün<strong>de</strong> eine ent­<br />

sprechen<strong>de</strong> Strafe verdiene? Sofern dieses Werturteil <strong>de</strong>m<br />

Naturgesetz entstammt, müssen wir dazu auf <strong>de</strong>m Wege einer<br />

Analyse <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> kommen. Denn was <strong>de</strong>m Naturgesetz ent­<br />

spricht, muß auf rationalem Wege erfaßbar sein.<br />

Wir begegnen bei allen Völkern, angefangen von <strong>de</strong>n primiti­<br />

ven, bei <strong>de</strong>nen das jus talionis (das <strong>Recht</strong> <strong>de</strong>r Vergeltung)<br />

bestand <strong>und</strong> noch besteht, bis zu <strong>de</strong>n höchsten Kulturen, <strong>de</strong>m<br />

Wertempfin<strong>de</strong>n, daß ein Vergehen gesühnt wer<strong>de</strong>n müsse.<br />

Auch verbin<strong>de</strong>t sich mit <strong>de</strong>m Sühnegedanken immer o<strong>de</strong>r mei­<br />

stens irgendwie eine religiöse Vorstellung. Es ist z.B. wahr­<br />

scheinlich, daß bereits im altgriechischen <strong>Recht</strong>s<strong>de</strong>nken die To­<br />

<strong>de</strong>sstrafe eine Kulthandlung war, ein Sühnopfer an die belei­<br />

digte Gottheit. Ebenso hatten im altgermanischen <strong>Recht</strong> die<br />

öffentlichen To<strong>de</strong>sstrafen sakralen Charakter. Sie waren Kult­<br />

handlungen, die von Priestern vollzogen wur<strong>de</strong>n. Die Vor­<br />

bereitungen stempelten <strong>de</strong>n Verbrecher zum Opfertier. Das<br />

Christentum hat trotz <strong>de</strong>r es kennzeichnen<strong>de</strong>n Mil<strong>de</strong> die To­<br />

<strong>de</strong>sstrafe nicht abgeschafft. Auch hier lebt <strong>de</strong>r Gedanke, daß ein<br />

Verbrechen gegen die Gemeinschaft gesühnt <strong>und</strong> daß diese<br />

Sühne vom Staate im Auftrage Gottes vollzogen wer<strong>de</strong>n<br />

müsse: „Wenn du aber das Böse tust, so fürchte, <strong>de</strong>nn nicht um­<br />

sonst trägt sie (die Obrigkeit) das Schwert; ist sie doch Gottes<br />

Dienerin, Rächerin zur Bestrafung für <strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r das Böse tut"<br />

(Rom 13,2-4).<br />

Man könnte — wenn wir einmal vom übernatürlichen Offen­<br />

barungscharakter <strong>de</strong>r christlichen Lehre absehen — aus dieser<br />

allgemein menschlichen Uberzeugung, daß ein Verbrechen<br />

gesühnt <strong>und</strong> daß ein schweres Verbrechen gegen die Gemein-<br />

1 Ausführlicheres zu diesem Thema s. A.F. Utz, Sozialethik, Teil II: <strong>Recht</strong>sphi­<br />

losophie, Hei<strong>de</strong>lberg 1963, 181-208.<br />

329


64. 1-4 schaft mit <strong>de</strong>m To<strong>de</strong> bestraft wer<strong>de</strong>n soll, <strong>de</strong>n Schluß ziehen<br />

wollen, daß ein naturgegebenes Wertempfin<strong>de</strong>n <strong>de</strong>m Menschen<br />

das Prinzip <strong>de</strong>r verdienten Strafe <strong>und</strong> in <strong>de</strong>r Folge <strong>de</strong>r verdien­<br />

ten To<strong>de</strong>sstrafe eingibt. Doch genügt ein solcher Beweis, <strong>de</strong>r<br />

nur aus <strong>de</strong>n soziologischen Tatsachen <strong>und</strong> <strong>de</strong>m historisch fest­<br />

gestellten Wertempfin<strong>de</strong>n geschlossen wird, nicht zum Aufweis<br />

eines wirklichen Naturgesetzes im Sinne <strong>de</strong>s hl. Thomas. Wenn<br />

Thomas in unserer Frage nicht mehr behaupten wollte, als daß<br />

er das christliche Wertempfin<strong>de</strong>n bezüglich <strong>de</strong>r Strafe <strong>und</strong> im<br />

beson<strong>de</strong>ren bezüglich <strong>de</strong>r To<strong>de</strong>sstrafe wie<strong>de</strong>rgibt, dann wäre<br />

dies wohl ein unanfechtbares christliches Lehrstück; es wäre<br />

aber noch kein philosophisches Lehrstück. Denn trotz <strong>de</strong>r<br />

theologischen Umrahmung will <strong>de</strong>r Traktat über <strong>Recht</strong> <strong>und</strong><br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> bei Thomas eine philosophische, nämlich natur­<br />

rechtliche Begründung aller Lehrstücke bieten. Diese Aufgabe<br />

obliegt ihm auch dann, wenn er diesen Traktat als typisch theo­<br />

logischen auffassen wollte. Denn es genügte dann nicht, nur auf<br />

die Schrift <strong>und</strong> <strong>de</strong>n Geist <strong>de</strong>s Christentums zu verweisen; er<br />

hätte immer noch die Aufgabe, die Beziehung zur natürlichen<br />

Ethik zu suchen. Ohne <strong>de</strong>n Aufweis dieses Bezuges zur natürli­<br />

chen Ethik könnte <strong>de</strong>r Theologe nur auf <strong>de</strong>n Willen Gottes ver­<br />

weisen, müßte es aber für je<strong>de</strong>n einzelnen Straftatbestand tun<br />

können, sonst müßte er <strong>de</strong>n Straftatbestand mit natürlichem<br />

Werturteil bestimmen. Damit aber verließe er die theologische<br />

Basis für ein konkretes Strafurteil.<br />

Wenn es wirklich keinen an<strong>de</strong>ren Hinweis auf Naturgesetz­<br />

lichkeit <strong>de</strong>s Sün<strong>de</strong>-Sühne-Verhältnisses gibt als jenen auf <strong>de</strong>n<br />

soziologischen Tatbestand, dann gibt es keine voll-<strong>und</strong> letztgül­<br />

tige Entgegnung auf die Behauptung mancher, die <strong>Recht</strong>sfolge<br />

zwischen Sün<strong>de</strong> <strong>und</strong> Sühne <strong>und</strong> erst recht zwischen schwerem<br />

Verbrechen <strong>und</strong> To<strong>de</strong>sstrafe entspränge einem anerzogenen<br />

Wertempfin<strong>de</strong>n.<br />

Wie also läßt sich das Sün<strong>de</strong>-Strafe-Verhältnis rational ermit­<br />

teln? Der überragen<strong>de</strong> Mittelbegriff ist hierbei für Thomas <strong>de</strong>r<br />

Begriff <strong>de</strong>r Ordnung. Das Universum — dies besagt übrigens<br />

schon sein Name — ist in Wirklichkeit ein Ordnungsganzes. Die<br />

Vielheit <strong>de</strong>r Dinge be<strong>de</strong>utet nicht ein Nebeneinan<strong>de</strong>r, son<strong>de</strong>rn<br />

ein Unter- <strong>und</strong> Übereinan<strong>de</strong>r zur Erfüllung eines je<strong>de</strong>m Sein<br />

entsprechen<strong>de</strong>n Gemeinzweckes. Darum spricht Thomas vom<br />

Gemeinwohl <strong>de</strong>s Universums. Es ist also im Universum eine<br />

I<strong>de</strong>e verkörpert, die ihrerseits einen Denken<strong>de</strong>n voraussetzt,<br />

330


<strong>de</strong>r kein an<strong>de</strong>rer ist als <strong>de</strong>r Schöpfer. Also ein Deus ex machina ? 64.1-4<br />

Keineswegs, <strong>de</strong>nn wir verbleiben in <strong>de</strong>r Ordnung <strong>de</strong>s Seins <strong>und</strong><br />

seiner inhaltlichen Erklärung. Es wird durchaus nicht ein<br />

Sprung vom Inhaltlichen auf das Bewirken<strong>de</strong> gemacht. Der<br />

Schluß heißt, genau formuliert, nicht: Es gibt eine Ordnung,<br />

weil es einen Gott gibt, son<strong>de</strong>rn: Es gibt eine Ordnung, weil das<br />

Sein, in welchem sich diese Ordnung fin<strong>de</strong>t, einer i<strong>de</strong>ellen Kon­<br />

zeption nachgebil<strong>de</strong>t ist <strong>und</strong> diese real zum Ausdruck bringt.<br />

Naturgemäß ist daher auch mitausgesprochen, daß das geord­<br />

nete Sein eine Ursache hat. Aber nicht die Wirkursache ist hier­<br />

bei das logische Bin<strong>de</strong>glied, son<strong>de</strong>rn die ewige I<strong>de</strong>e <strong>und</strong><br />

Absicht dieser Wirkursache. Aus <strong>de</strong>r Wirkursächlichkeit allein<br />

läßt sich kein Ordnungsbegriff herstellen. Genauso will die<br />

Scholastik auch nicht aus <strong>de</strong>m Schöpfungsbericht als solchem<br />

die göttliche Autorität im Naturgesetz nachweisen, wie Kelsen<br />

fälschlicherweise meinte. Sie gelangt vielmehr zu ihrem Resul­<br />

tat in einem im <strong>Recht</strong>s<strong>de</strong>nken verbleiben<strong>de</strong>n logischen Prozeß,<br />

in<strong>de</strong>m sie von einem naturhaft gegebenen <strong>Recht</strong>sanspruch <strong>de</strong>s<br />

Menschen zur Begründung dieses Anspruchs zum ewigen<br />

Befehl <strong>de</strong>s Schöpfers aufsteigt, einem Befehl, <strong>de</strong>r aber nicht<br />

wirkursächlich, son<strong>de</strong>rn final, d. h. aus <strong>de</strong>r Zielordnung heraus<br />

zu verstehen ist. Selbstre<strong>de</strong>nd ist <strong>de</strong>r final ordnen<strong>de</strong> <strong>und</strong><br />

befehlen<strong>de</strong> Gott zugleich auch Wirkursache <strong>de</strong>r Welt <strong>und</strong> ihrer<br />

Ordnung. Die Scholastik vermischt also nicht die Kausal-<br />

(Wirk-) Ordnung mit <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>sordnung.<br />

Erfaßt man aber die Ordnung <strong>de</strong>s Universums, vor allem<br />

aber die Ordnung <strong>de</strong>r menschlichen Gemeinschaft als ein einer<br />

ewigen I<strong>de</strong>e nachgebil<strong>de</strong>tes Gefüge, dann erscheint die Sün<strong>de</strong><br />

nicht nur als eine vorübergehen<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn eine in gewissem<br />

Sinne nicht wie<strong>de</strong>r zu beseitigen<strong>de</strong> Störung <strong>de</strong>r Ordnung. Das<br />

Gleichgewicht ist noch nicht wie<strong>de</strong>rhergestellt, wenn <strong>de</strong>r Sün­<br />

<strong>de</strong>r seine Sün<strong>de</strong> lediglich bereut <strong>und</strong> sich wie<strong>de</strong>rum zum Guten<br />

wen<strong>de</strong>t. Damit wird erst wie<strong>de</strong>r Ordnung geschaffen für <strong>de</strong>n<br />

kommen<strong>de</strong>n zeitlichen Ablauf <strong>de</strong>r Dinge. Die Ordnung aber<br />

will begriffen wer<strong>de</strong>n als eine <strong>de</strong>r ewigen I<strong>de</strong>e nachgebil<strong>de</strong>te<br />

Sinnfülle. Um nun im zeitlichen Raum das Vergangene, wenig­<br />

stens soweit es möglich ist, wie<strong>de</strong>rum aufzuholen, übernimmt<br />

<strong>de</strong>r Mensch eine Sühne. Es ist klar, diese Sühne kann niemals<br />

einen vollen Ersatz für etwas Unwi<strong>de</strong>rrufliches be<strong>de</strong>uten. Aber<br />

sie be<strong>de</strong>utet <strong>de</strong>nnoch die einzige Ausdrucksmöglichkeit <strong>de</strong>s<br />

zum Guten wie<strong>de</strong>r zurückgekehrten Menschen gegenüber <strong>de</strong>r<br />

331


64. 1-4 ewigen Ordnung in Gott. Die Sühne ist darum nichts an<strong>de</strong>res<br />

als die nachdrückliche menschliche Wie<strong>de</strong>rbejahung <strong>de</strong>r ewigen<br />

Ordnung nach einem schuldhaften Verstoß gegen dieselbe.<br />

Ohne diesen metaphysischen Blick in die ewige Ordnung gött­<br />

lichen Denkens <strong>und</strong> Befehlens ist es schlechthin unmöglich, das<br />

Verhältnis von Sün<strong>de</strong> <strong>und</strong> Strafe irgendwie zu erklären. Jene in<br />

<strong>de</strong>r Geschichte <strong>de</strong>r Völker feststellbare enge Verbindung zwi­<br />

schen Sühne <strong>und</strong> Religion hat darum nicht nur soziologische<br />

Bewandtnis, son<strong>de</strong>rn zutiefst metaphysische, seinsmäßige. Der<br />

Ordnungsbegriff, <strong>de</strong>r sich in je<strong>de</strong>m Zusammen<strong>de</strong>nken von<br />

Sün<strong>de</strong> <strong>und</strong> Strafe k<strong>und</strong>tut, wäre unsinnig, wenn er nicht in<br />

einem überzeitlich <strong>de</strong>nken<strong>de</strong>n <strong>und</strong> befehlen<strong>de</strong>n ewigen Geist<br />

verankert wäre.<br />

In diesem Zusammenhang allein ist <strong>de</strong>r Gedanke <strong>de</strong>s hl.<br />

Thomas in 61,4 zu erklären, daß es nicht genüge, das gestoh­<br />

lene Gut im gleichen Wert zurückzugeben, son<strong>de</strong>rn daß ein<br />

Mehrfaches zu leisten sei, um auf eigener Seite einen Scha<strong>de</strong>n<br />

zu erlei<strong>de</strong>n, wie er auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>rn verursacht wur<strong>de</strong>.<br />

Je<strong>de</strong> Strafe, im menschlichen Raum von menschlicher Macht<br />

verhängt, kann naturgemäß nur einen zeitlichen Ausschnitt <strong>de</strong>s<br />

ewigen Sinnes <strong>de</strong>r Strafe begreifen. Darum tritt <strong>de</strong>r reine Süh­<br />

necharakter zurück zugunsten <strong>de</strong>s Zweckgedankens, die Men­<br />

schen ins Gleichgewicht <strong>de</strong>r Ordnung zu bringen, <strong>und</strong> zwar<br />

<strong>de</strong>n Verbrecher, o<strong>de</strong>r wer es zu wer<strong>de</strong>n droht, von <strong>de</strong>r Ver­<br />

suchung zum Verbrechen abzubringen <strong>und</strong> die Guten in <strong>de</strong>r<br />

Gesellschaft zu beruhigen mit <strong>de</strong>m Gedanken, daß die Obrig­<br />

keit stark genug ist, um die Ordnung zu garantieren. Das ist es,<br />

was Thomas in 68,1 meint, wenn er sagt, daß die Verhängung<br />

<strong>de</strong>r Strafe als solche „an sich" (d. h. in ihrem endgültigen Vergel­<br />

tungssinn) <strong>de</strong>m Jenseits vorbehalten sei, während hier auf<br />

Er<strong>de</strong>n die medizinale Zweckbestimmung vorherrsche (vgl.<br />

auch 66,6 Zu 2), <strong>und</strong> wenn er dann diese medizinale Zweckbe­<br />

stimmung doppelt bestimmt, im Hinblick auf <strong>de</strong>n einzelnen<br />

<strong>und</strong> im Hinblick auf die Ruhe <strong>und</strong> Ordnung in <strong>de</strong>r Gemein­<br />

schaft (68,1). Beson<strong>de</strong>rs zu beachten ist dabei, daß Thomas die<br />

medizinale Zweckbestimmung <strong>de</strong>r Strafe im Hinblick auf die<br />

Gemeinschaft zugleich auch als Sühne im menschlichen, zeit­<br />

lich beschränkten Sinne auffaßt (vgl. beson<strong>de</strong>rs auch 67,4).<br />

Diese Sühne hat für <strong>de</strong>n Theologen <strong>und</strong> Metaphysiker, <strong>de</strong>r alles<br />

vom Ewigen <strong>und</strong> Unabän<strong>de</strong>rlichen her sieht, eben nur vorläufi­<br />

ge <strong>und</strong> darum zweckgerichtete Bewandtnis. Dadurch daßTho-<br />

332


mas im menschlichen Raum die medizinale Seite <strong>de</strong>r Bestrafung<br />

hervorkehrt, wird aber <strong>de</strong>r Sühnecharakter nicht ausgeschlos­<br />

sen. Unser rationales Denken trennt, weil es nur <strong>de</strong>n menschli­<br />

chen Strafbereich begreift, die Sühne vom Medizinalen <strong>und</strong> ver­<br />

weist die theologisch-metaphysische F<strong>und</strong>ierung <strong>de</strong>r Sühne in<br />

das rein ethische Denken.<br />

b) Staatsgewalt <strong>und</strong> To<strong>de</strong>sstrafe<br />

Wer hat nun das <strong>Recht</strong>, zu strafen <strong>und</strong> Sühne zu verhängen?<br />

Die Frage ist eigentlich gleich beantwortet: <strong>de</strong>rjenige, welcher<br />

die Ordnung aufzustellen das <strong>Recht</strong> hat o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m sie zur Obhut<br />

unterstellt ist. Das Problem wird erst heikel, wenn es um die To­<br />

<strong>de</strong>sstrafe geht.<br />

Wir brauchen uns hier nicht mehr mit <strong>de</strong>r Frage zu befassen,<br />

ob <strong>de</strong>r Tod überhaupt eine Sühne darstellen könne. Im Raum<br />

<strong>de</strong>s ewigen Denkens ist <strong>de</strong>r Tod zweifellos keine Zerstörung <strong>de</strong>r<br />

Ordnung, weil <strong>de</strong>rjenige, welcher <strong>de</strong>n Tod als Sühne über­<br />

nimmt, nicht aufhört zu sein. (Natürlich ist hier die Unsterb­<br />

lichkeit <strong>de</strong>r menschlichen Seele vorausgesetzt.) Vielmehr geht<br />

es um die Erklärung, ob außer <strong>de</strong>m ewigen ordnen<strong>de</strong>n Geist<br />

einer an<strong>de</strong>rn, menschlichen, Befehlsgewalt das <strong>Recht</strong> zusteht,<br />

eine solche Sühne zu for<strong>de</strong>rn.<br />

Die Sühne ist inhaltlich begrün<strong>de</strong>t durch die Ordnung,<br />

innerhalb welcher das Vergehen begangen wor<strong>de</strong>n ist. Ausge­<br />

sprochen <strong>und</strong> gefor<strong>de</strong>rt wird sie, wie gesagt, von jener Gewalt,<br />

welcher diese Ordnung zur Obhut unterstellt ist. Diese Gedan­<br />

kenfolge ist logisch <strong>und</strong> einfach. Das Problem liegt aber tiefer.<br />

Der Kern <strong>de</strong>r Frage besteht nicht darin, ob irgen<strong>de</strong>ine mensch­<br />

liche Autorität die Vollmacht zur Verhängung eines To<strong>de</strong>surteils<br />

habe, son<strong>de</strong>rn wie <strong>de</strong>r Mensch in jenem Ordnungsganzen<br />

stehe, das — in unserem Fall — <strong>de</strong>r staatlichen Autorität zur<br />

Sorge übertragen ist. Was immer <strong>de</strong>m Ordnungsganzen unter­<br />

stellt ist, gehört notwendigerweise auch zum Machtbereich <strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>m Ganzen vorstehen<strong>de</strong>n Gewalt. Wenn also <strong>de</strong>r Mensch mit<br />

seinem Leben innerhalb <strong>de</strong>r menschlichen Gemeinschaft steht<br />

<strong>und</strong> <strong>de</strong>m Ganzen sogar untergeordnet ist, dann folgt notwendig<br />

daraus, daß für <strong>de</strong>n Fall, daß er gegen die Gemeinschaft gr<strong>und</strong>­<br />

sätzlich, also gemeingefährlich, verstößt, die Autorität von ihm<br />

das Opfer <strong>de</strong>s Lebens verlangen kann. Von diesem Gesichts­<br />

punkt aus hat Thomas das Problem in Artikel 2 angefaßt. Es er-<br />

333


64. 1-4 übrigt sich also die Schwierigkeit, daß nur <strong>de</strong>rjenige das <strong>Recht</strong><br />

habe, über das Leben eines Menschen zu befin<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r es auch<br />

geschaffen hat. Mit solcher Fragestellung befän<strong>de</strong>n wir uns au­<br />

ßerhalb <strong>de</strong>s Gebiets <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s, nämlich nur innerhalb <strong>de</strong>r Kau­<br />

salität. Die Kategorie <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s ist aber, wie bereits gesagt,<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich von <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Kausalität unterschie<strong>de</strong>n, wenngleich<br />

bei<strong>de</strong> untereinan<strong>de</strong>r Verbindungslinien haben.<br />

Der Artikel 5 in Fr. 58 hat uns bereits einen Einblick in die<br />

beinahe unabschätzbare Einglie<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Einzelperson in die<br />

Gemeinschaft gegeben. Das organische Gesellschafts- <strong>und</strong><br />

Staats<strong>de</strong>nken drängt zu dieser Sicht. „In staatlicher Hinsicht<br />

wer<strong>de</strong>n alle Menschen, die einer Gemeinschaft angehören, als<br />

ein einziger Körper angesehen <strong>und</strong> die ganze Gemeinschaft als<br />

ein Mensch, wie auch Porphyrius sagt, daß vermöge <strong>de</strong>r Wesens­<br />

gemeinschaft mehrere Menschen ein Mensch sind" (I-II 81,1;<br />

DT, Bd. 12). Wie an an<strong>de</strong>rer Stelle ausgeführt wird (vgl. Exkurs<br />

I), gehört dieser Organismus zur moralischen Ordnung, nicht<br />

etwa zur physischen. Manche scholastische Autoren haben sich<br />

viel Mühe gemacht, durch die Unterscheidung von Individuum<br />

<strong>und</strong> Person zu zeigen, daß das Personale über <strong>de</strong>r Gemeinschaft<br />

stehe. Diese ontologische Sicht lag Thomas fern. Für ihn gehört<br />

die Gemeinschaft <strong>de</strong>r dynamisch-sittlichen Ordnung, d. h. <strong>de</strong>m<br />

Bereich <strong>de</strong>s menschlichen Zieles, also jenem Bereich an, zu wel­<br />

chem Thomas auch das <strong>Recht</strong> zählt. Das <strong>Recht</strong> <strong>de</strong>r Gemein­<br />

schaft wird bei ihm von <strong>de</strong>m gemeinsamen Ziel, <strong>de</strong>m Gemein­<br />

wohl, abgeleitet. Diesem hat <strong>de</strong>r Mensch mit <strong>de</strong>m Einsatz aller<br />

seiner, auch persönlichen Kräfte zu dienen, um sich selbst als<br />

Mensch wie<strong>de</strong>rzufin<strong>de</strong>n. Wie die Sün<strong>de</strong> überhaupt <strong>de</strong>n Men­<br />

schen jenes Platzes beraubt, <strong>de</strong>n er in <strong>de</strong>r Gesamtordnung als<br />

geistiges Wesen einnimmt, <strong>und</strong> ihn so sogar unter das Tier stellt<br />

(Art. 2 Zu 3), so schei<strong>de</strong>t die Sün<strong>de</strong> gegen die Gemeinschaft <strong>de</strong>n<br />

Menschen gewissermaßen von selbst aus dieser aus. Aus diesem<br />

Gr<strong>und</strong>e auch kann die staatliche Autorität nicht wegen jedwe­<br />

<strong>de</strong>n Verbrechens die To<strong>de</strong>sstrafe verhängen, son<strong>de</strong>rn nur wegen<br />

jener, die <strong>de</strong>n Menschen zum „fauligen" Glied, wie sich Thomas<br />

(Art. 2) ausdrückt, stempeln.<br />

Es geht in erstem Betracht nicht darum, daß die Gemein­<br />

schaft sich in ihrer Existenz sichere, als ob sie sich durch einen<br />

gemeingefährlichen Verbrecher in einem gewissen Notstand<br />

o<strong>de</strong>r gar in einer Notwehr befän<strong>de</strong>. Dieser Notwendigkeit <strong>de</strong>r<br />

Selbstsicherung wäre mit Einkerkerung bzw. Gewahrsam mit<br />

334


Arbeitszwang Genüge getan. Gewiß kann unter Umstän<strong>de</strong>n<br />

die To<strong>de</strong>sstrafe ein Abschreckmittel sein, um schwerste,<br />

gemeingefährliche Verbrechen zu verhüten. Aber auch dieser<br />

Gesichtspunkt ist nicht vordringlich. Vielmehr geht es darum,<br />

die Ordnung als ein geistiges Gut <strong>de</strong>r Gemeinschaft zu wahren<br />

<strong>und</strong> dort — wie<strong>de</strong>rum menschlich gesprochen — wie<strong>de</strong>rherzu­<br />

stellen, wo sie durchbrochen wur<strong>de</strong>, d. h. das Verbrechen zu<br />

sühnen. Es ist zum richtigen Verständnis <strong>de</strong>r To<strong>de</strong>sstrafe vorausgesetzt,<br />

daß man sich gr<strong>und</strong>sätzlich in <strong>de</strong>n geistigen <strong>und</strong><br />

sittlichen Sinn <strong>de</strong>r Gemeinschaftsordnung hineinfin<strong>de</strong>t.<br />

Im letzten Gr<strong>und</strong> ruht das Argument für die To<strong>de</strong>sstrafe also<br />

auf <strong>de</strong>r inneren Struktur <strong>de</strong>s Gemeinwohls, das sich mit <strong>de</strong>m<br />

Wohl <strong>de</strong>r Einzelperson nicht auf dieselbe Stufe stellen läßt.<br />

Denn es besteht, wie Thomas in 58,7 Zu 2 sagt, zwischen die­<br />

sen bei<strong>de</strong>n ein wesentlicher Unterschied, nicht nur ein quantita­<br />

tiver wie zwischen viel <strong>und</strong> wenig. Aus eben diesem Gr<strong>und</strong> hat<br />

niemals eine Privatperson das <strong>Recht</strong> zur Tötung eines Verbre­<br />

chers (ausgenommen im Fall <strong>de</strong>r Notwehr, wodurch aber eine<br />

ganz an<strong>de</strong>re Note in die Fragestellung hineinkommt). Ebenso­<br />

wenig kann ein Hausherr seinen Sklaven hinrichten. Denn auch<br />

hier hält Thomas an <strong>de</strong>r wesentlichen Eigenart <strong>de</strong>s Gemein­<br />

wohls fest: Staatsgemeinschaft <strong>und</strong> Hausgemeinschaft sind<br />

wesentlich verschie<strong>de</strong>n (58,7 Zu 2). Es ist also im Ordnungs­<br />

<strong>de</strong>nken <strong>de</strong>s hl. Thomas durchaus richtig: „Das Gemeinwohl<br />

vieler ist gottentsprechen<strong>de</strong>r als das Wohl <strong>de</strong>s einzelnen" (II-II<br />

31,3 Zu 2; DT, Bd. 16).<br />

Soweit die Zusammenhänge in <strong>de</strong>r Ordnung <strong>de</strong>r reinen Phi­<br />

losophie, d. h. insofern von <strong>de</strong>n <strong>Recht</strong>en <strong>de</strong>r Gemeinschaft die<br />

Re<strong>de</strong> ist innerhalb <strong>de</strong>r natura humana. Wie aber verhält es sich,<br />

wenn wir nicht mehr gr<strong>und</strong>sätzlich von <strong>de</strong>m Staat an sich, son­<br />

<strong>de</strong>rn von <strong>de</strong>m Staat sprechen, <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r konkreten Wirklichkeit<br />

als solcher existiert? Das Gemeinwohl, von <strong>de</strong>m Thomas<br />

spricht, ist nicht dasselbe wie das, was ein konkreter Staat als<br />

solches bezeichnet <strong>und</strong> beabsichtigt. Es ist noch lange nicht<br />

immer Gemeinwohl, was eine staatliche Gemeinschaft als sol­<br />

ches ansieht. Wäre <strong>de</strong>m so, dann könnte <strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>rstand gegen<br />

eine sittlich zerrüttete <strong>und</strong> zu <strong>de</strong>n größten Menschenverbre­<br />

chen fähige Gesellschaft bereits als Sün<strong>de</strong> gegen das Gemein­<br />

wohl bezeichnet <strong>und</strong> darum naturrechtlich mit <strong>de</strong>m To<strong>de</strong><br />

bestraft wer<strong>de</strong>n. Unvermeidlicherweise wird <strong>de</strong> facto ein Revo­<br />

lutionär, auch wenn er an sich nach i<strong>de</strong>alem Denken recht hätte,<br />

335


64. 1-4 Unrecht bekommen, d.h. er wird gemäß positiv gelten<strong>de</strong>m<br />

<strong>Recht</strong> hingerichtet. Der Naturrechts<strong>de</strong>nker wird eine solche<br />

Hinrichtung im Raum <strong>de</strong>r ewigen Ordnung <strong>und</strong> <strong>de</strong>s ewigen<br />

<strong>Recht</strong>s stets als rechtswidrig bezeichnen. Gera<strong>de</strong> diese Aussicht<br />

aber, daß <strong>de</strong>r konkrete Staat, <strong>de</strong>r von einer ganz kontingenten<br />

Willensbildung abhängt <strong>und</strong> regiert wird, die naturrechtliche<br />

Ordnung, also auch die gerechte Handhabung <strong>de</strong>r To<strong>de</strong>sstrafe,<br />

nicht garantiert, gibt das schwere Problem auf, ob die „an sich"<br />

zu <strong>Recht</strong> bestehen<strong>de</strong> To<strong>de</strong>sstrafe nicht doch schließlich die<br />

Absichten <strong>de</strong>s Naturrechts zunichtemache. Dazu kommt noch<br />

die Überlegung, daß Irren menschlich ist, daß also selbst bei<br />

bester sittlicher Haltung <strong>de</strong>r Staatsgewalt <strong>und</strong> ihrer Behör<strong>de</strong>n<br />

die Schuldfrage <strong>de</strong>s als Verbrecher Bezeichneten nicht wahr­<br />

heitsgetreu gelöst wer<strong>de</strong>n kann. Wäre es dann nicht doch ange­<br />

bracht, <strong>de</strong>n Rat <strong>de</strong>s hl. Thomas (60,4 Zu 1 u. Zu 3) zu befol­<br />

gen, wonach es besser ist, sich öfters zugunsten <strong>de</strong>s Mitmen­<br />

schen zu täuschen, als sich <strong>de</strong>r Gefahr auszusetzen, <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>rn<br />

auch nur in seltenen Fällen Unrecht zu tun?<br />

Mit dieser Frage sind wir nun nicht mehr auf <strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r<br />

überzeitlichen Prinzipien <strong>de</strong>s Naturrechts, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>s kon­<br />

kreten natürlichen <strong>Recht</strong>s, worein sich in <strong>de</strong>r Praxis ein gerüt­<br />

teltes Maß von persönlichem Wertempfin<strong>de</strong>n mischt. Thomas<br />

selbst hatte offenbar keine Schwierigkeit, für <strong>de</strong>n konkreten<br />

Staat die Gültigkeit <strong>de</strong>r To<strong>de</strong>sstrafe aufrechtzuerhalten, <strong>und</strong><br />

zwar nicht etwa nur auf Gr<strong>und</strong> soziologischer Beeinflussung<br />

vonseiten <strong>de</strong>s Werturteils seiner Zeit überhaupt, son<strong>de</strong>rn auch,<br />

weil er von sich aus <strong>de</strong>m christlichen Gewissen seiner Zeitge­<br />

nossen noch Einsicht <strong>und</strong> auch Verantwortungsbewußtsein<br />

zutraute, sich an <strong>de</strong>n Normen unabän<strong>de</strong>rlicher Gesetze zu<br />

orientieren. Vielleicht hatte er ihm doch zu viel zugetraut?<br />

Natürlich können wir Menschen niemals <strong>de</strong>n Anspruch<br />

erheben, irrtumsfrei zu sein. Wir wer<strong>de</strong>n, wenn wir überhaupt<br />

noch eine allgemeine Ordnung aufrechterhalten wollen, immer<br />

mit <strong>de</strong>m einen o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>rn „Betriebsunfall" in <strong>de</strong>r Justiz rech­<br />

nen müssen. Eine an<strong>de</strong>re Frage allerdings wird die sein, ob wir<br />

von vornherein einen solch schwerwiegen<strong>de</strong>n Betriebsunfall<br />

wie die irrtümliche Hinrichtung eines Unschuldigen in Kauf<br />

nehmen dürfen. Und doch geben auch die Gegner <strong>de</strong>r To<strong>de</strong>s­<br />

strafe zu, daß in beson<strong>de</strong>rs außeror<strong>de</strong>ntlichen Fällen, wie bei<br />

Unruhen, in Kriegszeiten usw., die To<strong>de</strong>sstrafe eine unentbehr­<br />

liche Maßnahme zur Aufrechterhaltung <strong>de</strong>r allgemeinen Ord-<br />

336


nung sei. H. Kühle, <strong>de</strong>ssen Buch über „Staat <strong>und</strong> To<strong>de</strong>sstrafe"<br />

(Münster 1934) übrigens die Gedanken <strong>de</strong>s hl. Thomas gut wie­<br />

<strong>de</strong>rgibt, weist auf einen sprechen<strong>de</strong>n Beleg, auf die Haltung <strong>de</strong>s<br />

ehemaligen Reichsjustizministers G. Radbruch hin, „<strong>de</strong>r prinzi­<br />

piell Gegner <strong>de</strong>r To<strong>de</strong>sstrafe war, aber praktisch sie angewandt<br />

wissen wollte. In seinem Entwurf <strong>de</strong>s RSTGB hatte er — seiner<br />

Anschauung gemäß — die Abschaffung <strong>de</strong>r To<strong>de</strong>sstrafe vorgese­<br />

hen. Als aber nach <strong>de</strong>r Ermordung W. Rathenaus (die Ermor­<br />

dung Erzbergers war vorhergegangen) die Gefährdung <strong>de</strong>r Re­<br />

gierungsmitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>utlich wur<strong>de</strong>, erschien am 29.Juni 1922<br />

die 2. Verordnung zum Sch<strong>utz</strong>e <strong>de</strong>r Republik mit weitgehen<strong>de</strong>r<br />

Androhung <strong>de</strong>r To<strong>de</strong>sstrafe. Fast noch weiter geht das Repu­<br />

bliksch<strong>utz</strong>gesetz <strong>de</strong>s Ministeriums Radbruch vom 21. Juli <strong>de</strong>s­<br />

selben Jahres" (a. a. 0.106). Allerdings hat dann Radbruch spä­<br />

ter nach seinem Ausschei<strong>de</strong>n aus <strong>de</strong>r Regierung sich wie<strong>de</strong>rum<br />

gegen die To<strong>de</strong>sstrafe gewandt. Das Beispiel zeigt <strong>de</strong>utlich, wie<br />

sehr die praktische Handhabung <strong>de</strong>r To<strong>de</strong>sstrafe,<strong>de</strong>ren Erlaubt­<br />

heit an sich <strong>und</strong> prinzipiell nicht zu leugnen ist, sehr stark von<br />

<strong>de</strong>r soziologischen Situation abhängt <strong>und</strong> übrigens auch abhän­<br />

gen muß. Verkehrt wäre es nur, daraus die gr<strong>und</strong>sätzliche<br />

Erlaubtheit <strong>de</strong>r To<strong>de</strong>sstrafe abstreiten zu wollen.<br />

Im 4. Art. kommt Thomas auf ein typisch mittelalterliches<br />

Diskussionsthema zu sprechen. Trotz <strong>de</strong>r naturrechtlichen Un­<br />

anfechtbarkeit <strong>de</strong>r durch <strong>de</strong>n Staat zu verhängen<strong>de</strong>n To<strong>de</strong>s­<br />

strafe <strong>und</strong> trotz <strong>de</strong>r <strong>und</strong>urchbrochenen kirchlichen Lehre, daß<br />

dieses <strong>Recht</strong> <strong>de</strong>m Staate zustehe, schickt es sich doch nicht, daß<br />

ein Kleriker das Amt eines Henkers übernimmt. Gemäß <strong>de</strong>m<br />

Gr<strong>und</strong>satz „Ecclesia non sitit sanguinem" sollte <strong>de</strong>r Kleriker,<br />

<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Altar geweiht ist, sich von solchen Werken freihalten.<br />

Das frühere kirchliche Gesetzbuch (CJC can. 984 n. 6 u. 7),<br />

das in seinem eigenen Gerichtsverfahren ein „barmherziges<br />

Gericht" durchzuführen wünscht (cum misericordia iudicium,<br />

CJC can. 2214 §2), erklärte diejenigen, die bei To<strong>de</strong>surteilen<br />

mitwirkten, als irregulär. Der unter Johannes Paul IE edierte<br />

Co<strong>de</strong>x enthält hierüber nichts mehr. Eine Zeitlang bestand so­<br />

gar das kirchliche Asylrecht. Dem Einwand, daß selbst die gött­<br />

liche Vorsehung die To<strong>de</strong>sstrafe legitimiert habe, begegnet Tho­<br />

mas in überaus feinsinniger Weise in <strong>de</strong>r Antwort Zu 1: „Gott<br />

wirkt in allem das Gute, im einzelnen jedoch das, was ihm ange­<br />

messen ist". Ein je<strong>de</strong>r also hat Gott nachzuahmen in <strong>de</strong>m, was<br />

ihm, seiner Natur, seiner Stellung, seinem Beruf eigentümlich<br />

337


ist. Thomas wen<strong>de</strong>t damit einen Gedanken aus <strong>de</strong>r Seinslehre<br />

auf die Moral an: wie die Dinge <strong>de</strong>r Welt je verschie<strong>de</strong>n sind,<br />

entsprechend <strong>de</strong>r verschie<strong>de</strong>nen Abbildbarkeit <strong>de</strong>r einen un­<br />

endlichen Seinsfülle Gottes, so hat auch je<strong>de</strong>r Mensch an sei­<br />

nem Posten, in seinem Beruf in beson<strong>de</strong>rs bezeichnen<strong>de</strong>rweise<br />

eine <strong>de</strong>r unendlichen Vollkommenheiten Gottes darzustellen.<br />

„Die Unterscheidung <strong>und</strong> die Vielheit <strong>de</strong>r Dinge stammt aus<br />

<strong>de</strong>r Absicht <strong>de</strong>s ersten Wirken<strong>de</strong>n, das ist Gott. Denn Er hat die<br />

Dinge ins Dasein hervorgebracht, um Seine Güte <strong>de</strong>n Geschöp­<br />

fen mitzuteilen <strong>und</strong> durch sie darzustellen. Und weil sie durch<br />

ein Geschöpf nicht hinreichend dargestellt wer<strong>de</strong>n kann, hat Er<br />

viele <strong>und</strong> verschie<strong>de</strong>ne Geschöpfe hervorgebracht, so daß das,<br />

was <strong>de</strong>m einen Geschöpf in <strong>de</strong>r Darstellung <strong>de</strong>r göttlichen Güte<br />

fehlt, aus einem an<strong>de</strong>ren ergänzt wird. Denn die Gutheit,<br />

welche in Gott einfach <strong>und</strong> einförmig ist, ist in <strong>de</strong>n Geschöpfen<br />

vielfältig <strong>und</strong> geteilt" (I 47,1; DT, Bd. 4).<br />

2. DER SELBSTMORD<br />

(Art. 5)<br />

Für gewöhnlich wird das Thema <strong>de</strong>s Selbstmords unter das<br />

Kapitel: „Pflichten <strong>de</strong>s Menschen in bezug auf Leben <strong>und</strong><br />

Ges<strong>und</strong>heit gestellt". Damit aber fällt <strong>de</strong>r Traktat aus <strong>de</strong>r Kate­<br />

gorie <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s. Er wird zum rein ethischen Traktat im Sinn<br />

von Bindung <strong>de</strong>s menschlichen Gewissens an Gott. Warum hat<br />

nun Thomas dieses Thema in <strong>de</strong>n Traktat über <strong>Recht</strong> <strong>und</strong><br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> eingefügt?<br />

Man könnte berechtigterweise meinen, <strong>de</strong>r fünfte Artikel, in<br />

welchem dieses Thema behan<strong>de</strong>lt wird, sei nur ein Anhängsel<br />

<strong>de</strong>r allgemeinen Frage <strong>de</strong>s Mor<strong>de</strong>s. Jedoch müßte dann dieser<br />

Artikel am Schluß <strong>de</strong>r Frage stehen, nach<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r ganze Fra­<br />

genkomplex über die Tötung eines an<strong>de</strong>rn erledigt wor<strong>de</strong>n ist.<br />

Wie<strong>de</strong>rum könnte man sich sagen, daß ein reiner Zufall die­<br />

sen Artikel hierhergebracht habe, eine gedankliche Assoziation<br />

zum vorigen Artikel etwa in <strong>de</strong>m Sinne: wenn es auch einer Pri­<br />

vatperson nicht erlaubt ist, einen an<strong>de</strong>rn, selbst wenn er <strong>de</strong>n<br />

Tod verdient, zu töten, so möchte man doch annehmen, daß sie<br />

dann wenigstens sich selbst das Leben nehmen könne.<br />

Es ist jedoch kaum anzunehmen, daß Thomas sich in <strong>de</strong>r<br />

Einreihung von Fragen <strong>und</strong> Artikeln von solch zufälligen Ge-<br />

338


Sichtspunkten o<strong>de</strong>r gar von mehr o<strong>de</strong>r weniger unterbewußten 64. 5<br />

Assoziationen leiten läßt. Dafür ist <strong>de</strong>r Aufbau sowohl <strong>de</strong>r gan­<br />

zen Summa wie auch <strong>de</strong>r einzelnen Fragen durchweg viel zu<br />

sorgfältig systematisch durchdacht.<br />

Der Gr<strong>und</strong> liegt darum tiefer. Thomas betrachtet, wie auch<br />

aus <strong>de</strong>m Artikel selbst hervorgeht, <strong>de</strong>n Selbstmord als eine Un­<br />

gerechtigkeit, als ein Vergehen gegen das <strong>Recht</strong>. Das zweite<br />

Argument, das er für das Verbot <strong>de</strong>s Selbstmords anführt, hebt<br />

diesen Gesichtspunkt <strong>de</strong>r Ungerechtigkeit gegen die mensch­<br />

liche Gesellschaft hervor <strong>und</strong> scheint auch die systematische<br />

Einordnung dieser Frage bewirkt zu haben. Daß Thomas <strong>de</strong>n<br />

Selbstmord nicht etwa in die Kategorie <strong>de</strong>r allgemeinen Pflich­<br />

ten <strong>de</strong>s Menschen gegenüber Gott einreihen wollte, geht schon<br />

aus <strong>de</strong>m Einwand hervor, mit welchem er diese Frage einleitet:<br />

Es scheint, daß <strong>de</strong>r Selbstmord nichts mit <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> zu<br />

tun habe, weil sich ja keiner selbst Unrecht antun könne. Tho­<br />

mas antwortet darauf, daß die Bewandtnis <strong>de</strong>r Ungerechtigkeit<br />

<strong>de</strong>nnoch gewahrt sei, <strong>und</strong> zwar, weil <strong>de</strong>r Selbstmord gegen das<br />

<strong>Recht</strong> Gottes <strong>und</strong> gegen das <strong>Recht</strong> <strong>de</strong>r Gesellschaft gerichtet<br />

sei. Insofern nun <strong>de</strong>r Selbstmord gegen das <strong>Recht</strong> Gottes ver­<br />

stößt, wäre er <strong>de</strong>m Traktat über die Religion einzufügen, wo die<br />

<strong>Recht</strong>spflichten <strong>de</strong>s Menschen gegen Gott behan<strong>de</strong>lt wer<strong>de</strong>n.<br />

Thomas folgt aber in <strong>de</strong>r Einglie<strong>de</strong>rung nicht diesem Gedan­<br />

ken, son<strong>de</strong>rn gibt offenbar <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>ren <strong>de</strong>n Vorzug: Der<br />

Selbstmord be<strong>de</strong>utet ein Unrecht gegen die menschliche<br />

Gesellschaft, also ein Unrecht im eigentlichen <strong>und</strong> strengen<br />

Sinn.<br />

Es sei nur beiläufig bemerkt, daß hier nur von <strong>de</strong>r eigenmäch­<br />

tigen Zerstörung <strong>de</strong>s eigenen Lebens die Re<strong>de</strong> ist, nicht also von<br />

<strong>de</strong>r Frage, ob ein gerecht zum To<strong>de</strong> Verurteilter auf Geheiß <strong>de</strong>s<br />

Richters das To<strong>de</strong>surteil an sich selbst vollstrecken dürfe, o<strong>de</strong>r<br />

ob er sich dieser Auffor<strong>de</strong>rung wi<strong>de</strong>rsetzen müsse.<br />

Gewiß steht die Verwerfung <strong>de</strong>s Selbstmords als eines<br />

Unrechts gegen die Gesellschaft im Zusammenhang mit <strong>de</strong>n<br />

an<strong>de</strong>ren, rein sittlichen Beweggrün<strong>de</strong>n. Thomas konnte <strong>de</strong>s­<br />

halb darüber nicht schweigen, um sich rein formal an die<br />

<strong>Recht</strong>sbegründung zu halten. Außer<strong>de</strong>m leuchtet gera<strong>de</strong> hier<br />

<strong>de</strong>r hauptsächliche Gr<strong>und</strong>gedanke <strong>de</strong>r thomasischen Natur­<br />

rechtsauffassung auf, daß nämlich alle naturhaften sittlichen<br />

For<strong>de</strong>rungen, d.h. alle Gebote <strong>de</strong>s Sittengesetzes, soweit sie<br />

aus <strong>de</strong>r natura humana folgen, nicht nur sittlichen, son<strong>de</strong>rn zu-<br />

339


64. 5 gleich rechtlichen Charakter haben. Das will besagen: Das<br />

natürliche Sittengesetz gilt nicht nur in <strong>de</strong>r vertikalen Ordnung<br />

von oben nach unten, vom ewigen Richter zu je<strong>de</strong>m einzelnen<br />

Menschen, son<strong>de</strong>rn zugleich auch horizontal, von Mensch zu<br />

Mensch, als Organisationsprinzip <strong>de</strong>r Menschheit, wobei <strong>de</strong>r­<br />

selbe Richter <strong>de</strong>s einzelnen Menschen nun Gesetzgeber <strong>de</strong>r so­<br />

zialen Ordnung ist <strong>und</strong> auch einstmals als <strong>de</strong>ren Richter auftre­<br />

ten wird. Darum gelten die moralischen Grün<strong>de</strong> gegen <strong>de</strong>n<br />

Selbstmord zugleich auch als gesellschaftliche <strong>Recht</strong>sfor<strong>de</strong>run­<br />

gen.<br />

Thomas sieht im Selbstmord ein dreifaches Verbrechen:<br />

gegen <strong>de</strong>n Menschen, <strong>de</strong>r die Tat verübt, gegen die Gesellschaft<br />

<strong>und</strong> gegen Gott.<br />

a) Der Selbstmord als Verbrechen gegen sich selbst<br />

Der natürlichen Veranlagung nach strebt je<strong>de</strong>s Wesen zur<br />

Selbsterhaltung. Es be<strong>de</strong>utet daher ein Verfehlen gegen die<br />

naturhafteste Liebe, nämlich die Selbstliebe, wenn einer an sein<br />

eigenes Leben Hand anlegen wollte. Und da in <strong>de</strong>r übernatürli­<br />

chen Ordnung die Selbstliebe durch die theologische Tugend<br />

<strong>de</strong>r Caritas geregelt wird, wird <strong>de</strong>r Selbstmord zum Verbrechen<br />

auch gegen diese.<br />

Der Beweis wird natürlich sehr schwach, wenn man das<br />

Naturgesetz nur in einer naturhaften Hinneigung zu irgen<strong>de</strong>i­<br />

nem Ziel, etwa <strong>de</strong>r Selbsterhaltung, verstehen wollte. Thomas<br />

ist weit entfernt, das Naturgesetz in diesem naturalistischen<br />

Sinne zu verstehen. Das Naturgesetz als sittliche <strong>und</strong> rechtliche<br />

Norm ist nicht einfach eine bestimmte Zielordnung unserer<br />

Triebe <strong>und</strong> Neigungen. Die Naturneigung zur Selbsterhaltung<br />

ist wohl ein vorbestimmter Trieb; als Naturgesetz, d. h. als<br />

Norm schließt er zugleich auch die naturhafte Neigung <strong>de</strong>r<br />

menschlichen Vernunft zur Bejahung dieser Ordnung mit ein.<br />

Das will heißen: die Naturneigung ist zugleich Bewußtseinsnei-<br />

gung, eine naturhafte For<strong>de</strong>rung unserer Vernunft <strong>und</strong> damit<br />

naturhaft in uns vorgegeben, also ein uns vom Schöpfer einge­<br />

schriebenes Gesetz. Erst dadurch wird es möglich, in <strong>de</strong>m<br />

Wi<strong>de</strong>rspruch gegen diese Naturordnung <strong>de</strong>s Menschen eine<br />

Sün<strong>de</strong> zu erkennen. In<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Mensch in seinem Bewußtsein<br />

<strong>und</strong> Wollen diese Ordnung verneint, wi<strong>de</strong>rsetzt er sich einer in<br />

seinem Bewußtsein selbst vorgegebenen Ordnung, die ihren<br />

340


letzten Sinn nur in <strong>de</strong>m ewigen Bewußtsein Gottes haben kann. 64. 5<br />

So wird <strong>de</strong>r Selbstmord als ein bewußtes Übergehen unserer<br />

innersten menschlichen Neigung <strong>und</strong> natürlichen Selbsthebe<br />

zum Verbrechen gegen das Naturgesetz.<br />

Gegenüber <strong>de</strong>r Ansicht Senecas, wonach die Überwindung<br />

<strong>de</strong>s naturhaften Selbsterhaltungstriebes, somit die Selbsttö­<br />

tung, eine „Hel<strong>de</strong>ntat" sei, erklärt Thomas in <strong>de</strong>r fünften Ant­<br />

wort, es handle sich nur <strong>de</strong>m äußeren Anschein nach um eine<br />

Hel<strong>de</strong>ntat.<br />

b) Der Selbstmord als Verbrechen gegen die Gesellschaft<br />

Wie<strong>de</strong>rum begegnen wir <strong>de</strong>m aristotelischen Gr<strong>und</strong>satz, daß<br />

<strong>de</strong>r Mensch zur Gesellschaft gehöre wie <strong>de</strong>r Teil zum Ganzen.<br />

Der Zusammenhang, in welchem hier dieses Prinzip steht, un­<br />

terstreicht <strong>de</strong>n darin ausgesprochenen Gedanken noch viel<br />

stärker als etwa die Lehre von 58,5, wo je<strong>de</strong>m Menschen zur<br />

Pflicht gemacht wird, <strong>de</strong>m Gemeinwohl mit allen seinen sittli­<br />

chen Kräften zu dienen. Hier nämlich möchte man <strong>de</strong>n Ein­<br />

druck gewinnen, als ob die Gemeinschaft Eigentümerin <strong>de</strong>s Le­<br />

bens <strong>de</strong>s einzelnen wäre <strong>und</strong> so <strong>de</strong>r Gedanke zugr<strong>und</strong>e läge,<br />

daß nur <strong>de</strong>r über das Leben verfügen könne, <strong>de</strong>m es gehöre,<br />

<strong>und</strong> das sei die Gemeinschaft.<br />

Nun ist wohl richtig, daß <strong>de</strong>rjenige, <strong>de</strong>m das Leben gehört,<br />

auch darüber verfügen kann. Es gilt aber nicht umgekehrt, daß<br />

<strong>de</strong>rjenige, <strong>de</strong>r die To<strong>de</strong>sstrafe verhängen kann, dadurch auch<br />

bewiese, daß ihm das Leben gehört. Denn er verfügt nicht über<br />

das Leben, son<strong>de</strong>rn er vollführt nur eine <strong>Recht</strong>shandlung, die<br />

bereits vorgezeichnet ist von Dem, <strong>de</strong>m das Leben im eigentli­<br />

chen Sinne gehört, nämlich Gott. Das menschliche Leben<br />

gehört nicht <strong>de</strong>r Gemeinschaft, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>m Gut, das durch die<br />

Gemeinschaft verwirklicht wer<strong>de</strong>n soll. Gera<strong>de</strong> darum aber,<br />

weil <strong>de</strong>r Selbstmord sich an diesem gemeinsamen Gut verfehlt,<br />

be<strong>de</strong>utet er ein Unrecht gegen die menschliche Gesellschaft.<br />

c) Der Selbstmord als Sün<strong>de</strong> gegen Gott<br />

Im Gr<strong>und</strong>e kommt dieser Gedanke auf das erste Argument<br />

zurück, nur wird hier <strong>de</strong>r religiöse Sinn unserer sittlichen Ver­<br />

antwortung stärker unterstrichen. Unser ganzes Sein ist ein<br />

Sein durch Teilhabe <strong>und</strong> weist darum stets über sich hinaus auf<br />

341


64. 5 die Absichten <strong>de</strong>ssen, an <strong>de</strong>ssen Sein es teilhat. Es kann darum<br />

niemals einen Gr<strong>und</strong> geben, sich irgendwann <strong>und</strong> aus irgend­<br />

welcher Absicht, selbst nicht zur Rettung vor sittlicher Gefahr,<br />

das Leben zu nehmen. Natürlich hin<strong>de</strong>rt dies nicht, daß man im<br />

Kampf für ein sittliches Gut sein Leben einsetze. Denn dann<br />

wird nicht <strong>de</strong>r Tod gesucht, son<strong>de</strong>rn die Unversehrtheit<br />

menschlichen o<strong>de</strong>r gna<strong>de</strong>nhaft-göttlichen Lebens.<br />

3. DIE TÖTUNG UNSCHULDIGEN LEBENS<br />

(Art. 6)<br />

64. 6 Einem Unschuldigen darf das Leben niemals genommen<br />

wer<strong>de</strong>n, erklärt Thomas im sechsten Artikel. Man kann von<br />

ihm <strong>de</strong>n Einsatz für ein gemeinschaftliches, sittlich ausgerichte­<br />

tes Gut verlangen. Wenn er diesen Einsatz für das Ganze nicht<br />

leistet, kann man ihn unter Umstän<strong>de</strong>n für to<strong>de</strong>swürdig erach­<br />

ten auf Gr<strong>und</strong> dieser Verneinung, die dann als Verbrechen<br />

gegen die Gemeinschaft erklärt wer<strong>de</strong>n wür<strong>de</strong>. Aber <strong>de</strong>r<br />

Schuldlose bleibt, wie Thomas ausdrücklich sagt, immer ein<br />

nützliches <strong>und</strong> das Gemeinwohl för<strong>de</strong>rn<strong>de</strong>s Glied <strong>de</strong>r mensch­<br />

lichen Gesellschaft.<br />

Um allen Ernstes in allen konkreten Fällen zu dieser Lehre<br />

zu stehen, muß man vom wesentlich sittlichen Wert, ja sogar<br />

vom theologischen Sinn <strong>de</strong>r menschlichen Gesellschaft über­<br />

zeugt sein. Der unheilbar Kranke, <strong>de</strong>r Sieche, <strong>de</strong>r Geistes­<br />

schwache <strong>und</strong> sogar Irrsinnige erfüllt noch einen sinnvollen<br />

Zweck in <strong>de</strong>r menschlichen Gesellschaft. Erstens hat damit die<br />

Gesellschaft die offensichtliche <strong>und</strong> untrügliche Gelegenheit,<br />

sich noch als sittliche Gemeinschaft zu bewähren, in<strong>de</strong>m sie aus<br />

Achtung vor <strong>de</strong>m Geist, <strong>de</strong>r in je<strong>de</strong>m Menschen, auch noch im<br />

Irren, da ist, die Pflege eines scheinbar lebensunwerten Lebens<br />

übernimmt. Zweitens kann sie, sofern sie christlich ist, Ernst<br />

machen mit <strong>de</strong>n For<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>s Evangeliums, die gemäß<br />

christlichem Glauben nicht nur For<strong>de</strong>rungen an <strong>de</strong>n einzelnen<br />

Menschen für das private Leben sind, son<strong>de</strong>rn zugleich Sozial­<br />

prinzipien, Gr<strong>und</strong>sätze <strong>de</strong>r Gesellschaftsformung be<strong>de</strong>uten.<br />

Gera<strong>de</strong> vom übernatürlichen Glauben her, mit seinen Dogmen<br />

von <strong>de</strong>r Erbsün<strong>de</strong> <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Berufung aller zum ewigen Leben,<br />

wird je<strong>de</strong>r naturalistischen Bevölkerungspolitik <strong>de</strong>r Bo<strong>de</strong>n ent­<br />

zogen.<br />

342


Man könnte versucht sein, in unserem Artikel das Problem 64. 6<br />

<strong>de</strong>s Schwangerschaftsabbruchs ange<strong>de</strong>utet zu fin<strong>de</strong>n. Doch hat<br />

Thomas dieses Thema nicht im Auge gehabt.<br />

4. DIE TÖTUNG EINES LEBENSGEFÄHRLICHEN ANGREIFERS<br />

(Art. 7)<br />

Das römische <strong>Recht</strong> hatte Gewalt mit Gewalt zu vertreiben 64. 7<br />

gestattet. Thomas greift auf diesen Gedanken in <strong>de</strong>r Formulie­<br />

rung <strong>de</strong>r Dekretalen (vgl. Decret. Greg. IX., lib.V, tit. 12, De<br />

homicidio, c. 18; Frdbll, 801) zurück, in<strong>de</strong>m er erklärt, daß bei<br />

„moralisch abgewogener Sch<strong>utz</strong>maßnahme" o<strong>de</strong>r, in wörtlicher<br />

Ubersetzung <strong>de</strong>s altjuristischen Begriffs, bei „Maßhaltung<br />

schuldloser Verteidigung" (cum mo<strong>de</strong>ramine inculpatae tutelae,<br />

Notwehrbeschränkung) die eventuelle Tötung <strong>de</strong>s Gegners<br />

verantwortet wer<strong>de</strong>n könnte. In <strong>de</strong>m Begriff „moralisch abge­<br />

wogene Verteidigung" (Notwehrbeschränkung) liegt <strong>de</strong>r Kern<br />

<strong>de</strong>s Artikels. Es ist damit gesagt, daß das Gewicht <strong>de</strong>r Absicht<br />

auf <strong>de</strong>r Selbstverteidigung liegt <strong>und</strong> nicht auf <strong>de</strong>r Tötung. Das<br />

will besagen: Der sich Verteidigen<strong>de</strong> soll nur die Absicht haben,<br />

sein Leben zu retten, in keiner Weise aber, <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren zu<br />

töten. Die Tötung <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>ren wird als reine Folge <strong>de</strong>r Selbst­<br />

verteidigung aufgefaßt. Im Zusammenhang ist dies wichtig,<br />

weil nämlich gemäß <strong>de</strong>r Lehre <strong>de</strong>s vorherigen Artikels die pri­<br />

vate Tötung eines an<strong>de</strong>ren in sich schlecht ist, also niemals<br />

direkt gewollt sein darf. Sie darf höchstens als physische Folge<br />

einer sittlich guten Handlung auftreten.<br />

Damit allerdings scheint die Erlaubnis <strong>de</strong>r Selbstverteidi­<br />

gung ziemlich illusorisch zu wer<strong>de</strong>n. Ist doch <strong>de</strong>r Fall <strong>de</strong>nkbar,<br />

daß man nur mit solcher Selbstwehr zurechtkommt, in <strong>de</strong>r man<br />

die völlige Tilgung <strong>de</strong>s Angreifers von vornherein beabsichtigt.<br />

In <strong>de</strong>n mittelalterlichen Verhältnissen, wo man nur mit Hieb­<br />

o<strong>de</strong>r Stichwaffen zu rechnen hatte, hätte man sich vielleicht in<br />

<strong>de</strong>r Selbstverteidigung mit einfachem Umsichschlagen helfen<br />

können. In solchen Umstän<strong>de</strong>n ließe sich die „zufällige", nicht<br />

beabsichtigte Tötung <strong>de</strong>s Angreifers verstehen. Heute aber, da<br />

wohl selten ein Dieb in ein frem<strong>de</strong>s Haus eindringt, ohne mit<br />

einem Revolver bewaffnet zu sein, mit <strong>de</strong>m er aller Wahrschein­<br />

lichkeit nach von vornherein <strong>de</strong>n Tod <strong>de</strong>s sich wehren<strong>de</strong>n Besit­<br />

zers beabsichtigt, wird <strong>de</strong>rjenige, <strong>de</strong>r sein Leben zu verteidigen<br />

343


64. 7 hat, vor allem, wenn er kein tüchtiger Schütze ist, die lebens­<br />

wichtigsten Körperstellen zum Ziel seiner Schußwaffe machen<br />

müssen. So bleibt, wie es scheint, nichts an<strong>de</strong>res übrig, als <strong>de</strong>n<br />

Tod <strong>de</strong>s Angreifers direkt zu wollen.<br />

Die einfachste Lösung hierfür ist natürlich, mit mo<strong>de</strong>rnen<br />

Theologen die Selbstverteidigung als eine Handlung im Sinne<br />

<strong>de</strong>s Dienstes am öffentlichen Wohl, d. h. an <strong>de</strong>r öffentlichen<br />

Sicherheit <strong>und</strong> Ordnung zu betrachten. Dann kann <strong>de</strong>r Vertei­<br />

diger ruhig die Tötung <strong>de</strong>s Angreifers direkt wollen, wie dies<br />

auch Thomas hier <strong>de</strong>m Soldaten im Krieg o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Polizei<br />

eigens zugesteht.<br />

Verbleiben wir aber im Gedankengang <strong>de</strong>s Artikels, wonach<br />

<strong>de</strong>r Selbstverteidiger als Privatperson han<strong>de</strong>lt, dann folgt, daß<br />

die Absicht zur Tötung sittlich nicht haltbar ist. Und doch muß<br />

<strong>de</strong>r Verteidiger mit seiner Schußwaffe ein Ziel haben! Und die­<br />

ses Ziel kann, wie gesagt, bisweilen nur eine tödliche Stelle sein.<br />

Die Analyse <strong>de</strong>r Handlung kann natürlich nicht einzig nach<br />

ihrer physischen Form geschehen. Denn so wäre sie we<strong>de</strong>r gut<br />

noch schlecht. Ein Geschoß kann aus irgen<strong>de</strong>inem Gr<strong>und</strong><br />

(Explosion) in das Herz <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>rn dringen, ohne daß sich<br />

damit eine sittliche Handlung von an<strong>de</strong>rer Seite verbin<strong>de</strong>t. Um<br />

zur sittlichen Beurteilung <strong>de</strong>r Abwehr, bei welcher die Schuß­<br />

waffe auf eine lebenswichtige Stelle <strong>de</strong>s Angreifers gerichtet<br />

wird, zu kommen, muß man die unmittelbar mit <strong>de</strong>m rein phy­<br />

sischen Geschehen verb<strong>und</strong>ene Absicht miteinbeziehen. Diese<br />

aber kann nie die direkte Tötung <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>rn sein, son<strong>de</strong>rn nur<br />

seine Unschädlichmachung. Daß zwischen <strong>de</strong>r Absicht zur<br />

Tötung <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Absicht zur gänzlichen Unschädlichmachung<br />

ein großer Unterschied liegt, beweist die Tatsache, daß <strong>de</strong>r Ver­<br />

teidiger das Leben <strong>de</strong>s Angreifers erhalten wür<strong>de</strong>, wenn er es<br />

könnte, ohne sein eigenes Leben zu gefähr<strong>de</strong>n. So scheint es<br />

keine ungebührliche Erweiterung <strong>de</strong>r Lehre <strong>de</strong>s Artikels zu<br />

sein, wenn wir auch auf die mo<strong>de</strong>rne Problematik <strong>de</strong>n Satz <strong>de</strong>s<br />

hl. Thomas anwen<strong>de</strong>n: „Es ist nicht heilsnotwendig, die mora­<br />

lisch abgewogene Sch<strong>utz</strong>maßnahme zu unterlassen, um <strong>de</strong>n<br />

Tod <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>rn zu vermei<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Mensch muß mehr für<br />

das eigene als für ein frem<strong>de</strong>s Leben Sorge tragen".<br />

Der Polizei erlaubt Thomas eigentümlicherweise die direkte<br />

Tötung <strong>de</strong>s Verbrechers. Eigentümlich klingt es auch, wenn<br />

Thomas <strong>de</strong>m Soldaten die völlige Vernichtung <strong>de</strong>s Fein<strong>de</strong>s ohne<br />

weitere Einschränkung zubilligt. Gemäß welchem <strong>Recht</strong> darf<br />

344


<strong>de</strong>r Soldat dies tun? Auch <strong>de</strong>r Feind erachtet sich um seines 64. 7<br />

Gemeinwohles willen ermächtigt, seinen Gegner bis zur Ver­<br />

nichtung zu erledigen. Wollte man die Parallele mit <strong>de</strong>r polizeili­<br />

chen Gewalt im Sinne <strong>de</strong>s hl. Thomas voll <strong>und</strong> ganz durchfüh­<br />

ren, dann wäre man zur Erklärung gezwungen, daß <strong>de</strong>r Soldat<br />

als Diener eines übernationalen Gemeinwohles, also im Auftrag<br />

eines höheren als <strong>de</strong>s nationalen <strong>Recht</strong>s kämpfe. Sonst wäre<br />

nicht einzusehen, warum <strong>de</strong>r Soldat, <strong>de</strong>r für das Gemeinwohl<br />

seines Staatswesens gegen einen nicht zu seinem Gemeinwesen<br />

gehören<strong>de</strong>n Angreifer kämpft, mehr <strong>Recht</strong>e haben soll als <strong>de</strong>r<br />

sich verteidigen<strong>de</strong> Einzelmensch im Kampf mit <strong>de</strong>m Angreifer,<br />

d. h. warum <strong>de</strong>r Soldat seinen Gegner direkt vernichten darf,<br />

während <strong>de</strong>r private Verteidiger Maßhaltung in <strong>de</strong>r Abwehr<br />

üben muß. Unsere Stelle ist völkerrechtsphilosophisch interes­<br />

sant, insofern sie beweist, wie wenig Thomas noch eine Vorstel­<br />

lung von verschie<strong>de</strong>nen Nationen hatte. Die bestehen<strong>de</strong> Staats­<br />

gemeinschaft autorisierte allein auf Gr<strong>und</strong> <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s zur Exi­<br />

stenz <strong>und</strong> Selbstbehauptung ihre Soldaten zur Vernichtung <strong>de</strong>s<br />

Angreifers, da dieser als „Splitter" <strong>und</strong> Sektierer betrachtet<br />

wird, gegen <strong>de</strong>n dasselbe <strong>Recht</strong> als maßgebend betrachtet wird<br />

wie gegen einen Verbrecher innerhalb <strong>de</strong>r Gemeinschaft.<br />

Die Theorie <strong>de</strong>r privaten Selbstverteidigung wird heute auf<br />

einen Fall angewandt, auf <strong>de</strong>n sie unter gar keinen Umstän<strong>de</strong>n<br />

angewandt wer<strong>de</strong>n darf: auf die Kraniotomie o<strong>de</strong>r Perforation<br />

in <strong>de</strong>r Geburtshilfe. Man greift dabei auf die Unterscheidung<br />

zwischen physischer Natur <strong>de</strong>r Handlung <strong>und</strong> <strong>de</strong>r eigentlichen<br />

Absicht, die <strong>de</strong>r Operateur damit verbin<strong>de</strong>t, zurück, in<strong>de</strong>m<br />

man erklärt, daß <strong>de</strong>r Arzt die Tötung gar nicht beabsichtige,<br />

son<strong>de</strong>rn nur Geburtshilfe leiste, womit natürlich die Tötung<br />

gegeben sei, die aber eben nicht als Tötung, son<strong>de</strong>rn nur als<br />

physische Perforation gewollt sei.<br />

Doch ist auch hier, wie bei je<strong>de</strong>r menschlichen Handlung,<br />

eine sittliche Situation gegeben, die es zu beurteilen gilt. Es<br />

kann sich unmöglich um eine Unschädlichmachung <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s<br />

han<strong>de</strong>ln, da das Kind nicht als Schädling auftritt, son<strong>de</strong>rn als<br />

völlig gleichberechtigter <strong>Recht</strong>sträger wie die Mutter. In <strong>de</strong>r<br />

Abwägung zwischen Mein <strong>und</strong> Dein, zwischen eigenem Leben<br />

<strong>und</strong> Leben <strong>de</strong>r Mutter fällt <strong>de</strong>m Leben <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s nicht weniger<br />

<strong>Recht</strong> zu als <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Mutter. Welche erste <strong>und</strong> unmittelbare<br />

sittliche Qualität soll also die Perforation haben? Keine an<strong>de</strong>re<br />

als Tötung unschuldigen Lebens. Außer<strong>de</strong>m ist hier ein Lieb-<br />

345


64. 7 lingsgedanke <strong>de</strong>s hl. Thomas nicht außer acht zu lassen, wonach<br />

nämlich <strong>de</strong>r einzelne stets im Ordnungsganzen <strong>de</strong>r Gemein­<br />

schaft zu betrachten ist. Nicht, als ob damit das Leben <strong>de</strong>s ein­<br />

zelnen im Ganzen unterginge. Im Gegenteil, <strong>de</strong>n Eigenwert<br />

erhält <strong>de</strong>r einzelne gera<strong>de</strong> im Raum <strong>de</strong>s Ganzen, das als sittliche<br />

Gemeinschaft aufgefaßt ist. Von hier aus gesehen kann es sich<br />

nicht mehr um das Schicksal <strong>de</strong>r einzelnen Mutter han<strong>de</strong>ln,<br />

son<strong>de</strong>rn es gilt vielmehr einzig die For<strong>de</strong>rung, das sittliche<br />

Organisationsprinzip <strong>de</strong>r Gesellschaft um je<strong>de</strong>n Preis zu wah­<br />

ren. Warum sollte die Mutter, die das Jawort zum Wer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s<br />

Kin<strong>de</strong>s gegeben hat, nicht auch zu diesem Ja treu stehen müs­<br />

sen, wenn es bitter schwer fallen sollte? — Im übrigen sei<br />

erwähnt, daß die medizinische „Notwendigkeit" zu einem sol­<br />

chen mör<strong>de</strong>rischen Eingriff gera<strong>de</strong> von besten Fachärzten<br />

bestritten wird. Von <strong>de</strong>m bewußt gewollten Schwangerschafts­<br />

abbruch, wie er heute als straffrei proklamiert wird, brauchen<br />

wir hier nicht zu sprechen. Das Urteil darüber im Sinn <strong>de</strong>s hl.<br />

Thomas ist unmißverständlich: man darf unter keinen Umstän­<br />

<strong>de</strong>n einen Unschuldigen töten.<br />

Als letzten Teil <strong>de</strong>r Tötung behan<strong>de</strong>lt Thomas in Art. 8 die<br />

fahrlässige Tötung. Es wird hier das allgemein gültige Prinzip<br />

angewandt, daß ein Effekt insofern auf das sittliche Konto einer<br />

Handlung fällt, als die Ursächlichkeit zwischen Handlung <strong>und</strong><br />

Effekt erkannt wer<strong>de</strong>n mußte <strong>und</strong> die Handlung um dieses Zu­<br />

sammenhangs willen zu unterlassen geboten war.<br />

IL Die an<strong>de</strong>rn Eingriffe in das <strong>Recht</strong> <strong>de</strong>r Person,<br />

wie Körperverletzung, Züchtigung, Freiheitsberaubung<br />

(Fr. 65)<br />

1. DIE KÖRPERVERSTÜMMELUNG<br />

(Art. 1).<br />

65. l Die strenge Unterordnung <strong>de</strong>s einzelnen unter das Gemein­<br />

wohl wird mit <strong>de</strong>mselben Prinzip gekennzeichnet wie in 58,5:<br />

Der Mensch ist Teil <strong>de</strong>r Gemeinschaft. Hier ist die Sprechweise<br />

<strong>de</strong>s hl. Thomas noch <strong>de</strong>utlicher <strong>und</strong> konkreter: Der ganze<br />

Mensch ist auf sein Ziel hingeordnet, auf die Gemeinschaft,<br />

<strong>de</strong>ren Teil er ist <strong>und</strong> <strong>de</strong>r er in je<strong>de</strong>m ihrer Glie<strong>de</strong>r dient. Wie<br />

346


darum vom sittlich <strong>und</strong> geistig verstan<strong>de</strong>nen Gemeinwohl her 65. 1<br />

über einen Verbrecher die To<strong>de</strong>sstrafe verhängt wer<strong>de</strong>n kann, so<br />

kann auch wegen geringerer Vergehen von <strong>de</strong>r öffentlichen Au­<br />

torität die Abnahme irgen<strong>de</strong>ines Glie<strong>de</strong>s verordnet wer<strong>de</strong>n. Die<br />

diesbezügliche Praxis <strong>de</strong>s Mittelalters ist reichlich bekannt: Ver­<br />

stümmelung <strong>de</strong>r Ohren, <strong>de</strong>r Hän<strong>de</strong>, <strong>de</strong>rTestikel, <strong>de</strong>r Füße war<br />

im 13. Jahrh<strong>und</strong>ert nichts Beson<strong>de</strong>res. 1260 mußte Ludwig <strong>de</strong>r<br />

Heilige die im Bezirk von 7cws herrschen<strong>de</strong> Sitte ta<strong>de</strong>ln,<br />

wonach <strong>de</strong>r Herr <strong>de</strong>m Diener o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Magd ein Glied abschlug<br />

wegen Stehlens eines Brotes o<strong>de</strong>r eines Huhnes.<br />

Die zwangsweise Sterilisation o<strong>de</strong>r Kastration zur Bestra­<br />

fung von sexuellen Verbrechen wird also von Thomas aner­<br />

kannt. Dabei sind aber die bei<strong>de</strong>n Bedingungen vorausgesetzt:<br />

1. es muß ein Verbrechen vorliegen; 2. nur die staatliche Autori­<br />

tät kann eine solche Strafe anordnen. Die Lösung <strong>de</strong>s ersten<br />

Einwan<strong>de</strong>s ist also ganz in diesem Sinne zu verstehen. Wenn<br />

Thomas dort sagt, daß die Körperverstümmelung zwar gegen<br />

die Natur <strong>de</strong>s einzelnen sei, daß sie aber doch <strong>de</strong>r Vernunft ent­<br />

spreche, sofern sie auf das Gemeinwohl hingeordnet wer<strong>de</strong>,<br />

dann hat dies nichts mit kollektivistischen Zweckbestimmun­<br />

gen zu tun, etwa im Sinn <strong>de</strong>r eugenischen Indikation <strong>de</strong>r Sterili­<br />

sation. Der Staat kann nicht tun, was er mag. Er kann nur an­<br />

ordnen, was <strong>de</strong>m Gemeinwohl entspricht. Das Gemeinwohl ist<br />

aber bei Thomas, das dürfte bisher klargewor<strong>de</strong>n sein, eine gei­<br />

stig-sittliche Wirklichkeit, die von allen angestrebt wer<strong>de</strong>n soll<br />

entsprechend <strong>de</strong>n Normen <strong>de</strong>r menschlichen Natur. So wenig<br />

Thomas um irgen<strong>de</strong>ines Gemeinwohls willen die Tötung soge-<br />

nannten lebensunwerten Lebens zuläßt, ebensowenig konnte<br />

er die Sterilisierung nur zur körperlichen Ges<strong>und</strong>erhaltung <strong>de</strong>r<br />

menschlichen Gemeinschaft gestatten.<br />

Eine Privatperson kann nur aus therapeutischen Grün<strong>de</strong>n<br />

eine Verstümmelung an ihrem Körper vornehmen lassen. Dies<br />

geht klar aus <strong>de</strong>r Antwort <strong>und</strong> aus <strong>de</strong>r Lösung <strong>de</strong>s zweiten Ein-<br />

wands hervor.<br />

„Geistigen" Übeln, so erklärt Thomas in <strong>de</strong>r Lösung zum<br />

dritten Einwand, darf man nicht mit Körperverstümmelung<br />

entgehen, man muß sie mit geistigen Mitteln, d. h. mit <strong>de</strong>m Wil­<br />

len überwin<strong>de</strong>n. Thomas <strong>de</strong>nkt an überstarke Libido. Zur<br />

Bekämpfung <strong>de</strong>r Libido verwirft er die Kastration <strong>und</strong> emp­<br />

fiehlt Willensbildung. Wir sind allerdings heute medizinisch<br />

etwas weiter, in<strong>de</strong>m wir in einer überstarken Libido oft genug<br />

347


65. 1 rein somatisch bedingte Ursachen ent<strong>de</strong>cken, über die <strong>de</strong>r<br />

Patient niemals Herr wer<strong>de</strong>n kann (vgl. hierzu/. Mayer, Gesetz­<br />

liche Unfruchtbarmachung Geisteskranker, Freiburg i. Br. 1927,<br />

328 f.).<br />

2. DIE PRÜGELSTRAFE<br />

(Art. 2)<br />

65. 2 In <strong>de</strong>m Maße, als einer über einen an<strong>de</strong>rn rechtliche Gewalt<br />

hat, übt er auch die Strafgewalt über ihn aus. Wie darum <strong>de</strong>r<br />

Staat die vollkommene Gemeinschaft ist, auf die <strong>de</strong>r einzelne<br />

alle Akte sämtlicher sittlichen Tugen<strong>de</strong>n ausrichten muß (58,5),<br />

so übt er auch die höchste <strong>und</strong> letztmögliche Strafgewalt im<br />

irdischen Bereich aus: To<strong>de</strong>sstrafe <strong>und</strong> Strafe <strong>de</strong>r Körperver­<br />

stümmelung. Entsprechend besitzt das Familienoberhaupt als<br />

Autorität einer kleineren, „unvollkommenen" Gemeinschaft<br />

das <strong>Recht</strong> <strong>de</strong>r Bestrafung mit geringeren Straf mittein, nämlich<br />

<strong>de</strong>r Körperzüchtigung (Zu 2). Das gleiche gilt auch bezüglich<br />

<strong>de</strong>r Gewalt <strong>de</strong>s Hausherrn über seine Dienerschaft (Antw.)<br />

Man muß sich die mittelalterliche Anschauung vergegenwär­<br />

tigen, wonach <strong>de</strong>m Vater die volle Autorität über die Angelegen­<br />

heiten zustand, die die Hausgemeinschaft betrafen. Das Mittel­<br />

alter folgte hierin <strong>de</strong>m römischen <strong>Recht</strong>, das übrigens vor <strong>de</strong>r<br />

Mil<strong>de</strong>rung im dritten Jahrh<strong>und</strong>ert <strong>de</strong>m Familienoberhaupt so­<br />

gar das <strong>Recht</strong> über Leben <strong>und</strong> Tod eingeräumt hatte. Im Mittel­<br />

alter, zur Zeit <strong>de</strong>s hl. Thomas, war jener Familienvater rechtlich<br />

nicht zu fassen, welcher seine Familienangehörigen, sogar seine<br />

eigene Frau, schlug <strong>und</strong> verw<strong>und</strong>ete, sofern er sie nicht tötete.<br />

Thomas (Suppl. 62,4 Zu 4) erklärt, daß <strong>de</strong>r Ehegatte, wenn­<br />

gleich er das Haupt <strong>de</strong>r Ehefrau sei, doch nicht zu ihrem Richter<br />

bestellt sei, so daß er zu jenen Züchtigungen kein <strong>Recht</strong> habe,<br />

welche <strong>de</strong>m Zivilgericht vorbehalten sind. Dagegen kann seiner<br />

Ansicht nach <strong>de</strong>r Ehegatte seine ehebrecherische Frau züchti­<br />

gen (Suppl. 60,1 Zu 1).<br />

Angesichts dieser Äußerungen drängt sich die Frage auf, wo<br />

man hier noch von Naturrecht sprechen könne. Das <strong>Recht</strong> <strong>de</strong>s<br />

Mannes, die Frau wegen irgendwelcher häuslicher Vergehen zu<br />

schlagen, kann doch nicht ein Naturrecht sein im Sinne, wie<br />

man von „unwan<strong>de</strong>lbaren" <strong>Recht</strong>en <strong>de</strong>r Natur spricht. Man<br />

kann aber mit Thomas sagen, daß jeweils jene rechtliche Rege-<br />

348


lung die naturrechtlich gebotene sei, welche die stets sich 65. 2<br />

än<strong>de</strong>rn<strong>de</strong>n konkreten Situationen (hierzu auch Kulturauffas­<br />

sungen, soziologische Gegebenheiten) weitmöglichst <strong>de</strong>n un­<br />

abän<strong>de</strong>rlichen Normen entsprechend ordnet. Das <strong>Recht</strong> <strong>de</strong>s<br />

Vaters, Haupt <strong>de</strong>r Familie <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Hausgemeinschaft zu sein,<br />

kann auch auf an<strong>de</strong>re Weise als mit <strong>de</strong>r Prügelgewalt gewahrt<br />

wer<strong>de</strong>n. Die Geschichte hat die Menschen belehrt, daß <strong>de</strong>r<br />

an<strong>de</strong>re Teil <strong>de</strong>s Ehe- <strong>und</strong> Familienrechts, wovon Thomas in 57,4<br />

spricht, beson<strong>de</strong>rer Aufmerksamkeit bedarf: daß sowohl die<br />

Kin<strong>de</strong>r als auch beson<strong>de</strong>rs die Ehefrau als Träger von Men­<br />

schenrechten zu gelten haben, über die <strong>de</strong>r Vater <strong>und</strong> Gatte<br />

keine Befugnis hat. Für Thomas ist die naturgemäße For<strong>de</strong>rung,<br />

d. h. das Naturrecht, eine For<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s konkreten Augen­<br />

blicks, nicht zwar im Sinne einer reinen Situationsethik mit exi-<br />

stentialistischem Gepräge, son<strong>de</strong>rn im Sinne <strong>de</strong>r „verän<strong>de</strong>rli­<br />

chen Natur", von <strong>de</strong>r er in 57,2 Zu 1 spricht, d. h. <strong>de</strong>r an sich un­<br />

verän<strong>de</strong>rlichen Natur, die aber stets eine eigene, <strong>de</strong>m Hier <strong>und</strong><br />

Jetzt angemessene je <strong>und</strong> je verschie<strong>de</strong>ne konkrete Gestalt <strong>de</strong>s<br />

<strong>Recht</strong>s nicht nur verlangt, son<strong>de</strong>rn sogar konstituiert.<br />

3. KERKERHAFT UND GEWAHRSAM<br />

(Art. 3)<br />

Aus gerechten Grün<strong>de</strong>n ist es, wie Thomas ausführt, erlaubt, 65. 3<br />

einen Menschen <strong>de</strong>r Freiheit zu berauben durch Kerker o<strong>de</strong>r<br />

Gewahrsam (Internierung). Als solche gerechte Grün<strong>de</strong> führt<br />

Thomas an: Strafe <strong>und</strong> Vorsichtsmaßregeln. Bezüglich <strong>de</strong>r<br />

Strafe empfin<strong>de</strong>t man weiter keine Schwierigkeit in <strong>de</strong>r Aner­<br />

kennung <strong>de</strong>r vorgetragenen Meinung. Was aber ist unter Vor­<br />

sichtsmaßregel zu verstehen? Etwa das im römischen „Gesetz<br />

<strong>de</strong>r zwölf Tafeln" <strong>de</strong>m Gläubiger eingeräumte <strong>Recht</strong>, einen<br />

säumigen Schuldner in privatem Kerker einzusperren, eine<br />

Gepflogenheit, die im Mittelalter in Übung war <strong>und</strong> zu üblen<br />

Ausschreitungen führte, so daß Ludwig <strong>de</strong>r Heilige sie auf ganz<br />

bestimmte Fälle unter bestimmten Bedingungen einschränken<br />

mußte? O<strong>de</strong>r sollen wir an ähnliche Vorsichtsmaßregeln <strong>de</strong>n­<br />

ken, wie sie ein mo<strong>de</strong>rner Staat durch Internierung von Geistes­<br />

schwachen trifft, nur zur Verhütung geistesschwachen Nach­<br />

wuchses? Aus <strong>de</strong>r Lösung zum dritten Einwand geht hervor,<br />

daß die Übel, welche durch staatlich verordnete Internierung<br />

349


65. 3 von Personen verhin<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n sollen, sittlich verwerfliche<br />

Taten sind, z.B., daß einer, obwohl er könnte, die Schul<strong>de</strong>n<br />

nicht bezahlt. Wenigstens folgt dies aus <strong>de</strong>n letzten Worten:<br />

„durch die Einkerkerung wird er nicht nur daran gehin<strong>de</strong>rt,<br />

Böses, son<strong>de</strong>rn auch Gutes zu tun."<br />

Ob aber Geistesschwache, die an sich keine Gefahr für die<br />

Umwelt sind, einzig um <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r Gesellschaft verlangten<br />

Gewähr willen, daß sie keine erblich belastete Nachkommen­<br />

schaft zeugen, interniert wer<strong>de</strong>n dürfen, kann nach <strong>de</strong>r hier aus­<br />

gesprochenen Doktrin nicht entschie<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n. Es läßt sich<br />

hier keine Lehre <strong>de</strong>s hl. Thomas ermitteln.<br />

4. DAS UNRECHT IN SEINER AUSDEHNUNG AUF EINEN WEITEREN<br />

PERSONENKREIS<br />

(Art. 4)<br />

65. 4 Der vierte Artikel behan<strong>de</strong>lt die eigentümliche Frage, ob das<br />

Unrecht, das auf die in <strong>de</strong>n vorhergehen<strong>de</strong>n Artikeln genannten<br />

Arten, beson<strong>de</strong>rs durch Körperverletzung, einer Person zuge­<br />

fügt wird, auch auf <strong>de</strong>ren Angehörige o<strong>de</strong>r die irgendwie mit ihr<br />

durch ein gesellschaftliches Band Verb<strong>und</strong>enen übergreife, so<br />

daß die Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Ungerechtigkeit noch größer wür<strong>de</strong>, als<br />

wenn sie nur gegen eine einzelne Person gerichtet wäre. An sich<br />

betrifft diese Frage jegliches Unrecht, nicht nur die in <strong>de</strong>n vor­<br />

hergehen<strong>de</strong>n Artikeln erwähnten Formen. Thomas hat<br />

zunächst offenbar an <strong>de</strong>n tätlichen Angriff auf Amtspersonen<br />

gedacht <strong>und</strong> darum das Problem hier eingereiht.<br />

Die Antwort ist klar: an sich ist solches Unrecht größer<br />

wegen <strong>de</strong>r Ausweitung <strong>de</strong>s betroffenen Personenkreises. An<strong>de</strong>­<br />

rerseits kann aber, so meint Thomas, das Unrecht gegen eine<br />

einzelne Person ohne diese Einbeziehung Dritter <strong>de</strong>nnoch<br />

schwerer sein im Hinblick auf die gesellschaftliche Be<strong>de</strong>utung<br />

<strong>de</strong>r betroffenen Person o<strong>de</strong>r auf die Erheblichkeit <strong>de</strong>s zugefüg­<br />

ten Scha<strong>de</strong>ns.<br />

Warum aber ist das Unrecht gegen Witwen <strong>und</strong> Waisen, die<br />

allein stehen <strong>und</strong> <strong>de</strong>r gesellschaftlichen Verb<strong>und</strong>enheit entbeh­<br />

ren, gemäß christlicher Auffassung eines <strong>de</strong>r schwersten Ver­<br />

brechen? Thomas antwortet darauf (Zu 2), daß diese Sün<strong>de</strong> ein-<br />

schlußweise eine höhere Tugend als die <strong>Gerechtigkeit</strong> verletze,<br />

nämlich die Barmherzigkeit, <strong>und</strong> daß außer<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r zugefügte<br />

Scha<strong>de</strong>n durch die Hilflosigkeit <strong>de</strong>r Verletzten noch wachse.<br />

350


III. Diebstahl <strong>und</strong> Raub<br />

(Fr. 66)<br />

A. DAS EIGENTUMSRECHT<br />

(Art. 1 u. 2)<br />

1. DER STREIT UM DIE AUSLEGUNG DER THOMASISCHEN TEXTE<br />

Nur wenige Artikel <strong>de</strong>s hl. Thomas sind von <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>­<br />

nen Kommentatoren so erhitzt umkämpft wor<strong>de</strong>n wie die bei­<br />

<strong>de</strong>n ersten Artikel unserer Frage. Der erste stellt das Besitz- <strong>und</strong><br />

Eigentumsrecht Gottes <strong>de</strong>m <strong>de</strong>s Menschen gegenüber, wobei<br />

Thomas <strong>de</strong>n Ausdruck „Eigentum" mit „Besitz" o<strong>de</strong>r<br />

„Herrschaft" vertauscht (vgl. Anm. [34]). In <strong>de</strong>r ihm eigenen<br />

ontologischen Sicht betrachtet Thomas zunächst <strong>de</strong>n Sachver­<br />

halt <strong>de</strong>s Seins, d. h. die Uber-<strong>und</strong> Unterordnung auf Gr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r<br />

seinsmäßigen Vollkommenheit <strong>und</strong> Ausrüstung. Gott, <strong>de</strong>r alle<br />

Dinge schaffen <strong>und</strong> in ihrer Substanz verän<strong>de</strong>rn kann, beweist<br />

damit eine absolute Herrschergewalt über jegliches Sein. Er ist<br />

also Eigentümer aller Dinge im vollen<strong>de</strong>tsten Maß. Der Mensch<br />

besitzt solche Machtausrüstung nicht. Man kann daher auch<br />

nicht sagen, daß er die Substanz besäße. Natürlich drängt sich<br />

hier sogleich die Frage auf, ob damit auch gesagt sei, daß <strong>de</strong>r<br />

Mensch die Substanz überhaupt niemals besitze, etwa im Sinne<br />

<strong>de</strong>s Agrarsozialismus, wonach je<strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>r Kultivierung <strong>de</strong>s<br />

Bo<strong>de</strong>ns nur <strong>de</strong>n unmittelbaren Ertrag seiner Arbeit ziehen, nie­<br />

mals aber <strong>de</strong>n Bo<strong>de</strong>n als eigen betrachten kann.<br />

Wenngleich die äußeren Dinge <strong>de</strong>m Menschen nicht in <strong>de</strong>r<br />

Weise unterstellt sind wie Gott, so haben sie ihm doch zu die­<br />

nen, <strong>de</strong>nn „das Unvollkommenere ist immer um <strong>de</strong>s Vollkom­<br />

meneren willen". Der Mensch überragt die übrige sichtbare<br />

Schöpfung durch seine Vernunft, aufgr<strong>und</strong> <strong>de</strong>ren er Ebenbild<br />

Gottes ist. Er kann darum die Naturdinge in seinen Dienst neh­<br />

men, soweit er überhaupt an ihnen seine vernunftgemäße<br />

Überlegenheit beweisen kann. Wie aber sieht dieser Dienst <strong>de</strong>r<br />

Dinge aus? Thomas sagt schlicht: Auf Gr<strong>und</strong> seiner Vernunft<br />

<strong>und</strong> seines Willens kann <strong>de</strong>r Mensch die äußeren Dinge „ge­<br />

brauchen". Damit also beweist er seine naturgemäße Herr­<br />

schaft über sie. In diesem Sinne also ist er ihr Eigentümer.<br />

Soweit <strong>de</strong>r erste Artikel.<br />

351


Horväth drückt sich an einer Stelle seines Buches „Eigentumsrecht<br />

nach <strong>de</strong>m hl. Thomas von Aquin" (Graz 1929,56) so<br />

aus, als sehe er im ersten Artikel nicht mehr als das N<strong>utz</strong>recht.<br />

Vom Eigentum im Sinne <strong>de</strong>s Privateigentums sei dann erst im<br />

zweiten Artikel die Re<strong>de</strong>, wo Thomas frage, ob <strong>de</strong>r Mensch die<br />

äußeren Güter auch als Eigentum besitzen dürfe <strong>und</strong> in welcher<br />

Form, als Kollektiv- o<strong>de</strong>r Privateigentum. An<strong>de</strong>rerseits scheint<br />

dann Horväth <strong>de</strong>n Begriff <strong>de</strong>r N<strong>utz</strong>ung, wie er im ersten Artikel<br />

steht, doch wie<strong>de</strong>r nicht in diesem engen Sinn zu verstehen, als<br />

N<strong>utz</strong>ung, die gegen <strong>de</strong>n Besitz streng abgetrennt ist. Sofern er<br />

wirklich unter N<strong>utz</strong>ung ein In-Dienst-Nehmen, soweit es überhaupt<br />

menschenmöglich ist, verstehen wollte, wür<strong>de</strong> er sich <strong>de</strong>r<br />

dritten, noch zu erwähnen<strong>de</strong>n Meinung nähern. Auf je<strong>de</strong>n Fall<br />

entbehren seine Darlegungen <strong>de</strong>r nötigen Präzision.<br />

Der überwiegen<strong>de</strong> Teil <strong>de</strong>r Erklärer sieht im ersten Artikel<br />

bereits das <strong>Recht</strong> auf Eigentum im Sinne <strong>de</strong>s Naturrechts ausgesprochen,<br />

also im Sinn <strong>de</strong>r Frage: Ist Besitz, nicht nur<br />

Gebrauch, von äußeren Gütern für <strong>de</strong>n Menschen naturgemäß?<br />

Und zwar wäre damit zugleich auch das gr<strong>und</strong>sätzliche <strong>Recht</strong><br />

auf Privateigentum mitverstan<strong>de</strong>n (nicht nur etwa die von Horväth<br />

erwähnte „Eigentums/ä'^'g&eir", son<strong>de</strong>rn das Eigentumsrecht),<br />

<strong>und</strong> zwar im Sinn <strong>de</strong>s mo<strong>de</strong>rnen Individualrechts, so<br />

daß im zweiten Artikel nur noch die soziale Angemessenheit im<br />

Rahmen <strong>de</strong>s Gemeinwohls besprochen wür<strong>de</strong>. Es ist dies die<br />

Erklärung, die durchweg von <strong>de</strong>n Autoren gehalten wird,<br />

welche die leoninische Eigentumsauffassung unmittelbar bei<br />

Thomas beheimatet glauben.<br />

Es besteht aber noch die Möglichkeit einer dritten Erklärung,<br />

die besagt, daß Thomas im ersten Artikel überhaupt noch nicht<br />

an <strong>de</strong>n individuellen Menschen <strong>de</strong>nke, son<strong>de</strong>rn an <strong>de</strong>n Menschen<br />

als solchen, an die persona <strong>und</strong> natura humana im allgemeinen,<br />

in welcher <strong>de</strong>r individuelle Mensch nur potentiell ausgesprochen<br />

ist, <strong>und</strong> dann meine, daß in dieser Sicht <strong>de</strong>r Mensch<br />

die Güter ben<strong>utz</strong>en <strong>und</strong> in Dienst nehmen könne, soweit es<br />

überhaupt möglich sei, wobei „Können" zugleich ethisch zu<br />

verstehen ist (nicht rechtlich im Sinn <strong>de</strong>r Abgrenzung von<br />

Mensch zu Mensch). Es kann also nach dieser Erklärung im<br />

Gegensatz zur zweiten, noch keine Re<strong>de</strong> sein von einem<br />

„Naturrecht" auf Privateigentum. Dieses ist zwar gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

nicht ausgeschlossen. Um aber dazu zu gelangen, bedarf es<br />

noch eines langen Weges rechtslogischer Überlegungen, inner-<br />

352


halb <strong>de</strong>ren die soziologische Struktur <strong>de</strong>r Menschheit im Ge­<br />

samten <strong>und</strong> <strong>de</strong>r jeweiligen Wirtschaft eine entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Rolle<br />

spielt.<br />

Diese dritte Erklärungsweise <strong>de</strong>s ersten Artikels wird sich<br />

aus geschichtlich zwingen<strong>de</strong>n Grün<strong>de</strong>n als die einzig haltbare<br />

erweisen. Wie wenig Thomas die private Aufteilung <strong>de</strong>r äuße­<br />

ren Güter als naturrechtlich gegeben betrachtet, beweist die<br />

Antwort auf <strong>de</strong>n ersten Einwand im zweiten Artikel, wo er un­<br />

verhohlen sagt, es gebe aufgr<strong>und</strong> <strong>de</strong>s Naturrechts keine Unter­<br />

scheidung <strong>de</strong>s Besitzes, son<strong>de</strong>rn mehr aufgr<strong>und</strong> menschlicher<br />

Verfügung, <strong>und</strong> das gehöre in <strong>de</strong>n Bereich <strong>de</strong>s gesatzten <strong>Recht</strong>s.<br />

Die drei Grün<strong>de</strong>, welche Thomas im zweiten Artikel für die<br />

Notwendigkeit <strong>de</strong>r privaten Eigentumsordnung anführt, stam­<br />

men sämtlich nicht aus <strong>de</strong>m Bereich, <strong>de</strong>n man heute allgemein<br />

als naturrechtlich bezeichnet. Er sagt hierbei, daß die Verfügung<br />

<strong>und</strong> die Verwaltung besser <strong>und</strong> n<strong>utz</strong>bringen<strong>de</strong>r in privaten<br />

Hän<strong>de</strong>n sei, weil so 1. <strong>de</strong>r Fleiß <strong>de</strong>r Menschen mehr angefacht<br />

wer<strong>de</strong>, als wenn alles gemeinsam sei; 2. die Güter besser behan­<br />

<strong>de</strong>lt wür<strong>de</strong>n, wenn ein je<strong>de</strong>r für sich selbst zu sorgen habe;<br />

3. <strong>de</strong>r Frie<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r Gesellschaft sicherer gewährleistet sei.<br />

Was ist mit diesen Grün<strong>de</strong>n gemeint? Etwa die in <strong>de</strong>r christ­<br />

lichen Tradition übliche Formel, daß das Privateigentum<br />

irgendwie eine Sün<strong>de</strong> sei?<br />

L. <strong>de</strong> Sousberghe 1 bringt eine geistreiche Erklärung, die in<br />

manchen Punkten die Lehre <strong>de</strong>s hl. Thomas trifft, aber doch<br />

nicht ganz auf <strong>de</strong>n Gr<strong>und</strong> stößt. Er meint, daß Thomas sowohl<br />

die Gemeinschaft wie die Aufteilung <strong>de</strong>r Güter naturrechtlich<br />

nenne. Die Aufteilung <strong>de</strong>r Güter sei <strong>de</strong>r unabdingbare Weg, um<br />

die von <strong>de</strong>r Natur als i<strong>de</strong>al angestrebte Gemeinn<strong>utz</strong>ung zu ver­<br />

wirklichen. Richtig ist, daß die Aufteilung <strong>de</strong>r Güter nach Tho­<br />

mas (vgl. weiter unten) nicht irgen<strong>de</strong>inem egoistischen Inter­<br />

esse einzelner Besitzer dienen soll, son<strong>de</strong>rn ein soziales Prinzip<br />

ist, um die Gemeinschaft zu stabilisieren. Eine an<strong>de</strong>re Frage<br />

aber ist, ob es Thomas jemals eingefallen wäre, ohne Unter­<br />

scheidung zu erklären, sowohl Gemeinsamkeit als auch Auftei­<br />

lung <strong>de</strong>r Güter seien naturrechtlicher Art. Was Sousberghe aus<br />

Thomas herausliest, ist ohne Zweifel eine aus allgemein thoma­<br />

sischen Prinzipien richtige Folgerung. Es braucht aber dazu<br />

Propriete „<strong>de</strong> Droit naturel". These neo-scolastique et tradition scolastique.<br />

in: Nouvelle Revue Theologique 72 (1950) 580-607.<br />

353


einer gründlichen Entwicklung <strong>de</strong>r Gedanken. Thomas selbst<br />

hätte sich nicht in dieser Weise ausgedrückt. Seinem Denken<br />

entsprach, wie wir noch sehen wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r Ansatz beim<br />

Gemeinschaftlichen, nicht beim Privaten. Er mußte also das<br />

Private auf einer an<strong>de</strong>rn Ebene erkennen, d. h. er konnte nicht<br />

im gleichen Sinne <strong>und</strong> auf gleicher Abstraktionsebene das<br />

Gemeinschaftliche <strong>und</strong> das Private als „naturrechtlich" bezeich­<br />

nen.<br />

Wir sind heute gewohnt, das Privateigentum als eine natur­<br />

rechtliche Institution zu bezeichenen. Dabei sind wir uns aber<br />

nicht ganz im klaren, in welcher Weise wir eigentlich von einem<br />

Naturrecht auf Privateigentum sprechen. Diese schon im<br />

mo<strong>de</strong>rnen Sprachgebrauch unklare Ausdrucksweise übertra­<br />

gen wir nun noch auf das Mittelalter <strong>und</strong> glauben, <strong>de</strong>r hl. Tho­<br />

mas habe dieselbe Lehre vorgetragen wie wir heute.<br />

Um Thomas <strong>und</strong> auch uns selbst zu verstehen, sind zwei<br />

Dinge vorausgesetzt: 1. daß wir unsere mo<strong>de</strong>rne Terminologie<br />

abklären <strong>und</strong> ihre Assoziationen bewußt begreifen; 2. daß wir<br />

die thomasischen Begriffe <strong>und</strong> Denkweisen im Zusammenhang<br />

mit <strong>de</strong>r gesamten christlichen Tradition studieren, <strong>de</strong>nn allein<br />

von dort aus sind sie zu verstehen. Wir wer<strong>de</strong>n uns bei diesen<br />

geschichtlichen Untersuchungen stets bewußt wer<strong>de</strong>n müssen,<br />

wie verschie<strong>de</strong>n die Schauweise <strong>de</strong>r Alten gegenüber unser ist.<br />

2. DAS EIGENTUM ALS NATURRECHT IN DER MODERNEN SCHAUWEISE<br />

Leo XIII. besteht auf <strong>de</strong>r unzwei<strong>de</strong>utigen Formulierung, daß<br />

<strong>de</strong>r Mensch das <strong>Recht</strong> zum Besitz privaten Eigentums von <strong>de</strong>r<br />

Natur erhalten habe. Die dafür angeführten Grün<strong>de</strong> sind<br />

geschichtlich, wie wir sehen wer<strong>de</strong>n, überaus aufschlußreich.<br />

Der Papst führt zunächst drei Grün<strong>de</strong> an: a) die Vernunftnatur<br />

<strong>de</strong>s Menschen, b) die Freiheit <strong>de</strong>s Menschen, c) die Arbeits­<br />

pflicht.<br />

a) Es möchte vielleicht scheinen, daß die bei<strong>de</strong>n ersten Be­<br />

gründungen ungefähr auf das hinauskämen, was Thomas im<br />

ersten Artikel darstellt, wenn er sagt, daß <strong>de</strong>r Mensch „mit Ver­<br />

nunft <strong>und</strong> freiem Willen" die Dinge dieser Welt gebrauche. Der<br />

Zusammenhang, d. h. die gedankliche Assoziation, ist jedoch<br />

ein an<strong>de</strong>rer. Während Thomas im ersten Artikel <strong>de</strong>n Menschen<br />

überhaupt im Auge hat, wie er im Unterschied zu Gott <strong>de</strong>n<br />

äußeren Dingen gegenübersteht, will Leo XIII. hier aus <strong>de</strong>r<br />

354


Wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Menschen, wie sie je<strong>de</strong>m Menschen im einzelnen (!)<br />

zukommt, das <strong>Recht</strong> nachweisen, daß <strong>de</strong>r Mensch, besser<br />

gesagt: je<strong>de</strong>r Einzelmensch, die Dinge nicht nur wie die Tiere<br />

gebraucht, son<strong>de</strong>rn besitzt <strong>und</strong> für sich beansprucht. Wir fin<strong>de</strong>n<br />

hier in einem kirchlichen Dokument bereits einen Nie<strong>de</strong>rschlag<br />

<strong>de</strong>r Menschenrechtsi<strong>de</strong>e, wie sie von <strong>de</strong>n englischen Philoso­<br />

phen entwickelt wor<strong>de</strong>n ist, <strong>und</strong> zwar einen Nie<strong>de</strong>rschlag im<br />

guten Sinne, im Sinne <strong>de</strong>r Konkretisierung <strong>de</strong>r abstrakten Frei­<br />

heitsrechte <strong>de</strong>s Mittelalters. Ohne das, was später zu behan<strong>de</strong>ln<br />

ist, vorwegzunehmen, sei doch schon gesagt, daß es Thomas<br />

niemals eingefallen wäre, auf Gr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r Menschenwür<strong>de</strong> ein<br />

Freiheitsrecht für <strong>de</strong>n einzelnen zu behaupten, etwa mit <strong>de</strong>r<br />

Erklärung, zuerst habe ein je<strong>de</strong>r einzelne seine naturrechtliche<br />

Freiheit <strong>und</strong> erst, sofern die Ordnung <strong>de</strong>r Gesellschaft gestört<br />

wer<strong>de</strong>, sei an einen Eingriff vom Kollektiv her zu <strong>de</strong>nken im<br />

Sinne <strong>de</strong>s Subsidiaritätsprinzips. Das Subsidiaritätsprinzip, von<br />

Pius XL im Anschluß an Leo XIII. erarbeitet, wur<strong>de</strong> erst dann<br />

zum notwendigen <strong>und</strong> „naturrechtlichen" Formprinzip <strong>de</strong>r<br />

Gesellschaft, nach<strong>de</strong>m man die abstrakte Philosophie vom<br />

Menschen in <strong>de</strong>n konkreten <strong>und</strong> kontingenten Bereich <strong>de</strong>r exi­<br />

stentiellen Ordnung herabgeholt hatte, nach<strong>de</strong>m man gelernt<br />

hatte, mit <strong>de</strong>m, was Thomas eigentlich schon ausgesprochen,<br />

aber in <strong>de</strong>r Gesellschaftslehre noch nicht durchgeführt hatte,<br />

Ernst zu machen, nämlich das Naturrecht als eine For<strong>de</strong>rung<br />

<strong>de</strong>r hier <strong>und</strong> jetzt leben<strong>de</strong>n menschlichen Natur—<strong>und</strong> nicht nur<br />

Natur, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>s hier <strong>und</strong> jetzt leben<strong>de</strong>n konkreten Men­<br />

schen — zu betrachten. Damit kommen wir von selbst in <strong>de</strong>n<br />

Bereich <strong>de</strong>s Individuums, zum Aufbau <strong>de</strong>r gesellschaftlichen<br />

<strong>und</strong> auch wirtschaftlichen Ordnung vom Privaten her. Aller­<br />

dings achte man auf die Akzentverschiebung: Dieses Natur­<br />

recht bewegt sich nicht mehr auf jener Ebene <strong>de</strong>r Abstraktion<br />

<strong>und</strong> Allgemeinheit, welche <strong>de</strong>r erste Artikel <strong>de</strong>s hl. Thomas ein­<br />

hält. Diese Entwicklung, die durchaus sachlich richtig ist, stand<br />

unmerklich unter <strong>de</strong>m Einfluß <strong>de</strong>r Liberalisten, die <strong>de</strong>r ameri­<br />

kanischen Verfassung ihren Begriff <strong>de</strong>r Menschenwür<strong>de</strong> gege­<br />

ben haben. Die katholische Doktrin hat durch <strong>de</strong>n Einbau <strong>de</strong>r<br />

sozialen For<strong>de</strong>rungen, beson<strong>de</strong>rs <strong>de</strong>r sozialen Belastung <strong>de</strong>s<br />

Eigentums, die dann Pius XL stärker hervorhob, die Irrtümer<br />

<strong>de</strong>s liberalen Denkens vermie<strong>de</strong>n <strong>und</strong> überw<strong>und</strong>en.<br />

b) Das zweite Argument, das Leo XIII. zugunsten <strong>de</strong>r natur­<br />

rechtlichen Begründung <strong>de</strong>s Privateigentums anführt, beweist<br />

355


66. 1/2 noch <strong>de</strong>utlicher, wie sehr sich die Anschauungen über <strong>de</strong>n Men­<br />

schen in <strong>de</strong>r Gemeinschaft entwickelt haben. Der Mensch wird<br />

als frei bezeichnet. Dabei ist zu beachten, es han<strong>de</strong>lt sich um<br />

je<strong>de</strong>n Menschen, nicht nur um <strong>de</strong>n Menschen an sich Gott ge­<br />

genüber, son<strong>de</strong>rn um <strong>de</strong>n Menschen unter Menschen. In diesem<br />

Sinne versteht Leo XIII. seine Worte: „Da <strong>de</strong>r Mensch mit sei­<br />

nem Denken unzählige Gegenstän<strong>de</strong> umfaßt, mit <strong>de</strong>n gegen­<br />

wärtigen die zukünftigen verbin<strong>de</strong>t <strong>und</strong> Herr seiner Handlun­<br />

gen ist, so bestimmt er unter <strong>de</strong>m ewigen Gesetz <strong>und</strong> unter <strong>de</strong>r<br />

allweisen Vorsehung Gottes sich selbst nach freiem Ermessen.<br />

Es liegt darum in seiner Macht, unter <strong>de</strong>n Dingen die Wahl zu<br />

treffen, die er zu seinem eigenen Wohl nicht allein für die<br />

Gegenwart, son<strong>de</strong>rn auch für die Zukunft als die ersprießlichste<br />

erachtet. Hieraus folgt: es müssen <strong>Recht</strong>e erworben wer<strong>de</strong>n<br />

können, nicht bloß auf Erzeugnisse, son<strong>de</strong>rn auch auf Eigen­<br />

tum am Bo<strong>de</strong>n selbst; <strong>de</strong>nn was <strong>de</strong>m Menschen sichere Aus­<br />

sicht auf künftigen Fortbestand seines Unterhalts verleiht, das<br />

ist nur <strong>de</strong>r Bo<strong>de</strong>n mit seiner Produktionskraft" (Rerum nova­<br />

rum, 6).<br />

Die Frage nach <strong>de</strong>m <strong>Recht</strong> auf Bo<strong>de</strong>nerwerb ist für uns au­<br />

genblicklich belanglos. Worauf es ankommt, ist zu zeigen, wie<br />

stark das Eigentumsrecht vom kontingenten Individuum her<br />

aufgefaßt wird. Der Mensch hat, so erklärt Leo XIII., erwor­<br />

bene <strong>Recht</strong>e auf bestimmte äußere Dinge, <strong>und</strong> diese erworbe­<br />

nen <strong>Recht</strong>e wer<strong>de</strong>n im Sinne von Naturrechten verstan<strong>de</strong>n, weil<br />

aus <strong>de</strong>r Freiheit <strong>de</strong>s Menschen folgend. „Der Mensch ist älter als<br />

<strong>de</strong>r Staat, <strong>und</strong> darum besaß er das <strong>Recht</strong> auf Erhaltung seines<br />

körperlichen Daseins, ehe es einen Staat gegeben hat" (Rerum<br />

novarum, a. a. O.). Es wird hier von Eigenrechten <strong>de</strong>s Individu­<br />

ums gegenüber „seinem" Staat gesprochen. Das will heißen: es<br />

geht nicht um <strong>de</strong>n Menschen als solchen <strong>und</strong> <strong>de</strong>n Staat als sol­<br />

chen, son<strong>de</strong>rn es geht um <strong>de</strong>n Menschen, <strong>de</strong>r in einem<br />

bestimmten Staate lebt. Denn nur in diesem Sinne gilt, daß <strong>de</strong>r<br />

Mensch vorher da war, „ehe es einen Staat gegeben hat". Es ist<br />

überaus bezeichnend für das mo<strong>de</strong>rne Denken, daß nicht mehr<br />

über die politische Gemeinschaft als solche philosophiert wird,<br />

son<strong>de</strong>rn über <strong>de</strong>n Staat, wie er nun einmal besteht, wie er<br />

gewor<strong>de</strong>n ist <strong>und</strong> wie er auch wie<strong>de</strong>r vergehen kann. Vor diesem<br />

Staat war <strong>de</strong>r Mensch! Und zwar <strong>de</strong>r Mensch mit <strong>Recht</strong>en, die<br />

seinem persönlichen, kontingenten, eben seinem frei gewollten<br />

Schaffen zu verdanken sind.<br />

356


Auch Thomas hat zwar von <strong>Recht</strong>en <strong>de</strong>s Einzelmenschen<br />

gesprochen, die <strong>de</strong>r Staat zu beachten hat. So spricht er vom<br />

<strong>Recht</strong> <strong>de</strong>s Menschen auf Leben, das vom Staat nicht angetastet<br />

wer<strong>de</strong>n darf, vom <strong>Recht</strong> auf Unversehrtheit <strong>de</strong>s Leibes, auf<br />

Freiheit usw. (vgl. Fr. 64 u. 65). Diese <strong>Recht</strong>e sind also auch<br />

„vor"-staatliche <strong>Recht</strong>e, insofern sie nicht durch das positive<br />

<strong>Recht</strong> gesetzt sind. Und doch han<strong>de</strong>lt es sich dabei nicht um<br />

vorstaatliche <strong>Recht</strong>e in <strong>de</strong>m Sinne, wie die mo<strong>de</strong>rne Formulie­<br />

rung von vorstaatlichen <strong>Recht</strong>en spricht. Es sind <strong>Recht</strong>san­<br />

sprüche <strong>de</strong>s einzelnen Menschen gegenüber <strong>de</strong>m Staat, an <strong>de</strong>s­<br />

sen Entstehung <strong>und</strong> Wer<strong>de</strong>n nicht gedacht wird <strong>und</strong> überhaupt<br />

nicht gedacht wer<strong>de</strong>n kann, weil er bereits in <strong>de</strong>r natura humana<br />

mitgegeben ist.<br />

Und wie <strong>de</strong>r Staat verschie<strong>de</strong>n gesehen ist, so auch das Indi­<br />

viduum. In <strong>de</strong>r thomasischen Sicht ist hier unter Individuum<br />

je<strong>de</strong>r Mensch in gleicher Weise zu verstehen, weil ein je<strong>de</strong>r<br />

gleichviel Mensch ist. In <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen Sicht ist damit je<strong>de</strong>r Ein­<br />

zelmensch differenziert gesehen mit seiner individuellen Lei­<br />

stung, mit allen kontingenten Ansprüchen, die irgendwie <strong>de</strong>n<br />

Stempel <strong>de</strong>s Persönlichen tragen (Besitz aus Erbschaft,<br />

Geschenk). All diese <strong>Recht</strong>e sind für uns Mo<strong>de</strong>rne nicht nur<br />

<strong>Recht</strong>e gegenüber <strong>de</strong>m Staat, son<strong>de</strong>rn „Naturrechte", die vor<br />

<strong>de</strong>r Bildung <strong>de</strong>s Staates liegen. Man merkt hier <strong>de</strong>utlich die<br />

Nachwirkungen <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>sphilosophie <strong>de</strong>s 18. <strong>und</strong> 19. Jahr­<br />

h<strong>und</strong>erts, <strong>de</strong>r die Menschenrechte im wahren Sinne Freiheits­<br />

rechte waren, Freiheit von Zwang, vom Eingriff durch staatliche<br />

Herrschaft. Wir stehen also — wenigstens im Ansatz <strong>de</strong>s Den­<br />

kens — in einem gewissen Liberalismus <strong>und</strong> Individualismus. Es<br />

gibt nun einmal, wie wir noch sehen wer<strong>de</strong>n, von jenem <strong>Recht</strong><br />

her, das auf <strong>de</strong>r abstrakten natura humana aufruht, für je<strong>de</strong> kon­<br />

krete <strong>Recht</strong>sordnung nur die Alternative: entwe<strong>de</strong>r beginnt<br />

man beim Kollektiv <strong>und</strong> sucht von hier aus <strong>de</strong>n Weg zur Wah­<br />

rung <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>e eines je<strong>de</strong>n, o<strong>de</strong>r man beginnt beim Indivi­<br />

duum <strong>und</strong> achtet weitblickend auf eventuelle Gefährdung <strong>de</strong>r<br />

Gemeinschaft. Aber ein Ordnungsprinzip muß man immer<br />

haben. Weltanschaulich, d. h. philosophisch gibt es nur diese<br />

bei<strong>de</strong>n Möglichkeiten: im Ansatz (!), d. h. vom Strukturprinzip<br />

her ist man entwe<strong>de</strong>r Kollektivist o<strong>de</strong>r Individualist. Damit ist<br />

keineswegs gesagt, daß es dabei bleiben müsse o<strong>de</strong>r dürfe. Es<br />

geht nur um <strong>de</strong>n Ansatz <strong>de</strong>s konkreten Gemeinschafts<strong>de</strong>nkens.<br />

Die Fülle <strong>de</strong>r Gemeinschaftsordnung kann niemals im Kollektiv<br />

357


<strong>und</strong> auch nicht im Individualistischen liegen. Wer die Gemein­<br />

schaft als <strong>de</strong>n letzten Sinn menschlichen Zusammenlebens<br />

ansieht (<strong>und</strong> nicht vielmehr das „gute Leben" im Sinne <strong>de</strong>r ethi­<br />

schen Vollkommenheit aller), <strong>de</strong>r ist Kollektivist im üblen<br />

Sinne, <strong>und</strong> wer die Freiheit <strong>de</strong>s Individuums nicht nur als Struk­<br />

turprinzip, son<strong>de</strong>rn auch als das Gesetz <strong>de</strong>r Erfüllung allen Zu­<br />

sammenlebens bezeichnen wür<strong>de</strong>, <strong>de</strong>r wäre Individualist <strong>und</strong><br />

Liberalist im üblen Sinne. Im Individualismus <strong>und</strong> Liberalis­<br />

mus liegt aber etwas, was die katholische Sozialdoktrin ruhig<br />

übernehmen konnte, weil es im Gr<strong>und</strong>e nichts an<strong>de</strong>res war als<br />

die Konsequenz aus großen, im mitteralterlichen Denken noch<br />

nicht entwickelten, aber vorhan<strong>de</strong>nen Sozialprinzipien. Aller­<br />

dings liegt auch im Kollektivismus etwas zu Erwägen<strong>de</strong>s, nicht<br />

zwar, daß er Strukturprinzip sei, aber daß er Rahmengebil<strong>de</strong> sei<br />

gegen das Überwuchern <strong>de</strong>s Individuums.<br />

Thomas hat, wie wir noch sehen wer<strong>de</strong>n, das Individualprin-<br />

zip als angemessen <strong>und</strong> <strong>de</strong>m Stand <strong>de</strong>r Dinge entsprechend<br />

bezeichnet (Art. 2). Er hat aber nicht daran gedacht, daraus eine<br />

Naturrechtsfrage zu machen. Dies lag seiner ethisch-finalen<br />

Betrachtung fern, in welcher <strong>de</strong>r aristotelische Gedanke gilt:<br />

„Der Staat ist <strong>de</strong>r Natur nach früher als die Familie <strong>und</strong> als <strong>de</strong>r<br />

einzelne Mensch, weil das Ganze früher sein muß als <strong>de</strong>r Teil"<br />

(Pol. 1,2). Für Thomas lag kein Gr<strong>und</strong> vor, von dieser ethisch­<br />

finalen Sicht abzugehen, weil <strong>de</strong>r Aufbau, also das aktuelle<br />

Gestalten von Gesellschaft <strong>und</strong> Staat, nicht zur Debatte stand.<br />

Die Gesellschaft bestand bereits in fester Ordnung, <strong>de</strong>r Staat<br />

war eine Gegebenheit. Die Ordnung, die da war, wur<strong>de</strong> nicht in<br />

Frage gestellt. Wir wer<strong>de</strong>n dies wie<strong>de</strong>rum bei <strong>de</strong>r thomasischen<br />

Auffassung von <strong>de</strong>r Preisbildung sehen. Es ging also <strong>de</strong>r prakti­<br />

schen Moral nur darum, die Menschen, die nun einmal in <strong>de</strong>m<br />

bestehen<strong>de</strong>n Staatsgebil<strong>de</strong> lebten, zu unterrichten, damit sie ihr<br />

Benehmen entsprechend <strong>de</strong>r ewigen I<strong>de</strong>e <strong>de</strong>s Gemeinwohls<br />

<strong>und</strong> <strong>de</strong>s Gemeinschaftslebens in eben dieser ihrer Gemeinschaft<br />

einrichteten. Aber Thomas dachte nicht an eine Umformung<br />

<strong>de</strong>s sozialen <strong>und</strong> politischen Lebens. Die soziale Revolution<br />

fällt in eine spätere Zeit. Und mit ihr war dann auch die recht­<br />

liche Frage <strong>de</strong>s Aufbaus gegeben. Mit ihr ergab sich das Indivi-<br />

dualprinzip als ein „vorstaatliches" <strong>Recht</strong>sprinzip, als ein Prin­<br />

zip <strong>de</strong>s Naturrechts.<br />

c) Als dritten Gr<strong>und</strong> für das Privateigentum als Naturrecht<br />

führt Leo XIIL. die Arbeit an. Der Papst spricht also nicht nur<br />

358


von einem <strong>Recht</strong> auf irgendwelchen Eigentumserwerb, son<strong>de</strong>rn 66. 1/2<br />

erklärt jene Dinge als naturrechtlich <strong>de</strong>m Einzelmenschen<br />

zugehörig, die dieser sich selbst erarbeitet hat. Damit wird also<br />

irgen<strong>de</strong>ine konkrete Aufteilung als naturrechtlich im Sinn von<br />

vorstaatlich bezeichnet, weil die Arbeit ein Naturrecht auf<br />

Eigentum erzeugt. Kann man ein<strong>de</strong>utiger das Individualprinzip<br />

zum Ausgangspunkt sozialen Aufbaus machen? Leo umgeht<br />

weise, wie bereits gesagt, die Gefahren <strong>de</strong>s Individualismus<br />

durch die Unterstellung dieses „Naturrechts" unter die Belange<br />

<strong>de</strong>s Gemeinwohls. Noch eindringlicher dann Pius XL in „Qua-<br />

dragesimo anno".<br />

L. <strong>de</strong> Sousberghe hat die Ansicht geäußert, daß die Begrün­<br />

dung <strong>de</strong>s Eigentumsrechts durch die Arbeit von Locke beein-<br />

flußt sei; weiter, daß diese Formel im thomasischen Denken<br />

überhaupt unvorstellbar gewesen sei: „Der Reichtum wur<strong>de</strong><br />

durch die Mittelalterlichen niemals als Frucht <strong>de</strong>r Arbeit, als<br />

gerechte Vergütung für die Arbeit aufgefaßt. Er war vielmehr<br />

normalerweise das Resultat einer rechtlichen Situation, welche<br />

das Individuum bei seiner Geburt als gegeben vorfand"<br />

(a.a.O. 590).<br />

Dies stimmt nun nicht ganz. Denn Thomas hat <strong>de</strong>r Arbeit<br />

eine ungeheure Be<strong>de</strong>utung im Eigentumserwerb zugesprochen,<br />

wenngleich wohl nicht jene, welche manche Vertreter <strong>de</strong>r<br />

Arbeitswertlehre ihm unterschieben (vgl. die Fragen 77 <strong>und</strong><br />

78). Wohl aber wäre Thomas niemals daraufgekommen, das<br />

durch Arbeit naturrechtlich erworbene Eigentum als „vorstaat­<br />

lich" zu bezeichnen, eben aus <strong>de</strong>r allgemeinen Sicht heraus, die<br />

für Thomas maßgebend war. Das eigentlich Neue o<strong>de</strong>r Revolu­<br />

tionäre an <strong>de</strong>r Lockeschen Auffassung liegt eben darin, daß die<br />

Arbeit als individuelle Leistung gegen die Eingriffe von seiten<br />

<strong>de</strong>s Staates völlig immun gemacht wird. Darin liegt auch das<br />

eigentlich individualistische Gepräge <strong>de</strong>r Lockeschen Theorie.<br />

Diese hatte, wie P. Larkin (Property in the eigtheenth Century,<br />

1930) ausgeführt hat, ihren Nährbo<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r neuen sozialen<br />

Situation Englands, im Konflikt, welchen die neuen gesell­<br />

schaftlichen Schichten unter <strong>de</strong>n Stuarts auszustehen hatten.<br />

Taparelli SJ. hat durch sein Werk „Saggio teoretico di diritto<br />

naturale appogiato sul fatto" (Palermo 1840, <strong>de</strong>utsch in Regens­<br />

burg bereits 1845) diese individualistische Anschauung <strong>de</strong>s Pri­<br />

vateigentums unter <strong>de</strong>n katholischen Moraltheologen schulge­<br />

recht gemacht. Im gleichen Sinne schrieb auch sein Or<strong>de</strong>nsmit-<br />

359


66. 1/2 bru<strong>de</strong>r Liberatore (Ethicae et juris naturae elementa, Napoli<br />

1846). Taparelli, <strong>de</strong>r als Erneuerer <strong>de</strong>r Scholastik gilt, kannte die<br />

Scholastiker kaum, dafür aber um so mehr seine liberalistischen<br />

Zeitgenossen. Doch darf man <strong>de</strong>n Einfluß Taparellis nicht über­<br />

schätzen, <strong>de</strong>nn die individualistische I<strong>de</strong>e vom Privateigentum<br />

als einem Naturrecht dieses o<strong>de</strong>r jenes Einzelmenschen gegen­<br />

über <strong>de</strong>m Staate entsprach durchweg <strong>de</strong>r allgemeinen Auffas­<br />

sung <strong>de</strong>r Menschenrechte als Freiheitsrechte, d. h. als <strong>Recht</strong>e, die<br />

von seiten <strong>de</strong>r Gemeinschaft unantastbar sind. Das Privateigen­<br />

tum als vorstaatliches Naturrecht war <strong>de</strong>r Refrain aller, auch<br />

<strong>und</strong> beson<strong>de</strong>rs <strong>de</strong>r katholischen Liberalisten. Mit welchem<br />

skeptischen Achselzucken wur<strong>de</strong> doch im Jahre 1891 die Lehre<br />

Leos XIII., daß <strong>de</strong>r Staat in die bestehen<strong>de</strong> Eigentumsordnung<br />

eingreifen könne, bei katholischen Unternehmern aufgenom­<br />

men! Geschichtlich gesehen, war die geistige Verbindung zu<br />

Thomas von Aquin abgebrochen. Die Verfechter <strong>de</strong>s Privat­<br />

eigentums als eines Naturrechts, in diesem verwan<strong>de</strong>lten Sinn<br />

individuellen Freiheitsrechts, hatten selbst keine innere Bezie­<br />

hung zu Thomas <strong>und</strong> <strong>de</strong>m Mittelalter. Dies gilt auch <strong>und</strong> gera<strong>de</strong><br />

von Taparelli.<br />

Und <strong>de</strong>nnoch steht <strong>de</strong>r Liberalismus in einem objektiven<br />

inneren Verhältnis zur Tradition, 2 insofern er eine, allerdings<br />

einseitige Entfaltung von gesellschaftsethischen Gr<strong>und</strong>sätzen<br />

<strong>de</strong>s Mittelalters in einer neuen weltanschaulichen <strong>und</strong> religiösen<br />

Umwelt darstellt. Als die Gesellschaft sich nicht mehr an Rom<br />

orientierte, verschwand die Autorität, welche als gotterwählte<br />

Deuterin <strong>de</strong>s Naturrechts galt. Es mußte notgedrungen jene<br />

Instanz in Kraft treten, welche die „naturgemäße" war, nämlich<br />

die Vernunft. Allerdings war es diesmal nicht mehr die Vernunft<br />

<strong>de</strong>r natura humana als solche, an welche Thomas noch dachte,<br />

son<strong>de</strong>rn die Vernunft eines je<strong>de</strong>n einzelnen, weil keiner von<br />

Natur zum Richter über <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>rn bestellt wur<strong>de</strong>. Die Wür<strong>de</strong><br />

<strong>de</strong>s Menschen konnte nur noch verteidigt wer<strong>de</strong>n durch <strong>de</strong>n<br />

Menschen selbst, <strong>de</strong>r sie trug, d. h. durch <strong>de</strong>n einzelnen.<br />

Diese notwendige Folge eines weltanschaulichen Wan<strong>de</strong>ls in<br />

<strong>de</strong>r Gesellschaft fand ihre Formulierung in <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen<br />

Erklärungen <strong>de</strong>r Freiheitsrechte, sowohl in Amerika wie in<br />

2 Die Beziehung <strong>de</strong>r katholischen Soziallehre zum Liberalismus behan<strong>de</strong>lt<br />

A. Rauscher, Katholische Soziallehre <strong>und</strong> liberale Wirtschaftsauffassung, in:<br />

A.Rauscher, Hrg., Selbstinteresse <strong>und</strong> Gemeinwohl, Berlin 1985, 279—318.<br />

360


Europa. Im Gr<strong>und</strong>e war diese Sicht nichts an<strong>de</strong>res als eine kon- 66. 1/2<br />

sequente Anwendung <strong>de</strong>r thomasischen Lehre von <strong>de</strong>r Ver­<br />

nunft als <strong>de</strong>r entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Richterin in Naturrechtsfragen<br />

auf eine konkrete gesellschaftliche Situation. Die Liberalisten<br />

hätten nur <strong>de</strong>n naturrechtlichen Gegenpol <strong>de</strong>s Individuums<br />

nicht übersehen dürfen: die Gemeinschaft mit ihrer positiven<br />

Kulturaufgabe. Und ebenso hätten die Verfasser <strong>de</strong>r scholasti­<br />

schen Handbücher die Rückorientierung an <strong>de</strong>r thomasischen<br />

Eigentumslehre früher vornehmen müssen, um die soziale<br />

Belastung als noch tiefer im Naturrecht verankert zu erkennen<br />

als das vorstaatliche Individualrecht; dann wäre wohl die<br />

Enzyklika „Rerum novarum" früher vorbereitet wor<strong>de</strong>n.<br />

d) Die drei erwähnten Grün<strong>de</strong> für das Privateigentum als<br />

Naturrecht wer<strong>de</strong>n von Leo XIII. noch durch zwei an<strong>de</strong>re<br />

ergänzt, die nicht auf <strong>de</strong>rselben Linie stehen wie die drei<br />

genannten <strong>und</strong> auch unter sich ansehnliche Verschie<strong>de</strong>nheiten<br />

aufweisen.<br />

Der erste <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n geht auf das Naturrecht eines je<strong>de</strong>n<br />

Menschen zurück, in freier Entscheidung eine Familie grün<strong>de</strong>n<br />

zu können: „Wenn je<strong>de</strong>m Menschen, wie gezeigt wur<strong>de</strong>, als<br />

Einzelwesen die Natur das <strong>Recht</strong>, Eigentum zu besitzen, verlie­<br />

hen hat, so muß sich dieses <strong>Recht</strong> auch im Menschen, insofern<br />

er Haupt einer Familie ist, fin<strong>de</strong>n. Ja, das <strong>Recht</strong> besitzt im Fami­<br />

lienhaupte noch mehr Energie, weil <strong>de</strong>r Mensch sich im häus­<br />

lichen Kreise gleichsam aus<strong>de</strong>hnt" (Rerum novarum, 9). Es<br />

wird hier im Namen einer vorstaatlichen Gesellschaft etwas<br />

proklamiert, das die Unabhängigkeit vom Staate garantieren<br />

soll. Der Familienvater soll frei sein von je<strong>de</strong>r Bevorm<strong>und</strong>ung<br />

durch <strong>de</strong>n Staat, er soll darum die Gemeinschaft, die er gegrün­<br />

<strong>de</strong>t hat, auf weite Sicht wirtschaftlich abstützen können. Er soll<br />

nicht nur selbst Eigentum im Namen <strong>de</strong>r Familie als sein eige­<br />

nes <strong>Recht</strong> betrachten dürfen, son<strong>de</strong>rn auch über seine Lebens­<br />

zeit hinweg die Familie als wirtschaftlich freie Gemeinschaft<br />

sichern dürfen, in<strong>de</strong>m er ihr Eigentum als Erbschaft hinterläßt.<br />

Auffallend ist hier, daß zwischen Individuum <strong>und</strong> Staat nun ein<br />

gesellschaftliches Element auftaucht, welches ebenfalls eine Au­<br />

tonomie besitzt. Pius XL wird diesen unpolitischen gesell­<br />

schaftlichen Raum noch mehr ausbauen in seiner Lehre von <strong>de</strong>r<br />

berufsständischen Ordnung. All das zeigt, wie weit wir von <strong>de</strong>r<br />

thomasischen Sicht abrücken, abrücken nicht im Sinne von<br />

„wi<strong>de</strong>rsprechen", son<strong>de</strong>rn von entwickeln <strong>und</strong> entfalten. Tho-<br />

361


66. 1/2 mas hatte in seiner finalbetonten, d. h. ethisch-i<strong>de</strong>alen Auffas­<br />

sung <strong>de</strong>r gesellschaftlichen Ordnung noch keinen autonomen<br />

Raum einräumen können. Man kann sich diese neue Sicht <strong>de</strong>s<br />

Staatlichen von <strong>de</strong>m vorstaatlichen <strong>Recht</strong> her nicht genug klar­<br />

machen, um davor bewahrt zu wer<strong>de</strong>n, Thomastexte, die sich<br />

irgendwie mit <strong>de</strong>m Problem <strong>de</strong>r Gemeinschaft <strong>und</strong> <strong>de</strong>s Einzel­<br />

menschen befassen, genau so, wie sie lauten, auf mo<strong>de</strong>rne<br />

Fragestellungen zu übertragen. Die ungeheure geistesge­<br />

schichtliche Entwicklung spiegelt etwa folgen<strong>de</strong>r Passus aus<br />

„Rerum novarum" (9) wi<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>n wir uns niemals in dieser Fas­<br />

sung in <strong>de</strong>r Summa <strong>de</strong>s hl. Thomas vorstellen könnten: „Die<br />

Familie, die häusliche Gesellschaft, ist eine wahre Gesellschaft<br />

mit allen <strong>Recht</strong>en <strong>de</strong>rselben, sie ist älter als jegliches an<strong>de</strong>re<br />

Gemeinwesen, <strong>und</strong> <strong>de</strong>shalb besitzt sie unabhängig vom Staate<br />

ihre innewohnen<strong>de</strong>n <strong>Recht</strong>e <strong>und</strong> Pflichten."<br />

Das heißt an<strong>de</strong>rerseits nicht, daß er die gesellschaftliche<br />

Ordnung zur politischen erklärt habe. Aristoteles folgend<br />

erkannte er gesellschaftliche Gebil<strong>de</strong> innerhalb <strong>de</strong>s Gemein­<br />

wohls <strong>und</strong> die Notwendigkeit von nicht-staatlichen Hand­<br />

lungsbereichen. In <strong>de</strong>r Frage, wer für die Bestimmung <strong>de</strong>r Reli­<br />

gion <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s zuständig sei, sprach er sich für das <strong>Recht</strong> <strong>de</strong>r<br />

Eltern, nicht etwa wie Johannes Duns Skotus für das <strong>de</strong>s Fürsten<br />

aus. 3 Seine Argumente für das Privateigentum weisen ebenfalls<br />

auf die Wertschätzung <strong>de</strong>r persönlichen Verantwortung gegen­<br />

über kollektiven Eingriffen hin. All das ist aber gesehen vom<br />

wertgefüllten <strong>und</strong> strukturierten Gemeinwohl aus. Dieses<br />

erklärt er gegen Aristoteles als vorstaatlich, d. h. <strong>de</strong>n Staat bin­<br />

<strong>de</strong>nd. 4 Der Ansatz seiner Sozialphilosophie ist das Gemein­<br />

wohl, von <strong>de</strong>m aus er zu <strong>de</strong>n subjektiven <strong>Recht</strong>en vorstößt,<br />

nicht umgekehrt wie im mo<strong>de</strong>rnen rechtsstaatlichen Denken<br />

von <strong>de</strong>n subjektiven <strong>Recht</strong>en zum Gemeinwohl, <strong>de</strong>r sogenann-<br />

ten „sozialen Belastung".<br />

e) Der zweite <strong>de</strong>r noch beigefügten Grün<strong>de</strong> für das Privatei­<br />

gentum <strong>und</strong> gegen das Kollektivsystem hat eine eigene<br />

Bewandtnis^ Er sieht nämlich vom vorstaatlichen <strong>Recht</strong>, wie es<br />

bisher besprochen wur<strong>de</strong>, ab <strong>und</strong> betrachtet das gesellschaft­<br />

liche Ordnungsganze: „Aber sieht man selbst von <strong>de</strong>r Unge­<br />

rechtigkeit ab, so ist ebensowenig zu leugnen, daß dieses<br />

3 Vgl. A.F. Utz, Sozialethik, Teil III, 131.<br />

4 Vgl. A.F.Utz, Sozialethik, Teil I, 202.<br />

362


System in allen Schichten <strong>de</strong>r Gesellschaft Verwirrung herbei­<br />

führen wür<strong>de</strong>. Eine unerträgliche Beengung aller, eine skla­<br />

vische Abhängigkeit wür<strong>de</strong> die Folge <strong>de</strong>s Versuchs seiner<br />

Anwendung sein. Es wür<strong>de</strong> gegenseitiger Mißgunst, Zwietracht<br />

<strong>und</strong> Verfolgung Tür <strong>und</strong> Tor geöffnet. Mit <strong>de</strong>m Wegfall <strong>de</strong>s<br />

Ansporns zu Strebsamkeit <strong>und</strong> Fleiß wür<strong>de</strong>n auch die Quellen<br />

<strong>de</strong>s Wohlstands versiegen. Aus <strong>de</strong>r eingebil<strong>de</strong>ten Gleichheit<br />

aller wür<strong>de</strong> nichts an<strong>de</strong>res als <strong>de</strong>rselbe klägliche Zustand <strong>de</strong>r<br />

Entwürdigung aller" (Rerum novarum, 12). Damit wer<strong>de</strong>n im<br />

wesentlichen die von Thomas in Art. 2 angeführten drei Ange-<br />

messenheits- <strong>und</strong> Notwendigkeitsgrün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r privaten Eigen­<br />

tumsordnung genannt, allerdings mit <strong>de</strong>r Beimischung <strong>de</strong>r<br />

bereits dargestellten Lehre <strong>de</strong>r Menschenwür<strong>de</strong> im mo<strong>de</strong>rnen<br />

Sinn <strong>de</strong>r Individualrechte. Die soziale Ordnung verlangt <strong>de</strong>n<br />

Ansatz beim Individuum. Das Individualprinzip ist darum in<br />

Wahrheit ein Sozialprinzip. Dies hat nichts mit <strong>de</strong>m wirtschaft­<br />

lichen Automatismus <strong>de</strong>r Liberalisten zu tun, als ob das wirt­<br />

schaftliche Gleichgewicht ein Resultat <strong>de</strong>r ungeregelten wirt­<br />

schaftlichen Freiheit sei. Im Individualismus <strong>und</strong> Liberalismus<br />

ist das Individualprinzip nicht nur ein Sozialprinzip im Sinn<br />

einer Gr<strong>und</strong>norm, nicht nur Ansatz <strong>und</strong> Ausgangspunkt <strong>de</strong>s<br />

Sozial<strong>de</strong>nkens, Prinzip also im eigentlichen Sinn von princi-<br />

pium = Anfang, son<strong>de</strong>rn auch En<strong>de</strong>, Vollendung <strong>de</strong>r wirtschaft­<br />

lichen <strong>und</strong> sozialen Ordnung.<br />

Mit <strong>de</strong>m Augenblick, da <strong>de</strong>r Nachweis erbracht ist, daß das<br />

Individualprinzip um <strong>de</strong>r sozialen Ordnung willen gefor<strong>de</strong>rt<br />

ist, kann man mit <strong>Recht</strong> die Menschenwür<strong>de</strong>, wie sie auf <strong>de</strong>r<br />

Linie <strong>de</strong>r natura humana als solcher für je<strong>de</strong>n Menschen<br />

zunächst in gleicherweise gilt, in die konkrete Situation weiter­<br />

<strong>de</strong>nken <strong>und</strong> auf dieser lebensnäheren Basis zum Naturrecht<br />

erklären. Dies hat Leo XIII. getan. Dazu war die Zeit <strong>de</strong>s hl.<br />

Thomas noch nicht reif. Es bedurfte hierzu <strong>de</strong>r sozialen Revolu­<br />

tion, wie sie die Industrialisierung <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Liberalismus mit<br />

sich brachten. Bei Thomas fin<strong>de</strong>n sich aber alle dazu notwendi­<br />

gen Denkelemente.<br />

f) Johannes Paul II. verweist in <strong>de</strong>r Enzyklika Laborem exer­<br />

cens (15) auf die Eigentumslehre <strong>de</strong>s hl. Thomas (II—II 66,2,<br />

nicht, wie es in verschie<strong>de</strong>nen Ausgaben heißt, II—II 65,2). Er<br />

gibt ihr aber eine ganz eigene Interpretation. Die logische Folge<br />

seiner Darlegung ist folgen<strong>de</strong>: l.die Produktionsmittel sind<br />

wesentlich bezogen auf die arbeiten<strong>de</strong> Person, 2. die Mißach-<br />

363


tung dieses Bezuges hat wirtschaftliche <strong>und</strong> gesellschaftliche,<br />

überhaupt allgemein menschliche Schä<strong>de</strong>n zur Folge. Für das<br />

zweite Glied dieses Gedankenprozesses wird die Lehre <strong>de</strong>s hl.<br />

Thomas angeführt. Daß die volle Beachtung <strong>de</strong>s personalen<br />

Wertes <strong>de</strong>m Wirtschaftssystem <strong>und</strong> <strong>de</strong>m Produktionsprozeß<br />

nur zum Vorteil gereiche, sei, so sagt <strong>de</strong>r Papst (Nr. 15), vor<br />

allem <strong>de</strong>r Gr<strong>und</strong>, <strong>de</strong>r nach <strong>de</strong>m hl. Thomas von Aquin für das<br />

Privateigentum spreche.<br />

Thomas hat sein Argument zugunsten <strong>de</strong>r privaten Eigen­<br />

tumsordnung nicht mit <strong>de</strong>m Bezug Produktionsmittel —Arbeit<br />

begonnen, son<strong>de</strong>rn mit <strong>de</strong>r Relation Produktionsmittel zur<br />

Produktivität <strong>und</strong> <strong>de</strong>m sozialen Frie<strong>de</strong>n. Ihm kam es in erster<br />

Linie auf die objektive Seite <strong>de</strong>r Arbeit, genauer: <strong>de</strong>r Disposi­<br />

tionsgewalt über die Produktionsmittel im Hinblick auf die<br />

objektiven Folgen an: Das gottgewollte Ziel, nämlich <strong>de</strong>ren<br />

produktivste Verwendung zum Besten aller, wird sicherer<br />

erreicht, wenn <strong>de</strong>r einzelne Mensch Eigentümer ist <strong>und</strong> damit<br />

hautnah die Konsequenzen unproduktiven Umgangs mit <strong>de</strong>n<br />

Gütern spürt (Risikobindung). Dies heißt natürlich, daß <strong>de</strong>r<br />

personale Bezug <strong>de</strong>r Produktionsmittel zum Menschen her­<br />

gestellt wer<strong>de</strong>n muß. Der Bezug zum arbeiten<strong>de</strong>n Menschen ist<br />

hierbei miteingeschlossen. Gemeint ist aber gr<strong>und</strong>sätzlich <strong>de</strong>r<br />

personale Bezug zum disponieren<strong>de</strong>n, verwalten<strong>de</strong>n Men­<br />

schen, <strong>de</strong>r nach Thomas nur als Eigentümer begriffen wer<strong>de</strong>n<br />

kann. Ein vom Gemeineigentum beherrschtes Wirtschaftssy­<br />

stem wäre keine Ordnung, wie sie Thomas vorsieht. Die mög­<br />

lichste Annäherung <strong>de</strong>r Produktionsmittel an <strong>de</strong>n Arbeiter im<br />

Sinn <strong>de</strong>r Partizipation an <strong>de</strong>r Leitung gälte gemäß Thomas als<br />

Kompromißfor<strong>de</strong>rung an ein System, das gr<strong>und</strong>sätzlich auf<br />

<strong>de</strong>m Gemeineigentum grün<strong>de</strong>t, damit wenigstens soviel<br />

erreicht wür<strong>de</strong>, daß <strong>de</strong>r Arbeiter das Bewußtsein gewänne, „in<br />

eigener Sache" zu arbeiten.<br />

Warum diese Akzentverschiebung in <strong>de</strong>r Eigentumslehre<br />

Johannes Pauls II. im Vergleich zu Thomas von Aquin <strong>und</strong> auch<br />

zu Leo XIII. ? Während es Thomas von Aquin darum ging, eine<br />

Wirtschaftsordnung in ihren Gr<strong>und</strong>zügen zu entwerfen, <strong>und</strong> es<br />

Leo XIII. darauf ankam, das Wirtschaftssystem <strong>de</strong>s Sozialis­<br />

mus zu wi<strong>de</strong>rlegen, will Johannes Paul II. ein für alle aktuellen<br />

Systeme gültiges Kriterium benennen, wonach man ein System,<br />

welches immer es sein mag, als menschenwürdig beurteilen<br />

kann. Das Kriterium heißt „die Wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>s arbeiten<strong>de</strong>n Men-<br />

364


sehen". Die Absicht etwa, die mit <strong>de</strong>m Privateigentum über 66. 1/2<br />

Produktionsmittel verb<strong>und</strong>ene Marktwirtschaft als das <strong>de</strong>m<br />

Menschen konforme Wirtschaftssystem nachzuweisen, liegt<br />

nicht im Gedankengang <strong>de</strong>r Enzyklika „Laborem exercens".<br />

Wenn Johannes Paul II. <strong>de</strong>n Kommunismus unter <strong>de</strong>m strengen<br />

Gesichtspunkt <strong>de</strong>s Wirtschaftssystems hätte angreifen wollen,<br />

hätte er wie etwa Thomas von Aquin die ökonomische Seite an<br />

<strong>de</strong>n Anfang stellen müssen. Er hat, wie gesagt, diesen Gesichts­<br />

punkt nur indirekt o<strong>de</strong>r mittelbar angesprochen. Sein Gedan­<br />

kengang zerstört durchaus nicht die traditionell gesicherten<br />

Aussagen <strong>de</strong>r katholischen Soziallehre. Es bleibt je<strong>de</strong>m Papst<br />

anheimgestellt, die katholische Soziallehre im Hinblick auf ein<br />

bestimmtes, von ihm als opportun betrachtetes aktuelles Anlie­<br />

gen darzutun <strong>und</strong> entsprechend die Akzente zu setzen.<br />

3. DIE LEHRE VOM EIGENTUM IN DER CHRISTLICHEN TRADITION<br />

Um <strong>de</strong>n genuinen Sinn <strong>de</strong>r thomasischen Eigentumslehre zu<br />

ermitteln, muß man <strong>de</strong>r christlichen Tradition nachgehen. Ist<br />

doch <strong>de</strong>r Begriff <strong>de</strong>s „Gebrauchs" <strong>de</strong>r Güter, <strong>de</strong>n Thomas als<br />

allen Menschen gemeinsam erklärt, aus <strong>de</strong>r Tradition genom­<br />

men. Es zeugt vom neuen Geist, <strong>de</strong>r das Christentum gera<strong>de</strong> in<br />

<strong>de</strong>r Einschätzung <strong>de</strong>r Güter dieser Welt beseelte, daß sich die<br />

christlichen Autoren nur sehr wenig o<strong>de</strong>r überhaupt nicht auf<br />

das Alte Testament beziehen.<br />

Die Väter hatten sich im Geist <strong>de</strong>s Evangeliums mit <strong>de</strong>r rein<br />

moralischen Sicht <strong>de</strong>s Eigentums begnügt <strong>und</strong> dabei die recht­<br />

liche außer Acht gelassen o<strong>de</strong>r doch sehr geringgechätzt; d. h.,<br />

sie gingen vom Gedanken aus, daß vor Gott niemand sich als<br />

Eigentümer bezeichnen könne, son<strong>de</strong>rn stets nur verantwortli­<br />

cher Lehensträger bleibe. Damit tritt das rechtliche Verhältnis<br />

von Mensch zu Mensch in <strong>de</strong>n Hintergr<strong>und</strong>. Die Rückerinne-<br />

rung an das Alte Testament hätte aber manche etwas über­<br />

spitzte Äußerungen gegen das Privateigentum gemil<strong>de</strong>rt. Denn<br />

das Alte Testament hatte eine sehr kluge Wirtschaftsverfas­<br />

sung. 5 Bei <strong>de</strong>r gr<strong>und</strong>sätzlichen Anerkennung <strong>de</strong>s Privat- (o<strong>de</strong>r<br />

wenigstens <strong>de</strong>s Familien-)eigentums enthielt die alttestament-<br />

5 Vgl. die ausgezeichnete Schrift von H. Bückers CSSR, Die biblische Lehre vom<br />

Eigentum, Bonn 1947.<br />

365


66. 1/2 liehe Gesetzgebung eine Reihe von sozialen Vorschriften, durch<br />

die das Eigentum <strong>und</strong> die Existenz <strong>de</strong>r Armen gesichert wer<strong>de</strong>n<br />

sollten. Wenngleich Gott als oberster Herr das Land besitzt <strong>und</strong><br />

in <strong>de</strong>r Hand behält, so hat Er es doch unter die Menschen ver­<br />

teilt, damit je<strong>de</strong>r seinen, gera<strong>de</strong> ihm gehören<strong>de</strong>n Anteil habe:<br />

„Verteilt das Land nach euren Stämmen durch das Los! Denen,<br />

die zahlreicher sind, sollt ihr ein ausge<strong>de</strong>hnteres, <strong>und</strong> <strong>de</strong>nen, die<br />

wenige sind, ein kleineres Gebiet geben! Was einem je<strong>de</strong>n<br />

[Stamm] durch das Los zufällt, soll ihm gehören! Nach euren<br />

väterlichen Stämmen sollt ihr es verteilen" (Nm 33,54). Wenn­<br />

gleich in diesem Text nicht vom Eigentum eines einzelnen Men­<br />

schen, son<strong>de</strong>rn eines einzelnen Stammes die Re<strong>de</strong> ist, so<br />

gebührt ihm doch beson<strong>de</strong>re Aufmerksamkeit. Gott wird zwar<br />

als <strong>de</strong>r Erst- <strong>und</strong> eigentliche Besitzer aller Dinge bezeichnet.<br />

Dennoch gibt Er <strong>de</strong>m einzelnen Stamm <strong>de</strong>n ihm zugehören<strong>de</strong>n<br />

Teil, auf <strong>de</strong>n dieser einen <strong>Recht</strong>stitel gegenüber <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren<br />

haben soll. Das Eigentum ist also in doppelter Hinsicht gese­<br />

hen: vertikal <strong>und</strong> horizontal. Vertikal besteht kein <strong>Recht</strong>stitel,<br />

<strong>de</strong>nn Gott ist <strong>de</strong>r einzige Besitzer. Jedoch kann sich in horizon­<br />

taler Richtung, d. h. in <strong>de</strong>r Linie von Mensch zu Mensch, <strong>de</strong>r<br />

Stamm als rechtlicher Eigentümer betrachten. Die Kirchenväter<br />

haben, wie bereits erwähnt, die vertikale Sicht eingehalten,<br />

während die horizontale, die eigentlich rechtliche Beziehung<br />

erst im Mittelalter klar gewürdigt wor<strong>de</strong>n ist.<br />

Warum aber haben die Väter so wenig von <strong>de</strong>r rechtlichen<br />

Eigentumsregelung <strong>de</strong>s Alten B<strong>und</strong>es Notiz genommen? Die<br />

Antwort liegt auf <strong>de</strong>r Hand. Das Alte Testament war <strong>de</strong>m<br />

Reichtum stärker zugewandt als das Neue. Trotz allem Kampf,<br />

<strong>de</strong>n die Propheten mit <strong>de</strong>n Reichen um ihrer Habgier <strong>und</strong> Un­<br />

gerechtigkeiten willen führten, läßt sich im Alten B<strong>und</strong>e doch<br />

kein so scharfer Gegensatz gegen <strong>de</strong>n Reichtum feststellen wie<br />

im Neuen. Der Reichtum ist <strong>de</strong>m Israeliten ein Segen Gottes,<br />

für <strong>de</strong>n er dankbar ist. So heißt es im 42. Kapitel <strong>de</strong>s Buches Job,<br />

daß <strong>de</strong>r geduldige Job um seiner standhaften Gesinnung willen<br />

mit äußeren Gütern noch reicher gesegnet wur<strong>de</strong>: „Der Herr<br />

gab Job jetzt noch mehr Glück, als er zuvor besessen. Erbrachte<br />

es auf 14.000 Schafe, 6.000 Kamele, 100Joch Rin<strong>de</strong>r<strong>und</strong> 1.000<br />

Eselinnen" (42,12). Und im „Prediger" (5,18) heißt es: „Ist<br />

doch für je<strong>de</strong>n Menschen, <strong>de</strong>m die Gottheit Reichtum gibt <strong>und</strong><br />

Schätze <strong>und</strong> <strong>de</strong>m sie Fähigkeit verleiht, davon zu essen <strong>und</strong> sich<br />

seinen Teil zu nehmen <strong>und</strong> sich an seiner Mühe zu erfreuen, dies<br />

366


eine Gottesgabe". Im Buch <strong>de</strong>r Sprüche wird <strong>de</strong>r Reichtum eine<br />

feste Stadt genannt, eine hohe Mauer, die <strong>de</strong>n Besitzen<strong>de</strong>n um­<br />

ringt (18,11).<br />

Die Armut besaß im Alten Testament eine wenig ehrenvolle<br />

Stellung. Sie war Strafe <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> <strong>und</strong> Gottlosigkeit. „Der Säu­<br />

fer <strong>und</strong> <strong>de</strong>r lie<strong>de</strong>rliche Mensch verarmen; die Dirne klei<strong>de</strong>t sich<br />

in Lumpen" (Spr 23,21). Da <strong>de</strong>m Alten Testament <strong>de</strong>r Sinn für<br />

die jenseitige Vergeltung stark fehlt, fehlt das Lob auf die rechte<br />

Armut. An<strong>de</strong>rerseits weiß <strong>de</strong>r alttestamentliche Mahner wohl<br />

zu unterschei<strong>de</strong>n zwischen <strong>de</strong>m Reichtum <strong>de</strong>s Gottlosen <strong>und</strong><br />

<strong>de</strong>r Armut <strong>de</strong>s Gottesfürchtigen: „Besser wenig mit Gottes­<br />

furcht als reicher Besitz <strong>und</strong> dabei Unruhe" (Spr 15,16). Im<br />

Hinblick auf die sittlichen Gefahren <strong>de</strong>s Reichtums suchte das<br />

Alte Testament das wirtschaftliche <strong>und</strong> soziale I<strong>de</strong>al im Mittel­<br />

stand: „Gib mir nicht Armut <strong>und</strong> Reichtum! Laß mich genießen<br />

mein Stückchen Brot! Sonst könnte ich, wäre ich satt, Dich ver­<br />

leugnen <strong>und</strong> fragen: Wer ist <strong>de</strong>r Herr? O<strong>de</strong>r wäre ich arm,<br />

könnte ich zum Dieb wer<strong>de</strong>n <strong>und</strong> mich am Namen meines Got­<br />

tes vergreifen" (Spr 30,8 f.).<br />

Auch die christliche Ethik hat, namentlich bei Thomas von<br />

Aquin, <strong>de</strong>n Mittelstand als das <strong>de</strong>m sittlich-religiösen I<strong>de</strong>al för­<br />

<strong>de</strong>rlichste Maß von Besitz erkannt. Man könnte diese Einstel­<br />

lung in <strong>de</strong>r Vaterunser-Bitte um das „tägliche Brot" wie<strong>de</strong>rfin­<br />

<strong>de</strong>n. Und doch tritt in <strong>de</strong>n Evangelien das Heroische stärker in<br />

Erscheinung: die Armut um <strong>de</strong>s Himmelreiches willen.<br />

Bezeichnend dafür ist auch, daß Christus sich gera<strong>de</strong> die Armen<br />

<strong>und</strong> Ärmsten ausgesucht hat, <strong>de</strong>rart, daß Alfred Weber die Berg­<br />

predigt Jesu als die Re<strong>de</strong> <strong>de</strong>s größten Sklavenaufstands bezeich­<br />

nete.<br />

Die Urkirche in Jerusalem war von diesem I<strong>de</strong>al völlig einge­<br />

nommen, so daß sich eine freie, spontane Gütergemeinschaft<br />

bil<strong>de</strong>te. Es bestand zwar kein rechtlicher Kommunismus.<br />

Immerhin aber gehörte es zum guten Ton <strong>de</strong>s Christseins, alles<br />

in die Gemeinschaft zu tragen, so daß <strong>de</strong>rjenige, <strong>de</strong>r sich dieser<br />

Gepflogenheit nicht anschloß, mit einer gewissen Geringschät­<br />

zung rechnen mußte.<br />

Die spontane Gütergemeinschaft in Jerusalem machte aber<br />

weiter keine Schule. Der Scharfblick <strong>de</strong>s Völkerapostels<br />

erkannte, daß in <strong>de</strong>n aus Hei<strong>de</strong>nchristen bestehen<strong>de</strong>n Gemein­<br />

<strong>de</strong>n kein Raum für solche Bestrebungen war. Im übrigen hat das<br />

Beispiel Jerusalems, das chronischer Armut verfiel (wohl nicht<br />

367


66. 1/2 zuletzt, wenn auch nicht vordringlich wegen <strong>de</strong>r dortigen<br />

Gütergemeinschaft) <strong>und</strong> auf die Hilfe <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Christen­<br />

gemein<strong>de</strong>n angewiesen war, von selbst seine Anziehungskraft<br />

verloren.<br />

Die Gütergemeinschaft in <strong>de</strong>r christlichen Gemein<strong>de</strong> von<br />

Jerusalem hatte übrigens ihre Vorbil<strong>de</strong>r bei <strong>de</strong>n Griechen,<br />

wovon <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r griechischen Literatur bewan<strong>de</strong>rte Evangelist<br />

Lukas sehr wahrscheinlich gewußt hat. Es gehörte zum sozial­<br />

politischen I<strong>de</strong>al <strong>de</strong>s Hellentums, daß <strong>de</strong>r Reiche seinen Besitz<br />

<strong>de</strong>r gemeinsamen N<strong>utz</strong>ung zur Verfügung stellte. Der grie­<br />

chische Stadt-Staat mit seiner räumlichen Beschränkung<br />

ermöglichte die Verwirklichung eines solchen I<strong>de</strong>als. Aristoteles<br />

berichtet im 6. Buch <strong>de</strong>r Politik (c. 5; 1320 b 9), daß die Reichen<br />

von Tarent <strong>de</strong>n Armen <strong>de</strong>n Mitgebrauch ihrer Güter zugestan­<br />

<strong>de</strong>n <strong>und</strong> sich auf diese Weise die Zuneigung <strong>de</strong>r Armen erwor­<br />

ben haben. Aristoteles selbst tritt für die Privateigentumsord­<br />

nung ein aufgr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r üblen Erfahrungen, die man in einer<br />

völlig gemeinschaftlich verwalteten Wirtschaftsgesellschaft<br />

machen kann. Er meint aber doch, daß in einem gewissen Sinn<br />

die Güter gemeinsam verwaltet wer<strong>de</strong>n sollten. Wenn je<strong>de</strong>r für<br />

das Seine sorge, dann wür<strong>de</strong> zwar tüchtiger gesorgt. An<strong>de</strong>rer­<br />

seits aber müßte das Gesetz <strong>de</strong>r gegenseitigen Hilfsbereitschaft<br />

gelten, das auch durch staatliche Maßnahmen unterstützt wer­<br />

<strong>de</strong>n sollte: „Schon jetzt ist hiermit in <strong>de</strong>r Gesetzgebung einzel­<br />

ner Staaten ein Anfang gemacht, so daß man sieht, die Sache ist<br />

nicht unmöglich; <strong>und</strong> zumeist in wohleingerichteten Staaten ist<br />

in diesem Sinn manches teils schon verwirklicht, teils in <strong>de</strong>r<br />

Vorbereitung begriffen. Ein je<strong>de</strong>r hat da seinen Eigenbesitz,<br />

aber manches überläßt er seinen Fre<strong>und</strong>en zur Mitben<strong>utz</strong>ung,<br />

an<strong>de</strong>res ben<strong>utz</strong>t er selbst als Gemeingut mit, wie z. B. in Laze-<br />

dämon <strong>de</strong>r eine sich <strong>de</strong>r Sklaven <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>rn gleichsam wie sei­<br />

ner eigenen bedient, <strong>und</strong> ebenso seine Pfer<strong>de</strong> <strong>und</strong> H<strong>und</strong>e, wie<br />

auch <strong>de</strong>r Früchte, wenn man ihrer auf <strong>de</strong>n Fel<strong>de</strong>rn im Lan<strong>de</strong> als<br />

Wegzehrung bedarf. Man sieht also, es ist besser, daß <strong>de</strong>r Besitz<br />

Privateigentum bleibe, aber durch die Ben<strong>utz</strong>ung gemeinsam<br />

wird. Daß aber die Bürger ihrer Gesinnung nach dahin gebracht<br />

wer<strong>de</strong>n, ist die eigenste Aufgabe <strong>de</strong>s Gesetzgebers" (Pol. 11,5;<br />

1263 a 30-40).<br />

In <strong>de</strong>r christlichen Urgemein<strong>de</strong> waren die Motive solcher<br />

Gütergemeinschaft allerdings an<strong>de</strong>re, weniger wirtschaftspoli­<br />

tische, son<strong>de</strong>rn von Gr<strong>und</strong> auf religiöse.<br />

368


Zum Erweis dafür, wie stark die ethische Betrachtung in <strong>de</strong>r 66. 1/2<br />

Eigentumsfrage bei <strong>de</strong>n Vätern unterstrichen wird <strong>und</strong> wie<br />

wenig die eigentlich naturrecbtliche Seite zur Geltung kommt,<br />

machen wir nur einige wenige Angaben, die für die thomasische<br />

Gedankenwelt von beson<strong>de</strong>rem Interesse sind. 6<br />

Irenaus (Adv. Haereses, aus <strong>de</strong>r Zeit 174—189) betont die<br />

Freiheit <strong>de</strong>r christlichen Liebe, im Gegensatz etwa zu <strong>de</strong>n jüdi­<br />

schen sozialen Gesetzgebungen wie <strong>de</strong>m Armenzehnten. Er<br />

meint, daß diese Freiheit sich <strong>de</strong>m Gebot Christi füge, nicht nur<br />

<strong>de</strong>n Zehnten, son<strong>de</strong>rn die ganze Habe an die Armen zu vertei­<br />

len. Er hält sogar dafür, daß diese Pflicht vom Christen mit inne­<br />

rer Freu<strong>de</strong> erfüllt wer<strong>de</strong>. In rhetorischer Übertreibung meint<br />

Irenaus sogar, es könne sich niemand von uns zum Besitzer von<br />

irdischen Gütern aufwerfen. Im Gr<strong>und</strong>e genommen ist dies<br />

aber gar keine Ubertreibung, da es hier nur um die ethische<br />

Sicht geht, d. h. um das Verhältnis <strong>de</strong>s Menschen zu Gott, nicht<br />

um die zwischenmenschlichen rechtlichen Beziehungen.<br />

Irenaus aber <strong>de</strong>hnt seine Lehre vom „ungerechten Mam­<br />

mon", <strong>de</strong>n ein je<strong>de</strong>r sein eigen nennen möchte, auch auf die zwi­<br />

schenmenschlichen Beziehungen aus. Jedoch ist auch hier nur<br />

<strong>de</strong>r ethische Teil gesehen, nicht die rechtliche Seite, d. h. es wird<br />

Mensch zu Mensch betrachtet in <strong>de</strong>r Verpflichtung um <strong>de</strong>s<br />

Gewissens, also im Gr<strong>und</strong>e um Gottes willen, nicht vom<br />

<strong>Recht</strong>sanspruch <strong>de</strong>s Nächsten her. In diesem Sinn ist die eigen­<br />

tümlich erscheinen<strong>de</strong> Stelle zu verstehen, wo Irenaus <strong>de</strong>n Ein­<br />

wand, die Ju<strong>de</strong>n hätten auf Befehl Gottes durch Mitnahme <strong>de</strong>r<br />

Gefäße <strong>und</strong> Gewän<strong>de</strong>r die Ägypter bestohlen <strong>und</strong> beraubt, mit<br />

<strong>de</strong>r Begründung zurückweist, daß wir überhaupt alles, was wir<br />

unser eigen nennen, zu Unrecht besäßen: „Wenn nämlich bei<br />

<strong>de</strong>r vorbildlichen Auswan<strong>de</strong>rung Gott dies nicht gestattet hätte,<br />

so könnte jetzt bei unserer wahren Auswan<strong>de</strong>rung, d. h. im<br />

6 Vgl. zum Ganzen: O. Schilling, Reichtum <strong>und</strong> Eigentum in <strong>de</strong>r altkirchlichen<br />

Literatur. Ein Beitrag zur sozialen Frage, Freiburg i.Br. 1908; Ders.: Der<br />

kirchliche Eigentumsbegriff,Freiburgi.Br. 1930. Ebenso: H.Schumacher,The<br />

Social Message of the New Testament, Milwaukee 1937; I.Seipel, Die wirtschaftsethischen<br />

Lehren <strong>de</strong>r Kirchenväter, Wien 1907; John A. Ryan, Alleged<br />

Socialism of the Church Fathers, St. Louis 1913; die Artikel von Patrick<br />

J. Healy, Historie Christianity and the Social Question, in: The Catholic University<br />

Bulletin XVII, 1911. Die Gedanken fin<strong>de</strong>n ihre mo<strong>de</strong>rne Auswertung<br />

bzgl. <strong>de</strong>s Problems „Religion <strong>und</strong> Kapitalismus" bei Tawney, Laski, Fanfani,<br />

O Brien, Troeltsch, M. Weber u. a.<br />

369


66. 1/2 Glauben, in <strong>de</strong>n wir versetzt <strong>und</strong> durch <strong>de</strong>n wir aus <strong>de</strong>r Zahl <strong>de</strong>r<br />

Hei<strong>de</strong>n ausgeschie<strong>de</strong>n sind, niemand gerettet wer<strong>de</strong>n. Uns<br />

allen nämlich folgt — sei es kleiner o<strong>de</strong>r großer—Besitz, <strong>de</strong>n wir<br />

aus <strong>de</strong>m ,Mammon <strong>de</strong>s Unrechts' erworben haben. Denn<br />

woher haben wir die Häuser, worin wir wohnen, die Gewän<strong>de</strong>r,<br />

womit wir uns beklei<strong>de</strong>n, die Gefäße, <strong>de</strong>ren wir uns bedienen,<br />

<strong>und</strong> was sonst uns alles zum fortwähren<strong>de</strong>n Gebrauch dient, als<br />

aus <strong>de</strong>m, was wir noch als Hei<strong>de</strong>n habsüchtig erworben o<strong>de</strong>r<br />

aus <strong>de</strong>m ungerechten Erwerb von heidnischen Eltern, Ver­<br />

wandten o<strong>de</strong>r Fre<strong>und</strong>en bekommen haben? Um davon zu<br />

schweigen, daß wir auch jetzt noch im Stan<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Glaubens<br />

Erwerb suchen. Denn wer verkauft <strong>und</strong> will nicht gewinnen<br />

vom Käufer? Und wer kauft <strong>und</strong> will nicht, daß das Geschäft<br />

mit <strong>de</strong>m Verkäufer zum eigenen N<strong>utz</strong>en ausfalle? Welcher<br />

Händler aber han<strong>de</strong>lt nicht, um sich [vom Gewinn] zu näh­<br />

ren?" (Adv. haer. IV, c. XXX; PG 7,1065). Irenaus will <strong>de</strong>n Ein­<br />

wand ad absurdum führen mit <strong>de</strong>r Begründung, wenn die Ju<strong>de</strong>n<br />

damals das, was sie mitgenommen haben, aus Diebstahl gehabt<br />

hätten, dann könnte man mit <strong>de</strong>mselben <strong>Recht</strong> auch behaup­<br />

ten, wir Christen hätten alles nur aus Raub.<br />

Den Gedanken, daß aller Reichtum <strong>und</strong> Besitz im Gr<strong>und</strong>e<br />

nur ungerechter Mammon sei, fin<strong>de</strong>n wir auch bei Klemens von<br />

Alexandrien, <strong>de</strong>r von etwa 190—202/3 in Alexandrien lehrte.<br />

Auch bei ihm fällt die rein sittliche Betrachtung <strong>de</strong>s Eigentums­<br />

problems, wie die Stoa sie hatte, auf. Es ist schon ein echt stoi­<br />

scher, nicht erst christlicher Gedanke, daß nicht <strong>de</strong>r Reiche,<br />

son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r gute Mensch <strong>de</strong>r wertvolle Mensch sei. Mit <strong>de</strong>r<br />

Stoa unterstreicht Klemens das „Adiaphoron", die gleichgültige<br />

Gesinnung gegenüber Reichtum <strong>und</strong> Genuß. Der schlecht ver­<br />

waltete Reichtum wird als eine „Akropolis <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>" bezeich­<br />

net, die Liebe zum Geld als die „Mutterstadt aller Übel" (Dioge­<br />

nes aus <strong>de</strong>r kynischen Schule). Ganz stoisch ist die Lehre, daß<br />

<strong>de</strong>r beste Reichtum die Armut an Begier<strong>de</strong>n sei. Es ist klar, daß<br />

Klemens, <strong>de</strong>r in diesen Gedankengängen sich heimisch fühlt,<br />

<strong>de</strong>n Überfluß verwerfen, ja überhaupt die Güter als für die<br />

Gemeinschaft bestimmt bezeichnen muß. Er ist sehr stark be-<br />

einflußt durch das stoische Dogma, daß es von Natur kein Pri­<br />

vateigentum gebe, daß Eigentum eigentlich erst durch <strong>de</strong>n<br />

guten Gebrauch zustan<strong>de</strong> komme. Der Stoiker Chrysipp war<br />

z. B. <strong>de</strong>r Meinung, daß <strong>de</strong>m Bösen nichts nützlich sein <strong>und</strong> <strong>de</strong>r<br />

Schlechte keinen wirklichen Gebrauch von <strong>de</strong>n Dingen machen<br />

370


könne, <strong>de</strong>mgemäß besitze <strong>de</strong>r Gute niemals etwas Frem<strong>de</strong>s. 66. 1/2<br />

Klemens übernimmt diese Philosophie <strong>und</strong> verbin<strong>de</strong>t sie mit<br />

<strong>de</strong>m Ausspruch <strong>de</strong>s Evangeliums vom „ungerechten Mammon"<br />

(Lk 16,9) <strong>und</strong> <strong>de</strong>m christlichen Gedanken, daß man, um eine<br />

gute Tat zu setzen, also um guten Gebrauch von <strong>de</strong>n Dingen zu<br />

machen, eigentlich Christ sein müsse. So bleibt im Gr<strong>und</strong>e <strong>de</strong>r<br />

unangefochtene Besitz <strong>de</strong>m Christen vorbehalten. Daß nur die<br />

Christen Güter eigentlich erwerben können, erklärt Klemens<br />

außer<strong>de</strong>m mit einer typisch theologischen Wendung, daß näm­<br />

lich Gott <strong>de</strong>n Christen alles auf <strong>de</strong>ren Bitte hin gewähre. Darum<br />

gehöre alles <strong>de</strong>n Gottesfürchtigen. 7 Es wird von dieser Schau­<br />

weise noch mehrmals die Re<strong>de</strong> sein. Sie steht in engem Zusam­<br />

menhang mit <strong>de</strong>r christlichen Bewertung <strong>de</strong>s sittlichen Lebens<br />

<strong>de</strong>s Hei<strong>de</strong>n. Eine rein theologische Sicht, die alles vom Ewig­<br />

keitswert her sieht, kann in <strong>de</strong>r auch noch so guten natürlich­<br />

sittlichen Tat keinen Wert erkennen, wenn sie nicht begna<strong>de</strong>t<br />

ist. Das Problem hat vor allem Augustinus beschäftigt <strong>und</strong><br />

wur<strong>de</strong> endgültig dann von Thomas mit klarer Unterscheidung<br />

zwischen philosophischem <strong>und</strong> theologischem Wert gelöst in<br />

I—II 65,2 (vgl. Kommentar in DT, Bd. 11, 618ff.).<br />

Die rein theologische, d. h. die vertikale Sicht tritt bei Orige-<br />

nes, <strong>de</strong>m Schüler von Klemens von Alexandrien, noch <strong>de</strong>utlicher<br />

hervor. Das Mißtrauen gegen <strong>de</strong>n Reichtum steigert sich hier<br />

zur fast völligen Mißachtung. Gegen Celsus, nach <strong>de</strong>ssen<br />

Ansicht alles Irdische zunächst <strong>de</strong>m König verliehen ist, so daß<br />

wir das, was wir besitzen, diesem zu verdanken haben, betont<br />

Origenes, daß wir die Güter unmittelbar von Gott, durch Seine<br />

Vorsehung besitzen. An sich drückt hiermit Origenes eine phi­<br />

losophische Lehre aus. Doch macht seine Ansicht <strong>de</strong>n Eindruck<br />

einer Parallele zum theokratischen Staatsgedanken in Israel.<br />

Der Kampf gegen Reichtum <strong>und</strong> Luxus führt bei Tertullian<br />

dazu, daß das I<strong>de</strong>al <strong>de</strong>r christlichen Gemeinschaft auch auf die<br />

Gemeinsamkeit <strong>de</strong>r Familiengüter ausge<strong>de</strong>hnt wird. Man spürt<br />

hier <strong>de</strong>utlich die Begeisterung für die wirtschaftliche Regelung,<br />

wie sie in <strong>de</strong>r Urgemein<strong>de</strong> von Jerusalem in Übung war. Die<br />

Pflicht zur Liebe erscheint als Gesetz. Der Christ soll nicht nur<br />

nicht Zins verlangen, son<strong>de</strong>rn auch <strong>de</strong>mjenigen gerne leihen,<br />

von <strong>de</strong>m er das Geliehene aller Wahrscheinlichkeit nach nicht<br />

mehr zurückerhalten wird.<br />

7 Vgl. O. Schilling, Der kirchliche Eigentumsbegriff, Freiburg 1930,37,43.<br />

371


66. 1/2 Cyprians Lehre trägt die Züge <strong>de</strong>r Tertullianschen Doktrin.<br />

Die Pflichten <strong>de</strong>m Nächsten gegenüber wer<strong>de</strong>n in schärfsten<br />

Worten eingeprägt. Er meint sogar, daß die Sorge um eine kin­<br />

<strong>de</strong>rreiche Familie <strong>de</strong>n Familienvater von <strong>de</strong>r Pflicht <strong>de</strong>s Almo­<br />

sens nicht entbin<strong>de</strong>. Im Gegenteil böte sich gera<strong>de</strong> dann Gele­<br />

genheit, durch reichlicheres Almosengeben die eigene zahl­<br />

reiche Schar Gott anzuempfehlen (De op. et eleemos., c. 16 u.<br />

18; PL 4,637ff.). Uberweise, so rät Cyprian, <strong>de</strong>ine Schätze, die<br />

du für die Erben aufbewahrst, Gott. „Er sei <strong>de</strong>iner Kin<strong>de</strong>r Vor­<br />

m<strong>und</strong>... Das Gott anvertraute Vermögen entreißt we<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r<br />

Staat, noch zieht <strong>de</strong>r Fiskus es ein" (a.a.O. c. 19).<br />

Der Lehre vom gemeinsamen Gebrauch aller Dinge, wie wir<br />

sie in Art. 2 unserer Frage bei Thomas fin<strong>de</strong>n, begegnen wir bei<br />

Cyprian in einer eigenartigen Formulierung: „Quodcumque<br />

Dei est, in nostra usurpatione commune est" (De op. et elee­<br />

mos., c. 25). L. Brentano 8 sucht hier kommunistische Gedanken<br />

<strong>und</strong> übersetzt: „Alles, was Gottes ist, ist uns, die wir es usur­<br />

piert haben, zu gemeinsamem Gebrauch gegeben". Doch<br />

scheint Cyprian unter „usurpatio" hier nichts an<strong>de</strong>res zu verste­<br />

hen als „Ben<strong>utz</strong>ung". Es wäre allerdings nicht ausgeschlossen,<br />

daß wir hier <strong>de</strong>nselben Begriff haben, wie wir ihm bei Ambrosius<br />

begegnen (vgl. unten).<br />

Laktanz, <strong>de</strong>r tüchtige Kenner <strong>de</strong>r klassischen Literatur, erin­<br />

nert mit seinem Begriff <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> <strong>de</strong>r damit ver­<br />

b<strong>und</strong>enen Auffassung von <strong>de</strong>r Gleichheit aller an seine griechi­<br />

schen Vorbil<strong>de</strong>r. Er bewegt sich zwischen Plato einerseits, Ari­<br />

stoteles <strong>und</strong> Cicero an<strong>de</strong>rerseits, wobei typisch Christliches, wie<br />

z. B. die Vorstellung von Gott als <strong>de</strong>m Herrn <strong>de</strong>r Welt <strong>und</strong> aller<br />

Dinge, sich einfügt. Die <strong>Gerechtigkeit</strong> ist bei ihm <strong>de</strong>r Inbegriff<br />

<strong>de</strong>r Tugen<strong>de</strong>n. Innerhalb <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> nehmen Frömmig­<br />

keit <strong>und</strong> Gotteserkenntnis sowie die ciceronianische Tugend<br />

<strong>de</strong>r „aequabilitas", d. h. die Bereitschaft, sich mit je<strong>de</strong>m an<strong>de</strong>rn<br />

zu verständigen, die vornehmste Stelle ein. Vor Gott sind alle<br />

Menschen gleich. Es kann sich keiner über <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>rn erheben.<br />

Keiner ist von <strong>de</strong>n göttlichen Wohltaten ausgeschlossen. Allen<br />

leuchtet die Sonne, für alle spru<strong>de</strong>ln die Quellen, allen ist Nah­<br />

rung gegeben, alle dürfen die Ruhe <strong>de</strong>s Schlafes genießen. Nie-<br />

Die wirtschaftlichen Lehren <strong>de</strong>s christlichen Altertums. Sitzungsbericht <strong>de</strong>r<br />

philosophisch-philologischen Klasse <strong>de</strong>r k. bayr. Aka<strong>de</strong>mie <strong>de</strong>r Wissenschaften,<br />

Jhg. 1902, München 1903, 151. Vgl. O.Schilling a. a.O. 59.<br />

372


mand ist vor Gott Sklave, niemand Herr. Die stoische Auffassung<br />

<strong>de</strong>r Menschenrechte wird hier gänzlich ins Theologische<br />

übertragen. Die Darstellung <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> bei Laktanz sieht<br />

allerdings entsprechend <strong>de</strong>m platonischen Vorbild sehr nach<br />

Kommunismus aus. Doch ist Laktanz geistiger, weniger wirtschaftlich<br />

zu verstehen. Er besieht die platonische Gütergemeinschaft<br />

mit kritischen Augen, wenngleich er — übrigens mit<br />

<strong>Recht</strong> — meint, daß dieser Kommunismus im Bereich <strong>de</strong>s Gel<strong>de</strong>s<br />

vielleicht noch erträglich wäre im Gegensatz zur Weibergemeinschaft<br />

<strong>de</strong>r platonischen I<strong>de</strong>ologie. Im übrigen ist <strong>de</strong>r Begriff<br />

<strong>de</strong>r Gleichheit bei Laktanz doch mehr aristotelisch als platonisch<br />

gefärbt. Es han<strong>de</strong>lt sich nicht um eine Gleichheit im<br />

materiellen Sinn, son<strong>de</strong>rn um eine Gleichheit <strong>de</strong>r persönlichen<br />

Wür<strong>de</strong>, <strong>de</strong>s rechtlichen Trägers. Im Anschluß an die Fabel vom<br />

saturnischen Zeitalter kommt Laktanz auf <strong>de</strong>n Urzustand im<br />

Paradies zu sprechen <strong>und</strong> meint, daß damals die einzelnen ihre<br />

Früchte nicht gehortet, son<strong>de</strong>rn mit Freigebigkeit <strong>de</strong>n Armen<br />

mitgeteilt hätten. Er <strong>de</strong>nkt also an einen Kommunismus aus<br />

Liebe, nicht aus Zwang.<br />

Nicht unerwähnt sollen die Rekognitionen bleiben, eine<br />

Schrift aus 10 Büchern, die <strong>de</strong>m hl. Klemens von Rom zugeschrieben<br />

wur<strong>de</strong>, aber ins vierte (o<strong>de</strong>r schon ins dritte) Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

gehört. Dort (c.X) steht ein Satz, <strong>de</strong>m einige Aufmerksamkeit<br />

gebührt, weil er als klementinische Lehre im Dekret<br />

Gratians (p.II, causa XII, q. l,c. 1; Frdbl, 676) erwähnt <strong>und</strong><br />

dann als klementinisches Gedankengut durch das ganze Mittelalter<br />

geschleppt wird: „In Ungerechtigkeit nennt <strong>de</strong>r eine dies,<br />

<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re jenes sein eigen, <strong>und</strong> so ist unter <strong>de</strong>n Menschen die<br />

Teilung eingetreten". Diese Worte wer<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>n Rekognitionen<br />

einem Hei<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>n M<strong>und</strong> gelegt. Die Sün<strong>de</strong> wird also für die<br />

Aufteilung <strong>de</strong>r Güter in Privateigentum verantwortlich gemacht.<br />

Wir fin<strong>de</strong>n diesen Gedanken mit aller Deutlichkeit ausgesprochen<br />

bei Gregor von Nazianz. Er hat namentlich die<br />

Scholastik beschäftigt in <strong>de</strong>r Frage, ob <strong>de</strong>r Mensch im paradiesischen<br />

Zustand Privateigentum besessen habe. 9 Abgesehen von<br />

Piatons kommunistischer I<strong>de</strong>ologie fin<strong>de</strong>n wir diesen Gedanken<br />

bereits bei <strong>de</strong>n Hei<strong>de</strong>n Cicero, Seneca <strong>und</strong> Posidonius.<br />

9 Vgl. hierzu die ausgezeichnete Arbeit von William J. McDonald, Communism<br />

in E<strong>de</strong>n? in: The New Scholasticism XX (1946) 101-125.<br />

373


66. 1/2 Cicero sagt ausdrücklich: „Alles Private stammt nicht aus <strong>de</strong>r<br />

Natur" (De offic. 1,7; vgl. ebenso 1,16; Seneca, Epist. IV, 10;<br />

XIV, 2).<br />

Cyrill von Jerusalem, <strong>de</strong>r zwar gegen die Manichäer die Gut­<br />

heit <strong>de</strong>r materiellen Dinge verteidigt, lehnt sich doch engstens<br />

an die stoische Lehre an, wonach die Güter nur zu edlem<br />

Gebrauch erworben wer<strong>de</strong>n. Man wird an Klemens von Alexan­<br />

drien erinnert, wenn Cyrill aus <strong>de</strong>r Septuaginta (Spr 17,6) <strong>de</strong>n<br />

Text zitiert: „Dem Gläubigen gehört die ganze Welt mit ihren<br />

Schätzen, <strong>de</strong>m Ungläubigen auch nicht ein Obolus" (Cat. 5,2;<br />

PG 33,632).<br />

Basilius d. Gr. zeigt dieselbe Gr<strong>und</strong>anschauung. Die Güter<br />

dürfen nicht totes Kapital bleiben. „Wer<strong>de</strong>n Brunnen ausge­<br />

schöpft, so geben sie reichlicheres Wasser, wer<strong>de</strong>n sie aber nicht<br />

benützt, so wird das Wasser faul. So ist auch <strong>de</strong>r Reichtum,<br />

wenn er ruhig daliegt, unnütz, wird er aber aufgerüttelt <strong>und</strong><br />

geht er von einem zum an<strong>de</strong>rn, so wird er gemeinnützig <strong>und</strong><br />

fruchtreich" (In Luc. 12,18: 5, PG 31,272; 3,PG 31,265). Der<br />

Mensch ist auch hier nur von Gott bestellter Verwalter, nicht<br />

Besitzer <strong>de</strong>r Güter. Aus <strong>de</strong>r inneren Bestimmung <strong>de</strong>r Güter,<br />

<strong>de</strong>m Menschen zu dienen, folgert Basilius, daß ein je<strong>de</strong>r sich in<br />

<strong>de</strong>n Grenzen <strong>de</strong>s Notwendigen halte. Prächtige Klei<strong>de</strong>r, kost­<br />

bare Hauseinrichtungen, Marmor an Häusern, großer Besitz an<br />

Pfer<strong>de</strong>n <strong>und</strong> Dienerschaft wer<strong>de</strong>n verurteilt, wie ähnlich Plato<br />

<strong>de</strong>n Luxus als Fieberzustand <strong>de</strong>r Gesellschaft kritisierte. Den<br />

Naturzustand sieht Basilius wie ähnlich Plato in <strong>de</strong>r Gemein­<br />

samkeit <strong>de</strong>r Güter. Den Plan <strong>de</strong>r Natur liest er aus <strong>de</strong>m Tier­<br />

reich ab: die Fische befolgen in allem, was sie tun, das in sie<br />

gelegte Gesetz <strong>de</strong>r Natur. Und wir? Wir teilen die Er<strong>de</strong>, fügen<br />

Haus an Haus, Acker an Acker, um <strong>de</strong>n Nächsten zu berauben<br />

(Horn. 7 in Hexaem. 3—4; PG 29,156). Basilius rühmt die sozia­<br />

len Einrichtungen <strong>de</strong>r Hellenen, wobei er an die Tischgemein­<br />

schaft (Syssitien) <strong>de</strong>r Spartaner<strong>und</strong> Kreter dachte (PG 31,326).<br />

Er feiert das Beispiel <strong>de</strong>r ersten Christengemein<strong>de</strong> in Jerusalem.<br />

All das, um die ursprüngliche Bestimmung <strong>de</strong>r materiellen<br />

Güter (Dienst an <strong>de</strong>r Menschheit) darzustellen. Kennzeichnend<br />

ist folgen<strong>de</strong> Stelle: „Wer einem ein Kleid wegnimmt, wird Dieb<br />

genannt; wer aber <strong>de</strong>n Nackten nicht klei<strong>de</strong>t, obgleich er es<br />

könnte, verdient er eine an<strong>de</strong>re Bezeichnung? Dem Hungern­<br />

<strong>de</strong>n gehört das Brot, das du zurückhältst, <strong>de</strong>m Unbeklei<strong>de</strong>ten<br />

das Kleid, das du im Schrank hütest, <strong>de</strong>m Barfüßigen <strong>de</strong>r<br />

374


Schuh, <strong>de</strong>r bei dir vermo<strong>de</strong>rt, <strong>de</strong>m Bedürftigen das Geld, das du 66. 1/2<br />

vergraben hütest. So han<strong>de</strong>lst du an allen diesen unrecht, <strong>de</strong>nen<br />

du helfen könntest" (PG 31,277). In diese Gedankengänge paßt<br />

natürlich nur die Auffassung von <strong>de</strong>r ursprünglichen Gemein­<br />

schaft nicht nur in sozialer, son<strong>de</strong>rn auch in wirtschaftlicher<br />

Hinsicht. Beson<strong>de</strong>rer Erwähnung bedarf hier jene berühmt<br />

gewor<strong>de</strong>ne, auch von Thomas (Art. 2, Einw. 2) zitierte Stelle, an<br />

welcher Basilius das bei Cicero (De fin. 3,20) überlieferte Bei­<br />

spiel <strong>de</strong>s Stoikers Chrysipp von <strong>de</strong>n Theaterbesuchern anführt:<br />

„Wem, sagt er (<strong>de</strong>r Habsüchtige), tue ich unrecht, wenn ich das<br />

Meinige behalte? Aber sage mir, was ist <strong>de</strong>in? Woher hast du es<br />

genommen <strong>und</strong> in <strong>de</strong>in Leben gebracht? Gera<strong>de</strong> so wie einer,<br />

<strong>de</strong>r im Theater einen Sitz einnähme <strong>und</strong> dann die später Eintre­<br />

ten<strong>de</strong>n fernhielte, als sein eigen ansehend, was allen zu gemein­<br />

samem Gebrauche bestimmt ist. Solcher Art sind auch die Rei­<br />

chen, <strong>de</strong>nn nach<strong>de</strong>m sie das Gemeinsame vorsorglich besetzt,<br />

machen sie es kraft dieser Vorwegnahme zu ihrem Eigentum.<br />

Wenn je<strong>de</strong>r nur das zur Befriedigung seines eigenen Bedarfs<br />

Erfor<strong>de</strong>rliche in Anspruch nähme <strong>und</strong> das Übrige <strong>de</strong>m ließe,<br />

<strong>de</strong>r es seinerseits braucht, dann wäre keiner reich, keiner arm"<br />

(PG 31,275). Chrysipp hatte allerdings das Beispiel im Sinne <strong>de</strong>s<br />

Privateigentums aufgefaßt: „Wie im Theater, das zwar allen<br />

gemeinsam ist, man doch jenen Platz, <strong>de</strong>n ein je<strong>de</strong>r besetzt hat,<br />

als diesem zu eigen betrachten kann, so wi<strong>de</strong>rspricht es in <strong>de</strong>r<br />

gemeinsamen Stadt o<strong>de</strong>r Welt nicht <strong>de</strong>m <strong>Recht</strong>, daß einem<br />

je<strong>de</strong>n das Seine gehöre". Basilius dagegen gebraucht es im Sinne<br />

<strong>de</strong>r ursprünglichen Gemeinschaftsbestimmung <strong>de</strong>r Güter.<br />

K. Famer 10 <strong>de</strong>utet gemäß seiner kommunistischen Ten<strong>de</strong>nz<br />

diese Stelle im Sinn eines positiven Kommunismus. Und<br />

Th. Sommerlad 11 meint, Basilius sei <strong>de</strong>r erste, <strong>de</strong>r unter Auswer­<br />

tung griechischer Sozialbegriffe <strong>de</strong>m Bericht <strong>de</strong>r Apostelge­<br />

schichte über die Urgemein<strong>de</strong> von Jerusalem eine kommuni­<br />

stische Auslegung gegeben <strong>und</strong> <strong>de</strong>mzufolge eine positiv kom­<br />

munistische Wirtschaftsordnung gefor<strong>de</strong>rt habe. Mit solchen<br />

Schlüssen muß man sehr vorsichtig sein. Die Unterscheidung<br />

zwischen positivem <strong>und</strong> negativem Kommunismus ist, nicht<br />

nur <strong>de</strong>m Namen, son<strong>de</strong>rn auch <strong>de</strong>m Inhalt nach, neueren<br />

1 0 Christentum <strong>und</strong> Eigentum bis Thomas von Aquin; Mensch <strong>und</strong> Gesell­<br />

schaft, hrg. von K. Farner Bd. XII, Bern 1947.<br />

11 Das Wirtschaftsprogramm <strong>de</strong>r Kirche <strong>de</strong>s Mittelalters, Leipzig 1903, 130.<br />

375


66. 1/2 Datums. Die rein ethische Betrachtung, die bei allen Kirchen­<br />

vätern vorherrscht, läßt überhaupt nicht mit Klarheit die I<strong>de</strong>e<br />

eines rechtlichen, d. h. zwangsmäßigen Kommunismus zu.<br />

Wenn Basilius erklärt, alles gehöre allen, dann ist dies gr<strong>und</strong>­<br />

sätzlich richtig in <strong>de</strong>r theologisch-vertikalen Ordnung. Nie­<br />

mand ist vor Gott Eigentümer <strong>de</strong>r Dinge. Und die Dinge sind<br />

von sich aus nieman<strong>de</strong>m zugeeignet. Darin besteht <strong>de</strong>r negative<br />

Kommunismus. Es soll sich je<strong>de</strong>r vor Gott in seinem Gewissen<br />

sagen, daß er <strong>de</strong>m Nächsten gegenüber in dieser göttlichen<br />

Sicht nur Verpflichtungen, keine <strong>Recht</strong>e hat. Steigt man dage­<br />

gen in <strong>de</strong>n zwischenmenschlichen Raum hinab <strong>und</strong> betrachtet<br />

man Mensch <strong>und</strong> Mensch, sofern sie gegen sich abgegrenzte<br />

<strong>Recht</strong>sträger sind <strong>und</strong> ein je<strong>de</strong>r als ein „an<strong>de</strong>rer" <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>rn<br />

gegenüber erscheint, dann befin<strong>de</strong>t man sich im Gebiet <strong>de</strong>s<br />

<strong>Recht</strong>sanspruchs, in welchem rechtliche Verfolgung <strong>und</strong> Zwang<br />

möglich sind. Wer in diesem ausgesprochenen Sinne <strong>de</strong>n Kom­<br />

munismus verteidigt, <strong>de</strong>r vertritt einen positiven Kommunis­<br />

mus. Basilius konnte in dieser Zuspitzung das Problem noch gar<br />

nicht kennen. Dazu war die Zeit noch nicht reif. Es bedurfte<br />

schon <strong>de</strong>s ausgebauten Aristotelismus, wie wir ihm erst bei<br />

Thomas von Aquin begegnen, um die ethischen <strong>und</strong> rechtlichen<br />

Gesichtspunkte klar auseinan<strong>de</strong>rzuhalten. Basilius kommt als<br />

Prediger <strong>und</strong> Rhetor an die Frage <strong>de</strong>s Eigentums heran, etwa<br />

entsprechend <strong>de</strong>r Lehre von Plato, <strong>de</strong>r meint, <strong>de</strong>r Besitzer au­<br />

ßeror<strong>de</strong>ntlichen Reichtums könne kaum ein wahrhaft vollkom­<br />

mener Mensch sein; wer ehrenvoll bleibe <strong>und</strong> <strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Besitze<br />

immanenten Pflicht <strong>de</strong>s Opferbringens für edle <strong>und</strong> gute<br />

Zwecke gerecht wer<strong>de</strong>, bei <strong>de</strong>m wer<strong>de</strong> es kaum zur Anhäufung<br />

übermäßiger Schätze kommen. Die Gr<strong>und</strong>anschauung ist bei<br />

Basilius <strong>und</strong> überhaupt bei <strong>de</strong>n Kirchenvätern beherrscht von<br />

<strong>de</strong>r Finalität <strong>de</strong>r materiellen Güter: <strong>de</strong>n Menschen zu dienen,<br />

nicht diesem o<strong>de</strong>r jenem, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Menschheit insgesamt.<br />

Damit ist noch gar nichts über die private Aufteilung gesagt, wie<br />

dies aus Art. 2 unserer Frage bei Thomas <strong>de</strong>utlich wird. Die<br />

Betrachtung <strong>de</strong>r Finalität ist aber eben die typisch ethische Sicht<br />

eines Problems. Wir müssen daher <strong>de</strong>n Begriff <strong>de</strong>r „gemeinsa­<br />

men Güter <strong>de</strong>s Lebens" als „zum gemeinsamen Gebrauch<br />

bestimmte Güter" verstehen in <strong>de</strong>m Text: „Wir müssen <strong>de</strong>njeni­<br />

gen, <strong>de</strong>r Überfluß an Reichtum hat... <strong>und</strong> davon guten<br />

Gebrauch macht, lieben <strong>und</strong> achten als einen Mann, <strong>de</strong>r die<br />

gemeinsamen Güter <strong>de</strong>s Lebens besitzt, sie aber auch auf die<br />

376


echte Weise handhabt, in<strong>de</strong>m er <strong>de</strong>m Dürftigen von seinem<br />

Geld reichlich spen<strong>de</strong>t... <strong>und</strong> seine übrige Habe nicht so sehr<br />

für seine als <strong>de</strong>r Dürftigen Eigentum ansieht" (De invidia 5; PG<br />

31,384).<br />

Während Basilius sich noch hellenistischer Gedankengänge<br />

bedient, ist Gregor von Nazianz völlig theologisch eingestellt.<br />

Der negative Kommunismus wird hier aus <strong>de</strong>m Bericht <strong>de</strong>r<br />

Genesis (1—3) über die Erschaffung <strong>de</strong>r Welt <strong>und</strong> <strong>de</strong>s ersten<br />

Menschenpaars sowie <strong>de</strong>ssen erster Sün<strong>de</strong> geschöpft. „Anfangs<br />

war es nicht so"! Nach Ansicht von Gregor von Nazianz hat<br />

Gott ursprünglich alles unterschiedslos allen zur Verfügung<br />

gestellt <strong>und</strong> nichts <strong>de</strong>r menschlichen Willkür o<strong>de</strong>r menschlicher<br />

Gesetzgebung unterworfen. Reichtum <strong>und</strong> Armut sind eine<br />

Erscheinung <strong>de</strong>r Bosheit <strong>und</strong> Schwäche <strong>de</strong>s Menschen. Gregor<br />

nimmt diesen Zustand <strong>de</strong>r privaten Eigentumsordnung hin. Er<br />

<strong>de</strong>nkt nicht daran, ihn irgendwie auf <strong>de</strong>m Wege sozialer<br />

Zwangsmaßnahmen abzuschaffen, son<strong>de</strong>rn möchte nur durch<br />

die Erinnerung an <strong>de</strong>n ursprünglichen Zustand <strong>de</strong>r Güterge­<br />

meinschaft die Reichen ermahnen, freiwillig von ihrem Reich­<br />

tum abzugeben. Man wird also auch hier angesichts <strong>de</strong>r rein<br />

ethischen Betrachtung nicht von einem positiven Kommunis­<br />

mus sprechen können.<br />

Bei Gregor von Nyssa, <strong>de</strong>m um vieles jüngeren Bru<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s hl.<br />

Basilius, verbin<strong>de</strong>t sich die stoische Auffassung von <strong>de</strong>n glei­<br />

chen Menschenrechten aller mit <strong>de</strong>m christlichen Gedanken,<br />

daß wir alle in gleicher Weise Kin<strong>de</strong>r <strong>de</strong>sselben Vaters seien.<br />

Gott wird als <strong>de</strong>r eigentliche Eigentümer bezeichnet, darum soll<br />

keiner mehr beanspruchen als <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re. Die Lehre vom<br />

Eigentumserwerb durch <strong>de</strong>n rechten Gebrauch wird hier abge­<br />

schwächt <strong>und</strong> in die paulinische Ermahnung verwan<strong>de</strong>lt:<br />

„Mache Gebrauch, aber treibe keinen Mißbrauch" (De pauperi-<br />

bus amandis; or. 1: PG 46,465).<br />

Johannes Chrysostomus macht mit <strong>de</strong>r christlichen Lehre, daß<br />

wir vor Gott niemals als eigenmächtige Eigentümer auftreten<br />

können, am konsequentesten Ernst. Der rechtliche Gedanke <strong>de</strong>r<br />

zwischenmenschlichen Beziehung tritt völlig zurück. Mensch<br />

<strong>und</strong> Mensch stehen einan<strong>de</strong>r gegenüber auf Gr<strong>und</strong> ihrer<br />

gemeinsamen Verantwortung vor Gott. Aus diesem Gr<strong>und</strong>e<br />

wird die stoische Ansicht, daß die gesamte Wertung <strong>de</strong>r Eigen­<br />

tumsverhältnisse nur vom richtigen, auf das Gute abzielen<strong>de</strong>n<br />

Gebrauch vorgenommen wer<strong>de</strong>n kann, ohne je<strong>de</strong> Korrektur<br />

377


übernommen: „Sage nicht, ich verzehre das Meinige. Du tust es<br />

von Frem<strong>de</strong>m. Der schwelgerische, egoistische Gebrauch<br />

macht, was <strong>de</strong>in ist, zu frem<strong>de</strong>m Gut, darum nenne ich es frem­<br />

<strong>de</strong>s Gut, weil du es hartherzig verzehrst <strong>und</strong> behauptest, es sei<br />

recht, daß du allein von <strong>de</strong>m Deinigen lebest" (In ep. 1 ad Cor.,<br />

hom. 10,3; PG 61,86). Da das gesamte gesellschaftliche Leben<br />

nur von <strong>de</strong>r religiösen Ethik her gesehen wird <strong>und</strong> in dieser<br />

Ethik <strong>de</strong>r einzelne Mensch niemals als Eigentümer erscheint,<br />

son<strong>de</strong>rn nur als von Gott bestellter Verwalter, ist es klar, daß das<br />

I<strong>de</strong>al <strong>de</strong>r Gütergemeinschaft nicht nur für die ursprüngliche<br />

menschliche Gesellschaft, son<strong>de</strong>rn auch für uns zu gelten hat,<br />

so daß das Privateigentum als Ordnungsprinzip abgelehnt<br />

wird. In diesem Sinn ist folgen<strong>de</strong>r, von mo<strong>de</strong>rnen Autoren<br />

fälschlicherweise rein kommunistisch verstan<strong>de</strong>ner Text aus­<br />

zulegen: „Sage mir, woher stammt <strong>de</strong>in Reichtum? Du ver­<br />

dankst ihn einem an<strong>de</strong>rn? Und dieser An<strong>de</strong>re, wem verdankt er<br />

ihn? Seinem Großvater, sagt man, <strong>de</strong>m Vater. Wirst du nun, im<br />

Stammbaum weiter zurückgehend, <strong>de</strong>n Beweis liefern können,<br />

daß dieser Besitz auf gerechtem Wege erworben ist? Das kannst<br />

du nicht. Im Gegenteil, <strong>de</strong>r Anfang, die Wurzel <strong>de</strong>sselben liegt<br />

notwendigerweise in einem Unrecht. Warum? Weil Gott von<br />

Anfang nicht <strong>de</strong>n einen reich, <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren arm erschaffen <strong>und</strong><br />

keine Ausnahme gemacht hat, in<strong>de</strong>m er <strong>de</strong>m einen <strong>de</strong>n Weg zu<br />

Goldschätzen zeigte <strong>und</strong> <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren hin<strong>de</strong>rte, solche auf­<br />

zuspüren, son<strong>de</strong>rn allen diesselbe Er<strong>de</strong> zum Besitze überlassen<br />

hat. Wenn also diese ein Gemeingut aller ist, woher hast du<br />

dann so<strong>und</strong>soviel Tagwerk davon, <strong>de</strong>in Nachbar aber keine<br />

Scholle Land? Mein Vater hat es mir vererbt, antwortet man.<br />

Von wem hat es dieser geerbt? Von seinem Vorfahren. Man<br />

kommt freilich in je<strong>de</strong>m Falle zu einem Anfang, wenn man zu­<br />

rückgeht. Jakob war reich, aber sein Besitz war Arbeitslohn. Der<br />

Reichtum muß gerecht erworben sein, es darf kein Raub daran<br />

kleben. Allerdings, du bist nicht verantwortlich für das, was<br />

<strong>de</strong>in habgieriger Vater zusammengescharrt hat. Du besitzest die<br />

Frucht <strong>de</strong>s Raubes, doch <strong>de</strong>r Räuber warst du nicht. Aber zuge­<br />

geben, daß auch <strong>de</strong>in Vater keinen Raub beging, son<strong>de</strong>rn daß<br />

sein Reichtum irgendwo aus <strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>n quoll, wie steht es<br />

dann? Macht das <strong>de</strong>n Reichtum zu einem Gut? Durchaus nicht.<br />

Aber etwas Schlechtes ist er auch nicht, sagst du. Ist man nicht<br />

habgierig, teilt man <strong>de</strong>n Bedürftigen mit, so ist er nichts<br />

Schlechtes. Ist das nicht <strong>de</strong>r Fall, so ist er schlecht <strong>und</strong> ein<br />

378


gefährlich Ding. Ja, erwi<strong>de</strong>rt man, wenn einer nichts Böses tut, 66.<br />

so ist er nicht böse, auch wenn er nichts Gutes tut. Schön! Heißt<br />

das aber nicht etwas Böses tun, wenn einer für sich allein über<br />

alles Herr sein, wenn er Gemeinsames allein genießen will?<br />

O<strong>de</strong>r ist nicht die Er<strong>de</strong> <strong>und</strong> alles, was darin ist, Eigentum Got­<br />

tes? Wenn also all unser Besitz Gott gehört, gehört er auch<br />

unseren Mitbrü<strong>de</strong>rn im Dienste Gottes. Was Gott <strong>de</strong>m Herrn<br />

gehört, ist alles Gemeingut. O<strong>de</strong>r sehen wir nicht, daß es auch<br />

in einem großen Hauswesen so gehalten wird? Zum Beispiel<br />

bekommen alle das gleiche Quantum Brot. Es kommt ja aus<br />

<strong>de</strong>n Vorräten <strong>de</strong>s Herrn. Das Haus <strong>de</strong>s Herrn steht allen offen.<br />

Auch das königliche Eigentum ist Gemeingut, <strong>und</strong> Städte,<br />

Marktplätze, Arka<strong>de</strong>n gehören allen zusammen, alle haben wir<br />

daran teil. Man betrachte einmal <strong>de</strong>n Haushalt Gottes! Er hat<br />

gewisse Dinge zu einem Gemeingut gemacht, womit er das<br />

Menschengeschlecht beschämt: z. B. Luft, Sonne, Wasser, Er<strong>de</strong>,<br />

Himmel, Licht, Sterne — das verteilt er alles gleichmäßig wie un­<br />

ter Brü<strong>de</strong>r. Allen schuf er dieselben Augen, <strong>de</strong>nselben Körper,<br />

dieselbe Seele; es ist bei allen dasselbe Gebil<strong>de</strong>. Von <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong>,<br />

von einem einzigen Manne ließ er alle abstammen, allen wies er<br />

dasselbe Haus an. Aber all das half nichts bei uns. Gott hat auch<br />

an<strong>de</strong>re Dinge zum Gemeingut gemacht, z. B. Bä<strong>de</strong>r, Städte,<br />

Plätze, Promena<strong>de</strong>n. Und man beachte, wie es bei solchem<br />

Gemeingut keinen Ha<strong>de</strong>r gibt, son<strong>de</strong>rn alles friedlich hergeht.<br />

Sobald aber einer etwas an sich zu ziehen sucht <strong>und</strong> es zu sei­<br />

nem Privateigentum macht, dann hebt <strong>de</strong>r Streit an, gleich als<br />

wäre die Natur selbst darüber empört, daß, während Gott uns<br />

durch alle möglichen Mittel friedlich beisammenhalten will, wir<br />

es auf eine Trennung voneinan<strong>de</strong>r absehen, auf Aneignung von<br />

Son<strong>de</strong>rgut, daß wir das ,Mein <strong>und</strong> Dein' aussprechen, dieses<br />

frostige Wort. Von da an beginnt <strong>de</strong>r Kampf, von da an die Nie­<br />

<strong>de</strong>rtracht. Wo aber dieses Wort nicht ist, da ensteht kein Kampf<br />

<strong>und</strong> Streit. Also ist die Gütergemeinschaft in höherem Maße die<br />

angemessene Form unseres Lebens als <strong>de</strong>r Privatbesitz, <strong>und</strong> sie<br />

ist naturgemäß. Warum streitet niemand vor Gericht über <strong>de</strong>n<br />

Marktplatz? Darum nicht, weil er Gemeingut aller ist. Uber<br />

Häuser dagegen o<strong>de</strong>r über Geld sehen wir ewige Gerichtspro­<br />

zesse. Was wir nötig haben, das liegt alles da zum gemeinsamen<br />

Gebrauch; wir aber beobachten diese Gemeinsamkeit 12 nicht<br />

12 K. Farner (a. a. O. 73) übersetzt hier koinon mit „Kommunismus".<br />

379


einmal in <strong>de</strong>n kleinsten Dingen. Dafür hat Gott uns jene not­<br />

wendigen Dinge vorsorglich als Gemeingut gegeben, daß wir<br />

daran lernen, auch die an<strong>de</strong>ren Dinge in gemeinschaftlicher<br />

Weise 13 zu besitzen. Doch lassen wir uns selbst auf diesem<br />

Wege nicht belehren! — Aber um auf das Gesagte zurückzu­<br />

kommen: Wie wäre es <strong>de</strong>nkbar, daß <strong>de</strong>r Reiche ein guter<br />

Mensch ist? Das ist unmöglich. Gut kann er nur sein, wenn er<br />

an<strong>de</strong>ren von seinem Reichtum mitteilt. Besitzt er nichts, dann<br />

ist er gut; teilt er an<strong>de</strong>rn mit, dann ist er gut. Solange er bloß<br />

besitzt, kann er wohl kein guter Mensch sein" (In 1 ad Tim 4;<br />

PG 62,563 f.).<br />

Für das Verständnis dieses Textes ist folgen<strong>de</strong>s wichtig:<br />

Cbrysostomus beurteilt das Privateigentum einzig vom ethi­<br />

schen Standpunkt aus. Der einzelne soll vor seinem Gewissen<br />

nicht meinen, er habe das Eigentum geschaffen: „Heißt es aber<br />

nicht etwas Böses tun, wenn einer für sich allein über alles Herr<br />

sein, wenn er Gemeinsames allein genießen will?" Auch die<br />

Gemeinschaft wird rein ethisch gefaßt; d. h. Sozialethik ist hier<br />

nichts an<strong>de</strong>res als die Individualethik aller. Cbrysostomus ist <strong>de</strong>r<br />

Uberzeugung, daß, wenn ein je<strong>de</strong>r für sich wirklich ethisch voll­<br />

kommen leben wür<strong>de</strong>, wie man dies für <strong>de</strong>n paradiesischen<br />

Menschen auch annahm, dann wäre die Aufteilung in Privatei­<br />

gentum unnütz. Die rechtliche Organisation grün<strong>de</strong>t also bei<br />

Cbrysostomus ganz auf <strong>de</strong>r Vorstellung <strong>de</strong>s ethischen I<strong>de</strong>als.<br />

Ethisch i<strong>de</strong>al ist, daß ein je<strong>de</strong>r auf das Gemeinwohl bedacht sei.<br />

Die Aneignung von materiellen Gütern zu rein persönlichen<br />

Zwecken unter Ausschluß <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren be<strong>de</strong>utet darum einen<br />

Abfall von diesem I<strong>de</strong>al <strong>und</strong> — da dieses I<strong>de</strong>al als rechtliche Ord­<br />

nung supponiert wird — eine Ungerechtigkeit gegen die an<strong>de</strong>rn.<br />

Eine Ungerechtigkeit gegen das Naturrecht in unserem Sinn<br />

o<strong>de</strong>r im Sinn <strong>de</strong>s hl. Thomas? Keineswegs, weil Cbrysostomus<br />

überhaupt die Vorstellung <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s nicht hat. Bei ihm wird<br />

die Ethik, wie sie für das Einzelgewissen an sich, außerhalb<br />

einer aktuellen Gesellschaft, gilt, zum zwischenmenschlichen<br />

Gesetz gemacht, so daß je<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r diese moralische For<strong>de</strong>rung<br />

nicht erfüllt, unmittelbar auch ungerecht gegen die Gemein­<br />

schaft wird. Cbrysostomus fragt darum gar nicht danach, wie <strong>de</strong>r<br />

Gute, <strong>de</strong>r wirklich alles ins Gemeinwohl trägt <strong>und</strong> durch die<br />

Trägheit <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>ren benachteiligt ist, zu seinem <strong>Recht</strong> komme.<br />

380<br />

Bei K.Farner (a. a. O.): „In kommunistischer Weise".


Daß <strong>de</strong>r eine o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re das sittliche Gesetz seines Gewissens<br />

nicht erfüllt, kann für Cbrysostomus noch kein Anlaß sein, eine<br />

zwischenmenschliche Regelung zu suchen, welche allen per­<br />

sönlichen rechtlichen Ansprüchen am besten gerecht <strong>und</strong> so<br />

eine sozialrechtliche Ordnung verwirklichen wür<strong>de</strong>, die von <strong>de</strong>r<br />

rein sozialethischen unterschie<strong>de</strong>n ist, wenngleich sie dieser<br />

wohl nie entraten kann. Thomas, so wer<strong>de</strong>n wir sehen, hat diese<br />

Lösung gesucht <strong>und</strong> auch in etwa gef<strong>und</strong>en, allerdings noch<br />

nicht so weit durchgeführt, wie die mo<strong>de</strong>rne, etwa leoninische<br />

Auffassung vom Naturrecht auf Privateigentum. Mit an<strong>de</strong>rn<br />

Worten: Cbrysostomus hat die reine Ethik <strong>de</strong>s Gesellschaftli­<br />

chen im Auge, <strong>und</strong> das unter Zugr<strong>und</strong>elegung eines irrealen<br />

Menschentyps, nämlich <strong>de</strong>s nicht mehr existieren<strong>de</strong>n paradiesi­<br />

schen Menschen. Man kann ihn also nicht im heutigen Sinn <strong>de</strong>s<br />

Worts als einen Kommunisten bezeichnen. Er bleibt durch <strong>und</strong><br />

durch Ethiker, ist nie, auf keiner Seite, eigentlich naturrechtli­<br />

cher Sozialpolitiker. Allerdings hat Cbrysostomus sattsam die<br />

Bosheit <strong>de</strong>r Menschen erfahren müssen <strong>und</strong> so aus unmittelba­<br />

rer Lebensnähe die tatsächliche Entfernung vom paradiesischen<br />

Menschen festgestellt. Dennoch liegt seinem Ordnungsplan<br />

eben ein hochgespanntes ethisches Soll zugr<strong>und</strong>e, für <strong>de</strong>ssen<br />

Verwirklichung <strong>de</strong>r paradiesische Mensch vonnöten wäre.<br />

Wenngleich Ambrosius die kapitalistischen Äußerungen Cice-<br />

ros gegenüber <strong>de</strong>n Armen rügt <strong>und</strong> mit <strong>de</strong>m Hinweis auf das<br />

Gebot <strong>de</strong>r christlichen Liebe <strong>und</strong> Barmherzigkeit zurückweist,<br />

so bewegt er sich natürlich doch in <strong>de</strong>ssen stoischer Gr<strong>und</strong>an­<br />

schauung, daß wir nur das besitzen, wovon wir Gebrauch<br />

machen. Es konnte auch nicht an<strong>de</strong>rs sein, da die stoische Lehre<br />

von <strong>de</strong>r Wertlosigkeit <strong>de</strong>r nicht benützten Güter <strong>de</strong>m christli­<br />

chen Gedanken, wonach die materiellen Güter allen Menschen<br />

zum Gebrauch anheimgegeben sind, entsprach. Die Natur, so<br />

meint er, hat das allgemeine <strong>Recht</strong> hervorgebracht, die Usurpa­<br />

tion hat die private Teilung geschaffen (De off. 1,28,132; PL<br />

16,67). Die Sün<strong>de</strong> spielt also in <strong>de</strong>r Einführung <strong>de</strong>s Privateigen­<br />

tums die entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Rolle. Es klingt ganz nach Seneca — üb­<br />

rigens paradoxerweise <strong>de</strong>r Millionär unter <strong>de</strong>n Philosophen! —,<br />

wenn Ambrosius die Habsucht für die Verteilung <strong>de</strong>r Besitz­<br />

rechte verantwortlicht macht (Expos, in Ps 118,22). Das I<strong>de</strong>al<br />

ist darum <strong>de</strong>r ursprüngliche Kommunismus. O. Schilling (Der<br />

kirchliche Eigentumsbegriff, 49) meint, daß Ambrosius <strong>de</strong>n nun<br />

einmal durch <strong>de</strong>n Sün<strong>de</strong>nfall eingetretenen Zustand als<br />

381


Zustand <strong>de</strong>s sek<strong>und</strong>ären Naturrechts verstan<strong>de</strong>n habe, <strong>de</strong>n<br />

Gott angesichts <strong>de</strong>r Bosheit <strong>de</strong>r Menschen gewissermaßen legi­<br />

timiert habe. Doch geht diese Auslegung weit über Ambrosius<br />

hinaus, wenngleich etwas Ahnliches sich bei Augustinus fin<strong>de</strong>t.<br />

Ambrosius war sicherlich nicht Kommunist (wiewohl er vom<br />

Eigentum als einer Usurpation spricht), da er als Nur-Ehtiker<br />

noch weit von <strong>de</strong>r rechtlichen Betrachtung <strong>de</strong>r Gesellschaft ent­<br />

fernt ist. Ethisch gesehen gilt immer, daß die sorgsame, recht­<br />

liche Aufteilung <strong>de</strong>r Güter in Privateigentum auf einen Abfall<br />

vom ursprünglichen I<strong>de</strong>al hinweist. Allerdings besteht dieser<br />

Abfall nicht in <strong>de</strong>r Aneignung, wie Ambrosius gemeint hat, son­<br />

<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>r Habgier <strong>und</strong> übrigens, was immer von <strong>de</strong>n Vätern<br />

übersehen wird, auch in <strong>de</strong>r Trägheit. Die private Eigentums­<br />

ordnung be<strong>de</strong>utet <strong>de</strong>n einzigen Ausweg aus <strong>de</strong>r Unordnung.<br />

Sie wird darum aus Vernunftprinzipien „gefolgert" <strong>und</strong> als<br />

solche, d. h. als durch Vernunft vollzogene Folgerung, von Tho­<br />

mas zum „jus gentium" gerechnet. So hat Thomas, wie noch<br />

gezeigt wird, mit klarer Unterscheidung Ordnung in eine bisher<br />

nicht falsche, aber verschwommene Theorie vom Eigentum<br />

gebracht.<br />

Bei Augustinus, <strong>de</strong>r das gesellschaftliche <strong>und</strong> politische<br />

Geschehen unter letztem theologischem Gesichtspunkt<br />

betrachtet, mußte die stoische Lehre vom guten Gebrauch als<br />

<strong>de</strong>m einzigen Titel <strong>de</strong>r Aneignung von Gütern dahin umge<strong>de</strong>u­<br />

tet wer<strong>de</strong>n, daß nur <strong>de</strong>r Gläubige Besitz erwerben könne. Augu­<br />

stinus beruft sich dabei auf <strong>de</strong>n schon zitierten Text aus <strong>de</strong>r Sep-<br />

tuaginta Spr 17,6: „Dem Gläubigen gehört die ganze Welt von<br />

Schätzen, <strong>de</strong>m Ungläubigen auch nicht ein Obolus." 1 4 Wir sind<br />

diesem Gedanken bereits früher begegnet. Augustinus geht ihm<br />

noch weiter nach <strong>und</strong> erklärt, daß die Schlechten die Güter an<br />

die Guten zurückerstatten müßten, <strong>de</strong>nen sie im eigentlichen<br />

Sinne gehörten. Allerdings wür<strong>de</strong>n es wohl, so meint er, nur<br />

wenige sein, <strong>de</strong>nen eine solche Rückerstattung zuteil wer<strong>de</strong>n<br />

wür<strong>de</strong>, weil es faktisch nur wenige sind, die gut mit <strong>de</strong>n Dingen<br />

umzugehen wüßten. „Unter diesen Umstän<strong>de</strong>n aber dul<strong>de</strong>t<br />

man die Ungerechtigkeit <strong>de</strong>r schlechten Besitzer <strong>und</strong> stellt zwi­<br />

schen ihnen gewisse <strong>Recht</strong>e fest, die bürgerliche <strong>Recht</strong>e heißen,<br />

14 Vgl. auch Spr 13,22: „Ein Erbe hinterläßt <strong>de</strong>r Heilige <strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>skin<strong>de</strong>rn.<br />

382<br />

Dem Frommen ist <strong>de</strong>s Sün<strong>de</strong>rs Habe vorbehalten."


nicht als ob diese bewirkten, daß sie einen guten Gebrauch<br />

machen, son<strong>de</strong>rn damit jene, die einen schlechten Gebrauch<br />

machen, min<strong>de</strong>r lästig seien. Dieser Zustand dauert so lange, bis<br />

die Gläubigen <strong>und</strong> Frommen — <strong>de</strong>nen von <strong>Recht</strong>s wegen alles<br />

gehört <strong>und</strong> die entwe<strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>r Schar jener hervorgehen o<strong>de</strong>r<br />

unter ihnen eine Zeitlang leben, aber sieb nicht in ihre Übeltaten<br />

verstricken lassen, son<strong>de</strong>rn dadurch erprobt wer<strong>de</strong>n — zu <strong>de</strong>r<br />

Stadt gelangen, wo ihr ewiges Erbteil sich befin<strong>de</strong>t, wo nur <strong>de</strong>r<br />

Gerechte einen Platz hat <strong>und</strong> nur <strong>de</strong>r Weise die Regierung, wo<br />

alle Bewohner in Wahrheit ihr Eigentum besitzen" (Ep.<br />

153,6,26; PL 32,665; vgl. auch Sermo 50,2,4; PL 38,327).<br />

Augustinus scheint sich also mit <strong>de</strong>m Zustand <strong>de</strong>r privaten<br />

Eigentumsordnung abzufin<strong>de</strong>n. Doch bezeichnet er diesen<br />

Zustand nicht als Naturrecht, auch nicht als sek<strong>und</strong>äres Natur­<br />

recht, son<strong>de</strong>rn sieht in ihm vielmehr einen durch die Bosheit <strong>de</strong>r<br />

Menschen notwendig gewor<strong>de</strong>nen, aber in sich nicht schlechten<br />

Zustand, weil in ihm immerhin das <strong>Recht</strong> <strong>de</strong>r Guten einigerma­<br />

ßen gerettet wird. Er kommt aber noch nicht so weit, diesen<br />

Zustand, wie später Thomas, als „vernünftig" zu bezeichnen.<br />

Da <strong>de</strong>r gute Gebrauch <strong>de</strong>n Titel <strong>de</strong>s Eigentumserwerbs aus­<br />

macht, ergibt sich für Augustinus ohne weiteres, daß <strong>de</strong>r Über-<br />

fluß nie rechtmäßiger Besitz wer<strong>de</strong>n kann: „Frem<strong>de</strong>s besitzt,<br />

werÜberfluß besitzt" (De bono conj. 14,16; PL 40,384). Aber<br />

auch hier ist nicht an ein eigentlich zwischenmenschliches<br />

<strong>Recht</strong>sverhältnis gedacht, son<strong>de</strong>rn an die typisch theologisch<br />

vertikale Sicht, wonach vor <strong>de</strong>m Gewissen nur jener Besitzer<br />

sein kann, <strong>de</strong>r die Dinge gemäß <strong>de</strong>n ewigen Sittengesetzen <strong>und</strong><br />

<strong>de</strong>m Willen Gottes benützt. Der Reiche ist daher vor Gott unge­<br />

recht, solange er <strong>de</strong>n Überfluß behält. Thomas fin<strong>de</strong>t dafür die<br />

viel diskutierte Formulierung: „ Der Überfluß, <strong>de</strong>n einige<br />

haben, ist auf Gr<strong>und</strong> <strong>de</strong>s Naturrechts <strong>de</strong>m Unterhalt <strong>de</strong>r<br />

Armen geschul<strong>de</strong>t" (Art. 7).<br />

An die augustinische Ansicht, daß das Privateigentum eine<br />

Einrichtung <strong>de</strong>s bürgerlichen Lebens, nicht aber <strong>de</strong>s Natur­<br />

rechts sei, knüpft das Dekret Gratians an: „Gemäß <strong>de</strong>m <strong>Recht</strong><br />

<strong>de</strong>r Natur ist alles allen gemeinsam... Durch das <strong>Recht</strong> <strong>de</strong>r<br />

Gewohnheit o<strong>de</strong>r das gesatzte <strong>Recht</strong> ist dies mein, jenes einem<br />

an<strong>de</strong>rn" (Init. D. VIII; Frdbl, 12). Gratian weist dabei auf die<br />

Urgemein<strong>de</strong> von Jerusalem hin <strong>und</strong> erinnert an die Philoso­<br />

phen, von <strong>de</strong>nen diese Lehre stamme: „Darum wird gemäß<br />

Überlieferung seit Plato jener Staat als am gerechtesten geord-<br />

383


66. 1/2 net bezeichnet, in <strong>de</strong>m niemand persönliche Triebe kennt"<br />

(a.a.O.).<br />

Die starke Befürwortung <strong>de</strong>s ursprünglichen Zustands <strong>de</strong>r<br />

Gütergemeinschaft konnte zur Zeit <strong>de</strong>r Väter nicht scha<strong>de</strong>n, da<br />

es dort darum ging, schwerste Mißstän<strong>de</strong> zu geißeln <strong>und</strong> die<br />

Reichen zum Wohltun anzueifern. Es lag durchaus nicht in <strong>de</strong>r<br />

Absicht <strong>de</strong>r Väter, eine sozialpolitische Aktion zu unterneh­<br />

men, son<strong>de</strong>rn Bußprediger zu sein im Sinn <strong>de</strong>r im Neuen B<strong>und</strong><br />

verkün<strong>de</strong>ten Liebe. Ganz an<strong>de</strong>rs verhält es sich in <strong>de</strong>r Zeit <strong>de</strong>s<br />

Mittelalters, als die verschie<strong>de</strong>nen spiritualistischen Armutsbe­<br />

wegungen, wie z. B. die <strong>de</strong>r Wal<strong>de</strong>nser, aus ihrem zunächst<br />

geschlossenen Raum sozialpolitische Bewegungen zu entfes­<br />

seln drohten. Die Gruppe um Girald von Monteforte in <strong>de</strong>r<br />

Gegend von Turin (1130) hatte <strong>de</strong>n typischen Charakter einer<br />

kommunistischen Bewegung. Die Wal<strong>de</strong>nser, obwohl zunächst<br />

nur geistige Erneuerer im Sinn <strong>de</strong>r moralischen Ausstrahlung<br />

eines Or<strong>de</strong>ns, lassen die sozialpolitische Propaganda in ihrem<br />

Programm nicht vermissen. Thomas hat dies alles mit feinem<br />

Gespür gefühlt <strong>und</strong> darum seiner Lehre vom Eigentum eine<br />

ganz an<strong>de</strong>re Färbung gegeben als etwa die Kirchenväter, vorab<br />

Cbrysostomus (vgl. Art. 2 Dagegen)./. D. Kraus kommt auf die­<br />

ses zeitgeschichtliche Element <strong>de</strong>r thomasischen Eigentums­<br />

lehre zu sprechen: „Zur Zeit <strong>de</strong>s hl. Thomas hatte die Fragestel­<br />

lung nach <strong>de</strong>r Erlaubtheit <strong>de</strong>s Privateigentums auch einen prak­<br />

tischen Hintergr<strong>und</strong>. In <strong>de</strong>r Provence verurteilten die Wal<strong>de</strong>n­<br />

ser, die Saccati, in Oberitalien die schwärmen<strong>de</strong>n Bettelscharen<br />

<strong>de</strong>r Jombardiscben Armen' allen Privatbesitz <strong>und</strong> predigten<br />

Gütergemeinschaft, <strong>und</strong> innerhalb <strong>de</strong>s Franziskaneror<strong>de</strong>ns gab<br />

es unter <strong>de</strong>m Generalat Bonaventuras, <strong>de</strong>s Fre<strong>und</strong>es von Tho­<br />

mas, eine schwere Krise im Streite über die Erlaubtheit von<br />

Or<strong>de</strong>nseigentum. Wie stark das Problem nachzitterte, sollte <strong>de</strong>r<br />

bald danach entbrennen<strong>de</strong> Kampf <strong>de</strong>r Spiritualen, <strong>de</strong>r Fraticelli<br />

<strong>und</strong> Begbinen offenbaren, <strong>de</strong>n selbst das Eingreifen <strong>de</strong>s Papstes<br />

Jobann XXII. nicht zum Stillstand brachte" (Scholastik, Purita-<br />

nismus <strong>und</strong> Kapitalismus, München <strong>und</strong> Leipzig 1930, 25).<br />

384


4. DIE LEHRE ÜBER DAS EIGENTUM BEIM HL. THOMAS<br />

a) Der Zweck <strong>de</strong>r Güterwelt. Ihre soziale Bestimmung<br />

Ubersieht man die gesamte Entwicklung <strong>de</strong>r christlichen 66. 1/2<br />

Lehre vom Eigentum bis zu Thomas von Aquin, dann wird man<br />

von selbst zur Überzeugung kommen, daß etwa die Formulie­<br />

rung eines Traktats wie „Das <strong>Recht</strong> auf Privateigentum beim hl.<br />

Thomas von Aquin" von vornherein <strong>de</strong>n Gesichtspunkt etwas<br />

verschiebt. Denn diese Formulierung ist schon zu sehr von <strong>de</strong>r<br />

mo<strong>de</strong>rnen Sicht her beeinflußt, in welcher <strong>de</strong>r einzelne Mensch<br />

als individueller Besitzer gegen <strong>de</strong>n Nächsten <strong>und</strong> <strong>de</strong>n Staat<br />

auftritt. Thomas konnte niemals von diesem Standort her kom­<br />

men. Ihm lagen als Traktan<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Diskussion folgen<strong>de</strong> Punkte<br />

vor: l.Die Lehre <strong>de</strong>s negativen Kommunismus, gemäß wel­<br />

chem keine Güter von sich aus irgen<strong>de</strong>inem Menschen zugeeig­<br />

net, son<strong>de</strong>rn alle gr<strong>und</strong>sätzlich allen zur Verfügung gestellt<br />

sind. 2. Die ethische Wertung, daß an sich <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>alzustand <strong>de</strong>r<br />

Güterordnung die kollektive Bewirtschaftung wäre, wenn die<br />

Menschheit nicht gesündigt hätte. Diese bei<strong>de</strong>n Punkte sind<br />

durchgängige Lehren <strong>de</strong>r christlichen Tradition. 3. Die histo­<br />

rische Situation <strong>de</strong>r Zeit, in welcher die Leugnung <strong>de</strong>s privaten<br />

Besitzes durch die Spiritualisten eine gr<strong>und</strong>sätzliche Ümkeh-<br />

rung <strong>de</strong>r sozialen Ordnung gebracht hätte. Es konnte also Tho­<br />

mas nicht darum gehen, das Eigentumsrecht <strong>de</strong>s einzelnen<br />

nachzuweisen, son<strong>de</strong>rn unter <strong>de</strong>r Wahrung <strong>de</strong>r Gedanken <strong>de</strong>r<br />

christlichen Tradition die Angemessenheit <strong>und</strong> auch Notwen­<br />

digkeit einer sozialen Ordnung zu zeigen, in welcher eine Auf­<br />

teilung in Privatbesitz vorgenommen wird. Thomas mußte<br />

vom Sozialen her kommen. Er konnte seinen Ausgangspunkt<br />

nicht im Individualen suchen, wie wir dies heute tun. Die drei<br />

Punkte, mit welchen er im zweiten Artikel die Angemessenheit<br />

<strong>und</strong> Notwendigkeit <strong>de</strong>r privaten Eigentumsordnung aufweist,<br />

sind durchweg sozial, nicht individual bestimmt.<br />

Es ist nach all<strong>de</strong>m einfach unvorstellbar, daß Thomas im<br />

ersten Artikel hätte behaupten wollen, <strong>de</strong>r Einzelmensch habe<br />

ein <strong>Recht</strong> auf Privateigentum. Privateigentum schließt immer<br />

Differenzierung in <strong>de</strong>n Besitzverhältnissen <strong>de</strong>r Menschen ein.<br />

Davon aber hat Thomas hier unmöglich re<strong>de</strong>n können. Der<br />

erste Artikel sagt nichts an<strong>de</strong>res, als was die ganze Tradition<br />

betont hat: Die materiellen Güter sind <strong>de</strong>m Menschen zum<br />

Gebrauch überlassen. Er darf sie benützen. Und er soll sie<br />

385


66. 1/2 benützen, um <strong>de</strong>n Ordnungsgedanken <strong>de</strong>s Kosmos zu erfüllen.<br />

Es tut dieser Behauptung keinen Eintrag, wenn man einwen<strong>de</strong>t,<br />

Thomas re<strong>de</strong> doch vom Besitz, was bei ihm hier gleichlautend<br />

sei mit Eigentum. 15 Natürlich soll <strong>de</strong>r Mensch die Dinge besit­<br />

zen, soweit er es überhaupt kann. Aber man achte darauf, wer<br />

als Besitzer bezeichnet wird. Nicht dieser o<strong>de</strong>r jener Mensch,<br />

son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r „Mensch überhaupt", alle Menschen. Es ist also für<br />

eine Vorstellung vom Privateigentum wenig gewonnen. Man<br />

erkennt noch nichts von <strong>de</strong>r Differenziertheit <strong>de</strong>s Individuellen<br />

<strong>und</strong> Privaten. Der Mensch als solcher, wie er zwischen <strong>de</strong>r<br />

materiellen Welt <strong>und</strong> Gott steht, soll sich die Güter dieser Er<strong>de</strong><br />

dienstbar machen, in<strong>de</strong>m er über sie herrscht, sie zu seinen<br />

Diensten benützt. Um zur I<strong>de</strong>e <strong>de</strong>s Privateigentums vorzusto­<br />

ßen, braucht es über diese ethische Betrachtung hinaus <strong>de</strong>n Be­<br />

griff <strong>de</strong>r rechtlichen zwischenmenschlichen Beziehung. Davon<br />

aber ist im ersten Artikel nichts zu vernehmen. Dies ist <strong>de</strong>utlich<br />

ausgedrückt in <strong>de</strong>r Antwort auf <strong>de</strong>n ersten Einwand: „Gott, <strong>de</strong>r<br />

die Oberherrschaft über alle Dinge innehat, bestimmte in seiner<br />

Vorsehung einen gewissen Teil für <strong>de</strong>n leiblichen Unterhalt <strong>de</strong>s<br />

Menschen. Daher besitzt <strong>de</strong>r Mensch die natürliche Herrschaft<br />

über diese Dinge im Sinne <strong>de</strong>r seinem N<strong>utz</strong>en dienen<strong>de</strong>n Ver­<br />

fügungsmacht."<br />

Dieser f<strong>und</strong>amentale Satz ist im Zusammenhang mit <strong>de</strong>r ge­<br />

samten Naturrechtslehre <strong>de</strong>s hl. Thomas zu sehen. Die Natur­<br />

rechtslehre ist bei Thomas zunächst die Interpretation <strong>de</strong>r<br />

Schöpfung. Dem Menschen ist im Rahmen <strong>de</strong>r Schöpfung eine<br />

Macht, d. h. ein physisches Können geschenkt wor<strong>de</strong>n. Er ist<br />

nicht Schöpfer, er hat nur das beschränkte Können, das von<br />

Gott Geschaffene zu verän<strong>de</strong>rn, umzuwan<strong>de</strong>ln <strong>und</strong> in seinen<br />

Dienst zu nehmen. Daraus leitet Thomas nun die moralische<br />

Ordnung ab: die Dinge sind für <strong>de</strong>n Menschen immer nur<br />

Gebrauchsdinge. Da er sie nicht geschaffen hat, kann er sie auch<br />

nicht als Eigentum betrachten <strong>und</strong> in <strong>de</strong>r Folge darf er es auch<br />

nicht. Er bleibt <strong>de</strong>m Schöpfer gegenüber verantwortlich, <strong>de</strong>r die<br />

Welt geschaffen hat <strong>und</strong> auch die Macht besitzt, sie zu zerstö­<br />

ren. In ähnlicher Weise geht Thomas im Traktat über die Ehe<br />

vor. Er betrachtet zunächst die physische Gegebenheit: die<br />

geschlechtliche Verschie<strong>de</strong>nheit weist darauf hin, daß <strong>de</strong>ren Ziel<br />

die Zeugung von Nachkommenschaft ist. Also, so schließt Tho-<br />

15 Vgl. hierzu Anm. [34].<br />

386


mas, kann die Verbindung von Mann <strong>und</strong> Frau in <strong>de</strong>r Ehe als 66. 1/2<br />

ersten Zweck nur die Zeugung haben.<br />

Thomas übernimmt also im ersten Artikel <strong>de</strong>n negativen<br />

Kommunismus <strong>de</strong>r Väter, in<strong>de</strong>m er aber dieser Lehre bereits die<br />

bei <strong>de</strong>n Vätern noch bemerkbare innere Neigung zur Polemik<br />

gegen Reichtum <strong>und</strong> Eigentum nimmt <strong>und</strong> betont, <strong>de</strong>r Mensch<br />

dürfe die Dinge wirklich als sein gebrauchen. Wie nun dieser<br />

gute Gebrauch entsprechend <strong>de</strong>r inneren Finalität <strong>de</strong>r Dinge,<br />

entsprechend <strong>de</strong>r Ordnung im Kosmos am besten sich voll­<br />

zieht, ob in gemeinsamer o<strong>de</strong>r in privater Verwaltung, darüber<br />

äußert sich Thomas vorerst noch nicht. Dies ist Gegenstand <strong>de</strong>s<br />

zweiten Artikels. Soviel allerdings ist bereits im ersten Artikel<br />

enthalten, daß <strong>de</strong>r Gebrauch <strong>de</strong>r Dinge, d. h. die N<strong>utz</strong>ung <strong>de</strong>r<br />

Dinge, von Natur <strong>de</strong>r Gemeinschaft <strong>de</strong>r Menschen, näherhin<br />

allen Menschen zugänglich sein muß, weil eben <strong>de</strong>m Menschen<br />

überhaupt zugeordnet. Denn am Schluß <strong>de</strong>s zweiten Artikels<br />

kommt Thomas nochmals darauf zurück, in<strong>de</strong>m er erklärt, daß,<br />

wenngleich die Verwaltung privat sein mag, <strong>de</strong>r Gebrauch<br />

immer gemeinsam sein müsse. Wir wollen darüber noch spre­<br />

chen. Wichtig ist aber schon hier, daß Thomas von <strong>de</strong>r Natur<br />

<strong>de</strong>r Dinge her ihren Gebrauch als etwas Gemeinsames bezeich­<br />

net.<br />

Heißt dies aber, daß die Gebrauchsgüter in gleicherweise auf<br />

alle zu verteilen seien? Was soll <strong>de</strong>nn schließlich an<strong>de</strong>res unter<br />

<strong>de</strong>m gemeinsamen Gebrauch gemeint sein? Wenn dies <strong>de</strong>r Fall<br />

wäre, dann hätten wir bezüglich <strong>de</strong>r Gebrauchs guter bereits<br />

einen positiven Kommunismus. Thomas sagt aber ausdrücklich<br />

in Art. 2 Zu 1, daß die Gemeinsamkeit <strong>de</strong>r Dinge nicht <strong>de</strong>swegen<br />

auf das Naturrecht zurückgehe, weil etwa das Naturrecht<br />

gebieten wür<strong>de</strong>, alles in Gemeinschaft <strong>und</strong> nichts als Eigentum<br />

zu besitzen, son<strong>de</strong>rn weil es aufgr<strong>und</strong> <strong>de</strong>s Naturrechts keine<br />

Unterscheidung <strong>de</strong>s Besitzes gebe. Mit an<strong>de</strong>ren Worten, es han­<br />

<strong>de</strong>lt sich um nichts an<strong>de</strong>res als um <strong>de</strong>n negativen Kommunis­<br />

mus. Die Einsicht in diesen Zusammenhang ist <strong>de</strong>swegen<br />

be<strong>de</strong>utsam, weil sonst die Bemerkung <strong>de</strong>s hl. Thomas in Art. 7,<br />

<strong>de</strong>r Überfluß sei aufgr<strong>und</strong> <strong>de</strong>s Naturrechts <strong>de</strong>n Armen geschul­<br />

<strong>de</strong>t, mißverstan<strong>de</strong>n wür<strong>de</strong>, als ob <strong>de</strong>r Arme von vornherein <strong>de</strong>n<br />

Überfluß <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>rn als sein <strong>Recht</strong> betrachten könne. Der<br />

Arme hat ein <strong>Recht</strong>, aber aus einem ganz an<strong>de</strong>ren Gr<strong>und</strong>;<br />

nicht, weil es Überfluß ist, son<strong>de</strong>rn weil er nichts hat, während<br />

auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>rn Seite nichtgebrauchte Gebrauchsgüter sind. Die<br />

387


66. 1/2 stoische Auffassung vom guten Gebrauch als <strong>de</strong>m einzigen Er­<br />

werbstitel, wie sie sich bei so vielen Vätern fand, ist also völlig<br />

umgewan<strong>de</strong>lt. Zwar wird <strong>de</strong>r Gebrauch noch als für die<br />

Gemeinschaft <strong>de</strong>r Menschen bestimmt bezeichnet, so daß die<br />

Güter von hier aus von vornherein sozial belastet sind, <strong>und</strong><br />

zwar von ihrer ersten Bestimmung her. Und doch sagt Thomas<br />

nicht, die unben<strong>utz</strong>ten Güter, wie z.B. <strong>de</strong>r Überfluß, könnten<br />

überhaupt nicht Eigentum <strong>de</strong>s Reichen sein, son<strong>de</strong>rn nur: sie<br />

seien, solange es Arme gibt, diesen geschul<strong>de</strong>t.<br />

Auch die mo<strong>de</strong>rne, etwa leoninische Auffassung sieht in die­<br />

ser „Schuld" eine naturrechtliche Pflicht, aber eben eine Pflicht,<br />

die in <strong>de</strong>r zwischenmenschlichen Beziehung <strong>de</strong>n Besitzer noch<br />

nicht entrechtet. In <strong>de</strong>r zwischenmenschlichen <strong>Recht</strong>sordnung,<br />

d. h. in <strong>de</strong>r sozialen Frie<strong>de</strong>nsordnung, bleibt dabei <strong>de</strong>r Besitzer<br />

noch rechtlicher Eigentümer, <strong>und</strong> zwar rechtlicher im Sinn von<br />

individuellem Naturrecht. Es möchte dies als Wi<strong>de</strong>rspruch<br />

erscheinen, von naturrechtlicher Pflicht zur Abgabe <strong>und</strong> im glei­<br />

chen Atem von naturrechtlichem Eigentum zu sprechen. Es<br />

wäre ein Wi<strong>de</strong>rspruch, wenn in bei<strong>de</strong>n Fällen <strong>de</strong>r Begriff<br />

„naturrechtlich" auf gleicher Ebene stän<strong>de</strong>. Die naturrechtliche<br />

Pflicht zur Abgabe <strong>de</strong>s Überflusses an die Armen befin<strong>de</strong>t sich<br />

auf <strong>de</strong>r obersten Ebene <strong>de</strong>s Naturrechts, dort, wo man über­<br />

haupt über die materiellen Güter <strong>und</strong> <strong>de</strong>n Menschen nachzu­<br />

<strong>de</strong>nken anfängt. Die Güter sind sozial bestimmt, noch bevor<br />

man an das Problem <strong>de</strong>nkt, ob man kommunistische o<strong>de</strong>r pri­<br />

vate Aufglie<strong>de</strong>rung vornehmen soll. Mit <strong>de</strong>m Augenblick aber,<br />

wo man aus Grün<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s sozialen Frie<strong>de</strong>ns <strong>und</strong> <strong>de</strong>r sozialen<br />

Ordnung die Aufteilung <strong>de</strong>r Güter in Privateigentum vor­<br />

nimmt, hat dieses praktisch das Vorrecht, bis die soziale Frie­<br />

<strong>de</strong>nsordnung durch das Gesetz jene Urbestimmung <strong>de</strong>r mate­<br />

riellen Güter, <strong>de</strong>m Gebrauch aller zu dienen, rechtlich neu<br />

regelt. Bis dahin ist jenes „naturrechtliche Geschul<strong>de</strong>tsein"<br />

nichts an<strong>de</strong>rs als eine ethische Verpflichtung, allerdings eine<br />

ethische Verpflichtung, die trotz allem eine rechtliche wer<strong>de</strong>n<br />

kann, weil alle Pflichten <strong>de</strong>r natura humana nicht nur ethische<br />

For<strong>de</strong>rungen, son<strong>de</strong>rn zugleich auch rechtliche Organisations­<br />

prinzipien sind.<br />

Doch wir greifen bereits unserem Gedankengang vor. Es<br />

geht vorläufig noch nicht darum, die Aufteilung in privates<br />

Eigentum zu begrün<strong>de</strong>n <strong>und</strong> die damit sich ergeben<strong>de</strong> soziale<br />

Ordnung aufzuzeigen. Es kam bisher vielmehr darauf an, <strong>de</strong>n<br />

388


ersten Artikel mit <strong>de</strong>n in ihm liegen<strong>de</strong>n Folgerungen zu <strong>de</strong>uten. 66. 1/2<br />

Thomas behan<strong>de</strong>lt also darin, wie wir sahen, die ursprüngliche<br />

Hinordnung <strong>de</strong>r Güter auf <strong>de</strong>n Menschen, <strong>de</strong>r (als Mensch, auf<br />

Gr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r natura humana) sie gebrauchen, in Dienst nehmen<br />

soll. Von hier stammt die soziale Belastung jeglichen Besitzes,<br />

wovon die Väter im Kampf gegen Mißbräuche in so scharfen<br />

Worten gesprochen habe. Unter „Gebrauch" versteht Thomas<br />

das Indienstnehmen eines Gegenstan<strong>de</strong>s zu irgen<strong>de</strong>inem<br />

Zweck <strong>de</strong>s menschlichen Lebens, sei dies nun in Form <strong>de</strong>s Ver­<br />

brauchens bezüglich <strong>de</strong>r Konsumgüter o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Verausgabens<br />

beim Geld (11—11117,4; DT, Bd. 20), sei es in Form <strong>de</strong>s einfa­<br />

chen Ben<strong>utz</strong>ens, wie dies bei <strong>de</strong>n nichtkonsumtionsfähigen<br />

Gütern <strong>de</strong>r Fall ist, wie etwa beim Bewohnen eines Hauses<br />

(78,1).<br />

b) Kommunismus o<strong>de</strong>r private Eigentumsordnung?<br />

Spricht Thomas im ersten Artikel bereits vom <strong>Recht</strong> <strong>de</strong>s ein­<br />

zelnen Menschen, irgend etwas, z. B. das Selbsterarbeitete, pri­<br />

vat zu besitzen? Wir können diese Frage nur verneinen. Denn<br />

die Vorstellung, daß ein einzelner Mensch aus sich erklärte, er<br />

habe von Natur das <strong>Recht</strong>, die Dinge, die er erarbeitet, gegen<br />

alle Anfechtungen von seiten <strong>de</strong>r Gemeinschaft zu besitzen,<br />

wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>n Gedankengang völlig stören. Ohne Zweifel schließt<br />

Thomas im ersten Artikel das <strong>Recht</strong> auf Privateigentum nicht<br />

aus, wie wir bei <strong>de</strong>r Erklärung <strong>de</strong>s zweiten Arikels noch näher-<br />

hin sehen wer<strong>de</strong>n. Aber er meint noch keineswegs jenes private<br />

<strong>Recht</strong> auf Eigentum, das gemeint ist, wenn wir heute vom<br />

Naturrecht <strong>de</strong>s einzelnen Menschen auf sein Erarbeitetes spre­<br />

chen. Wir gehen vom einzelnen aus; Thomas spricht aber im<br />

ersten Artikel nur vom Menschen. Dieser kann die Güter besit­<br />

zen. Ja, es ist sogar erlaubt, daß er sie privat besitzt. Auch dies<br />

steht im Ganzen <strong>de</strong>s ersten Artikels. Aber beachten wir: warum<br />

erlaubt? Etwa, weil dieser o<strong>de</strong>r jener sich etwas erarbeitet hat<br />

<strong>und</strong> nun gegen die Gemeinschaft darauf pochen kann? Durch­<br />

aus nicht, son<strong>de</strong>rn nur, sofern die soziale Ordnung die private<br />

Eigentumsordnung gebietet, so daß erst um <strong>de</strong>s Ordnungsge­<br />

dankens willen <strong>de</strong>r einzelne das Seine in die Hand nimmt. Wir<br />

müssen uns einmal gr<strong>und</strong>sätzlich von unserer mo<strong>de</strong>rnen Auf­<br />

fassung <strong>de</strong>r Freiheitsrechte lösen, um <strong>de</strong>n Gedankengang <strong>de</strong>s<br />

hl. Thomas zu verstehen. In <strong>de</strong>m: „Es ist erlaubt, Privateigen-<br />

389


66. 1/2 tum zu besitzen", wovon Thomas zu Beginn <strong>de</strong>s zweiten Arti­<br />

kels spricht <strong>und</strong> das er bereits im ersten Artikel miteinschließt,<br />

ist nur so viel ausgesprochen, daß die Menschen auch eine pri­<br />

vate Eigentumsordnung einführen können. Es heißt aber nicht,<br />

o<strong>de</strong>r sagen wir besser „noch" nicht, daß <strong>de</strong>r Einzelne natur­<br />

rechtlich auf sein Eigenerworbenes pochen könne, weil er Ein­<br />

zelner, weil er Individuum <strong>und</strong> Person ist. Im heutigen Verständ­<br />

nis von Eigentumsrecht ist von vornherein die Verschie<strong>de</strong>nheit<br />

<strong>de</strong>s Besitzes mitgegeben. Je<strong>de</strong>r hat das Seine. In <strong>de</strong>r thomasi­<br />

schen Formulierung <strong>de</strong>s ersten Artikels hat je<strong>de</strong>r Mensch glei­<br />

ches <strong>Recht</strong> auf Zugang zu Eigentum, weil <strong>de</strong>r Mensch erlaubter­<br />

weise die Güter dieser Er<strong>de</strong> in Dienst nehmen darf. Potentiell<br />

liegt darin auch das <strong>Recht</strong> eines je<strong>de</strong>n auf das je verschie<strong>de</strong>ne<br />

Seine. Aber nur potentiell, möglicherweise. Daß dieses <strong>Recht</strong><br />

wirklich eintritt <strong>und</strong> zur Regel gemacht wer<strong>de</strong>n soll, das hängt<br />

von Momenten ab, die nicht vom Individuum, son<strong>de</strong>rn vom<br />

Gemeinschaftsganzen herkommen.<br />

Damit eröffnet sich uns die Fragestellung <strong>de</strong>s zweiten Arti­<br />

kels^ geht hier darum, welche soziale Ordnung vorzuziehen<br />

sei, die kollektiv- o<strong>de</strong>r die privatrechtlich bestimmte.<br />

Für <strong>de</strong>n paradiesischen Menschen nahm Thomas das I<strong>de</strong>al<br />

<strong>de</strong>s freien Kommunismus an wie die Väter: „Im Unschuldszu­<br />

stan<strong>de</strong> wäre <strong>de</strong>r Wille <strong>de</strong>r Menschen so geordnet gewesen, daß<br />

sie ohne je<strong>de</strong> Gefahr <strong>de</strong>r Zwietracht von allem, was ihrer<br />

Herrschaftsmacht unterstand, Gebrauch gemacht hätten, wie<br />

es ein je<strong>de</strong>r bedurfte. Denn das wird ja auch bei uns von vielen<br />

guten Menschen so gehalten" (I 98,1 Zu 3; DT, Bd. 7). Ohne<br />

Zweifel sah Thomas in <strong>de</strong>r Gütergemeinschaft ein hohes I<strong>de</strong>al,<br />

das er im Mendikantenstreit mit Erfolg verteidigte. In <strong>de</strong>r Ord­<br />

nung <strong>de</strong>r Engel konnte er dafür ein Vorbild fin<strong>de</strong>n: „In <strong>de</strong>r<br />

Gemeinschaft <strong>de</strong>r Engel ist aller Besitz gemeinsam" (1108,2 Zu<br />

2; DT, Bd. 8). Thomas <strong>de</strong>nkt natürlich bei diesem i<strong>de</strong>alen<br />

Zustand nicht an einen rechtlichen, son<strong>de</strong>rn nur an einen ethi­<br />

schen Kommunismus. Ein je<strong>de</strong>r Mensch wäre gescheit <strong>und</strong><br />

auch hochgemut genug, um alles ins Gemeinwohl zu bringen<br />

<strong>und</strong> von dort das zu nehmen, was er gera<strong>de</strong> braucht. Allerdings<br />

hat sich Thomas genauso wenig wie die Väter darüber Gedan­<br />

ken gemacht, wie im einzelnen die soziale Ordnung Zustan<strong>de</strong>­<br />

kommen soll, da wohl auch ohne Bosheit eine Unordnung sich<br />

hätte ergeben können. Suarez (De Opere Sex Dierum, lib.V,<br />

n. 18) ist diesem Gedanken nachgegangen <strong>und</strong> hat sich dabei<br />

390


überlegt, ob es <strong>de</strong>nn wirklich so weit hergewesen sei mit <strong>de</strong>m<br />

Kommunismus im Paradies: „Zu allererst scheint in jenem<br />

Stand kein Verbot bezüglich <strong>de</strong>r Aufteilung <strong>de</strong>r Güter bestan­<br />

<strong>de</strong>n zu haben, <strong>de</strong>nn ein positves Verbot läßt sich nicht ermitteln,<br />

noch wird ein natürliches Verbot aus <strong>de</strong>n Gr<strong>und</strong>sätzen <strong>de</strong>r<br />

rechten Vernunft abgeleitet, <strong>de</strong>nn eine solche Aufteilung wäre<br />

we<strong>de</strong>r gegen die <strong>Gerechtigkeit</strong> noch gegen eine an<strong>de</strong>re<br />

Tugend... Darum ist weiterhin zu unterschei<strong>de</strong>n zwischen<br />

beweglichen <strong>und</strong> unbeweglichen Gütern. Denn die bewegli­<br />

chen Güter sind eher Gegenstand <strong>de</strong>r Aufteilung, weil sie eben<br />

dadurch, daß man sie in Besitz o<strong>de</strong>r an sich nimmt, <strong>de</strong>m gehö­<br />

ren, <strong>de</strong>r sie nimmt. Und dieses <strong>Recht</strong> scheint auch im Stand <strong>de</strong>r<br />

Unschuld notwendig gewesen zu sein. Wenn nämlich jemand<br />

zum Essen Früchte eines Baumes sammeln wür<strong>de</strong>, dann wür<strong>de</strong><br />

er unmittelbar dadurch ein beson<strong>de</strong>res <strong>Recht</strong> auf sie erwerben,<br />

um sie frei zu gebrauchen, <strong>und</strong> sie könnten ohne Ungerechtig­<br />

keit gegen seinen Willen ihm nicht abgenommen wer<strong>de</strong>n.<br />

Jedoch wäre hinsichtlich <strong>de</strong>r unbeweglichen Güter eine solche<br />

Aufteilung nicht nötig. Und von diesen re<strong>de</strong>n hauptsächlich die<br />

Autoren. Es ist allerdings darüber hinaus zu beachten, daß die<br />

Menschen in jenem Stand die Er<strong>de</strong> bebauen <strong>und</strong> vielleicht einen<br />

Teil davon besäen konnten. Daraus also wäre notwendiger­<br />

weise gefolgt, daß <strong>de</strong>rjenige, <strong>de</strong>r einen Teil <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> bebaut hat,<br />

gerechterweise nicht von einem an<strong>de</strong>rn seiner Ben<strong>utz</strong>ung <strong>und</strong><br />

gewissermaßen seines Besitzes beraubt wer<strong>de</strong>n konnte, <strong>de</strong>nn<br />

die natürliche Vernunft selbst <strong>und</strong> die angemessene Ordnung<br />

verlangen dies". Suarez nimmt dieselbe Angemessenheit einer<br />

Aufteilung in Privatbesitz auch für an<strong>de</strong>re unbewegliche Güter,<br />

wie z. B. Häuser, an.<br />

Thomas hätte noch nicht daran gedacht, ausdrücklich vom<br />

<strong>Recht</strong> <strong>de</strong>s einzelnen im Paradies zu sprechen. Es liegt ihm die<br />

Vorstellung fern, daß <strong>de</strong>r eine o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re im Paradies auf sein<br />

privates <strong>Recht</strong> pochen könnte. Dagegen sagt Suarez, daß auch<br />

im Paradies <strong>de</strong>mjenigen, <strong>de</strong>r sich etwas erarbeitet hatte, das Er­<br />

arbeitete gerechterweise nicht genommen wer<strong>de</strong>n durfte, da es<br />

ja ihm gehörte. Hier taucht bereits ein Schimmer <strong>de</strong>s individual­<br />

rechtlichen Gesichtspunkts auf. Der einzelne wird erfaßt als<br />

Träger von <strong>Recht</strong>en, die ihm zustehen gegenüber <strong>de</strong>m Näch­<br />

sten <strong>und</strong> <strong>de</strong>m Ganzen. Suarez steht durchaus nicht gegen Tho­<br />

mas. Doch bleibt diese rechtliche Sicht bei Thomas noch ver­<br />

borgen: Es ist erlaubt, daß <strong>de</strong>r Mensch als solcher, also auch im<br />

391


66. 1/2 paradiesischen Zustand, etwas als sein betrachten kann. Aber<br />

<strong>de</strong>r Einzelmensch tut es nicht, er <strong>de</strong>nkt gar nicht daran, weil sich<br />

alles durch die ethische Vollkommenheit aller von selbst regelt.<br />

Thomas verbleibt noch viel zu sehr in <strong>de</strong>r ethischen Sicht <strong>de</strong>s<br />

Gemeinschaftslebens <strong>de</strong>r paradiesischen Menschen, um über­<br />

haupt an eine solche Entwicklung <strong>und</strong> Entfaltung <strong>de</strong>s latenten<br />

privaten <strong>Recht</strong>s zu <strong>de</strong>nken, von <strong>de</strong>m Suarez ausdrücklich<br />

spricht. Das <strong>Recht</strong> ist an sich da, es besteht auf Gr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r<br />

menschlichen Natur. Aber es ist in keiner Weise ein Gegenstand<br />

<strong>de</strong>r For<strong>de</strong>rung. Es wird nur in seiner ethischen Bewandtnis<br />

gesehen: <strong>de</strong>r einzelne achtet <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>rn. Es wird daher keiner<br />

die Veranlassung haben, an „sein" <strong>Recht</strong> zu <strong>de</strong>nken. Es wird<br />

also gera<strong>de</strong> das, was wir in <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen Auffassung <strong>de</strong>r Frei­<br />

heitsrechte beson<strong>de</strong>rs feststellen, das Individuelle <strong>und</strong> Vor­<br />

gemeinschaftliche, überhaupt nicht hervorgekehrt.<br />

Entsprechend dieser gr<strong>und</strong>sätzlich ethischen Sicht <strong>de</strong>r<br />

ursprünglichen Gemeinschaft <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Gemeinschaft über­<br />

haupt, konnte Thomas die Verteidigung <strong>de</strong>s Privateigentums,<br />

d. h. <strong>de</strong>r allgemeinen Aufteilung in privaten Besitz, wobei ein<br />

je<strong>de</strong>r zunächst als Einzelner auftritt, nur vornehmen vom Ge­<br />

sichtspunkt <strong>de</strong>s Gemeinschaftlichen, nicht etwa vom Gesichts­<br />

punkt <strong>de</strong>s Individuellen aus. Thomas erklärt nun, daß <strong>de</strong>r Kom­<br />

munismus aus Freiheit <strong>und</strong> ethischer Vollkommenheit nicht<br />

mehr möglich, daß vielmehr die private Aufteilung eine Not­<br />

wendigkeit gewor<strong>de</strong>n sei. Ein Zwangskommunismus wäre<br />

gegen das Naturrecht, <strong>de</strong>nn „das Naturrecht gebietet nicht, alles<br />

gemeinsam zu besitzen" (Art. 2 Zu 1). Das <strong>Recht</strong> auf Eigentum,<br />

<strong>und</strong> zwar das <strong>Recht</strong> eines je<strong>de</strong>n Menschen, weil es ein <strong>Recht</strong> <strong>de</strong>s<br />

Menschen überhaupt ist, wird stillschweigend vorausgesetzt.<br />

Aber dieses <strong>Recht</strong> ist nach Artikel 1 noch universal, nicht diffe­<br />

renziert verstan<strong>de</strong>n. Darum fragt Thomas nun im zweiten Arti­<br />

kel, ob man die Differenzierung vornehmen soll, so daß <strong>de</strong>r<br />

eine mehr, <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re weniger besitze, ohne daß <strong>de</strong>m allgemei­<br />

nen Sinn <strong>de</strong>r Güter (Dienst an <strong>de</strong>r Gesamtheit) irgendwie Ein­<br />

trag geschieht.<br />

Man achte wohl auf die Verschie<strong>de</strong>nheit <strong>de</strong>r Zugänge, die<br />

damals Thomas <strong>und</strong> heute uns zum differenzierten, d. h. indivi­<br />

duell bestimmten <strong>Recht</strong> auf Eigentum führen. Thomas sieht die<br />

soziale Bestimmung <strong>de</strong>r Güter, <strong>de</strong>n sogenannten negativen<br />

Kommunismus; er erkennt die gr<strong>und</strong>sätzliche Erlaubtheit <strong>de</strong>s<br />

Einzelbesitzes, sofern die soziale Finalität <strong>de</strong>r Güterwelt erfüllt<br />

392


wird (Art. 1). Für die Aktualisierung <strong>de</strong>s allgemeinen Natur- 66. 1/2<br />

rechts auf die Güter in Form von differenzierten Einzelrechten<br />

kommt daher für Thomas nur ein sozialbestimmter Gr<strong>und</strong> in<br />

Frage: <strong>de</strong>r Sinn <strong>de</strong>r Güterwelt, allen zu dienen. Wir dagegen<br />

machen diesen langen logischen Prozeß nicht mehr, son<strong>de</strong>rn<br />

kommen direkt zum differenzierten Privateigentumsrecht,<br />

in<strong>de</strong>m wir von <strong>de</strong>r Menschenwür<strong>de</strong> <strong>de</strong>s einzelnen ausgehen,<br />

von seinem bereits differenzierten Individuum-Sein, näherhin<br />

vom Vorstaatlichen, Vorgemeinschaftlichen.<br />

Welches sind nun die sozialen Grün<strong>de</strong>, welche die Verwirkli­<br />

chung <strong>de</strong>r allgemeinen Menschenrechte in Form von differen­<br />

zierten, d.h. Individualrechten for<strong>de</strong>rn? Thomas führt <strong>de</strong>ren<br />

drei an: 1. Anspornung zum Fleiß, <strong>de</strong>nn im allgemeinen besorgt<br />

<strong>de</strong>r Mensch das Gemeinwohl schlechter als das Eigenwohl, also<br />

Hebung <strong>de</strong>r Produktivität <strong>de</strong>r Arbeit; 2. bessere Behandlung<br />

<strong>de</strong>r Güter, also Vermeidung von Kapitalvergeudung; 3. Ruhe<br />

<strong>und</strong> Frie<strong>de</strong> unter <strong>de</strong>n Menschen, weil durch rechtliche Abgren­<br />

zung <strong>de</strong>r Streit vermie<strong>de</strong>n wird. 16<br />

Er kehrt also das Argument von Cbrysostomus gera<strong>de</strong> um.<br />

Während Cbrysostomus in <strong>de</strong>r Aufteilung einen Anlaß zum<br />

Unfrie<strong>de</strong>n sah, faßt sie Thomas als Mittel <strong>de</strong>s Frie<strong>de</strong>ns. Der ver­<br />

schie<strong>de</strong>ne Gesichtspunkt in diesen bei<strong>de</strong>n Äußerungen ist nicht<br />

außeracht zu lassen. Äußerer Anlaß zur rechtlichen Teilung<br />

mag die menschliche Schwäche <strong>und</strong> Sündhaftigkeit sein. Diese<br />

sieht <strong>de</strong>r Moralprediger Cbrysostomus. Innerer Sinn <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s<br />

aber ist Frie<strong>de</strong>nsordnung. Diese hat Thomas im Auge, er klärt<br />

also hier die Tradition ab. Die durchgängig gefor<strong>de</strong>rte soziale<br />

Zielsetzung <strong>de</strong>r materiellen Güterwelt wird voll <strong>und</strong> ganz<br />

gewahrt. Aus <strong>de</strong>m moralpessimistischen Argument, daß die<br />

Aufteilung auf die Bosheit <strong>de</strong>r Menschen zurückzuführen sei,<br />

wird die optimistische Formulierung: Die Aufteilung, die an<br />

sich gr<strong>und</strong>sätzlich erlaubt ist, wird gefor<strong>de</strong>rt im Hinblick auf<br />

die Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Menschheit, nicht um <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn um<br />

<strong>de</strong>m Ziel <strong>de</strong>r Schöpfung, <strong>de</strong>m Frie<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Menschheit, zu die­<br />

nen: „Verteilung <strong>und</strong> Besitznahme <strong>de</strong>r Dinge — ein Werk <strong>de</strong>s<br />

menschlichen <strong>Recht</strong>s — hin<strong>de</strong>rn nicht, ebendiese Dinge zur Lin­<br />

<strong>de</strong>rung menschlicher Not einzusetzen" (Art. 7).<br />

Die drei Grün<strong>de</strong> haben ihr F<strong>und</strong>ament bei Aristoteles. Vgl. Anm. [5], wo das<br />

Verhältnis <strong>de</strong>r aristotelischen Lehre zu <strong>de</strong>r <strong>de</strong>s hl.Thomas näher dargelegt<br />

wird.<br />

393


c) Das <strong>Recht</strong> auf Eigentum ein Naturrecht?<br />

So entsteht also um <strong>de</strong>r sozialen Ordnung willen die privat-<br />

rechtliche Ordnung. Ist nun dieses Privatrecht bei Thomas ein<br />

Naturrecht o<strong>de</strong>r nicht? Dies ist die entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Frage, von<br />

<strong>de</strong>r abhängt, ob die mo<strong>de</strong>rne Schauweise irgen<strong>de</strong>ine innere<br />

Beziehung zur Lehre <strong>de</strong>s hl. Thomas hat o<strong>de</strong>r nicht.<br />

In <strong>de</strong>r Tat spricht Thomas nicht ausdrücklich vom Natur­<br />

recht auf Privateigentum. Er konnte es auch gar nicht im Hin­<br />

blick auf die naturgemäße Zielbestimmung aller Güter auf das<br />

Gemeinwohl. Die private Eigentumsordnung wird bei ihm<br />

erschlossen aus dieser Zielsetzung <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Betrachtung <strong>de</strong>r<br />

konkreten Befindlichkeit <strong>de</strong>r Menschen. Darum sagt Thomas<br />

(Art. 2 Zu 1), daß die Aufteilung in privaten Besitz durch die<br />

menschliche Vernunft „gef<strong>und</strong>en" wor<strong>de</strong>n sei. Sie geht also über<br />

das Naturrecht hinaus, wie er ausdrücklich betont: Sie wird<br />

durch die Vernunft aus <strong>de</strong>m Naturrecht „herausgef<strong>und</strong>en"<br />

(a. a. O.), nicht, als ob damit das Naturrecht umgebogen wäre<br />

(I—II 94,5 Zu 3; DT, Bd. 13), son<strong>de</strong>rn hinzugefügt durch<br />

logische Anwendung <strong>de</strong>r Prinzipien auf konkrete Verhältnisse.<br />

Dabei han<strong>de</strong>lt es sich nicht nur um eine innere logische Entfal­<br />

tung von Naturrechtsprinzipien im Sinn <strong>de</strong>r rationalistischen<br />

Naturrechtslehre, son<strong>de</strong>rn um eine Logik, die eine neue, aus<br />

<strong>de</strong>r Erfahrung stammen<strong>de</strong> Erkenntnis in sich aufnimmt, näm­<br />

lich die Erfahrung, daß bei Aufteilung <strong>de</strong>r Sinn <strong>de</strong>r Güterwelt<br />

besser gewahrt sei. Daraus ergibt sich als ermittelte, hinzuge­<br />

wonnene Erkenntnis: Das latente allgemeine <strong>Recht</strong> auf die<br />

Güter dieser Welt muß als privates Eigentumsrecht aktuiert<br />

wer<strong>de</strong>n. Nichts an<strong>de</strong>res ist gemeint durch „herausfin<strong>de</strong>n", was<br />

dadurch erwiesen ist, daß Thomas das Privateigentum zum „jus<br />

gentium" rechnet (57,3).<br />

Damit aber sind wir bei <strong>de</strong>r Lösung unserer Frage: Thomas<br />

sieht im privaten Eigentum, das sich einer erworben hat, ein<br />

Naturrecht; <strong>de</strong>nn alles, was in <strong>de</strong>r konkreten Situation <strong>de</strong>r<br />

menschlichen Natur entspricht, auch wenn es erschlossen, also<br />

auch wenn es zum „jus gentium" gehört, ist ein natürliches<br />

<strong>Recht</strong>. Allerdings beachte man wohl, unter welchen logischen<br />

Voraussetzungen Thomas zu diesem Naturrecht kommt. Der<br />

einzelne kann tatsächlich das von ihm Erworbene nur als „sein"<br />

Naturrecht bezeichnen, insofern vom Gemeinwohl her bereits<br />

die private Eigentumsordnung als naturgemäß erwiesen ist <strong>und</strong><br />

394


insofern das von ihm Erworbene <strong>de</strong>n Ursinn <strong>de</strong>r privaten<br />

Eigentumsordnung nicht vernichtet, nämlich die Güter mög­<br />

lichst allen zugänglich zu machen. Es gehen also diesem indivi­<br />

duellen „Naturrecht" Bedingungen voraus, die als vordringli­<br />

chere Naturprinzipien zuerst erfüllt sein müssen. Die private<br />

Eigentumsordnung als allgemeines Prinzip verteidigt Thomas<br />

in umfassen<strong>de</strong>r Weise für die Menschheit als solche, nach<strong>de</strong>m<br />

sie in die Sün<strong>de</strong> gefallen ist. Damit aber ist das individuell<br />

Erworbene noch nicht ausreichend als „Naturrecht" gerechtfer­<br />

tigt. Es muß die nächste Bedingung erfüllt sein, daß nämlich das<br />

jeweils konkret Erworbene <strong>de</strong>m ursprünglichen Sinn <strong>de</strong>r Güter<br />

wirklich gerecht wird. Da die private Eigentumsordnung eine<br />

<strong>Recht</strong>sordnung ist, bleibt als Instanz, welche diese kontingente<br />

<strong>und</strong> wechseln<strong>de</strong> Bedingung stets neu bestimmt, nur eine<br />

menschliche Institution, nämlich die menschliche Überein­<br />

kunft, die zum gesatzten <strong>Recht</strong> gehört (Art. 2 Zu 1).<br />

Das gesatzte <strong>Recht</strong> spielt in <strong>de</strong>r Bestimmung <strong>de</strong>s Privatei­<br />

gentums eine große Rolle. Dabei <strong>de</strong>nkt Thomas aber nicht so<br />

sehr an die Willensäußerung <strong>de</strong>r staatlichen Autorität als sol­<br />

cher, son<strong>de</strong>rn vielmehr an das Gemeinwohl, das in dieser Wil­<br />

lensäußerung bestimmt wer<strong>de</strong>n soll. In diesem Sinn wird nach<br />

Thomas das <strong>Recht</strong> auf Eigentum sogar erst wirklich. So gehört<br />

ein gef<strong>und</strong>ener Gegenstand <strong>de</strong>m Fin<strong>de</strong>r nicht mehr, wenn die<br />

bürgerlichen Gesetze dies bestimmen (Art. 5 Zu 2). Auch sagt<br />

Thomas (Art. 5 Zu 1), daß in <strong>de</strong>m Augenblick, da <strong>de</strong>r Richter<br />

einen Gegenstand irgend jeman<strong>de</strong>m zuspricht, dieser Gegen­<br />

stand diesem gehöre, so daß er ihn bei <strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r ihn noch zu­<br />

rückhalten wollte, heimlich holen könne, ohne Diebstahl zu be­<br />

gehen.<br />

Soll dies aber heißen, daß Thomas bezüglich <strong>de</strong>s Privateigen­<br />

tums doch einen reinen Positivismus vertrete ? In <strong>de</strong>r Beantwor­<br />

tung dieser Frage stoßen wir wohl auf jenen Punkt, von <strong>de</strong>m aus<br />

die alte <strong>und</strong> die neue Sicht in ihrer gegenseitigen Zuordnung<br />

erst verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n können. Unter Voraussetzung <strong>de</strong>s wah­<br />

ren Gemeinwohls gilt immer, daß das <strong>Recht</strong> auf Privateigentum<br />

ein Nachfahre <strong>de</strong>s Gemeinwohls ist, niemals aber vorgemein­<br />

schaftlich. Auch die mo<strong>de</strong>rne christliche Schauweise anerkennt<br />

keine vorgemeinschaftlichen <strong>Recht</strong>e, son<strong>de</strong>rn sieht alle Men­<br />

schenrechte nur innerhalb <strong>de</strong>r Gemeinschaft. Leo XIII. hat nie­<br />

mals im Sinn gehabt, das vorstaatliche <strong>Recht</strong> auf Eigentum als<br />

ein vorgemeinschaftliches zu bezeichnen. Thomas sieht nun auf<br />

395


<strong>de</strong>r abstrakten Höhe, auf welcher sich seine Philosophie vom<br />

Privateigentum hält, in <strong>de</strong>m menschlichen Gesetz das Sprach­<br />

rohr <strong>de</strong>s Gemeinwohls. Darum kann er ohne Sorge sagen, daß<br />

das Privateigentum eine „Institution" <strong>de</strong>s menschlichen Geset­<br />

zes sei. Für <strong>de</strong>n Fall, daß ein Machthaber gegen das wahre<br />

Gemeinwohl, also gegen die <strong>Gerechtigkeit</strong>, das Gut eines Glie­<br />

<strong>de</strong>s <strong>de</strong>r Gemeinschaft an sich reißen wür<strong>de</strong>, begeht er Raub, wie<br />

Thomas ausdrücklich erklärt (Art. 8). Diese Sicht muß man<br />

festhalten, um von Thomas aus <strong>de</strong>n Zugang zu <strong>de</strong>n vorstaat­<br />

lichen Naturrechten im mo<strong>de</strong>rnen Sinne zu fin<strong>de</strong>n. Den Staat<br />

<strong>de</strong>r Philosophen gibt es nicht. Es existieren viele Staaten, von<br />

<strong>de</strong>nen keiner für sich in Anspruch nehmen kann, er vertrete das<br />

ganze Humanum. Zu<strong>de</strong>m haben wir heute aufgr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r<br />

geschichtlichen Kenntnisse allen Gr<strong>und</strong>, gegenüber <strong>de</strong>n Ent­<br />

scheidungen <strong>de</strong>r staatlichen Autoritätsträger skeptisch zu sein.<br />

Wir erklären darum mit viel größerem Gewicht als etwa Tho­<br />

mas, daß <strong>de</strong>r Staat sich an die von <strong>de</strong>r Natur vorgegebenen<br />

<strong>Recht</strong>e zu halten habe. Diese vorgegebenen <strong>Recht</strong>e sind nie­<br />

mals gemeinschaftsfremd, sie sind zwar immer sozialbestimmt,<br />

aber <strong>de</strong>m Willen <strong>de</strong>s Staates übergeordnet. Da nun die vorgege­<br />

bene soziale Ordnung die Ordnung <strong>de</strong>r privaten <strong>Recht</strong>sord­<br />

nung ist, steht zunächst die Präsumtion für das Individuum. So<br />

kommen wir dazu, zu sagen, <strong>de</strong>r Einzelmensch habe ein natür­<br />

liches <strong>Recht</strong> auf sein Eigentum. Philosophisch aber bleibt dieses<br />

„vorstaatliche" <strong>Recht</strong> naturrechtlich ein soziales <strong>und</strong> damit im<br />

Gr<strong>und</strong>e — abstrakt gesehen (!) — auch ein staatliches <strong>Recht</strong>.<br />

Die vorzügliche Stellung, die die private Eigentumsordnung<br />

als — wenngleich abgeleitetes — Naturrecht einnimmt, verpflich­<br />

tet die staatliche Autorität, bestehen<strong>de</strong> Eigentumsverhältnisse<br />

zu respektieren. Die Behör<strong>de</strong>n haben darum z.B. in ihrer<br />

Raumplanung darauf zu achten, daß erworbenes Eigentum<br />

nicht einfach unter das Rad <strong>de</strong>r Enteignung gerät, weil diese<br />

gera<strong>de</strong> im Augenblick vom Gemeinwohl erfor<strong>de</strong>rt erscheint.<br />

Die Enteignung (im Normalfall gegen Entschädigung) ist zwar<br />

durch das Gemeinwohl gerechtfertigt. Die Behör<strong>de</strong>n dürften<br />

sich aber ihrer eigenen Erkenntnisgrenzen bewußt sein <strong>und</strong> ihre<br />

Integration <strong>de</strong>s Gemeinwohls nicht als die einzig richtige anse­<br />

hen. Die Gefahr <strong>de</strong>r langsamen, unbemerkten Zersetzung <strong>de</strong>r<br />

privaten Eigentumsordnung als eines naturrechtlich gebotenen<br />

sozialen Ordnungsprinzips ist ernst zu nehmen.<br />

396


Es dürfte nicht müßig sein, noch eigens zu betonen, daß auch 66. 1/2<br />

im großen Weltraum die Präsumtion stets für das Private steht,<br />

nach<strong>de</strong>m mit Thomas nachgewiesen ist, daß die Privatordnung<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich <strong>de</strong>n sozialen Sinn <strong>de</strong>r Güterwelt besser erfüllt als<br />

eine kommunistische Ordnung. Allerdings ist in diesem Raum<br />

das Private in viel größerem Ausmaß sozial belastet als nur<br />

innerhalb eines einzelnen Staates. Diese Feststellung mag über­<br />

raschen, weil wir heute in unserem Staats<strong>de</strong>nken gera<strong>de</strong> umge­<br />

kehrte Vorstellungen haben.<br />

d) Die Reichweite <strong>de</strong>s Privaten<br />

Worin sieht Thomas nun eigentlich <strong>de</strong>n privaten Bereich im<br />

Eigentum, da doch <strong>de</strong>r Gebrauch selbst gemeinsam sein soll?<br />

Diese Frage bedarf <strong>de</strong>r Klärung, weil davon die Anwendungs­<br />

möglichkeit <strong>de</strong>s thomasischen Eigentumsbegriffs auf mo<strong>de</strong>rne<br />

wirtschaftliche Verhältnisse abhängt.<br />

Thomas meint (Art. 2), daß <strong>de</strong>r Mensch berechtigt sei, etwas<br />

privat zu erwerben <strong>und</strong> zu verwalten. Bei<strong>de</strong>s, Erwerb <strong>und</strong> Ver­<br />

waltung, untersteht <strong>de</strong>n Normen <strong>de</strong>r Moral, entschei<strong>de</strong>nd also<br />

<strong>de</strong>m Gewissen.<br />

Der Erwerb darf nicht grenzenlos sein. Von <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>s<br />

Geizes sagt darum Thomas, sie liege nicht nur dann vor, wenn<br />

jemand einen Überfluß zurückhält, son<strong>de</strong>rn auch, wenn er<br />

„mehr, als ihm gebührt, erwirbt" (II—II 118,1 Zu 2; DT,<br />

Bd. 20). Allerdings ist die rechtliche Seite <strong>de</strong>s Erwerbs nach<br />

Thomas privat, so schwer auch die ethischen Lasten zugunsten<br />

<strong>de</strong>s Nächsten sein mögen.<br />

Dasselbe gilt von <strong>de</strong>r Verwaltung. Die Verwaltung versteht<br />

Thomas als „die Zumessung von etwas Gemeinsamem auf die<br />

einzelnen; darum wird auch <strong>de</strong>r Leiter <strong>de</strong>r Familie Verwalter<br />

genannt, insofern er je<strong>de</strong>m Glied <strong>de</strong>r Familie mit Gewicht <strong>und</strong><br />

Maß sowohl Beschäftigung wie auch das zum Leben Notwen­<br />

dige zuteilt" (I—II 97,4; DT, Bd. 13). Ähnlich in II-II 88,10<br />

(DT, Bd. 19): „Die Verwaltung bezeichnet offenbar eine gewisse<br />

abgewogene Austeilung o<strong>de</strong>r Zuwendung von etwas Gemein­<br />

samem an die Teile, die in ihm beschlossen sind. Auf diese Weise<br />

sagt man, es wür<strong>de</strong> jemand die Speise <strong>de</strong>r Familie verwalten."<br />

Der Gebrauch <strong>de</strong>r Dinge ist sozial bestimmt, allerdings in<br />

<strong>de</strong>r Weise, daß das <strong>Recht</strong> auf <strong>de</strong>n Gebrauch zunächst beim<br />

Eigentümer liegt <strong>und</strong> die Einschränkung erst durch gesetzliche<br />

397


Maßnahmen erfährt, wobei aber bereits vor <strong>de</strong>m gesatzten<br />

<strong>Recht</strong> die ethische Pflicht besteht, die natürliche Zweckbestim­<br />

mung <strong>de</strong>r Dinge zu erfüllen <strong>und</strong> sie darum aus freien Stücken<br />

<strong>de</strong>m Nächsten zur Verfügung zu stellen. Diese freie Tat ist<br />

Liebe, zugleich aber zu einem be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>n Stück soziale<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> (vgl. A. F. Utz, Freiheit <strong>und</strong> Bindung <strong>de</strong>s Eigen­<br />

tums, 1949, 72-83).<br />

In <strong>de</strong>r Enzyklika „Rerum novarum" ist jedoch nicht nur vom<br />

<strong>Recht</strong> auf die Verwaltung als einem privaten Moment im Eigen­<br />

tum die Re<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn auch vom <strong>Recht</strong> auf die Sache selbst. Es<br />

ist keine Frage, daß Thomas dieses <strong>Recht</strong> miteinschließt in <strong>de</strong>m<br />

Begriff <strong>de</strong>s „Anschaffens" (procurare = besorgen). Somit gehört<br />

nach Thomas auch <strong>de</strong>r Bo<strong>de</strong>n <strong>de</strong>mjenigen, <strong>de</strong>r ihn durch Arbeit<br />

o<strong>de</strong>r sonst aufgr<strong>und</strong> irgen<strong>de</strong>ines Titels erworben hat. Um die­<br />

ses substantiellen Eigentumsrechts willen besitzt <strong>de</strong>r Eigentü­<br />

mer das <strong>Recht</strong> <strong>de</strong>r Verwaltung <strong>und</strong> Verfügung.<br />

e) Der Eigentumsbegriff <strong>de</strong>s hl. Thomas <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Wan<strong>de</strong>l<br />

<strong>de</strong>r Wirtschaft<br />

Für <strong>de</strong>n mittelalterlichen Menschen war das Eigentum<br />

unmittelbar <strong>de</strong>m Zweck unterstellt, <strong>de</strong>n in letzter Entscheidung<br />

die irdischen Güter immer haben müssen: Erhaltung <strong>und</strong> Siche­<br />

rung <strong>de</strong>s menschlichen Lebens. Darum begegnen wir <strong>de</strong>r sozia­<br />

len Bindung <strong>de</strong>s Eigentums sozusagen nur in <strong>de</strong>r Form <strong>de</strong>r<br />

Zuteilung von Konsumgütern an die Armen. Fast endlos sind<br />

die Traktate über <strong>de</strong>n Überfluß <strong>und</strong> seine Abschöpfung durch<br />

das Almosen. Da <strong>de</strong>r Kleinbürger immer noch unterhalb <strong>de</strong>s<br />

Ran<strong>de</strong>s blieb, über welchen <strong>de</strong>r Überfluß abfloß bzw. abfließen<br />

mußte, war er <strong>de</strong>r unbelastete, privilegierte <strong>und</strong> unumstrittene<br />

Träger seiner <strong>Recht</strong>e. So war <strong>und</strong> blieb es durch die ganze Zeit<br />

<strong>de</strong>s Handwerks <strong>und</strong> <strong>de</strong>s bäuerlichen Lebensstils. Es herrschte<br />

also die rein quantitative Sicht <strong>de</strong>s Eigentums vor. Man dachte<br />

nicht an eine qualitative Bindung <strong>de</strong>s Eigentums innerhalb <strong>de</strong>r<br />

Produktion, daß z.B. die Verfügungsgewalt in irgen<strong>de</strong>iner<br />

Weise durch die Vertreter <strong>de</strong>r Arbeit mitbeansprucht wer<strong>de</strong>n<br />

könnte. Heute sind wir gewohnt, in <strong>de</strong>n Großbetrieben die Ver­<br />

waltung in <strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong>n von vertraglich verpflichteten Direkto­<br />

ren zu sehen. Der Manager ist ein neuer Typ im wirtschaftlichen<br />

Leben. Immer noch allerdings ist er sozialer Vertreter <strong>de</strong>s Kapi­<br />

talbesitzers. Insofern bleibt die Verbindung zum Eigentümer<br />

398


noch gewahrt, wenngleich sie gera<strong>de</strong> im Hinblick auf das um- 66. 1/2<br />

fangreiche Kreditwesen äußerst locker gewor<strong>de</strong>n ist. Wir sind<br />

heute auch so weit vorgedrungen, daß auf <strong>de</strong>r Ebene <strong>de</strong>r Berufs­<br />

stän<strong>de</strong> eine volle Parität zwischen Kapitalbesitzer <strong>und</strong> Arbeit­<br />

nehmer besteht. Unsere Vorstellung vom Eigentum <strong>und</strong> <strong>de</strong>r<br />

damit verb<strong>und</strong>enen privaten Verfügung fin<strong>de</strong>t also in einer<br />

gewissen, wenn auch indirekten (nämlich über <strong>de</strong>n Berufsstand<br />

<strong>und</strong> die Wirtschaftspolitik sich bil<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n) Verfügungsbe­<br />

schränkung nichts Frem<strong>de</strong>s mehr; d.h., wir haben auch eine<br />

qualitative soziale Belastung <strong>de</strong>s Eigentums anerkannt. Neuer­<br />

dings geht <strong>de</strong>r Streit sogar so weit, daß die Parität auch auf <strong>de</strong>r<br />

Basis <strong>de</strong>s Betriebs betont wird, so daß das Zentrale <strong>de</strong>s Priva­<br />

ten, nämlich die Verfügung, getroffen zu sein scheint. Es ist dies<br />

die bekannte Frage nach <strong>de</strong>m wirtschaftlichen Mitbestim­<br />

mungsrecht im Betrieb.<br />

Was hier beson<strong>de</strong>rs interessiert, ist die Frage, in welchem<br />

Sinn die freie Verfügungsgewalt bei Thomas zu verstehen sei.<br />

Die Verfügungsgewalt, die nach Thomas <strong>de</strong>r Mittelpunkt <strong>de</strong>s<br />

Privateigentums ist, besteht nur um <strong>de</strong>s Gemeinwohls willen.<br />

Thomas hat darum diese Verfügungsfreiheit unmöglich im Sinn<br />

einer isolierten Freiheit verstehen können. Aus diesem Gr<strong>und</strong><br />

besteht keine Schwierigkeit für das thomasische Denken, eine<br />

Beschränkung <strong>de</strong>r Verfügungsgewalt dort anzuerkennen, wo<br />

das Gemeinwohl sie for<strong>de</strong>rt. Es ist darum bei Thomas mit <strong>de</strong>r<br />

Verteidigung <strong>de</strong>r privaten Eigentumsordnung noch gar nichts<br />

über die Notwendigkeit einer freien o<strong>de</strong>r einer gelenkten Wirt­<br />

schaft ausgemacht. Gewiß, die Präsumtion steht für die freie,<br />

aber: im Rahmen <strong>de</strong>s Gemeinwohls, <strong>und</strong> nicht nur das, son<strong>de</strong>rn<br />

sogar nur zur Wahrung <strong>de</strong>s Gemeinwohls. Es ist nun eine Frage<br />

<strong>de</strong>s wirtschaftswissenschaftlichen Wissens <strong>und</strong> <strong>de</strong>r klugen, ver­<br />

antwortungsvollen Wirtschaftspolitik, zu entschei<strong>de</strong>n, ob im<br />

einzelnen Fall eine qualitative Beschränkung <strong>de</strong>s Eigentums,<br />

eine Beschränkung <strong>de</strong>r Verfügungsgewalt durch irgendwelche<br />

beteiligte Nicht-Eigentümer um <strong>de</strong>s Gemeinwohls willen<br />

gefor<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n müsse. Doch darf man nicht aus <strong>de</strong>m Auge<br />

verlieren, daß <strong>de</strong>r Eigentümer als Verwalter <strong>de</strong>n Kern <strong>de</strong>r Eigen­<br />

tumslehre <strong>de</strong>s hl. Thomas bil<strong>de</strong>t. Um <strong>de</strong>n Eigentümer an seine<br />

Pflicht zu bin<strong>de</strong>n, sich als Verwalter im Sinn <strong>de</strong>s Gemeinwohls<br />

zu betrachten, sind gesetzliche Normen notwendig. Diese soll­<br />

ten aber nicht zur Auflösung <strong>de</strong>s Verwaltungsrechts <strong>de</strong>s Eigen­<br />

tümers führen.<br />

399


66. 1/2 Die Gr<strong>und</strong>legung <strong>de</strong>r privaten Eigentumsordnung im<br />

Gemeinwohl wirkt sich in bemerkenswerter Weise auf das<br />

mo<strong>de</strong>rne Problem <strong>de</strong>s Kapitalismus aus. Kapitalismus hat dabei<br />

nicht eine rein wirtschaftliche Funktion, be<strong>de</strong>utet hier auch<br />

nicht irgen<strong>de</strong>ine moralische Einstellung auf Gewinn, son<strong>de</strong>rn<br />

umfaßt einen w\nschz{t.srechtlich'en Inhalt, die Beziehung <strong>de</strong>r<br />

wirtschaftlichen Größe „Kapital" zum Eigentümer: Ein an<strong>de</strong>rer<br />

ist es, <strong>de</strong>r die Arbeit leistet, <strong>und</strong> ein an<strong>de</strong>rer, <strong>de</strong>r das Kapital gibt<br />

(Entsprechen<strong>de</strong>s gilt auch vom Zinsproblem, vgl. Fr. 78). Die<br />

kapitalistische Wirtschaftsweise ergibt sich unmittelbar aus <strong>de</strong>r<br />

privaten Eigentumsordnung. So lange im Produktionsprozeß<br />

die Betonung auf <strong>de</strong>m Privaten ruht, so lange ist auch die kapi­<br />

talistische Wirtschaftsweise eine logische Notwendigkeit. Es<br />

kommt <strong>de</strong>mnach ganz darauf an, sich über <strong>de</strong>n metaphysisch­<br />

ethischen Ort <strong>de</strong>r privaten Eigentumsordnung klar zu sein. Es<br />

wäre — je<strong>de</strong>nfalls in <strong>de</strong>r Denkweise <strong>de</strong>s hl. Thomas — gr<strong>und</strong>weg<br />

falsch, die private Eigentumsordnung als ein Apriori aufzufas­<br />

sen im Sinn <strong>de</strong>s unwan<strong>de</strong>lbaren, ewig gleichbleiben<strong>de</strong>n Natur­<br />

rechts. Thomas selbst hat sich in seinem Nachweis <strong>de</strong>s Privatei­<br />

gentums sehr vorsichtig ausgedrückt, in<strong>de</strong>m er bei allen drei<br />

Grün<strong>de</strong>n die komparativische, nicht die absolute Form<br />

benützt: mehr Fleißaufwendung <strong>de</strong>s arbeiten<strong>de</strong>n Menschen,<br />

bessere Behandlung <strong>de</strong>r Güter, bessere Bewahrung <strong>de</strong>s allgemei­<br />

nen Frie<strong>de</strong>ns (Art. 2). Das Apriori in <strong>de</strong>r Eigentumsfrage ist bei<br />

Thomas das Gemeinwohl. Wenn einmal die privatrechtliche<br />

Scheidung von Arbeit <strong>und</strong> Kapital im Produktionsprozeß vom<br />

Gemeinwohl her nicht mehr empfohlen o<strong>de</strong>r angezeigt wäre,<br />

dann wür<strong>de</strong> logischerweise die kapitalistische Wirtschaftsweise<br />

abgeschafft wer<strong>de</strong>n müssen. Doch besteht zu dieser Abschaf­<br />

fung noch kein Gr<strong>und</strong>. Im Raum <strong>de</strong>s An-sich wäre sie aber<br />

durchaus <strong>de</strong>nkbar. Man wür<strong>de</strong> die kirchliche Soziallehre völlig<br />

verdrehen, wür<strong>de</strong> man die kapitalistische Wirtschaftsweise wie<br />

ein Dogma betrachten. Der Blick auf die Tradition <strong>de</strong>r kirchli­<br />

chen Lehre dürfte hierüber genügend Aufschluß gegeben<br />

haben. Den Schlüssel zum Verständnis <strong>de</strong>r gesamten Zusam­<br />

menhänge bietet nur ein gründliches Studium <strong>de</strong>s Wesens <strong>de</strong>s<br />

Naturrechts (vgl. Kommentar zu Fr. 57).<br />

400


B. DIE SITTLICHE BEWERTUNG DES DIEBSTAHLS<br />

UND DES RAUBES<br />

(Art. 3-9)<br />

Thomas bestimmt (Art. 3) mit <strong>de</strong>r Tradition <strong>de</strong>n Diebstahl<br />

als geheime Wegnahme einer frem<strong>de</strong>n Sache. Drei Momente<br />

sind in dieser Definition enthalten:<br />

1. Frem<strong>de</strong>s; dadurch wird im eigentlichen Sinn die Gerech­<br />

tigkeit berührt. 2. Ein Sachgut; dadurch wird <strong>de</strong>r Diebstahl<br />

gegen Körperverletzung unterschie<strong>de</strong>n. 3. Geheim; hierdurch<br />

wird <strong>de</strong>r Unterschied gegen <strong>de</strong>n Raub angegeben.<br />

Es ist nun eigenartig, in welcher Weise Thomas <strong>de</strong>n Raub als<br />

vom Diebstahl wesentlich verschie<strong>de</strong>n nachweist. Wir wür<strong>de</strong>n<br />

heute sagen, daß <strong>de</strong>r Raub eine beson<strong>de</strong>re Erschwerung <strong>de</strong>s<br />

Diebstahls <strong>und</strong> darüber hinaus noch eine Bedrohung <strong>de</strong>r kör­<br />

perlichen Unversehrtheit <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>rn be<strong>de</strong>utet, also von hier aus<br />

die Bewandtnis einer an<strong>de</strong>rn Art <strong>de</strong>r Ungerechtigkeit annimmt.<br />

Thomas aber lag ein festes Schema vor, gemäß <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Raub<br />

eine einzig auf frem<strong>de</strong>s Sachgut gerichtete Ungerechtigkeit ist,<br />

so daß je<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re Gesichtspunkt wie <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r möglichen o<strong>de</strong>r<br />

wirklichen Körperverletzung unmittelbar nicht in Betracht<br />

kommt. Wie aber soll man <strong>de</strong>n Raub als eine beson<strong>de</strong>re Art <strong>de</strong>r<br />

Ungerechtigkeit erkennen, die sich auch vom Diebstahl wesent­<br />

lich unterschei<strong>de</strong>t? Um nun diese eigene Wesensart <strong>de</strong>r Unge­<br />

rechtigkeit zu wahren, erklärt Thomas, daß sowohl <strong>de</strong>r Dieb­<br />

stahl wie auch <strong>de</strong>r Raub zwar eine Wegnahme frem<strong>de</strong>n Gutes<br />

gegen <strong>de</strong>n Willen <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>rn be<strong>de</strong>uten, daß aber eben dieser<br />

Unwille <strong>de</strong>s Bestohlenen o<strong>de</strong>r Beraubten bei Diebstahl <strong>und</strong> bei<br />

Raub je verschie<strong>de</strong>n sei. Beim Diebstahl äußert sich <strong>de</strong>r Unwille<br />

im reinen Nichtwollen <strong>de</strong>s Eigentümers, beim Raub im positi­<br />

ven Wi<strong>de</strong>rstreben gegen die Gewalt.<br />

Man könnte sich allerdings fragen, ob die Ineinssetzung von<br />

Unwillen <strong>und</strong> reinem Nichtwollen, also <strong>de</strong>m völligen Fehlen<br />

jeglichen Willensaktes, angängig sei, da zur Ungerechtigkeit<br />

notwendigerweise vorausgesetzt wird, daß <strong>de</strong>rjenige, <strong>de</strong>m ein<br />

Unrecht geschieht, positiv unwillig ist o<strong>de</strong>r wenigstens als sol­<br />

cher angenommen wird. Thomas selbst setzt in <strong>de</strong>m Prinzip,<br />

daß niemand mit Willen (wir wür<strong>de</strong>n sagen „mit Vergnügen")<br />

lei<strong>de</strong>t, voraus, daß man als Unwilliger <strong>und</strong> nicht bloß als Willen­<br />

loser lei<strong>de</strong>.<br />

401


66. 3-9 Und <strong>de</strong>nnoch offenbart die Art, in welcher Thomas <strong>de</strong>n<br />

Diebstahl <strong>und</strong> <strong>de</strong>n Raub voneinan<strong>de</strong>r unterschei<strong>de</strong>t, <strong>de</strong>n mora­<br />

lischen Zusammenhang mit <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> bzw. <strong>de</strong>r Unge­<br />

rechtigkeit besser als je<strong>de</strong> an<strong>de</strong>re Erklärung. Von seiten <strong>de</strong>ssen,<br />

<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Diebstahl begeht, genügt es, daß er absichtlich das<br />

Nicht-wissen <strong>de</strong>s Besitzers ben<strong>utz</strong>t, um an die Sache zu kom­<br />

men. Wenngleich also vonseiten <strong>de</strong>s Besitzers noch keinerlei<br />

Unwille geäußert wor<strong>de</strong>n ist, noch überhaupt möglich war, so<br />

tritt doch das reine Nicht-wissen <strong>de</strong>s Besitzers in die moralische<br />

Bewertung <strong>de</strong>s Diebstahls, weil die Verheimlichung die Ursache<br />

<strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Diebstahls ist, wie Thomas ausdrücklich sagt<br />

(Art. 3 Zu 1). Demgegenüber bringt das Wissen <strong>de</strong>s Besitzers,<br />

das sich mit <strong>de</strong>m positiven Unwillen verbin<strong>de</strong>t, beim Raub eine<br />

ganz neue moralische Note hinein. Der Räuber rechnet das<br />

Wissen <strong>de</strong>s zu Berauben<strong>de</strong>n mit in sein Unternehmen ein, er<br />

überwin<strong>de</strong>t es — nicht wie beim Diebstahl durch Verheimli­<br />

chung, da Verheimlichung natürlich ausgeschlossen ist, son<strong>de</strong>rn<br />

— durch Anwendung von Gewalt.<br />

Diebstahl ist immer Sün<strong>de</strong>, erklärt Thomas im 5. Artikel,<br />

<strong>und</strong> zwar schwere Sün<strong>de</strong>, wie es im sechsten Artikel heißt;<br />

<strong>de</strong>nn es wird damit zugleich auch die göttliche Liebe verletzt,<br />

die gebietet, daß man <strong>de</strong>n Nächsten achte, in<strong>de</strong>m man ihm<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> wi<strong>de</strong>rfahren läßt. Eine beson<strong>de</strong>re Note erhält<br />

diese Sün<strong>de</strong>, wenn sie zur Gewohnheit in <strong>de</strong>r Gesellschaft wird,<br />

weil dann die menschliche Gesellschaft in Gefahr ist (Art. 6).<br />

Diese Feststellung <strong>de</strong>s hl. Thomas verdient <strong>de</strong>swegen eigene<br />

Aufmerksamkeit, weil hier <strong>de</strong>r christlichen Liebe die Sorge um<br />

<strong>de</strong>n Bestand <strong>de</strong>r Gesellschaft aufgetragen wird, wenn auch<br />

nicht direkt, son<strong>de</strong>rn über die <strong>Gerechtigkeit</strong>. Selbstre<strong>de</strong>nd läßt<br />

Thomas im Bereich <strong>de</strong>s Diebstahls auch eine geringfügige<br />

Sache <strong>und</strong> damit eine läßliche Sün<strong>de</strong> zu (vgl. 59,4 Zu 1).<br />

Der Raub wird als schwerere Sün<strong>de</strong> erklärt als <strong>de</strong>r Diebstahl,<br />

weil dabei nicht nur das Nicht-wissen eines an<strong>de</strong>rn listig ausge­<br />

n<strong>utz</strong>t, son<strong>de</strong>rn direkt gegen das Wissen mit Gewalt vorgegan­<br />

gen wird (Art. 9). Ferner — <strong>und</strong> damit berührt Thomas mehr<br />

<strong>de</strong>n Gr<strong>und</strong>, <strong>de</strong>n wir in <strong>de</strong>n mo<strong>de</strong>rnen Moralbüchern fin<strong>de</strong>n — ist<br />

<strong>de</strong>r Raub nicht nur auf die Sache, son<strong>de</strong>rn auch auf die Person<br />

gerichtet, welche unmittelbar bedroht wird.<br />

Von beson<strong>de</strong>rem, sowohl praktischem wie auch wissen­<br />

schaftlichem Interesse sind die bei<strong>de</strong>n Artikel 7 <strong>und</strong> 8, worin<br />

Thomas <strong>de</strong>r Frage nachgeht, ob es Fälle von heimlicher <strong>und</strong><br />

402


gewaltsamer Wegnahme materieller Güter gäbe, in <strong>de</strong>nen von 66. 3-9<br />

Diebstahl o<strong>de</strong>r Raub <strong>und</strong> in <strong>de</strong>r Folge von Sün<strong>de</strong> keine Re<strong>de</strong><br />

mehr sein könne. Theoretisch ist die Frage von Interesse, inso­<br />

fern bei <strong>de</strong>r heimlichen Wegnahme das <strong>Recht</strong> <strong>de</strong>s Armen <strong>und</strong><br />

Notlei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n <strong>und</strong> bei <strong>de</strong>r gewaltsamen Wegnahme, das <strong>Recht</strong><br />

<strong>de</strong>s Staates abgeklärt wird. Praktisch hat diese Frage ihre eigene<br />

Be<strong>de</strong>utung, weil darin be<strong>de</strong>utsame gesellschaftliche Bewegun­<br />

gen, wie die Revolution <strong>de</strong>s Proletariats gegen die Besitzen<strong>de</strong>n,<br />

<strong>und</strong> politische Maßnahmen, wie die <strong>de</strong>r Verstaatlichungen, ihre<br />

Beurteilung erhalten.<br />

Verliert aus irgen<strong>de</strong>inem Gr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r Besitzer, <strong>de</strong>r bisher<br />

Eigentümer von Gütern war, sein Eigentumsrecht, ohne daß er<br />

selbst darauf verzichtet? Wenn ja, dann ergibt sich ohne weite­<br />

res, daß zumin<strong>de</strong>st eine heimliche Wegnahme ohne Diebstahl<br />

erlaubt ist. Es fragt sich dann nur noch, ob auch mit Gewalt <strong>de</strong>r<br />

Abtransport durch <strong>de</strong>n neuen Eigentümer besorgt wer<strong>de</strong>n<br />

könne. Thomas behan<strong>de</strong>lt diese bei<strong>de</strong>n Teile getrennt, in<strong>de</strong>m er<br />

zunächst (Art. 7) die Frage stellt, ob es in äußerster Not erlaubt<br />

sei, frem<strong>de</strong>s Gut geheim, wie im Diebstahl, wegzunehmen,<br />

dann in Art. 8, ob man ohne Sün<strong>de</strong> frem<strong>de</strong>s Gut mit Gewalt,<br />

wie beim Raub, <strong>de</strong>m Besitzer entreißen dürfe.<br />

Thomas greift <strong>de</strong>n Inhalt <strong>de</strong>s ersten Artikels auf, in<strong>de</strong>m er auf<br />

<strong>de</strong>n negativen Kommunismus, also auf die soziale Belastung<br />

jeglichen Eigentums, vor allem <strong>de</strong>s Überflusses hinweist. Und<br />

zwar nennt er diese soziale Belastung eine naturrechtliche.<br />

Wenn darum ein Notlei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>r in äußerster Not sich nicht<br />

an<strong>de</strong>rs helfen kann, als in<strong>de</strong>m er frem<strong>de</strong>s Gut heimlich entwen­<br />

<strong>de</strong>t, dann verwirklicht er im Gr<strong>und</strong>e nur die in <strong>de</strong>r Natur lie­<br />

gen<strong>de</strong> Zielbestimmung <strong>de</strong>r Güter. Denn in diesem Falle verliert<br />

<strong>de</strong>r Besitzer <strong>de</strong>s Überflusses sein <strong>Recht</strong>. Aus diesem Gr<strong>und</strong><br />

kann man hier auch nicht mehr von Diebstahl re<strong>de</strong>n. Ja, Tho­<br />

mas erweitert <strong>de</strong>n ursprünglich gewollten Rahmen <strong>de</strong>s Arti­<br />

kels, in<strong>de</strong>m er hinzufügt, daß man auch nicht von Raub spre­<br />

chen könne, nämlich für <strong>de</strong>n Fall, daß <strong>de</strong>r Notlei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> sich <strong>de</strong>n<br />

frem<strong>de</strong>n Überfluß mit Gewalt holen wür<strong>de</strong>.<br />

Der Kern <strong>de</strong>s siebten Artikels liegt in <strong>de</strong>m Satz, <strong>de</strong>m wir<br />

bereits begegnet sind: „Deshalb ist das, was einige im Überfluß<br />

besitzen, <strong>de</strong>n Armen zu ihrem Lebensunterhalt geschul<strong>de</strong>t<br />

(<strong>de</strong>bentur)". Durchweg wird dieser Begriff „<strong>de</strong>bentur" als<br />

ethische For<strong>de</strong>rung aufgefaßt <strong>und</strong> darum mit „wird geschul<strong>de</strong>t"<br />

übersetzt. Dies besagt aber nicht, daß es sich einzig um eine<br />

403


66. 3-9 Liebespflicht han<strong>de</strong>lt. Vielmehr liegt dieser ethischen Pflicht<br />

eine naturrechtliche zugr<strong>und</strong>e, wie Thomas ausdrücklich<br />

betont. Und in <strong>de</strong>r Tat wird diese latente <strong>Recht</strong>spflicht auch zu<br />

einem gewaltsam erzwingbaren <strong>Recht</strong>, wenn <strong>de</strong>r Notlei<strong>de</strong>n<strong>de</strong><br />

keinen an<strong>de</strong>rn Weg mehr sieht, um <strong>de</strong>r Gefahr <strong>de</strong>s Verhungerns<br />

zu entgehen. Wenn also einer aus sich von seinem Überfluß<br />

gibt, dann ist in dieser großzügigen Tat nur ein Bruchteil von<br />

Liebe; <strong>de</strong>n größeren Anteil hat die soziale <strong>Gerechtigkeit</strong>. Die<br />

Tat ist Liebe, insofern <strong>de</strong>r Geber frei han<strong>de</strong>lt, d. h. insofern das<br />

Gesetz sie noch nicht gefor<strong>de</strong>rt hat, obwohl es sie bereits hätte<br />

for<strong>de</strong>rn können. Also gewissermaßen nur die Antizipation<br />

einer an sich gesetzlich möglichen Regelung durch freie Ent­<br />

scheidung ist ein Werk <strong>de</strong>r Liebe. Der tiefere Gr<strong>und</strong> dieser soge-<br />

nannten „Liebestat" gehört <strong>de</strong>r sozialen <strong>Gerechtigkeit</strong> an.<br />

Ohne Zweifel ist Thomas in diesem Sinn auszulegen. Die<br />

schroffe Formel <strong>de</strong>s hl. Augustinus, daß <strong>de</strong>r Überfluß <strong>de</strong>n<br />

Armen „gehöre", ist gemil<strong>de</strong>rt entsprechend <strong>de</strong>r sozialen Ange­<br />

messenheit <strong>und</strong> Notwendigkeit <strong>de</strong>r privaten Eigentumsord­<br />

nung. Wollte man allerdings rein philologisch die Texterklärung<br />

vornehmen, dann könnte man versucht sein, das „<strong>de</strong>bentur"<br />

mit „gehört" zu übersetzen, so daß man nichts an<strong>de</strong>res als die<br />

augustinische Formulierung hätte. In Art. 5 Zu 1 gebraucht<br />

nämlich Thomas dasselbe Wort, diesmal aber nicht lediglich zur<br />

Bezeichnung einer ethischen Schuld, son<strong>de</strong>rn eines vollgültigen<br />

<strong>Recht</strong>sverhältnisses. Er spricht dort von <strong>de</strong>r richterlichen Be­<br />

fugnis, die Eigentumsverhältnisse zu bestimmen, so daß nach<br />

<strong>de</strong>m richterlichen Urteil die Sache jenem wirklich gehört, <strong>de</strong>m<br />

sie zugesprochen wor<strong>de</strong>n ist. Ein Beweis, wie wenig Thomas<br />

sich an eine durchgängige Terminologie bin<strong>de</strong>t.<br />

Die gewaltsame Enteignung wird <strong>de</strong>r öffentlichen Gewalt<br />

zugestan<strong>de</strong>n, sofern diese die Ordnung <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

durchführen will (Art. 8). Thomas <strong>de</strong>nkt hier wohl beson<strong>de</strong>rs<br />

an die gewaltsame Eintreibung <strong>de</strong>r pflichtgemäßen Abgaben<br />

<strong>de</strong>r Untertanen. Daran erinnert beson<strong>de</strong>rs die Antwort auf <strong>de</strong>n<br />

dritten Einwand in Artikel 8.<br />

In diesen Problemkreis gehört auch <strong>de</strong>r augustinische<br />

Gedanke, daß die Ungläubigen zu Unrecht ihren Besitz als ihr<br />

eigen betrachten <strong>und</strong> ihn darum eigentlich <strong>de</strong>n Gläubigen zu<br />

erstatten hätten. Es scheint also, so erklärt <strong>de</strong>r zweite Einwand<br />

in Artikel 8, daß man <strong>de</strong>n Ungläubigen das vermeintliche<br />

Eigentum mit Gewalt abnehmen könne. Thomas gibt hierauf<br />

404


eine salomonische Antwort: Die Ungläubigen besitzen ihr 66. 3-9<br />

Eigentum dann zu Unrecht, wenn sie es auf Befehl <strong>de</strong>r öffentli­<br />

chen Gewalt hin abgeben müßten; es kann darum kein Privat­<br />

mann, son<strong>de</strong>rn nur die Obrigkeit eine gewaltsame Wegnahme<br />

vornehmen. Auf <strong>de</strong>n augustinischen Gedanken, daß die Un­<br />

gläubigen von vornherein kein Anrecht auf Eigentum hätten,<br />

geht Thomas direkt nicht ein. Seine vorsichtige Antwort läßt<br />

aber erkennen, daß er die augustinische These ablehnt, da er<br />

<strong>de</strong>n Entscheid über die Eigentumsverhältnisse <strong>de</strong>r Ungläubigen<br />

— wie überhaupt jegliche rechtliche Regelung <strong>de</strong>s Eigentums —<br />

<strong>de</strong>m Gesetzgeber überläßt, <strong>de</strong>r gemäß <strong>de</strong>n For<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r<br />

natürlichen <strong>Gerechtigkeit</strong> zu urteilen hat.<br />

IV. Die Ungerechtigkeiten im gerichtlichen Prozeß<br />

(Fr. 67-71)<br />

Unter <strong>de</strong>n Schädigungen <strong>de</strong>s Nächsten durch Worte, von<br />

<strong>de</strong>nen Thomas in <strong>de</strong>n Fragen 67—76 spricht, wer<strong>de</strong>n zunächst<br />

jene besprochen, welche im gerichtlichen Prozeß geschehen<br />

(Fr. 67—71). Im großen <strong>und</strong> ganzen sind diese Fragen fast nur<br />

von historischem Interesse. Thomas versucht hier, das damalige<br />

Prozeßverfahren mit naturrechtlichen Argumenten zu stützen,<br />

ohne sich aber auf Einzelheiten einzulassen. 17<br />

l.DIE UNGERECHTIGKEITEN VONSEITEN DES RICHTERS<br />

(Fr. 67)<br />

Der Richter wird von Thomas an die schwere Verantwortung 67<br />

erinnert, die auf ihm lastet, da er nicht nur ausführen<strong>de</strong>s Organ,<br />

son<strong>de</strong>rn auch in Wahrheit selbst <strong>Recht</strong>serzeuger ist. Im 1. Arti­<br />

kel steckt Thomas die Grenzen <strong>de</strong>s richterlichen Wirkens ab,<br />

in<strong>de</strong>m er erklärt, daß <strong>de</strong>r Richter nur über jene Befugnis habe,<br />

welche <strong>de</strong>m Gesetz, <strong>de</strong>m er dient, unterworfen sind.<br />

Als Vertreter <strong>de</strong>r öffentlichen Autorität hat <strong>de</strong>r Richter nicht<br />

gemäß privatem Wissen, son<strong>de</strong>rn nach <strong>de</strong>n öffentlich beigezo­<br />

genen Zeugen zu richten (Art. 2). Das private Wissen kann ihm<br />

Die zeitgenössischen Parallelen fin<strong>de</strong>t man bei E. Chenon, Histoire generale<br />

du Droit Francais Public et Prive <strong>de</strong>s origines ä 1915, T. 1—2, Paris 1926 <strong>und</strong><br />

1929. Vgl. auch Fr. Olivier-Martin, Histoire du Droit Francais <strong>de</strong>s origines ä<br />

la Revolution, 1948.<br />

405


67 dabei höchstens Anlaß zu genauerer Überprüfung <strong>de</strong>r verschie­<br />

<strong>de</strong>nen Zeugenaussagen geben. Das Urteil selbst aber hat nach<br />

<strong>de</strong>n Zeugenaussagen zu erfolgen, <strong>de</strong>nn in <strong>de</strong>m, was zur öffentli­<br />

chen Gewalt gehört, muß <strong>de</strong>r Richter sein Gewissen bestim­<br />

men nach <strong>de</strong>m, „was in einem öffentlichen Gerichtsverfahren<br />

herauskommen kann" (Art. 2 Zu 4). Wir haben also hier nicht<br />

die freie Beweiswürdigkeit durch <strong>de</strong>n Richter. Heute wür<strong>de</strong> ein<br />

Richter, <strong>de</strong>r aus privatem Wissen einen Prozeßfall aufklären<br />

kann, in <strong>de</strong>n Ausstand treten.<br />

Wo kein Kläger ist, gibt es auch keinen Prozeß, erklärt Tho­<br />

mas im 3. Artikel. Die Institution <strong>de</strong>r Staatsanwaltschaft kannte<br />

man noch nicht. Ein öffentliches Verbrechen bedurfte allerdings<br />

keines Klägers (Art. 3 Zu 2).<br />

Thomas macht mit seinen Zeitgenossen einen Unterschied<br />

zwischen Anzeige <strong>und</strong> Anklage. Die Anzeige ist lediglich auf die<br />

Besserung <strong>de</strong>s Delinquenten gerichtet, keineswegs auf die<br />

Bestrafung im Sinn <strong>de</strong>r öffentlichen Sühne (Art. 3 Zu 2). Sie<br />

spielt im Inquisitionsverfahren eine beson<strong>de</strong>re Rolle (vgl. Anm.<br />

[51]). Die Anklage dagegen be<strong>de</strong>utet die formelle For<strong>de</strong>rung<br />

<strong>de</strong>r ganzen <strong>Gerechtigkeit</strong>.<br />

Die Frage, ob <strong>de</strong>r Richter aus eigener Vollmacht eine Strafe<br />

erlassen o<strong>de</strong>r mil<strong>de</strong>rn könne, verneint Thomas (Art. 4) aus<br />

zweifacher Begründung: l.um <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s <strong>de</strong>s Klägers willen,<br />

2. um <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s <strong>de</strong>r Gemeinschaft willen.<br />

2. DIE UNGERECHTIGKEITEN VONSEITEN DES KLÄGERS<br />

(Fr. 68)<br />

68 Die Pflicht zur Anklage besteht nur dort, wo das Gemein­<br />

wohl in Frage steht (Art. 1). Um <strong>de</strong>s Gemeinwohls willen hat,<br />

wie Thomas (Art. 1 Zu 3) mit Bestimmtheit erklärt, auch das<br />

Siegel <strong>de</strong>r Verschwiegenheit zu weichen, ausgenommen natür­<br />

lich das Beichtsiegel (Fr. 70,1).<br />

Die For<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r schriftlichen Abgabe <strong>de</strong>r Anklage befür­<br />

wortet Thomas um <strong>de</strong>r Klarheit <strong>und</strong> Sicherheit willen (Art. 2).<br />

Das mittelalterliche <strong>Recht</strong> unterschied drei Arten von Unge­<br />

rechtigkeiten vonseiten <strong>de</strong>s Klägers (Art. 3): 1 .Verleumdung,<br />

d. h. falsche Anklage; 2. Begünstigung <strong>de</strong>s Angeklagten, in<strong>de</strong>m<br />

<strong>de</strong>r Kläger mit <strong>de</strong>m Angeklagten aus irgen<strong>de</strong>inem Gr<strong>und</strong><br />

gemeinsame Sache macht; 3. unbegrün<strong>de</strong>tes Zurücktreten vom<br />

Prozeß.<br />

406


Nach kanonischem <strong>Recht</strong> (Decr. Grat., P. II, causa II, 68<br />

q. 3, c. 2; Frdbl, 451), das hierin römischem Brauch folgte, war<br />

ein verleum<strong>de</strong>rischer Ankläger mit eben<strong>de</strong>rselben Strafe zu<br />

ahn<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>ren das Verbrechen wert war, das er <strong>de</strong>m Mitmen­<br />

schen angedichtet hatte. Thomas (Art. 4) verteidigt dieses<br />

<strong>Recht</strong> mit <strong>de</strong>m Hinweis auf <strong>de</strong>n Sinn <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>, gemäß<br />

welcher man Gleiches mit Gleichem vergilt. Das <strong>Recht</strong> <strong>de</strong>r Wie­<br />

<strong>de</strong>rvergeltung (jus talionis) wird so zum Naturrecht erklärt, ein<br />

Gedanke, <strong>de</strong>r bezüglich seines metaphysischen Gehalts bereits<br />

dargestellt wor<strong>de</strong>n ist (vgl. Kommentar zu 64,2).<br />

3.DIE UNGERECHTIGKEITEN VONSEITEN DES ANGEKLAGTEN<br />

(Fr. 69)<br />

Sofern <strong>de</strong>r Richter gemäß <strong>de</strong>n im Prozeßrecht vorgeschrie- 69<br />

benen Normen eine zum Prozeß gehören<strong>de</strong> Frage an <strong>de</strong>n<br />

Angeklagten richtet, ist dieser verpflichtet, von <strong>de</strong>r Wahrheit<br />

Zeugnis zu geben (Art. 1). Eine unwahre Antwort wäre ein<br />

Unrecht gegen <strong>de</strong>n Vorgesetzten, <strong>de</strong>m zu gehorchen je<strong>de</strong>r Un­<br />

tergebene die <strong>Gerechtigkeit</strong>spflicht hat (Art. 1 Zu 2). Außer<strong>de</strong>m<br />

be<strong>de</strong>utet eine Lüge vor Gericht eine doppelte Sün<strong>de</strong> gegen die<br />

Liebe: gegen die Liebe zu Gott, <strong>de</strong>m obersten Richter; gegen<br />

die Liebe zum Nächsten, im Hinblick auf <strong>de</strong>n Kläger, <strong>de</strong>r unge­<br />

rechterweise als Verleum<strong>de</strong>r bestraft wird (Art. 1 Zu 3).<br />

Natürlich kann <strong>de</strong>r Angeklagte, so erklärt Thomas (Art. 2),<br />

die Antwort verweigern, wo <strong>de</strong>r Richter gemäß <strong>de</strong>m Prozeß­<br />

recht nicht fragen darf. Ein zielloses, vom Gegenstand <strong>de</strong>r<br />

Anklage abweichen<strong>de</strong>s Ausfragen verpflichtet nicht zum<br />

Bekenntnis. Schweigen ist also hier erlaubt, nicht jedoch eine<br />

unwahre Aussage. Das Urteil <strong>de</strong>s hl. Thomas mag hart erschei­<br />

nen. Es erklärt sich aber aus <strong>de</strong>r betont ethischen Sicht <strong>de</strong>r<br />

menschlichen Gemeinschaft, die beson<strong>de</strong>rs auch in <strong>de</strong>r Lösung<br />

<strong>de</strong>s l.Einwands <strong>de</strong>utlich wird, wo Thomas erklärt, daß das,<br />

was durch positive Gesetze nicht geahn<strong>de</strong>t wird, noch lange<br />

nicht als gerecht anzusehen sei. Der Co<strong>de</strong>x <strong>de</strong>s kanonischen<br />

<strong>Recht</strong>s von 1917 enthält dagegen folgen<strong>de</strong> mil<strong>de</strong>re Bestim­<br />

mung: „Dem rechtmäßig fragen<strong>de</strong>n Richter müssen sie (die<br />

Parteien) antworten <strong>und</strong> die Wahrheit bekennen, es sei <strong>de</strong>nn, es<br />

handle sich um ein Vergehen, das von ihnen selbst begangen<br />

wor<strong>de</strong>n ist" (can. 1743 § 1. Im Co<strong>de</strong>x von 1983 can. 1548 in glei­<br />

chem Sinn, nur kürzer).<br />

407


69 Das <strong>Recht</strong> <strong>de</strong>r Berufung darf nach Thomas (Art. 3) nur in<br />

Anspruch genommen wer<strong>de</strong>n, wenn die Berufung im Dienst<br />

<strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> steht, nicht aber etwa zum Zweck <strong>de</strong>r Ver­<br />

schleierung o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Strafaufschubs. Die Berufung eines Katho­<br />

liken vor ein nichtkatholisches Gericht wird verworfen aus <strong>de</strong>m<br />

altbekannten Mißtrauen gegenüber <strong>de</strong>n Hei<strong>de</strong>n, das hier in die<br />

Worte geklei<strong>de</strong>t wird: „Wo <strong>de</strong>r wahre Glaube fehlt, besteht auch<br />

kein richtiges Verhältnis zu <strong>de</strong>m, was gerecht ist" (Art. 3 Zu 1).<br />

Einem gerechterweise zum Tod Verurteilten ist <strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>r­<br />

stand nicht erlaubt (Art. 4). Wohl aber darf er, <strong>de</strong>m natürlichen<br />

Drang nach Existenz folgend, aus <strong>de</strong>m Kerker entweichen,<br />

wenn es ihm ohne Wi<strong>de</strong>rstand gelingt (Art. 4 Zu 2), o<strong>de</strong>r sich<br />

auf geheimem Weg Nahrung verschaffen, falls er zum Hunger­<br />

tod verurteilt wor<strong>de</strong>n ist. Einem ungerechterweise zum Tod<br />

Verurteilten ist es erlaubt, sich aktiv zu wi<strong>de</strong>rsetzen wie gegen<br />

einen ungerechten Angreifer, jedoch nur dann, wenn aus <strong>de</strong>m<br />

Wi<strong>de</strong>rstand nicht große Verwirrung in <strong>de</strong>r sozialen Ordnung<br />

entsteht (Art. 4 Antw.).<br />

4. DIE UNGERECHTIGKEITEN VONSEITEN DER ZEUGEN<br />

(Fr. 70)<br />

70 Die Pflicht im Zeugenstand zu erscheinen, besteht nach Tho­<br />

mas (Art. 1) erstens, wenn die Obrigkeit in rechtlicher Form um<br />

<strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> willen dies verlangt. Diese <strong>Recht</strong>mäßigkeit<br />

beschränkt sich auf die Fälle, die allgemein bekannt sind o<strong>de</strong>r<br />

wo <strong>de</strong>r Delinquent sich bereits <strong>de</strong>n öffentlichen Ehrverlust<br />

zugezogen hat. Ein gegebenes Versprechen zum Schweigen<br />

entbin<strong>de</strong>t von <strong>de</strong>r Pflicht <strong>de</strong>r Zeugenaussage, es sei <strong>de</strong>nn, das<br />

Gemeinwohl stehe in Gefahr. Gegen das Gemeinwohl gibt es<br />

keine bin<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Schweigepflicht, <strong>de</strong>nn nichts kann gegen das<br />

Naturrecht geboten wer<strong>de</strong>n (Art. 1 Zu 1). Zweitens, wenn zur<br />

gerechten Rettung <strong>de</strong>s Angeklagten das Zeugnis irgendwie<br />

etwas beizutragen vermag. Nicht dagegen ist <strong>de</strong>r Wissen<strong>de</strong> zur<br />

unaufgefor<strong>de</strong>rten Zeugenaussage verpflichtet, wenn <strong>de</strong>m ver­<br />

leum<strong>de</strong>rischen Kläger aus <strong>de</strong>r Verlegenheit geholfen wer<strong>de</strong>n<br />

sollte. Denn in diesem Falle gilt das jus talionis. Der Kläger ern­<br />

tet dann selbst die gerechten Folgen seiner Verleumdung.<br />

Im Anschluß an die Hl. Schrift (vgl. Art. 2 Dagegen) meint<br />

Thomas, daß im allgemeinen drei Zeugen genügen, worunter<br />

auch die Aussage <strong>de</strong>s Klägers begriffen sei (Art. 2). Eine abso-<br />

408


lute Sicherheit könne man ohnehin niemals vom richterlichen 70<br />

Urteil erwarten, son<strong>de</strong>rn nur eine moralische. Allerdings sei<br />

(Art. 2 Zu 3) eine umfangreichere Zeugenaussage nötig, wenn<br />

<strong>de</strong>r Angeklagte ein kirchlicher Oberer sei, erstens, weil man<br />

einem kirchlichen Wür<strong>de</strong>nträger um seiner hohen Moral willen,<br />

aufgr<strong>und</strong> <strong>de</strong>ssen er zu diesem Amt erwählt wur<strong>de</strong>, mehr Ver-<br />

läßlichkeit zutrauen könne als mehreren Zeugen; zweitens, weil<br />

Vorgesetzte leicht Gegenstand <strong>de</strong>s Hasses seien; drittens, weil<br />

die [ungenügend begrün<strong>de</strong>te] Verurteilung eines solchen Wür­<br />

<strong>de</strong>nträgers <strong>de</strong>m Ansehen <strong>de</strong>r Kirche scha<strong>de</strong>n könnte.<br />

Aus verschie<strong>de</strong>nen Grün<strong>de</strong>n verdient eine Zeugenaussage<br />

von vornherein Mißtrauen (Art. 3), so, wenn es sich um das<br />

Zeugnis eines Ungläubigen o<strong>de</strong>r eines Menschen han<strong>de</strong>lt, <strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>r öffentlichen Ehre verlustig ist; ferner bei Kin<strong>de</strong>rn, Irren <strong>und</strong><br />

Frauen, bei Zeugnissen von Fein<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r Verwandten <strong>de</strong>s<br />

Angeklagten, selbst auch von Armen <strong>und</strong> Dienern, die leicht<br />

durch irgendwelches Einre<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r Bestechung zu falschen<br />

Aussagen verleitet wer<strong>de</strong>n können.<br />

Das falsche Zeugnis ist Sün<strong>de</strong> (Art. 4), <strong>und</strong> zwar erstens auf­<br />

gr<strong>und</strong> <strong>de</strong>s Meinei<strong>de</strong>s, <strong>de</strong>r immer damit verb<strong>und</strong>en ist. Meineid<br />

ist immer schwere Sün<strong>de</strong>. Zweitens um <strong>de</strong>r Verletzung <strong>de</strong>r<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> willen, <strong>und</strong> hier han<strong>de</strong>lt es sich im allgemeinen,<br />

sofern nämlich be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>r Scha<strong>de</strong>n angerichtet wird, um eine<br />

schwere Sün<strong>de</strong>. Drittens um <strong>de</strong>r Lüge willen, die im falschen<br />

Zeugnis liegt; um dieses Gesichtspunkts willen braucht aller­<br />

dings nicht immer eine schwere Sün<strong>de</strong> vorzuliegen.<br />

Wenn ein Zeuge durch falsche Aussage einen Angeklagten<br />

von einem ungerechten Urteil befreien o<strong>de</strong>r bewahren will, be­<br />

geht er zwar keine Sün<strong>de</strong> gegen die <strong>Gerechtigkeit</strong>, er versündigt<br />

sich aber doch schwer durch <strong>de</strong>n Meineid, <strong>de</strong>n er dabei leistet<br />

(Art. 4 Zu 2).<br />

5. DIE UNGERECHTIGKEITEN VONSEITEN DES ANWALTS<br />

(Fr. 71)<br />

Einem Armen unentgeltlich <strong>Recht</strong>sbeistand zu leisten, ist ein 71<br />

Werk <strong>de</strong>r Barmherzigkeit, das dann, wenn <strong>de</strong>m Betreffen<strong>de</strong>n<br />

nicht an<strong>de</strong>rs geholfen wür<strong>de</strong>, von je<strong>de</strong>m Anwalt erwartet wer­<br />

<strong>de</strong>n muß, an <strong>de</strong>n sich <strong>de</strong>r Arme in seiner Not wen<strong>de</strong>t (Art. 1).<br />

Thomas ist Realist genug, um einzusehen, daß ein <strong>Recht</strong>sanwalt<br />

seine Tätigkeit nicht einzig in <strong>de</strong>n Dienst <strong>de</strong>r Armen stellen<br />

409


71 kann. Bei allem Lob auf die Barmherzigkeit <strong>und</strong> bei aller Aner­<br />

kennung <strong>de</strong>r Pflicht gegen Notlei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> nimmt Thomas <strong>de</strong>n<br />

Anwalt in Sch<strong>utz</strong> vor Ausn<strong>utz</strong>ung vonseiten <strong>de</strong>rer, die unent­<br />

geltlich <strong>Recht</strong>sbeistand suchen.<br />

Daß zum Amt <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>sanwalts beson<strong>de</strong>re physische wie<br />

moralische Bedingungen verlangt sind, versteht sich von selbst.<br />

Thomas bespricht diese im Zusammenhang mit <strong>de</strong>r damaligen<br />

<strong>Recht</strong>sordnung im 2. Artikel.<br />

Energisch verbietet Thomas, dort <strong>Recht</strong>sbeistand zu leisten,<br />

wo es sich um eine ungerechte Sache han<strong>de</strong>lt (Art. 3).<br />

Der Anwalt, so erklärt er, sündigt schwer, wenn er seine<br />

<strong>Recht</strong>shilfe einem ungerechten Fall zur Verfügung stellt. Außer­<br />

<strong>de</strong>m ist er dann verpflichtet, <strong>de</strong>n verursachten Scha<strong>de</strong>n voll <strong>und</strong><br />

ganz wie<strong>de</strong>rg<strong>utz</strong>umachen. Sofern er erst im Verlauf <strong>de</strong>s Prozes­<br />

ses auf die Ungerechtigkeit <strong>de</strong>s Klienten stoßen sollte, wird er<br />

natürlich nur mit größter Vorsicht <strong>de</strong>n Fall abgeben, um nicht<br />

seinen Klienten zu verraten <strong>und</strong> <strong>de</strong>n Gegner zu unterstützen<br />

(Art. 3 Zu 2).<br />

Bis ins 19. Jahrh<strong>und</strong>ert bestand in Frankreich das Honorar<br />

<strong>de</strong>s Anwalts in <strong>de</strong>r freien Gabe <strong>de</strong>s Klienten. Thomas fragt<br />

daher im Artikel auch nicht, ob <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>sanwalt für seine Lei­<br />

stung etwas verlangen, son<strong>de</strong>rn nur, ob er dafür etwas „neh­<br />

men" könne. Natürlich will dies nicht besagen, daß <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>s­<br />

anwalt überhaupt nichts erwarten, son<strong>de</strong>rn das Honorar höch­<br />

stens als zufällige Gabe entgegennehmen dürfe. Immerhin<br />

bestand zwischen <strong>de</strong>m Anwalt <strong>und</strong> <strong>de</strong>m Klienten das nicht aus­<br />

gesprochene Verhältnis zweier Kontrahenten. In<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Klient<br />

beim <strong>Recht</strong>sanwalt Rat <strong>und</strong> Hilfe suchte, verpflichtete er sich<br />

stillschweigend zur Leistung eines „angemessenen" Honorars;<br />

angemessen: entsprechend seiner persönlichen Stellung, ent­<br />

sprechend <strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s Falles <strong>und</strong> <strong>de</strong>m Maß <strong>de</strong>r vom<br />

<strong>Recht</strong>sanwalt gefor<strong>de</strong>rten Arbeit, <strong>und</strong> nicht zuletzt entspre­<br />

chend <strong>de</strong>n allgemeinen Gewohnheiten (bzgl. <strong>de</strong>r Honorierung<br />

<strong>de</strong>s Richters <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Zeugen vgl. Art. 4 Zu 3).<br />

410


V. Die außergerichtlichen,<br />

durch Worte verursachten Ungerechtigkeiten<br />

(Fr. 72-76)<br />

l.Die Schmähung (Fr. 72). — Sittliche Fehler, wahre o<strong>de</strong>r 72<br />

angedichtete, eines Menschen in <strong>de</strong>ssen Gegenwart vor <strong>de</strong>r<br />

Öffentlichkeit ausbreiten, ist Schmähung, eine Sün<strong>de</strong> gegen die<br />

Ehre <strong>de</strong>s Menschen <strong>und</strong> damit eine Sün<strong>de</strong> gegen die Gerechtig­<br />

keit (Art. 1). Thomas unterschei<strong>de</strong>t die Schmähung (contume-<br />

lia) von <strong>de</strong>r Beschimpfung (convicium) <strong>und</strong> von <strong>de</strong>r Vorhaltung<br />

(improperium), insofern die Schmähung eigentlich nur sittliche<br />

Fehler <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>rn betrifft, während bei <strong>de</strong>r Beschimpfung allge­<br />

mein jegliche Mängel, ob nun sittlicher, psychischer o<strong>de</strong>r kör­<br />

perlicher Art, vor <strong>de</strong>r Öffentlichkeit ausgebreitet <strong>und</strong> bei <strong>de</strong>r<br />

Vorhaltung <strong>de</strong>m Nächsten die soziale Abhängigkeit, früher<br />

empfangene Wohltaten in peinlicher Weise öffentlich in Erinne­<br />

rung gerufen wer<strong>de</strong>n (Art. 1 Zu 3).<br />

In <strong>de</strong>r Beurteilung solcher Ungerechtigkeiten ist Thomas<br />

sehr streng (Art. 2). Er erklärt kategorisch, daß es sich dabei um<br />

eine schwere Sün<strong>de</strong> handle, <strong>und</strong> zwar „nicht weniger als beim<br />

Diebstahl <strong>und</strong> beim Raub". Auch <strong>de</strong>rjenige, <strong>de</strong>r nicht direkt die<br />

Entehrung <strong>de</strong>s Nächsten beabsichtige, sich aber doch seines<br />

bösen Re<strong>de</strong>ns bewußt sei, begehe eine schwere Sün<strong>de</strong> (Art. 2<br />

Antw.). Thomas wür<strong>de</strong> heute wohl nicht mil<strong>de</strong>r sprechen, in<br />

unserem Zeitalter, in <strong>de</strong>m eine vielleicht be<strong>de</strong>utungslos erschei­<br />

nen<strong>de</strong> Kritik, in kleinem Kreis gesprochen, rasch durch die Zei­<br />

tungen <strong>und</strong> über <strong>de</strong>n Äther <strong>de</strong>n Weg in die breiteste Öffentlich­<br />

keit nimmt <strong>und</strong> einen nie mehr wie<strong>de</strong>rg<strong>utz</strong>umachen<strong>de</strong>n Ehren­<br />

raub be<strong>de</strong>uten kann.<br />

Dieser Strenge wi<strong>de</strong>rspricht in<strong>de</strong>s nicht das heitere Verständ­<br />

nis <strong>de</strong>s Heiligen für <strong>de</strong>n Spaß, in welchem unter Fre<strong>und</strong>en über<br />

die Fehler <strong>de</strong>r einzelnen mit Humor hergezogen wird (Art. 2<br />

Zu 1).<br />

Das gol<strong>de</strong>ne Maß <strong>de</strong>r Mitte, das die Ethik <strong>de</strong>s hl. Thomas<br />

auszeichnet, wird im 3. Artikel <strong>de</strong>utlich sichtbar, wo, im<br />

Anschluß an das christliche Ethos vom schweigen<strong>de</strong>n Ertragen,<br />

die Frage erörtert wird, ob man Schmähungen stumm hinneh­<br />

men solle. Für Thomas sind die Gewissensnormen keine Sche­<br />

men, die sich unverän<strong>de</strong>rt auf die konkreten Umstän<strong>de</strong> anwen­<br />

<strong>de</strong>n lassen. Für ihn, <strong>de</strong>m die Klugheit die entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Gewis­<br />

sensnorm ist, kann darum die Ermunterung zum Lei<strong>de</strong>n <strong>und</strong><br />

411


72 Ertragen nur <strong>de</strong>n geistigen Sinn haben, daß wir in uns eine sitt­<br />

liche Haltung schaffen, die <strong>de</strong>m Beispiel <strong>de</strong>s geschmähten Erlö­<br />

sers entspricht, wobei aber das Gewissen in je<strong>de</strong>m Augenblick<br />

selbst entschei<strong>de</strong>t, inwieweit diese innere Haltung sich durch<br />

äußeres Schweigen gegenüber Schmähungen auswirken soll.<br />

Im Gewissensentscheid <strong>de</strong>s Christen spricht aber nach <strong>de</strong>r<br />

Lehre <strong>de</strong>s hl. Thomas nicht nur die vernünftige Überlegung,<br />

son<strong>de</strong>rn zugleich <strong>und</strong> an erster Stelle die Eingebung <strong>de</strong>s Heili­<br />

gen Geistes durch die Gabe <strong>de</strong>s Rates. Eine beson<strong>de</strong>re Notwen­<br />

digkeit, die Schmähung energisch zurückzuweisen, sieht Tho­<br />

mas erstens, wenn es darum geht, <strong>de</strong>n Schmähen<strong>de</strong>n zurecht­<br />

zuweisen zu <strong>de</strong>ssen eigenstem sittlichen Wohl; zweitens, um zu<br />

verhin<strong>de</strong>rn, daß an<strong>de</strong>re seelisch Scha<strong>de</strong>n nehmen. Thomas bil­<br />

ligt darüber hinaus auch private Grün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Gegenwehr, sofern<br />

nicht ungeordnete Begier<strong>de</strong> nach Ehre <strong>de</strong>n Beweggr<strong>und</strong> dazu<br />

abgibt.<br />

So mannigfaltig die psychisch-moralischen Ursachen <strong>de</strong>r<br />

Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Schmähung sein mögen, in beson<strong>de</strong>rem Maße treibt<br />

<strong>de</strong>r ungeordnete Zorn dazu an, wie Thomas im 4. Artikel fest­<br />

stellt.<br />

73 2. Die Ehrabschneidung (Fr. 73). —Die Ehrabschneidung voll­<br />

zieht das im Geheimen, was die Schmähung in Gegenwart <strong>de</strong>s<br />

Geschmähten tut. Sie nimmt <strong>de</strong>m Nächsten <strong>de</strong>n guten Ruf<br />

(Art. 1). Thomas macht einen Unterschied zwischen gutem Ruf<br />

<strong>und</strong> Ehre. Der Ruf (Leum<strong>und</strong>) be<strong>de</strong>utet die öffentliche Mei­<br />

nung über einen Menschen; diese besteht auch <strong>und</strong> gera<strong>de</strong><br />

dann, wenn <strong>de</strong>rjenige, <strong>de</strong>n es angeht, nicht zugegen ist, wäh­<br />

rend die Ehre <strong>de</strong>n Geehrten irgendwie als gegenwärtig, <strong>und</strong><br />

wäre es nur im Bild, voraussetzt.<br />

Der gute Ruf ist eines <strong>de</strong>r vornehmsten zeitlichen Güter, da<br />

er, wie Art. 2 mit etwas an<strong>de</strong>ren Worten ausführt, in gewissem<br />

Sinn die gesellschaftliche Basis zu sozialen guten Werken dar­<br />

stellt. Den guten Ruf einem Menschen rauben be<strong>de</strong>utet daher<br />

an sich eine schwere Sün<strong>de</strong>, es sei <strong>de</strong>nn, <strong>de</strong>r üble Schwätzer<br />

habe nicht die Absicht, <strong>de</strong>n Nächsten zu schädigen, <strong>und</strong> es<br />

handle sich nur um geringfügige Aussagen. Wenn aber schwer­<br />

wiegen<strong>de</strong> Dinge, namentlich über das sittliche Leben <strong>de</strong>s Näch­<br />

sten, ausgesagt wer<strong>de</strong>n, dann kann dies nicht unüberlegt<br />

geschehen; man sündigt daher ebenfalls schwer, wenngleich die<br />

Absicht nicht in erster Linie auf Schädigung <strong>de</strong>s Nächsten aus­<br />

ging. Wer sich durch Ehrabschneidung verfehlt, ist zur Wie<strong>de</strong>r-<br />

412


gutmachung <strong>de</strong>s Scha<strong>de</strong>ns verpflichtet. Der <strong>Gerechtigkeit</strong> 73<br />

wegen die Fehler <strong>de</strong>s Mitmenschen bei <strong>de</strong>r Obrigkeit anzuzei­<br />

gen, hat natürlich nichts mit Ehrabschneidung zu tun (Art. 2<br />

zu 1).<br />

Wohl bewußt, daß je<strong>de</strong> Sün<strong>de</strong> ihre eigenen Umstän<strong>de</strong> <strong>und</strong><br />

darum in gewisser Hinsicht ihre eigene Unvergleichbarkeit hat,<br />

versucht Thomas aufgr<strong>und</strong> einer objektiven, <strong>de</strong>m Konkreten<br />

entrückten Wertskala die sittliche Schwere <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r<br />

Ehrabschneidung mit an<strong>de</strong>ren Sün<strong>de</strong>n gegen <strong>de</strong>n Nächsten,<br />

wie <strong>de</strong>m Mord, <strong>de</strong>m Ehebruch <strong>und</strong> <strong>de</strong>m Diebstahl, zu verglei­<br />

chen (Art. 3). Er kommt dabei zum Ergebnis, daß die Ehrab­<br />

schneidung eine schwerere Sün<strong>de</strong> be<strong>de</strong>utet als <strong>de</strong>r Diebstahl,<br />

während sie an<strong>de</strong>rerseits <strong>de</strong>m Mord <strong>und</strong> <strong>de</strong>m Ehebruch an<br />

Schwere nachsteht, weil diese auf <strong>de</strong>m Menschen einverleibte<br />

Güter gerichtet sind, während <strong>de</strong>r gute Ruf zu <strong>de</strong>n äußeren<br />

Gütern gehört. Die Schmähung kann im Vergleich zur Ehrab­<br />

schneidung insofern als schwerere Sün<strong>de</strong> bezeichnet wer<strong>de</strong>n,<br />

als in ihr eine größere Verachtung <strong>und</strong> ein stärkerer Haß gegen<br />

<strong>de</strong>n Nächsten sich ausspricht (Art. 3 Zu 2).<br />

Wer ehrabschnei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>s Re<strong>de</strong>n aus <strong>de</strong>m M<strong>und</strong>e an<strong>de</strong>rer<br />

anhört, ohne durch ein offenes Wort zu wi<strong>de</strong>rsprechen, macht<br />

sich <strong>de</strong>rselben Sün<strong>de</strong> schuldig, <strong>und</strong> zwar um so mehr, je mehr er<br />

mit wohlgefälligem Lächeln zuhört (Art. 4). Wi<strong>de</strong>rspricht er aus<br />

Feigheit o<strong>de</strong>r Nachlässigkeit nicht, dann mag er geringere<br />

Schuld auf sich la<strong>de</strong>n. Doch kann auch reines Schweigen<br />

schwere Sün<strong>de</strong> wer<strong>de</strong>n, wenn man aufgr<strong>und</strong> eines Amts o<strong>de</strong>r<br />

sonst eines beson<strong>de</strong>ren Umstands zum Re<strong>de</strong>n verpflichtet<br />

wäre.<br />

3. Die Ohrenbläserei (Fr. 74). — Die Ohrenbläserei unter- 74<br />

schei<strong>de</strong>t sich von <strong>de</strong>r Ehrabschneidung in <strong>de</strong>r Zielsetzung <strong>de</strong>s<br />

Re<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n (Art. 1). In <strong>de</strong>r Ehrabschneidung strebt <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>r<br />

nach <strong>de</strong>r Zerstörung <strong>de</strong>s guten Rufs <strong>de</strong>s Nächsten, in <strong>de</strong>r<br />

Ohrenbläserei dagegen will er Zwietracht säen zwischen <strong>de</strong>m,<br />

<strong>de</strong>m er Böses nachsagt, <strong>und</strong> <strong>de</strong>ssen Fre<strong>und</strong>en. Die Ohrenbläse­<br />

rei be<strong>de</strong>utet eine noch schwerere Sün<strong>de</strong> als die Ehrabschnei­<br />

dung, da sie das Höchste <strong>de</strong>r äußeren Güter <strong>de</strong>m Mitmenschen<br />

raubt, nämlich <strong>de</strong>n Fre<strong>und</strong>. Der Fre<strong>und</strong> ist, wie Thomas (Art. 2)<br />

ausführt, mehr wert als die Ehre, das Geliebtwer<strong>de</strong>n ist besser<br />

als das Geehrtsein.<br />

4. Die Verspottung (Fr. 75). — Die Verspottung geht unmittel- 75<br />

bar darauf, <strong>de</strong>n Nächsten in Verlegenheit <strong>und</strong> damit zum Errö-<br />

413


75 ten zu bringen (Art. 1). Als Geringschätzung <strong>de</strong>r Personen­<br />

wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Mitmenschen be<strong>de</strong>utet sie eine schwere Sün<strong>de</strong><br />

(Art. 2).<br />

76 5. Die Verfluchung (Fr. 76). — Die Verfluchung stellt das<br />

Gegenteil dar zum Glückwunsch, nämlich <strong>de</strong>n Wunsch, es<br />

möchte <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>rn schlecht ergehen (Art. 1). Das Fluchen<br />

über Tiere <strong>und</strong> an<strong>de</strong>re vernunftlose Geschöpfe, wie dies alltäg­<br />

lich Gebrauch aufgeregter Menschen ist, ist sinnlos <strong>und</strong> dumm,<br />

also unerlaubt (Art. 2).<br />

Dem Mitmenschen fluchen ist schwere Sün<strong>de</strong>, weil gegen die<br />

Liebe, es sei <strong>de</strong>nn, das Übel, das man ihm wünscht, wäre nur<br />

geringfügig o<strong>de</strong>r es handle sich um Auslösung eines nur leichten<br />

Affektes o<strong>de</strong>r um ein spielerisches Necken (Art. 3).<br />

Die Verfluchung ist an sich keine so schwere Sün<strong>de</strong> wie die<br />

wirkliche Ehrabschneidung, weil nicht so wirksam. Artikel 1<br />

spricht allerdings auch von einer an<strong>de</strong>ren Art von Verfluchung,<br />

in welcher nämlich nicht nur eine Ver-wünschung ausgespro­<br />

chen, son<strong>de</strong>rn ein Befehl zur Ausführung <strong>de</strong>s Bösen erteilt wird.<br />

Diese Art <strong>de</strong>r Verfluchung ist schlimmer als die Ehrabschnei­<br />

dung, weil sie <strong>de</strong>m Nächsten ein schwerwiegen<strong>de</strong>res Unrecht<br />

zufügt, als es die Zerstörung <strong>de</strong>s guten Rufes ist (Art. 4).<br />

VI. Die Ungerechtigkeit in <strong>Recht</strong>sgeschäften<br />

(Fr. 77 u. 78)<br />

77/78 Eine neue Art von Ungerechtigkeit sieht Thomas darin, daß<br />

man das <strong>Recht</strong> <strong>de</strong>s Nächsten in vertraglichen Abmachungen<br />

verletzt. An sich mag <strong>de</strong>r moralische Unterschied gegenüber<br />

<strong>de</strong>n bisher genannten Formen von Ungerechtigkeit vielleicht<br />

nur äußerlich erscheinen. Kommt es doch schließlich auf das<br />

gleiche hinaus, ob ich <strong>de</strong>n Nächsten einfach durch hinterlistige<br />

Verleumdungen o<strong>de</strong>r falsche Anklagen schädige, ohne mit ihm<br />

in einem vertraglichen Geschäft zu tun zu haben, o<strong>de</strong>r ob ich<br />

ihn gelegentlich eines Tauschgeschäfts arglistig betrüge.<br />

Und <strong>de</strong>nnoch ist <strong>de</strong>r Unterschied nicht von <strong>de</strong>r Hand zu wei­<br />

sen. In <strong>de</strong>r außervertraglichen Ungerechtigkeit geschieht<br />

Unrecht in beleidigen<strong>de</strong>r Angriffshandlung. Im Vertrag dage­<br />

gen kann sich <strong>de</strong>r Vertragspartner gegen ein eventuelles<br />

Unrecht von vornherein wappnen, da er damit rechnen kann.<br />

Doch darin besteht nicht einmal das eigentliche unterschei-<br />

414


<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Merkmal <strong>de</strong>s in <strong>de</strong>r vertraglichen Ebene liegen<strong>de</strong>n 77/78<br />

Unrechts gegenüber <strong>de</strong>m außervertraglichen. Daß <strong>de</strong>r Mit­<br />

mensch sich innerlich durch beson<strong>de</strong>re Wachsamkeit wappnet,<br />

ist Sache seiner persönlichen Klugheit. Die Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Unge­<br />

rechtigkeit im Vertrag hat ihre eigene Note durch die vertragli­<br />

che Untreue, die zu gespannter Aufmerksamkeit auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>­<br />

ren Seite zwingt. Wer immer mit <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>rn eine vertragliche<br />

Abmachung trifft, ist um <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> willen zur Sauber­<br />

keit im Geschäft gehalten. Im Betrug zerstört er darum gera<strong>de</strong><br />

die rechtliche Gr<strong>und</strong>lage, zu <strong>de</strong>r er sich äußerlich durch <strong>de</strong>n<br />

Vertrag bekennt. Damit aber vergeht er sich in ganz eigener<br />

Weise gegen das <strong>Recht</strong>.<br />

Thomas (vgl. 61,3) unterschei<strong>de</strong>t drei Gesichtspunkte in<br />

einer Sache: l.die Substanz, 2.<strong>de</strong>n Gebrauch dieser Substanz<br />

zu irgendwelchen N<strong>utz</strong>leistungen <strong>und</strong> 3. die Früchte <strong>de</strong>r Sub­<br />

stanz. Bei einer Vase ist z. B. die Substanz vom Gebrauch unter­<br />

schie<strong>de</strong>n. Man kann eine Vase ausleihen <strong>und</strong> dabei für <strong>de</strong>n<br />

Gebrauch einen Preis for<strong>de</strong>rn, obwohl man die Vase in unver­<br />

letztem Zustand zurückerhält. An<strong>de</strong>rs beim Brot. Die Substanz<br />

<strong>de</strong>s Brotes wird in ihrem Gebrauch verzehrt. Man kann <strong>de</strong>n<br />

Gebrauch von <strong>de</strong>r Substanz nicht trennen. Darauf könnte man<br />

heute erwi<strong>de</strong>rn, daß in einer geldrechenhaften Verkehrswirt­<br />

schaft das Brot in je<strong>de</strong>s beliebige Erwerbsvermögen umsetzbar<br />

sei, so daß sich von selbst ein N<strong>utz</strong>wert ergibt, <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Sub­<br />

stanz <strong>de</strong>s Brotes an sich nicht gegeben ist. Für Thomas gibt es<br />

aber diese Betrachtung nicht, wenngleich er (Fr. 78) <strong>de</strong>n Wert<br />

von <strong>de</strong>r Sache zu unterschei<strong>de</strong>n weiß. Die „Frucht" einer Sache<br />

ergibt sich nach Thomas aus <strong>de</strong>r unmittelbaren Eigentätigkeit<br />

<strong>de</strong>r Sache selbst, ohne Rückgriff auf die menschliche Arbeit.<br />

Wir wür<strong>de</strong>n etwa von <strong>de</strong>r Bo<strong>de</strong>nrente in diesem Sinne spre­<br />

chen.<br />

Entsprechend diesen drei Gesichtspunkten sind nun nach<br />

Thomas folgen<strong>de</strong> <strong>Recht</strong>sgeschäfte möglich: 1. Übergabe eines<br />

Gutes gegen Leistung <strong>de</strong>sselben Wertes: Kauf/Verkauf; 2. zeit­<br />

lich beschränkte Überlassung einer Sache zu unentgeltlichem<br />

Genuß <strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>r Sache selbst erstehen<strong>de</strong>n Früchte: N<strong>utz</strong>nie­<br />

ßung; 3. zeitlich beschränkte Überlassung einer fruchtbringen­<br />

<strong>de</strong>n <strong>und</strong> gebrauchswertigen Sache (o<strong>de</strong>r Leistung) gegen Ent­<br />

gelt: Vermietung, Pacht, Verdingung (Arbeitsvertrag); 4. zeit­<br />

lich beschränkte Übergabe einer Sache zur bloßen Aufbewah­<br />

rung.<br />

415


77/78 Thomas erklärt nun (Vorwort zu Fr. 77), daß es nur zwei<br />

Arten von Sün<strong>de</strong>n gegen die Vertragsgerechtigkeit gebe: Betrug<br />

<strong>und</strong> Zinswucher. Alle an<strong>de</strong>ren Formen gehören seiner Ansicht<br />

nach in <strong>de</strong>n bereits besprochenen Bereich <strong>de</strong>r Ungerechtigkeit<br />

im außervertraglichen Zusammenleben. Der Betrug betrifft <strong>de</strong>n<br />

Kauf/Verkauf-Vertrag, <strong>de</strong>r Zinswucher gilt als Verstoß gegen<br />

<strong>de</strong>n im Wesen unentgeltlichen Leihvertrag von verbrauchbaren<br />

Gütern, d.h. von Gütern, <strong>de</strong>ren Gebrauch im Verbrauch<br />

besteht.<br />

A. DER BETRUG - DIE SÜNDE GEGENDEN<br />

GERECHTEN PREIS<br />

(Fr. 77)<br />

1. DER GERECHTE PREIS<br />

77 Die mittelalterliche Preislehre hat durch die instinktive<br />

Rückführung <strong>de</strong>s Kauf/Verkauf-Vertrags auf die ursprüng­<br />

lichste Erscheinungsform wirtschaftlichen Zusammenseins,<br />

nämlich <strong>de</strong>n Tauschvertrag, die Gefahr eines reinen Wertnomi­<br />

nalismus einerseits, aber auch eines platten Wertrealismus<br />

an<strong>de</strong>rerseits ohne Schwierigkeit umgangen. 18 Beim schlichten<br />

Tausch fällt <strong>de</strong>r Blick von selbst auf das Tausch- Verhältnis. Es<br />

stehen hier zwei verschie<strong>de</strong>nartige Güter einan<strong>de</strong>r gegenüber,<br />

die je einen in sich verschie<strong>de</strong>nen subjektiven N<strong>utz</strong>wert haben.<br />

Dieser kann aber als solcher nicht zum Wertmesser genommen<br />

wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nn ich kann im Verkauf, so sagt Thomas im 1. Arti­<br />

kel, nicht <strong>de</strong>n N<strong>utz</strong>en <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>rn verkaufen, son<strong>de</strong>rn mir höch­<br />

stens <strong>de</strong>n Verlust eines beson<strong>de</strong>ren N<strong>utz</strong>werts vom Käufer ver­<br />

güten lassen. So ergibt sich von selbst die Notwendigkeit, einen<br />

objektiven Verhältniswert zu suchen, <strong>de</strong>r eine Gr<strong>und</strong>lage für<br />

<strong>de</strong>n gerechten Ausgleich angibt. Der Preis soll, führt Thomas im<br />

1. Artikel aus, zum gemeinsamen N<strong>utz</strong>en <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Kontra­<br />

henten <strong>de</strong>s Kauf/Verkauf-Vertrags dienen. Es ist dabei nicht an<br />

einen N<strong>utz</strong>en im Sinne <strong>de</strong>s Gemeinwohls <strong>de</strong>r ganzen Wirt­<br />

schaftsgesellschaft, son<strong>de</strong>rn eben nur an <strong>de</strong>n N<strong>utz</strong>en gedacht,<br />

<strong>de</strong>r einem je<strong>de</strong>n aufgr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r Individualgerechtigkeit zugute<br />

kommt. Es ist für die mittelalterliche Moral vom gerechten Preis<br />

18 Vgl. zum Ganzen O.v. Nell-Breuning, Gr<strong>und</strong>züge <strong>de</strong>r Börsenmoral, Freiburg<br />

416<br />

i.Br. 1928, 46-72.


emerkenswert, daß sie keine Preislehre im eigentlichen Sinne 77<br />

ist, d. h. eine Lehre über das Zustan<strong>de</strong>bringen einer gerechten<br />

Preisordnung, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>n Preis, <strong>de</strong>r bereits vorhan<strong>de</strong>n ist, als<br />

gegeben voraussetzt <strong>und</strong> vom individualrechtlichen Stand­<br />

punkt aus die verschie<strong>de</strong>nen möglichen Umgehungen dieser<br />

vorgezeichneten Preisordnung bespricht. Natürlich wird damit<br />

auch unvermeidlich die Frage, wenigstens von ferne, berührt,<br />

inwieweit <strong>de</strong>r gegebene Preis verpflichtend sei, bzw. was <strong>de</strong>n<br />

Preis in <strong>de</strong>r Wirtschaftsgesellschaft bestimmen soll, so daß wir<br />

aus einzelnen An<strong>de</strong>utungen immerhin manches über die<br />

zugr<strong>und</strong>eliegen<strong>de</strong>n Vorstellungen bezüglich <strong>de</strong>r Preisbildung<br />

erfahren.<br />

Der vorgegebene Preis war für <strong>de</strong>n mittelalterlichen Theolo­<br />

gen durchaus nicht vom ontologischen Wert <strong>de</strong>r Sache<br />

bestimmt. Die ganz auf das objektive Sein <strong>de</strong>r Dinge gerichtete<br />

Schauweise <strong>de</strong>s Mittelalters hätte an sich geneigt sein müssen,<br />

<strong>de</strong>n Tauschwert <strong>de</strong>r Waren von einem Ultra-Ontologismus her<br />

zu sehen. Aber es ist <strong>de</strong>m von Thomas in Artikel 2 Zu 3<br />

erwähnten Text aus Augustinus' „Gottesstaat" (lib. 11, c. 16;<br />

CSEL 40,535) zu verdanken, daß die Theologie <strong>de</strong>n Weg zum<br />

N<strong>utz</strong>wert gef<strong>und</strong>en hat. Es heißt in jenem geistreichen Augusti­<br />

nustext: „Die Art <strong>de</strong>r Schätzung eines je<strong>de</strong>n Dinges ist je nach<br />

seinem Gebrauch verschie<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>rart, daß wir sinnenlose<br />

Wesen <strong>de</strong>n Sinnenwesen vorziehen, <strong>und</strong> zwar so weitgehend,<br />

daß, wenn wir es könnten, wir sie völlig aus <strong>de</strong>r Naturordnung<br />

beseitigen wür<strong>de</strong>n, sei es aus Unkenntnis ihres Standorts in ihr<br />

[in <strong>de</strong>r Naturordnung], sei es trotz klarer Erkenntnis, weil wir<br />

sie hinter unsere Annehmlichkeiten stellen. Wer hätte zu Hause<br />

nicht lieber Brot als Mäuse o<strong>de</strong>r Silbermünzen anstelle von Flö­<br />

hen? Was ist <strong>de</strong>nn Verw<strong>und</strong>erliches daran, wenn bei <strong>de</strong>r Ein­<br />

schätzung von Menschen, <strong>de</strong>ren Natur doch wahrhaftig eine so<br />

große Wür<strong>de</strong> besitzt, ein Pferd höher gewertet wird als ein<br />

Sklave, ein Schmuckstück mehr als eine Magd? So weicht die<br />

Schauweise <strong>de</strong>s nur Betrachten<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r freien Urteilsgestal­<br />

tung weit ab von <strong>de</strong>r Not <strong>de</strong>s Bedürftigen o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Lust <strong>de</strong>s<br />

Begierigen."<br />

Der N<strong>utz</strong>wert, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Preis bestimmt, wird von Thomas im<br />

Hinblick auf die allgemein menschliche Bedarfs<strong>de</strong>ckung gese­<br />

hen. Dies zeigt seine Lehre, die er im Anschluß an <strong>de</strong>n zitierten<br />

Augustinustext entwickelt. Thomas erklärt, es sei durchaus<br />

nicht notwendig, daß man ein zu verkaufen<strong>de</strong>s o<strong>de</strong>r zu kaufen-<br />

417


77 <strong>de</strong>s Objekt von innen <strong>und</strong> außen bis ins einzelne kenne, um ja<br />

keinen Defekt zu übersehen, son<strong>de</strong>rn daß es völlig genüge, um<br />

die allgemein menschliche Brauchbarkeit zu wissen. In diesem<br />

Sinn <strong>de</strong>s sozialökonomischen N<strong>utz</strong>werts versteht Thomas<br />

(Art. 1) auch <strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Wirtschaftsgesellschaft bereits vorgege­<br />

benen Preis. Um nicht <strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Wirtschaftsgesellschaft gül­<br />

tigen N<strong>utz</strong>wert einer Sache einem ungebührlichen Preisdruck<br />

auszusetzen, so erklärt Thomas (Art. 3), braucht <strong>de</strong>r Verkäufer<br />

einen offenbaren Defekt an einer Sache, wie z. B., daß ein Pferd<br />

einäugig sei, nicht eigens hervorzuheben, sofern er die entspre­<br />

chen<strong>de</strong> Wertmin<strong>de</strong>rung von sich aus in <strong>de</strong>n Preis einbezogen<br />

hat.<br />

Der Preis galt Thomas als Regler <strong>de</strong>s Verbrauchs. Denn nichts<br />

an<strong>de</strong>res be<strong>de</strong>utet doch die stete Rückorientierung auf <strong>de</strong>n<br />

gesellschaftlich bestimmten N<strong>utz</strong>wert, als die Ausrichtung <strong>de</strong>s<br />

Preises nach einem sozialökonomisch vorbestimmten Ziel:<br />

Sicherung <strong>de</strong>r Unterhaltsfürsorge. Diesem Zweck dient nach<br />

Thomas (Art. 2 Zu 2) auch die behördliche Festsetzung <strong>de</strong>r<br />

Maße.<br />

Der Preis als Regler <strong>de</strong>r Erzeugung wird bei Thomas nicht<br />

besprochen. Dagegen kommt die dritte Aufgabe <strong>de</strong>s Preises:<br />

die Regelung <strong>de</strong>r Einkommensbildung, <strong>de</strong>utlich zur Sprache. Im<br />

4. Artikel erklärt nämlich Thomas, daß <strong>de</strong>r Kaufmann für seine<br />

Ware ruhig mehr verlangen könne, als er selbst bezahlt habe,<br />

um das seiner Arbeit entsprechen<strong>de</strong> Honorar zu bekommen.<br />

Da immerhin <strong>de</strong>r Stand <strong>de</strong>r Kaufleute nach Thomas (Art. 4)<br />

einen „allgemeinen N<strong>utz</strong>en" hat, fällt ihm auch das <strong>Recht</strong> zu,<br />

seine Einkommensbildung in <strong>de</strong>r Preisbestimmung <strong>de</strong>r Waren<br />

mitberücksichtigt zu sehen.<br />

Man wür<strong>de</strong> aber Thomas unrecht tun, wollte man die Arbeit<br />

zusammen mit <strong>de</strong>n Kosten als die einzigen bestimmen<strong>de</strong>n Fak­<br />

toren <strong>de</strong>s Preises einer Sache bezeichnen. Im Ethikkommentar<br />

(5. Buch, Lect. 9) fin<strong>de</strong>t sich zwar eine scheinbar entsprechen<strong>de</strong><br />

Stelle: Beim Tausch von Schuhen gegen ein bestimmtes Quan-<br />

> tum Getrei<strong>de</strong> sollen die Schuhe an Zahl das Getrei<strong>de</strong>quantum<br />

im gleichen Verhältnis überragen, in welchem die Arbeit <strong>und</strong> die<br />

Auslagen <strong>de</strong>s Bauern die <strong>de</strong>s Schusters übersteigen. Doch sagt<br />

Thomas an <strong>de</strong>rselben Stelle, daß verschie<strong>de</strong>ne Waren ihre Ver­<br />

gleichsmöglichkeit durch ihren N<strong>utz</strong>wert im Hinblick auf die<br />

Deckung menschlichen Bedarfs erhalten.<br />

418


In welchem Verhältnis freie Preisbildung <strong>und</strong> behördliche 77<br />

Festlegung <strong>de</strong>s Preises stehen, konnte Thomas selbstre<strong>de</strong>nd<br />

noch nicht klarwer<strong>de</strong>n.<br />

Delikat wird die gesamte Preisfrage <strong>de</strong>s Mittelalters von <strong>de</strong>r<br />

Geldseite her. Wir kommen hier von selbst in Kontakt mit <strong>de</strong>r<br />

damaligen Zinstheorie (Fr. 78). Das Geld wird als ein unver­<br />

än<strong>de</strong>rlicher Wertmesser <strong>de</strong>r Dinge aufgefaßt, <strong>de</strong>r keinen Wert­<br />

schwankungen ausgesetzt ist. Die Geldseite hat also auf die<br />

Preisbildung in dieser Anschauung keinerlei Einfluß.<br />

2. DIE HANDELSMORAL<br />

In <strong>de</strong>r mehr o<strong>de</strong>r weniger kritiklosen Annahme einer in <strong>de</strong>r<br />

Wirtschaftsgesellschaft entstan<strong>de</strong>nen <strong>und</strong> durch behördliche<br />

Autorität festgesetzten Preisordnung behan<strong>de</strong>lt Thomas in<br />

unserer Frage die Moral <strong>de</strong>s Kaufmanns. Das römische <strong>Recht</strong><br />

ließ es bei<strong>de</strong>n Kontrahenten im Kauf/Verkauf frei, welchen<br />

Preis sie unter sich vereinbarten. Der Verkäufer mußte nur die<br />

Mängel <strong>de</strong>r Sache auf<strong>de</strong>cken. Die justinianische Gesetzgebung<br />

enthält eine Vorschrift, gemäß welcher <strong>de</strong>r Verkäufer eine<br />

Sache, die ihm unter <strong>de</strong>r Hälfte <strong>de</strong>s eigentlichen Werts abge­<br />

zwungen wor<strong>de</strong>n war, zurückfor<strong>de</strong>rn konnte. Thomas behan­<br />

<strong>de</strong>lt nun im 1. Artikel das Thema, inwieweit die bei<strong>de</strong>n Kontra­<br />

henten sich an <strong>de</strong>n sozialökonomisch vorgegebenen Preis zu<br />

halten haben. Auf die Gepflogenheit <strong>de</strong>s römischen <strong>Recht</strong>s<br />

kommt er im 1. Einwand zu sprechen. Schon hier — <strong>und</strong> noch<br />

mehr später in Artikel 4 Zu 1 — läßt Thomas ein großes Ver­<br />

ständnis für <strong>de</strong>n bei <strong>de</strong>n Römern schlecht angesehenen Kauf­<br />

mannsstand erkennen. Cicero (De offic. 1,42,150) meinte vom<br />

Kaufmann, er könne nur mit reichlich viel Lügen Gewinne<br />

machen. Thomas (Art. 1 Zu 1) erklärt, daß die Elastizität <strong>de</strong>r<br />

Preise einen mäßigen Gewinn <strong>de</strong>s Kaufmanns rechtfertige. Der<br />

Han<strong>de</strong>l wür<strong>de</strong> erst dort eigentlich sündhaft, wo durch Uberfor­<br />

<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>m Käufer ein „beträchtlicher" Scha<strong>de</strong>n zugefügt<br />

wür<strong>de</strong>.<br />

Vom Verkäufer verlangt Thomas (Art. 2) nicht nur treue Ein­<br />

haltung <strong>de</strong>s vorgegebenen Preises, son<strong>de</strong>rn auch Ehrlichkeit in<br />

<strong>de</strong>n Angaben über die zu verkaufen<strong>de</strong> Ware. In dreifacher<br />

Weise, so sagt Thomas (Art. 2), kann ein Mangel an einer Sache<br />

gegeben sein: 1. insofern die Ware überhaupt nicht das ist, als<br />

was sie angegeben wird; 2. insofern das Quantum nicht<br />

419


77 stimmt; 3. insofern die Qualität herabgesetzt ist (schadhafte<br />

Ware). Thomas betont, daß alle diese Verfehlungen gegen die<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> die Pflicht zur Wie<strong>de</strong>rerstattung nach sich ziehen.<br />

Dieselbe sittliche Pflicht zur vertraglichen Sauberkeit auf­<br />

erlegt Thomas aber auch <strong>de</strong>m Käufer, insofern er diesem verbie­<br />

tet, ein Versehen auf Seiten <strong>de</strong>s Verkäufers zu eigenem Vorteil<br />

hinzunehmen (Art. 2) o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Preis wegen irgen<strong>de</strong>ines Man­<br />

gels ungebührlich zu drücken (Art. 3). Gegen letztere Gefahr<br />

kann sich, wie bereits erwähnt, nach Ansicht <strong>de</strong>s hl. Thomas<br />

<strong>de</strong>r Verkäufer schützen, in<strong>de</strong>m er offensichtliche Mängel ver­<br />

schweigt. Die Bemerkung <strong>de</strong>s hl. Thomas (Art. 3 Zu 2), daß die<br />

Mängel einer Ware nicht schon beim Ausrufen angezeigt wer­<br />

<strong>de</strong>n müssen, um das Interesse <strong>de</strong>r K<strong>und</strong>schaft nicht von vorn­<br />

herein zu lahmen, son<strong>de</strong>rn daß es genüge, sich mit <strong>de</strong>m interes­<br />

sierten Käufer persönlich auseinan<strong>de</strong>rzusetzen, zeigt das Ver­<br />

ständnis <strong>de</strong>s Heiligen für die Schwierigkeiten <strong>de</strong>s Kaufmanns­<br />

berufs beim Absatz <strong>de</strong>r Ware.<br />

Angesichts <strong>de</strong>r im Mittelalter weitverbreiteten Alchimie lag<br />

es nahe, daß Thomas auf die Fälschung von E<strong>de</strong>lmetallen zu<br />

sprechen kam (Art. 2 Zu 1). Thomas hebt als eigenen Wert <strong>de</strong>s<br />

wahren Gol<strong>de</strong>s hervor: Anreiz zu echter Kulturfreu<strong>de</strong>, Mittel<br />

im Heilverfahren; er möchte jedoch die Möglichkeit nicht<br />

bestreiten, daß auf künstlichem Weg schließlich doch einmal ein<br />

<strong>de</strong>m Naturgold ebenbürtiges Gold gewonnen wer<strong>de</strong>n könnte.<br />

Preisunterschie<strong>de</strong>, die sich nicht aus <strong>de</strong>r inneren Beschaffen­<br />

heit <strong>de</strong>r Ware, son<strong>de</strong>rn aus äußeren Umstän<strong>de</strong>n, wie Marktsi­<br />

tuation, ergeben, können vom Verkäufer nach Thomas (Art. 3<br />

Zu 4) ohne Be<strong>de</strong>nken zum eigenen Vorteil ausgen<strong>utz</strong>t wer<strong>de</strong>n.<br />

Daß eine Sache an irgen<strong>de</strong>inem Ort in absehbarer Zeit durch<br />

größeres Angebot billiger wer<strong>de</strong>n wird, braucht <strong>de</strong>n Verkäufer,<br />

<strong>de</strong>r darum weiß, von <strong>de</strong>r For<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s dort gera<strong>de</strong> gültigen<br />

Preises nicht abzuhalten. Damit führt Thomas das Problem <strong>de</strong>r<br />

Spekulation ein, <strong>de</strong>m er seine Aufmerksamkeit eingehend im<br />

4. Artikel widmet, wo er die Frage stellt, ob man einen Gewinn<br />

beabsichtigen dürfe, <strong>de</strong>r sich aus <strong>de</strong>r Differenz zwischen Ein­<br />

standspreis <strong>und</strong> Verkaufspreis ergibt.<br />

Daß ein Unternehmer zur Sicherung seiner wirtschaftlichen<br />

Handlungen spekuliert im Sinn von Umschauhalten nach <strong>de</strong>r<br />

objektiv richtigen Konjunktur, ist klar. Es gehört dies zum klu­<br />

gen Haushalten im Raum einer Volkswirtschaft. Etwas an<strong>de</strong>res<br />

ist die rein händlerische Spekulation, insofern diese nicht nur<br />

420


wirtschaftlich haushält zur Einholung aller gemachten Auslagen 77<br />

<strong>und</strong> Deckung aller geleisteten Arbeit im Vermittlungsdienst <strong>de</strong>r<br />

Güterverteilung, son<strong>de</strong>rn darüber hinaus <strong>und</strong> selbst <strong>de</strong>ssen un­<br />

geachtet kauft <strong>und</strong> verkauft nur, um aus <strong>de</strong>n errechneten <strong>und</strong><br />

erwarteten künftigen Preisschwankungen einen Gewinn zu<br />

erzielen. Wie steht es um dieses Problem bei Thomas? Der<br />

4. Artikel bietet diesbezüglich reichlich Stoff zur Diskussion.<br />

Gera<strong>de</strong> hier fällt auf, wie sehr Thomas die Han<strong>de</strong>lsmoral<br />

nicht zunächst als eine Ordnungsmoral ansieht, gemäß welcher<br />

im objektiven sozialwirtschaftlichen Raum eine sozialgerechte<br />

Vre'isordnung herzustellen ist, son<strong>de</strong>rn eigentlich nur die<br />

Gesetze <strong>de</strong>r Individualmoral bespricht, die bei vorliegen<strong>de</strong>n<br />

Preisen zu beobachten sind. Das Ordnungsgefüge selbst wird<br />

nämlich von Thomas verhältnismäßig rasch erledigt durch die<br />

Bemerkung, <strong>de</strong>r händlerische Gewinn besage in sich nichts<br />

Moralisches, we<strong>de</strong>r im guten noch im schlechten Sinne; es<br />

komme also nur darauf an, auf welches Ziel man ihn ausrichte.<br />

Für eine sozialökonomische Betrachtung aber wür<strong>de</strong> sich<br />

zunächst die Frage stellen: ist <strong>de</strong>r Gewinn überhaupt sozial­<br />

ethisch haltbar, da <strong>de</strong>r statische Gleichgewichtspreis (Kosten =<br />

Preis) ihn nicht kennt?<br />

Thomas betrachtet das Spekulieren auf Gewinn als sittlich<br />

unanfechtbar, wenn <strong>de</strong>r Gewinn zum Unterhalt <strong>de</strong>r eigenen<br />

Familie o<strong>de</strong>r zur Unterstützung <strong>de</strong>r Armen angestrebt wird.<br />

Erst recht sieht er je<strong>de</strong> Schwierigkeit behoben, wenn <strong>de</strong>r Kauf­<br />

mann, seinen Vorteil hintansetzend, <strong>de</strong>n allgemeinen N<strong>utz</strong>en<br />

im Dienst <strong>de</strong>r Güterverteilung erstrebt <strong>und</strong> für diesen geleiste­<br />

ten Dienst <strong>de</strong>n Gewinn als Entgelt, also nicht eigentlich als<br />

Gewinn erwartet. Mit <strong>de</strong>m, was man unter Händlergewinn ver­<br />

steht, hat <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Antwort Zu 1 erwähnte Arbeitslohn für<br />

Vere<strong>de</strong>lung <strong>de</strong>r zu verkaufen<strong>de</strong>n Ware vollends nichts mehr zu<br />

tun. Es wäre völlig irrig, wollte man <strong>de</strong>n ganzen Artikel im Sinn<br />

dieser Antwort auslegen, als ob Thomas <strong>de</strong>n Han<strong>de</strong>lsgewinn<br />

nur im Sinne von geleisteter Arbeit bestehen ließe. A. Orel<br />

(Oeconomia perennis, Bd. I 217) <strong>de</strong>utet nämlich <strong>de</strong>n ganzen<br />

4. Artikel in dieser Weise, als ob Thomas <strong>und</strong> mit ihm die mit­<br />

telalterliche Scholastik <strong>und</strong> die ganze Kanonistik <strong>de</strong>n „Han<strong>de</strong>ls­<br />

gewinn" nur dann gerechtfertigt hätten, wenn er nicht auf<br />

„Mehrwertaneignung" beruhe, son<strong>de</strong>rn auf Entgelt für Arbeit<br />

<strong>und</strong> Kosten (auf gewen<strong>de</strong>te Mühen <strong>und</strong> Arbeiten, um die Waren<br />

von <strong>de</strong>m Ort <strong>de</strong>r Erzeugung, wo sie nicht benötigt wer<strong>de</strong>n, dort-<br />

421


77 hin zu schaffen, wo sie notwendig sind; Kosten <strong>de</strong>s Transports<br />

usw.). Ore/fin<strong>de</strong>t in <strong>de</strong>r Tatsache, daß Thomas <strong>de</strong>m Han<strong>de</strong>lsge­<br />

winn einen eigenen Artikel gewidmet hat, eine Bestätigung für<br />

<strong>de</strong>ssen bedingungslose Ablehnung <strong>de</strong>s arbeitslosen Einkom­<br />

mens: „Daß Thomas die Frage <strong>de</strong>s Han<strong>de</strong>lsgewinns ausführlich<br />

geson<strong>de</strong>rt zu behan<strong>de</strong>ln für notwendig fin<strong>de</strong>t, zeugt von <strong>de</strong>r<br />

Gründlichkeit <strong>und</strong> Genauigkeit, mit <strong>de</strong>nen gegen je<strong>de</strong>n arbeits­<br />

losen Gewinn Stellung genommen wer<strong>de</strong>n sollte. Denn <strong>de</strong>r<br />

Kaufmann jener Zeit war fast durchgängig ein kleiner hand­<br />

werksmäßiger Krämer, <strong>de</strong>r mit großem Aufwand an Zeit <strong>und</strong><br />

Arbeit, Mühen <strong>und</strong> Gefahren, sehr oft das Schwert an <strong>de</strong>r Seite,<br />

seine Waren persönlich bei <strong>de</strong>n meistens fernen Produzenten<br />

einkaufte <strong>und</strong> mittels Wagens o<strong>de</strong>r Schubkarrens, wohl auch<br />

auf <strong>de</strong>m eigenen Rücken, als Hausierer von Gehöft zu Gehöft,<br />

durch Dörfer <strong>und</strong> Städte beför<strong>de</strong>rte <strong>und</strong> auf <strong>de</strong>n Märkten unter<br />

<strong>de</strong>n Lauben o<strong>de</strong>r in kleinen Bu<strong>de</strong>n feilbot. Es genügte die Tat­<br />

sache, daß er sein Arbeitsmaterial nicht durch eigene Arbeit<br />

umgestaltete, son<strong>de</strong>rn von einem Ort zum an<strong>de</strong>rn brachte, um<br />

die ausdrückliche Hervorhebung als geboten erscheinen zu las­<br />

sen, daß auch er nur Arbeit <strong>und</strong> Kosten sich bezahlen lassen,<br />

nicht aber Mehrwertgewinn machen dürfe" (a. a. 0.217f.).<br />

Die Unterstellung, daß Thomas das arbeitslose Einkommen<br />

gr<strong>und</strong>weg verwerfe, stimmt aber in keiner Weise, wie sich noch<br />

zeigen wird. Und es ist auch nicht korrekt, <strong>de</strong>n 4. Artikel als<br />

eine Kampfansage gegen <strong>de</strong>n Han<strong>de</strong>lsgewinn aufzufassen. Der<br />

mäßige Han<strong>de</strong>lsgewinn ist, wie bereits gesagt, nach <strong>de</strong>r Lehre<br />

<strong>de</strong>r „Antwort" dieses Artikels gerechtfertigt, sofern er für einen<br />

sittlich guten Zweck ben<strong>utz</strong>t wird. Den Aufschlag im Verkaufs­<br />

preis gegenüber <strong>de</strong>m Einstandspreis rechtfertigt Thomas in <strong>de</strong>r<br />

zweiten Antwort mit folgen<strong>de</strong>n Grün<strong>de</strong>n: 1.Vere<strong>de</strong>lung <strong>de</strong>r<br />

Ware; 2. Marktkonjunktur (sec. diversitatem loci vel temporis);<br />

3. Risiko <strong>de</strong>s Transports. Thomas unterschei<strong>de</strong>t also klar die<br />

Arbeitsleistung (1 <strong>und</strong> 3) von <strong>de</strong>m arbeitslosen Gewinnzu­<br />

wachs (2).<br />

Es fragt sich aber, aus welchen inneren Grün<strong>de</strong>n die reine<br />

Spekulation sozialökonomisch noch tragbar sei, da es doch<br />

nicht genügt, sie irgendwelchen Zielsetzungen, wie Unterhalt<br />

<strong>de</strong>r Familie, Unterstützung <strong>de</strong>r Armen, unterzuordnen. D. h.,<br />

es geht darum, ob <strong>de</strong>r reine Händlergewinn als Lockmittel <strong>de</strong>s<br />

Gewinnstrebens im sozialökonomischen Prozeß eine Aufgabe<br />

erfüllt, so daß <strong>de</strong>r Spekulant um dieser inneren Werthaftigkeit<br />

422


<strong>de</strong>r Spekulation willen objektiv sittlich gut han<strong>de</strong>lt, sofern er 77<br />

diese innere Zweckbestimmung <strong>de</strong>r Spekulation nicht vereitelt,<br />

son<strong>de</strong>rn sie als Rahmen für sein Gewinnstreben anerkennt.<br />

Thomas rührt an <strong>de</strong>n Kern <strong>de</strong>r Sache, wenn er vom öffentlichen<br />

N<strong>utz</strong>en spricht, <strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Kaufmann eben um seines Gewinn­<br />

strebens willen schafft. Allerdings ist die subjektive Willensbil­<br />

dung <strong>de</strong>s Kaufmanns zu stark in <strong>de</strong>n Vor<strong>de</strong>rgr<strong>und</strong> geschoben,<br />

während es einer sozialökonomischen Betrachtung zuerst auf<br />

die <strong>de</strong>r Spekulation immanente Beziehung zur Sozialethik<br />

ankommt. Diese Sicht fin<strong>de</strong>n wir allerdings bei Thomas nicht.<br />

Man kann, über Thomas hinausgehend, wohl sagen, daß die<br />

rein händlerische Spekulation in einer arbeitsteiligen Verkehrs­<br />

wirtschaft eine volkswirtschaftlich nützliche Funktion erfüllt.<br />

Der verantwortungsbewußte Spekulant übernimmt auf sein<br />

privates Konto Risiken, zu <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r Unternehmer nicht fähig<br />

wäre. Er wirkt auf die Preisbewegung ausgleichend <strong>und</strong> bereitet<br />

die Begegnung von Angebot <strong>und</strong> Nachfrage. Für seine Arbeit<br />

steckt er also als gerechten „Lohn" <strong>de</strong>n Gewinn ein. Dies alles in<br />

<strong>de</strong>r Voraussetzung einer mehr o<strong>de</strong>r weniger freien Marktwirt­<br />

schaft mit Preisen, die von oben nicht festgesetzt wer<strong>de</strong>n.<br />

Allerdings bleibt immer noch das bereits berührte Problem<br />

als Gr<strong>und</strong>frage, ob <strong>und</strong> inwieweit eben die freie Marktwirt­<br />

schaft das wirtschaftliche Gleichgewicht zu erreichen imstan<strong>de</strong><br />

sei. Mit dieser Frage erhält natürlich die Diskussion um die Spe­<br />

kulation eine ganz an<strong>de</strong>re Note. Darüber entschei<strong>de</strong>t nicht die<br />

Sozialethik, son<strong>de</strong>rn die Wirtschaftswissenschaft.<br />

Sosehr Thomas, Aristoteles folgend, das gewinnsüchtige Spe­<br />

kulieren verwirft, so hat er sich doch vom Stagyriten in etwa<br />

entfernt, insofern er <strong>de</strong>n händlerischen Gewinn für an sich<br />

moralisch indifferent erklärt <strong>und</strong> damit die Möglichkeit seiner<br />

Einordnung in ein sittlich gutes Han<strong>de</strong>ln eröffnet. Dennoch<br />

sieht er mit <strong>de</strong>r gesamten christlichen Tradition die schweren<br />

sittlichen Gefahren, welche im Spekulieren auf Gewinn gege­<br />

ben sind. Aus diesem Gr<strong>und</strong> verteidigt er (Art. 4 Zu 3) das Kir­<br />

chenrecht, welches <strong>de</strong>n Klerikern <strong>de</strong>n Han<strong>de</strong>l als mit <strong>de</strong>m Kle­<br />

rikerstand unvereinbar verbot (<strong>und</strong> übrigens noch verbietet).<br />

423


B. DER ZINS<br />

(Fr. 78)<br />

Die vorliegen<strong>de</strong> Frage behan<strong>de</strong>lt an sich nur das Darlehen<br />

<strong>und</strong> <strong>de</strong>n dafür verlangten Zins als Wucher. Dennoch kommt<br />

Thomas beiläufig auch auf das zu sprechen, was für uns heute<br />

die Kapitalrendite ist, so daß Anton Orel in seinem Werk<br />

„Oeconomia perennis" (Bd. I—II, Mainz 1930) für seinen<br />

Kampf gegen das arbeitslose Einkommen die vermeintlich gün­<br />

stigsten Texte aus <strong>de</strong>r christlichen Tradition dieser Frage ent­<br />

nahm (unter Bezugnahme auf einzelne Zitate aus Fr. 77.) Bevor<br />

wir auf die Diskussion eingehen können, seien die bei<strong>de</strong>n<br />

Begriffe „Kapitalzins" <strong>und</strong> „Darlehenszins" klargestellt.<br />

Kapital ist das in einer Geldziffer ausgedrückte Erwerbsver­<br />

mögen. 1 9 Das Kapital ist also nicht das (produzierte) Produk­<br />

tionsmittel selbst, son<strong>de</strong>rn besagt nur eine Wertziffer, die selbst­<br />

re<strong>de</strong>nd ihrerseits in Produktionsmitteln verkörpert sein kann.<br />

In einer geldrechenhaften, marktgängigen Wirtschaft, in wel­<br />

cher je<strong>de</strong>r Wertbetrag Erwerbsvermögen sein kann, weil stets in<br />

Produktionsmittel umsetzbar, sind bestimmte Wertbeträge an<br />

Erwerbsvermögen <strong>und</strong> Produktionsmitteln vertauschbare Be­<br />

griffe, weswegen man auch mit <strong>Recht</strong> sagt, daß Kapital, verstan­<br />

<strong>de</strong>n als Wertziffer, produktiv sei. An<strong>de</strong>rs natürlich in einer<br />

nicht-geldrechenhaften Wirtschaft, in welcher Produktionsmit­<br />

tel nicht stets durch Geld in Umlauf kommen können. Hier sind<br />

natürlich Produktionsmittel ebenfalls produktiv. Aber die geld­<br />

lich ausgedrückte Wertsumme für Ertragsgüter ist unproduktiv.<br />

In unserer gegenwärtigen, kapitalistischen Wirtschaft ist ein<br />

Kapitalbetrag ohne weiteres produktiv, d.h. Ertragsquelle.<br />

Damit ist aber das Kapital zugleich für <strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r es besitzt, Ein­<br />

kommensquelle. 20<br />

1 9 O. v. Nell-Breuning <strong>und</strong> H. Sacher, Zur Wirtschaftsordnung, Wörterbuch <strong>de</strong>r<br />

Politik, Heft IV. Freiburg 1949,178. Vgl. auch O.v.Nell-Breuning, Art. Zins<br />

in: Staatslexikon <strong>de</strong>r Görresgesellschaft, 5. Aufl., Bd. 5, 1932.<br />

2 0 Die Wirtschaftswissenschaft spricht allerdings vom Zins zunächst unabhängig<br />

vom Wirtschaftssystem. Der Zins ist eine Erscheinung <strong>de</strong>s Kapitals in<br />

je<strong>de</strong>r Wirtschaftsform. Selbst eine bolschewistische Planwirtschaft kann nur<br />

mit Hilfe <strong>de</strong>s Zinses berechnen, inwieweit ein Kapital noch n<strong>utz</strong>bringend<br />

angelegt ist. Sofern <strong>de</strong>r Zins in dieser allgemeinen wirtschaftlichen Form aufgefaßt<br />

wird, hat er mit <strong>de</strong>r Ethik noch keine Berührungspunkte. Die Zinsfrage<br />

wird für <strong>de</strong>n Ethiker erst dort relevant, wo es um die Aneignung <strong>de</strong>s<br />

Zinses geht. Erst nach<strong>de</strong>m die Frage entschie<strong>de</strong>n ist, welche Eigentumsord-<br />

424


Der Kapitalzins ist nun <strong>de</strong>r Preis für die reine Kapitalnut­<br />

zung. In<strong>de</strong>m wir sagen „reine" Kapitaln<strong>utz</strong>ung, soll ange<strong>de</strong>utet<br />

sein, daß sowohl die Kosten für die Arbeit, also <strong>de</strong>r Arbeitslohn,<br />

wie auch <strong>de</strong>r „Lohn" <strong>de</strong>s Managers, <strong>de</strong>ssen Funktion in <strong>de</strong>r<br />

wirtschaftlichen Zusammenstellung von Arbeit <strong>und</strong> Kapital<br />

besteht, wie auch vor allem die Risikoprämie ausgeschie<strong>de</strong>n<br />

sind.<br />

Der Darlehenszins ist jenes Mehr, das <strong>de</strong>r Darlehensnehmer<br />

<strong>de</strong>m Darlehensgeber über <strong>de</strong>n geliehenen Betrag hinaus zu lei­<br />

sten hat. 21 Im Darlehen wird eine Sache geliehen, die keinen<br />

eigenen Gebrauchsn<strong>utz</strong>en hat, son<strong>de</strong>rn im Gebrauch ver­<br />

braucht wird. In<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Darlehensgeber die Sache leiht, vergibt<br />

er <strong>de</strong>n Verbrauch. Wenn er darüber hinaus noch einen Preis für<br />

imaginäre N<strong>utz</strong>ung verlangen wür<strong>de</strong>, dann wäre dies <strong>de</strong>r Dar­<br />

lehenszins. Für gewöhnlich han<strong>de</strong>lt es sich in <strong>de</strong>r Geldwirt­<br />

schaft beim Darlehen um ein Gelddarlehen. Es ist dies aber<br />

zum Begriff <strong>de</strong>s Darlehens als solchen nicht absolut notwendig.<br />

Thomas spricht zwar in unserer Frage ebenfalls hauptsächlich<br />

vom Gelddarlehen. Er schließt aber alle an<strong>de</strong>rn im Gebrauch<br />

verbrauchten Güter mit ein: „Wie daher je<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r für ein Geld­<br />

darlehen o<strong>de</strong>r etwas an<strong>de</strong>res, das im Gebrauch verbraucht<br />

wird..." (Art.2). Das lateinische Wort für <strong>de</strong>n Darlehenszins<br />

heißt foenus o<strong>de</strong>r usura (Wucher). Letzteres gibt bereits eine<br />

sittliche Bewertung an, in<strong>de</strong>m es die Verwerflichkeit <strong>de</strong>s Zinses<br />

ausdrückt. Das lateinische Wort, von welchem unser Wort<br />

„Zins" abgeleitet wird, heißt census <strong>und</strong> bezeichnet etwas ganz<br />

an<strong>de</strong>res als Zins, nämlich Schätzung, d. h. eine für einen steuer­<br />

lichen Veranlagungszeitraum vorgenommene Schätzung eines<br />

nung (ob kommunitäre o<strong>de</strong>r private) <strong>und</strong>, in <strong>de</strong>r Folge, welche Wirtschaftsordnung<br />

(ob zentralgeleitete o<strong>de</strong>r freie Verkehrswirtschaft) <strong>de</strong>m Gemeinwohl<br />

die dienlichste ist, kann vom ethischen Standpunkt aus die Frage <strong>de</strong>s<br />

Zinses angefaßt wer<strong>de</strong>n. Es geht also dieser ethischen Frage nach <strong>de</strong>m Zins<br />

eine viel umfangreichere <strong>und</strong> gr<strong>und</strong>sätzlichere wirtschaftsethische Frage<br />

voraus, nämlich die, welches Wirtschaftssystem <strong>de</strong>r sozialen Ordnung das<br />

dienlichste sei. Unsere Darlegungen gehen von <strong>de</strong>m hier nicht zu erörtern<strong>de</strong>n<br />

Gedanken aus, daß unter <strong>de</strong>n heute gegebenen Umstän<strong>de</strong>n die kapitalistische<br />

Wirtschaftsweise die <strong>de</strong>r sozialen Ordnung entsprechendste ist.<br />

Dabei ist <strong>de</strong>r Begriff „kapitalistische Wirtschaftsweise" nicht rein wirtschaftlich,<br />

son<strong>de</strong>rn wirtschaftsethisch zu verstehen, entsprechend <strong>de</strong>r Eigentumsordnung,<br />

daß es nämlich ein an<strong>de</strong>rer ist, welcher die Produktionsmittel<br />

besitzt, ein an<strong>de</strong>rer, welcher die Arbeit leistet.<br />

21 Vgl. O.v.Nell-Breuning - H.Sacher, a.a.O. 177.<br />

425


78 Einkommens aus einer dauern<strong>de</strong>n Ertragsquelle. Es han<strong>de</strong>lt<br />

sich hier also um eine Rente aus einer Rentenquelle. Ubertragen<br />

in die geldrechenhafte Wertung, be<strong>de</strong>utet dies nichts an<strong>de</strong>res als<br />

Kapital <strong>und</strong> Kapitalrendite.<br />

Zwei Fragen ergeben sich nun für uns im Hinblick auf die<br />

Thomaserklärung: l.Wie bewertet Thomas Rentenquelle <strong>und</strong><br />

Rente, Kapital <strong>und</strong> Kapitalrendite, Kapital <strong>und</strong> Kapitalzins?<br />

2.Warum verwirft er <strong>de</strong>n Darlehenszins?<br />

1. DIE BEURTEILUNG DER RENTE (CENSUS)<br />

Wenngleich je<strong>de</strong>m unvoreingenommenen Thomaskommen­<br />

tator Orels Behauptung, Thomas habe das arbeitslose, rein<br />

kapitalistische Einkommen verworfen <strong>und</strong> nur die Arbeit als<br />

eigentliche Einkommensquelle bezeichnet, völlig gr<strong>und</strong>los<br />

erscheinen muß, so wer<strong>de</strong>n wir uns mit Orels Darstellungen<br />

doch etwas eingehen<strong>de</strong>r beschäftigen, um <strong>de</strong>njenigen Vertreter<br />

<strong>de</strong>r Arbeitslehre zu Wort kommen zu lassen, <strong>de</strong>r sich nicht so<br />

verschwommen wie mancher an<strong>de</strong>re auf Thomas beruft, son­<br />

<strong>de</strong>rn sich unmittelbar mit <strong>de</strong>n Thomastexten auseinan<strong>de</strong>rsetzt.<br />

Wenn wir uns im folgen<strong>de</strong>n mit <strong>de</strong>m Nachweis beschäftigen,<br />

daß Thomas das arbeitslose Einkommen nicht verworfen, son­<br />

<strong>de</strong>rn verteidigt hat, dann soll das Arbeitsethos, das bei Thomas<br />

eine beson<strong>de</strong>rs sorgsame Beachtung gef<strong>und</strong>en hat, keineswegs<br />

eine Einbuße erfahren. 22<br />

Im Gr<strong>und</strong>e läuft <strong>de</strong>r ganze Streit auf die Frage hinaus, wel­<br />

chen Titel Thomas als <strong>de</strong>n ersten für <strong>de</strong>n Eigentums erwerb<br />

erklärt hat: die Besitznahme herrenlosen Gutes o<strong>de</strong>r die Arbeit.<br />

Wenn nämlich die Arbeit ihrem Wesen gemäß wirklich <strong>de</strong>r erste<br />

Titel <strong>de</strong>s Eigentumserwerbs sein sollte, dann kann folglich ein<br />

Einkommen, daß nicht aus Arbeit fließt, keinen Bestand mehr<br />

haben.Umgekehrt aber wür<strong>de</strong> wohl gelten, daß unter <strong>de</strong>r Vor­<br />

aussetzung, daß reine Besitznahme herrenlosen Gutes bereits<br />

einen Eigentumstitel auf die Substanz einer Sache begrün<strong>de</strong>t,<br />

die Arbeit das Einkommen aus <strong>de</strong>r bereits erworbenen Sache<br />

erhöht. Wer die Arbeit zum ersten Titel erklärt, kann <strong>de</strong>m Men­<br />

schen nur soviel Eigentumsrecht über die Sache zuteilen, als er<br />

Vgl. hierzu die einschlägige Literatur im Literatur-Verzeichnis am Schluß <strong>de</strong>s<br />

Ban<strong>de</strong>s unter <strong>de</strong>n Namen E.Welty, J.Hässle, S.M.Killeen, K.Müller.<br />

426


arbeitend die Sache vere<strong>de</strong>lt hat. Der arbeiten<strong>de</strong> Mensch wird 78<br />

darum eigentlich niemals Herr über die Substanz <strong>de</strong>r Sache<br />

selbst, kann sie darum auch niemals als Rentenquelle ben<strong>utz</strong>en.<br />

A. Horväth, <strong>de</strong>r in seinem Buch „Eigentumsrecht nach <strong>de</strong>m<br />

hl. Thomas von Aquin" die Arbeit zum ersten Titel <strong>de</strong>s Eigen­<br />

tumserwerbs gemacht hat, war sich offenbar <strong>de</strong>r Tragweite sei­<br />

ner Erklärung nicht bewußt. Orel dagegen hat die letzten Kon­<br />

sequenzen daraus gezogen <strong>und</strong> Thomas zum klassischen Ver­<br />

treter einer Arbeitswertlehre gemacht. In unserer Frage (78)<br />

sind es hauptsächlich zwei Stellen, die sich mit <strong>de</strong>r Rentenquelle<br />

befassen: Art. 1 Zu 6 <strong>und</strong> Art. 2 Zu 5. Ergänzend wird dann<br />

Art. 3 noch hinzugezogen.<br />

In Art. 1 Zu 6 spricht Thomas davon, daß man Silbergeschirr<br />

vermieten könne, weil <strong>de</strong>r Gebrauch <strong>de</strong>s Geschirrs nicht im<br />

Verbrauch besteht. Im selben Sinn könne man auch die Geld­<br />

münzen einem weiteren Zweck als nur <strong>de</strong>m Tausch dienstbar<br />

machen, in<strong>de</strong>m man ihren Gebrauch zur Schaustellung o<strong>de</strong>r zur<br />

Pfandleistung verkauft, die Substanz <strong>de</strong>r Münze selbst aber als<br />

Eigentum sich vorbehält. Orel ist nun <strong>de</strong>r Auffassung, daß es<br />

sich hier trotz allem nicht um eine Rentenquelle han<strong>de</strong>lt, da<br />

nicht die reine Kapitaln<strong>utz</strong>ung verkauft wer<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn wegen<br />

an<strong>de</strong>rer Titel, wie Kosten für Arbeitsaufwand, Risikoprämie<br />

usw., ein Entgelt gefor<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>: „Mit Unrecht beruft man<br />

sich...auf die Stelle bei Thomas von Aquin, S.th. II—II 78,1 ad<br />

6, wo er davon spricht, daß man <strong>de</strong>n Gebrauch von Silberge­<br />

schirr ebenso wie <strong>de</strong>n Gebrauch von Silbermünzen zur Schau­<br />

stellung o<strong>de</strong>r zur Pfandbestellung verkaufen, d. h. also, daß<br />

man sie vermieten könne, ohne das Eigentum daran aufzuge­<br />

ben, <strong>und</strong> für diese Vermietung einen Preis for<strong>de</strong>rn dürfe. Die<br />

Frage ist nämlich gar nicht diese, die <strong>de</strong>r Einwand im Auge hat:<br />

ob man ein Miet-Entgelt verlangen dürfe, was auch wir ohne<br />

weiteres zugeben. Son<strong>de</strong>rn die Frage ist: aus welchen Elemen­<br />

ten sich dieser Mietpreis naturrechtlich zusammensetzt. Im<br />

Einklang mit <strong>de</strong>n von Thomas entwickelten <strong>Recht</strong>sgr<strong>und</strong>sätzen<br />

kann die Antwort nur so lauten: Der Vermieter darf nur äquiva­<br />

lentes Entgelt für Arbeit <strong>und</strong> Kosten, Wertmin<strong>de</strong>rung u. dgl. (in<br />

unserem hochkapitalistischen Wirtschaftssystem auch die von<br />

Kanon 1543 zugelassene Schadloshaltung) for<strong>de</strong>rn, niemals<br />

aber die Vermietung dazu mißbrauchen, um eine arbeitslose<br />

Bereicherung auf Kosten <strong>de</strong>s Mieters zu erfahren" (a.a.O.,<br />

Bd. 1,233).<br />

427


78 Es ist aber nicht einzusehen, warum Thomas je<strong>de</strong>n soge-<br />

nannten Mehrwert ausschließen soll. Orel ist völlig im Banne<br />

seiner Erklärung von 77,4, wo er, wie bereits dargestellt, <strong>de</strong>r<br />

ganzen mittelalterlichen Scholastik die Ansicht unterschob, daß<br />

die einzigen Faktoren <strong>de</strong>r Preisbildung „Arbeit <strong>und</strong> Kosten"<br />

seien (Bd. 1,217).<br />

Ebenfalls von dieser Sicht her ist auch seine Erklärung von<br />

Art. 2 Zu 5 aufgefaßt. Thomas spricht hiervon einer Kapitalan­<br />

lage im Geschäft eines Kaufmanns o<strong>de</strong>r eines Handwerkers<br />

„nach <strong>de</strong>r Weise einer Gesellschaft". Er meint nun, daß <strong>de</strong>r<br />

Geldgeber ruhig einen über <strong>de</strong>n investierten Betrag hinausge­<br />

hen<strong>de</strong>n Son<strong>de</strong>ranteil am Geschäftsgewinn verlangen dürfe, weil<br />

er das Geld nicht in Form eines Darlehens <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>ren über­<br />

gebe, son<strong>de</strong>rn vollgültiger Herr <strong>de</strong>s Werts bleibe, also Mitbesit­<br />

zer <strong>de</strong>s Realkapitals sei. Der Kaufmann o<strong>de</strong>r Handwerker<br />

arbeitet mit diesem Kapital (wenigstens teilweise) als Manager<br />

<strong>de</strong>s Kapitalgebers. Das Risiko, so sagt Thomas ausdrücklich,<br />

bleibt beim Kapitalgeber. „Und darum", so folgert Thomas,<br />

„kann er erlaubterweise einen Teil <strong>de</strong>s daraus entstehen<strong>de</strong>n<br />

Gewinns for<strong>de</strong>rn, als von seiner eigenen Sache."<br />

Wie ist nun dieses Einkommen <strong>de</strong>s Kapitalgebers zu verste­<br />

hen? Ist es eine Risikoprämie? O<strong>de</strong>r ist es <strong>de</strong>r Preis für die reine<br />

Kapitaln<strong>utz</strong>ung, also ein Mehrwert über Arbeit <strong>und</strong> Kosten?<br />

Orel hat sich gera<strong>de</strong> mit diesem Text viel Arbeit gemacht. Er<br />

möchte auch hier <strong>de</strong>n Text in <strong>de</strong>r nach seinem Sinn ausgelegten<br />

Wirtschaftsmoral <strong>de</strong>s hl. Thomas verstan<strong>de</strong>n wissen.<br />

In <strong>de</strong>r Tat gibt <strong>de</strong>r Text <strong>de</strong>r Kommentierung keine leichte<br />

Aufgabe auf. So meint Orel: „Aus <strong>de</strong>m Zusammenhang geris­<br />

sen <strong>und</strong> ihrem bloßen Wortlaut nach betrachtet —, wie es bei <strong>de</strong>r<br />

kapitalistischen Deutung üblich ist — bleibt die Stelle dunkel<br />

<strong>und</strong> unklar. Nicht ersichtlich ist, was Thomas darunter versteht,<br />

wenn er das Geld einem Kaufmann o<strong>de</strong>r einem Handwerker<br />

,nach <strong>de</strong>r Weise einer Gesellschaft' anvertrauen läßt. Nicht<br />

ersichtlich ist, wieso Thomas das unserer Erfahrung gemäß in<br />

Wahrheit doch sehr oft gefähr<strong>de</strong>te Darlehen gefahrlos gegen­<br />

über <strong>de</strong>r in Wahrheit kaum mehr gefähr<strong>de</strong>ten,Gesellschafts'ein-<br />

lage hinstellt. Nicht ersichtlich ist, wieso Thomas <strong>de</strong>m nicht<br />

arbeiten<strong>de</strong>n ,Gesellschafter' ,Gewinn, gleichsam von seiner<br />

Sache', zusprechen kann, obwohl er sonst <strong>de</strong>n arbeitslosen<br />

Gewinn gr<strong>und</strong>sätzlich verwirft. Endlich scheint sich <strong>de</strong>r gro­<br />

teske Selbstwi<strong>de</strong>rspruch <strong>de</strong>s hl. Thomas zu ergeben, daß <strong>de</strong>r<br />

428


Kaufmann, <strong>de</strong>r unter Arbeit, Mühe <strong>und</strong> Gefahr <strong>de</strong>s Verlustes 78<br />

<strong>de</strong>s eigenen Vermögen, ja sogar seines Lebens, Geschäfte<br />

betreibt, nach Thomas keinen Gewinn machen dürfe, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n<br />

Entgelt seiner Arbeit <strong>und</strong> seiner Kosten überstiege, wogegen<br />

<strong>de</strong>r bloß mit einer Vermögenseinlage beteiligte, keine Arbeit,<br />

keine Mühe tragen<strong>de</strong> Gesellschafter' einen (über Arbeit, die für<br />

ihn nicht vorhan<strong>de</strong>n ist, <strong>und</strong> Kosten hinausgehen<strong>de</strong>n) Gewinn<br />

machen dürfe. Der nicht arbeiten<strong>de</strong> Kapitalist wäre somit gün­<br />

stiger gestellt als <strong>de</strong>r arbeiten<strong>de</strong> Kaufmann. Eine <strong>de</strong>rartige<br />

Umstülpung seiner Wirtschaftsmoral kann <strong>de</strong>m hl. Thomas<br />

aber unmöglich zugemutet wer<strong>de</strong>n. Im Gegensatz zu <strong>de</strong>r<br />

unmöglichen, oberflächlichen kapitalistischen Deutung wird<br />

sich bei gründlicher Durchforschung alsbald zeigen, daß diese<br />

auf <strong>de</strong>n ersten Blick so dunkle <strong>und</strong> wi<strong>de</strong>rspruchsvolle Stelle mit<br />

<strong>de</strong>r unzweifelhaften, klaren antikapitalistischen Lehre <strong>de</strong>s hl.<br />

Thomas vollkommen harmoniert" (a.a.O., Bd. 1,219).<br />

Orel sieht zwei Möglichkeiten <strong>de</strong>r Erklärung <strong>de</strong>s Begriffs <strong>de</strong>r<br />

Anvertrauung „nach <strong>de</strong>r Weise einer Gesellschaft": „entwe<strong>de</strong>r<br />

als regelrechte Darlehen zu geschäftlichen Zwecken (Han<strong>de</strong>ls­<br />

<strong>und</strong> Gewerbekredit), o<strong>de</strong>r die Kommenda, <strong>de</strong>n ersten frühkapi­<br />

talistischen Ansatz zu <strong>de</strong>n späteren Kapitalgesellschaften im<br />

mo<strong>de</strong>rnen Kapitalismus" (a.a.O.).<br />

Während sonstige Darlehen praktisch nur gegen ein sicheres<br />

Faustpfand o<strong>de</strong>r sehr gute Bürgschaft gewährt wur<strong>de</strong>n, kam die<br />

Pfandbestellung beim kleinen Kaufmann o<strong>de</strong>r Handwerker<br />

nicht in Frage, da die aufgenommene Summe ihr Vermögen<br />

überstieg. Bei Pfand- <strong>und</strong> Bürgschaftsdarlehen konnte sich <strong>de</strong>r<br />

Gläubiger an Faustpfand o<strong>de</strong>r Bürgen schadlos halten. Er lief<br />

also keine Gefahr, konnte darum auch keine eigene Risikoprä­<br />

mie verlangen. An<strong>de</strong>rs bei Han<strong>de</strong>ls- <strong>und</strong> Gewerbekredit. Hier<br />

trat nach scholastischer Auffassung <strong>de</strong>r Kreditgeber in ein<br />

Gesellschaftsverhältnis mit <strong>de</strong>m Kaufmann o<strong>de</strong>r Handwerker.<br />

Er trug das Risiko für seine Einlage selbst. Orel schließt sodann<br />

daraus, daß <strong>de</strong>r von Thomas erwähnte „Gewinn" darum nichts<br />

an<strong>de</strong>res als eine Versicherung gegen Risiko war.<br />

Dasselbe nimmt Orel auch an für <strong>de</strong>n Fall, daß es sich um<br />

eine kaufmännische Kommenda han<strong>de</strong>lte. Diese war die Hin­<br />

gabe einer Summe an einen an<strong>de</strong>rn zum Geschäftsbetrieb, <strong>de</strong>s­<br />

sen Gewinn die Parteien später teilten. Orel meint, daß diese<br />

Gewinne im Gr<strong>und</strong>e nichts an<strong>de</strong>res waren als Deckung von frü­<br />

her bereits erlittenen <strong>und</strong> später mit ziemlicher Wahrscheinlich-<br />

429


78 keit zu erwarten<strong>de</strong>n Verlusten. „Eine solche Entschädigung war<br />

in sich durchaus gerecht, stellte nur die Äquivalenz zwischen<br />

Leistung <strong>und</strong> Gegenleistung her" (a.a.O.221). Orel weist<br />

darauf hin, daß man in diesen Kommendae <strong>de</strong>s Mittelalters<br />

nicht etwa kapitalistisch aufgezogene, auf mächtige Gewinne<br />

angelegte Gesellschaften sehen dürfe. Han<strong>de</strong>lte es sich doch<br />

beim damaligen Transportwesen um riesige Gefahren für das<br />

Unternehmen <strong>und</strong> die Unternehmer selbst (Sturm, Räuberwe­<br />

sen). Aus diesem Gr<strong>und</strong> sei das Zusammenwirken von mehre­<br />

ren Kauf leuten <strong>und</strong> vielen Geldgebern zu einer Transportgesell­<br />

schaft eine Notwendigkeit gewesen, zumal <strong>de</strong>r einzelne Betei­<br />

ligte einen verhältnismäßig nur sehr geringen Einsatz zu leisten<br />

imstan<strong>de</strong> gewesen sei. „Nichts törichter", so meint Sombart<br />

(Der mo<strong>de</strong>rne Kapitalismus, 1, 291 ff., zitiert bei Orel a. a. O.<br />

220) „als das Mittelalter mit kapitalistisch empfin<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n<br />

<strong>und</strong> ökonomisch geschulten Kaufleuten zu bevölkern. Das<br />

handwerksmäßige Wesen <strong>de</strong>s Händlers alten Schlages tritt vor<br />

allem in <strong>de</strong>r Eigenart seiner Zwecksetzung zutage. Auch ihm<br />

liegt im Gr<strong>und</strong>e seines Herzens nichts ferner als ein Gewinn­<br />

streben im Sinne mo<strong>de</strong>rnen Unternehmertums; auch er will<br />

nichts an<strong>de</strong>res, nicht weniger, aber auch nicht mehr, als durch<br />

seiner Hän<strong>de</strong> Arbeit sich recht <strong>und</strong> schlecht <strong>de</strong>n stan<strong>de</strong>sgemä­<br />

ßen Unterhalt verdienen; auch seine ganze Tätigkeit wird von<br />

<strong>de</strong>r I<strong>de</strong>e <strong>de</strong>r Nahrung beherrscht... Man weiß, welch mühsames<br />

<strong>und</strong> meist gefährliches Werk je<strong>de</strong>s Han<strong>de</strong>lsgeschäft war, das<br />

eine Ortsverän<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Ware — <strong>und</strong> darum han<strong>de</strong>lte es sich ja<br />

fast immer — zur Voraussetzung hatte, weiß, daß <strong>de</strong>r Händler<br />

selbst mit <strong>de</strong>m Schwert umgürtet sich auf die Reise begeben,<br />

wochen- <strong>und</strong> monatelang in eigener Person Wagenführer <strong>und</strong><br />

Herbergsvater spielen mußte, um seine paar Colli glücklich an<br />

ihren Bestimmungsort zu bringen". Im Hinblick auf dieses<br />

ungeheure Risiko, <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Kapitalgeber sein Kapital in <strong>de</strong>n<br />

Kommendaeverträgen aussetzte, konnte er eine berechtigte Ver­<br />

sicherungsprämie verlangen, welche gemäß <strong>de</strong>r Auslegung von<br />

Orel bei Thomas mit Gewinnanteil bezeichnet wur<strong>de</strong>: „Da bei<br />

Han<strong>de</strong>ls- <strong>und</strong> Gewerbekredit wie bei <strong>de</strong>r Kommenda <strong>de</strong>r Geld­<br />

geber wahrhaftig eine Risikolast trug, konnte er auch <strong>de</strong>n dieses<br />

Risiko ausgleichen<strong>de</strong>n ,Gewinn'anteil als ,gleichsam von seiner<br />

Sache' gewonnene Versicherungs- o<strong>de</strong>r Ersatzquote mit <strong>Recht</strong><br />

for<strong>de</strong>rn. Eine solche Versicherungsquote darf selbstverständlich<br />

bei sämtlichen riskanten Geschäften, <strong>und</strong> zwar in solcher Höhe<br />

430


gerechterweise gefor<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n, als die Gefahr im Durch- 78<br />

schnitt groß ist, bei beson<strong>de</strong>rs riskanten Unternehmungen ent­<br />

sprechend höher. Worauf es ankommt, ist, daß die Gesamt­<br />

summe <strong>de</strong>r gefor<strong>de</strong>rten Versicherungsprämien die Gesamt­<br />

summe <strong>de</strong>r als präsumtiv eintretend errechneten <strong>und</strong> tatsäch­<br />

lich eintreten<strong>de</strong>n Schä<strong>de</strong>n <strong>de</strong>cke, äquivaliere, nicht aber<br />

Gewinn aus frem<strong>de</strong>r Arbeit eintrage" (a. a. O. Bd. 1,221 f). Für<br />

Orel ist je<strong>de</strong>r arbeitslose Mehrwertgewinn offensichtlicher<br />

Wucher. Er kann es sich daher nicht aus<strong>de</strong>nken, daß Thomas,<br />

wenn er von einem „Gewinn"anteil sprach, an etwas an<strong>de</strong>res<br />

gedacht hätte als an die Risiko-Entschädigung. Orel gibt aller­<br />

dings zu, daß <strong>de</strong>r zeitbedingte, unvermeidliche Mangel an<br />

volkswirtschaftlichen Erkenntnissen bei <strong>de</strong>n Scholastikern,<br />

auch bei Thomas, zu Unklarheiten, Schwankungen, Unge-<br />

nauigkeiten Anlaß gegeben habe <strong>und</strong> daß infolge<strong>de</strong>ssen in ihren<br />

Schriften „Wi<strong>de</strong>rsprüche gegen die von ihnen prinzipiell hoch­<br />

gehaltene Äquivalenz- <strong>und</strong> Wucherlehre" vorkommen könnten.<br />

In <strong>de</strong>r uns hier beschäftigen<strong>de</strong>n Stelle löse sich allerdings <strong>de</strong>r<br />

scheinbare Wi<strong>de</strong>rspruch unschwer in Einklang auf. Thomas<br />

gebrauche <strong>de</strong>n Ausdruck „Gewinn" hier ebenso wie in 77,4, wo<br />

er vom erlaubten „Han<strong>de</strong>lsgewinn" re<strong>de</strong> <strong>und</strong> dabei nichts an<strong>de</strong>­<br />

res meine als <strong>de</strong>n Arbeitslohn <strong>de</strong>s Kaufmanns <strong>und</strong> Kostener­<br />

satz, für <strong>de</strong>n Kostenpunkt; <strong>de</strong>nn darunter sei die Risiko-Ent­<br />

schädigung zu rechnen (a.a.O.223). „Es ist somit stringent<br />

bewiesen, daß Thomas unter <strong>de</strong>m ,Gewinnanteil <strong>de</strong>s Geldge­<br />

bers nicht einen über Arbeitslohn <strong>und</strong> Kostenersatz hinausge­<br />

hen<strong>de</strong>n Mehrwertgewinn o<strong>de</strong>r echten Kapitalzins verstan<strong>de</strong>n<br />

haben kann" (Orel, a.a.O.).<br />

Was ist nun dazu zu sagen? Die Berufung auf 77,4 scheint <strong>de</strong>r<br />

Berechtigung wirklich zu entbehren, <strong>de</strong>nn es spricht alles dafür,<br />

daß Thomas dort <strong>de</strong>n Han<strong>de</strong>lsgewinn nicht nur als Arbeitslohn<br />

<strong>de</strong>s Kaufmanns verstan<strong>de</strong>n wissen wollte. Ferner ist zu be<strong>de</strong>n­<br />

ken, daß Thomas die gesellschaftliche Geschäftsbeteiligung<br />

streng juristisch von <strong>de</strong>m reinen Darlehen unterschei<strong>de</strong>t. Im<br />

reinen Darlehen wird nach Thomas das Eigentum über die<br />

Sache mitvergeben, weil es sich um eine im Gebrauch ver­<br />

brauchte Sache han<strong>de</strong>lt, während beim Kredit mit Geschäftsan­<br />

teil <strong>de</strong>r Kreditgeber Kapitalbesitzer wird <strong>und</strong> damit am Ertrag<br />

<strong>de</strong>s Unternehmens Anteil hat. Orel lehnt diese <strong>de</strong>m römischen<br />

<strong>Recht</strong>s<strong>de</strong>nken entnommene Begründung als unthomistisch ab.<br />

Er bezeichnet sie als juristische Fiktion <strong>und</strong> einen Irrweg <strong>de</strong>r<br />

431


78 Formalistik. Wie aber will man an<strong>de</strong>rerseits überhaupt noch mit<br />

unserer Frage 78 zurechtkommen, wenn mann diese streng<br />

juristische Unterscheidung zwischen Darlehen <strong>und</strong> gesell­<br />

schaftlicher Geschäftsbeteiligung nicht mehr aufrechterhält <strong>und</strong><br />

als <strong>de</strong>n Kern <strong>de</strong>r ganzen Frage bezeichnet? Das Eigenartige <strong>de</strong>s<br />

Darlehens ist eben, daß das Eigentum an <strong>de</strong>r Sache entäußert<br />

wird, obwohl das Eigentum am Wert nicht aufgegeben wird.<br />

Wir wer<strong>de</strong>n darauf sogleich nochmals zu sprechen kommen<br />

müssen. Es ist gera<strong>de</strong> höchste wissenschaftliche Auszeichnung<br />

für Thomas, daß er alle Dinge von ihrer Wesens<strong>de</strong>finition her<br />

beurteilt. Wie sollte er nun auf einmal von diesem Verfahren<br />

abgehen <strong>und</strong> <strong>de</strong>n <strong>de</strong>finitionsgemäßen Unterschied zwischen<br />

Darlehen <strong>und</strong> gesellschaftlicher Geschäftsbeteiligung aufgeben<br />

zugunsten irgen<strong>de</strong>iner praktischen Sicht? Es hieße die ganze<br />

Frage 78 auf <strong>de</strong>n Kopf stellen, wenn man behaupten wollte,<br />

Thomas habe <strong>de</strong>n Darlehenszins aus <strong>de</strong>m Gr<strong>und</strong>e verworfen,<br />

weil in <strong>de</strong>r Praxis bereits ein sicheres Pfand o<strong>de</strong>r eine gute Bürg­<br />

schaft für das Darlehen gestellt wor<strong>de</strong>n seien, <strong>und</strong> er habe<br />

beim Han<strong>de</strong>ls- <strong>und</strong> Gewerbekredit <strong>de</strong>m Kreditgeber das <strong>Recht</strong><br />

auf eine beson<strong>de</strong>re For<strong>de</strong>rung zuerkannt, weil an<strong>de</strong>rs das<br />

Risiko nicht ge<strong>de</strong>ckt wor<strong>de</strong>n wäre. Die Dinge liegen im Denken<br />

<strong>de</strong>s hl. Thomas wirklich tiefer. Sie sind gesehen vom verschie­<br />

<strong>de</strong>nen Wesen <strong>de</strong>r Vertragsform. Hier von einem Irrweg <strong>de</strong>r For­<br />

malistik re<strong>de</strong>n wollen, heißt, ethische <strong>und</strong> moraltheologische<br />

Bewertung vom Wesen in Zufälligkeiten verlegen.<br />

Orel sucht in Art. 3 unserer Frage eine Verstärkung für seine<br />

gr<strong>und</strong>sätzliche Unterstellung, daß für Thomas <strong>und</strong> die mittelal­<br />

terliche Kirche nur Arbeit <strong>und</strong> Kosten <strong>de</strong>n Preis bestimmen <strong>und</strong><br />

somit je<strong>de</strong>s arbeitslose Einkommen, also auch je<strong>de</strong> Rente, sitt­<br />

lich nicht mehr haltbar sei. 23 Thomas stellt sich in Art. 3 die<br />

Frage, wem <strong>de</strong>r Ertrag jener Güter gehöre, die man als Zins,<br />

d.h. in <strong>de</strong>r thomasischen Beurteilung als Wucher erworben<br />

habe. Er antwortet nun, daß bei jenen Dingen, <strong>de</strong>ren Gebrauch<br />

im Verbrauch besteht, wie z. B. Geld, Weizen, Wein, die also<br />

keinen eigenen N<strong>utz</strong>wert außer ihrer Substanz haben, die<br />

Rückgabe <strong>de</strong>r Substanz voll <strong>und</strong> ganz genüge, weil alles an<strong>de</strong>re,<br />

was sich sonst etwa als Ertrag aus solchen Dingen ergeben<br />

432<br />

Wir gehen auf Art. 3 nur insoweit ein, als es sich um das arbeitslose Einkommen<br />

im allgemeinen han<strong>de</strong>lt. Die darin behan<strong>de</strong>lte Frage <strong>de</strong>s Darlehenszinses<br />

wird uns noch eingehen<strong>de</strong>r beschäftigen.


könnte, <strong>de</strong>m menschlichen Fleiß zu verdanken, also Eigentum 78<br />

<strong>de</strong>s arbeiten<strong>de</strong>n Menschen sei. Es ist eigenartig, daß gera<strong>de</strong><br />

diese Lehre <strong>de</strong>s hl. Thomas von Orel dazu ben<strong>utz</strong>t wur<strong>de</strong>, die<br />

Theorie vom vollen Arbeitsertrag zu unterstützen: „Ihm — <strong>de</strong>m<br />

arbeiten<strong>de</strong>n Menschen — allein gehört <strong>de</strong>r Lohn seiner Mühen:<br />

die Arbeitsfrucht, <strong>und</strong> nicht seinen Hilfsmitteln <strong>und</strong> Werkzeu­<br />

gen, nicht <strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>n <strong>und</strong> nicht <strong>de</strong>m,Kapital', nicht <strong>de</strong>m Eigen­<br />

tümer dieser Wirtschaftsmittel als solchem. Mögen auch Natur­<br />

kräfte <strong>und</strong> technische Behelfe noch so großen Anteil am<br />

Zustan<strong>de</strong>kommen <strong>de</strong>r Arbeitsfrucht haben, so sind sie doch<br />

nur als Arbeitsmittel für <strong>de</strong>n Menschen da, <strong>de</strong>r arbeitend ihr<br />

Herr gewor<strong>de</strong>n ist. Seiner industria, seiner Betriebsamkeit, sei­<br />

nem Arbeitsfleiß verdankt die Arbeitsfrucht ihr Zustan<strong>de</strong>kom­<br />

men; <strong>de</strong>m Arbeiter gebührt darum auch das Produkt selbst<br />

dann, wenn er kein an<strong>de</strong>res instrumentum als Geld verwen<strong>de</strong>te,<br />

während <strong>de</strong>m Geld <strong>und</strong> seinem Eigentümer als bloßem Eigen­<br />

tümer o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Darleiher als solchem je<strong>de</strong>r Zins, je<strong>de</strong>r Mehr­<br />

wert <strong>und</strong> Gewinn über die ursprüngliche Geldsumme hinaus<br />

versagt war. Das Erzeugnis gehört daher <strong>de</strong>r Arbeit sogar dann,<br />

wenn sie das instrumentum, die Arbeitsmittel, das ,Kapital'<br />

nicht rechtmäßig besaß, son<strong>de</strong>rn z.B. erwuchert (analog:<br />

gestohlen, geraubt) hatte, während in diesem Fall <strong>de</strong>m rechtmä­<br />

ßigen Eigentümer <strong>de</strong>s erwucherten Gel<strong>de</strong>s zwar voller Ersatz,<br />

aber kein Anspruch auf einen Anteü an <strong>de</strong>m mittels seines ihm<br />

wi<strong>de</strong>rrechtlich entzogenen Eigentums von <strong>de</strong>r Arbeit erzeugten<br />

Arbeitsprodukt zusteht; <strong>de</strong>nn, sagt Thomas ausdrücklich<br />

(S. th. II—II 78), ,es ist nicht Frucht dieser (frem<strong>de</strong>n) Sache, son­<br />

<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r menschlichen Betriebsamkeit'" (a.a.O.,Bd. 1,227).<br />

In Wirklichkeit geht es aber Thomas an dieser Stelle gar nicht<br />

darum, <strong>de</strong>n Arbeitsfleiß als die einzige Erwerbsquelle zu prei­<br />

sen, son<strong>de</strong>rn zu zeigen, daß verbrauchbare Güter (d. h. Güter,<br />

die im Gebrauch verbraucht wer<strong>de</strong>n) alles, was sie eventuell<br />

sonst noch einbringen mögen, nicht aus sich haben, son<strong>de</strong>rn<br />

aus <strong>de</strong>m Fleiß <strong>de</strong>r Arbeit. In seiner zweiten Hälfte betont <strong>de</strong>r<br />

Artikel <strong>de</strong>s hl. Thomas die Möglichkeit arbeitslosen Einkom­<br />

mens dort, wo Güter einen eigenen N<strong>utz</strong>ungswert haben. Daß<br />

Thomas wirklich einen Gewinn, d. h. ein über Kosten <strong>und</strong><br />

Arbeit hinausgehen<strong>de</strong>s Mehr verteidigt, beweist klar die Stelle<br />

in De malo 13,4 Zu 4. Der Einwand, <strong>de</strong>n sich Thomas macht,<br />

lautet dort folgen<strong>de</strong>rmaßen: „Wie <strong>de</strong>r Mensch Eigentumsrecht<br />

über sein Haus o<strong>de</strong>r Pferd hat, so hat er ebenfalls Eigentums-<br />

433


78 recht über sein Geld. Nun aber kann er sein Haus <strong>und</strong> Pferd für<br />

einen Preis vermieten. Also kann er aus <strong>de</strong>m gleichen Gr<strong>und</strong><br />

auch eine Vergütung für das Geld empfangen, das er als Darle­<br />

hen gibt". Die Antwort darauf: „Manche sagen, daß das Haus<br />

<strong>und</strong> das Pferd durch <strong>de</strong>n Gebrauch abgen<strong>utz</strong>t wer<strong>de</strong>n <strong>und</strong> <strong>de</strong>s­<br />

wegen als Vergütung etwas empfangen wer<strong>de</strong>n könne, während<br />

das Geld nicht abgen<strong>utz</strong>t wer<strong>de</strong>. Doch ist diese Begründung<br />

nichtig, <strong>de</strong>nn danach könnte man für das vermietete Haus keinen<br />

höheren, die Abn<strong>utz</strong>ung <strong>de</strong>s Hauses übersteigen<strong>de</strong>n Preis nehmen.<br />

Man muß daher sagen, daß die N<strong>utz</strong>ung <strong>de</strong>s Hauses selbst erlaub­<br />

terweise verkauft wird, nicht jedoch <strong>de</strong>s Gel<strong>de</strong>s aus <strong>de</strong>m [im<br />

Artikel] erwähnten Gr<strong>und</strong>e".<br />

Kann man nach all<strong>de</strong>m, was wir über die Ansicht <strong>de</strong>s hl. Tho­<br />

mas bezüglich <strong>de</strong>s Spekulationsgewinns <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Rente gehört<br />

haben, Thomas zum Verteidiger <strong>de</strong>s arbeitslosen Einkommens<br />

<strong>und</strong> <strong>de</strong>s Spekulationsgewinns erklären im Sinne, wie wir heute<br />

über diese Frage sprechen?<br />

Für uns heute haben diese Fragen eine viel größere Spann­<br />

weite. Wir stellen sie zunächst in <strong>de</strong>n Rahmen <strong>de</strong>s Ordnungs­<br />

ganzen einer Volkswirtschaft o<strong>de</strong>r gar <strong>de</strong>r Weltwirtschaft. Der<br />

Han<strong>de</strong>lsgewinn wird darum nicht nur unter <strong>de</strong>m Gesichts­<br />

punkt betrachtet, inwieweit er unter einfacher Hinnahme einer<br />

bereits bestehen<strong>de</strong>n Preisordnung <strong>de</strong>n Mitmenschen o<strong>de</strong>r das<br />

Gemeinwohl etwa benachteilige, son<strong>de</strong>rn, ob er als reiner<br />

Gewinn zunächst rein theoretisch in einer Sozialwirtschaft mit<br />

Gleichgewichtspreis bestehen könne <strong>und</strong> inwieweit er, gemes­<br />

sen an diesem I<strong>de</strong>al <strong>de</strong>s gerechten Preises, in einer Volkswirt­<br />

schaft mit privater Eigentumsordnung noch erträglich sei. Das­<br />

selbe gilt auch von <strong>de</strong>r Kapitalrendite. Mit <strong>de</strong>m Augenblick, da<br />

man das wirtschaftliche Gemeinwohl nicht mehr von einer vor­<br />

gegebenen Ordnungswidrigkeit, son<strong>de</strong>rn von einem sozial-<br />

wirtschaftlichen I<strong>de</strong>alstandpunkt aus betrachtet, begibt man<br />

sich ins Gr<strong>und</strong>sätzliche <strong>de</strong>r Wirtschaftsordnung <strong>und</strong> hebt damit<br />

die Frage nach <strong>de</strong>r Kapitalrendite in ein <strong>de</strong>m Denken <strong>de</strong>s hl.<br />

Thomas vorgelagertes Feld. Auf diesem Bo<strong>de</strong>n geht es nicht nur<br />

um das Wohlergehen aller in irgen<strong>de</strong>iner Weise <strong>und</strong> von irgend­<br />

einem, gera<strong>de</strong> gültigen Standpunkt aus, son<strong>de</strong>rn um das auf<br />

ein gerechtes Wirtschaftssystem bezogene Wohlergehen aller.<br />

Es sei darum das, was bereits bei <strong>de</strong>r Besprechung <strong>de</strong>r thomasi­<br />

schen Auffassung vom Eigentum gesagt wur<strong>de</strong>, hier nochmals<br />

unterstrichen: es geht nicht an, wirtschaftsethische Zitate aus<br />

434


Thomas so, wie sie sind, auf die mo<strong>de</strong>rnen Fragestellungen 78<br />

anzuwen<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn man wird stets, ausgehend von <strong>de</strong>n all­<br />

gemeinen Sozialprinzipien <strong>de</strong>s hl. Thomas, eine neue, auf das<br />

konkrete Anliegen passen<strong>de</strong> Anwendung suchen müssen.<br />

2. DER DARLEHENSZINS<br />

Das klassische Argument, mit welchem Thomas — übrigens<br />

ganz in Übereinstimmung mit Aristoteles — <strong>de</strong>n Darlehenszins<br />

verwirft, ist sachlich auch heute noch unbestritten. Wir verteidi­<br />

gen heute in <strong>de</strong>r kapitalistischen Wirtschaft <strong>de</strong>n Zins nicht <strong>de</strong>s­<br />

wegen, weil wir vielleicht in <strong>de</strong>m Argument <strong>de</strong>r Alten einen<br />

Wi<strong>de</strong>rsinn ent<strong>de</strong>cken, son<strong>de</strong>rn weil wir zur volkswirtschaftli­<br />

chen Erkenntnis <strong>de</strong>r Trennung von Sache <strong>und</strong> Wert gekommen<br />

sind.<br />

Ausgehend von <strong>de</strong>r juristischen Definition <strong>de</strong>s Darlehens­<br />

vertrags als eines Vertrags, bei welchem eine Sache, die in ihrem<br />

Gebrauch verbraucht wird, geliehen wird, erklärt Thomas, daß<br />

je<strong>de</strong> weitere For<strong>de</strong>rung, die über die Rückgabe <strong>de</strong>r geliehenen<br />

Substanz hinausgeht, ungerecht sei. Bei <strong>de</strong>r Abfolge <strong>de</strong>r Gedan­<br />

ken darf man nicht zu irgendwelchen in <strong>de</strong>r Wirtschaftsgesell­<br />

schaft sich vorfin<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Phänomenen abschweifen, in<strong>de</strong>m man<br />

etwa an die geldrechenhafte Umwertung eines Quantums Brot<br />

in je<strong>de</strong>s beliebige Produktionsmittel <strong>de</strong>nkt, son<strong>de</strong>rn hat bei <strong>de</strong>r<br />

Äquivalenz zwischen <strong>de</strong>n zwei Individuen zu verbleiben, inner­<br />

halb welchen sich <strong>de</strong>r Vertrag vollzieht; d. h., es wird nicht an<br />

einen allgemein wirtschaftlichen Wert, son<strong>de</strong>rn nur an diese<br />

eine verbrauchbare Sache, etwa das Quantum Brot, gedacht.<br />

Dieses wird zur Verfügung gestellt. Damit wird zugleich auch<br />

das Eigentum vergeben, <strong>de</strong>nn in<strong>de</strong>m das Brot vom Darlehens­<br />

nehmer gebraucht wird, wird es verbraucht. Und <strong>de</strong>nnoch<br />

behält <strong>de</strong>r Darlehensgeber auch im klassischen Zins<strong>de</strong>nken sei­<br />

nen <strong>Recht</strong>stitel auf genau so viel <strong>und</strong> so gutes Brot, wie er aus­<br />

geliehen hat. Bekommt er dies zurück, dann besitzt er alles wie­<br />

<strong>de</strong>r, worauf er Anspruch erheben durfte. Mehr zu for<strong>de</strong>rn wäre<br />

(stets im Rahmen dieses sachgeb<strong>und</strong>enen Denkens) Wucher.<br />

Der Zins für Darlehen wird daher mit Wucher gleichgesetzt.<br />

Von <strong>de</strong>rselben Eigenart wie die verbrauchbaren Sachen ist<br />

auch das Geld als Tauschmittel. Sein Gebrauch besteht darin,<br />

daß man es „ausgibt". Wenn also jemand einem an<strong>de</strong>rn Geld<br />

435


78 leiht, kann er von ihm kraft <strong>de</strong>s Darlehens nicht mehr zurück­<br />

verlangen als eben<strong>de</strong>nselben Betrag, <strong>de</strong>n er als Darlehen aus­<br />

gegeben hatte. Der Zins ist also auch hier Wucher <strong>und</strong> wäre im<br />

Falle, daß er gefor<strong>de</strong>rt wor<strong>de</strong>n wäre, zurückzuerstatten (Art. 1).<br />

Natürlich kennt Thomas die Unterscheidung in Geld als<br />

Tauschmittel <strong>und</strong> als Metall. Als letzteres kommt <strong>de</strong>m Geld ein<br />

weiterer Gebrauch zu, <strong>de</strong>r es nicht verzehrt: als Schaustück<br />

o<strong>de</strong>r als Handpfand. „Und diesen Gebrauch <strong>de</strong>s Gel<strong>de</strong>s kann<br />

man erlaubterweise verkaufen" (Art. 1 Zu 6, vgl. Anm. [68]).<br />

Aber im Geld als Tauschmittel sieht Thomas keine Möglichkeit,<br />

eine von <strong>de</strong>m Wesen <strong>de</strong>s Tauschmittels verschie<strong>de</strong>ne N<strong>utz</strong>ung<br />

zu ent<strong>de</strong>cken, welche man mit einem beson<strong>de</strong>ren Preis berech­<br />

nen könnte; <strong>de</strong>nn „<strong>de</strong>rjenige, welcher Geld als Darlehen gibt,<br />

überträgt das Eigentum auf <strong>de</strong>n, <strong>de</strong>m er es leiht" (Art. 2 Zu 5).<br />

An<strong>de</strong>rs ist es, wie bereits gesagt, bei <strong>de</strong>r gesellschaftlichen<br />

Geschäftsteilnahme, die durch das Darlehen entsteht (Art. 2<br />

Zu 5).<br />

Wie Thomas beim Weizen nicht an eine Trennung von Sache<br />

<strong>und</strong> Wert dachte, ebensowenig <strong>und</strong> noch weniger konnte er auf<br />

<strong>de</strong>n Gedanken kommen, daß das Geld (als Tauschmittel) kein<br />

unverän<strong>de</strong>rlicher Wertmesser <strong>de</strong>r Dinge sei, son<strong>de</strong>rn selbst<br />

Wertschwankungen unterworfen sein <strong>und</strong> einen Preis haben<br />

könne. Die Scholastik hat nicht an die marktmäßige Preisbil­<br />

dung für das Geld <strong>de</strong>nken können, da es eben <strong>de</strong>r Wesenheit <strong>de</strong>s<br />

Gel<strong>de</strong>s überhaupt wi<strong>de</strong>rsprach, Gegenstand von Kauf <strong>und</strong> Ver­<br />

kauf zu sein. Nach Bernhardin von Siena (1380—1444) kann<br />

Geld nicht verkauft wer<strong>de</strong>n, da es selbst Mittel im Verkauf sei<br />

(Serm. 34, a.2,c.3).<br />

Thomas hat klar gewußt, daß <strong>de</strong>r Preis für einen Zentner<br />

Weizen im Laufe <strong>de</strong>r Zeit steigen o<strong>de</strong>r fallen kann. Und er hat<br />

sogar <strong>de</strong>m Kaufmann zugestan<strong>de</strong>n, diese Preisschwankungen<br />

zu seinem Vorteil auszun<strong>utz</strong>en, ohne übrigens an irgendwelche<br />

Kosten, etwa die Lagerkosten, o<strong>de</strong>r an aufgewandte Arbeit zu<br />

<strong>de</strong>nken, son<strong>de</strong>rn im Sinne eines reinen Marktgewinns. Er hat<br />

sich aber nicht die Frage gestellt, ob <strong>de</strong>rjenige, welcher heute<br />

einen Zentner Weizen ausleiht <strong>und</strong> ihn nach einem Jahr, nach­<br />

<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Weizenpreis um 30 Prozent gesunken ist, wie<strong>de</strong>r<br />

zurückbekommt, diese 30 Prozent in Form von Entschädigun­<br />

gen für erlittenen Scha<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r für Gewinnverlust einfor<strong>de</strong>rn<br />

könne. Thomas hat diese Frage nicht gestellt, weil sie für ihn<br />

bereits gelöst war. Ein Zentner Weizen blieb ein Zentner Wei-<br />

436


zen. Über <strong>de</strong>n Wert <strong>de</strong>s Weizens wird nicht disputiert, weil nicht 78<br />

<strong>de</strong>r Wert <strong>de</strong>s Weizens ausgeliehen wur<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Weizen.<br />

Darum auch wird die Preisschwankung beim Darlehensvertrag<br />

überhaupt nicht in Erwägung gezogen. Mit an<strong>de</strong>rn Worten: <strong>de</strong>r<br />

Wert wird von <strong>de</strong>r Sache nicht getrennt. Allerdings haben die<br />

Alten sehr wohl gewußt, daß eine verbrauchbare Sache, in<strong>de</strong>m<br />

man sie borgt, als Sache <strong>de</strong>m Eigentümer entschwin<strong>de</strong>t <strong>und</strong> er<br />

<strong>de</strong>n Anspruch auf <strong>de</strong>n gleichen Wert hat. Aber dieser Wert ist in<br />

<strong>de</strong>m Zentner Weizen sachlich verkörpert <strong>und</strong> gilt in <strong>de</strong>r mit­<br />

telalterlichen Scholastik nicht als sozialwirtschaftlicher Wert,<br />

<strong>de</strong>r in einer geldrechenhaften, durchgängigen Verkehrswirt­<br />

schaft von <strong>de</strong>r Sache abstrahiert wird. In sich ist darum das Dar­<br />

lehen als solches wesentlich ein unentgeltlicher Vertrag. Der<br />

Darlehenszins, die Mehrfor<strong>de</strong>rung für eine verbrauchbare<br />

Sache, ist <strong>und</strong> bleibt ein Unding. Man muß schon von <strong>de</strong>r Sache<br />

weg in <strong>de</strong>n abstrakten Kapitalbegriff steigen, um <strong>de</strong>n „Darle-<br />

henszins" auf <strong>de</strong>m Weg über <strong>de</strong>n Kapitalzins begreifen zu kön­<br />

nen.<br />

Die Alten hatten auch ganz richtig gesehen, daß das Geld als<br />

Tauschmittel niemals produktiv sein kann. Es ist es auch heute<br />

noch nicht. Wohl aber ist das Kapital produktiv, welches in Geld­<br />

ziffer ausgedrücktes Erwerbsvermögen ist.<br />

Der Kern <strong>de</strong>s Arguments, um <strong>de</strong>ssentwillen Thomas <strong>de</strong>n<br />

Zins für Darlehen verwirft, besteht im Gedanken, daß im Dar­<br />

lehen die ganze Sache samt ihrem Gebrauch, <strong>de</strong>r ein Verbrauch<br />

ist, in das Eigentum <strong>de</strong>s Darlehensnehmers übergeht. Wenn­<br />

gleich <strong>de</strong>r Darlehensgeber <strong>de</strong>n Anspruch auf gleichen Wert sich<br />

vorbehält, so wird doch dieser Wert im Geltungsbereich <strong>de</strong>r<br />

ausgleichen<strong>de</strong>n <strong>Gerechtigkeit</strong>, d. h. <strong>de</strong>r Äquivalenz, in einer sta­<br />

tischen Wirtschaft, gleichsam verkapselt, so daß eine Trennung<br />

<strong>de</strong>s Werts von <strong>de</strong>r Sache unmöglich wird.<br />

Orel verwirft, wie gesagt, die Erklärung, daß das Mittelalter<br />

<strong>de</strong>n Beweis gegen <strong>de</strong>n Zins auf <strong>de</strong>r juristischen Eigenart <strong>de</strong>s<br />

Darlehensvertrags aufgebaut habe. Sein Anliegen geht tiefer. Er<br />

möchte im mittelalterlichen Zinsverbot die gr<strong>und</strong>sätzliche Ver­<br />

werfung arbeitslosen Einkommens, also auch <strong>de</strong>r Rente erblik-<br />

ken: „Es ist nicht allzuschwer einzusehen, daß auf das römisch­<br />

rechtlich-formaljuristische Argument <strong>de</strong>r Eigentumsübertra­<br />

gung beim Darlehen die Unerlaubtheit <strong>de</strong>s Darlehenszinses<br />

nicht gründbar ist" (a.a.O. Bd.2,72). Orel weist sodann auf<br />

eine Stelle bei Bernhardin von Siena hin, an welcher <strong>de</strong>r Unter-<br />

437


78 schied von Sache <strong>und</strong> Wert gründlich unterstrichen <strong>und</strong> <strong>de</strong>ren<br />

Trennung sogar eingeleitet wird: „Obgleich das Geld hinsicht­<br />

lich <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>ntität seiner Substanz in das Eigentum <strong>de</strong>s Schuld­<br />

ners übergeht, weil dieser nicht gehalten ist, das gleiche Geld<br />

seiner Substanz nach zurückzugeben, so bleibt <strong>de</strong>nnoch das<br />

besagte (geborgte) Geld im Eigentum <strong>de</strong>s Darlehensgebers hin­<br />

sichtlich <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>ntität o<strong>de</strong>r Gleichheit <strong>de</strong>s Wertes"<br />

(Serm.38,a. l,c.2). Orel zieht daraus <strong>de</strong>n Schluß, daß in <strong>de</strong>r<br />

wirtschaftsethischen Betrachtung <strong>de</strong>s Mittelalters <strong>de</strong>r Unter­<br />

schied zwischen Darlehen <strong>und</strong> Kapitalgesellschaft nicht etwa in<br />

einer juristisch verschie<strong>de</strong>nen Eigentumsregelung zu suchen<br />

sei, son<strong>de</strong>rn einzig in <strong>de</strong>r praktischen Übung, daß beim Darle­<br />

hen das Risiko durch Pfand <strong>und</strong> Bürgen ge<strong>de</strong>ckt war, während<br />

dies bei <strong>de</strong>r gesellschaftlichen Mitbeteiligung nicht <strong>de</strong>r Fall war,<br />

so daß im Gr<strong>und</strong>e bei<strong>de</strong> Male die gleiche Gr<strong>und</strong>ten<strong>de</strong>nz <strong>de</strong>s<br />

Mittelalters sichtbar wür<strong>de</strong>: Kampf <strong>de</strong>m arbeitslosen Einkom­<br />

men. Mit Bezug auf die aus Bernhardin zitierte Stelle erklärt<br />

Orel: „Mit dieser unbestreitbaren Feststellung Bernhardins<br />

stürzt nicht nur die ganze Theorie vom ,Kapitalgeschäft' (Weiß),<br />

bei <strong>de</strong>m, im Gegensatz zum Darlehen, Zins <strong>de</strong>shalb erlaubt sei,<br />

weil <strong>de</strong>r Eigentümer geblieben sei, son<strong>de</strong>rn es erhellt daraus<br />

auch ganz klar <strong>de</strong>r wahre Sinn <strong>de</strong>s kanonischen Zinsverbotes: daß<br />

je<strong>de</strong>r arbeitslose Mehrwertgewinn, je<strong>de</strong>r echte Kapitalzins an<br />

<strong>und</strong> für sich wucherisch ist, nicht bloß <strong>de</strong>r Darlehenszins, <strong>de</strong>r<br />

nur ein Spezialfall <strong>de</strong>s Allgemeinbegriffes: Kapitalzins ist. Denn<br />

ist es beim Darlehen nicht die formaljuristische Konstruktion<br />

mit <strong>de</strong>r angeblichen Eigentumsübertragung, auf die das Zins­<br />

verbot gegrün<strong>de</strong>t ist, son<strong>de</strong>rn die Unerlaubtheit eines arbeitslo­<br />

sen Renten- o<strong>de</strong>r Kapitalzinsbezuges, trotz<strong>de</strong>m man Eigentü­<br />

mer geblieben ist <strong>und</strong> das Benützungsrecht an seinem eigenen<br />

Vermögen an einen an<strong>de</strong>ren übertrug, dann ist selbstverständ­<br />

lich auch in allen an<strong>de</strong>ren Fällen <strong>de</strong>r Gewährung <strong>de</strong>s Benüt-<br />

zungs- o<strong>de</strong>r Gebrauchsrechtes <strong>de</strong>r eigenen Sache an einen an<strong>de</strong>­<br />

ren ein Mehrwertbezug von diesem unerlaubt. Es gilt eben für<br />

<strong>de</strong>n gesamten entgeltlichen Wirtschaftsverkehr, gleichgültig, ob<br />

es sich um Darlehen, Miete, Kauf, Arbeitslohn o<strong>de</strong>r was immer<br />

sonst handle, das eine <strong>und</strong> selbe Verkehrsgr<strong>und</strong>gesetz <strong>de</strong>r Äquiva­<br />

lenz, <strong>de</strong>mzufolge man sich Arbeit <strong>und</strong> Kosten entgelten lassen,<br />

nie aber einen Mehrwertgewinn ohne gleichwertige Gegenlei­<br />

stung beanspruchen darf. Umgekehrt wäre es sinnlos, gera<strong>de</strong><br />

nur beim Darlehen <strong>de</strong>n entgeltlosen Mehrwertgewinnbezug zu<br />

438


verbieten, <strong>de</strong>r in allen an<strong>de</strong>rn Fällen von Vermögensverkehr 78<br />

gestattet wäre" (a.a.O., Bd.2,73).<br />

Wir können nur wie<strong>de</strong>rholen, daß die formaljuristische<br />

Betrachtung <strong>de</strong>s Zinsdarlehens bei Thomas vorwiegt <strong>und</strong> die<br />

Risiko<strong>de</strong>ckung erst in zweiter, außerwesentlicher Linie eine<br />

Rolle spielt. Von diesen „äußeren" Zinstiteln, die im Gr<strong>und</strong>e<br />

überhaupt keine „Zins"titel sind, wird sogleich noch die Re<strong>de</strong><br />

sein. Richtig allerdings ist in <strong>de</strong>r Darlegung Orels, daß die for­<br />

maljuristische Betrachtung allein nicht genügt, um die Ableh­<br />

nung <strong>de</strong>s Zinses im Darlehen bei Thomas verstehen zu können.<br />

Denn ohne Zweifel hat auch Thomas schon begriffen, daß <strong>de</strong>r<br />

Darlehensgeber sich seines Eigentums nicht völlig begibt, sonst<br />

hätte er nicht vom Darlehen, son<strong>de</strong>rn von einer Schenkung<br />

gesprochen. Der Darlehensgeber hat selbstre<strong>de</strong>nd auch in <strong>de</strong>r<br />

Lehre <strong>de</strong>s hl. Thomas einen wirklichen Anspruch auf die Rück­<br />

gabe <strong>de</strong>s geliehenen Gutes. Welchen Gutes? Des sachlich nicht<br />

i<strong>de</strong>ntischen, aber wertmäßig gleichen. Auch dies ist Thomas<br />

klar gewesen. Das Eigentümliche nun dieser Wertgleichheit ist,<br />

daß diese nicht im dynamischen sozialwirtschaftlichen Raum<br />

gesehen wur<strong>de</strong> <strong>und</strong> man darum auch nicht auf <strong>de</strong>n Gedanken<br />

kommen konnte, daß unter diesem Wert sich jedwe<strong>de</strong>s reale<br />

Erwerbsvermögen verbarg. Mit an<strong>de</strong>ren Worten: Mit <strong>de</strong>r<br />

Unterscheidung zwischen Sache <strong>und</strong> Wert wur<strong>de</strong> nicht so weit<br />

Ernst gemacht, daß man <strong>de</strong>n Wert von <strong>de</strong>r Sache trennte. Im<br />

übrigen weist die Stelle aus Bernhardin von Siena sachlich<br />

gera<strong>de</strong> in die gegensätzliche Richtung, als Orel sie interpretiert:<br />

nicht in die Ablehnung <strong>de</strong>s Zinses, son<strong>de</strong>rn in seine Befürwor­<br />

tung.<br />

Wir gehen heute bei <strong>de</strong>r ethischen Verteidigung <strong>de</strong>s Darle­<br />

henszinses als eines <strong>Recht</strong>sanspruchs <strong>de</strong>s Darlehensgebers vom<br />

Kapitalbegriff in einer geldrechenhaften, durchgängigen Ver­<br />

kehrswirtschaft aus. Bleiben wir aber streng logisch bei <strong>de</strong>r mit­<br />

telalterlichen Betrachtungsweise <strong>de</strong>s Darlehens als eines Leih­<br />

vertrages hinsichtlich einer verbrauchbaren Sache, ohne Rück­<br />

sicht auf <strong>de</strong>ren sozialwirtschaftliche Bewandtnis als Kapital,<br />

dann müssen wir zur selben Schlußfolgerung kommen wie das<br />

Mittelalter: Das Darlehen läßt als Darlehen (vi mutui) keine<br />

Mehrfor<strong>de</strong>rung in Form von Zins zu.<br />

Je<strong>de</strong> Mehrfor<strong>de</strong>rung muß ihre Begründung an<strong>de</strong>rswo als im<br />

Darlehen suchen. Es han<strong>de</strong>lt sich um die sogenannten äußeren<br />

Zinstitel, <strong>de</strong>ren die spätere Scholastik verschie<strong>de</strong>ne anerkannt<br />

439


78 hat, die uns aber hier nur insoweit beschäftigen, als Thomas<br />

davon spricht. Die diesbezügliche Stelle ist Art. 2 unserer Frage.<br />

Thomas sieht keinerlei Schwierigkeit in <strong>de</strong>r Mehrfor<strong>de</strong>rung<br />

zum Ersatz eines im Zusammenhang mit <strong>de</strong>m Darlehen ste­<br />

hen<strong>de</strong>n Verlustes (Art. 2 Zu 1). Er gebraucht für diese Schadlos­<br />

haltung <strong>de</strong>n Ausdruck „interesse" (3 Qlb 7,2; Mal 13,4 ad 14).<br />

Er <strong>de</strong>nkt dabei z. B. an Entschädigung für Nichteinhaltung <strong>de</strong>s<br />

Termins. Dagegen verbietet Thomas, eine Vergütung für ent­<br />

gangenen Gewinn zu verlangen. Die Begründung hierfür: Man<br />

kann nicht verkaufen, was noch nicht vorhan<strong>de</strong>n ist. Die Tho­<br />

masinterpreten haben allerdings <strong>de</strong>n entgangenen Gewinn <strong>de</strong>n­<br />

noch unter die berechtigten äußeren Zinstitel einreihen können,<br />

da sie die Hoffnung, d. h. die sichere Aussicht auf Gewinn als<br />

genauso gut preismäßig bewertbar erklärten wie das Risiko<br />

eines Kreditgebers „nach <strong>de</strong>r Art eines Gesellschafters", wovon<br />

Thomas in Art. 2 Zu 5 spricht. Obwohl Thomas (Art. 2 Zu 1)<br />

meint, daß <strong>de</strong>r tatsächliche Gewinn „in vielfältiger Weise ver­<br />

hin<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n" könnte, so halten die späteren Scholastiker<br />

dafür, daß man doch die bestehen<strong>de</strong> Chance abwägen <strong>und</strong><br />

wertmäßig festlegen könne. Eine solche Interpretation kann<br />

man wohl als weitläufige Parallele zu <strong>de</strong>r von Thomas aner­<br />

kannten Risikoprämie anerkennen, wenngleich Thomas von<br />

<strong>de</strong>r Risikoprämie beim Darlehen nicht ausdrücklich spricht,<br />

son<strong>de</strong>rn nur beim Han<strong>de</strong>ls- <strong>und</strong> Gewerbekredit.<br />

Der von <strong>de</strong>n späteren Theologen allgemein befürwortete<br />

„gesetzliche" Titel hätte wohl bei Thomas keine Gna<strong>de</strong> gefun­<br />

<strong>de</strong>n. Thomas kommt eigens auf eine Gepflogenheit <strong>de</strong>s römi­<br />

schen <strong>Recht</strong>s zu sprechen, gemäß welcher neben <strong>und</strong> getrennt<br />

vom Darlehen noch eine eigene Abmachung, die sachlich <strong>de</strong>m<br />

Zins gleichkam, gestattet war (vgl. Art. 1 Zu 3). „Das positive<br />

<strong>Recht</strong> geht hauptsächlich auf das gemeinsame Wohl <strong>de</strong>r vielen.<br />

Es ist aber bisweilen möglich, daß einer Gemeinschaft größter<br />

Scha<strong>de</strong>n daraus erwächst, daß man ein Übel abriegelt. Darum<br />

erlaubt bisweilen das positive <strong>Recht</strong> etwas nach Art einer<br />

Dispens, nicht, weil es [in sich] gerecht wäre, son<strong>de</strong>rn um zu<br />

verhin<strong>de</strong>rn, daß die Gemeinschaft größeren Scha<strong>de</strong>n nehme,<br />

wie auch Gott manches Übel in <strong>de</strong>r Welt geschehen läßt, um das<br />

Gute nicht zu verunmöglichen, das Er aus diesen Übeln heraus­<br />

zuholen versteht. Und in dieser Weise hat das positive <strong>Recht</strong><br />

Wucher zugelassen um <strong>de</strong>r vielen Vorteile willen, welche<br />

manche bisweilen aus <strong>de</strong>m Darlehen ziehen, wenngleich unter<br />

440


Wucherdruck" (Mal 13,4 ad 6). Damit ist <strong>de</strong>r gesetzliche Titel in 78<br />

sich abgelehnt. In <strong>de</strong>r Tat ist er erst haltbar, nach<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Darle­<br />

henszins auf <strong>de</strong>m Weg über <strong>de</strong>n Kapitalzins seine <strong>Recht</strong>ferti­<br />

gung gef<strong>und</strong>en hat.<br />

Nach <strong>de</strong>r Lehre <strong>de</strong>s hl. Thomas (Art. 2) kann <strong>de</strong>r Darlehens­<br />

geber selbstre<strong>de</strong>nd vom Darlehensnehmer die preismäßig nicht<br />

zu bewerten<strong>de</strong> Gesinnung <strong>de</strong>s Dankes <strong>und</strong> <strong>de</strong>s Wohlwollens<br />

erwarten, die sich ihrerseits sichtbar erweisen kann in einer frei<br />

erwiesenen Gegengabe (Art. 2 Zu 2; Mal 13,4 ad 5).<br />

Der Darlehenszins ist immer zurückzuerstatten. Dies erfor­<br />

<strong>de</strong>rt die <strong>Gerechtigkeit</strong>, erklärt Thomas im 3. Artikel. Der<br />

Gedanke ist im Zusammenhang <strong>de</strong>r mittelalterlichen Zinslehre<br />

klar <strong>und</strong> unbestritten. Gera<strong>de</strong> an dieser Stelle erkennt man<br />

<strong>de</strong>utlich, wie sachgeb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> wie weit entfernt vom sozial­<br />

wirtschaftlichen „Wert" die Güter betrachtet wur<strong>de</strong>n. Weizen,<br />

Wein <strong>und</strong> selbst auch das Tauschmittel Geld sind zwar, wie<br />

gesagt, auch im thomasischen Denken „Werte", aber doch keine<br />

sozialwirtschaftlichen Werte, die in die Zukunft hineinweisen,<br />

d. h. die Zukunft mitbezeichnen, so daß ihr gegenwärtiger<br />

Besitz ein Mehr be<strong>de</strong>utet gegenüber ihrem Besitz in <strong>de</strong>r<br />

Zukunft. Diese Werte sind in <strong>de</strong>r mittelalterlichen Sicht viel­<br />

mehr nur Gegenwartswerte, d. h. sie haben im Augenblick, da<br />

man sie betrachtet, einen durch die Wirtschaftsgesellschaft<br />

bestimmten Wert, <strong>de</strong>r als einziger Maßstab gilt für ein zwischen<br />

zwei Vertragspartnern abzuschließen<strong>de</strong>s Geschäft. Darum<br />

kann Kreditgewährung nicht zu einem Mehr an For<strong>de</strong>rung<br />

berechtigen (Art. 2 Zu 7), es sei <strong>de</strong>nn, <strong>de</strong>r Kreditgeber trete in<br />

ein Kapitalgeschäft mit <strong>de</strong>m Kreditnehmer (Art. 2 Zu 5); auch<br />

kann Vorauszahlung keinen Anspruch auf eine Preissenkung<br />

erheben (Art. 2 Zu 7).<br />

Wenn nun jemand als Zins nicht nur eine im Gebrauch ver­<br />

brauchbare Ware gefor<strong>de</strong>rt hat, son<strong>de</strong>rn vielmehr eine Sache,<br />

die einen eigenen N<strong>utz</strong>wert besaß, dann ist er zur Rückgabe<br />

auch all <strong>de</strong>r gewonnenen N<strong>utz</strong>ungen <strong>und</strong> Früchte verpflichtet,<br />

abgesehen natürlich von jenem Teil, <strong>de</strong>r seiner persönlichen<br />

Arbeit zukommt (Art. 3). Thomas erkennt hier offenbar einen<br />

über Arbeit <strong>und</strong> Kosten hinausgehen<strong>de</strong>n Wert an <strong>de</strong>n N<strong>utz</strong>gü­<br />

tern, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Eigentümer als arbeitsloses Einkommen in <strong>de</strong>n<br />

Schoß fällt.<br />

Sosehr Thomas <strong>de</strong>n zinsfor<strong>de</strong>rn<strong>de</strong>n Darlehensgeber ver­<br />

urteilt, so gestattet er doch <strong>de</strong>m Darlehensnehmer, <strong>de</strong>n Zins zu<br />

441


78 bezahlen, <strong>de</strong>r von ihm erpreßt wird, da <strong>de</strong>r Darlehensnehmer<br />

sich an <strong>de</strong>m Wucher nicht aktiv beteilige <strong>und</strong> im Gr<strong>und</strong>e nur sei­<br />

ner o<strong>de</strong>r eines an<strong>de</strong>rn Notdurft abhelfen wolle (Art. 4). Man<br />

könnte im 4. Artikel eine Bestätigung dafür fin<strong>de</strong>n, daß Darle­<br />

henszins aus rein praktischen Grün<strong>de</strong>n verworfen wer<strong>de</strong>, weil<br />

das Darlehen im Mittelalter fast durchweg für <strong>de</strong>n Ankauf von<br />

Konsumgütern verwen<strong>de</strong>t wor<strong>de</strong>n sei. Doch ist dieser Schluß<br />

nach all <strong>de</strong>m, was wir bisher über <strong>de</strong>n Darlehenszins bei Tho­<br />

mas vernommen haben, nicht haltbar. Etwas an<strong>de</strong>res ist natür­<br />

lich, ob ein solcher Darlehenszins nicht doppelt verwerflich ist:<br />

im Hinblick auf die innere Ungerechtigkeit im Darlehensver­<br />

trag <strong>und</strong> auf die grobe Ausn<strong>utz</strong>ung <strong>de</strong>r Not <strong>de</strong>s Mitmenschen.<br />

Viertes Kapitel<br />

DIE WESENSELEMENTE<br />

GERECHTEN HANDELNS<br />

(Fr. 79)<br />

79 Unter <strong>de</strong>r Überschrift „Die vervollständigen<strong>de</strong>n (integralen)<br />

Teile <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>" behan<strong>de</strong>lt Thomas das Problem <strong>de</strong>r<br />

sittlichen Aufbauelemente <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> (zum Begriff <strong>de</strong>r<br />

„Teile" in <strong>de</strong>r Tugendlehre vgl. Anmerkung [14]). Mit an<strong>de</strong>ren<br />

Worten, es geht um die Frage: Was gehört zutiefst zum gerechten<br />

Han<strong>de</strong>ln? Nach all <strong>de</strong>m, was auf <strong>de</strong>n bisherigen Seiten erörtert<br />

wor<strong>de</strong>n ist, möchte man annehmen, daß Thomas hier einen<br />

kurzen Überblick gäbe über das Naturrecht, seinen Wirkkreis,<br />

seine Wandlung in <strong>de</strong>r soziologischen Entwicklung <strong>de</strong>r Men­<br />

schen. Jedoch lesen wir von <strong>de</strong>m allem nichts. Man ist erstaunt,<br />

daß hier als die aufbauen<strong>de</strong>n Elemente gerechten Han<strong>de</strong>lns<br />

Gr<strong>und</strong>sätze genannt wer<strong>de</strong>n, die /Gzwrischen Kategorien ähn­<br />

lich sehen: Das Böse mei<strong>de</strong>n, das Gute tun. Allerdings begreift<br />

hier Thomas unter <strong>de</strong>m Guten nicht nur das allgemein Gute,<br />

wie es je<strong>de</strong>r guten Handlung o<strong>de</strong>r überhaupt <strong>de</strong>m Sein<br />

zukommt, <strong>und</strong> nicht nur das allgemein Böse, das in je<strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong><br />

sich fin<strong>de</strong>t, da er ausdrücklich betont (Art. 1), daß es sich um<br />

das <strong>de</strong>m Nächsten geschul<strong>de</strong>te Gut handle, das zu erstatten<br />

o<strong>de</strong>r ihm zu belassen sei. Damit sind wir zwar bereits im beson­<br />

<strong>de</strong>ren sittlichen Bereich <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>. Jedoch wür<strong>de</strong> dieser<br />

zweigliedrige Gr<strong>und</strong>satz in dieser seiner allgemeinen Form<br />

442


noch nicht ausreichen, um als Aufbauelement einer an <strong>de</strong>r 79<br />

Natur <strong>de</strong>r Dinge sich messen<strong>de</strong>n <strong>Gerechtigkeit</strong> zu gelten, wenn<br />

das „<strong>de</strong>m Nächsten Geschul<strong>de</strong>te" nicht in Zusammenhang<br />

gebracht wür<strong>de</strong> mit <strong>de</strong>m gesamten Traktat <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>, in<br />

welchem das Geschul<strong>de</strong>te <strong>de</strong>s näheren betrachtet wor<strong>de</strong>n ist.<br />

Wollte man die enge Verb<strong>und</strong>enheit, die zwischen diesem<br />

Anhängsel, das die Frage 79 bil<strong>de</strong>t, <strong>und</strong> <strong>de</strong>r gesamten Erörte­<br />

rung über <strong>Recht</strong> <strong>und</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong> besteht, auflösen, dann<br />

wür<strong>de</strong> alles, was Thomas über die Natur <strong>de</strong>r Sache als Objekt<br />

<strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> gesagt hat, illusorisch. <strong>Recht</strong> verstan<strong>de</strong>n, will<br />

also <strong>de</strong>r erste Artikel unserer Frage besagen: Gerecht kann nur<br />

sein, wer das Naturgerechte <strong>de</strong>m Nächsten beläßt o<strong>de</strong>r ihm<br />

gibt. Worin nun das Naturgerechte besteht, dies ist im einzel­<br />

nen Fall entsprechend <strong>de</strong>m thomasischen Erkenntnisoptimis­<br />

mus auffindbar <strong>und</strong> mit Verantwortung zu ermitteln.<br />

Gegen <strong>de</strong>n ersten Teil <strong>de</strong>s Gr<strong>und</strong>gesetzes gerechten Han­<br />

<strong>de</strong>lns „das Böse mei<strong>de</strong>n", verfehlt man sich durch Übertretung<br />

(Art. 2). Gegen <strong>de</strong>n zweiten Teil richtet sich die Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r<br />

Unterlassung (Art. 3). Übertretung be<strong>de</strong>utet hier folgerichtig<br />

zum Gesagten nicht nur jener allgemeine Ungehorsam gegen<br />

Gottes Gebot, wie er in je<strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> enthalten ist, son<strong>de</strong>rn im<br />

beson<strong>de</strong>ren ein ausgesprochenes Unrechttun gegenüber <strong>de</strong>m<br />

Gesetz, ein trotziges Nein gegenüber <strong>de</strong>n vom Gesetz Gottes<br />

o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Menschen vorgezeichneten <strong>und</strong> auferlegten Grenzen.<br />

Die Unterlassung be<strong>de</strong>utet in ähnlicher Weise eine eigene Sün<strong>de</strong><br />

gegen die <strong>Gerechtigkeit</strong>, insofern sie die Nichtleistung eines<br />

(aufgr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r Verkehrsgerechtigkeit) <strong>de</strong>m Nächsten o<strong>de</strong>r (auf­<br />

gr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r Gesetzesgerechtigkeit) <strong>de</strong>r Gemeinschaft <strong>und</strong> selbst<br />

Gott geschul<strong>de</strong>ten Gutes ist. Beson<strong>de</strong>re Beachtung verdient<br />

hierbei <strong>de</strong>r Begriff <strong>de</strong>r Gesetzesgerechtigkeit, <strong>de</strong>n Thomas<br />

(Art. 3) anwen<strong>de</strong>t. Die Gesetzesgerechtigkeit ist hier nicht nur<br />

jene Tugend, welche Alles gemäß <strong>de</strong>m menschlichen Gesetz auf<br />

das Gemeinwohl ausrichtet, son<strong>de</strong>rn in einem noch viel umfas­<br />

sen<strong>de</strong>ren Sinne auch die Unterordnung <strong>de</strong>s persönlichen Seins<br />

unter das Gesetz Gottes. Eine solche Ausweitung <strong>de</strong>s Begriffs<br />

<strong>de</strong>r Gesetzesgerechtigkeit darf nicht befrem<strong>de</strong>n, da im thomasi­<br />

schen Traktat über das Gesetz Gott nicht nur <strong>de</strong>r Herr <strong>de</strong>s ein­<br />

zelnen persönlichen Wesens, son<strong>de</strong>rn als Gesetzgeberauch <strong>und</strong><br />

gera<strong>de</strong> Herr <strong>de</strong>r Gemeinschaft ist, also in vollem <strong>und</strong> ungekürz­<br />

tem Sinn das Gemeinwohl <strong>de</strong>r menschlichen Gesellschaft dar­<br />

stellt, so daß Gott nicht nur Objekt irgen<strong>de</strong>iner sittlichen Hand-<br />

443


79 lung ist, son<strong>de</strong>rn in ausgeprägtester Form Objekt einer wahren<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>s-, nämlich Gesellschaftsverpflichtung. Es wäre<br />

darum verkehrt, etwa an <strong>de</strong>n allgemein theologischen Begriff<br />

<strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> im Sinn von <strong>Recht</strong>fertigung vor Gott zu <strong>de</strong>n­<br />

ken.<br />

Die Unterlassung besagt nicht nur ein reines Nicht-sein<br />

irgen<strong>de</strong>ines Aktes, son<strong>de</strong>rn das Nicht-sein aus Schuld. Wann<br />

aber tritt diese Schuld wirklich ein, da <strong>de</strong>r Mensch doch eigent­<br />

lich nicht han<strong>de</strong>lt? Um diese Frage zu klären, gebraucht Tho­<br />

mas (Art. 3 Zu 3) ein humorvolles, kulturgeschichtlich interes­<br />

santes Beispiel: Ein Mönch verschläft <strong>de</strong>n Nachtchor, weil er<br />

sich abends betrunken hat. Die Unterlassungssün<strong>de</strong> besteht<br />

nicht in <strong>de</strong>r Betrunkenheit, <strong>de</strong>nn diese war eine Übertretung.<br />

Die Betrunkenheit ist Ursache <strong>de</strong>r Unterlassung, die Unterlas­<br />

sung selbst geschieht zu <strong>de</strong>r Zeit, da <strong>de</strong>r betrunkene Mönch die<br />

Metten verschläft. Denn „angenommen, er wür<strong>de</strong> mit Gewalt<br />

aus <strong>de</strong>m Schlaf geweckt <strong>und</strong> ginge in die Metten, so beginge er<br />

keine Unterlassung". Verglichen mit <strong>de</strong>r Übertretung ist die<br />

Unterlassung, abstrakt gesprochen, nicht so schwerwiegend,<br />

wie Thomas in Art. 4 ausführt, womit selbstre<strong>de</strong>nd nicht gesagt<br />

ist, daß sie keine schwere Sün<strong>de</strong> sein könne.<br />

EXKURS I<br />

DIE ANWENDUNG<br />

DES BEGRIFFS DER GANZHEIT<br />

AUF DIE GESELLSCHAFTSLEHRE<br />

Exk. I Die Lehre vom Verhältnis <strong>de</strong>s Einzelmenschen zum Staat ist<br />

bei Thomas weitgehend, wenn nicht gar zum wesentlichen Teil,<br />

von <strong>de</strong>m aristotelischen Prinzip abhängig, daß <strong>de</strong>r Teil alles, was<br />

er ist, vom Ganzen her ist; an<strong>de</strong>rs ausgedrückt: daß das Ganze<br />

vor <strong>de</strong>m Teil ist.<br />

Nun ist allerdings dies Prinzip überaus vielgestaltig, entspre­<br />

chend <strong>de</strong>m Begriff <strong>de</strong>r Ganzheit <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Teile, die zu einem<br />

Ganzen gehören sollen (vgl. H. Schickling, Sinn <strong>und</strong> Grenze <strong>de</strong>s<br />

aristotelischen Satzes: „Das Ganze ist vor <strong>de</strong>m Teil", 1936). Für<br />

unsere Frage ist nur <strong>de</strong>r Begriff <strong>de</strong>s „integralen" Ganzen in sei­<br />

ner Anwendung auf die Gesellschaftslehre von Be<strong>de</strong>utung. Das<br />

integrale Ganze ist in <strong>de</strong>r quantitativen Ordnung beheimatet.<br />

444


Es besagt das Zusammensein aller jener quantitativen Teile, Exk.I<br />

ohne welche ein Ding in seiner Unversehrtheit (Integrität)<br />

gestört wäre, ja sogar überhaupt nicht mehr bestehen könnte.<br />

Dabei sind auch die Teile das, was sie sind, nur, weil sie im Gan­<br />

zen integriert sind. So nennt Thomas mit Aristoteles <strong>de</strong>n Fuß<br />

einen integralen Teil <strong>de</strong>s Menschen, ebenso die Hand, <strong>de</strong>n Kopf<br />

usw. Der Mensch braucht einerseits diese Teile, um alle Funk­<br />

tionen zu erfüllen, die ihm naturgemäß aufgetragen sind. An<strong>de</strong>­<br />

rerseits sind die Teile auf das Ganze angewiesen, um überhaupt<br />

das zu sein, was sie sind. Wenn ein Glied vom Leib getrennt ist,<br />

hört es auf, das zu sein, was es war. Wir müssen daher sagen,<br />

daß solche Teile nur im Ganzen begrün<strong>de</strong>t sind. Und zwar ist<br />

dabei zu beachten, daß sie ihrem ganzen Sein nach, nicht nur<br />

<strong>de</strong>m begrifflichen Inhalt <strong>de</strong>s Teils nach, ohne die Integrierung in<br />

das Ganze eben nicht das wären, was sie sind. Es han<strong>de</strong>lt sich<br />

also in dieser Überlegung nicht nur um eine logische Korrela­<br />

tion, insofern wir erklären, <strong>de</strong>r Teil sei als Teil überhaupt nicht<br />

<strong>de</strong>nkbar ohne das Ganze, in welchem er Teil ist; son<strong>de</strong>rn das<br />

Sein <strong>de</strong>s Teils hört auf, das zu sein, was es war, wenn es nicht<br />

mehr Teil ist.<br />

Der menschliche Organismus dient nun Aristoteles als bester<br />

Vergleich für die staatliche Ganzheit: „Der Staat ist <strong>de</strong>r Natur<br />

nach früher als die Familie <strong>und</strong> als <strong>de</strong>r einzelne Mensch, weil das<br />

Ganze früher sein muß als <strong>de</strong>r Teil. Hebt man das ganze<br />

menschliche Kompositum auf, so kann es keinen Fuß <strong>und</strong> keine<br />

Hand mehr geben, außer nur <strong>de</strong>m Namen nach, wie man etwa<br />

auch eine steinerne Hand Hand nennt; <strong>de</strong>nn nach <strong>de</strong>m To<strong>de</strong> ist<br />

sie nur mehr eine solche. Ein je<strong>de</strong>s Ding dankt nämlich die<br />

eigentümliche Bestimmtheit seiner Art <strong>de</strong>n beson<strong>de</strong>ren Ver­<br />

richtungen <strong>und</strong> Vermögen, die es hat, <strong>und</strong> kann darum, wenn es<br />

nicht mehr die betreffen<strong>de</strong> Beschaffenheit hat, auch nicht mehr<br />

als dasselbe Ding bezeichnet wer<strong>de</strong>n, es sei <strong>de</strong>nn im Sinne blo­<br />

ßer Namensgleichheit. Man sieht also, daß <strong>de</strong>r Staat sowohl von<br />

Natur besteht wie auch früher ist als <strong>de</strong>r Einzelne. Denn wenn<br />

sich <strong>de</strong>r Einzelne in seiner Isolierung nicht selber genügt, so<br />

muß er sich zum Staate ebenso verhalten wie an<strong>de</strong>re Teile zu<br />

<strong>de</strong>m Ganzen, <strong>de</strong>m sie angehören" (Pol. 1,2; 1253a 19-27).<br />

Mit <strong>de</strong>r Analogie wird Ernst gemacht, insofern <strong>de</strong>r vom<br />

Staatswesen getrennte Mensch bereits nicht mehr Mensch sein<br />

kann: „Wer aber nicht in Gemeinschaft leben kann o<strong>de</strong>r ihrer,<br />

weil er sich selbst genug ist, gar nicht bedarf, ist kein Glied <strong>de</strong>s<br />

445


Exk. I Staates <strong>und</strong> <strong>de</strong>mnach ein Tier o<strong>de</strong>r ein Gott" (a. a. O. a 27-29).<br />

Natürlich verliert <strong>de</strong>r Mensch, <strong>de</strong>r sich nicht ins staatliche<br />

Ganze einfügt, nicht sein physisches Sein. Dennoch wird er,<br />

was seine moralische Bestimmung <strong>und</strong> damit sein tiefstes<br />

Menschsein in <strong>de</strong>r Ordnung <strong>de</strong>r Vollkommenheit angeht, als<br />

Nicht-Mensch bezeichnet: „Hieraus erhellt also, daß <strong>de</strong>r Staat<br />

zu <strong>de</strong>n von Natur bestehen<strong>de</strong>n Dingen gehört <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Mensch<br />

von Natur ein staatliches Wesen ist, <strong>und</strong> daß jemand, <strong>de</strong>r von<br />

Natur <strong>und</strong> nicht bloß zufällig außerhalb <strong>de</strong>s Staates lebt, ent­<br />

we<strong>de</strong>r schlechter ist o<strong>de</strong>r besser als ein Mensch, wie auch <strong>de</strong>r<br />

von Homer als Mann ohne Geschlecht <strong>und</strong> Gesetz <strong>und</strong> Herd<br />

gebrandmarkte" (Pol. 1,2; 1253 a 1-5). Der Mensch, <strong>de</strong>r außer­<br />

halb <strong>de</strong>s staatlichen Verban<strong>de</strong>s sein Heil sucht, <strong>de</strong>r sich also<br />

nicht mit seinem Vollkommenheitsstreben im Staat integriert,<br />

kann überhaupt niemals vollkommener Mensch sein: „Denn<br />

wie <strong>de</strong>r Mensch in seiner Vollendung das vornehmste Geschöpf<br />

ist, so ist er, <strong>de</strong>s Gesetzes <strong>und</strong> <strong>Recht</strong>es ledig, das schlechteste<br />

von allen" (a.a.O.a 31-33). Der Gr<strong>und</strong> ist einfach: „Die<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> ist <strong>de</strong>r Inbegriff aller Moralität" (Eth.V, 3;<br />

1129 b29), die <strong>Gerechtigkeit</strong> aber ist „ein staatliches Ding" (Pol.<br />

1,2; 1253a37).<br />

Aristoteles sieht die Moralität <strong>de</strong>s Einzelnen in <strong>de</strong>r Gerechtig­<br />

keit begriffen, die ihrerseits nur im staatlichen Verband beste­<br />

hen kann. Bei Thomas haben wir die Übertragung dieses<br />

Gedankens (vgl. Kommentar zu 58,5 <strong>und</strong> Exkurs II) in <strong>de</strong>r<br />

Erklärung, daß die Gemeinwohlgerechtigkeit die Kommando­<br />

stelle für <strong>de</strong>n ganzen Bereich <strong>de</strong>r sittlichen Tugen<strong>de</strong>n ist. Wir<br />

müssen daher zu <strong>de</strong>m Schluß kommen, daß <strong>de</strong>r Einzelmensch<br />

ohne die Integrierung in das staatliche Ganze nicht vollkom­<br />

men sein kann, d. h., daß das staatliche Ganze <strong>de</strong>r Natur nach<br />

(formal) früher ist als <strong>de</strong>r einzelne Mensch.<br />

Die Vollkommenheit ist in <strong>de</strong>r Ordnung <strong>de</strong>r Absichten<br />

immer vor <strong>de</strong>m rudimentären o<strong>de</strong>r weniger vollkommenen<br />

Stand. Wir wollen nicht die Zwischenstufen, son<strong>de</strong>rn die End­<br />

stufe als eigentlich Beabsichtigtes; alles Dazwischenliegen<strong>de</strong> ist<br />

immer nur gewollt um <strong>de</strong>r Erstabsicht, d. h. um <strong>de</strong>r Vollkom­<br />

menheit willen. Einzig im tatsächlichen Vollzug unseres Wol­<br />

lens, d. h. in <strong>de</strong>r Verwirklichung unserer Urabsicht, bewegen<br />

wir uns von unten nach oben. In <strong>de</strong>r Ordnung <strong>de</strong>r Absichten,<br />

also im eigentlich moralischen Bereich, bleibt die oberste<br />

Absicht das <strong>de</strong>r Natur nach Frühere. Diese Erstabsicht braucht<br />

446


nun gar nicht einmal von uns selbst gefaßt zu sein. Sie kann Exk.I<br />

bereits in <strong>de</strong>r Teleologie <strong>de</strong>r Natur liegen, ursprünglich also im<br />

Schöpfer, <strong>de</strong>r die Naturen geschaffen hat. Sehr gut kommt dies<br />

in folgen<strong>de</strong>m Text <strong>de</strong>s hl. Thomas zum Ausdruck: „Es gibt eine<br />

zweifache Ordnung <strong>de</strong>r Natur. Die eine entsprechend <strong>de</strong>m Weg<br />

<strong>de</strong>r Erzeugung <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Zeit; diesem Weg gemäß ist das, was un­<br />

vollkommen <strong>und</strong> potentiell ist, früher... Die zweite Ordnung ist<br />

die <strong>de</strong>r Vollkommenheit o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Intention <strong>de</strong>r Natur; wie die<br />

Wirklichkeit <strong>de</strong>r Natur nach schlechthin früher ist als die Mög­<br />

lichkeit, <strong>und</strong> das Vollkommene früher als das Unvollkommene"<br />

(I 85,3 Zu 1; DT, Bd. 6).<br />

Wenn man also mit Aristoteles hält, daß die Moralität in <strong>de</strong>r<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> besteht o<strong>de</strong>r doch ganz von ihr beherrscht ist,<br />

dann muß man folgerichtig auch die Finalisierung <strong>de</strong>s morali­<br />

schen Wer<strong>de</strong>ns auf die <strong>Gerechtigkeit</strong> erkennen. Und da eben die<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> nichts an<strong>de</strong>res als die Integrierung ins staatliche<br />

Ganze be<strong>de</strong>utet, so bleibt nichts an<strong>de</strong>res übrig als anzuerken­<br />

nen, daß <strong>de</strong>r menschlichen Moralität die Ausrichtung auf das<br />

staatliche Ganze naturhaft zukommt. Die Integrierung im<br />

staatlichen Ganzen geht also in <strong>de</strong>r Ordnung <strong>de</strong>r Vollkommen­<br />

heit <strong>de</strong>m bloßen Einzeldasein als solchem voraus. Es gilt <strong>de</strong>m­<br />

nach in Wahrheit: Der Staat (als vollkommene Gesellschaft) ist<br />

<strong>de</strong>r Natur, nämlich <strong>de</strong>r naturinneren Teleologie, d. h. Zielrich­<br />

tung nach früher als <strong>de</strong>r einzelne Mensch. Verbleibt man in <strong>de</strong>r<br />

intentionalen, finalen Ordnung, dann entgeht man <strong>de</strong>r Gefahr,<br />

die aristotelisch-thomistische Auffassung von <strong>de</strong>r Beziehung<br />

<strong>de</strong>s Teiles zum Ganzen mit Hegels Lehre vom objektiven Geist<br />

in eins zu setzen.<br />

Thomas war nun Theologe genug, um nicht das gesamte sitt­<br />

liche Leben in <strong>de</strong>r Gemeinwohlgerechtigkeit aufgehen zu las­<br />

sen. Er spricht ausdrücklich nur von <strong>de</strong>r natürlichen sittlichen<br />

Ordnung. Nur so weit kann er die Gültigkeit <strong>de</strong>s organischen<br />

Eingeglie<strong>de</strong>rtseins <strong>de</strong>s einzelnen Menschen in die Gesellschaft<br />

anerkennen. Auch ist nicht zu vergessen, daß Thomas bereits in<br />

<strong>de</strong>r reinen Philosophie, ganz abgesehen also vom theologischen<br />

Denken, das <strong>Recht</strong> noch voll <strong>und</strong> ganz eingesenkt sieht in die<br />

absolute Ethik, so daß das sittliche I<strong>de</strong>al aller Menschen in eins<br />

zusammenfällt mit <strong>de</strong>m <strong>Recht</strong> für alle Menschen, ein Gedanke,<br />

<strong>de</strong>r im folgen<strong>de</strong>n Exkurs besprochen wer<strong>de</strong>n soll.<br />

447


Exk. II EXKURS II<br />

DER WANDEL IM BEGRIFF<br />

DER GEMEINWOHLGERECHTIGKEIT.<br />

SOZIALE GERECHTIGKEIT - SOZIALE LIEBE<br />

Pius XI. hat in <strong>de</strong>r Enzyklika „Quadragesimo anno" <strong>de</strong>n Be­<br />

griff <strong>de</strong>r Gemeinwohl (Gesetzes-)gerechtigkeit durch <strong>de</strong>n <strong>de</strong>r<br />

„sozialen <strong>Gerechtigkeit</strong>" ersetzt. Diese neue Benennung zeigt<br />

einen erheblichen Wan<strong>de</strong>l gegenüber <strong>de</strong>r thomasischen Lehre<br />

von <strong>de</strong>r Gemeinwohlgerechtigkeit an. Der Wan<strong>de</strong>l o<strong>de</strong>r, wenn<br />

man will, <strong>de</strong>r Fortschritt liegt in <strong>de</strong>r neuen Fassung <strong>de</strong>s Begriffs<br />

<strong>de</strong>s Gemeinwohls. Der überaus vielfältig schillern<strong>de</strong> <strong>und</strong> ana­<br />

loge Begriff ist bei Thomas, wenigstens, was seine Anwendung<br />

auf die Gesellschaftslehre angeht, stark vom aristotelischen<br />

Denken beeinflußt. Selbstre<strong>de</strong>nd hat <strong>de</strong>r allgemein christliche<br />

Gedanke <strong>de</strong>r Ordnung <strong>de</strong>s Universums, das ebenfalls als uni­<br />

versales Gut, als Gemeingut, bezeichnet wird, eine nicht unbe­<br />

<strong>de</strong>uten<strong>de</strong> Rolle gespielt. Die Vorstellung, daß <strong>de</strong>r ganze Mensch<br />

im beinahe unübersehbaren Raum eines Weltganzen steht, in<br />

<strong>de</strong>m er nur eine untergeordnete Rolle spielt <strong>und</strong> das selbst wie­<br />

<strong>de</strong>rum einem höheren „Gemeinwohl" unterstellt ist, nämlich<br />

Gott, war wie geschaffen, um die völlige Einbeziehung <strong>de</strong>s ein­<br />

zelnen Menschen in das Ganze <strong>de</strong>r Gesellschaft zu erhärten.<br />

Sosehr das Gemeinwohl <strong>de</strong>r Gesellschaft selbst wie<strong>de</strong>rum nur<br />

relativ verstan<strong>de</strong>n wird in Rückorientierung zum Universum<br />

<strong>und</strong> von dort zu Gott, so läßt eben doch dieser Drang zum<br />

Einordnen <strong>und</strong> Unterordnen in ein vielgestuftes Ordnungsgan­<br />

zes <strong>de</strong>n Menschen als Person stark zurücktreten.<br />

Wenngleich die aristotelische Ganzheitslehre für Thomas ein<br />

willkommenes Vorbild war, so ist er doch durch das aristote­<br />

lische <strong>Gerechtigkeit</strong>sschema in seiner eigenen Systematik<br />

gestört wor<strong>de</strong>n. Die Vorgabe eines Gemeinwohls, in <strong>de</strong>m alle<br />

Glie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n ihnen zukommen<strong>de</strong>n Platz haben, entsprach<br />

christlichem Ordnungs<strong>de</strong>nken. Daraus ergab sich für <strong>de</strong>n ein­<br />

zelnen die sittliche Pflicht <strong>de</strong>r Ein-<strong>und</strong> Unterordnung. Diese<br />

Ein- <strong>und</strong> Unterordnung ist Gegenstand <strong>de</strong>r Gemeinwohlge­<br />

rechtigkeit. Es wäre aber logisch gewesen, nicht nur von <strong>de</strong>r<br />

Pflicht zur Einordnung, son<strong>de</strong>rn auch vom <strong>Recht</strong> eines je<strong>de</strong>n zu<br />

sprechen, <strong>de</strong>n ihm gehören<strong>de</strong>n Platz zu erhalten. Bei<strong>de</strong>s gehört<br />

zum Gemeinwohl, sofern man es personalistisch versteht. In<br />

448


<strong>de</strong>r Sozialethik <strong>de</strong>s Aristoteles wird nun das Gemeinwohl durch Exk. II<br />

die staatliche Autorität konstituiert, während Thomas gemäß<br />

seiner Konzeption von <strong>de</strong>r menschlichen Person das Gemein­<br />

wohl auch <strong>de</strong>r staatlichen Autorität vorgeordnet sieht. 1 Gemäß<br />

<strong>de</strong>r aristotelischen Gemeinwohltheorie wird nur eine Seite <strong>de</strong>r<br />

Pflicht in Betracht gezogen, die <strong>de</strong>r Gesellschaftsglie<strong>de</strong>r, nicht<br />

die <strong>de</strong>r Autoritätsträger, das <strong>Recht</strong> <strong>de</strong>r Glie<strong>de</strong>r zu respektieren.<br />

Diese zweite Seite wird <strong>de</strong>r austeilen<strong>de</strong>n <strong>Gerechtigkeit</strong> als eige­<br />

ner, von <strong>de</strong>r Gemeinwohlgerechtigkeit unterschie<strong>de</strong>ner<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> zugeschrieben. Die austeilen<strong>de</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

muß aber ein Teil <strong>de</strong>r Gemeinwohlgerechtigkeit sein, wenn man<br />

<strong>de</strong>r thomasischen Auffassung von <strong>de</strong>m je<strong>de</strong>r Autorität vor­<br />

geordneten Gemeinwohl folgt. Das aristotelische Schema hat<br />

Thomas daran gehin<strong>de</strong>rt, die wenigstens teilweise I<strong>de</strong>ntität von<br />

Gemeinwohlgerechtigkeit <strong>und</strong> austeilen<strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

systematisch durchzuführen.<br />

Thomas erkannte sehr wohl, daß die austeilen<strong>de</strong> Gerechtig­<br />

keit nicht einfach ein einziges Individuum im Auge hat, son<strong>de</strong>rn<br />

immer die Rückbeziehung zum Ganzen mitbetrachtet. Man<br />

w<strong>und</strong>ert sich darum, daß er nicht zu <strong>de</strong>r Folgerung durchgesto­<br />

ßen ist, daß dieses <strong>Recht</strong>sverhältnis vom Ganzen zu <strong>de</strong>n einzel­<br />

nen nicht auch im umgekehrten Sinn gelten soll, von <strong>de</strong>n einzel­<br />

nen zum Ganzen. Wir kämen damit zu einer neuen Sicht <strong>de</strong>s<br />

Gemeinwohls, die einen ebenso neuen Inhalt <strong>de</strong>r Gemeinwohl­<br />

gerechtigkeit bewirken wür<strong>de</strong>. Das aristotelische Vorbild von<br />

<strong>de</strong>r Gemeinwohlgerechtigkeit ließ diese Schlußfolgerung nicht<br />

zu. Man darf wohl auch sagen, daß <strong>de</strong>r stark monarchistische<br />

Staatsbegriff leicht zu dieser in gewissem Sinne An-sich-Set-<br />

zung <strong>de</strong>s aristotelisch gefaßten Gemeinwohls führte. Der<br />

Regent verkörpert dabei gleichsam das Gemeinwohl in seiner<br />

Person, während <strong>de</strong>r Untertan es nur dienstweise (administra­<br />

tive) zu verwirklichen hat, wenngleich an<strong>de</strong>rerseits die Wesens­<br />

übereinstimmung zwischen <strong>de</strong>r Gemeinwohlgerechtigkeit <strong>de</strong>s<br />

Regenten <strong>und</strong> <strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Untertanen anerkannt sein mochte.<br />

Der Gr<strong>und</strong> aber, warum Thomas die Gemeinwohlgerechtig­<br />

keit nicht im Sinn <strong>de</strong>r austeilen<strong>de</strong>n <strong>Gerechtigkeit</strong> als ein Ord­<br />

nungsprinzip <strong>de</strong>r vielen einzelnen Individuen angesehen hat,<br />

liegt tiefer. Er ist in seiner rein philosophischen <strong>und</strong> betont<br />

ethischen Schauweise <strong>de</strong>r Gesellschaft zu suchen. Thomas geht<br />

1 Vgl. A.F. Utz, Sozialethik, Teil I, 202.<br />

449


Exk. II von <strong>de</strong>r natura humana aus, die als absolute Norm je<strong>de</strong>m<br />

menschlichen Han<strong>de</strong>ln, auch <strong>de</strong>r Gesellschaft, ihr Maß ein­<br />

prägt. Wenn also Thomas zu <strong>de</strong>m Individualprinzip gelangt,<br />

dann eben nur, weil vom Gemeinwohl, eben <strong>de</strong>m allgemeinen<br />

Gut <strong>de</strong>r menschlichen Natur her, dies verlangt ist, nicht aber,<br />

weil <strong>de</strong>r einzelne von vornherein als individueller, vorstaatlicher<br />

<strong>Recht</strong>sträger betrachtet wür<strong>de</strong>. Ganz klar tritt dies in <strong>de</strong>r Frage<br />

nach <strong>de</strong>m Privateigentum in Erscheinung (vgl. Kommentar zu<br />

66,1 u. 2, wo die geschichtlichen Zusammenhänge dargestellt<br />

sind).<br />

Wenngleich die aristotelische Auffassung vom Gemeinwohl<br />

auf Thomas einen starken Einfluß ausgeübt hat, so wäre es<br />

doch verfehlt, darin die einzige o<strong>de</strong>r auch nur die entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong><br />

Ursache für seine Gesellschaftsauffassung zu sehen. Der letzte<br />

Gr<strong>und</strong> ist vielmehr die betont christliche Sicht <strong>de</strong>s gesellschaft­<br />

lichen Gefüges vom Ethischen her, wie sie Thomas bei <strong>de</strong>n Kir­<br />

chenvätern in reinster Form kennen <strong>und</strong> schätzen gelernt hat.<br />

Die Spekulation <strong>de</strong>r Väter <strong>und</strong> auch <strong>de</strong>s heiligen Thomas, wie<br />

wohl eine Gesellschaft im Paradies aussehen wür<strong>de</strong>, beweist<br />

dies unwi<strong>de</strong>rleglich. Denn dort wird nur vom vernünftigen <strong>und</strong><br />

guten Menschen her gedacht, also einzig vom Ethischen her.<br />

Das I<strong>de</strong>al einer Gesellschaft kann nur das I<strong>de</strong>al <strong>de</strong>s Menschen<br />

überhaupt sein. Dieses I<strong>de</strong>al aber ist sittlich. Wenn die mo<strong>de</strong>rne<br />

katholische Gesellschaftslehre, wie sogleich dargestellt wer<strong>de</strong>n<br />

soll, heute <strong>de</strong>n individualrechtlichen Ausgleich zum Gr<strong>und</strong>­<br />

prinzip <strong>de</strong>r Gesellschaftsbildung macht, dann wird sie doch <strong>de</strong>n<br />

altchristlichen Gedanken von <strong>de</strong>r wesentlich sittlichen Gemein­<br />

schaft aller Menschen nicht übersehen dürfen.<br />

In <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen, von <strong>de</strong>r neuzeitlichen Auffassung <strong>de</strong>r Men­<br />

schenrechte als <strong>Recht</strong>e <strong>de</strong>r einzelnen gegenüber <strong>de</strong>m staatlichen<br />

Autoritätsträger geprägten Gesellschaftsphilosophie vollzog<br />

sich ein gr<strong>und</strong>sätzlicher Wan<strong>de</strong>l <strong>de</strong>r Gemeinwohlkonzeption.<br />

Der Akzent liegt nun auf <strong>de</strong>n subjektiven <strong>Recht</strong>en <strong>de</strong>s Individu­<br />

ums, allerdings verb<strong>und</strong>en mit <strong>de</strong>m Verlust <strong>de</strong>r vordringlichen<br />

Betrachtung <strong>de</strong>r Ganzheit. Die mo<strong>de</strong>rne, weltanschaulich zer­<br />

rissene Gesellschaft anerkennt keine gemeinschaftliche <strong>und</strong><br />

einheitliche Ethik mehr. Der erkenntnistheoretische Optimis­<br />

mus, wonach alle Menschen an sich Vernunft genug haben, um<br />

absolute Normen als gemeinverbindlich zu erkennen, existiert<br />

nicht mehr. Auch gibt es keine Autorität, von <strong>de</strong>r man eine all­<br />

gemeingültige Vorlage ethischer I<strong>de</strong>ale entgegennehmen<br />

450


wür<strong>de</strong>, wie dies z. B. im mittelalterlichen Europa <strong>de</strong>r Fall war. Exk.II<br />

So ist die Ethik <strong>de</strong>r Gesellschaft aufgelöst in das Wertempfin<strong>de</strong>n<br />

<strong>de</strong>r vielen Individuen. Als Ordnungsgefüge bleibt dann für die<br />

mo<strong>de</strong>rne Gesellschaft nichts an<strong>de</strong>res als die rechtliche Abtren­<br />

nung <strong>de</strong>r Individuen. Dabei ist das Individuelle nicht mehr eine<br />

am gemeinsamen I<strong>de</strong>al gemessene Größe, son<strong>de</strong>rn die<br />

Anfangsgröße <strong>de</strong>s gesellschaftlichen Systems. Dies heißt aber,<br />

daß das ganz Kontingente, die freie Willensbildung <strong>de</strong>r vielen,<br />

die gesellschaftliche Struktur bestimmt. So ergibt sich: Der<br />

gesellschaftliche Aufbau muß von unten, von <strong>de</strong>r einzelnen<br />

menschlichen Person her vollzogen wer<strong>de</strong>n, also nicht mehr<br />

von <strong>de</strong>r persona humana aus, sofern sie ganz allgemein in <strong>de</strong>r<br />

menschlichen Natur als solcher beschlossen ist.<br />

Es läßt sich von hier aus leicht begreifen, warum die mo<strong>de</strong>rne<br />

<strong>Recht</strong>sphilosophie die absoluten Normen als rechtsbil<strong>de</strong>n<strong>de</strong><br />

Faktoren nicht mehr anerkennen will, <strong>de</strong>nn sie sind gemäß <strong>de</strong>m<br />

Individualprinzip erst dann eigentlich rechtsbil<strong>de</strong>nd, wenn sie<br />

in das faktische Denken <strong>und</strong> Wollen <strong>de</strong>r Gesellschaft eingegan­<br />

gen sind.<br />

Als Ordnungsprinzip dieser aufgesplitterten Gesellschaft<br />

haben wir dann zunächst nur noch die austeilen<strong>de</strong> Gerechtig­<br />

keit <strong>de</strong>s heiligen Thomas, allerdings ganz im Sinn <strong>de</strong>r subjekti­<br />

ven <strong>Recht</strong>e. Um die Rückbeziehung zum alten Gemeinwohlbe­<br />

griff zu bewahren, wird - so vor allem in <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen katholi­<br />

schen Soziallehre - von <strong>de</strong>r sozialen Belastung <strong>de</strong>s Einzelnen<br />

<strong>und</strong> Privaten gesprochen. Diese neue I<strong>de</strong>enkombination hat<br />

auch einen neuen Namen <strong>de</strong>r Gemeinwohlgerechtigkeit not­<br />

wendig gemacht: die soziale <strong>Gerechtigkeit</strong>, erstmals genannt<br />

bei L. Taparelli. Diese soziale <strong>Gerechtigkeit</strong> soll die Funktionen<br />

<strong>de</strong>r alten austeilen<strong>de</strong>n <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Gemeinwohlgerechtigkeit erfül­<br />

len.<br />

Das Gemeinwohl wird so lediglich zu einem Ordnungsprin­<br />

zip von vielen zusammenleben<strong>de</strong>n Individuen mit kontingen-<br />

tem Wollen, während es bei Thomas ein absolutes Soll darstellt,<br />

das sich an alle richtet zur gemeinsamen Verwirklichung eines<br />

gemeinsamen I<strong>de</strong>als, einer gemeinsamen Kulturaufgabe.<br />

Bei dieser neuen Sicht <strong>de</strong>s Gemeinwohls <strong>und</strong> <strong>de</strong>s gesell­<br />

schaftlichen Aufbaus darf aber die Orientierung am Absoluten<br />

nicht verlorengehen. Das soziale Gut, welches durch die soziale<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> verwirklicht wer<strong>de</strong>n soll, ist, wie schon gesagt,<br />

wesentlich ein ethisches Gut <strong>de</strong>r menschlichen Gemeinschaft.<br />

451


Exk. II Es wird darum niemals vollgültig verwirklicht durch eine rein<br />

individual betonte <strong>Recht</strong>sgemeinschaft. Es bleiben also, wenn<br />

man die Gesellschaft im Individualprinzip begrün<strong>de</strong>t, immer<br />

Lücken. Der Ausgleich <strong>de</strong>r so entstehen<strong>de</strong>n Lücken in <strong>de</strong>r Ver­<br />

wirklichung <strong>de</strong>s Gemeinwohls, das trotz allem als Naturauftrag<br />

weiterbesteht, wird von einer an<strong>de</strong>ren sittlichen Kraft geleistet,<br />

<strong>de</strong>r sogenannten sozialen Liebe. Die soziale Liebe rettet also<br />

jenen ethischen Teil in <strong>de</strong>r Gemeinschaft, <strong>de</strong>r eigentlich Aufgabe<br />

<strong>de</strong>r sozialen <strong>Gerechtigkeit</strong> sein müßte, wenn wir jene Gemein­<br />

schaft hätten, welche <strong>de</strong>n alten ethischen Begriff <strong>de</strong>s Gemein­<br />

wohls noch als Gr<strong>und</strong>norm <strong>de</strong>s Zusammenlebens erfüllt. 2<br />

Die mo<strong>de</strong>rne Sicht <strong>de</strong>s Gemeinwohls als <strong>de</strong>r Koordinierung<br />

<strong>de</strong>r vielen in Gemeinschaft leben<strong>de</strong>n Einzelmenschen trägt also<br />

die Spuren <strong>de</strong>r Kontrakttheorie an sich, insofern <strong>de</strong>r Blick auf<br />

die faktische Willensbildung <strong>de</strong>r Glie<strong>de</strong>r fällt <strong>und</strong> von da auch<br />

ausgeht.<br />

Ein Beispiel <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen Auffassung vom Gemeinwohl<br />

gibt das alltägliche Thema <strong>de</strong>r Steuerhinterziehung. Um <strong>de</strong>s<br />

Gemeinwohls willen — so <strong>de</strong>nken wir heute — ist <strong>de</strong>r einzelne<br />

verpflichtet, auch in Form von Steuern seinen Beitrag an das<br />

Gemeinwesen zu leisten. Diese Verpflichtung aufgr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r<br />

Gemeinwohlgerechtigkeit schwin<strong>de</strong>t aber in <strong>de</strong>m Maße, als die<br />

an<strong>de</strong>ren Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Staates ihren Teil nicht erfüllen. Man<br />

kann daher <strong>de</strong>n ehrlichen Staatsbürger nicht mehr aufgr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r<br />

Gemeinwohlgerechtigkeit für verpflichtet halten, <strong>de</strong>n ganzen<br />

ihm aufgetragenen Anteil zu leisten. Soll dieser aber <strong>de</strong>swegen<br />

sorglos <strong>de</strong>r Gefährdung <strong>de</strong>s Gemeinwesens zusehen dürfen? Es<br />

bleibt ihm trotz allem als natürliche sittliche Aufgabe, die ihn im<br />

Gewissen bin<strong>de</strong>t, zu retten, was zu retten ist, um <strong>de</strong>r Menschen<br />

willen, mit <strong>de</strong>nen er verb<strong>und</strong>en ist. Er entspricht dieser sittli­<br />

chen Verantwortung durch <strong>de</strong>n Einsatz aus sozialer Liebe. Tho­<br />

mas hätte diese soziale Liebe noch als Gemeinwohlgerechtig­<br />

keit bezeichnet aufgr<strong>und</strong> seiner ganz an<strong>de</strong>rs gearteten, auf<br />

höherer Ebene liegen<strong>de</strong>n Sicht <strong>de</strong>s Gemeinwohls <strong>und</strong> <strong>de</strong>r<br />

Gemeinwohlgerechtigkeit. Wir aber können dieser sittlichen Tat<br />

diese Bezeichnung nicht mehr geben.<br />

Aus <strong>de</strong>m Gesagten mag auch hervorgehen, daß es n<strong>utz</strong>los<br />

ist, von unserem heutigen Gesellschaftsbegriff aus zu diskutie-<br />

2 Vgl. A.F. Utz, Sozialethik, Teil I, 230-233.<br />

452


en, ob Thomas mehr die Person o<strong>de</strong>r mehr die Gemeinschaft Exk. II<br />

betont habe. Selbstre<strong>de</strong>nd war Thomas in seiner Gesellschafts­<br />

ethik Personalist, aber in ganz an<strong>de</strong>rem Sinn, d. h. auf an<strong>de</strong>rer<br />

Ebene, als wir heute vom Personalismus als <strong>de</strong>m Gr<strong>und</strong>prinzip<br />

<strong>de</strong>r Gesellschaft sprechen. Die Quelle <strong>de</strong>r Verantwortung <strong>de</strong>s<br />

einzelnen gegenüber <strong>de</strong>r Gemeinschaft ist bei Thomas ebenfalls<br />

die persona humana. Und die Gemeinschaft besagt bei ihm<br />

nichts an<strong>de</strong>res als die Schaffung von wahren menschlichen<br />

Gütern zum Besten <strong>de</strong>r Personen, die in <strong>de</strong>r Gemeinschaft<br />

vereint sind. Aber es han<strong>de</strong>lt sich dabei um die persona humana<br />

im Raum <strong>de</strong>r abstrakt gedachten menschlichen Natur, noch ab­<br />

gehoben von <strong>de</strong>r konkreten Situation, in welcher wir die<br />

menschliche Person in ihrer natürlichen Verhaltensweise vor­<br />

fin<strong>de</strong>n.<br />

Pius XI. hat nun im Hinblick auf die sittliche Notwendigkeit,<br />

in solcher Verfassung <strong>und</strong> nicht in <strong>de</strong>r reinen Abstraktion die<br />

Gesellschaft aufbauen zu müssen, die Subsidiarität zum<br />

Gestaltprinzip <strong>de</strong>r menschlichen Gemeinschaft erklärt. Das<br />

Gr<strong>und</strong>gesetz besagt unter an<strong>de</strong>rem, daß <strong>de</strong>r Einzelmensch un­<br />

abhängig von gesetzlicher Regelung so lange Herr seiner<br />

gesellschaftlichen Betätigung bleibt, als er selbstmächtig seinen<br />

Beitrag für das Gemeinwohl leisten kann. Dasselbe gilt in ent­<br />

sprechen<strong>de</strong>r Weise für die kleineren Gemeinschaften . Das Phi­<br />

losophieren über die Gesellschaft beginnt also hier bei <strong>de</strong>n<br />

Menschenrechten <strong>de</strong>s einzelnen, <strong>de</strong>s Individuums. Auf Gr<strong>und</strong><br />

dieser Menschenrechte wer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>m Individuum bestimmte<br />

vorstaatliche <strong>Recht</strong>e zugesprochen, die es in <strong>de</strong>r Folge durch<br />

seine persönliche Tat verwirklichen kann, um so zu „erworbe­<br />

nen" Freiheitsrechten <strong>und</strong> Naturrechten zu gelangen. So gilt<br />

z.B. bezüglich <strong>de</strong>r Eigentumsfrage nicht nur, daß <strong>de</strong>r Mensch<br />

an sich <strong>Recht</strong> auf Privateigentum habe, son<strong>de</strong>rn auch, daß dies<br />

o<strong>de</strong>r jenes durch persönliche Arbeit erworbene Eigentum<br />

naturrechtlicher Privatbesitz ist. Hierbei liegt das Schwerge­<br />

wicht auf <strong>de</strong>m Individualen <strong>und</strong> Privaten.<br />

Die Hinwendung zu <strong>de</strong>n subjektiven <strong>Recht</strong>en als <strong>de</strong>m Gr<strong>und</strong>­<br />

anliegen <strong>de</strong>r gesellschaftlichen Ordnung ist beson<strong>de</strong>rs <strong>de</strong>utlich<br />

sichtbar in <strong>de</strong>r Enzyklika „Pacem in terris" Johannes'XXIII.<br />

3 Vgl. K.Thieme, För<strong>de</strong>ralismus <strong>und</strong> Subsidaritätsprinzip. in: Politeia 1 (1948/<br />

49) 11 ff.<br />

453


Exk. II Zur Aufhellung <strong>de</strong>s Gesagten sei folgen<strong>de</strong>s Beispiel ange­<br />

führt. Auf die Schwierigkeit, ob ein Verbrecher vor Gericht auf<br />

gerechte Befragung hin verpflichtet sei, seine an sich verborgene<br />

schwere Schuld einzugestehen, antwortet Thomas affirmativ.<br />

Dagegen fin<strong>de</strong>t Alphonsv. Liguori mit an<strong>de</strong>ren Scholastikern<br />

die negative Antwort auch vertretbar. Warum? Thomas richtet<br />

<strong>de</strong>n Blick auf das I<strong>de</strong>al <strong>de</strong>s bonum commune, von woher ein<br />

je<strong>de</strong>r Mensch auf Gr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r Gemeinwohlgerechtigkeit zum<br />

letzten Einsatz seiner sittlichen Kraft verpflichtet ist, während<br />

Alphonsv. Liguori nicht die vertikale Sicht zum Absoluten, son­<br />

<strong>de</strong>rn die horizontale zu <strong>de</strong>n Mitmenschen wählt <strong>und</strong> erklärt,<br />

daß <strong>de</strong>r Richter kein <strong>Recht</strong> habe, eine im Gewissen verborgene<br />

schwere Schuld auszufragen, die die größte Strafe, nämlich <strong>de</strong>n<br />

Tod <strong>de</strong>s Straffälligen, nach sich zöge.<br />

Im Bestreben nach Rückorientierung an <strong>de</strong>m alten ethischen<br />

Begriff <strong>de</strong>s Gemeinwohls <strong>de</strong>r Gesellschaft <strong>und</strong> <strong>de</strong>s Staates<br />

befürwortet die katholische Soziallehre die soziale Liebe.<br />

Dieser Begriff war eine absolute Notwendigkeit, nach<strong>de</strong>m man<br />

<strong>de</strong>n Schritt in die mehr „individualistische" Gesellschaftsauffas­<br />

sung gemacht hatte. Pius XL. hat diesen Begriff in seiner Enzy­<br />

klika „Quadragesimo anno" neben <strong>de</strong>n <strong>de</strong>r sozialen Gerechtig­<br />

keit gestellt. Und zwar spricht er von <strong>de</strong>r „Caritas" socialis.<br />

Was ist nun diese soziale Liebe? Verbleiben wir im Bereich<br />

<strong>de</strong>s natürlichen sittlichen Lebens, dann be<strong>de</strong>utet sie eine sitt­<br />

liche Tugend, die darauf ausgeht, die i<strong>de</strong>ale gesellschaftliche<br />

Ordnung zu verwirklichen, die das Gemeinwohl dort anstrebt,<br />

wo alle Koordination <strong>de</strong>r verschie<strong>de</strong>nen Ansprüche <strong>und</strong> Lei­<br />

stungen unzureichend bleibt. Sie übernimmt also die Spitzen­<br />

leistungen, welche Thomas <strong>de</strong>r Gemeinwohlgerechtigkeit<br />

zuteilte. Aus dieser engen Verbindung zwischen Gemeinwohl­<br />

gerechtigkeit <strong>und</strong> sozialer Liebe mag man es erklären, daß bei<br />

/. Messner (Naturrecht, 1950, 233 ff.) die Aufgabenbereiche <strong>de</strong>r<br />

bei<strong>de</strong>n Tugen<strong>de</strong>n sich überkreuzen (vgl. unsere Besprechung in<br />

Divus Thomas 29 (1951) 507f.).<br />

Gibt es aber eine soziale Liebe auch als übernatürliche<br />

Tugend? Wenn man von <strong>de</strong>r Tugendlehre <strong>de</strong>s hl. Thomas aus<br />

weiter<strong>de</strong>nkt, ist es unmöglich, die übernatürliche Tugend <strong>de</strong>r<br />

sozialen Liebe als übernatürliche sittliche Tugend zu bezeich­<br />

nen, die selbst zum Rang einer „theologischen "Tugend „empor­<br />

steigt" (so O. v. Nell-Breuning im 3. Heft <strong>de</strong>r „Beiträge zu einem<br />

Wörterbuch <strong>de</strong>r Politik", Freiburg 1949, Sp.36).<br />

454


Die theologischen, „göttlichen" Tugen<strong>de</strong>n, Glaube, Hoff- Exk. II<br />

nung <strong>und</strong> Liebe (Caritas), sind dadurch gekennzeichnet, daß ihr<br />

Objekt (objectum formale quod) <strong>und</strong> vor allem dasjenige,<br />

wodurch sie das Objekt erfassen (objectum formale quo), Gott<br />

selber ist. Im Glauben erkennen wir Gott durch seine eigene<br />

Offenbarung. Die Offenbarung ist im Objekt selbst enthalten.<br />

Um zu einer solchen göttlichen Erkenntnis fähig zu sein, erhal­<br />

ten wir die gna<strong>de</strong>nhafte (eingegossene) Tugend <strong>de</strong>s Glaubens.<br />

Der Glaube ist aufgr<strong>und</strong> dieser doppelten Eigenschaft seines<br />

Objekts eine göttliche <strong>und</strong> theologische Tugend. Analoges gilt<br />

von <strong>de</strong>r göttlichen Hoffnung, die je<strong>de</strong> Art menschlicher Hoff­<br />

nung übertrifft. Ihr Objekt ist ebenfalls Gott, <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Gr<strong>und</strong><br />

ihrer absoluten Gewißheit ist die Zusicherung Gottes. In <strong>de</strong>r<br />

göttlichen Liebe lieben wir Gott mit <strong>de</strong>rselben Liebe, mit <strong>de</strong>r<br />

Gott sich <strong>und</strong> uns liebt. Die <strong>Gerechtigkeit</strong> nun, auch die soziale,<br />

hat zum Objekt die zwischenmenschlichen Beziehungen. Sie<br />

kann also nicht theologische Tugend sein <strong>und</strong> auch nie zu dieser<br />

Wür<strong>de</strong> „aufsteigen". Die soziale Liebe, streng verstan<strong>de</strong>n als<br />

soziale, will die Lücken ausfüllen, die durch die mangelhafte<br />

Verwirklichung <strong>de</strong>r sozialen <strong>Gerechtigkeit</strong> entstehen. Sollte<br />

dies aus Liebe zu Gott, also mit göttlicher Liebe geschehen,<br />

dann kann man eigentlich nicht von sozialer Liebe sprechen,<br />

<strong>de</strong>nn ein solcher Akt ist i<strong>de</strong>ntisch mit <strong>de</strong>r göttlichen Liebe. Im<br />

Hinblick darauf, daß dieser Akt einen bestimmten Ausschnitt<br />

<strong>de</strong>s umfangreichen Tätigkeitsfel<strong>de</strong>s <strong>de</strong>r göttlichen Liebe be­<br />

trifft, kann man diesen Akt als soziale Liebe bezeichnen, bes­<br />

ser <strong>und</strong> konkreter mit Pius XI. als Caritas socialis, jedoch nicht<br />

als Tugend, son<strong>de</strong>rn nur als Akt bzw. eine Gruppe von Akten.<br />

Denn die Caritas als Tugend ist nur eine. Sie betätigt sich in viel­<br />

fältiger Weise, auch auf sozialem Gebiet. Eine eingegossene<br />

(übernatürliche) sittliche Tugend gibt es nicht. Streng genom­<br />

men gibt es auch keine natürlich-sittliche Tugend <strong>de</strong>r sozialen<br />

Liebe (amor socialis), <strong>de</strong>nn die Funktion <strong>de</strong>r sozialen Liebe im<br />

ethischen Sinn wird, wie gesagt, von <strong>de</strong>r Gemeinwohlgerechtig­<br />

keit ausgeführt. Man kann höchstens die i<strong>de</strong>alen Spitzenlei­<br />

stungen <strong>de</strong>r Gemeinwohlgerechtigkeit mit <strong>de</strong>m ehrenvollen<br />

Namen „soziale Liebe" versehen, muß aber wissen, daß es sich<br />

um Akte <strong>de</strong>r Tugend <strong>de</strong>r Gemeinwohlgerechtigkeit han<strong>de</strong>lt. In<br />

diesem Sinn ist <strong>de</strong>r oft zu hören<strong>de</strong> Ausspruch zu verstehen:<br />

„Die soziale <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> die soziale Liebe sind die<br />

Gr<strong>und</strong>lagen <strong>de</strong>s gesellschaftlichen Lebens".<br />

455


Exk.III EXKURS III<br />

DER GEMEINWOHLBEGRIFF DES HL. THOMAS<br />

UND DIE KATHOLISCHE SOZIALLEHRE<br />

1. DIE FRAGE NACH DER SYSTEMATIK DER SOZIALETHIK BEI<br />

THOMAS VON AQUIN UND IN DER KATHOLISCHEN SOZIALLEHRE<br />

Von Systematik in einer Wissenschaft kann man nur spre­<br />

chen, wenn das Prinzip, von <strong>de</strong>m ausgegangen wird, in sichtba­<br />

rer Logik durchgehalten wird bis zu <strong>de</strong>n letzten verzweigten<br />

Schlußfolgerungen. Eine materiale Ethik hat mit <strong>de</strong>m obersten,<br />

allgemeinsten Wert, <strong>de</strong>r Objekt <strong>de</strong>r menschlichen Handlung<br />

sein kann, zu beginnen <strong>und</strong> ihn bis in die letzte konkrete Anwen­<br />

dung zu verfolgen. Für die Gesellschaftsethik ist dieses oberste<br />

Objekt das Gemeinwohl. Dieses Objekt muß stets sichtbar blei­<br />

ben, selbst für <strong>de</strong>n Fall, daß die konkrete Situation mehr am Pri­<br />

vatwohl als am Gemeinwohl orientiert wer<strong>de</strong>n sollte. Auch<br />

dann muß <strong>de</strong>utlich wer<strong>de</strong>n, daß <strong>de</strong>r Individualismus als Orga­<br />

nisationsweise nur im Sinn <strong>de</strong>s Gemeinwohls Berechtigung hat.<br />

Auf juristischem Gebiet ist H.Kelsens <strong>Recht</strong>sphilosophie,<br />

obwohl positivistisch orientiert, von bezaubern<strong>de</strong>r Systematik.<br />

Auf <strong>de</strong>m Gebiet <strong>de</strong>r Sozialethik darf /. Smith' Individualismus<br />

als systematisch bezeichnet wer<strong>de</strong>n. Wie immer seine Schluß­<br />

folgerungen von einem an<strong>de</strong>ren Standpunkt aus bewertet wer­<br />

<strong>de</strong>n mögen, sie sind von seinem Ausgangspunkt her folgerich-<br />

Hat nun Thomas von Aquin <strong>und</strong> hat die katholische Sozial­<br />

lehre eine ähnlich <strong>de</strong>utliche Systematik aufzuweisen?<br />

Bei Thomas von Aquin ist führen<strong>de</strong>s Kriterium in allen Ein­<br />

zelfragen das Gemeinwohl. Ob das, was Thomas material als<br />

Gemeinwohl bezeichnet, im einzelnen unserer mo<strong>de</strong>rnen<br />

Bewertung entspricht, hat mit <strong>de</strong>r Frage nach <strong>de</strong>r Systematik<br />

nichts zu tun. Wenn Thomas z. B. um <strong>de</strong>s Gemeinwohls willen<br />

die Monarchie als Staatsform befürwortet, dann könnte man­<br />

cher, wie es <strong>de</strong> facto geschieht, aufgr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r geschichtlichen<br />

Erfahrungen erwi<strong>de</strong>rn, die schlechteste Demokratie sei besser<br />

als die beste Monarchie. Die systematische Einordnung <strong>de</strong>s Pri­<br />

vateigentums unter das Gemeinwohl ist Thomas in erstaunli­<br />

cher Weise gelungen, erstaunlich im Hinblick auf die verworre­<br />

ne Diskussion <strong>de</strong>r vorhergegangenen Jahrh<strong>und</strong>erte. Beim Auf­<br />

bau <strong>de</strong>r verschie<strong>de</strong>nen Arten von <strong>Gerechtigkeit</strong> im Blick <strong>de</strong>s<br />

456


Gemeinwohls ist Thomas allerdings die Systematik wegen <strong>de</strong>r Exk. III<br />

Autorität <strong>de</strong>s Aristoteles nicht gelungen, wie in Exkurs II darge­<br />

stellt wur<strong>de</strong>.<br />

Die katholische Soziallehre, 1 soweit man darunter nur die<br />

Äußerungen <strong>de</strong>r Päpste versteht, hat ohne Zweifel ebenfalls das<br />

Gemeinwohl zum Ausgangspunkt. Dessen Definition ist aber<br />

nicht so sichtbar, ihre Formulierung nicht einheitlich. Das rührt<br />

daher, daß das kirchliche Lehramt stets zu <strong>de</strong>n konkreten sozia­<br />

len Fragen spricht <strong>und</strong> keine Veranlassung hat, <strong>de</strong>n systemati­<br />

schen Zusammenhang darzustellen. Es ist Aufgabe <strong>de</strong>r Kom­<br />

mentatoren, diesen für die sozialethische Systematik f<strong>und</strong>a­<br />

mentalen Begriff <strong>de</strong>s Gemeinwohls in <strong>de</strong>n päpstlichen Verlaut­<br />

barungen zu analysieren <strong>und</strong> mit <strong>de</strong>r Tradition, die bei Thomas<br />

ihre systematische Zusammenfassung erhalten hat, zu verglei­<br />

chen.<br />

2. DER KONSENS IN DEN GRUNDTHESEN DER KATHOLISCHEN<br />

SOZIALLEHRE<br />

Die katholische Soziallehre enthält einen Katalog von Wer­<br />

ten, die im gesellschaftlichen Leben zu berücksichtigen sind. Es<br />

sind die Werte, die sich aus <strong>de</strong>r christlichen Anthropologie erge­<br />

ben: die eigene Wür<strong>de</strong> je<strong>de</strong>r menschlichen Person, <strong>de</strong>ren gött­<br />

liche Berufung zum ewigen Leben, ihre Freiheit in <strong>de</strong>r Gewis­<br />

sensentscheidung, in <strong>de</strong>r Berufswahl, in <strong>de</strong>r Gründung von per­<br />

sönlichen Gemeinschschaften wie Ehe <strong>und</strong> Familie, ebenso<br />

auch von Vereinen usw. Erste gesellschaftliche Einheit ist die<br />

Ehe <strong>und</strong> in <strong>de</strong>ren Erweiterung die Familie. In Respektierung <strong>de</strong>r<br />

freien persönlichen Entfaltung soll je<strong>de</strong> gesellschaftliche Auto­<br />

rität sich mit Eingriffen zurückhalten, wann immer das Indivi­<br />

duum die ihm im sozialen Rahmen zukommen<strong>de</strong>n Verpflich­<br />

tungen selbst zu erfüllen vermag. Das gleiche gilt auch bezüg­<br />

lich <strong>de</strong>r kleineren, in freier Bestimmung gegrün<strong>de</strong>ten Gemein­<br />

schaften (Subsidiaritätsprinzip). Ehe, Familie <strong>und</strong> Staat sind<br />

natürliche Gemeinschaften. Sie for<strong>de</strong>rn ihrer Natur nach eine<br />

Siehe meine Einleitung in: Die katholische Sozialdoktrin in ihrer geschichtlichen<br />

Entfaltung. Eine Sammlung päpstlicher Dokumente vom 1 S.Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

bis in die Gegenwart (Originaltexte mit Übersetzung), hrsg. von Arthur<br />

Utz <strong>und</strong> Brigitta Gräfin von Galen, 4 B<strong>de</strong>, 1976, XIII-XXXII. In <strong>de</strong>r Folge<br />

zitiert: Utz-vonGalen. In diesem Werk befin<strong>de</strong>n sich die Verlautbarungen<br />

Pius'XIInicht mehr, da bereits im dreibändigen Werk Utz-Groner enthalten<br />

(vgl. Fußn.2).<br />

457


Exk. III Autorität. Alle Gesellschaften o<strong>de</strong>r Gemeinschaften haben ihr<br />

eigenes Gemeinwohl zu verwirklichen. Die Individualrechte gel­<br />

ten darum immer nur im Rahmen <strong>de</strong>s jeweiligen Gemeinwohls.<br />

Die letzte Entscheidungsgewalt im Sinn <strong>de</strong>s umfassendsten<br />

Gemeinwohls liegt bei <strong>de</strong>r staatlichen Autorität, selbstre<strong>de</strong>nd<br />

unter Wahrung <strong>de</strong>r natürlichen Strukturen (Ehe, Familie) <strong>und</strong><br />

<strong>de</strong>s Subsidiaritätsprinzips. Durchgängig wird in <strong>de</strong>n Sozialen­<br />

zykliken seit Rerum novarum das Privateigentum als <strong>Recht</strong> <strong>de</strong>r<br />

Person angesehen. Nach<strong>de</strong>m Leo XIII. (Rerum novarum, 8 <strong>und</strong><br />

12) das Privateigentum als eine Institution <strong>de</strong>s Naturgesetzes<br />

<strong>und</strong> Pius XL (Quadragesimo anno, 35) es als „heiliges" <strong>Recht</strong><br />

bezeichnet hatte, stellte es Pius XII. in seiner Ansprache an das<br />

Diplomatische Korps vom 2. März 1956 auf die gleiche Ebene<br />

wie die Familie in seiner Aufzählung <strong>de</strong>r Lebensgr<strong>und</strong>lagen <strong>de</strong>s<br />

Menschen: „Familie, Eigentum, Beruf, Gemeinschaft, Staat". 2<br />

Diese gleichrangige Bewertung von Familie <strong>und</strong> Eigentum als<br />

naturrechtliche Institutionen hat <strong>de</strong>r unmittelbare Mitarbeiter<br />

Pius'XII. <strong>und</strong> Bearbeiter <strong>de</strong>r Ansprache Gustaf G<strong>und</strong>lach SJ'm<br />

seinem Beitrag zum Artikel „Gesellschaft" im Staatslexikon <strong>de</strong>r<br />

Görresgesellschaft 3 „bestätigend" wie<strong>de</strong>rholt. Familie <strong>und</strong><br />

Eigentum wer<strong>de</strong>n mit <strong>de</strong>m Staat als „naturrechtliche Einrich­<br />

tungen" bezeichnet. Diese Zusammenstellung ist nur möglich,<br />

wenn man das <strong>Recht</strong> auf Privateigentum von <strong>de</strong>r Person her be­<br />

grün<strong>de</strong>t. In diesem Sinn hat auch Johannes Paul II. (Laborem<br />

exercens, 15) das <strong>Recht</strong> auf Privateigentum begrün<strong>de</strong>t. Er<br />

nimmt hierfür die Autorität <strong>de</strong>s Thomas von Aquin in<br />

Anspruch. Wie weit diese Interpretation stimmt, soll für <strong>de</strong>n<br />

Augenblick nicht diskutiert wer<strong>de</strong>n 4 . Auf was es hier bei <strong>de</strong>r all­<br />

gemeinen Charakterisierung <strong>de</strong>r katholischen Soziallehre<br />

ankommt, ist die zentrale <strong>und</strong> f<strong>und</strong>amentale Stellung <strong>de</strong>r Per­<br />

son in allen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen <strong>und</strong> politischen<br />

Fragen. Hierüber besteht allgemeiner Konsens bei allen Inter­<br />

preten <strong>de</strong>r katholischen Soziallehre.<br />

Entgegen je<strong>de</strong>r Form von Individualismus <strong>und</strong> Liberalismus<br />

hält die katholische Soziallehre an <strong>de</strong>m von jeher tradierten Be-<br />

2 Vgl. A. F. Utz u.J.F. Groner, Aufbau <strong>und</strong> Entfaltung <strong>de</strong>s gesellschaftlichen Lebens,<br />

Soziale Summe Pius'XII., 3 B<strong>de</strong>., Freiburg/Schweiz 1954/1961 (in <strong>de</strong>r<br />

Folge zitiert: Utz — Groner), Nr. 6385.<br />

3 6. Aufl., Bd. 3, 1959, 821.<br />

4 Vgl. hierzu meinen Kommentar zu „Laborem exercens" in „Ethische <strong>und</strong> so­<br />

458<br />

ziale Existenz", Walberberg 1983, 359.


griff <strong>de</strong>s Gemeinwohls fest. Das heißt, die menschliche Person Exk. III<br />

hat sich als soziales Wesen zu verstehen <strong>und</strong> <strong>de</strong>mentsprechend<br />

mit an<strong>de</strong>ren zu kooperieren, damit alle sich entsprechend ihrer<br />

Natur entfalten können. In <strong>de</strong>r Eigentumsfrage z.B. erklärt das<br />

kirchliche Lehramt mit <strong>de</strong>r gesamten Tradition, daß die Güter,<br />

wenngleich sie in Privatbesitz aufgeteilt sein mögen, nicht auf­<br />

hören, <strong>de</strong>m N<strong>utz</strong>en aller zu dienen. Seit Leo XIII. sprechen<br />

daher die Sozialenzykliken von <strong>de</strong>r „sozialen Belastung" <strong>de</strong>s<br />

privaten Eigentums. In einzelnen Enzykliken ist dieser Ge­<br />

sichtspunkt so stark unterstrichen wor<strong>de</strong>n, daß es manchen<br />

Vertretern <strong>de</strong>s Unternehmertums übertrieben vorkam. In <strong>de</strong>r<br />

Tat haben die Enzykliken mehr auf die Verteilung als auf die<br />

Produktion geachtet. Mit Bezug auf die Enzyklika „Populorum<br />

progressio" (1967) erklärt z.B. A.Rauscher in seinem Artikel<br />

„Katholische Soziallehre <strong>und</strong> liberale Wirtschaftsauffassung":<br />

„Es wäre hilfreich gewesen, wenn die Enzyklika nicht nur das<br />

Verdikt über <strong>de</strong>n Paläo-Liberalismus wie<strong>de</strong>rholt hätte, son<strong>de</strong>rn<br />

wenn sie etwas über die Voraussetzungen <strong>und</strong> Bedingungen<br />

einer verbesserten Produktion gesagt hätte, also über qualifi­<br />

zierte Arbeit, Kapitalbildung, ges<strong>und</strong>en Wettbewerb <strong>und</strong> seinen<br />

Einfluß auf eine gerechtere Preisbildung." 5 An<strong>de</strong>rerseits kann<br />

sich eine an die gesamte Welt gerichtete Enzyklika nicht für ein<br />

bestimmtes Wirtschaftssystem, etwa die Marktwirtschaft, aus­<br />

sprechen, da die wirtschaftlichen, sozialen <strong>und</strong> kulturellen<br />

Bedingungen in <strong>de</strong>n einzelnen Völkern sehr verschie<strong>de</strong>n sind.<br />

Die Enzykliken wollten einen überall gelten<strong>de</strong>n Parameter<br />

angeben, gemäß <strong>de</strong>m man die soziale Qualität eines Wirt­<br />

schaftssystems o<strong>de</strong>r einer Wirtschaftsordnung in ihrem En<strong>de</strong>r­<br />

gebnis beurteilen kann. Und das ist nun einmal die soziale<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>. Unzwei<strong>de</strong>utig kommt dieses Anliegen in „Labo­<br />

ren! exercens" zu Wort. Dort wird als Bemessungsgr<strong>und</strong>lage<br />

einer Wirtschaftsordnung die Wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Arbeit angegeben.<br />

Man kann allgemein für alle Enzykliken sagen, daß es immer<br />

<strong>und</strong> überall auf die personale Wohlfahrt ankommt, an <strong>de</strong>ren<br />

Verwirklichung eine gesellschaftliche <strong>und</strong> wirtschaftliche Ord­<br />

nung gemessen wer<strong>de</strong>n soll.<br />

Unverkennbar spielt bei aller Betonung <strong>de</strong>r Person das<br />

Gemeinwohl als übergeordnete Norm eine entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong><br />

In: A. Rauscher (Hrsg.), Selbstinteresse <strong>und</strong> Gemeinwohl, Beiträge zur Ordnung<br />

<strong>de</strong>r Wirtschaftsgesellschaft, Berlin 1985, 304.<br />

459


Exk.III Rolle. Die Absage an <strong>de</strong>n individualistischen Liberalismus ist<br />

ein<strong>de</strong>utig. Das Gemeinwohl kann nicht die Summe aller Indivi-<br />

dualwohle sein. An<strong>de</strong>rerseits ist gemäß <strong>de</strong>r kontinuierlichen<br />

kirchlichen Tradition <strong>und</strong> auch gemäß <strong>de</strong>r Interpretation dieser<br />

Tradition durch die Theologen das Gemeinwohl personal zu<br />

verstehen, ohne daß es damit seine Qualität als übergeordnete<br />

Norm aller Individuen verlöre. Hier ergibt sich für <strong>de</strong>n Inter­<br />

preten <strong>de</strong>r katholischen Soziallehre die gr<strong>und</strong>sätzliche,<br />

erkenntnistheoretische Frage: Wie kann <strong>de</strong>r Begriff <strong>de</strong>s Wohl­<br />

ergehens personal <strong>und</strong> zugleich <strong>de</strong>rart universal sein, daß er die<br />

Personen nur als proportional zueinan<strong>de</strong>r bezogene Teile be­<br />

greift <strong>und</strong> in dieser Weise <strong>de</strong>n Personen als übergeordnete<br />

Norm zu gelten hat, somit nicht einfach die Summe <strong>de</strong>r indivi-<br />

dualen Wohle ist? Die Stellungnahme zu dieser Frage ist <strong>de</strong>r<br />

Kern <strong>de</strong>r verschie<strong>de</strong>nen philosophisch-theologischen Begrün­<br />

dungen <strong>de</strong>r kirchlichen Soziallehre durch die Interpreten. Um<br />

ein soli<strong>de</strong>s F<strong>und</strong>ament für diese Auseinan<strong>de</strong>rsetzung zu haben,<br />

wer<strong>de</strong>n wir die entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Texte <strong>de</strong>r päpstlichen Verlautba­<br />

rungen analysieren müssen.<br />

Die Stellungnahme <strong>de</strong>r kirchlichen Obrigkeit zu sozialen<br />

Fragen (Armut, Sklavenhan<strong>de</strong>l, Freiheit <strong>de</strong>r Kirche usw.) ist so<br />

alt wie die Kirche selbst. Die eigentliche Inanspruchnahme <strong>de</strong>s<br />

Begriffs <strong>de</strong>s Gemeinwohls beginnt aber erst dort, wo die Kirche<br />

zu Ordnungsfragen in Wirtschaft <strong>und</strong> Gesellschaft Stellung<br />

bezieht. Und das geschah erstmals unter Leo XIII. Im Gr<strong>und</strong>e<br />

entfaltet die Kirche damit keine neue Doktrin. Es ist <strong>de</strong>r gleiche<br />

Ansatz, von <strong>de</strong>m aus die kirchliche Obrigkeit stets die einzel­<br />

nen sozialen Fragen anfaßte, nämlich das durch alle Jahrhun­<br />

<strong>de</strong>rte festgehaltene Naturrecht. Darum konnte Pius XII. in sei­<br />

ner Ansprache an die Teilnehmer <strong>de</strong>s Internationalen Kongres­<br />

ses für humanistische Studien am 25. September 1949 erklären,<br />

das Naturgesetz sei das F<strong>und</strong>ament <strong>de</strong>r Soziallehre <strong>de</strong>r<br />

Kirche. 6<br />

6 Vgl. Utz - Groner 359.<br />

460


3. ANALYSE DES GEMEINWOHLBEGRIFFS DER PÄPSTLICHEN<br />

VERLAUTBARUNGEN<br />

Unterscheidung von Wert- <strong>und</strong> Handlungsordnung<br />

Im folgen<strong>de</strong>n soll <strong>de</strong>r Gemeinwohlbegriff <strong>de</strong>r päpstlichen<br />

Verlautbarungen <strong>de</strong>finiert wer<strong>de</strong>n. Hierzu eine kurze Vor­<br />

bemerkung.<br />

Gemeinwohl ist gemäß <strong>de</strong>r katholischen Moral, für welche<br />

die Glückseligkeit ein echtes Objekt <strong>de</strong>r moralischen Entschei­<br />

dung ist, ebenfalls ein ethischer Begriff. Die moralischen For<strong>de</strong>­<br />

rungen haben ihren eigenen, absoluten Wert. Sie sind darum<br />

nicht modulierbar gemäß <strong>de</strong>m Ermessen <strong>de</strong>s Menschen. Der<br />

Mensch hat aber die Pflicht, zu überlegen, auf welche Weise er<br />

<strong>de</strong>n absoluten Wert am besten verwirklichen kann. Dieser<br />

Modus <strong>de</strong>r Verwirklichung ist im Vergleich zu individualmorali-<br />

schen Entscheidungen von größerer Be<strong>de</strong>utung hinsichtlich <strong>de</strong>r<br />

sozialen Werte. Der aus <strong>de</strong>r Natur <strong>de</strong>s Menschen gewonnene<br />

Gemeinwohlwert ist unabän<strong>de</strong>rlich. Der Modus <strong>de</strong>r Verwirkli­<br />

chung dagegen kann variieren. Bezüglich <strong>de</strong>r Güterverteilung<br />

gilt als oberste soziale Norm das N<strong>utz</strong>ungsrecht aller. In <strong>de</strong>r<br />

Verwirklichung dieses Postulates fin<strong>de</strong>t <strong>de</strong>r Mensch rationaler­<br />

weise die private Verwaltung als <strong>de</strong>n geeignetsten Verwirkli­<br />

chungsmodus. Doch ist dieser Modus an bestimmte wirtschaft­<br />

liche, soziale <strong>und</strong> kulturelle Bedingungen geb<strong>und</strong>en.<br />

In <strong>de</strong>n päpstlichen Verlautbarungen wird nun nicht so syste­<br />

matisch vorgegangen. Man fin<strong>de</strong>t keinen eigenen Traktat über<br />

das Gemeinwohl als ethischen Wert <strong>und</strong> dann einen solchen<br />

über die kausale Ordnung, in <strong>de</strong>r das ethische Postulat verwirk­<br />

licht wer<strong>de</strong>n soll. Es liegt also am Interpreten, die Gesichts­<br />

punkte aus ihrer Verklammerung zu lösen, um so die päpstli­<br />

chen Äußerungen zu systematisieren. Zu beachten ist, daß das<br />

Gemeinwohl fast durchgängig im Sinn <strong>de</strong>s staatlichen Gemein­<br />

wohls verstan<strong>de</strong>n wird, weil es an <strong>de</strong>n meisten Stellen in erster<br />

Linie darauf ankommt, die Grenzen <strong>de</strong>r staatlichen Gewalt zu<br />

bestimmen. Wir befin<strong>de</strong>n uns also stets auf <strong>de</strong>r Ebene <strong>de</strong>r Reali­<br />

sierung. Der sinngeben<strong>de</strong> ethische Wert, <strong>de</strong>r eigentliche<br />

Gemeinwohlbegriff, muß darum sorgfältig aus <strong>de</strong>m Kontext<br />

herausgeschält wer<strong>de</strong>n.<br />

461


Exk. III. Das Gemeinwohl als ethischer Wert<br />

„Gemeinwohl" darf nicht mit „Gemeinschaft" o<strong>de</strong>r „Gesell­<br />

schaft" verwechselt wer<strong>de</strong>n. Die Gemeinschaft ist das Mittel,<br />

um das Wohl aller, d.h. das Gemeinwohl, zu verwirklichen.<br />

Man kann darum nicht sagen, das Gemeinwohl sei um <strong>de</strong>r Per­<br />

sonen willen da, wohl aber wird zu beinahe unzähligen Malen<br />

betont, die Gesellschaft sei um <strong>de</strong>s Menschen o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Person<br />

willen da. In <strong>de</strong>r Ansprache an die Teilnehmer <strong>de</strong>s Ersten Inter­<br />

nationalen Kongresses für Histopathologie <strong>de</strong>s Nervensystems<br />

vom 14. Sept. 1952 erklärt Pius XII.: „Es ist festzuhalten, daß<br />

<strong>de</strong>r Mensch seinem Sein <strong>und</strong> seiner Persönlichkeit nach letztlich<br />

nicht für die Gesellschaft da ist, son<strong>de</strong>rn umgekehrt die<br />

Gemeinschaft für <strong>de</strong>n Menschen". 7 Das Gemeinwohl, wofür<br />

auch manchmal <strong>de</strong>r Begriff „Wohlfahrt" gebraucht wird, ist das<br />

Wohl von Menschen, von Personen, die in <strong>de</strong>r Gemeinschaft<br />

verb<strong>und</strong>en sind: „Das Gemeinwohl ist immer das Wohl <strong>de</strong>r Per­<br />

sonen, die in <strong>de</strong>r staatlichen Gemeinschaft leben, um eine Ver­<br />

vollkommnung zu erlangen, die ihre individuellen Möglichkei­<br />

ten übersteigt". 8 Es han<strong>de</strong>lt sich also um einen N<strong>utz</strong>en, <strong>de</strong>r per­<br />

sönlich empf<strong>und</strong>en wird. Dieser N<strong>utz</strong>en muß aber so verteilt<br />

wer<strong>de</strong>n, daß er von allen, wenngleich in verschie<strong>de</strong>ner Weise,<br />

wahrgenommen wird. In diesem Sinn spricht Pius XI. in <strong>de</strong>r<br />

Enzyklika „Quadragesimo anno" von <strong>de</strong>r gerechten Güterver­<br />

teilung mit Blick auf <strong>de</strong>n „allgemeinen N<strong>utz</strong>en" o<strong>de</strong>r das „Ge­<br />

samtwohl": „Keineswegs je<strong>de</strong> beliebige Güter- <strong>und</strong> Reich­<br />

tumsverteilung läßt nämlich <strong>de</strong>n gottgewollten Zweck, sei es<br />

überhaupt, sei es in befriedigen<strong>de</strong>m Maße erreichen. Darum<br />

müssen die Anteile <strong>de</strong>r verschie<strong>de</strong>nen Menschen <strong>und</strong> gesell­<br />

schaftlichen Klassen an <strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>m Fortschritt <strong>de</strong>s Gesell-<br />

schaftsprozesses <strong>de</strong>r Wirtschaft ständig wachsen<strong>de</strong>n Güterfülle<br />

so bemessen wer<strong>de</strong>n, daß dieser von Leo XIII. hervorgehobene<br />

allgemeine N<strong>utz</strong>en gewahrt bleibt o<strong>de</strong>r, was dasselbe mit an<strong>de</strong>­<br />

ren Worten ist, <strong>de</strong>m Gesamtwohl <strong>de</strong>r menschlichen Gesell­<br />

schaft kein Scha<strong>de</strong>n zugefügt wird". 9<br />

Die pointierte Gegenüberstellung von Einzelinteresse <strong>und</strong><br />

Gesamtinteresse läßt erraten, daß das Gesamtinteresse nicht<br />

7 Utz - Groner 2275.<br />

8 Päpstlicher Brief <strong>de</strong>s Kardinals A. G. Cigognani, Staatssekretär Pauls VI., an<br />

<strong>de</strong>n Bischof R.Moralejo vom 29.5.1964, Utz - von Galen II 247.<br />

9 Utz - von Galen IV 104.<br />

462


einfach die Summe von Einzelinteressen sein kann. Sonst hät­<br />

ten die energische Ablehnung von Nur-Eigeninteressen <strong>und</strong> die<br />

Betonung <strong>de</strong>r Unterordnung <strong>de</strong>s Einzelinteresses unter das<br />

Gemeinwohl keinen Sinn mehr. Leo XIII. begrün<strong>de</strong>t in seinem<br />

Brief „Notre consolation" vom 3. Mai 1892 an die Kardinäle<br />

Frankreichs die gehorsame Annahme aller Regierungsformen<br />

mit <strong>de</strong>m Hinweis auf das Gemeinwohl als „höchstem Ziel":<br />

„Der Gr<strong>und</strong> dieser Annahme (gehorsame Annahme aller Re­<br />

gierungsformen, A.F. U.) ist, daß das Gemeinwohl <strong>de</strong>r<br />

Gemeinschaft je<strong>de</strong>m an<strong>de</strong>ren Interesse vorgeht; <strong>de</strong>nn es ist das<br />

schöpferische Prinzip, die erhalten<strong>de</strong> Gr<strong>und</strong>kraft <strong>de</strong>r menschli­<br />

chen Gemeinschaft. Daraus folgt, daß je<strong>de</strong>r or<strong>de</strong>ntliche Bürger<br />

es um je<strong>de</strong>n Preis wollen <strong>und</strong> erstreben muß. Ja, aus dieser Not­<br />

wendigkeit, das Gemeinwohl zu sichern, erfließt als aus ihrer<br />

eigentlichen <strong>und</strong> unmittelbaren Quelle die Notwendigkeit einer<br />

staatlichen Gewalt überhaupt; sie soll auf das Gemeinwohl als<br />

ihr höchstes Ziel sich einstellen <strong>und</strong> so das vielfältige Wollen<br />

ihrer Untertanen in ihrer Hand zu einer Einheit zusammenfas­<br />

sen <strong>und</strong> es weise <strong>und</strong> beständig eben darauf hinordnen". 10<br />

Das Gemeinwohl kann natürlich nur als ein subjektiv wahr­<br />

nehmbarer N<strong>utz</strong>en verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n. Wenn das Gemeinwohl<br />

o<strong>de</strong>r Gemeininteresse verwirklicht ist, dann muß sich offenbar<br />

auch je<strong>de</strong>r einzelne subjektiv „wohl" fühlen. Wir befin<strong>de</strong>n uns<br />

also in <strong>de</strong>r Nähe <strong>de</strong>s Benthamschen Begriffs <strong>de</strong>s Gesamtwohls.<br />

Daß die vielen Einzelnen gemeint sind, beweist auch <strong>de</strong>r stän­<br />

dige Hinweis auf die <strong>Recht</strong>e <strong>de</strong>r Person, die, wie Pius XII. in <strong>de</strong>r<br />

erwähnten Ansprache an <strong>de</strong>n Kongreß für humanistische Stu­<br />

dien sagte, „zum Kostbarsten im Gemeinwohl gehören". 11 Mit<br />

<strong>de</strong>r gleichen Schärfe erklärt Pius XII. in <strong>de</strong>r Ansprache an die<br />

Teilnehmer <strong>de</strong>s dritten Nationalkongresses <strong>de</strong>r Italienischen<br />

Sektion <strong>de</strong>s Rates <strong>de</strong>r Europäischen Gemein<strong>de</strong>n vom 6. Dezem­<br />

ber 1957: „Die öffentliche Gewalt ist zwar im Hinblick auf das<br />

Gemeinwohl errichtet wor<strong>de</strong>n, aber dieses gipfelt im autono­<br />

men Leben <strong>de</strong>r Einzelpersonen". 12<br />

Liest man diese <strong>und</strong> viele an<strong>de</strong>re ähnliche Formulierungen<br />

separat, dann kommt man leicht auf <strong>de</strong>n Gedanken, daß das<br />

Gemeinwohl schließlich doch nichts an<strong>de</strong>res ist als das Ergebnis<br />

1 0 Utz - von Galen XXVII 11.<br />

11 Utz - Groner 359.<br />

12 Utz - Groner 6450.<br />

463


Exk. III <strong>de</strong>r vielen vom Staat geschützen, in Autonomie vollzogenen<br />

Handlungen. Wie aber soll man sich dann noch vorstellen kön­<br />

nen, daß die autonomen Personen o<strong>de</strong>r Gruppen sich <strong>de</strong>m<br />

Gemeinwohl beugen sollen? So verlangt <strong>de</strong>r Staatssekretär<br />

Pauls VI., Kardinal A. G. Cicognani, in seinem Brief an Kardinal<br />

G. Siri vom 23. Mai 1964 von <strong>de</strong>n autonomen Gruppen loyale<br />

Unterordnung unter das Gemeinwohl: „Sie (die Gruppen,<br />

A. F. U.) besitzen auch eigene Autonomie, wenn es um Ent­<br />

scheidungen <strong>und</strong> Maßnahmen im Hinblick auf ihre spezifischen<br />

Ziele geht, vorausgesetzt, daß sie loyal bereit sind, sich <strong>de</strong>n For­<br />

<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>s Gemeinwohls unterzuordnen". 13<br />

Die starke Betonung <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>e <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Autonomie <strong>de</strong>r Per­<br />

son erfährt eine beachtenswerte Eingrenzung durch die natur­<br />

rechtliche Bestimmung <strong>de</strong>r menschlichen <strong>de</strong>r Person als eines<br />

sozialen Wesens. So sagt Pius XI. in <strong>de</strong>m R<strong>und</strong>schreiben „Mit<br />

brennen<strong>de</strong>r Sorge" vom 14. März 1937: „...das wahre Gemein­<br />

wohl wird letztlich bestimmt <strong>und</strong> erkannt aus <strong>de</strong>r Natur <strong>de</strong>s<br />

Menschen mit ihrem harmonischen Ausgleich zwischen persönli­<br />

chem <strong>Recht</strong> <strong>und</strong> sozialer Bindung, sowie aus <strong>de</strong>m durch die<br />

gleiche Menschennatur bestimmten Zweck <strong>de</strong>r Gemein­<br />

schaft". 1 4 Da es in diesem Schreiben um die Grenzen <strong>de</strong>r Staats­<br />

gewalt geht, wird betont, daß <strong>de</strong>r Staat sich dieser vorgeordne­<br />

ten Gemeinwohlnorm zu beugen habe. „Die Gemeinschaft ist<br />

vom Schöpfer gewollt als Mittel zur vollen Entfaltung <strong>de</strong>r indi­<br />

viduellen <strong>und</strong> sozialen Anlagen, die <strong>de</strong>r Einzelmensch, gebend<br />

<strong>und</strong> nehmend, zu seinem <strong>und</strong> aller an<strong>de</strong>ren Wohl auszuwerten<br />

hat. Auch jene umfassen<strong>de</strong>ren <strong>und</strong> höheren Werte, die nicht<br />

vom Einzelnen, son<strong>de</strong>rn nur von <strong>de</strong>r Gemeinschaft verwirk­<br />

licht wer<strong>de</strong>n können, sind vom Schöpfer letzten En<strong>de</strong>s um <strong>de</strong>s<br />

Menschen willen gewollt, zu seiner natürlichen <strong>und</strong> übernatür­<br />

lichen Entfaltung <strong>und</strong> Vollendung". 15 Es sei nochmals darauf<br />

hingewiesen, daß <strong>de</strong>r Begriff <strong>de</strong>s Gemeinwohls sich nicht mit<br />

<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Gemeinschaft <strong>de</strong>ckt. Die Gemeinschaft ist eine von<br />

Menschen bewirkte Institution <strong>und</strong> hat zum Ziel das Gemein­<br />

wohl, das aus <strong>de</strong>r Natur <strong>de</strong>s Menschen, <strong>de</strong>r seinerseits individu­<br />

elle <strong>Recht</strong>e <strong>und</strong> soziale Pflichten hat, erkannt wird. Zu beachten<br />

ist ferner, daß vom Menschen als solchem die Re<strong>de</strong> ist, womit<br />

1 3 Utz - von Galen XXII 30.<br />

1 4 Utz — von Galen II 201, Hervorhebung von mir.<br />

1 5 A.a.O., Hervorhebung von mir.<br />

464


selbstre<strong>de</strong>nd an alle Menschen gedacht ist. Es han<strong>de</strong>lt sich also<br />

um eine Generalisierung <strong>de</strong>r Person. Die Werte <strong>de</strong>r Person <strong>und</strong><br />

somit aller Personen sollten in Zusammenarbeit verwirklicht<br />

wer<strong>de</strong>n. In <strong>de</strong>r Enzyklika „Divini illius Magistri" (31.12.1929)<br />

sagt Pius XL an einer Stelle, wo er von <strong>de</strong>r För<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s dies­<br />

seitigen Gemeinwohls durch die Staatsgewalt spricht: „Dieser<br />

Zweck, das Gemeinwohl natürlicher Ordnung, besteht in<br />

Frie<strong>de</strong> <strong>und</strong> Sicherheit, wovon dann die Familie <strong>und</strong> <strong>de</strong>r einzelne<br />

Bürger für <strong>de</strong>n Gebrauch ihrer <strong>Recht</strong>e ihren N<strong>utz</strong>en haben, <strong>und</strong><br />

zugleich im Höchstmaß geistigen <strong>und</strong> materiellen Wohles, soweit<br />

es sich durch einträchtige <strong>und</strong> geordnete Zusammenarbeit aller in<br />

diesem Leben verwirklichen läßt". lb Systematisiert man die von<br />

Pius XL ausgedrückten Elemente, dann kann man das Gemein­<br />

wohl bestimmen als „die menschliche Vollkommenheit als<br />

gemeinsames, die einzelmenschlichen Vollkommenheiten als<br />

Teile umfassen<strong>de</strong>s Ziel einer Vielheit von Menschen" o<strong>de</strong>r als<br />

„das personale Wohl vieler Einzelmenschen, sofern es nur mit<br />

gemeinsam angewandten Mitteln erstrebt wer<strong>de</strong>n kann". 17 Das<br />

Gemeinwohl ist somit ein kollektiver Wert, an <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r einzelne<br />

teilhat. In diesem Sinn spricht sich Johannes XXIII. in <strong>de</strong>r Enzy­<br />

klika „Pacem in terris" (11.4.1963) aus: „Außer<strong>de</strong>m verlangt<br />

dieses Gut kraft seiner Natur, daß alle Glie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Staates an<br />

ihm teilhaben, wenn auch in verschie<strong>de</strong>nem Gra<strong>de</strong> je nach <strong>de</strong>n<br />

Aufgaben, Verdiensten <strong>und</strong> Verhältnissen <strong>de</strong>s einzelnen. Des­<br />

halb müssen alle Staatslenker darauf hinarbeiten, das gemein­<br />

same Wohl ohne Bevorzugung irgen<strong>de</strong>ines Bürgers o<strong>de</strong>r einer<br />

Bevölkerungsschicht zum N<strong>utz</strong>en aller zu för<strong>de</strong>rn". 18 Damit<br />

distanziert sich die kirchliche Lehre vom Gemeinwohl entschei­<br />

<strong>de</strong>nd von <strong>de</strong>r Benthamschen Formulierung. Es ist nicht das sub­<br />

jektiv empf<strong>und</strong>ene Wohl <strong>de</strong>r Personen, son<strong>de</strong>rn das an objekti­<br />

ven Inhalten orientierte Wohl aller. Die objektive Norm umfaßt<br />

zwei Elemente: die Menschennatur <strong>und</strong> die geschichtliche<br />

Wirklichkeit: „Die Existenzberechtigung aller öffentlichen<br />

Gewalt ruht in <strong>de</strong>r Verwirklichung <strong>de</strong>s Gemeinwohls, die nur<br />

unter Berücksichtigung seines Wesens wie <strong>de</strong>r gegebenen zeitli-<br />

1 6 Utz — von Galen IX 72, Hervorhebung von mir.<br />

17 Vgl. A.F. Utz, Sozialethik, I.Teil, Die Prinzipien <strong>de</strong>r Gesellschaftslehre,<br />

2.,unveränd. Aufl. 1964, 136.<br />

18 Utz- von Galen XXVIII 149.<br />

465


chen Verhältnisse zu erreichen ist". 19 Die Erstbestimmung aus<br />

<strong>de</strong>r Natur <strong>de</strong>s Menschen erfor<strong>de</strong>rt die Berücksichtigung <strong>de</strong>s all­<br />

gemeinen, das einzelne Volk übergreifen<strong>de</strong>n Wohles <strong>de</strong>r<br />

Menschheit: „Gewiß bestimmt sich das Gemeinwohl auch aus<br />

<strong>de</strong>m, was einem je<strong>de</strong>n Volk eigentümlich ist; doch macht dies<br />

keineswegs das Gemeinwohl in seiner Gesamtheit aus. Denn<br />

weil es wesentlich mit <strong>de</strong>r Menschennatur zusammenhängt,<br />

kann es als Ganzes <strong>und</strong> vollständig stets nur bestimmt wer<strong>de</strong>n,<br />

wenn man es im Hinblick auf seine innerste Natur <strong>und</strong><br />

geschichtliche Wirklichkeit von <strong>de</strong>r menschlichen Person aus<br />

sieht". 20<br />

Zu <strong>de</strong>n personalen Werten, die im Gemeinwohl beschlossen<br />

sind, gehört nicht nur das irdische Wohl, son<strong>de</strong>rn auch jenes,<br />

das <strong>de</strong>r Mensch im Jenseits erwartet. Pius XII. kämpft in seiner<br />

Pfingstbotschaft vom l.Juni 1941 gegen <strong>de</strong>n Irrtum „als ob <strong>de</strong>r<br />

Mensch kein an<strong>de</strong>res Leben zu erwarten hätte außer <strong>de</strong>m, das<br />

hienie<strong>de</strong>n sein En<strong>de</strong> fin<strong>de</strong>t". 21 In seiner Osterpredigt vom<br />

24. März 1940 stellt Pius XII. die geistige Erneuerung <strong>und</strong> Wie­<br />

<strong>de</strong>rherstellung durch Christus unter die For<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s<br />

Gemeinwohls: „Diese notwendige Leistung verlangt nämlich<br />

nicht nur das private Leben <strong>de</strong>s einzelnen <strong>und</strong> sein persönliches<br />

Wohlergehen, son<strong>de</strong>rn das Gemeinwohl <strong>de</strong>r menschlichen<br />

Gemeinschaft insgesamt". 22 Der Geist <strong>de</strong>r Brü<strong>de</strong>rlichkeit soll<br />

gemäß Pius XII. das sittliche Empfin<strong>de</strong>n für die <strong>Recht</strong>schaffen­<br />

heit <strong>und</strong> Wahrhaftigkeit im menschlichen Zusammenleben, wie<br />

ebenso „das Bewußtsein <strong>de</strong>r Verantwortung für das Gemein­<br />

wohl" för<strong>de</strong>rn. 23<br />

Wenn also von <strong>de</strong>n <strong>Recht</strong>en <strong>und</strong> Pflichten <strong>de</strong>r Person, die <strong>de</strong>r<br />

Staat zu schützen hat, die Re<strong>de</strong> ist, dann ist, wenn man <strong>de</strong>m Be­<br />

griff <strong>de</strong>s Gemeinwohls näherkommen will, zu beachten, daß<br />

<strong>de</strong>r einzelne sein gesamtes sittliches Leben auf das Gemeinwohl<br />

hin einstellen soll. Der päpstliche Brief <strong>de</strong>s Subsistuts Pius'XII.,<br />

A.Dell'Aqua, erklärt darum, die Lehre <strong>de</strong>s hl. Thomas von<br />

Aquin von <strong>de</strong>r Gemeinwohlgerechtigkeit als <strong>de</strong>r obersten sittli-<br />

19 Utz - von Galen XXVIII 147.<br />

2 0 Utz - von Galen XXVIII 148.<br />

21 Utz - Groner 508.<br />

2 2 Utz - Groner 619.<br />

2 3 Ansprache an die Männer <strong>de</strong>r Katholischen Aktion Italiens, 7.9.1947, Utz —<br />

466<br />

Groner 317.


chen Tugend aufnehmend: „Diese <strong>Recht</strong>e <strong>und</strong> Pflichten haben Exk.III<br />

letztlich, wie man weiß, ihren Ursprung in <strong>de</strong>r Gemeinwohl­<br />

o<strong>de</strong>r Gesetzesgerechtigkeit, die von <strong>de</strong>n Philosophen <strong>und</strong><br />

Theologen mit gutem Gr<strong>und</strong>e als e<strong>de</strong>lste unter <strong>de</strong>n sittlichen<br />

Tugen<strong>de</strong>n betrachtet wird, <strong>de</strong>nn sie ordnet alle menschliche<br />

Tätigkeit auf das Gemeinwohl hin". 24<br />

Der Bürger ist seinem Mitbürger aufgr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r Gemeinwohl­<br />

for<strong>de</strong>rung verpflichtet. Ein<strong>de</strong>utig kommt die Begründung <strong>de</strong>r<br />

gegenseitigen Hilfeleistung, d. h. <strong>de</strong>s Solidarismus von Mensch<br />

zu Mensen, im Gemeinwohl bei Leo XIII. in <strong>de</strong>r Enzxklika<br />

„Graves <strong>de</strong> communi" (18.1.1901) zum Ausdruck: „Niemand<br />

lebt im Staate nur seinem eigenen Vorteil, son<strong>de</strong>rn auch für das<br />

Gesamtwohl. Wenn die einen ihren Teil zur Verwirklichung <strong>de</strong>r<br />

allgemeinen Wohlfahrt nicht leisten können, dann müssen die<br />

an<strong>de</strong>rn, <strong>de</strong>nen das möglich ist, dies durch reichlichere Leistun­<br />

gen ersetzen". 25<br />

Es geht also nicht nur darum, daß die Gesellschaftsglie<strong>de</strong>r<br />

sich untereinan<strong>de</strong>r helfen, son<strong>de</strong>rn daß sie es tun, weil sie <strong>de</strong>m<br />

Gemeinwohl verpflichtet sind. Im Gemeinwohl liegt die eigent­<br />

liche Begründung <strong>de</strong>s Solidarismus. Das ist ein an<strong>de</strong>rer Solida­<br />

rismus als jener, von <strong>de</strong>m man in <strong>de</strong>r Marktwirtschaft in Bezug<br />

zum Wettbewerb spricht.<br />

Zu <strong>de</strong>n im Gemeinwohl enthaltenen Werten gehört nicht nur<br />

die materielle, son<strong>de</strong>rn auch die geistige Wohlfahrt, <strong>und</strong> zwar<br />

im „Höchstmaß", wie Pius XL in <strong>de</strong>m aus „Divini illius<br />

Magistri" zitierten Text sagt.<br />

Obwohl die Religion selbst nicht Aufgabe <strong>de</strong>r Staatsgewalt<br />

ist, gehört sie doch zur geistigen Wohlfahrt, also zum Gemein­<br />

wohl: „Da die Menschen aus Leib <strong>und</strong> unsterblicher Seele<br />

bestehen, können sie in diesem sterblichen Leben we<strong>de</strong>r ihr<br />

Dasein voll ausschöpfen, noch ein vollkommenes Glück errei­<br />

chen. Darum muß das Gemeinwohl auf eine Weise verwirklicht<br />

wer<strong>de</strong>n, die <strong>de</strong>m ewigen Heil <strong>de</strong>r Menschen nicht nur nicht ent­<br />

gegensteht, son<strong>de</strong>rn ihm vielmehr dient". 26 Die Staatsgewalt<br />

kann darum die Religion nicht ignorieren, schon <strong>de</strong>shalb nicht,<br />

weil aus <strong>de</strong>r Religion die gesellschaftlich stabilisieren<strong>de</strong>n Motive<br />

Päpstlicher Brief an <strong>de</strong>n Vorsitzen<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Sozialen Woche Kanadas vom<br />

29. September 1955, Utz - Groner 6245.<br />

Utz — von Galen VI 46, Hervorhebung von mir.<br />

Johannes XXIII., „Pacem in terris", Utz — von Galen XXVIII 152.<br />

467


kommen. Leo XIII. hat bei <strong>de</strong>r Staatsgewalt sogar ein unter­<br />

schei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>s Vermögen vorausgesetzt, um nicht jedwe<strong>de</strong> Reli­<br />

gion als zu schützen<strong>de</strong> anzuerkennen. Es geht also nicht um<br />

eine direkte Religionspolitik, immerhin aber um das kluge<br />

Abwägen, welche Religion staatstragend zu sein vermag. In die­<br />

sem Sinn ist die von Leo XIII. in <strong>de</strong>r Enzyklika „Immortale Dei"<br />

(1.11.1885) gefor<strong>de</strong>rte Einbeziehung <strong>de</strong>r Religion ins Gemein­<br />

wohl zu verstehen: „Die in <strong>de</strong>r Gesellschaft zu einer Einheit<br />

verb<strong>und</strong>enen Menschen verbleiben nicht weniger als einzeln<br />

genommen in <strong>de</strong>r Gewalt Gottes... Es wäre vonseiten <strong>de</strong>r Staa­<br />

ten ein Frevel, wollten sie sich <strong>de</strong>rart gebär<strong>de</strong>n, als ob es keinen<br />

Gott gäbe, o<strong>de</strong>r die Religionsangelegenheiten als ein ihnen völ­<br />

lig frem<strong>de</strong>s Objekt von sich weisen, o<strong>de</strong>r von <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen<br />

Religionen eine o<strong>de</strong>r die an<strong>de</strong>re nach Belieben anerkennen...<br />

Darum soll die staatliche Gemeinschaft, die ja keine an<strong>de</strong>re<br />

Aufgabe hat, als das allgemeine Wohl zu för<strong>de</strong>rn, im Bemühen<br />

um das Staatswohl die Bürger so leiten, daß sie in diesem ihrem<br />

innersten Verlangen nach <strong>de</strong>m Besitze <strong>de</strong>s höchsten <strong>und</strong> unver­<br />

gänglichen Gutes nicht nur nicht geschädigt, son<strong>de</strong>rn auf alle<br />

mögliche Weise geför<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n. Letzteres geschieht aber in<br />

erster Linie dadurch, daß die Heiligkeit <strong>und</strong> Unverletzlichkeit<br />

<strong>de</strong>r Religion respektiert wird, <strong>de</strong>ren Funktion es ist, <strong>de</strong>n Men­<br />

schen mit Gott zu verbin<strong>de</strong>n". 27 Leos XIII. Auffassung steht<br />

also nicht im Wi<strong>de</strong>rspruch zu <strong>de</strong>r Erklärung <strong>de</strong>s Kardinals<br />

A. G. Cicognani im päpstlichen Brief an Kardinal G. Siri<br />

(23.5.1964), daß die öffentliche Gewalt wesensgemäß nicht ge­<br />

eignet sei, „im Bereich <strong>de</strong>r inneren, geistigen Werte die Person<br />

zu ersetzen". 28 Leo XIII. lag natürlich daran, die „wahre" Reli­<br />

gion, nämlich die katholische, geschützt <strong>und</strong> geför<strong>de</strong>rt zu<br />

sehen. Dies ist selbstverständlich für einen Theologen römisch­<br />

katholischen Bekenntnisses <strong>und</strong> erst recht für <strong>de</strong>n Papst. Daran<br />

hat auch das II. Vaticanum nichts geän<strong>de</strong>rt. Entgegen <strong>de</strong>r Inter­<br />

pretation mancher Theologen han<strong>de</strong>lt es sich im II.Vaticanum<br />

nicht um einen Abschied von <strong>de</strong>r Lehre Leos XIII. Das II.Vati­<br />

canum hat in seiner Lehre von <strong>de</strong>r Religionsfreiheit lediglich die<br />

öffentlich-rechtliche Norm an<strong>de</strong>rs gesehen im Sinn <strong>de</strong>r positiv­<br />

rechtlichen Gleichstellung aller religiösen Uberzeugungen. Im<br />

übrigen wird ein kluger Staatsmann nur jenen Religionen freie<br />

2 7 Utz - von Galen XXI 26.<br />

2 8 Utz - von Galen XXII 28.<br />

468


Entfaltung gewähren, die staatserhaltend wirken, nicht aber<br />

z.B. solchen, die mit Waffengewalt ihre Ausbreitung suchen.<br />

Das Gemeinwohl ist als For<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Naturgesetzes wie<br />

dieses göttlicher Institution. Dies weil „Gott...die Menschen<br />

ihrer Natur nach als Gemeinschaftswesen geschaffen" hat. 29 An<br />

diese Norm ist die Staatsgewalt, die ihre Kompetenz von Gott<br />

erhalten hat, geb<strong>und</strong>en. Darum kann die gesetzgeberische<br />

Gewalt an sich alle natürlichen sittlichen Normen sanktionie­<br />

ren, wie Leo XIII. in <strong>de</strong>r Enzyklika „Libertas praestantissi-<br />

mum" (20.Juni 1888) erklärt. Die Gesetze <strong>de</strong>s Staates ver­<br />

pflichten darum im Gewissen, sofern sie <strong>de</strong>m natürlichen Sit­<br />

tengesetz entsprechen. 30 Die Eingrenzung <strong>de</strong>r Staatsgewalt ist<br />

damit nicht ausgeschlossen. 31 Doch ist die Parallelität von<br />

Pflichten <strong>de</strong>r Bürger <strong>und</strong> naturrechtlich begrün<strong>de</strong>ter Kompe­<br />

tenz <strong>de</strong>r Staatsgewalt beachtenswert. Im konkreten Staat ist die<br />

Staatsgewalt, zumin<strong>de</strong>st in allen pluralistischen Demokratien,<br />

rechtmäßig <strong>und</strong> völlig im Einklang mit <strong>de</strong>m naturrechtlichen<br />

Denken begrenzt, so daß in diesem Fall die Pflichten <strong>de</strong>r Bürger<br />

gegenüber <strong>de</strong>m Gemeinwohl umfangreicher sind als die Mög­<br />

lichkeit <strong>de</strong>s Eingriffs <strong>de</strong>r Staatsgewalt in das Han<strong>de</strong>ln <strong>de</strong>r Bür­<br />

ger.<br />

Das Gemeinwohl in <strong>de</strong>r gesellschaftlichen Handlungsordnung<br />

Bis dahin haben wir versucht, die Werte zusammenzustellen,<br />

die gemäß <strong>de</strong>n päpstlichen Verlautbarungen im Gemeinwohl<br />

enthalten sind. Diese Analyse war insofern etwas kompliziert,<br />

als die Päpste die kirchliche Auffassung vom staatlichen<br />

Gemeinwohl stets vom Blickwinkel <strong>de</strong>r staatlichen Tätigkeit<br />

aus zum Ausdruck brachten. Dennoch gelang es, die rein<br />

ethische Bestimmung unter Abstraktion <strong>de</strong>r Verwirklichungs­<br />

weise zu fin<strong>de</strong>n. Natürlich kann das Gemeinwohl auch in seiner<br />

rein ethischen Gestalt konkret nicht ohne <strong>de</strong>n Blick auf die Ver­<br />

wirklichungsmöglichkeiten bestimmt wer<strong>de</strong>n. Darum wird da<br />

<strong>und</strong> dort in <strong>de</strong>n päpstlichen Verlautbarungen auf die gesell­<br />

schaftlichen <strong>und</strong> wirtschaftlichen Bedingungen als Element <strong>de</strong>r<br />

Gemeinwohlbestimmung hingewiesen. Dieser Blick auf die<br />

2 9 Johanna XXIII, „Pacem in terris", Utz — von Galen XXVIII 139.<br />

3 0 „Pacem in terris", Utz - von Galen XXVIII 143.<br />

31 Utz - von Galen XXVIII 145.<br />

469


Exk. III konkreten Verhältnisse betrifft aber nur die inhaltliche Konkre­<br />

tisierung <strong>de</strong>s aus <strong>de</strong>r menschlichen Natur entnommenen<br />

Gemeinwohlbegriffs.<br />

In <strong>de</strong>r Ordnung <strong>de</strong>r verschie<strong>de</strong>nen Handlungen innerhalb<br />

<strong>de</strong>r Gesellschaft steht die Überlegung am Anfang, wem die<br />

Priorität <strong>de</strong>r einzelnen Entscheidungen im Hinblick auf das<br />

Gemeinwohl zusteht. Hier erhält die Person einen be<strong>de</strong>utungs­<br />

vollen Akzent. Ihr <strong>und</strong> mit ihr <strong>de</strong>n von ihr begrün<strong>de</strong>ten<br />

Gemeinschaften steht die Priorität freien Han<strong>de</strong>lns zu. Der<br />

Staat hat dann nur die Bedingungen zu setzen, gemäß <strong>de</strong>nen die<br />

Person ihre Entfaltung <strong>und</strong> Vollendung zu fin<strong>de</strong>n vermag. Im<br />

Zug <strong>de</strong>r Entwicklung <strong>de</strong>s pluralistischen Staates legen die<br />

päpstlichen Verlautbarungen zunehmend größeren Wert auf<br />

diesen Gesichtspunkt. Natürlich wird nach wie vor <strong>de</strong>m Staat<br />

die oberste Gewalt belassen, jene Aufgaben zu übernehmen,<br />

die durch die Eigeninitiative <strong>de</strong>r Bürger nicht erfüllt wer<strong>de</strong>n<br />

können. Hinsichtlich <strong>de</strong>r Wertfülle <strong>de</strong>s Gemeinwohls än<strong>de</strong>rte<br />

sich in <strong>de</strong>r Soziallehre <strong>de</strong>r Kirche nichts, es wur<strong>de</strong> lediglich in<br />

<strong>de</strong>r Handlungsordnung die Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s Subsidiaritätsprin-<br />

zips zunehmend unterstrichen.<br />

Im Bereich <strong>de</strong>r Handlungsnormen stehen die Institutionen<br />

o<strong>de</strong>r Maßnahmen, d.h. die Wirkkräfte im Vor<strong>de</strong>rgr<strong>und</strong>, die<br />

notwendig sind, um <strong>de</strong>n Gemeinwohlfor<strong>de</strong>rungen zu genügen.<br />

Die Wirken<strong>de</strong>n aber sind die Personen, nicht das Kollektiv, wie<br />

Pius XI. in seiner Ansprache an die Teilnehmer <strong>de</strong>s Pilgerzuges<br />

<strong>de</strong>s B<strong>und</strong>es christlicher Arbeiter Frankreichs (C. F.T. C.) in <strong>de</strong>r<br />

Audienz zum 18. September 1938 sagte: „Das Kollektiv selbst<br />

kann keine einzige persönliche Tätigkeit ausüben, es sei <strong>de</strong>nn<br />

über die Individuen, aus <strong>de</strong>nen es besteht: das ist eine evi<strong>de</strong>nte<br />

Wahrheit, aber eine Wahrheit, die in vielen Milieus nicht mehr<br />

anerkannt wird". 32 Die öffentliche Gewalt kann darum nichts<br />

besseres tun, als die Bedingungen <strong>de</strong>s gesellschaftlichen Lebens<br />

zu schaffen, welche die freie Entfaltung <strong>de</strong>r menschlichen Per­<br />

son gewährleisten. Deckt sich diese kausale Seite <strong>de</strong>r Gemein­<br />

wohlkonzeption völlig mit <strong>de</strong>m Begriff „Gemeinwohl", wie<br />

etwa O. von Nell-Breuning das Gemeinwohl <strong>de</strong>finierte als<br />

3 2 Utz - von Galen III 53.<br />

3 3 Zur christlichen Gesellschaftslehre, hg. von O. v. Nell-Breuning SJ <strong>und</strong><br />

Dr. H. Sacher, Freiburg i. Br. 1947. O. v. Nell-Breuning hat später diese Version<br />

korrigiert o<strong>de</strong>r ver<strong>de</strong>utlicht, vgl. <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Freiheit, Wien 1980,<br />

35f. (siehe weiter unten S.487).<br />

470


„Inbegriff aller Voraussetzungen (Einrichtungen) allgemeiner<br />

o<strong>de</strong>r öffentlicher Art, <strong>de</strong>ren es bedarf, damit die einzelnen als<br />

Glie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Gesellschaft ihre irdische Bestimmung zu erfüllen<br />

<strong>und</strong> durch Eigentätigkeit ihr irdisches Wohlergehen erfolgreich<br />

selber zu schaffen vermögen" ? Tatsächlich wird in <strong>de</strong>n päpstli­<br />

chen Verlautbarungen das Gemeinwohl nicht mit diesen organi­<br />

satorischen Bedingungen i<strong>de</strong>ntifiziert, vielmehr wer<strong>de</strong>n diese<br />

Bedingungen mit <strong>de</strong>m Selbstwert Gemeinwohl als notwendige<br />

Realisierungsfaktoren wirbegriffen. So <strong>de</strong>utlich A. G. Cigo-<br />

gnani in <strong>de</strong>m bereits zitierten Brief an Kardinal G. Siri. Nach­<br />

<strong>de</strong>m er zuerst hervorgehoben hatte, daß die „exakte Definition"<br />

"<strong>de</strong>s Gemeinwohls „die ständige Bezugnahme auf die mensch­<br />

liche Person" erfor<strong>de</strong>re, fährt er fort: „So zeichnet sich die Kom­<br />

plexität <strong>de</strong>s Gegenstan<strong>de</strong>s <strong>de</strong>s Gemeinwohls ab als eine Kom­<br />

plexität, die vor allem auf die Vielfalt <strong>de</strong>r im Gemeinwohlbegriff<br />

im Hinblick auf die vollkommene Entfaltung <strong>de</strong>r menschlichen<br />

Persönlichkeit konkret beschlossenen Elemente zurückzufüh­<br />

ren ist". 34 Ebenso in <strong>de</strong>r Patoralkonstitution „Gaudium et spes"<br />

<strong>de</strong>s II.Vatikanischen Konzils: „Die einzelnen, die Familien <strong>und</strong><br />

die verschie<strong>de</strong>nen Gruppen, aus <strong>de</strong>nen sich die politische<br />

Gemeinschaft zusammensetzt, wissen, daß sie allein nicht<br />

imstan<strong>de</strong> sind, alles das zu leisten, was zu einem in je<strong>de</strong>r Rich­<br />

tung menschlichen Leben gehört. Sie erfassen die Notwendig­<br />

keit einer umfassen<strong>de</strong>ren Gesellschaft, in <strong>de</strong>r alle täglich ihre<br />

eigenen Kräfte zusammen zur ständig besseren Verwirklichung<br />

<strong>de</strong>s Gemeinwohls (= Wert, A. F. U.) einsetzen. So begrün<strong>de</strong>n<br />

sie <strong>de</strong>nn die politische Gemeinschaft in ihren verschie<strong>de</strong>nen<br />

Formen. Die politische Gemeinschaft besteht also um dieses<br />

Gemeinwohls (= Wert, A.F. U.) willen; in ihm hat sie ihre<br />

letztgültige <strong>Recht</strong>fertigung <strong>und</strong> ihren Sinn, aus ihm leitet sie ihr<br />

urspriinglich.es Eigenrecht ab. Das Gemeinwohl aber begreift in<br />

sich (complectitur) die Summe aller jener Bedingungen gesell­<br />

schaftlichen Lebens, die <strong>de</strong>n Einzelnen, <strong>de</strong>n Familien <strong>und</strong><br />

gesellschaftlichen Gruppen ihre eigene Vervollkommnung vol­<br />

ler <strong>und</strong> ungehin<strong>de</strong>rter zu erreichen gestatten". 35 In diesem Sinn<br />

erhält also <strong>de</strong>r Begriff „Gemeinwohl" einen umfassen<strong>de</strong>ren<br />

Sinn: Gemeinwohl als Wert <strong>und</strong> Gemeinwohlinstitutionen. In<br />

<strong>de</strong>m aus „Gaudium et spes" zitierten Text wird auf einen Passus<br />

Utz - von Galen XXII 25.<br />

Utz - von Galen IV 795.<br />

471


in „Mater et Magistra" hingewiesen, <strong>de</strong>r die Komplexität <strong>de</strong>s<br />

gebrauchten Gemeinwohlbegriffes noch <strong>de</strong>utlicher zum Aus­<br />

druck bringt: „Dieses (das Gemeinwohl, A. F. U.) begreift in<br />

sich ja <strong>de</strong>n Inbegriff jener gesellschaftlichen Voraussetzungen,<br />

die <strong>de</strong>n Menschen die volle Entfaltung ihrer Werte ermöglichen<br />

o<strong>de</strong>r erleichtern. Außer<strong>de</strong>m halten Wir es für notwendig, daß<br />

die leistungsgemeinschaftlichen Gebil<strong>de</strong> sowie die vielfachen<br />

Unternehmungen, in <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r Vergesellschaftungsprozeß sich<br />

vorzugsweise abspielt, sich wirklich kraft eigenen <strong>Recht</strong>es ent­<br />

wickeln können <strong>und</strong> daß die Verfolgung ihrer Interessen im<br />

Einklang mit <strong>de</strong>m Gemeinwohl bleibt". Zweimal wird hier<br />

vom Gemeinwohl gesprochen, im Sinn <strong>de</strong>r gesellschaftlichen<br />

Voraussetzungen <strong>und</strong> im Sinn <strong>de</strong>s Gemeinwohls als eines Wer­<br />

tes, mit <strong>de</strong>m die Aktivität <strong>de</strong>r einzelnen Gruppen in Einklang<br />

stehen soll. Der Gebrauch <strong>de</strong>s komplexen Begriffes Gemein­<br />

wohl (Wert <strong>und</strong> Bedingungen) kann natürlich <strong>de</strong>n Urbegriff<br />

von Gemeinwohl (Wert) nicht austilgen. Dieser behält in <strong>de</strong>n<br />

päpstlichen Texten vielmehr seine Eigenständigkeit, wie die ver­<br />

schie<strong>de</strong>nen schon zitierten Texte beweisen. Denn ohne diesen<br />

Wertbegriff gibt es keine echte Integration <strong>de</strong>r Einzelleistungen<br />

in das Gesellschaftsganze, wie aus <strong>de</strong>m Brief „Octogesima<br />

adveniens" Pauls VI. (14.5.1971) hervorgeht: „In diese umfas­<br />

sen<strong>de</strong> Gemeinschaft (politische Gemeinschaft, A. F. U.) ist die<br />

Leistung <strong>de</strong>r einzelnen einzuglie<strong>de</strong>rn; eben damit wird sie auf<br />

das Gemeinwohl hingeordnet". 37<br />

Das Gemeinwohl <strong>de</strong>r Kirche<br />

<strong>und</strong> das ihm entsprechen<strong>de</strong> Subsidiaritätsprinzip<br />

Wie weitreichend <strong>und</strong> umfassend <strong>de</strong>r Begriff <strong>de</strong>s Gemein­<br />

wohls gemäß <strong>de</strong>r päpstlichen Lehre sein kann, läßt sich nicht<br />

besser darstellen als durch die kirchliche Auffassung vom<br />

Gemeinwohl <strong>de</strong>r Kirche <strong>und</strong> von <strong>de</strong>m diesem Gemeinwohl ent­<br />

sprechen<strong>de</strong>n Subsidiaritätsprinzip. Es war bereits davon die<br />

Re<strong>de</strong>, daß selbst das staatliche Gemeinwohl gemäß <strong>de</strong>n päpstli­<br />

chen Texten an sich <strong>de</strong>n ganzen Menschen mit seinem materiel­<br />

len <strong>und</strong> geistigen Wohl umfaßt. Und es wur<strong>de</strong> auch berichtet,<br />

daß gemäß <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>n Päpsten gehaltenen naturrechtlichen<br />

472<br />

Utz - von Galen IV 260.<br />

Utz - von Galen IV 917.


Auffassung die obrigkeitliche Gewalt an sich, d. h. gemäß <strong>de</strong>r Exk. III<br />

Staatsi<strong>de</strong>e, kompetent ist, moralische Handlungen gesetzlich<br />

zu sanktionieren, so daß eine Parallelität besteht zwischen <strong>de</strong>n<br />

Pflichten <strong>de</strong>s Bürgers im Hinblick auf das Gemeinwohl <strong>und</strong> <strong>de</strong>r<br />

gesetzgeberischen Kompetenz <strong>de</strong>r obrigkeitlichen Gewalt. In<br />

<strong>de</strong>r konkreten Wirklichkeit gibt es aber <strong>de</strong>n Staat nicht, <strong>de</strong>r<br />

sämtliche Bedingungen <strong>de</strong>r Staatsi<strong>de</strong>e erfüllte. Es gibt darum<br />

auch nicht die <strong>de</strong>r Staatsi<strong>de</strong>e entsprechen<strong>de</strong> Gewalt. Außer<strong>de</strong>m<br />

besitzt kein Träger <strong>de</strong>r staatlichen Gewalt das einer umfassen­<br />

<strong>de</strong>n moralischen Kompetenz entsprechen<strong>de</strong> Wissen. Der recht­<br />

liche Vorrang <strong>de</strong>r Eigeninitiative <strong>de</strong>s Individuums in <strong>de</strong>r Hand­<br />

lungsordnung (Subsidiarität als rechtliches Prinzip) ist gera<strong>de</strong><br />

durch diese Tatsache begrün<strong>de</strong>t. Die Berufung auf die Freiheit<br />

allein reicht nicht aus. Sonst hätte die staatliche Gewalt über­<br />

haupt keine Kompetenz, die Freiheit um <strong>de</strong>s Gemeinwohls wil­<br />

len zu beschränken.<br />

Natürlich soll in je<strong>de</strong>r Gesellschaft, wie immer sie sich nen­<br />

nen mag, das Subsidiaritätsprinzip seine Geltung haben, d. h. es<br />

soll <strong>de</strong>m einzelnen <strong>und</strong> <strong>de</strong>r von ihm gegrün<strong>de</strong>ten Gruppe die<br />

freie Initiative gewährt bleiben, jene Aufgaben zu übernehmen,<br />

zu <strong>de</strong>nen er o<strong>de</strong>r die Gruppe im Rahmen <strong>de</strong>s Gemeinwohls<br />

befähigt ist. Doch stellt sich die Frage, wer eigentlich bestimmt,<br />

inwieweit <strong>de</strong>r einzelne o<strong>de</strong>r die Gruppe „befähigt" ist, die vom<br />

Gemeinwohl gefor<strong>de</strong>rte Leistung zu erbringen. In <strong>de</strong>r Familie<br />

ist es gemäß <strong>de</strong>r kirchlichen Lehre <strong>de</strong>r Vater, <strong>de</strong>r um das<br />

Gemeinwohl <strong>de</strong>r Familie wissen muß. Das Subsidiaritätsprin­<br />

zip ist <strong>de</strong>mnach in <strong>de</strong>r Familie ein pädagogisches o<strong>de</strong>r morali­<br />

sches Prinzip. An<strong>de</strong>rs im Staat, in <strong>de</strong>m es ein subjektives <strong>Recht</strong><br />

zum Ausdruck bringt. Hier hat <strong>de</strong>r einzelne gegen das ver­<br />

meintliche Besserwissen <strong>de</strong>s Trägers <strong>de</strong>r Gewalt das Vorrecht,<br />

als Erstursache <strong>de</strong>r Verwirklichung <strong>de</strong>s Gemeinwohls betrach­<br />

tet zu wer<strong>de</strong>n. Das von <strong>de</strong>n Päpsten so vielseitig angerufene<br />

Subsidiaritätsprinzip als rechtliche Verteilungsnorm <strong>de</strong>r Hand­<br />

lungskompetenz bezieht sich aus diesem Gr<strong>und</strong> stets auf die<br />

Gemeinwohlverwirklichung im Staat.<br />

In <strong>de</strong>r Kirche als <strong>de</strong>m mystischen Leib Christi ist <strong>de</strong>r getaufte<br />

Mensch bis in die letzten Fasern seines Seins <strong>de</strong>r kirchlichen<br />

Gemeinschaft inkorporiert. Die Kirche ist aufgr<strong>und</strong> ihrer göttli­<br />

chen Einsetzung die Institution, in welcher <strong>de</strong>r Mensch sein<br />

letztgültiges Heil fin<strong>de</strong>t. Der totalen Inkorporation <strong>de</strong>s einzel­<br />

nen in die Gemeinschaft <strong>de</strong>r Kirche entspricht darum auch ein<br />

473


Exk. III totales Regime. Dies hat Pius XI. in seiner Ansprache an die<br />

Teilnehmer <strong>de</strong>s Pilgerzuges <strong>de</strong>s B<strong>und</strong>es christlicher Arbeiter<br />

Frankreichs (18.9.1938) unmißverständlich zum Ausdruck<br />

gebracht: „Wenn es ein totalitäres Regime gibt —<strong>de</strong> facto <strong>und</strong> <strong>de</strong><br />

jure totalitär —, so ist es das Regime <strong>de</strong>r Kirche, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r<br />

Mensch ist ein Geschöpf Gottes, er ist <strong>de</strong>r Preis <strong>de</strong>r göttlichen<br />

Erlösung, er ist <strong>de</strong>r Diener Gottes, dazu bestimmt, für Gott hier<br />

unten <strong>und</strong> mit ihm im Himmel zu leben. Und Repräsentant <strong>de</strong>r<br />

I<strong>de</strong>en, <strong>de</strong>r Gedanken <strong>und</strong> <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>e Gottes ist nur die Kirche.<br />

Daher hat die Kirche wirklich das <strong>Recht</strong> <strong>und</strong> die Pflicht, eine<br />

totale Macht über die einzelnen zu beanspruchen: <strong>de</strong>r ganze<br />

Mensch, <strong>de</strong>r Mensch voll <strong>und</strong> ganz, gehört <strong>de</strong>r Kirche, weil er<br />

ganz Gott gehört. Es gibt überhaupt keinen Zweifel hierüber<br />

für je<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r nicht alles leugnen, alles ablehnen will". 38<br />

Wie steht es nun bei dieser Sachlage um das Subsidiaritäts­<br />

prinzip in <strong>de</strong>r Kirche? In seiner Ansprache an das Heilige Kol­<br />

legium aus Anlaß <strong>de</strong>r Inthronisation <strong>de</strong>r neuen Kardinäle<br />

(20.2.1946) kommt Pius XII. auf diese Frage zu sprechen.<br />

Bezugnehmend auf „Quadragesimo anno" erklärt er: „alle so­<br />

ziale Tätigkeit (gemeint ist „alle obrigkeitliche Tätigkeit", <strong>de</strong>nn<br />

sonst hätte <strong>de</strong>r Satz keinen Sinn, A. F. U.) ist ihrer Natur gemäß<br />

subsidiär; sie (die obrigkeitliche Tätigkeit, A. F. U.) soll die<br />

Glie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Sozialkörpers unterstützen, darf sie aber niemals<br />

zerschlagen o<strong>de</strong>r aufsaugen. Wahrhaft leuchten<strong>de</strong> Worte, die für<br />

das soziale Leben in allen seinen Stufungen gelten, auch für das<br />

Leben <strong>de</strong>r Kirche, ohne Nachteil für <strong>de</strong>ren hierarchische Struk­<br />

tur". 39<br />

Das Subsidiaritätsprinzip kann aber in <strong>de</strong>r Kirche nicht das­<br />

selbe sein wie im Staat. In einem göttlich eingesetzen „totalitä­<br />

ren" Regime wirkt eine göttliche Führung. Der Träger <strong>de</strong>r gött­<br />

lichen Autorität entschei<strong>de</strong>t nicht nur im Sinn einer Frie<strong>de</strong>ns­<br />

ordnung, er verkün<strong>de</strong>t auch <strong>und</strong> zuallererst die Wahrheit. So<br />

kann das Subsidiaritätsprinzip nur als pädagogische o<strong>de</strong>r mora­<br />

lische Anweisung an <strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r die Träger <strong>de</strong>r kirchlichen Autori­<br />

tät verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n, die mündigen Gläubigen in <strong>de</strong>n Dienst<br />

<strong>de</strong>r Wahrheit miteinzubeziehen. In diesem Sinn ist die Anwei­<br />

sung Pius'XII., das Laienapostolat in <strong>de</strong>r kirchlichen Tätigkeit<br />

einzuschalten, zu verstehen: „Auch hier möge die kirchliche<br />

474<br />

Utz — von Galen III 55.<br />

Utz - Groner 4094.


Autorität das allgemein gültige Prinzip <strong>de</strong>r Subsidiarität <strong>und</strong> Exk. III<br />

gegenseitigen Ergänzung anwen<strong>de</strong>n. Man möge <strong>de</strong>n Laien die<br />

Aufgaben anvertrauen, die sie ebensogut o<strong>de</strong>r selbst besser als<br />

<strong>de</strong>r Priester erfüllen können. Sie sollen in <strong>de</strong>n Grenzen ihrer<br />

Funktion <strong>und</strong> <strong>de</strong>njenigen, die das Gemeinwohl <strong>de</strong>r Kirche<br />

ihnen zieht, frei han<strong>de</strong>ln <strong>und</strong> ihre Verantwortung auf sich neh­<br />

men können". 40<br />

Zusammenfassung<br />

l.Die kirchlichen Dokumente enthalten keine allgemeine<br />

Lehre über das Gemeinwohl. Die Verlautbarungen beziehen<br />

sich vornehmlich auf <strong>de</strong>n Staat, wie er existiert, die Weltgemein­<br />

schaft o<strong>de</strong>r die Kirche.<br />

2. In <strong>de</strong>n meisten Texten stehen die Äußerungen über das<br />

Gemeinwohl im Zusammenhang mit <strong>de</strong>r Kompetenz <strong>de</strong>s Staa­<br />

tes (o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Kirche) hinsichtlich <strong>de</strong>r Ordnung <strong>de</strong>r Entschei­<br />

dungsrechte (Subsidiaritätsprinzip). Dadurch wird die Gemein­<br />

wohllehre komplex, nämlich bezogen auf die Werte, die im<br />

Gemeinwohl enthalten sind, wie auch auf die Ordnung <strong>de</strong>r<br />

Kausalitäten, von <strong>de</strong>nen die Verwirklichung <strong>de</strong>r Gemeinwohl­<br />

werte abhängt.<br />

3. Die konkrete Bestimmung <strong>de</strong>s Gemeinwohls kann nur<br />

erfolgen, in<strong>de</strong>m man die konkreten Verhältnisse wirtschaftli­<br />

cher, sozialer <strong>und</strong> kultureller Art in Betracht zieht. Diese<br />

Betrachtung schließt naturgemäß die eventuell vorzusehen<strong>de</strong>n<br />

institutionellen Maßnahmen mit ein. Die konkrete Ausformung<br />

<strong>de</strong>s Gemeinwohls ist darum immer komplex. In mehreren Tex­<br />

ten wird bei <strong>de</strong>r Definition <strong>de</strong>s Gemeinwohls außer auf die<br />

Natur <strong>de</strong>s Menschen auch auf die gegebenen Verhältnisse<br />

Bezug genommen.<br />

4. Dennoch lassen sich die Gemeinwohlwerte, also das, was<br />

im eigentlichen <strong>und</strong> letzten Sinn entsprechend <strong>de</strong>r menschli­<br />

chen Natur Gemeinwohl zu be<strong>de</strong>uten hat, herausschälen. Dies<br />

geschieht durch die Betrachtung <strong>de</strong>r Pflichten, die gemäß <strong>de</strong>n<br />

Texten <strong>de</strong>r einzelne gegenüber <strong>de</strong>m Gemeinwohl zu erfüllen<br />

hat, nicht aber durch die Betrachtung <strong>de</strong>ssen, was <strong>de</strong>m Staat,<br />

beson<strong>de</strong>rs <strong>de</strong>m pluralistischen Staat, in <strong>de</strong>r Handlungsordnung<br />

zusteht. Es ist daher nicht korrekt, das Gemeinwohl <strong>de</strong>r katho-<br />

Utz - Groner 5992.<br />

475


Exk. III lischen Soziallehre lediglich in <strong>de</strong>n Bedingungen <strong>und</strong> Vorausset­<br />

zungen zu sehen, gemäß welchen <strong>de</strong>r einzelne seine persönliche<br />

Entfaltung <strong>und</strong> Vollendung zu fin<strong>de</strong>n vermag.<br />

5. Da die im Gemeinwohl beschlossenen Pflichten persona­<br />

ler Natur sind, hat <strong>de</strong>r Staat sie in seinen Maßnahmen zu<br />

berücksichtigen, in<strong>de</strong>m er <strong>de</strong>n entsprechen<strong>de</strong>n Freiheitsraum<br />

garantiert o<strong>de</strong>r unter Umstän<strong>de</strong>n in eigener Tätigkeit jene Auf­<br />

gaben übernimmt, die <strong>de</strong>r einzelne nicht zu leisten vermag. Aus<br />

diesem Gr<strong>und</strong> gehören die institutionellen, organisatorischen<br />

Elemente in <strong>de</strong>n Rahmen <strong>de</strong>r Verwirklichung <strong>de</strong>r Gemeinwohl­<br />

werte. Sie sind, obwohl engstens mit <strong>de</strong>n Gemeinwohlwerten<br />

verb<strong>und</strong>en, nicht als das Gemeinwohl zu bezeichnen. Die<br />

päpstlichen Verlautbarungen nennen sie daher stets nur im Zu­<br />

sammenhang mit <strong>de</strong>m eigentlichen Gemeinwohl, <strong>de</strong>m sie zu<br />

dienen haben.<br />

6. Die Gesellschaft ist als Institution <strong>de</strong>r Menschen zu<br />

betrachten, so sehr sie durch die Natur <strong>de</strong>s Menschen gefor<strong>de</strong>rt<br />

sein mag. Sie befin<strong>de</strong>t sich im Raum <strong>de</strong>r Kausalitäten <strong>de</strong>r<br />

Gemeinwohlverwirklichung. Deshalb gilt, daß die Gesellschaft<br />

um <strong>de</strong>s Menschen (<strong>de</strong>r Personen) willen da ist, nicht umge­<br />

kehrt. Es gilt aber nicht, daß das Gemeinwohl um <strong>de</strong>s Men­<br />

schen willen sei, weil im Gemeinwohl die Personen mit allen<br />

ihren <strong>Recht</strong>en <strong>und</strong> Pflichten eingeschlossen sind. Dies erhellt<br />

aus jenen Texten, in <strong>de</strong>nen erklärt wird, daß <strong>de</strong>r Mensch mit sei­<br />

nem gesamten Tugendleben <strong>de</strong>m Gemeinwohl zu dienen habe.<br />

7. Das Gemeinwohl wird somit als höchste moralische Norm<br />

<strong>de</strong>r Integration <strong>de</strong>s gesamten Lebens <strong>de</strong>r Personen betrachtet.<br />

Es gibt keinen Lebensraum, <strong>de</strong>r sich dieser Integration entzie­<br />

hen dürfte. Das naturgegebene Gemeinwohl ist göttlicher Ein­<br />

setzung.<br />

8. Selbst auch die Religion hat ihren Platz im Gemeinwohl.<br />

Auf <strong>de</strong>r Ebene <strong>de</strong>r Verwirklichung hat darum <strong>de</strong>r Staat die<br />

Pflicht, die Freiheit <strong>de</strong>r Religion zu respektieren <strong>und</strong> sie als ein<br />

wichtiges Element <strong>de</strong>s gesellschaftlichen Lebens zu betrachten,<br />

ohne jedoch ein religiöses Bekenntnis vorschreiben zu können.<br />

9. Da das durch die Natur <strong>de</strong>s Menschen gefor<strong>de</strong>rte Gemein­<br />

wohl Gegenstand <strong>de</strong>r gesellschaftlichen Autorität ist, kann die<br />

staatliche Gewalt, die ihre Autorität von Gott erhält <strong>und</strong> somit<br />

im Gewissen zu verpflichten vermag, an sich alle im Gemein­<br />

wohl enthaltenen Werte gesetzlich sanktionieren, soweit diese<br />

in äußerlich erkennbaren Handlungen in Erscheinung treten.<br />

476


Dies besagt jedoch nicht, daß die Staatsgewalt zur Unterschei- Exk. III<br />

dung von gut <strong>und</strong> böse berechtigt wäre, da diese Unterschei­<br />

dung bereits im Naturgesetz erfolgt, das durch die Vernunft<br />

erkennbar ist. Die Bürger haben das <strong>Recht</strong>, die Staatsform zu<br />

bestimmen <strong>und</strong> ihre Regierung zu wählen. Sie können somit<br />

<strong>de</strong>n Umfang sowie die Art <strong>und</strong> Weise <strong>de</strong>r Gewaltanwendung<br />

begrenzen.<br />

10. Im Staat hält sich die Regierung im Sinn <strong>de</strong>s Subsidiari­<br />

tätsprinzips mit eigener Tätigkeit zurück, um das Handlungs­<br />

vorrecht <strong>de</strong>s einzelnen nicht zu beschnei<strong>de</strong>n. Wenngleich die<br />

Regierung immer ein wenigstens allgemein gehaltenes Gesell­<br />

schaftskonzept braucht, so ist sie doch darauf angewiesen, mit<br />

<strong>de</strong>r Konkretisierung <strong>de</strong>r Gemeinwohl<strong>de</strong>finition abzuwarten,<br />

bis sie um die Leistungsfähigkeit <strong>und</strong> <strong>de</strong>n Leistungswillen <strong>de</strong>r<br />

einzelnen weiß. Sie kann <strong>de</strong>n Konsens mit rechtlichen Mitteln<br />

nicht produzieren, son<strong>de</strong>rn höchstens weitsichtig moralisch sti­<br />

mulieren. An<strong>de</strong>rs in <strong>de</strong>r Kirche. Hier ist <strong>de</strong>r Konsens durch das<br />

Lehramt vorbestimmt. Das vom kirchlichen Lehramt <strong>de</strong>finierte<br />

Gemeinwohl verpflichtet die Gläubigen zur Annahme. In <strong>de</strong>r<br />

Handlungsordnung wird das Subsidiaritätsprinzip insofern<br />

angewandt, als das kirchliche Lehramt <strong>de</strong>n Gläubigen die Initia­<br />

tive in <strong>de</strong>r Gestaltung <strong>de</strong>s kirchlichen Lebens überläßt.<br />

4. DIE PHILOSOPHISCHE UND THEOLOGISCHE INTERPRETATION<br />

DES GEMEINWOHLBEGRIFFS DER KIRCHLICHEN SOZIALLEHRE<br />

Das Objekt <strong>de</strong>r Interpretation<br />

In <strong>de</strong>n päpstlichen Verlautbarungen fin<strong>de</strong>t man, wie öfters<br />

betont, keine Systematik <strong>de</strong>r Gemeinwohllehre. Allerdings<br />

wer<strong>de</strong>n alle dazu gehörigen Elemente aufgeführt. Doch darf<br />

man von <strong>de</strong>n Päpsten keinen systematischen Traktat erwarten,<br />

da alle päpstlichen Schreiben sich stets an einen bestimmten<br />

Kreis wen<strong>de</strong>n <strong>und</strong> sich zu einem bestimmten Fragekomplex<br />

äußern. Eine eigentliche Gemeinwohltheorie müßte mit einer<br />

begrifflichen Analyse <strong>de</strong>ssen beginnen, was man immer <strong>und</strong><br />

überall mit <strong>de</strong>m Namen „Gemeinwohl" verbin<strong>de</strong>t. Es wür<strong>de</strong><br />

sich hierbei um eine allgemeine Bestimmung <strong>de</strong>s Begriffes<br />

Gemeinwohl han<strong>de</strong>ln, <strong>de</strong>r über <strong>de</strong>n Anwendungen auf Staat,<br />

Gruppe o<strong>de</strong>r Kirche steht. Auf dieser höchsten Ebene <strong>de</strong>r<br />

Abstraktion liegt die Unterscheidung in ein Gemeinwohl, das<br />

477


Exk. III an sich ein Einzelwohl ist, sich aber in mehreren fin<strong>de</strong>t, <strong>und</strong><br />

ein Gemeinwohl, das im wahren Sinn kollektiver Natur ist. Die<br />

kirchlichen Verlautbarungen streifen diese Seite <strong>de</strong>s Problems<br />

bei ihrer Ablehnung <strong>de</strong>r altliberalen Konzeption, gemäß <strong>de</strong>r das<br />

Gemeinwohl lediglich die Summe aller Einzelwohle ist. Die<br />

kirchliche Soziallehre betont stets die allen Einzelmenschen<br />

übergeordnete Stellung <strong>de</strong>s Gemeinwohls. Wie gezeigt wer<strong>de</strong>n<br />

wird, suchen alle Interpreten diese Überordnung zu retten,<br />

allerdings mit verschie<strong>de</strong>ner Begründung <strong>und</strong> verschie<strong>de</strong>nen<br />

erkenntnistheoretischen Voraussetzungen.<br />

Das Problem besteht nun darin, ob diese Überordnung<br />

apriorisch ist, so daß das Einzelwohl überhaupt nicht gedacht<br />

wer<strong>de</strong>n kann ohne Integration ins Gemeinwohl, o<strong>de</strong>r ob das<br />

Gemeinwohl nur aufgr<strong>und</strong> einer physischen Notwendigkeit<br />

gefor<strong>de</strong>rt ist, weil <strong>de</strong>r einzelne sein Wohl an<strong>de</strong>rs nicht fin<strong>de</strong>n<br />

wür<strong>de</strong>. Man könnte diesen Unterschied auch mit <strong>de</strong>r Frage<br />

kennzeichnen: Ist die Individualethik nur verständlich durch<br />

die Einordnung in eine umfassen<strong>de</strong> Sozialethik o<strong>de</strong>r ist die So­<br />

zialethik ein Annex bzw. eine Erweiterung <strong>de</strong>r Individualethik<br />

aus <strong>de</strong>r Erkenntnis heraus, daß die volle Entfaltung <strong>de</strong>r indivi­<br />

duellen Moral gesellschaftlicher Hilfe bedarf? Man könnte das<br />

Problem auch so formulieren: Ist das Gemeinwohl für je<strong>de</strong>s In­<br />

dividuum ein a priori vorgegebener Wert, o<strong>de</strong>r schaffen die<br />

Menschen aufgr<strong>und</strong> ihrer Bedürftigkeit <strong>de</strong>n gemeinsamen<br />

Wert? Im ersten Fall (a priori vorgegebener Wert) wäre die<br />

Erkenntnis <strong>de</strong>r Bedürftigkeit <strong>de</strong>s Individuums nur eine Bestäti­<br />

gung dafür, daß <strong>de</strong>r Mensch sich in die übergeordnete Norm<br />

integrieren soll, im zweiten Fall besteht das Gemeinwohl nur<br />

insofern zu <strong>Recht</strong>, als die Bedürftigkeit <strong>de</strong>s Menschen es erfor­<br />

<strong>de</strong>rt. Im zweiten Fall müßte man, um zu einer echt universalen<br />

Norm zu kommen, empirisch nachweisen, daß je<strong>de</strong>s Indivi­<br />

duum in je<strong>de</strong>r Hinsicht in allen Zeiten <strong>de</strong>r Mithilfe bedürftig ist.<br />

Die übergeordnete Norm bliebe aber in ihrem innersten Wesen<br />

eine individualethische Norm, weil immer entnommen aus<br />

einem individuellen Phänomen.<br />

Die Ansichten <strong>de</strong>r Interpreten gehen hauptsächlich bezüg­<br />

lich <strong>de</strong>r Beantwortung <strong>de</strong>r Frage auseinan<strong>de</strong>r, welche menschli­<br />

chen Werte in <strong>de</strong>m Gemeinwohlbegriff „kollektiviert" wer<strong>de</strong>n<br />

können. Man könnte meinen, diese Auseinan<strong>de</strong>rsetzung sei<br />

spitzfindig <strong>und</strong> von wenig praktischem Belang für die konkrete<br />

Bestimmung <strong>de</strong>r allgemeinen Wohlfahrt. Dennoch hat, was<br />

478


noch zu beweisen sein wird, diese theoretische Auseinan<strong>de</strong>rset­<br />

zung Folgen für die Bewertung <strong>de</strong>r Maßnahmen, Bedingungen<br />

<strong>und</strong> Voraussetzungen <strong>de</strong>r Gemeinwohlverwirklichung in <strong>de</strong>r<br />

Handlungsordnung. Schon aus <strong>de</strong>m, was über die Familie <strong>und</strong><br />

die Kirche gesagt wor<strong>de</strong>n ist, vermag man leicht zu erkennen,<br />

daß es nicht einerlei ist, welche Werte man auf <strong>de</strong>r ersten Etappe<br />

in die Gemeinwohl<strong>de</strong>finition einsetzt.<br />

Bezüglich <strong>de</strong>r Definition <strong>de</strong>s Gemeinwohls gibt es unter <strong>de</strong>n<br />

katholischen Interpreten hauptsächlich drei systematische Be­<br />

gründungen. Man kann diese mit <strong>de</strong>m Namen von drei Autoren<br />

benennen: Thomas von Aquin, Gustav G<strong>und</strong>lach S/<strong>und</strong> Johan­<br />

nes Messner. Ob bewußt o<strong>de</strong>r unbewußt halten sich alle übrigen<br />

Interpreten an eine dieser drei Richtungen. 41<br />

a) Das Gemeinwohl bei Thomas von Aquin<br />

Thomas von Aquin hat keine systematische Darstellung sei­<br />

ner Gemeinwohllehre geboten. Man muß seine verschie<strong>de</strong>nen<br />

Aussagen mit seiner gesamten Vorstellung <strong>de</strong>r Weltordnung, mit<br />

seiner Erklärung <strong>de</strong>s göttlichen Schöpferwillens, mit seiner<br />

Naturrechtslehre, beson<strong>de</strong>rs mit seiner Auffassung vom Verhält­<br />

nis zwischen <strong>de</strong>r Wesensnatur <strong>und</strong> <strong>de</strong>m Individuum, also seiner<br />

Erkenntnislehre in Verbindung bringen. Sonst versteht man ihn<br />

falsch. Der heute öfters unternommene Versuch, die Kantsche<br />

Freiheitsvorstellung in verschie<strong>de</strong>ne, aus <strong>de</strong>m großen Kontext<br />

gerissene Texte hineinzuinterpretieren, ist eine völlige Verken­<br />

nung <strong>de</strong>r großen philosophischen <strong>und</strong> theologischen Zusam­<br />

menhänge, in die Thomas seine einzelnen Traktate hineinge­<br />

stellt hat.<br />

Das Verhältnis von menschlicher Wesensnatur <strong>und</strong> individu­<br />

eller Natur fußt auf <strong>de</strong>r thomasischen Abstraktionslehre. Diese<br />

ist nicht, wie oft erklärt wird, einfach eine Übernahme <strong>de</strong>r ari­<br />

stotelischen Erkenntnistheorie. Vielmehr grün<strong>de</strong>t sie in <strong>de</strong>r<br />

thomasischen Analyse <strong>de</strong>r Schöpfung. Gott kann in <strong>de</strong>r Schöp­<br />

fung nur das Abbild seiner eigenen Vollkommenheit suchen.<br />

In <strong>de</strong>m Artikel „Johannes Messners Konzeption <strong>de</strong>r Sozialphilosophie" in:<br />

„Das Neue Naturrecht, Die Erneuerung <strong>de</strong>r Naturrechtslehre durch Johannes<br />

Messner", hsg. von A. Klose, H. Schambeck <strong>und</strong> R.Weiler, Berlin 1985,<br />

21—62, habe ich die Konzeption Messners im Vergleich zu Thomas von<br />

Aquin <strong>und</strong> G. G<strong>und</strong>lach dargestellt. Hier eine zusammenfassen<strong>de</strong> <strong>und</strong> zugleich<br />

ergänzen<strong>de</strong> Darstellung.<br />

479


Exk. III Um die Vollkommenheit <strong>de</strong>s Schöpfers auch nur an<strong>de</strong>utungs­<br />

weise wi<strong>de</strong>rzuspiegeln, brauchte es eine Vielfalt von Wesen.<br />

Alle geschaffenen Wesen sind also durch die Schöpfung in einer<br />

Einheit o<strong>de</strong>r, wie Thomas sagt, in einem Gemeinwohl kollektiv<br />

verb<strong>und</strong>en. Dieses Gemeinwohl ist Gott, <strong>de</strong>ssen Vollkommen­<br />

heit alle Wesen darstellen sollen. Gott ist das Ziel aller<br />

Geschöpfe. Diese Finalisierung drückt Thomas dadurch aus,<br />

daß er sagt: „ein einzelnes Wesen liebt sein eigenes Wohl um <strong>de</strong>s<br />

Gemeinwohls <strong>de</strong>s gesamten Alls willen, das Gott ist. 42<br />

Man darf sich diese Weltsicht nicht pantheistisch vorstellen.<br />

Gott bleibt <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r Welt getrennte Schöpfer. Alle Kreaturen<br />

„streben" als Verursachte zu ihm als ihrer Ursache <strong>und</strong> ihrem<br />

Erhalter. Dieses Streben ist ontologisch, d. h. im Sein zu sehen<br />

im Sinn <strong>de</strong>r immanenten Relation <strong>de</strong>s geschaffenen Seins zum<br />

ungeschaffenen <strong>und</strong> allverursachen<strong>de</strong>n. Unter diesem Ge­<br />

sichtspunkt ist Gott das gemeinsame Wohl aller Kreaturen. Er<br />

ist aber weiterhin das <strong>de</strong>r Welt immanente Gemeinwohl, inso­<br />

fern er sich im Gesamt <strong>de</strong>r Schöpfung abgebil<strong>de</strong>t hat, so daß<br />

je<strong>de</strong>s Geschöpf einen Teil <strong>de</strong>r göttlich gewollten Ordnung dar­<br />

stellt. Das ist keine Mystik. Es han<strong>de</strong>lt sich auch nicht um eine<br />

neue Version <strong>de</strong>r Hierarchie <strong>de</strong>r Kräfte nach <strong>de</strong>r Darstellung<br />

<strong>de</strong>s Pseudo-Dionysius Areopagita, so sehr Thomasdiese gekannt<br />

<strong>und</strong> auch geschätzt hat. Vielmehr analysiert Thomas <strong>de</strong>n Vor­<br />

gang <strong>de</strong>s göttlichen Schöpfungsaktes, <strong>de</strong>r nicht einzig in einem<br />

Wollen sich vollzog, son<strong>de</strong>rn von einer I<strong>de</strong>e geleitet sein mußte.<br />

An<strong>de</strong>rs kann man sich das Wirken Gottes als eines persönlichen<br />

Wesens nicht vorstellen. Man muß darum bei <strong>de</strong>r Vielfalt <strong>de</strong>r<br />

Geschöpfe einen einsichtigen Gr<strong>und</strong> dafür fin<strong>de</strong>n, daß alle<br />

Geschöpfe notwendigerweise ihr Ziel in <strong>de</strong>m absoluten Wesen<br />

Gott haben. Diese Überlegungen sind nicht übernatürlicher<br />

Art. Sie gehören zur rationalen Theodizee. Gemäß <strong>de</strong>r kirchli­<br />

chen Lehre ist die Vernunft befähigt, Gottes Existenz aus <strong>de</strong>r<br />

Schöpfung zu erkennen. Thomas hat <strong>de</strong>n Ansatz seiner<br />

Gemeinwohl<strong>de</strong>finition in <strong>de</strong>m rational erkennbaren Verhältnis<br />

<strong>de</strong>s Schöpfers zur Schöpfung gef<strong>und</strong>en. Dieser Ansatz ist<br />

be<strong>de</strong>utsam, weil er <strong>de</strong>n Sachverhalt, <strong>de</strong>r zur Existenz <strong>de</strong>s ersten<br />

<strong>und</strong> obersten Gemeinwohls führt, ins Blickfeld rückt.<br />

4 2 S.Theol. I—II 109,3. Die verschie<strong>de</strong>nen Thomastexte zum Gemeinwohl sind<br />

von A. P. Verpaalen gesammelt wor<strong>de</strong>n. Ich habe diese Sammlung als Anhang<br />

II in <strong>de</strong>n ersten Band <strong>de</strong>r Sozialethik aufgenommen. Der hier zitierte Text<br />

befin<strong>de</strong>t sich daselbst unter Nr. 284.<br />

480


Auch die Menschen untereinan<strong>de</strong>r sind durch ein Gemein- Exk. III<br />

wohl verb<strong>und</strong>en. Auch hier wird das Sein <strong>de</strong>s Menschen ins<br />

Auge gefaßt. Thomas fragt sich, warum es nötig war, das Wesen<br />

<strong>de</strong>s Menschen in solcher Vielfalt zu schaffen. Während <strong>de</strong>r reine<br />

Geist, in <strong>de</strong>r Theologie als Engel bezeichnet, für sich eine spezi­<br />

fische Einheit darstellt, kann <strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>r Materie verb<strong>und</strong>ene<br />

Geist, <strong>de</strong>r einzelne Mensch, nicht als „species", son<strong>de</strong>rn in<br />

gewissem Sinn nur als Träger <strong>de</strong>r spezifischen Natur, genauer<br />

formuliert, als konkretisierter Teilhaber <strong>de</strong>r Species bezeichnet<br />

wer<strong>de</strong>n. Um die Species, d. h. die Wesensnatur <strong>de</strong>s Menschen<br />

zum Ausdruck zu bringen, braucht es eine Vielfalt von Einzel­<br />

menschen, die zusammen in gemeinsamer körperlicher <strong>und</strong><br />

geistiger Tätigkeit das zur Entfaltung bringen, was an Potentia-<br />

lität in <strong>de</strong>r Wesensnatur <strong>de</strong>s Menschen gr<strong>und</strong>gelegt ist. Nur auf<br />

diese ontologische Weise ist <strong>de</strong>r Nachweis zu erbringen, daß <strong>de</strong>r<br />

Mensch wesentlich sozial ist, so daß es für alle Zeiten ausge­<br />

schlossen ist, daß jemals ein Mensch nicht sozial wäre. Wenn<br />

man einzig von <strong>de</strong>r empirisch feststellbaren Bedürftigkeit <strong>de</strong>s<br />

einzelnen Menschen ausgeht, ist nicht einzusehen, warum <strong>de</strong>r<br />

Mensch sich nicht zum solitären Wesen entwickeln könnte.<br />

Thomas selbst kommt verschie<strong>de</strong>ntlich auf die Hilfsbedürftig­<br />

keit <strong>und</strong> auch auf die <strong>de</strong>m Nächsten zugewandte Geselligkeit<br />

zu sprechen, um zu zeigen, daß <strong>de</strong>r Mensch sozial ist. Aber<br />

dieser Beweis verhält sich zu <strong>de</strong>m ontologischen Beweis wie<br />

eine empirische Bestätigung einer metaphysisch gewonnenen<br />

Erkenntnis.<br />

Von diesem Blickpunkt aus wird einsichtig, warum die<br />

Gemeinwohlgerechtigkeit die e<strong>de</strong>lste aller sittlichen Tugen<strong>de</strong>n<br />

ist, d. h. warum die Sozialethik die Individualethik in sich be­<br />

greift <strong>und</strong> nicht umgekehrt. Und auch nur so wird verständlich,<br />

warum das Gemeinwohl die höchste Norm auch für die Betäti­<br />

gung <strong>de</strong>r Freiheit ist. Die Autonomie ist ein Stück <strong>de</strong>s Gemein­<br />

wohls, sie ist <strong>de</strong>m Gemeinwohl nicht vorgeordnet, son<strong>de</strong>rn in<br />

ihm enthalten. Jedoch ist sie <strong>de</strong>r Gesellschaft vorgeordnet, weil<br />

diese an die Wertfülle <strong>de</strong>s Gemeinwohls geb<strong>und</strong>en ist. Thomas<br />

von Aquin hat das Verdienst, <strong>de</strong>n aristotelischen Begriff <strong>de</strong>s<br />

Gemeinwohls präzisiert zu haben als vorgesellschaftliches<br />

Objekt.<br />

Die thomasische Sicht <strong>de</strong>s Gemeinwohlproblems erhärtet<br />

jene Aussagen <strong>de</strong>r Päpste — <strong>und</strong> es han<strong>de</strong>lt sich hierbei um die<br />

ganze Tradition —, daß das Gemeinwohl, soweit es aus <strong>de</strong>r<br />

481


Exk. III menschlischen Natur bestimmt wer<strong>de</strong>n kann, göttlicher Institu­<br />

tion ist. Es wird aus ihr auch klar ersichtlich, daß die letztgültige<br />

Verantwortung <strong>de</strong>r staatlichen Autorität ihre legislative Kraft<br />

göttlicher Einsetzung verdankt. Die Logik <strong>de</strong>r thomasischen<br />

Ableitung <strong>de</strong>s Gemeinwohlbegriffes ist klar <strong>und</strong> für <strong>de</strong>njenigen,<br />

<strong>de</strong>r die Lehre von Gott, <strong>de</strong>m Schöpfer, als rationale Erkenntnis<br />

annimmt, unbestreitbar. Allerdings fin<strong>de</strong>t diese Logik bei <strong>de</strong>n<br />

mo<strong>de</strong>rnen Philosophen keinen Anklang mehr. Einen Christen<br />

dürfte dies jedoch weiter nicht stören. Aus lehrpädagogischem<br />

Gr<strong>und</strong> wäre es wünschenswert, eine Ableitung dieser Gemein­<br />

wohlkonzeption zu fin<strong>de</strong>n, die auch von nicht katholisch <strong>de</strong>n­<br />

ken<strong>de</strong>n Philosophen mit Sympathie aufgenommen wür<strong>de</strong>.<br />

Johannes Messner hat diesen Weg zu gehen versucht, wovon<br />

noch die Re<strong>de</strong> sein wird.<br />

Die mit allen menschlichen Werten befrachtete thomasische<br />

Gemeinwohli<strong>de</strong>e hat zwar ihre Be<strong>de</strong>utung für die Bestimmung<br />

<strong>de</strong>r allgemeinen Wohlfahrt, sie ist aber noch nicht praxisnahe<br />

genug. Damit stehen wir vor <strong>de</strong>r Frage, in welcher Weise diese<br />

I<strong>de</strong>e in <strong>de</strong>r Handlungsordnung verwirklicht wer<strong>de</strong>n soll. Es<br />

genügt nicht, auf die Pflicht eines je<strong>de</strong>n Menschen gegenüber<br />

<strong>de</strong>m Gemeinwohl zu pochen, ohne die gesellschaftlichen Ord­<br />

nungsregeln darzustellen, durch welche die moralische Pflicht<br />

aller konkret motiviert <strong>und</strong> damit gesellschaftlich effizient wird.<br />

Auch hierüber hat sich Thomas von Aquin Gedanken gemacht.<br />

Auf politischer Ebene war er zwar <strong>de</strong>r Ansicht, daß eine Auftei­<br />

lung <strong>de</strong>r Macht <strong>de</strong>n Einheitscharakter <strong>de</strong>s Gemeinwohls<br />

gefähr<strong>de</strong>n könnte, so daß er hier, in Entsprechung zum einen<br />

Schöpfer auch in <strong>de</strong>r staatlichen Gemeinschaft einen einzigen<br />

Träger <strong>de</strong>r Gewalt sehen wollte. Für die damalige christliche<br />

Welt war dies <strong>de</strong>r nächstliegen<strong>de</strong> Gedanke, zumal die Fürsten<br />

noch an <strong>de</strong>n einen Inhaber <strong>de</strong>r kirchlichen Gewalt moralisch<br />

geb<strong>und</strong>en waren. Der Schluß aus <strong>de</strong>m Monotheismus auf die<br />

Monarchie ist aber für Thomas nicht unausweichlich, wie<br />

mo<strong>de</strong>rne Interpreten <strong>de</strong>r thomasischen Befürwortung <strong>de</strong>r<br />

Monarchie meinen. Thomas geht es einzig um die sichere Wah­<br />

rung <strong>de</strong>r Einheit <strong>de</strong>s Gemeinwohlbegriffes. Diese Einheit ist,<br />

wie wir aus Erfahrung wissen, auch in <strong>de</strong>r Demokratie möglich,<br />

vorausgesetzt allerdings — <strong>und</strong> das ist für uns Mo<strong>de</strong>rne das<br />

Gr<strong>und</strong>problem —, daß noch ein Konsens bezüglich <strong>de</strong>r Gr<strong>und</strong>­<br />

werte garantiert ist. Auf wirtschaftlichem Gebiet hat aber Tho­<br />

mas entgegen seiner Stellungnahme auf politischer Ebene eine<br />

482


ausgesprochen pluralistische Gewaltverteilung als die <strong>de</strong>m<br />

Gemeinwohl einträglichere, effizientere Verwirklichung gese­<br />

hen gegenüber einer autoritären Planung. In <strong>de</strong>r gesellschaftli­<br />

chen Ordnung <strong>de</strong>nkt Thomas ebenso pluralistisch, wie seine<br />

Äußerungen über Ehe <strong>und</strong> Familie dartun.<br />

Der Pluralismus auf <strong>de</strong>r wirtschaftlichen Ebene wird von<br />

Thomas durch die Befürwortung <strong>de</strong>r privaten Eigentumsord­<br />

nung begrün<strong>de</strong>t. Beachtenswert ist, daß Thomas das <strong>Recht</strong> auf<br />

privates Eigentum nicht unmittelbar mit <strong>de</strong>r Person verbin<strong>de</strong>t,<br />

son<strong>de</strong>rn konsequent aus <strong>de</strong>m von Gott gesetzten letzten Zweck<br />

<strong>de</strong>r materiellen Güter ableitet. Unter Voraussetzung <strong>de</strong>r durch<br />

die gesamte christliche Tradition festgehaltenen Lehre, daß die<br />

materielle Welt allen Menschen nützen soll, fragt er sich, in wel­<br />

cher Art <strong>und</strong> Weise diese göttliche Anordnung am effizientesten<br />

erfüllt wer<strong>de</strong>n könne". Im Hinblick auf die empirisch allgemein<br />

gültige <strong>und</strong> durch die Lehre von <strong>de</strong>r Erbsün<strong>de</strong> erhärtete Fest­<br />

stellung, daß <strong>de</strong>r Mensch für die sorgfältige, d. h. wirtschaftliche<br />

N<strong>utz</strong>ung leichter aufgr<strong>und</strong> <strong>de</strong>s Selbstinteresses als aufgr<strong>und</strong><br />

<strong>de</strong>s an sich werthöheren Gemeininteresses motiviert ist, spricht<br />

er sich, die Ansicht <strong>de</strong>s Aristoteles aufnehmend, für die private<br />

Verwaltung <strong>de</strong>r Güter aus. Um <strong>de</strong>r Gemeinwohlfor<strong>de</strong>rung ge­<br />

genüber gerecht zu bleiben, wird <strong>de</strong>r private Eigentümer sozial<br />

belastet, d. h. verpflichtet, das, was er nicht braucht, <strong>de</strong>m Näch­<br />

sten abzugeben. Thomas sieht in dieser Pflicht eine echte<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>spflicht. Der Gedanke <strong>de</strong>r sozialen Belastung <strong>de</strong>r<br />

Person wird <strong>de</strong>mnach erst auf <strong>de</strong>r Ebene <strong>de</strong>r Handlungsnormen<br />

geweckt. Auf <strong>de</strong>r obersten Ebene, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Werte, kann man<br />

gemäß Thomas noch nicht von „Belastung" sprechen, weil dort<br />

die Person nicht nur sozial „belastet" ist, son<strong>de</strong>rn in ihrer Natur<br />

sozial ist. Da in <strong>de</strong>n päpstlichen Verlautbarungen <strong>de</strong>rBegriff <strong>de</strong>s<br />

Gemeinwohls vornehmlich im Bereich <strong>de</strong>r Handlungsordnung<br />

gebraucht wird, sprechen sie immer nur von sozialer Belastung.<br />

Und da auch die Person in <strong>de</strong>n päpstlichen Äußerungen immer<br />

im Kontext <strong>de</strong>r Gesellschaft, also <strong>de</strong>r zur Verwirklichung <strong>de</strong>s<br />

Gemeinwohls <strong>und</strong> <strong>de</strong>s darin eingeschlossenen Einzelwohls<br />

notwendigen Institution, gesehen wird, wird sie unmittelbar<br />

mit <strong>de</strong>m <strong>Recht</strong> auf Privateigentum verb<strong>und</strong>en. Diese Ver­<br />

mischung <strong>de</strong>r zwei Ordnungen (<strong>de</strong>r Werte <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Verwirkli­<br />

chung) führte in „Laborem exercens" sogar dazu, daß Johannes<br />

Paul II. <strong>de</strong>n entsprechen<strong>de</strong>n Thomastext in <strong>de</strong>r Weise auslegte,<br />

als ob Thomas unvermittelt die Person als <strong>Recht</strong>sträger von<br />

483


Exk. III Eigentum angesehen hätte. 43 Es ist nicht ausgeschlossen, daß<br />

in <strong>de</strong>r wesentlichen Verknüpfung von Person <strong>und</strong> Eigentum <strong>de</strong>r<br />

Einfluß von /. Locke wirksam war. Nachweislich hat das ratio­<br />

nalistische Naturrecht über L. Taparelli d'Azeglio SJ Eingang in<br />

die katholische Soziallehre gef<strong>und</strong>en.<br />

Durch <strong>de</strong>n Nachweis <strong>de</strong>r privaten Eigentumsordnugn als <strong>de</strong>r<br />

einzigen <strong>de</strong>m Gemeinwohl gerecht wer<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Wirtschaftsord­<br />

nung erhält gemäß <strong>de</strong>r dargelegten thomasischen Doktrin die<br />

einzelne Person mit ihrer moralischen Verantwortung das<br />

<strong>Recht</strong> <strong>de</strong>r Priorität im wirtschaftlichen Han<strong>de</strong>ln vor aller Inter­<br />

vention vonseiten <strong>de</strong>r staatlichen Gewalt. Hier wird die strin-<br />

gent juristische Form <strong>de</strong>s Subsidiaritätsprinzips, wenn auch<br />

nicht ausdrücklich von Thomas so benannt, sichtbar.<br />

Zusammenfassung<br />

Vergleicht man die thomistische Konzeption <strong>de</strong>s Gemein­<br />

wohls mit <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r päpstlichen Verlautbarungen, dann fin<strong>de</strong>t<br />

man leicht die völlige doktrinäre Deckung bei<strong>de</strong>r. Das kann<br />

nicht verw<strong>und</strong>ern, da die ersten groß angelegten Staatsenzykli­<br />

ken wie auch die erste Sozialenzyklika (Rerum novarum) von<br />

einem überragen<strong>de</strong>n Kenner <strong>de</strong>r Werke <strong>de</strong>s hl. Thomas von<br />

Aquin verfaßt wur<strong>de</strong>n: Leo XIII. Da LeoXIII. die Gemeinwohl­<br />

frage im Hinblick auf <strong>de</strong>n Staat, <strong>und</strong> zwar auf die konkrete<br />

Situation im Auge hatte, steht selbstverständlich die Handlungs­<br />

ordnung im Vor<strong>de</strong>rgr<strong>und</strong> <strong>de</strong>s Blickfel<strong>de</strong>s. Dies je<strong>de</strong>nfalls <strong>de</strong>ut­<br />

lich in „Rerum novarum" hinsichtlich <strong>de</strong>r Eigentumsfrage.<br />

Dagegen lassen die staatsphilosophischen Enzykliken Leos<br />

XIII. die thomistische Systematik <strong>de</strong>utlicher hervortreten. Die<br />

Wertfülle <strong>de</strong>s Gemeinwohls, in <strong>de</strong>r auch die menschliche Person<br />

mit ihrer Freiheit <strong>und</strong> allen sittlichen Pflichten enthalten sind, ist<br />

in <strong>de</strong>n päpstlichen Texten in gleicher Weise <strong>de</strong>finiert wie bei<br />

Thomas von Aquin. Das gleiche gilt von <strong>de</strong>r Ableitung <strong>de</strong>s<br />

Gemeinwohls aus göttlicher Institution.<br />

Die Logik, <strong>de</strong>r Thomas folgt, zeigt <strong>de</strong>utlich die Spuren <strong>de</strong>s in<br />

seiner gesamten Theologie wirksamen Prinzips „gratia suppo-<br />

nit naturam" — die Gna<strong>de</strong> setzt die Natur voraus —. Wenn das<br />

484<br />

Vgl. meinen Kommentar zu „Laborem exercens" in: Ethische <strong>und</strong> soziale<br />

Existenz, Gesammelte Aufsätze aus Ethik <strong>und</strong> Sozialphilosophie, Inst. f.<br />

Gesellschaftswissenschaften Walberberg, Bonn 1983, 358 f.


natürliche Gemeinwohl, wie es sich aus <strong>de</strong>r menschlichen<br />

Natur ergibt, nicht alle sittlichen Werte in sich begreifen könnte,<br />

dann müßte man auch für das übernatürliche Gemeinwohl,<br />

nämlich das <strong>de</strong>r Kirche, eine merkliche Begrenzung in Betracht<br />

ziehen. Wie Pius XI. gesagt hat, ist die Kirche eine totalitäre<br />

Gesellschaft. Nichts, auch nicht das Personalste steht außerhalb<br />

<strong>de</strong>s Gemeinwohls dieser Gemeinschaft. Dieses Gemeinwohl ist<br />

die oberste <strong>und</strong> umfassendste Integrationsnorm <strong>de</strong>s menschli­<br />

chen Daseins. Jedwe<strong>de</strong> göttliche Berufung geht über die Kirche.<br />

Es gibt keine von <strong>de</strong>r Kirche getrennte Berufung. Diese gött­<br />

liche Berufung wen<strong>de</strong>t sich in <strong>de</strong>r Gna<strong>de</strong> zwar an <strong>de</strong>n einzelnen,<br />

aber stets an <strong>de</strong>n einzelnen, insofern er Glied <strong>de</strong>r Kirche ist, ge­<br />

nauso wie die Erlösung durch Christus die Erlösung <strong>de</strong>r<br />

Menschheit sein wollte <strong>und</strong> über diese <strong>de</strong>s einzelnen. Es kann<br />

also keiner erklären, er sei um seiner selbst willen erlöst. Gewiß,<br />

er mag es behaupten, aber nicht ohne zugleich an die an<strong>de</strong>ren<br />

zu <strong>de</strong>nken, die mit ihm „in corpore" erlöst wor<strong>de</strong>n sind. Tho­<br />

mas hat dies in <strong>de</strong>r Weise ausgedrückt, daß er erklärte, die Erlö­<br />

sung bezöge sich zunächst auf die Natur <strong>de</strong>s Menschen <strong>und</strong><br />

über sie auf das Individuum. Unverkennbar ist hier die Be<strong>de</strong>u­<br />

tung <strong>de</strong>s Gemeinwohls in <strong>de</strong>r gesamten Moral, sowohl in <strong>de</strong>r<br />

Natur wie in <strong>de</strong>r Übernatur. Der thomasische Gemeinwohlbe­<br />

griff ist somit auf jedwe<strong>de</strong> natürliche wie auch übernatürliche<br />

Gemeinschaft anwendbar. Das ist ein Zeichen seiner überra­<br />

gen<strong>de</strong>n systematischen Brauchbarkeit.<br />

Je<strong>de</strong> Gesellschaft hat ihr Gemeinwohl, ihre eigene personen­<br />

bezogene kollektive Wertordnung: die Ehe, die Familie, <strong>de</strong>r<br />

Staat <strong>und</strong> die Kirche.<br />

Die Handlungsordnung wird jeweils bestimmt entsprechend<br />

<strong>de</strong>r realen Ausstattung <strong>de</strong>r zum Gemeinwohl gehören<strong>de</strong>n Au­<br />

torität, an<strong>de</strong>rs in <strong>de</strong>r Ehe, an<strong>de</strong>rs in <strong>de</strong>r Familie, an<strong>de</strong>rs im Staat<br />

<strong>und</strong> an<strong>de</strong>rs in <strong>de</strong>r Kirche. Die besagte „Ausstattung" wird<br />

bestimmt entsprechend <strong>de</strong>m Wissen <strong>und</strong> <strong>de</strong>r realen Wirkkraft<br />

<strong>de</strong>s Trägers <strong>de</strong>r Autorität. Und entsprechend erhält auch das<br />

Subsidiaritätsprinzip seine eigene Spezialisierung.<br />

Überschaut man <strong>de</strong>n logischen Verlauf dieser Gemeinwohl­<br />

konzeption, dann kann man ihr das Prädikat einer perfekten,<br />

konsistenten Systematik nicht versagen. Darauf kommt es<br />

sowohl philosophisch wie theologisch an. Und danach sind<br />

auch die an<strong>de</strong>ren Konzeptionen zu beurteilen.<br />

485


) Das Gemeinwohl im Solidarismus von G. G<strong>und</strong>lach<br />

Der Thomismus beginnt die Gesellschaftslehre beim<br />

Gemeinwohl, das aus <strong>de</strong>r individual-sozialen Natur <strong>de</strong>s Men­<br />

schen folgt. Erst von hier aus wird die kausale, d. h. die Hand­<br />

lungsordnung angegangen. Der Solidarismus von G. G<strong>und</strong>lach<br />

beginnt bei <strong>de</strong>r han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>n Person, <strong>de</strong>ren Intention <strong>und</strong> Zielbe­<br />

stimmung. Die Person, die ihre Vollkommenheit erstrebt,<br />

erkennt ihre eigene Beschränktheit, ihre Hilfsbedürftigkeit. Sie<br />

braucht <strong>de</strong>n Mitmenschen, um jene Lücken auszufüllen, die bei<br />

isoliertem Han<strong>de</strong>ln immer bleiben wer<strong>de</strong>n. Von diesem kausa­<br />

len Ansatz aus ist alle Gesellschaftlichkeit <strong>und</strong> <strong>de</strong>mentspre­<br />

chend auch das Gemeinwohl zu sehen. Die Person ist „Quell<br />

<strong>und</strong> Ziel gesellschaftlichen Lebens". 44 Selbstverständlich ver­<br />

steht G. G<strong>und</strong>lach das Wollen <strong>de</strong>s Mensch nicht im Sinn von<br />

Willkür. Das Menschenbild, das er zugr<strong>und</strong>e legt, ist nicht das<br />

<strong>de</strong>s Utilitarismus. Vielmehr sieht er die Person in ihrer meta­<br />

physisch-naturhaften Ausrichtung auf das Lebensziel. Aber es<br />

ist immer die Einzelperson, die im Blickfeld steht, eben die Per­<br />

son, die han<strong>de</strong>lt. Aus <strong>de</strong>r Erkenntnis <strong>de</strong>r Ergänzungsbedürftig­<br />

keit vereinigen sich die Menschen zur Gesellschaft. Die Gesell­<br />

schaft kommt nur durch das solidarische Han<strong>de</strong>ln <strong>de</strong>r Personen<br />

zustan<strong>de</strong>. Das Soziale ist das „eine in <strong>de</strong>n Mehreren", „nicht zu­<br />

erst ihre (<strong>de</strong>r Person, A. F. U.) Integration in einem Ganzen, son­<br />

<strong>de</strong>rn ihre innerlich begrün<strong>de</strong>te, personale Ko-Existenz, nämlich<br />

das in <strong>de</strong>r endlich-unendlichen Intentionalität menschlicher<br />

Person begrün<strong>de</strong>te Zueinan<strong>de</strong>r <strong>und</strong> Gegenüber von Mehreren,<br />

das sie auf gegenseitige Mitteilung einstellt innerhalb <strong>de</strong>r durch<br />

das Menschsein (humanitas) <strong>und</strong> seine Wertfülle abgesteckten<br />

Dimension personaler Selbstverwirklichung". 45 Aus <strong>de</strong>r im<br />

Sein aller Menschen begrün<strong>de</strong>ten Ergänzungsbedürftigkeit<br />

ergibt sich somit die personale Koexistenz <strong>und</strong> daraus die Not­<br />

wendigkeit einer Organisation <strong>de</strong>r Gesellschaft auf die Person<br />

hin. Der innere Aufbau <strong>de</strong>r menschlichen Gesellschaftlichkeit<br />

von <strong>de</strong>r Person her <strong>und</strong> auf die Person hin, mit an<strong>de</strong>ren Worten:<br />

die gesellschaftlich verwirklichbare Wertwelt <strong>de</strong>r Person, wird<br />

als Gemeingut, die Verwirklichung <strong>de</strong>s Gemeinguts als<br />

Gemeinwohl bezeichnet. 46 Zusammenfassend erklärt<br />

G. G<strong>und</strong>lach, Staatslexikon, 6. Aufl. 3. Bd., Sp.737.<br />

G. G<strong>und</strong>lach, a. a.O., 7. Bd., Sp.342. Hervorhebung von mir.<br />

Vgl. G. G<strong>und</strong>lach, a. a. O., 3. Bd., Sp. 737.<br />

486


G. G<strong>und</strong>lach: „Die seins- <strong>und</strong> wertmäßige Begründung <strong>de</strong>s<br />

Gemeinwohls beruht auf <strong>de</strong>m inneren <strong>und</strong> äußeren Aufbau <strong>de</strong>r<br />

Gesellschaft. Das Gemeinwohl als Zustand ergibt sich also,<br />

wenn die Gesellschaft <strong>de</strong>r innerlich notwendigen For<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s<br />

Gemeinguts nach seiner dauern<strong>de</strong>n Verwirklichung im äuße­<br />

ren, organisierten <strong>und</strong> organisieren<strong>de</strong>n Aufbau <strong>de</strong>r menschli­<br />

chen Gesellschaftlichkeit entspricht. Wenn das Gesamt aller auf<br />

jene For<strong>de</strong>rung <strong>und</strong> ihre Erfüllung unmittelbar zielen<strong>de</strong>n orga­<br />

nisieren<strong>de</strong>n Einrichtungen <strong>und</strong> Maßnahmen betrachtet wird,<br />

erfaßt man das Gemeinwohl im Vollzug. Diese unmittelbare<br />

Begründung <strong>de</strong>s Gemeinwohls im inneren <strong>und</strong> äußeren Aufbau<br />

menschlicher Gesellschaftlichkeit hebt es <strong>de</strong>utlich <strong>und</strong> wesent­<br />

lich vom Privatwohl ab, ob man dies nun auf einzelne o<strong>de</strong>r auf<br />

Gruppen bezieht". 47<br />

Die Bemerkung, das Soziale sei nicht zuerst die Integration<br />

<strong>de</strong>r Person in einem Ganzen (vgl. zitierten Text), beweist, daß<br />

das „Gemeingut" nicht das Gleiche sein kann wie das „Gemein­<br />

wohl" in <strong>de</strong>r thomistischen Gemeinwohlkonzeption. Der<br />

Gedankengang, <strong>de</strong>n G. G<strong>und</strong>lach verfolgt, ist unter seiner Vor­<br />

aussetzung logisch. Die Personen erkennen in <strong>de</strong>r gesellschaftli­<br />

chen Organisation das Mittel, das allen zur eigenpersönlichen<br />

Vollkommenheit verhilft. Der Zweck <strong>de</strong>r gesellschaftlichen Ko­<br />

operation ist <strong>de</strong>mnach die Vervollkommnung eines je<strong>de</strong>n Ko­<br />

operieren<strong>de</strong>n. Dieser Zweck ist <strong>de</strong>r Selbstwert, um <strong>de</strong>ssentwil-<br />

len sich die Glie<strong>de</strong>r verb<strong>und</strong>en haben. Er ist aber nicht wie im<br />

thomistischen Denken die apriorische Norm, in <strong>de</strong>r die einzel­<br />

nen Personen Teile eines Ganzen sind. O. v. Nell-Breuning for­<br />

muliert diesen Gedankengang, in<strong>de</strong>m er erklärt, das Gemein­<br />

wohl sei „genau das, um <strong>de</strong>ssentwillen die einzelnen sich zu<br />

diesem Ganzen verb<strong>und</strong>en haben, mit an<strong>de</strong>ren Worten, <strong>de</strong>r<br />

Zweck o<strong>de</strong>r das Ziel, wozu o<strong>de</strong>r wofür das betreffen<strong>de</strong> gesell­<br />

schaftliche Gebil<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r Gemeinwesen besteht; das so verstan­<br />

<strong>de</strong>ne Gemeinwohl wird um seiner selbst willen erstrebt, ist ein­<br />

<strong>de</strong>utig ein Selbstwext. Manche sprechen, um <strong>de</strong>utlich zu<br />

machen, daß sie dies meinen, statt von Gemeinwohl von<br />

Gemeingut". 48 Der Selbstzweck <strong>de</strong>r Gesellschaft entsteht, wie<br />

4 7 A.a.O.,3.Bd., Sp.737. Vgl. auch die von A. Rauscher herausgegebenen zwei<br />

Bän<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Schriften G.G<strong>und</strong>lachs: Die Ordnung <strong>de</strong>r menschlichen Gesellschaft,<br />

Köln 1964.<br />

4 8 <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Freiheit, Gr<strong>und</strong>züge katholischer Soziallehre, Wien 1980,<br />

35.<br />

487


Exk. III man <strong>de</strong>utlich sieht, aus <strong>de</strong>m gemeinsamen Wollen, durch das<br />

sich die Gesellschaftsglie<strong>de</strong>r verbin<strong>de</strong>n. Diese kausale Sicht un­<br />

terschei<strong>de</strong>t sich gr<strong>und</strong>sätzlich von <strong>de</strong>r ethischen <strong>de</strong>r thomisti-<br />

schen Konzeption. Ethische Normen sind vor <strong>de</strong>m Wollen, sie<br />

bestimmen das Wollen o<strong>de</strong>r sollen es bestimmen. Der Selbst­<br />

zweck <strong>de</strong>r Gesellschaft ist aber bei v. Nell-Breuning, wenn man<br />

seine Ausführung logisch versteht, aus <strong>de</strong>r Sicht <strong>de</strong>r Personen<br />

ein Dienstwert. In <strong>de</strong>r Tat steht auch gemäß thomistischer Sicht<br />

die Gesellschaft im Dienst <strong>de</strong>r Personen, aber aufgr<strong>und</strong> einer<br />

ganz an<strong>de</strong>ren Logik. Die Gesellschaft hat hierbei ein eigenes<br />

ethisches Objekt (das Gemeinwohl als Wert), das im Hinblick<br />

auf die Personen nicht als Dienstwert bezeichnet wer<strong>de</strong>n kann,<br />

weil dieses Objekt zunächst eine Integrationsnorm <strong>de</strong>r Perso­<br />

nen darstellt <strong>und</strong> erst von hier aus auf die individuelle Absicht<br />

<strong>de</strong>r Person trifft. Wie bereits dargestellt, sprechen die kirchli­<br />

chen Verlautbarungen meistens im Sinn <strong>de</strong>r Gesellschaft als<br />

Organisation gemeinsamen menschlichen Han<strong>de</strong>lns. In dieser<br />

Hinsicht stimmt es, was O. v. Nell-Breuning<br />

4 9 sagt: „In kirchli­<br />

chen Verlautbarungen meint,Gemeinwohl' in <strong>de</strong>r Regel als ter-<br />

minus technicus <strong>de</strong>n Dienstwert <strong>und</strong> wird in diesem Sinn<br />

manchmal sogar eigens <strong>de</strong>finiert als <strong>de</strong>r Inbegriff alles <strong>de</strong>ssen,<br />

was an Vorbedingungen o<strong>de</strong>r Voraussetzungen erfüllt sein<br />

muß, damit <strong>de</strong>r einzelne durch Regen seiner eigenen Kräfte sein<br />

eigenes Wohl verwirklichen kann". Es stimmt aber nicht mehr,<br />

wenn O. v. Nell-Breuning fortfährt: „Den Dienstwert Gemein­<br />

wohl' meinen im allgemeinen auch die Autoren, die <strong>de</strong>m Or<strong>de</strong>n<br />

<strong>de</strong>r Gesellschaft Jesu angehören, während die Angehörigen <strong>de</strong>s<br />

Dominikaneror<strong>de</strong>ns, wenn sie von ,Gemeinwohl' sprechen,<br />

vorwiegend an das Gemeinwohl als Selbstwert <strong>de</strong>nken". 50 Ich<br />

weiß nicht, welche Dominikaner gemeint sind. Je<strong>de</strong>nfalls ist<br />

diese Interpretation <strong>de</strong>r kirchlichen Lehre nicht die authen­<br />

tische. Wenn man sich das über das Gemeinwohl <strong>de</strong>r Kirche<br />

Gesagte vor Augen hält, dann erkennt man unzweifelhaft, daß<br />

das Gemeinwohl ein vorgesellschaftlicher Wert ist, <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r<br />

ersten Intention Gottes eine Integrationsnorm <strong>de</strong>r Personen<br />

be<strong>de</strong>utet. Dies gilt nicht nur vom Gemeinwohl <strong>de</strong>r Kirche, son­<br />

<strong>de</strong>rn auch für alle in <strong>de</strong>r Natur <strong>de</strong>s Menschen gr<strong>und</strong>gelegten<br />

<strong>und</strong> aus ihr gefor<strong>de</strong>rten Gemeinschaften (Ehe, Familie, Staat).<br />

488<br />

A.a.O., 35f.<br />

A.a.O.,36.


Das hat mit Kollektivismus nichts zu tun, sofern man die Ana- Exk. III<br />

logie zur Kenntnis nimmt, die im Gemeinwohlbegriff liegt: pro­<br />

portionale Einglie<strong>de</strong>rung je<strong>de</strong>r Person in das Gesamt, wobei<br />

selbstverständlich die Personwür<strong>de</strong> eines je<strong>de</strong>n Glie<strong>de</strong>s ihre<br />

volle Achtung erfährt.<br />

Die kausal orientierte Definition <strong>de</strong>s Gemeinwohls als<br />

Gemeingut im angeführten Sinn, hat ihre eigene Be<strong>de</strong>utung, die<br />

bei aller Kritik nicht unterschätzt wer<strong>de</strong>n darf. Die thomistische<br />

Ganzheitssicht könnte leicht im Sinn <strong>de</strong>s objektiven Geistes<br />

Hegels verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n. Noch schlimmer wäre es, die Paral­<br />

lele zum Marxschen Totalitarismus herzustellen. Die thomi­<br />

stische Version entstammt <strong>de</strong>m Ordnungs<strong>de</strong>nken, die G<strong>und</strong>-<br />

lachsche dagegen <strong>de</strong>m rationalistischen Naturrecht wie ähnlich<br />

die Menschenrechtserklärung <strong>de</strong>r UNO. Die thomistische<br />

Denkweise muß an einem Punkt, nämlich dort, wo die Gesell­<br />

schaft als Leistungsgesellschaft gefaßt wer<strong>de</strong>n muß, in die indi­<br />

vidualistische, vom rationalistischen Naturrecht herkommen<strong>de</strong><br />

Konzeption einmün<strong>de</strong>n, aber nur aus praktischen, nicht theore­<br />

tischen Grün<strong>de</strong>n. Die Kirche kann für ihre Gemeinschaft nur im<br />

Sinn <strong>de</strong>r Ordnung <strong>de</strong>nken.<br />

Wie gezeigt wur<strong>de</strong>, ist auch in <strong>de</strong>r thomistischen Sicht die<br />

Gesellschaft als Organisation ein Dienstwert. Nur wird dieser<br />

Dienstwert nicht direkt auf das individuelle Wohl <strong>de</strong>s einzelnen<br />

ausgerichtet, son<strong>de</strong>rn zunächst auf die Integration <strong>de</strong>r Glie<strong>de</strong>r<br />

in die Gesamtwohlfahrt. Das Kind soll in <strong>de</strong>r Familie als Glied<br />

<strong>de</strong>r Familie glücklich sein, nicht einfach als Mensch im allgemei­<br />

nen. Die solidarische Hilfeleistung <strong>de</strong>r Bürger untereinan<strong>de</strong>r<br />

soll nicht nur aufgr<strong>und</strong> einer bilateralen Beziehung vor sich<br />

gehen, son<strong>de</strong>rn zuerst eine die gesamte Gemeinschaft materiell<br />

<strong>und</strong> geistig aufbauen<strong>de</strong> Tätigkeit sein, also nicht nur ein zwi­<br />

schenmenschlicher Solidarismus, son<strong>de</strong>rn ein Gemeinwohlsoli­<br />

darismus. Einzig dieser Solidarismus entspricht <strong>de</strong>r ethischen<br />

For<strong>de</strong>rung, von <strong>de</strong>r auch in <strong>de</strong>n kirchlichen Verlautbarungen die<br />

Re<strong>de</strong> ist, daß <strong>de</strong>r einzelne mit seinem gesamten sittlichen Leben<br />

einen Beitrag zum Gemeinwohl leisten soll.<br />

Nun wird das Gemeinwohl in <strong>de</strong>r Praxis weniger vonseiten<br />

<strong>de</strong>r Pflichten <strong>de</strong>s einzelnen zum Gesamt als vielmehr von seinen<br />

individuellen <strong>Recht</strong>en <strong>und</strong> in <strong>de</strong>r Folge vom Aufgabenbereich<br />

<strong>de</strong>r geseUschaftlichen Autorität aus betrachtet. Im Zentrum ste­<br />

hen die gesellschaftlichen Gememwohlmaßnahmen. Auf je<strong>de</strong>n<br />

Fall trifft dies für <strong>de</strong>n Staat zu, <strong>de</strong>r über das innere Leben <strong>de</strong>s<br />

489


Exk. III Menschen keine Kompetenz besitzt, <strong>de</strong>r vielmehr nur die äuße­<br />

ren Bedingungen zu schaffen hat, aufgr<strong>und</strong> <strong>de</strong>ren <strong>de</strong>r einzelne<br />

seine allseitige Vervollkommnung fin<strong>de</strong>n kann. Auf dieser<br />

Ebene brauchen sich darum die Vertreter verschie<strong>de</strong>ner<br />

Gemeinwohlkonzeptionen nicht darum zu streiten, welche<br />

Gemeinwohl<strong>de</strong>finition korrekter sei. In <strong>de</strong>r Praxis geht es um die<br />

Stimulierung <strong>de</strong>r Wirkkräfte, das sind die Menschen mit ihrem<br />

Verstand <strong>und</strong> freien Willen, jene Wesen, die ihr eigenes Ergän­<br />

zungsbedürfnis wahrnehmen <strong>und</strong> die Gesellschaft in dieser In­<br />

tention aufbauen. In <strong>de</strong>r Handlungsordnung individualisiert<br />

sich die Sozialethik. Sie erscheint beinahe nur noch wie ein<br />

Annex zur Individualethik. Darum re<strong>de</strong>t man auf dieser Ebene<br />

von <strong>de</strong>r „sozialen Belastung" <strong>de</strong>s Individuums, während es auf<br />

<strong>de</strong>r vor <strong>de</strong>r Handlung liegen<strong>de</strong>n Ebene <strong>de</strong>r natura humana nur<br />

<strong>de</strong>n Menschen gibt, <strong>de</strong>r zugleich sowohl individuelles wie sozia­<br />

les Wesen ist, nicht aber als Individuum sozial nur „belastet" ist.<br />

Die ganzheitliche Sicht ist darum aber nicht belanglos gewor­<br />

<strong>de</strong>n. Ohne Ordnungs<strong>de</strong>nken zerfällt das Gemeinwohl in die<br />

Summe <strong>de</strong>r Individualwohle. Das Ordnungs<strong>de</strong>nken setzt aber<br />

einen Ganzheitsbegriff voraus, von <strong>de</strong>m aus die Individuen<br />

eben nur Teilfunktion ausüben. Von dieser gr<strong>und</strong>sätzlichen<br />

Systematik aus dürfte man darum <strong>de</strong>r thomistischen These <strong>de</strong>n<br />

Vorzug geben. Inwieweit sich dieser Vorzug in <strong>de</strong>r praktischen<br />

Wohlfahrtsbestimmung auswirkt, soll später erörtert wer<strong>de</strong>n.<br />

Der Wan<strong>de</strong>l im Ansatz sozialethischen Denkens — vom tho­<br />

mistischen Ordnungs<strong>de</strong>nken zur individuellen Handlung — hat<br />

seinen geschichtlichen Hintergr<strong>und</strong>. Auf <strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r katho­<br />

lischen Soziallehre beginnt er bei Luigi Taparelli d'Azeglio SJ. hl<br />

Taparelli? 2 kannte die Werke von Thomas von Aquin kaum.<br />

Er hatte seine Ausbildung vor <strong>de</strong>m Eintritt in <strong>de</strong>n Jesuitenor<strong>de</strong>n<br />

auf <strong>de</strong>r Basis <strong>de</strong>s Eklektizismus <strong>und</strong> Sensismus empfangen. Er<br />

selbst bestätigte, daß er als Anregung nur nichtkatholische<br />

Handbücher in Hän<strong>de</strong>n gehabt habe. Marcel Thomann hat<br />

51 Saggio teoretico di diritto naturale appogiato sul fatto. 2 vol.,Palermo 1840/<br />

41, Prato 2 1883. Deutsche Ausg.: Versuch eines auf Erfahrung begrün<strong>de</strong>ten<br />

Naturrechts. Aus <strong>de</strong>m Italienischen übersetzt von Fridolin Schöttl <strong>und</strong> Carl<br />

Rinecker. 2 B<strong>de</strong>.,Regensburg 1845.<br />

5 2 Zu seinem Lebensbild <strong>und</strong> seinem Einfluß auf Gioachino Pecci, <strong>de</strong>n späteren<br />

Leo XIII., vgl. Helmut Sorgenfrei, Die geistesgeschichtlichen Hintergrün<strong>de</strong><br />

<strong>de</strong>r Sozialenzyklika „Rerum novarum" Papst Leos XIII. vom 15. Mai 1891.<br />

Sammlung Politeia Bd. XXV, Hei<strong>de</strong>lberg 1970, 116 ff.<br />

490


nachgewiesen, daß Taparelli <strong>de</strong>n Vertreter <strong>de</strong>s rationalistischen Exk. III<br />

<strong>und</strong> individualistischen Naturrechts Christian Wolff reichlich<br />

kopierte. 53 Im Vor<strong>de</strong>rgr<strong>und</strong> steht nicht mehr eine universelle<br />

Ordnung, son<strong>de</strong>rn das Individuum, die unabhängige mensch­<br />

liche Person mit ihren <strong>Recht</strong>en <strong>und</strong> Zielen. Der traditionelle Be­<br />

griff <strong>de</strong>s Gemeinwohls wird lediglich durch die Erklärung noch<br />

berücksichtigt, daß das Generelle <strong>de</strong>m Beson<strong>de</strong>ren gegenüber<br />

bevorzugt wer<strong>de</strong>n müsse. Die Ableitung <strong>de</strong>s Privateigentums<br />

als Mittel, die von Gott festgesetzte Güterordnung möglichst<br />

effizient zu gestalten, wird ersetzt durch <strong>de</strong>n Lockeschen<br />

Gedanken, daß die Person ihrem Wesen nach Eigentümerin sei.<br />

Mit dieser Zentrierung <strong>de</strong>r Ethik auf das Individuum sind die<br />

Weichen für die weitere Entwicklung <strong>de</strong>r katholischen Sozial­<br />

lehre gestellt. V! Cathrein SJ vertrat in seinem im Philosophi­<br />

schenjahrbuch 1892 erschienenen Artikel „Sozialethik o<strong>de</strong>rln-<br />

dividualethik" <strong>und</strong> in seinem zweibändigen Werk „Moralphilo­<br />

sophie" 54 die Ansicht, die Sozialethik sei nichts an<strong>de</strong>res als ein<br />

Annex <strong>de</strong>r Individualethik. Dies ist eine völlig konsequente<br />

Logik, wenn man vom Individuum als <strong>de</strong>m han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>n Subjekt<br />

aus nach <strong>de</strong>m Objekt <strong>de</strong>r sittlichen Handlung sucht. Im Vor<strong>de</strong>r­<br />

gr<strong>und</strong> steht hier das letzte Ziel, das je<strong>de</strong>r einzelne für sich<br />

erstrebt. Kann er es nicht allein erreichen, dann sucht er einen<br />

helfen<strong>de</strong>n Partner, <strong>de</strong>r sich in <strong>de</strong>r gleichen Situation befin<strong>de</strong>t.<br />

Und tatsächlich befin<strong>de</strong>n sich alle Menschen in <strong>de</strong>r gleichen<br />

Situation <strong>de</strong>r persönlichen Hilflosigkeit trotz ihrer moralischen<br />

Unabhängigkeit. So ergibt sich <strong>de</strong>r bilaterale Solidarismus als<br />

einzige Lösung <strong>de</strong>s Problems sozialer Fragen. Wer die Hilfe <strong>de</strong>s<br />

Mitmenschen in Anspruch nehmen will, muß seinerseits seine<br />

Hilfe <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>ren anbieten. Das Gemeinwohl kann dann nur<br />

noch in <strong>de</strong>n gemeinsam erstellten Bedingungen bestehen, auf­<br />

gr<strong>und</strong> <strong>de</strong>ren je<strong>de</strong>r einzelne durch persönliche Anstrengung sein<br />

Heil fin<strong>de</strong>t. Das alle verbin<strong>de</strong>n<strong>de</strong> <strong>und</strong> verpflichten<strong>de</strong> Gemein­<br />

wohl ist dann jener gemeinsame Wert, um <strong>de</strong>ssentwillen alle im<br />

Streben nach ihrem individuellen Ziel zusammenkommen, die<br />

Vervollkommnung aller, aber immer bezogen auf <strong>de</strong>n Ansatz,<br />

5 3 Marcel Thomann, Une source peu connue <strong>de</strong> l'Encyclopedie: L'influence <strong>de</strong><br />

Christian Wolff, Paris 1970; <strong>de</strong>n., Einführung zu: Christian Wolff, Jus gentium,<br />

Hil<strong>de</strong>sheim 1972; <strong>de</strong>n., Einführung zu Christian Wolff, Jus naturae,<br />

Hil<strong>de</strong>sheim 1972.<br />

5 4 6. Aufl., 1924, 159.<br />

491


Exk. III bei <strong>de</strong>m die Ethik begann, nämlich auf die verschie<strong>de</strong>nen ein­<br />

zelnen. Man muß, diesem Gedankengang G. G<strong>und</strong>lachs fol­<br />

gend, diesem Wert einen an<strong>de</strong>ren Namen geben als<br />

Gemeinwohl, nämlich Gemeingut, <strong>de</strong>nn „Wohl" ist immer<br />

etwas Subjektives <strong>und</strong> das Subjektive ist eben nicht gemeinsam.<br />

Geht man diesem Räsonnieren näher nach, dann stellt man<br />

dahinter ein nicht bewältigtes erkenntnistheoretisches Problem<br />

fest, nämlich die Frage nach etwas Gemeinsamem, das wohl<br />

gleich, aber zugleich verschie<strong>de</strong>n in allen ist, d. h. das Problem<br />

eines analog Gemeinsamen. Die Analogie <strong>de</strong>s Gemeinsamen<br />

<strong>und</strong> damit auch <strong>de</strong>s Gemeinwohls mußte Taparelli, <strong>de</strong>r entspre­<br />

chend seinen Informationsquellen <strong>de</strong>m rationalistisch-indivi­<br />

dualistischen Naturrecht verpflichtet war, völlig fremd bleiben.<br />

Immerhin ist <strong>de</strong>r alte Begriff <strong>de</strong>s Gemeinwohls immer noch<br />

gerettet im Begriff <strong>de</strong>r „sozialen Belastung". Taparelli <strong>und</strong> seine<br />

Gefolgsmänner wollten <strong>und</strong> konnten nicht eine Synthese <strong>de</strong>r<br />

alten Ordnungsphilosophie mit <strong>de</strong>r notwendig gewor<strong>de</strong>nen,<br />

unmittelbar auf die Praxis ausgerichteten sozialen Handlungs-<br />

lehre bieten. Das kirchliche Lehramt brauchte aber dringend<br />

eine solche praxisnahe Handlungslehre. Zur Zeit, da Taparelli<br />

von seinem Or<strong>de</strong>nsgeneral <strong>de</strong>n Auftrag erhielt, ein sozialphilo­<br />

sophisches Handbuch zu schreiben, lag <strong>de</strong>r Thomismus völlig<br />

am Bo<strong>de</strong>n. Erst unter <strong>de</strong>m Pontifikat Leos XIII. fand man <strong>de</strong>n<br />

Weg zu <strong>de</strong>n Werken von Thomas von Aquin zurück. Die päpstli­<br />

chen Verlautbarungen blieben zwar beim praxisnahen Ansatz,<br />

öffneten jedoch <strong>de</strong>n Weg für die Hereinholung <strong>de</strong>s thomisti-<br />

schen Ordnungs<strong>de</strong>nkens in ihre Lehre, was wohl <strong>de</strong>utlich<br />

genug durch die Analyse <strong>de</strong>r päpstlichen Verlautbarungen<br />

gezeigt wor<strong>de</strong>n ist. Das Fehlen <strong>de</strong>r Systematik dürfte <strong>de</strong>r Gr<strong>und</strong><br />

dafür sein, daß sich die Akzente in <strong>de</strong>n einzelnen Verlautbarun­<br />

gen so stark verschieben. Man braucht nur auf die Mitbestim­<br />

mungsfrage hinzuweisen. Wäre man <strong>de</strong>r thomistischen Syste­<br />

matik in <strong>de</strong>r Eigentumsfrage gefolgt, dann wäre man von selbst<br />

auf die Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s Unternehmers als <strong>de</strong>s Verwalters von<br />

privatem Eigentum zugunsten einer ges<strong>und</strong>en Produktionsord­<br />

nung gestoßen. Der Kritik, in <strong>de</strong>n päpstlichen Verlautbarungen<br />

fehlte die Behandlung <strong>de</strong>r Gr<strong>und</strong>sätze <strong>de</strong>s produktiven Prozes­<br />

ses, wäre vorgebeugt wor<strong>de</strong>n.<br />

492


c) Das Gemeinwohl hei Johannes Messner 55<br />

Johannes Messner, <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong> bisher behan<strong>de</strong>lten Gemein­<br />

wohlkonzeptionen sehr genau kannte, wollte mit Bedacht einen<br />

eigenen Weg gehen. Mit <strong>de</strong>m thomistischen Ordnungs<strong>de</strong>nken<br />

geht er zwar gr<strong>und</strong>sätzlich einig. Doch erscheint es ihm zu<br />

abstrakt <strong>und</strong> vor allem für das Verständnis <strong>de</strong>r Mo<strong>de</strong>rnen zu<br />

wenig empirisch. Daraus versteht sich seine Vorliebe für Tapa­<br />

relli, <strong>de</strong>r ausdrücklich seine Gemeinwohl<strong>de</strong>finition mit <strong>de</strong>m<br />

empirisch feststellbaren Wollen <strong>de</strong>s Individuums beginnt. Tapa­<br />

relli hat seine Darstellung <strong>de</strong>s Naturrechts als „auf <strong>de</strong>r Erfah­<br />

rung begrün<strong>de</strong>t" bezeichnet. Und sie war es auch in <strong>de</strong>r Tat.<br />

Messner beginnt ebenfalls mit <strong>de</strong>r Ergänzungsbedürftigkeit <strong>de</strong>s<br />

Menschen <strong>und</strong> leitet daraus <strong>de</strong>ssen soziale Komponente ab.<br />

Das Soziale möchte er aber nicht einfach als eine zusätzliche<br />

Qualität <strong>de</strong>r Person verstehen, wie dies im Gefolge von Tapa­<br />

relli geschehen ist. Man könnte nicht sagen, <strong>de</strong>r Mensch sei<br />

„auch" sozial <strong>und</strong> darum sozial belastet. Vielmehr sei <strong>de</strong>r<br />

Mensch ein sowohl individuelles wie soziales Wesen. „Sowohl<br />

das individuelle wie das gesellschaftliche Wesen <strong>de</strong>r Menschen­<br />

natur sind metaphysisch <strong>und</strong> ontologisch gleich ursprünglicher<br />

Art". 56 Das Soziale leitet Messner nun nicht wie <strong>de</strong>rThomismus<br />

aus <strong>de</strong>m Verhältnis von wesenhafter Natur <strong>und</strong> Individualität<br />

ab, vielmehr sucht er es auf empirischem Weg. Er fin<strong>de</strong>t dieses<br />

vor <strong>und</strong> über <strong>de</strong>m Individuum sich befin<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Soziale in <strong>de</strong>r<br />

Kultur. In seiner phänomenologischen Erklärung <strong>de</strong>s Sozialen<br />

folgt er Max Scheler, nach <strong>de</strong>m „es im Wesen einer endlichen<br />

Person hegt, Glied einer Sozialeinheit überhaupt zu sein" 57 Den<br />

Begriff <strong>de</strong>r Person fin<strong>de</strong>t Messner mit M. Scheler erst im Verb<strong>und</strong><br />

mit <strong>de</strong>r Sozialeinheit. Das Band, das die Sozialeinheit zusam­<br />

menhält, ist, wie gesagt, die Kultur, in die je<strong>de</strong>r Mensch hinein­<br />

gewachsen ist <strong>und</strong> ohne die er nicht Bestand hätte. Damit<br />

gelingt es Messner auf empirischem Weg, <strong>de</strong>n Begriff <strong>de</strong>r Ganz­<br />

heit, wie er bei Thomas von Aquin <strong>und</strong> in an<strong>de</strong>rer Form bei<br />

Hegel obenan steht, zurückzugewinnen. Die Familie, das Volk<br />

<strong>und</strong> <strong>de</strong>r Staat sind, wie Messner ausführt, geprägt durch ein eige-<br />

5 5 Ich kann mich hier kurz fassen unter Hinweis auf meine ausführlichen Darle­<br />

gungen in <strong>de</strong>m in Anm. 40 zitierten Artikel.<br />

5 6 Das Naturrecht. Innsbruck 1950, 163.<br />

5 7 Zitiert in „Das Naturrecht" 185.<br />

493


Exk. III nes kulturelles Milieu, das nicht erklärt wird durch die bloßen<br />

gegenseitigen Beziehungen <strong>de</strong>r einzelnen Glie<strong>de</strong>r.<br />

Trotz dieser entschlossenen Zuwendung zum altüberliefer­<br />

ten Ganzheits<strong>de</strong>nken fährt Messner in <strong>de</strong>r Sozialethik nicht in<br />

<strong>de</strong>r Betrachtung <strong>de</strong>s Gemeinsamen fort, son<strong>de</strong>rn richtet seinen<br />

Blick ganz auf die Handlung <strong>de</strong>s einzelnen, <strong>de</strong>r wegen seiner<br />

Ergänzungsbedürftigkeit auf die Kooperation mit <strong>de</strong>m Mit­<br />

menschen angewiesen ist, um sein Ziel zu erreichen. Das<br />

Gemeinwohl, das durch diese Kooperation erstellt wird, kann<br />

darum nur als Hilfe für <strong>de</strong>n einzelnen gedacht wer<strong>de</strong>n: „Das<br />

Gemeinwohl kann <strong>de</strong>mnach nur Hilfe (kursiv im Original,<br />

A. F. U.) für <strong>de</strong>n erwähnten Zweck sein". 58 Das Gemeinwohl<br />

hat, so sagt Messner 19 , <strong>de</strong>n Individuen, „ihren Interessen <strong>und</strong><br />

Wünschen zu dienen". Der individualistische Charakter <strong>de</strong>s<br />

Messnerschen Gemeinwohlbegriffes ist unleugbar. Messners<br />

Gedankengang mün<strong>de</strong>t somit ganz in die Konzeption G<strong>und</strong>­<br />

lachs ein, wonach das Gemeinwohl in <strong>de</strong>n Institutionen <strong>und</strong><br />

Bedingungen besteht, mittels <strong>de</strong>ren <strong>de</strong>r einzelne mit eigenem<br />

Tun seine individuelle Vervollkommnung fin<strong>de</strong>t. Man fragt sich<br />

natürlich, warum die markante Rückorientierung Messners am<br />

Ganzheits<strong>de</strong>nken <strong>de</strong>r Tradition keine Spuren in <strong>de</strong>r Gemein­<br />

wohlkonzeption hinterlassen hat. Dies scheint mit <strong>de</strong>m Kultur­<br />

begriff zusammenzuhängen, <strong>de</strong>nn dieser ist geschichtlicher<br />

Natur. Die Kultur ist gewor<strong>de</strong>n, durch die gesellschaftliche<br />

Tätigkeit aller geschaffen. Der Gedankengang muß darum not­<br />

wendigerweise zum Individuum zurückführen. Messner hat<br />

kausal begonnen, nämlich bei <strong>de</strong>r Ergänzungsbedürftigkeit <strong>de</strong>s<br />

Individuums im Hinblick auf die eigen-aktive Verwirklichung<br />

<strong>de</strong>r Vollkommenheit. Er kann dann schließlich das Gemeinwohl<br />

nur von diesem Blickpunkt aus sehen. Im übrigen behan<strong>de</strong>lt<br />

Messner das Gemeinwohl in seiner diesem Objekt ausschließlich<br />

gewidmeten Schrift 60 mit Blick einzig auf <strong>de</strong>n <strong>de</strong>mokratischen<br />

Staat. Hier muß sich naturgemäß die Einstellung auf das Indivi­<br />

duum beträchtlich verstärken.<br />

494<br />

Das Naturrecht, 190, vgl. auch 195.<br />

Das Naturrecht, 190.<br />

Das Gemeinwohl, I<strong>de</strong>e, Wirklichkeit, Aufgaben. Osnabrück 1968.


5. DIE ANWENDUNG DES GEMEINWOHLBEGRIFFS DER KATHOLISCHEN<br />

SOZIALLEHRE AUF DIE BESTIMMUNG DER WOHLFAHRT 61<br />

Soweit es sich um das Gemeinwohl im Staat, beson<strong>de</strong>rs im plu­<br />

ralistischen Staat han<strong>de</strong>lt, stimmen alle drei dargestellten Ver­<br />

sionen mehr o<strong>de</strong>r weniger überein. 62 Im staatlichen Bereich hat<br />

die private Initiative <strong>de</strong>n Vorrang. Der Staat kann das Glück sei­<br />

ner Bürger nicht bestimmen. Die staatliche Autorität sollte ein­<br />

zig die Grenzen erkennen können, die zur Wahrung <strong>de</strong>r<br />

menschlichen Wür<strong>de</strong> <strong>und</strong> <strong>de</strong>r existentiellen Integration aller in<br />

die Gesellschaft zu beachten sind. Aus dieser Erkenntnis soll sie<br />

die Rahmenbedingungen schaffen, damit je<strong>de</strong>r sein eigenes<br />

Glück schmie<strong>de</strong>n kann. Im weitestmöglichen Umfang ist die<br />

private Initiative zu schützen <strong>und</strong> auch zu stützen. Die Bedin­<br />

gungen, unter welchen je<strong>de</strong>r sein Glück fin<strong>de</strong>n soll, müssen ent­<br />

sprechend <strong>de</strong>m Gewicht, das <strong>de</strong>r Eigeninitiative zuerkannt<br />

wird, vielfach sein. Sie können nicht einfach als öffentliche Ein­<br />

richtungen verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n.<br />

Es läge bei dieser Sachlage nahe, das Gemeinwohl lediglich<br />

nach <strong>de</strong>n allgemeinen Voraussetzungen (<strong>de</strong>n wirtschafts- <strong>und</strong><br />

sozialpolitischen Einrichtungen) zu bestimmen, in <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r<br />

einzelne sein Wohl, d.h. sein Lebensziel zu verwirklichen<br />

imstan<strong>de</strong> ist. Doch muß beachtet wer<strong>de</strong>n, daß die Institutionen<br />

final bestimmt sind im Hinblick auf das subjektiv je verschie<strong>de</strong>­<br />

ne Wohl. In letzter Anlayse befin<strong>de</strong>n wir uns vor <strong>de</strong>m subjekti­<br />

ven Wohlbefin<strong>de</strong>n. Wir nähern uns daher <strong>de</strong>r individualisti­<br />

schen Sicht <strong>de</strong>r Pareto-Regel. Die Paretianer vermeinen aller­<br />

dings, das subjektive Glücks empfin<strong>de</strong>n wertfrei annehmen zu<br />

können. Dieser Sensualismus kann aber nicht ohne geheime<br />

Implikation einer Übereinstimmung in einem objektiven Sach­<br />

verhalt vom sensualistisch eingestellten Einzelnen bejaht wer­<br />

<strong>de</strong>n. Wer seinen Lebensstil in einer von Exzessen freien Lebens-<br />

61 Vgl. hierzu als Ergänzung Alfred Klose, Zur Gemeinwohlproblematik — Perspektiven<br />

einer gemeinwohlorientierten Politik aus <strong>de</strong>r Sicht christlicher Sozialethik,<br />

in: Anton Rauscher (Hrsg.), Selbstinteresse <strong>und</strong> Gemeinwohl, Berlin<br />

1985, 495-543.<br />

6 2 Der Unterschied macht sich dort bemerkbar, wo gesamtheitliche Interessen<br />

in gewissen Kontrast zum individualistisch gefaßten Eigenwohl treten, z.B.<br />

die sich aufopfern<strong>de</strong> vaterländische Gesinnung, Erhaltung <strong>de</strong>r Gesamtnatur,<br />

überhaupt Lebensraum <strong>de</strong>r Menschheit. Diese Probleme wer<strong>de</strong>n von <strong>de</strong>r<br />

thomistischen <strong>und</strong> in etwa auch von <strong>de</strong>r Messnerschen Sicht aus leichter<br />

angegangen.<br />

495


Exk. III haltung sieht, wür<strong>de</strong> sich für die Regel, je<strong>de</strong>r könne nach seiner<br />

Facon selig wer<strong>de</strong>n, nicht entschei<strong>de</strong>n, wenn seine nähere Um­<br />

gebung das Wohlergehen im Drogenrausch sähe. Als gesell­<br />

schaftliches Wesen kann <strong>de</strong>r einzelne sich nicht mit jedwe<strong>de</strong>r<br />

Regel gesellschaftlichen Zusammenseins abfin<strong>de</strong>n. In <strong>de</strong>m<br />

Augenblick, da man einen Sachverhalt auch nur methodolo­<br />

gisch verallgemeinert, verallgemeinert man etwas Objektives.<br />

Das subjektive Urteil <strong>de</strong>s einzelnen über sein Eigenwohl ist<br />

zwar zunächst nur für <strong>de</strong>n einzelnen ein Werturteil. Wenn man<br />

aber die verschie<strong>de</strong>nen subjektiven Werturteile zur allgemeinen<br />

Regel einer gemeinsamen Ordnung machen will, ist man genö­<br />

tigt, Friktionen innerhalb <strong>de</strong>r verschie<strong>de</strong>nen Werturteile aus­<br />

zuschließen. Dies kann man nur durch Zuhilfenahme eines all­<br />

gemeinen objektiven Nenners. An<strong>de</strong>rs wäre die Pareto-Regel<br />

eine n<strong>utz</strong>lose hypothetische Reißbrettübung, die in <strong>de</strong>r Wirk­<br />

lichkeit sinnlos wird. Auch ein Sensualist ist <strong>de</strong>r Ansicht, daß er<br />

sein eigenes Glück im Frie<strong>de</strong>n genießen möchte. Je<strong>de</strong> soziale<br />

Methodologie — <strong>und</strong> die Pareto-Regel ist eine solche - stößt in<br />

<strong>de</strong>r Wirklichkeit auf unüberwindliche Schwierigkeiten. Aus die­<br />

sem Gr<strong>und</strong> ist auch die Vorstellung einer nur methodologisch<br />

geordneten „offenen Gesellschaft" eine Utopie, die, wenn sie<br />

sich verwirklichen wür<strong>de</strong>, die Brutstätte von I<strong>de</strong>ologien<br />

wäre. 63 Im paretianischen Begriff <strong>de</strong>s Gemeinwohls verbirgt<br />

sich die Verallgemeinerung einer I<strong>de</strong>e von subjektivem Wohl.<br />

Man muß <strong>de</strong>mnach wenigstens in groben Umrissen wissen,<br />

was wesentlich zum menschlichen Wohl gehört, um eine Diver­<br />

sifizierung <strong>de</strong>r subjektiven Wohle zu akzeptieren. Die Pareto-<br />

Regel setzt stillschweigend voraus, daß das sensualistisch wahr­<br />

genommene Wohl <strong>de</strong>s einzelnen kein Störungsfaktor ist, d. h.<br />

sie rechnet mit <strong>de</strong>m ges<strong>und</strong>en Menschenverstand aller, die ihr<br />

Eigenwohl innerhalb <strong>de</strong>r Gesellschaft anstreben, es sei <strong>de</strong>nn, sie<br />

verstehe die Regel rein mathematisch, also nicht praktikabel.<br />

Um etwas für die soziale Wirklichkeit zu bieten, muß man sich<br />

vom Sensualismus lösen <strong>und</strong> nach objektiven, sogenannten<br />

„ges<strong>und</strong>en" Normen suchen. Was eine ges<strong>und</strong>e <strong>und</strong> was eine<br />

unges<strong>und</strong>e Lebensweise ist, kann <strong>de</strong>r Arzt entsprechend <strong>de</strong>n<br />

natürlichen Dispositionen <strong>de</strong>s menschlichen Körpers bestim-<br />

496<br />

Vgl. P.Trappe, Die elitären Machtgruppen in <strong>de</strong>r Gesellschaft — o<strong>de</strong>r: Über<br />

die Geschlossenheit <strong>de</strong>r offenen Gesellschaft, in: A. F. Utz, Hrsg., Die offene<br />

Gesellschaft <strong>und</strong> ihre I<strong>de</strong>ologien, Bonn 1986, 271—310.


men. Gleiches gilt auch für die Psyche, die ihrerseits ihre eige- Exk. III<br />

nen Gesetze hat. Der einzelne kann darum in <strong>de</strong>r Bestimmung<br />

„seines" Glückes über die naturhaften Dispositionen nicht hin­<br />

wegsehen. Da auch die Umwelt unser Glücksempfin<strong>de</strong>n beein-<br />

flußt, gehört auch sie zu <strong>de</strong>n Gesetzen, die <strong>de</strong>r einzelne in seiner<br />

Glücksbestimmung zu berücksichtigen hat, wenn er wirklich<br />

glücklich sein will. Je<strong>de</strong>r braucht zu seinem Glück auch eine<br />

zufrie<strong>de</strong>ne Gesellschaft. Für alle diese vielfältigen Normen, die<br />

nicht nur normativen, son<strong>de</strong>rn auch, <strong>und</strong> zwar zuerst kausalen<br />

Charakter haben, hat die katholische Soziallehre <strong>de</strong>n Sammel­<br />

begriff <strong>de</strong>r allen gemeinsamen natura humana. Über ihren<br />

Inhalt muß die Gesellschaft einen gewissen Konsens besitzen,<br />

damit jene Bedingungen erstellt wer<strong>de</strong>n können, gemäß <strong>de</strong>nen<br />

<strong>de</strong>r einzelne sein individuelles Glück erwirken kann. In <strong>de</strong>r<br />

mo<strong>de</strong>rnen Wohlfahrtsdiskussion wer<strong>de</strong>n die allgemeinen<br />

menschlichen Bedingungen unter <strong>de</strong>m Begriff <strong>de</strong>r „Lebensqua­<br />

lität" zusammengefaßt. Die Lebensqualität wird gemäß <strong>de</strong>r<br />

katholischen Soziallehre in erster Linie nach <strong>de</strong>n natürlichen<br />

Dispositionen, in zweiter Linie nach <strong>de</strong>n wirtschaftlichen <strong>und</strong><br />

sozialen Verhältnissen (<strong>de</strong>m allgemeinen Lebensstandard)<br />

bestimmt.<br />

Nun ist die pluralistische Demokratie mit ihrer Marktwirt­<br />

schaft nicht durch natürliche Normen, son<strong>de</strong>rn im wirtschaftli­<br />

chen Sektor durch die freie Konsumwahl, im sozialen <strong>und</strong> im<br />

politischen Sektor durch die freie Entscheidung <strong>de</strong>r Individuen<br />

bestimmt. Was hier Wohl aller ist, zerfällt darum in das Einzel­<br />

wohl <strong>de</strong>r vielen. Die <strong>de</strong>n Gesetzen <strong>de</strong>r menschlichen Natur fol­<br />

gen<strong>de</strong> normative Ordnung muß sich darum zunächst im Glücks­<br />

empfin<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r einzelnen verwurzeln, ehe sie gesellschaftlich<br />

wirksam wer<strong>de</strong>n kann. Wir befin<strong>de</strong>n uns damit genau bei <strong>de</strong>r<br />

Pareto-Regel, doch nicht in <strong>de</strong>m wertfreien Sinn, als ob <strong>de</strong>r Pro­<br />

zeß <strong>de</strong>r Wohlfahrtsbestimmung mit <strong>de</strong>r Addition individueller<br />

Wohlbefin<strong>de</strong>n ohne Zuhilfenahme eines universellen Sachver­<br />

haltes erledigt wäre. Daß <strong>de</strong>m nicht so ist, hat uns die Erfahrung<br />

mit <strong>de</strong>r Umwelt vor Augen geführt. Lange haben wir geglaubt,<br />

die Luft sei ein freies Gut, das keinen Preis hat. Wir haben sie im<br />

Sinn unseres subjektiven Wohlempfin<strong>de</strong>ns so lange ausgebeu­<br />

tet, bis wir im Smog lan<strong>de</strong>ten, <strong>de</strong>r unsere Lungen belästigt. Das<br />

Naturgesetz ist normativ, weil es das Gesetz <strong>de</strong>r realen Natur,<br />

einschließlich <strong>de</strong>r menschlichen Natur, ist. Die Dichotomie von<br />

Norm <strong>und</strong> Sein, die im Anschluß an Kant Max Weberfür die So-<br />

497


Exk. III zialwissenschaft proklamierte <strong>und</strong> die auch in <strong>de</strong>r Wertfreiheit<br />

<strong>de</strong>r Pareto-Regel steckt, hat nur hypothetisch-theoretische<br />

Be<strong>de</strong>utung. Die wertfreie Pareto-Kegel erfaßt nur einen Teil <strong>de</strong>r<br />

Wohlfahrtsökonomik, nämlich in pointieren<strong>de</strong>r Abstraktion<br />

<strong>de</strong>n Gesichtspunkt <strong>de</strong>r subjektiven Bestimmung <strong>de</strong>s Wohlbe­<br />

fin<strong>de</strong>ns. Das rein sensualistische Urteil über das eigene Glück<br />

ist aber sehr irrtumsträchtig. Es bedarf, wie gesagt, um zum sta­<br />

bilen Glücksempfin<strong>de</strong>n zu führen, <strong>de</strong>r objektiven Orientierung<br />

an <strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r natura humana liegen<strong>de</strong>n Gesetzmäßigkeiten. Die<br />

pluralistische Demokratie kann allerdings die Naturgesetze<br />

nicht in ihre Verfassung aufnehmen. Sie ist darum gera<strong>de</strong>zu ein<br />

Repräsentant <strong>de</strong>s Sensualismus im Sinn <strong>de</strong>r Pareto-Regel. Die<br />

Demokraten müssen es daher in Kauf nehmen, für die von<br />

ihnen begangenen Irrtümer in <strong>de</strong>r Wohlfahrtsbestimmung zu<br />

büßen. Momentan tun wir dies in beträchtlichem Maß für die<br />

falsche Wohlfahrtspolitik unserer Vorfahren.<br />

498


ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS<br />

1. Biblische Bücher<br />

Altes Testament<br />

Gn = Genesis Prd = Prediger<br />

Ex = Exodus (Ecclesiastes)<br />

Lv = Leviticus Hl = Hoheslied<br />

Nm = Numeri Weish = Weisheit<br />

Dt = Deuteronomium Sir = Sirach<br />

Jos = Josue (Ecclesiasticus^<br />

Ri = Richter Is = Isaias<br />

Rt = Ruth Jr = Jeremias<br />

1 Sam = 1. Samuel Klgl = Klagelie<strong>de</strong>r<br />

2 Sam = 2. Samuel Bar = Baruch<br />

lKg = 1. Könige Ez Ezechiel<br />

2 Kg = 2. Könige Dn = Daniel<br />

1 Chr = 1. Chronik Os Osee<br />

(Paralipomenon) Joel = Joel<br />

2 Chr = 2. Chronik Am Arnos<br />

Esr = Esdras Abd = Abdias<br />

Neh = Nehemias Jon = Jonas<br />

Tob = Tobias Mich Michäas<br />

Jdt = Judith Nah = Nahum<br />

Est = Esther Hab = Habakuk<br />

1 Makk = 1. Makkabäer Soph = Sophonias<br />

2Makk = 2. Makkabäer Agg = Aggäus<br />

Job = Job Zach = Zacharias<br />

Ps (Pss) = Psalm(en) Mal = Malachias<br />

Spr = Sprüche<br />

Neues Testament<br />

Mt = Matthäus-Evangelium 2 Tim = 2. Timotheusbrief<br />

Mk = Markus-Evangelium Tit = Titusbrief<br />

Lk = Lukas-Evangelium Phm = Philemonbrief<br />

Jo = Johannes-Evangelium Hebr = Hebräerbrief<br />

Apg = Apostelgeschichte Jak = Jakobusbrief<br />

Rom = Römerbrief 1 Petr = 1. Petrusbrief<br />

1 Kor = 1. Korintherbrief 2Petr = 2. Petrusbrief<br />

499


2 Kor = 2. Korintherbrief 1 Jo<br />

Gal = Galaterbrief 2Jo<br />

Eph = Epheserbrief 3 Jo<br />

Phil = Philipperbrief Jud<br />

Kol = Kolosserbrief Apk<br />

1 Thess = 1. Thessalonicherbrief<br />

2 Thess = 2. Thessalonicherbrief<br />

1 Tim = 1. Timotheusbrief<br />

= 1 .Johannesbrief<br />

= 2.Johannesbrief<br />

= 3. Johannesbrief<br />

= Judasbrief<br />

= Apokalypse <strong>de</strong>s<br />

2. Werke <strong>de</strong>s hl. Thomas v. Aquin<br />

Johannes (Geheime<br />

Offenbarung)<br />

(außer Summa theologica <strong>und</strong> Sentenzenkommentar)<br />

An = Quaestio disputata <strong>de</strong> anima<br />

In An = Expositio in libros Aristotelis <strong>de</strong> anima<br />

CG = Summa contra gentes<br />

CI = Contra impugnantes Dei cultum et religionem<br />

Col = Expositio in S. Pauli Apostoli epistolam ad Colossenses<br />

Cor = Expositio in S. Pauli Apostoli epistolam ad Corinthios<br />

CR = Contra pestiferam doctrinam retrahentium homines a<br />

religionis ingressu<br />

CTh = Compendium theologiae<br />

Decleg = De duobus praeceptis caritatis et <strong>de</strong>cem legis praeceptis<br />

Eph = Expositio in S. Pauli Apostoli epistolam ad Ephesios<br />

Eth = Expositio in <strong>de</strong>cem libros ethicorum Aristotelis ad Nicomachum<br />

Gal = Expositio in S. Pauli Apostoli epistolam ad Galatas<br />

Hb = Expositio in S. Pauli Apostoli epistolam ad Hebraeos<br />

Jo = Expositio in evangelium S.Joannis<br />

Job = Expositio in Job<br />

Mal = Quaestiones disputatae <strong>de</strong> malo<br />

Met = Commentaria in metaphysicam Aristotelis<br />

Mt = Expositio in evangelium S. Matthaei<br />

OrDom = Expositio <strong>de</strong>votissima orationis Dominicae<br />

Periherm = Expositio in libros Perihermeneias Aristotelis<br />

Phil = Expositio in S.Pauli Apostoli epistolam ad Philippenses<br />

Pol = Expositio in octo libros politicorum Aristotelis<br />

Pot = Quaestiones disputatae <strong>de</strong> potentia<br />

Ps = Expositio in psalmos Davidis<br />

PVS = De perfectione vitae spiritualis<br />

Qlb = Quodlibetum (Quaestiones quodlibetales)<br />

Resp <strong>de</strong> = Responsio <strong>de</strong> articulis<br />

RJ = De regimine Judaeorum ad ducissam Brabantiae<br />

Rom = Expositio in S.Pauli Apostoli epistolam ad Romanos<br />

Subst sep = De substantiis separatis<br />

Thess = Expositio in S.Pauli Apostoli epistolam ad Thessalonicenses<br />

500


Unit int = De unitate intellectus contra Averroistas<br />

Ver = Quaestiones disputatae <strong>de</strong> veritate<br />

Virt = Quaestio disputata <strong>de</strong> virtutibus in communi<br />

Virt card = Quaestio disputata <strong>de</strong> virtutibus cardinalibus<br />

3. Öfters zitierte Werke <strong>und</strong> Zeitschriften<br />

Ang = Angelicum, Rom<br />

ARSP = Archiv für <strong>Recht</strong>s- <strong>und</strong> Sozialphilosophie, Berlin<br />

BT = Bulletin thomiste, Kain<br />

CJC = Co<strong>de</strong>x Juris Canonici<br />

CSEL = Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum, ed.<br />

curis et impensis Aca<strong>de</strong>miae Litterarum Vindobonensis<br />

1866 sqq.<br />

CT = La ciencia tomista, Madrid<br />

DT = Deutsche Thomasausgabe<br />

DTF = Divus Thomas, Freiburg (Schw.)<br />

DTP = Divus Thomas, Piacenza<br />

DTW = Divus Thomas, Wien (II. Serie von JPST)<br />

ETL = Ephemeri<strong>de</strong>s Theologiae Lovanienses. Louvain 1923 sq.<br />

Frdb = Friedberg, Emil Albert: Corpus Juris Canonici. 2 B<strong>de</strong>.<br />

Leipzig 1879/1881<br />

Greg = Gregorianum, Rom<br />

JPST = Jahrbuch für Philosophie <strong>und</strong> spekulative Theologie,<br />

Pa<strong>de</strong>rborn<br />

KR = Paul(us) Krüger: Corpus Juris Civilis, II. Berlin 1888<br />

LThK = Lexikon für Theologie <strong>und</strong> Kirche. 2. Aufl. Hrsg. Doktor<br />

Michael Buchberger. Freiburg 1930 ff.<br />

Mansi = Mansi, Joannes Dominicus: Sacrorum Conciliorum<br />

Collectio, 53 B<strong>de</strong>. Paris 1893 ff.<br />

Med St = Mediaeval Studies. Hrsg. Pontifical Institute of Mediaeval<br />

Studies. Toronto (Canada) 1939ff.<br />

MG s. PG<br />

ML s. PL<br />

NO = Die Neue Ordnung, Hei<strong>de</strong>lberg bzw. Köln<br />

NS = The New Scholasticism, Washington<br />

PG = Migne, Patrologiae cursus completus, series Graeca<br />

PJ = Philosophisches Jahrbuch <strong>de</strong>r Görresgesellschaft, Fulda<br />

PL = Migne, Patrologiae cursus completus, series Latina<br />

RFN = Rivista di filosofia neoscolastica, Mailand<br />

RNP = Revue neoscolastique <strong>de</strong> philosophie, Louvain<br />

RP = Revue <strong>de</strong> philosophie, Paris<br />

RPL = Revue <strong>de</strong> philosophie <strong>de</strong> Louvain<br />

RSPT = Revue <strong>de</strong>s sciences philosophiques et theologiques, Kain<br />

RT = Revue thomiste, Paris<br />

501


RUO = Revue <strong>de</strong> l'Universite d'Ottawa (Canada)<br />

Sch = Scholastik, Freiburg<br />

Sol = Dionysiaca, Editio Solesmensis (1937)<br />

4. Sonstige Abkürzungen<br />

c = capitulum<br />

can = Canon<br />

Dig = Digest<br />

V = Vers (Bibelvers), gewöhnlich wer<strong>de</strong>n auch die Kapitelnummern<br />

angegeben, z.B. 3,4 = 3.Kap., 4.Vers<br />

502


LITERATURVERZEICHNIS<br />

Außer <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n Anmerkungen <strong>und</strong> im Kommentar zitierten Literatur<br />

wer<strong>de</strong>n nur die unmittelbar diesen Band betreffen<strong>de</strong>n Veröffentlichungen<br />

aufgeführt. Eine sehr gute thomistische Literaturschau bietet<br />

P. Wyser, Bibliographische Einführungen in das Studium <strong>de</strong>r Philosophie<br />

(hg. von I. M. Bochenski), H. 13/14 <strong>und</strong> 15/16. Bern 1950 <strong>und</strong><br />

1951. Vgl. auch A.F.Utz, Bibliographie <strong>de</strong>r Sozialethik.<br />

Alluntis F., Private Property and Natural Law. In: Studies in Philosophy<br />

and the History of Phiiosophy 2 (1963) 189-210.<br />

Alonso V. M., Explicacion <strong>de</strong>l <strong>de</strong>recho <strong>de</strong> <strong>de</strong>fensa segun Santo Tomas<br />

<strong>de</strong> Aquino. Sociologia y filosofia social. Buenos Aires 1938,213-246.<br />

Alphons von Liguori, Theologia Moralis. Editio Leon. Gau<strong>de</strong>.<br />

Antonia<strong>de</strong>s B., Entstehung <strong>und</strong> Verfassung <strong>de</strong>s Staates nach T. v. A.<br />

Tübingen 1889.<br />

D'Antonio F., II tirannicidio nel pensiero <strong>de</strong>ll'Aquinate. In: Annali di<br />

scienze politiche 12 (1939) 83-103.<br />

Arias G., La filosofia tomistica e l'economia politica. Milano 1934.<br />

Ashley M. A., Englische Wirtschaftsgeschichte. I. Das Mittelalter.<br />

Lpz. 1896.<br />

Baltermi A., II concetto di giustizia sociale negli scrittori cattolici<br />

mo<strong>de</strong>rni. (Diss.) Lugano 1939.<br />

Basler X., T. v. A. <strong>und</strong> die Begründung <strong>de</strong>r To<strong>de</strong>sstrafe. In: DTF 9<br />

(1931) 69-90, 173-202.<br />

Baumann J. J., Die Staatslehre <strong>de</strong>s hl. T. v. A. Lpz. 1873.<br />

— Die Staatslehre <strong>de</strong>s T. v. A. Ein Nachtrag. Lpz. 1909.<br />

Baumel J., Les lecons <strong>de</strong> Francisco <strong>de</strong> Vitoria sur les problemes <strong>de</strong> la<br />

colonisation et <strong>de</strong> la guerre. Edition critique avec traduction. Montpellier<br />

1936.<br />

Baxter I. F. G., Pour la justice. In: La Theologie chretienne et le droit.<br />

Archives <strong>de</strong> philosophie du droit 5 (1960) 133-155.<br />

Becker W. G., Die symptomatische Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s Naturrechts im<br />

Rahmen <strong>de</strong>s bürgerlichen <strong>Recht</strong>s. In: Archiv f. d. zivilistische Praxis<br />

150 (1948) 97-130.<br />

Belloc H., <strong>Recht</strong> auf Eigentum. 2. Aufl. Ölten 1958.<br />

Below G. v., Der Staat <strong>de</strong>s Mittelalters. Lpz. 1914.<br />

— Probleme <strong>de</strong>r Wirtschaftsgeschichte. Lpz. 1920.<br />

Ben<strong>de</strong>r L., OP, Philosophia iuris. Romae 1947.<br />

Benkert G. F., The thomistic conception of an international society.<br />

(Diss.) Washington 1942.<br />

503


Berg L., Der Mensch, Herr seiner <strong>Recht</strong>e. Die Metaphysik <strong>de</strong>r Gottebenbildlichkeit<br />

im Personsein <strong>de</strong>s Menschen hinsichtlich <strong>de</strong>r<br />

<strong>Recht</strong>sherrschaft nach T. v. A. (Diss.) Bensheim 1940.<br />

Bernheim E., Politische Begriffe <strong>de</strong>s Mittelalters im Lichte <strong>de</strong>r<br />

Anschauungen Augustins. In: Deutsche Zeitschr. f. Gesch.-Wissensch.<br />

N.F., I. Frbg. u. Lpz. 1897 1 ff.<br />

Besia<strong>de</strong> Th., La justice generale d'apres S. T. d'A. In: Melanges Thomistes<br />

(Biblioth. Thom. III), Kain 1923, 327-340.<br />

— L'ordre social. In: RSPT 13 (1924) 1-19.<br />

Betancur C, La i<strong>de</strong>a <strong>de</strong> justicia y la teoria imperativista <strong>de</strong>l <strong>de</strong>recho.<br />

In: Anuario <strong>de</strong> Filosofia <strong>de</strong>l Derecho 4 (1956) 93-124.<br />

Betschart I., Das Wesen <strong>de</strong>r Strafe. Untersuchungen über Sein <strong>und</strong><br />

Wert <strong>de</strong>r Strafe in phänomenologischer <strong>und</strong> aristotelisch-thomistischer<br />

Schau. (Diss.) Einsie<strong>de</strong>ln 1939.<br />

Beutter F., Die Eigentumsbegründung in <strong>de</strong>r Moraltheologie <strong>de</strong>s<br />

19.Jahrh<strong>und</strong>erts. Pa<strong>de</strong>rborn 1971.<br />

Beyer W. R., <strong>Recht</strong>sphilosophische Besinnung. Karlsruhe 1947.<br />

— <strong>Recht</strong> <strong>und</strong> <strong>Recht</strong>s-Ordnung. Eine Grenzziehung. Meisenheim/<br />

Glan 1951.<br />

Bie<strong>de</strong>rlack J., SJ, Zur Gesellschafts- <strong>und</strong> Wirtschaftslehre <strong>de</strong>s hl. T. In:<br />

Z. f. kathol. Theol. 20 (1896) 574-584.<br />

Bihlmeyer K. - Tüchle H., Kirchengeschichte, 2.Teil: Das Mittelalter.<br />

12. Aufl. 1948.<br />

Billuart C. R., OP, Summa S. Thomae hodiernis Aca<strong>de</strong>miarum moribus<br />

accomodata sive Cursus Theologiae iuxta mentem Divi<br />

Thomae. Lugduni 1864.<br />

Bo G., Ii pensiero di S. T. d'A. sull'origine <strong>de</strong>lla sovranitä. Roma 1931.<br />

Bouvier L., Le precepte <strong>de</strong> l'aumöne chez S. T. d'A. Montreal 1935.<br />

Brachthäuser W., OP, Gemeingut- o<strong>de</strong>r Gesetzesgerechtigkeit. Eine<br />

geschichtlich-systematische Untersuchung zur <strong>Gerechtigkeit</strong>slehre<br />

<strong>de</strong>s hl. T. v. A. (Diss.) Köln 1941.<br />

Bran<strong>de</strong>s B., Die Lehre von <strong>de</strong>r Strafe bei T. v. A. Düsseldorf 1908.<br />

Brants V., L'economie politique au moyen-äge. Louvain 1895.<br />

Brentano L., Zur Genealogie <strong>de</strong>r Angriffe auf das Eigentum. In:<br />

Archiv f. Sozialw. u. Sozialpolitik 19 (1904) 251-271.<br />

— Der wirtschaften<strong>de</strong> Mensch in <strong>de</strong>r Geschichte. Lpz. 1923.<br />

— Die wirtschaftlichen Lehren <strong>de</strong>s christlichen Altertums. Sitzungsbericht<br />

<strong>de</strong>r philos.-philol. Klasse <strong>de</strong>r k. bayr. Aka<strong>de</strong>mie <strong>de</strong>r Wissenschaften.<br />

Jhg. 1902. München 1903.<br />

Brey H., Hochscholastik <strong>und</strong> „Geist <strong>de</strong>s Kapitalismus". Lpz. 1927.<br />

Briere Y. <strong>de</strong> la, SJ, Un probleme <strong>de</strong> philosophie du droit: le principe<br />

<strong>de</strong>s nationales. In: RP 25 (1925) 113-129, 306-318.<br />

— Le droit <strong>de</strong> juste guerre. Tradition theologique, adaptations contemporaines.<br />

Paris 1938.<br />

Brodnitz G., Englische Wirtschaftsgeschichte. I. Jena 1918.<br />

Broglie G. <strong>de</strong>, Justice sociale" et „Bien commun". In: Doctor Communis<br />

25 (1972) 257-292.<br />

504


Bruck E. F., Kirchenväter <strong>und</strong> soziales Erbrecht. Wan<strong>de</strong>rungen religiöser<br />

I<strong>de</strong>en durch die <strong>Recht</strong>e <strong>de</strong>r östlichen <strong>und</strong> westlichen Welt.<br />

Berlin 1956.<br />

Brugger M., Schuld <strong>und</strong> Strafe. Ein philosophisch-theologischer Beitrag<br />

zum Strafproblem. (Diss.) Pa<strong>de</strong>rborn 1933.<br />

Brunner E., <strong>Gerechtigkeit</strong>. Zürich 1943.<br />

Bückers FL, Die biblische Lehre vom Eigentum. Bonn 1947.<br />

Bullon y Fernan<strong>de</strong>z E., El concepto <strong>de</strong> la soberania en la escuela<br />

juridica espanola <strong>de</strong>l siglo XVI. Madrid 1935.<br />

Calippe Ch., La <strong>de</strong>stination et l'usage <strong>de</strong>s biens naturels d'apres S. T.<br />

d'A. In: Annales <strong>de</strong> philos. chretienne 155 (1907) 151-187.<br />

— La fonetion sociale <strong>de</strong>s Pouvoirs publics d'apres S. T. d'A. Lyon<br />

1911.<br />

Calliess R.-P., Eigentum als Institution. Eine Untersuchung zur theologisch-anthropologischen<br />

Begründung <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s. München 1962.<br />

— Eigentum <strong>und</strong> Staat als Institution. In: Zeitschrift für evangelische<br />

Ethik 8 (1964) 365-368.<br />

Calvez J.TY., La propriete est-elle reactionnaire? In: Revue <strong>de</strong><br />

l'Action populaire 189 (1965) 661-673.<br />

Cappellazzi A., S. Tommaso et la schiavitü. Cremona 1900.<br />

Cardona C, La metafisica <strong>de</strong>l bien comün. Madrid 1966.<br />

Carlyle A. J., Le bien commun, la justice et la securite juridique dans la<br />

coneeption medievale du droit. In: Annuaire <strong>de</strong> l'Institut international<br />

<strong>de</strong> philosophie du droit et <strong>de</strong> sociologie juridique 3 (1938) 17-<br />

28.<br />

Carlyle R. W. <strong>und</strong> A. J., A History of Mediaeval Political Theory<br />

in the West. I-IV. London 1903/15.<br />

Carro V. D., La teologia y los teölogos-juristas espanoles ante la conquista<br />

<strong>de</strong> America. 2 B<strong>de</strong>. Madrid 1944. 2. A. Salamanca 1951.<br />

— Domingo <strong>de</strong> Soto y el <strong>de</strong>recho <strong>de</strong> gentes. Madrid 1930.115-189: El<br />

concepto <strong>de</strong> ley segun S. Tomas y las mo<strong>de</strong>rnas dictaturas y <strong>de</strong>mocracias.<br />

Cathrein V., SJ, Das jus gentium im römischen <strong>Recht</strong> <strong>und</strong> beim hl. T.<br />

v. A. In: PJ 2 (1889) 373-388.<br />

— Sozialethik o<strong>de</strong>r Individualethik. In: Philosophisches Jahrbuch<br />

(1892).<br />

— <strong>Recht</strong>, Naturrecht <strong>und</strong> positives <strong>Recht</strong>. 2. A. Frbg. 1909.<br />

— Die Gr<strong>und</strong>lage <strong>de</strong>s Völkerrechts. Frbg. 1918.<br />

— Moralphilosophie. 2 B<strong>de</strong>. 6. A. Lpz. 1924.<br />

Challaye F., Histoire <strong>de</strong> la propriete. 5. Aufl. Paris 1958.<br />

Charles J., Les i<strong>de</strong>es d'Aristote sur l'esclavage d'apres S. T. In: RP 32<br />

(1932) 251-265.<br />

Chenon E., Histoire generale du Droit francais public et prive <strong>de</strong>s origines<br />

ä 1815. 2 B<strong>de</strong>. Paris 1926 u. 1929.<br />

Chenu M.-D., Sufficiens. In: RSPT 22 (1933) 251-259.<br />

Chicca G., Ius: ars boni et aequi. In: RIFD 38 (1961) 457-473.<br />

505


Clemens R., Personnalite morale et personnalite juridique. Paris 1935.<br />

Clement L., Le „jus gentium". In: RUO 9/10 (1940) 100-124, 177-<br />

195.<br />

Clementinus a Vlissingen, De evolutione <strong>de</strong>finitionis iuris gentium.<br />

Studium historico-iuridicum <strong>de</strong> doctrina iuris gentium apud auctores<br />

classicos saec. XIV-XVIII. (Diss.) Rbmae 1940.<br />

Coing H., Die obersten Gr<strong>und</strong>sätze <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s. Hei<strong>de</strong>lberg 1947.<br />

— Neue Strömungen in <strong>de</strong>r nordamerikanischen <strong>Recht</strong>sphilosophie.<br />

In: ARSP 38 (1949/50) 536-576.<br />

Contzen H., Zur Würdigung <strong>de</strong>s Mittelalters mit beson<strong>de</strong>rer Berücksichtigung<br />

<strong>de</strong>r Staatslehre <strong>de</strong>s hl. T. v. A. Kassel 1870.<br />

— T. v. A. als volkswirtschaftlicher Schriftsteller. Lpz. 1861.<br />

— Geschichte <strong>de</strong>r volkswirtschaftlichen Literatur im Mittelalter. Lpz.<br />

1869.<br />

Costa-Rossetti J., SJ, Allgemeine Gr<strong>und</strong>lagen <strong>de</strong>r Nationalökonomie<br />

im Geiste <strong>de</strong>r Scholastik. Frbg. 1888.<br />

Couvreur G., Les pauvres ont-ils <strong>de</strong>s droits? Recherches sur le vol en<br />

cas d'extreme necessite <strong>de</strong>puis la Concordia <strong>de</strong> Gratien (1140)<br />

jusqu'ä Guillaume d'Auxerre (f 1231). Roma 1961.<br />

Cox J. F., A thomistic analysis of the social or<strong>de</strong>r. (Diss.) Washington<br />

1943.<br />

Crahai, La politique <strong>de</strong> S. T. d'A. Louvain 1896.<br />

Crane P. R., The Range of Social Justice. In: Review of Social Economy<br />

16 (1958) 89-108.<br />

Crofts R. A., The Common Good in the Political Theory of Thomas<br />

Aquinas. In: The Thomist 37 (1973) 155-173.<br />

Daniels D., Die Gemeinschaft bei Max Scheler <strong>und</strong> T. v. A. (Diss.)<br />

München 1926.<br />

Darbellay J., La regle juridique. Son fon<strong>de</strong>ment moral et social. (Diss.)<br />

St. Maurice 1945.<br />

— Le droit naturel et le droit positif <strong>de</strong> la societe politique. In: RT 46<br />

(1946) 540-571.<br />

Däubler W. - Sieling-Wen<strong>de</strong>ling U. - Welkoborsky H., Eigentum<br />

<strong>und</strong> <strong>Recht</strong>. Darmstadt 1976.<br />

Defourny M., Aristote. Theorie economique et politique social.<br />

Annales <strong>de</strong> l'Inst. Sup. <strong>de</strong> Philos. III (1914) 1-135.<br />

— Les theories monetaires <strong>de</strong> S. Thomas. Annales <strong>de</strong> droit et <strong>de</strong> sciences<br />

politiques (Louvain) 6 (1937-1938) 5-32.<br />

— Aristote. L'evolution sociale. Annales <strong>de</strong> l'Inst. Sup. <strong>de</strong> Philos. V<br />

(1924) 531-696.<br />

Defroidmont J., La science du droit positif. Paris 1933.<br />

Delos J. T., OP, Les buts du droit: bien commun, securite, justice. In:<br />

Annuaire <strong>de</strong> l'Institut international <strong>de</strong> philosophie du droit et <strong>de</strong><br />

sociologie juridique 3 (1938) 29-47.<br />

— Un <strong>de</strong>bat sur la personnalite morale <strong>de</strong>s societes. In: La vie intellectuelle<br />

9/53 (1937) 55-65.<br />

506


— Societe et personnalite morale. Chronique Sociale <strong>de</strong> France. Lyon<br />

1938.<br />

— Bien commun. Dictionnaire <strong>de</strong> Sociologie III. Paris 1936. 831-855.<br />

— S. T. d'A. Somme Theologique II-II 57-62. Traduction francaise<br />

par M. S. Gillet OP. Notes et appendices par J. Th. Delos OP. Paris<br />

1932.<br />

— Le probleme <strong>de</strong> civilisation. La nation. 2 B<strong>de</strong>. Montreal 1944.<br />

— La sociologie <strong>de</strong> S. T. et le fon<strong>de</strong>ment du droit international. In:<br />

Ang 22 (1945) 3-16.<br />

— Le probleme <strong>de</strong>s rapports du droit et <strong>de</strong> la morale. In: Archives <strong>de</strong><br />

Philosophie du droit 3 (1933) 84-111.<br />

— La notion juridique <strong>de</strong> la guerre. In: Em<strong>de</strong>s et Recherches (1945)<br />

143-160.<br />

— La societe internationale et les principes du droit public. 2. A. Paris<br />

1950.<br />

Del Vecchio G., Lehrbuch <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>sphilosophie. 2. A. Basel 1951.<br />

Demongeot M., La theorie du regime mixte chez S. T. d'A. (Diss.)<br />

Paris (1927).<br />

— Le meilleur regime politique <strong>de</strong> S. T. d'A. Paris 1928.<br />

Dempf A., Sacrum Imperium. Geschichts- <strong>und</strong> Staatsphilosophie <strong>de</strong>s<br />

M.-A. <strong>und</strong> <strong>de</strong>r politischen Renaissance. München 1929.<br />

— Christliche Staatsphilosophie in Spanien. Salzburg 1937.<br />

Demsey B., The Range of Social Justice. In: Social Or<strong>de</strong>r 7 (1957)<br />

20-25.<br />

Deploige S., Le conflit <strong>de</strong> la Morale et <strong>de</strong> la Sociologie. 3. A. Paris<br />

1927.<br />

— La Theorie thomiste <strong>de</strong> la propriete. In: RNP II (1895) 61-82, 163-<br />

175, 286-301.<br />

— S. T. et la famille. In: Annales <strong>de</strong> l'Inst. Sup. <strong>de</strong> Philos. V (1924)<br />

699-738.<br />

DiCarlo E., La filosofia giuridica e politica di S. T. d'A. Palermo 1945.<br />

Didiot J., S.Thomas, est-il socialiste? Paris 1900.<br />

Dietze G., In Defense of Property. Chicago 1963.<br />

Dognin P.-D., Das Eigentum <strong>und</strong> die mo<strong>de</strong>rnen Wirtschaftsstrukturen<br />

nach <strong>de</strong>r Lehre <strong>de</strong>s hl. Thomas von Aquin. In: NO 15 (1961)<br />

321-327, 422-430.<br />

— Economie, jugement distributif et usage commun <strong>de</strong>s biens. In:<br />

RSPT 46 (1962) 217-241.<br />

Doherty R. T., The Relation of the Individual to Society in the Light<br />

of Christian Principles as Expo<strong>und</strong>ed by the Angelic Doctor.<br />

Romae 1957.<br />

Dotres F. X., Santo Tomas y las leyes. Madrid 1932.<br />

Dougherty G. V., The moral basis of social or<strong>de</strong>r according to S. T.<br />

(Diss.) Washington 1941.<br />

Dutoit E., Liberte et bien commun. Lyon 1938.<br />

Dyckmans W., Das mittelalterliche Gemeinschafts<strong>de</strong>nken unter <strong>de</strong>m<br />

Gesichtspunkt <strong>de</strong>r Totalität. Pa<strong>de</strong>rborn 1937.<br />

507


Eigentumsordnung <strong>und</strong> katholische Soziallehre. Hrsg. v. Katholisch-Sozialen<br />

Institut <strong>de</strong>r Erzdiözese Köln. Köln 1970.<br />

En<strong>de</strong>mann W., Studien in <strong>de</strong>r romanisch-kanonistischen Wirtschafts<strong>und</strong><br />

<strong>Recht</strong>slehre. I-II. Berlin 1874-1883.<br />

— Die nationalökonomischen Gr<strong>und</strong>sätze <strong>de</strong>r kanonischen Lehre.<br />

Jena 1863.<br />

En<strong>de</strong>rs J. A., Thomas v. Aquin. In: Staatslexikon <strong>de</strong>r Görresges. Bd. V<br />

704 ff. Frbg. 1897.<br />

— Thomas v. Aquin. Mainz 1910.<br />

Eschmann I. Tn., OP, Der Begriff <strong>de</strong>r „Civitas" bei T. v. A. In:<br />

Catholica 3 (1934) 83-103.<br />

— A thomistic glossary on the principle of the preeminence of a common<br />

good. In: Med St 5 (1943) 126-165.<br />

— Bonum commune melius est quam bonum unius. Eine Studie über<br />

<strong>de</strong>n Wertvorrang <strong>de</strong>s Personalen bei T.v.A. In: Med St 6 (1944)<br />

62-120.<br />

— Studies on the notion of society in S. T. A. In: Med St 8 (1946) 1 -42,<br />

9 (1947) 19-55.<br />

— De societate in genere, quaestio philosophica scholastica. In: Ang<br />

11 (1934) 56-77, 214-227.<br />

— In Defense of Jacques Maritain. In: The Mo<strong>de</strong>rn Schoolman 22<br />

(1945) 193-208.<br />

Faidherbe A. J., OP, La justice distributive. Paris 1934.<br />

Farner K., Christentum <strong>und</strong> Eigentum bis T.v.A. Bern 1947.<br />

Farrell P. M., Sources of St.Thomas' Concept of Natural Law. In:<br />

The Thomist 20 (1957) 237-294.<br />

Farreil W., The natural moral law according to S.T. and Suarez.<br />

(Diss.) Boston 1930.<br />

Adler M. J., The theory of <strong>de</strong>mocracy. In: Thomist 3 (1941)<br />

397-449, 588-652; 4 (1942) 121-181, 286-354, 446-522; 6 (1943)<br />

49-118, 251-277, 367-407; 7 (1944) 80-131.<br />

Ferree W., The Act of Social Justice in the Philosophy of S. T. A. and in<br />

the Encyclicals of Pope Pius XI. (Diss.) Washington 1942. Neudruck:<br />

The Act of Social Justice. Washington 1951.<br />

Feugueray H. R., Essai sur les doctrines politiques <strong>de</strong> S.T. d'A. Paris<br />

1857.<br />

Frank J., Law and the Mo<strong>de</strong>rn Mind. 6. Aufl. London 1949.<br />

Friedmann W., An introduction to world politics. London 1951.<br />

Friel G. Q., Punishment in the philosophy of S.T.A. and among<br />

some primitive peoples. (Diss.) Washington 1939.<br />

Funk F. X., Über die ökonomischen Anschauungen <strong>de</strong>r mittelalterlichen<br />

Theologen. In: Z. f. Ges.-St. 25 (1869) 125ff.<br />

— Geschichte <strong>de</strong>s kirchlichen Zinsverbotes. Tübingen 1876.<br />

— Zins <strong>und</strong> Wucher. Tübingen 1878.<br />

Galan Gutierrez E., La filosofia politica <strong>de</strong> Santo Tomas <strong>de</strong> Aquino.<br />

Madrid 1945.<br />

508


Garnier H., De l'i<strong>de</strong>e du juste prix chez les theologiens et canonistes<br />

du moyen-äge. Paris 1900.<br />

Gayraud, L'antisemitisme <strong>de</strong> S.T.d'A. Paris 1896.<br />

Geiger W., <strong>Gerechtigkeit</strong>. In: Staatslexikon <strong>de</strong>r Görresgesellschaft,<br />

6. A. Bd. 3, 1959, 780-786.<br />

Gemmel J., SJ, Die Justitia in <strong>de</strong>r Lehre <strong>de</strong>s hl. T. In: Sch 12 (1937)<br />

204-228.<br />

Giers J., Zum Begriff <strong>de</strong>r justitia socialis. In: Münchener Theologische<br />

Zeitschrift 7 (1956) 61-74.<br />

— Die <strong>Gerechtigkeit</strong>slehre <strong>de</strong>s jungen Suarez. Edition <strong>und</strong> Untersuchung<br />

seiner römischen Vorlesungen De Iustitia et Iure. Freiburg<br />

i.Br. 1958.<br />

Gillet M. S., OP, Le Moral et le Social d'apres S. T. In: Melanges Thomistes<br />

(Biblioth. Thom. III), Kain 1923, 311-326.<br />

Gilson E., Mediaeval universalism and its present value. New York,<br />

London 1937.<br />

Girard E., Histoire <strong>de</strong> l'economie sociale jusqu'ä la fin du XVI me<br />

siecle. Paris 1900.<br />

Gmür H., T.v.A. <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Krieg. Lpz. 1933.<br />

Goe<strong>de</strong>ckemeyer A., Die Staatslehre <strong>de</strong>s hl. T.v.A. In: Preuß. Jahrbücher<br />

1913 (1903) 348-419.<br />

Grabmann M., Die Kulturphilosophie <strong>de</strong>s hl. T. v. A. Augsburg 1925.<br />

— Das Naturrecht <strong>de</strong>r Scholastik von Gratian bis T.v.A. Mittelalterl.<br />

Geistesleben. 2 B<strong>de</strong>. München 1926/1936.<br />

Graf Th., De subjecto psychico gratiae et virtutum sec. doctrinam<br />

scholasticorum usque ad medium saeculum XIV. Pars prima, De<br />

subjecto virtutum cardinalium. Roma 1935.<br />

Graneris G., Contributi tomistici alla filosofia <strong>de</strong>l diritto. Torino<br />

1945.<br />

Groner F., Der aristotelische Einfluß auf die Privateigentumslehre <strong>de</strong>s<br />

hl. Thomas von Aquin in <strong>de</strong>r Summa Theologica. In: Festschr. für<br />

W. Schöllgen. Düsseldorf 1964. 206-215.<br />

G<strong>und</strong>lach G., SJ, Solidarismus, Einzelmensch, Gemeinschaft. In:<br />

Greg 17 (1936) 269-295.<br />

— Gemeinwohl. In: Staatslexikon <strong>de</strong>r Görresgesellschaft, 6.A. Bd. 3,<br />

1959, 737-740.<br />

— Gesellschaft. In: Staatslexikon <strong>de</strong>r Görresgesellschaft, 6.A. Bd. 3,<br />

1959, 817-822, 842-844.<br />

— Sozialphilosophie. In: Staatslexikon <strong>de</strong>r Görresgesellschaft, 6.A.<br />

Bd. 7, 1962, 337-346.<br />

— Die Ordnung <strong>de</strong>r menschlichen Gesellschaft. 2 B<strong>de</strong>. Köln 1964.<br />

Habermas J. - Luhmann N., Theorie <strong>de</strong>r Gesellschaft o<strong>de</strong>r Sozialtechnologie.<br />

Frankfurt a.M. 1971.<br />

Hagenauer S., Das iustum pretium bei T.v.A. Ein Beitrag zur<br />

Geschichte <strong>de</strong>r objektiven Werttheorie. Sttgt. 1931.<br />

Haring J. B., Der <strong>Recht</strong>s- <strong>und</strong> Gesetzesbegriff in <strong>de</strong>r katholischen<br />

Ethik <strong>und</strong> mo<strong>de</strong>rnen Jurispru<strong>de</strong>nz. Graz 1899.<br />

509


Hässle J., Das Arbeitsethos <strong>de</strong>r Kirche nach T. v. A. <strong>und</strong> Leo XIII.<br />

Frbg. 1923.<br />

Hauschild W.-D., Christentum <strong>und</strong> Eigentum. In: Zeitschrift für<br />

evangelische Ethik 16 (1972) 34-49.<br />

Healy P. J., Historie Christianity and the Social Question. In: The<br />

Catholic University Bulletin 17 (1911).<br />

Hearnshaw F. J. C, The social and political i<strong>de</strong>as of some great<br />

mediaeval thinkers. London 1924.<br />

Heck Ph., Begriffsbildung <strong>und</strong> Interessenjurispru<strong>de</strong>nz. Tübingen<br />

1932.<br />

Heinen W., Die justitia socialis. Düsseldorf 1935.<br />

Hering H., OP, De genuina notione justitiae generalis seu legalis juxta<br />

S.T. In: Ang 14 (1937) 464-487.<br />

— De iustitia legali. Frbg. (Schw.) 1944.<br />

Hertling G. v., Kleine Schriften zur Zeitgeschichte <strong>und</strong> Politik. Frbg.<br />

1987. 127-192.<br />

— Historische Beiträge zur Philosophie. München 1914. 70-96:<br />

T.v.A. <strong>und</strong> die Probleme <strong>de</strong>s Naturrechts.<br />

Heumanns Handlexikon zu <strong>de</strong>n Quellen <strong>de</strong>s römischen <strong>Recht</strong>s.<br />

9. Aufl. von E. Seckel, Jena 1914.<br />

Hey<strong>de</strong> P., Gedanken zur Eigentumsfrage. In: J. Doehring, Hrsg.,<br />

Gesellschaftspol. Realitäten. Gütersloh 1964. 47-70.<br />

Hieronimi G., Der Begriff <strong>de</strong>s Gemeinwohls in <strong>de</strong>r Lehre <strong>de</strong>s Solidarismus.<br />

In: Freiburger Zeitschrift für Philosophie <strong>und</strong> Theologie 12<br />

(1965) 413-425.<br />

Hilgenreiner K., Die Erwerbsarbeit in <strong>de</strong>n Werken <strong>de</strong>s hl. T.v.A.<br />

In: Katholik 1 (1901) 62ff.<br />

Hoban J. H., The thomistic Concept of Person. (Diss.) Washington<br />

1939.<br />

Höffner J., Soziale <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> soziale Liebe. Saarbrücken<br />

1935.<br />

— Wirtschaftsethik <strong>und</strong> Monopole im 15. <strong>und</strong> 16. Jahrh<strong>und</strong>ert. Jena<br />

1941.<br />

— Christentum <strong>und</strong> Menschenwür<strong>de</strong>. Das Anliegen <strong>de</strong>r spanischen<br />

Kolonialethik im gol<strong>de</strong>nen Zeitalter. Trier 1947.<br />

— Die Funktion <strong>de</strong>s Privateigentums in <strong>de</strong>r freien Welt. In: Wirtschaftsfragen<br />

<strong>de</strong>r freien Welt, Festschrift für Ludwig Erhard. Frankfurt<br />

1957.<br />

— Ein Bruch in <strong>de</strong>r christlichen Eigentumslehre? Vom jus gentium<br />

zum jus naturae. In: Spanische Forschungen <strong>de</strong>r Görresgesellschaft,<br />

1.Reihe: Gesammelte Aufsätze zur Kulturgeschichte Spaniens 19.<br />

Münster 1962. 281-290.<br />

Hohoff W., Die Wertlehre <strong>de</strong>s hl. T.v.A. In: Monatsschr. f. christliche<br />

Sozialreform XV (1893) H. 9 u. 10.<br />

Hoorth F., Bemerkungen zur „Staatslehre Leos XIII.". In: Sch 2<br />

(1927) 563-580.<br />

510


— Totalitätsfor<strong>de</strong>rung <strong>und</strong> Totalitätsgesetz. In: Seh 10 (1935) 321<br />

bis 339.<br />

Horväth A., OP, Eigentumsrecht nach <strong>de</strong>m hl.T.v.A. Graz 1929.<br />

Hugueny E., L'Etat et l'individu. In: Melanges Thomistes (Biblioth.<br />

Thom. III), Kain 1923, 341-360.<br />

Hutchins R., S.T. and the World State. Milwaukee 1949.<br />

Janet P., Histoire <strong>de</strong> la science politique dans ses rapports avec la<br />

morale. 3.A. Paris 1887.<br />

Jansen G., Money is sterile. S. T's principles applied to mo<strong>de</strong>rn economies.<br />

Oxford (o.J.).<br />

Janssen A., Doctrina S. Thomae <strong>de</strong> obligatione laborandi. In: ETL 1<br />

(1924) 355-368.<br />

Janssens E., La coutume, source formelle <strong>de</strong> droit d'apres S.T. et<br />

d'apres Suarez. In: RT 36 (1931) 681-726.<br />

Janssens L., Personne et societe. Gembloux 1939.<br />

Jarlot G., Propriete, droit naturel et bien commun: les pauvres ont-ils<br />

<strong>de</strong>s droits? In: Nouvelle Revue Theologique 85 (1963) 618-630.<br />

Jerusalem F. W., Kritik <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>swissenschaft. Frkf. 1948.<br />

La justice. In: Revue internationale <strong>de</strong> philosophie 11, 41 (1957).<br />

Kaczynski E., II „naturale dominium" <strong>de</strong>lla IIa Ilae, 66, 1, e le sue<br />

interpretazioni mo<strong>de</strong>rne. In: Ang 53 (1976) 453-477.<br />

Kaibach R., OFMCap, Das Gemeinwohl <strong>und</strong> seine ethische Be<strong>de</strong>utung.<br />

Düsseldorf 1928.<br />

Keesen, La mission <strong>de</strong> l'Etat d'apres la doctrine et la metho<strong>de</strong> <strong>de</strong><br />

S.T.d'A. Bruxelles 1890.<br />

Kelsen H., Reine <strong>Recht</strong>slehre. 2.A. Wien 1960.<br />

Killeen S. M., The Philosophy of labour in S.T. (Diss.) Washington<br />

1939.<br />

Kinkel J., Die sozialökonomischen Gr<strong>und</strong>lagen <strong>de</strong>r Staats- <strong>und</strong> Wirtschaftslehren<br />

von Aristoteles. Lpz. 1911.<br />

Kleckow M., Die <strong>Recht</strong>fertigung <strong>de</strong>s Eigentums <strong>und</strong> <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>sbegriff<br />

nach christlich-mittelalterlicher Auffassung unter beson<strong>de</strong>rer<br />

Berücksichtigung <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>s- <strong>und</strong> Soziallehre <strong>de</strong>s hl.T.v.A.<br />

Breslau 1939.<br />

Kleinhappl J., SJ, Die Lehre <strong>de</strong>s hl. T. v. A. über <strong>de</strong>n „valor commutativus"<br />

in <strong>de</strong>r Lectio IX seines Kommentars zur Nikomachischen<br />

Ethik. In: Zeitschr. f. kath. Theologie 62 (1935) 443-456.<br />

Klose A., Zur Gemeinwohlproblematik - Perspektiven einer gemeinwohlorientierten<br />

Politik aus <strong>de</strong>r Sicht christlicher Sozialethik. In:<br />

A.Rauscher, Hrsg., Selbstinteresse <strong>und</strong> Gemeinwohl, Berlin 1985,<br />

495-543.<br />

Klose A., Schambeck H., Weiler R., Hrsg., Das Neue Naturrecht.<br />

Die Erneuerung <strong>de</strong>r Naturrechtslehre durch Johannes Messner.<br />

Berlin 1985.<br />

Klüber F., Der Ort <strong>de</strong>s Privateigentums im System <strong>de</strong>s Naturrechts.<br />

In: NO 13 (1959) 81-97.<br />

511


— Eigentumstheorie <strong>und</strong> Eigentumspolitik. Begründung <strong>und</strong> Gestaltung<br />

<strong>de</strong>s Privateigentums nach katholischer Gesellschaftslehre.<br />

Osnabrück 1963.<br />

De Köninck Ch., In Defence of S.T. A Reply to Father Eschmann's<br />

Attack on the Primacy of the Common Good. In: Laval theologique<br />

et philosophique. 1, II (1945) 9-109.<br />

— De la Primaute du bien commun contre les personnalistes. Quebec,<br />

Montreal 1943.<br />

Kopp R., Vaterland <strong>und</strong> Vaterlandsliebe nach <strong>de</strong>r christlichen Moral<br />

mit beson<strong>de</strong>rer Berücksichtigung <strong>de</strong>s hl.T. v. A. (Diss.) Luzern<br />

1915.<br />

Korvin-Krasinski C. v., Gr<strong>und</strong>unterscheidungen im Naturrecht auf<br />

Eigentum. In: NO 17 (1963) 91-103.<br />

— Die Problematik <strong>de</strong>s Gemeinwohls auf Weltebene. In: NO 21<br />

(1967) 419-431.<br />

Kötzschke R., Allgemeine Wirtschaftsgeschichte <strong>de</strong>s Mittelalters. Jena<br />

1924.<br />

Kraus J. B., SJ, Scholastik, Puritanismus <strong>und</strong> Kapitalismus. München,<br />

Lpz. 1930.<br />

Kühle H., Staat <strong>und</strong> To<strong>de</strong>sstrafe. Münster 1934.<br />

Kuhlmann B. C, OP, Der Gesetzesbegriff beim hl. T. v. A. im Lichte<br />

<strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>sstudiums seiner Zeit. Bonn 1912.<br />

Kuhn F., Die Probleme <strong>de</strong>s Naturrechts bei T.v.A. Erlangen 1909.<br />

Kulischer J., Allgemeine Wirtschaftsgeschichte I (Das M.-A.). München<br />

1928.<br />

Küng E., Eigentum <strong>und</strong> Eigentumspolitik. Tübingen 1964.<br />

Kurz E., OFM, Individuum <strong>und</strong> Gemeinschaft beim hl. T. v. A. München<br />

1932.<br />

Lachance L., OP, L'humanisme politique <strong>de</strong> S.T. Individu et Etat.<br />

2 B<strong>de</strong>. Paris, Ottawa 1939.<br />

— La nation. In: Activites philosophiques (Montreal) (1945/1946) 81-<br />

104.<br />

— Le sujet du droit international. Madrid 1947.<br />

— Le concept <strong>de</strong> Droit selon Aristote et S.T. 2. A. Ottawa, Montreal<br />

1948.<br />

Lallement D., La doctrine politique <strong>de</strong> S.T.d'A. In: RP 27 (1927)<br />

353-379, 465-488; 29 (1929) 71-86.<br />

Lantz G., Eigentumsrecht - ein <strong>Recht</strong> o<strong>de</strong>r ein Unrecht? Uppsala<br />

1977.<br />

Larkin P., Property in the eighteenth Century. 1930.<br />

Lasars W., Die klassisch-utilitaristische Begründung <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>.<br />

Berlin 1982.<br />

Laski H. J., Grammar of Politics. 1941.<br />

Lauterpacht H., Recognition in International Law. Cambridge 1947.<br />

Lavaud B., OP, La philosophie du Bolchevisme. In: RT 37 (1932)<br />

599-633.<br />

512


— Le mariage en droit naturel selon T.d'A. In: Studia Gnesnensia 12<br />

(1935) 353-383.<br />

Laversin M. J., Droit naturel et droit positif d'apres S.T. In: RT 38<br />

(1933) 3-49, 177-216.<br />

Leclercq J., Lecons <strong>de</strong> droit naturel. I-IV. Louvain 1946-1950.<br />

Lefebvre Ch., La notion d'equite chez Pierre Lombard. In: Miscellanea<br />

Lombardiana. Novara 1957. 223-229.<br />

Le Foyer J., Expose du droit penal normand au XIIF siecle. Paris<br />

1931.<br />

Leisching P., Der Begriff <strong>de</strong>s bonum commune bei Thomas von<br />

Aquino. In: Oesterreichische Zeitschrift für öffentliches <strong>Recht</strong> 11<br />

(1960/61) 15-26.<br />

Lemmonyer A., Tonneau J. et Tron<strong>de</strong> R., Precis <strong>de</strong> sociologie. Marseille<br />

1934.<br />

Lener S., Ii „Diritto naturale appogiato sul fatto" <strong>de</strong>l P. Taparelli e<br />

l'antigiusnaturalismo contemporaneo. In: La Civiltä Cattolica<br />

114,4 (1963) 346-359, 594-607.<br />

Lenz J., Die Personwür<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Menschen bei T.v.A. In: PJ 49 (1936)<br />

138-166.<br />

Leon P., Doctrines sociales et politiques au Moyen-Age. In: Archives<br />

<strong>de</strong> philosophie du droit et <strong>de</strong> sociologie juridique (1932).<br />

Lessei K., Die Entwicklungsgeschichte <strong>de</strong>r kan.-schol. Wucherlehre<br />

im 13.Jh. Luxembg. 1905.<br />

Liberatore M., SJ, Ethicae et iuris naturae elementa. Napoli 1846.<br />

Linhardt R., Die Sozialprinzipien <strong>de</strong>s hl.T.v.A. Frbg. 1932.<br />

Lio E., II testo di S. Agostino „Justitia (est) in subveniendo miseris" in<br />

Pier Lombardo e nei suoi glossatori fino a S.Tommaso d'Aquino.<br />

In: Miscellanea Lombardiana. Novara 1957. 175-222.<br />

— De jure ut obiecto justitiae apud S.Thomam, II-II, q. 57, a. 1. In:<br />

Apollinaris 32 (1959) 16-71.<br />

Lipinski B., Divi Thomae <strong>de</strong> usu divitiarum doctrina. Frbg. (Schw.)<br />

1910.<br />

Lottin O., OSB, Le droit naturel chez S. T. d'A. et ses pre<strong>de</strong>cesseurs.<br />

2.A. Bruges 1931.<br />

— Psychologie et morale au XIF et XIIF siecles. II-III. Problemes <strong>de</strong><br />

morale. Louvain-Gembloux 1948/1949.<br />

Lumia G., La giustizia. Consi<strong>de</strong>razioni storico-critiche. In: RIFD 38<br />

(1961) 255-280.<br />

MacPherson C. B., ed., Property. Toronto 1978.<br />

Majdanski C, Le röle <strong>de</strong>s biens exterieurs dans la vie morale d'apres<br />

S.T.d'A. (Diss.) Vanves (Seine) 1951.<br />

Malagola A., Le teorie politiche di S. Tommaso d'Aquino. Bologna<br />

1912.<br />

Mandonnet P., OP, S.T. d'A. et les sciences sociales.In: RT 20 (1912)<br />

654-665.<br />

Manser G., OP, Die Frauenfrage nach T.v.A. Ölten 1919.<br />

— Der Staat. In: DTF 24 (1946) 45-79.<br />

513


— Die Individualnatur <strong>de</strong>s Menschen <strong>und</strong> ihre Sozialanlage. In: DTF<br />

18 (1940) 130-141.<br />

— Das Naturrecht in thomistischer Beleuchtung. Frbg. (Schw.) 1944.<br />

— Angewandtes Naturrecht. Frbg. (Schw.) 1947.<br />

Maritain J., Du regime temporel et <strong>de</strong> la liberte. Paris 1933.<br />

— La personne et le bien commun. Paris 1947.<br />

— Les droits <strong>de</strong> l'homme et la loi naturelle. 2. A. Paris 1945.<br />

— Christianisme et <strong>de</strong>mocratie. 2. A. Paris 1945. Übersetzung von F.<br />

Schmal: Christentum <strong>und</strong> Demokratie. Abendländische Reihe 11.<br />

Augsburg 1949.<br />

— Principes d'une politique humaniste. 2. A. Paris 1945.<br />

— The Person and the Common Good. Notre Dame/Ind. 1966.<br />

Martinez M. L., Distributive Justice according to S.T. In: The<br />

Mo<strong>de</strong>rn Schoolman 24 (1946/1947) 208-223.<br />

Martyniak C, Le fon<strong>de</strong>ment objectif du droit d'apres S. T. d'A. Paris<br />

1931.<br />

Mathis B., <strong>Recht</strong>spositivismus <strong>und</strong> Naturrecht. Pa<strong>de</strong>rborn 1933.<br />

Maurenbrecher M., Thomas v. Aquinos Stellung zum Wirtschaftsleben<br />

seiner Zeit. l.H. Lpz. 1898 (vgl. v. Hertlings Besprechung<br />

dieser Schrift in PJ, 1898, 456ff.).<br />

Mausbach J., Naturrecht <strong>und</strong> Völkerrecht. Frbg. 1918.<br />

Mayer E., Italienische Wirtschaftsgeschichte. 2 B<strong>de</strong>. Lpz. 1909. Frbg.<br />

1927.<br />

Mayer J., Gesetzliche Unfruchtbarmachung Geisteskranker. Frbg.<br />

1927.<br />

— Gemeinn<strong>utz</strong> vor Eigenn<strong>utz</strong>. In: Jb. <strong>de</strong>r Caritas-Wissenschaft (1935)<br />

185-197.<br />

McDonald W. J., Communism in E<strong>de</strong>n? In: NS 20 (1946) 101-125.<br />

— The social value of property according to S.T. A. (Diss.) Washington<br />

1939.<br />

McLaren D., Private property and the natural law. Oxford 1949.<br />

Menen<strong>de</strong>z-Reigada I., La teoria penalista <strong>de</strong> San Tomas. In: CT 64<br />

(1943) 273-292.<br />

Messner J., Sozialökonomik <strong>und</strong> Sozialethik. Pa<strong>de</strong>rborn 1927.<br />

— Das Naturrecht. Handbuch <strong>de</strong>r Gesellschaftsethik, Staatsethik <strong>und</strong><br />

Wirtschaftsethik. Innsbruck - Wien 1950. 5.A. 1966, 7.A. Berlin<br />

1984.<br />

— Das Gemeinwohl. Osnabrück 1968.<br />

Meyer Th., SJ, Institutiones juris naturalis seu philosophiae moralis<br />

universae sec<strong>und</strong>um principia S. Thomae Aquinatis. Pars I. Jus<br />

naturae generale. Frbg. 1885. Pars II. Jus naturae speciale. Frbg.<br />

1900.<br />

Michel S., La notion thomiste du bien commun. Quelques-unes <strong>de</strong> ses<br />

applications juridiques. Paris 1932.<br />

Miscellanea Taparelli. Analecta Gregoriana 133. Roma 1964.<br />

Mitteis H., Über das Naturrecht. Berlin 1948.<br />

514


Mod<strong>de</strong> A., Le bien commun dans la philosophie <strong>de</strong> S.T. In: RPL 47<br />

(1949) 221-247.<br />

Mongillo D., La struttura <strong>de</strong>l „De iustitia". Summa Theologiae II-II<br />

qq 57-122. In: Ang 48 (1971) 355-377.<br />

Monieon J. <strong>de</strong>, Petites notes autour <strong>de</strong> la famille et <strong>de</strong> la cite. In: Laval<br />

theologique et philosophique 3 (1947) 262-289.<br />

Mörsdorf K., Aequitas. In: Staatslexikon <strong>de</strong>r Görresgesellschaft,<br />

6.Aufl., Bd.I, 1957, 54-60.<br />

Mounier E., De la propriete capitaliste ä la propriete humaine. Paris<br />

1936. Deutsche Übersetzung: Vom kapitalistischen Eigentumsbegriff<br />

zum Eigentum <strong>de</strong>s Menschen. Luzern 1936.<br />

Muhfer E., Die I<strong>de</strong>e <strong>de</strong>s gerechten Lohnes. München 1924.<br />

Müller A., SJ, La Morale et les Affaires. Tournai, Paris 1951.<br />

Müller K., Die Arbeit nach <strong>de</strong>n moralisch-philos. Gr<strong>und</strong>sätzen <strong>de</strong>s hl.<br />

T.v.A. Frbg. (Schw.) 1912.<br />

— Der Staat in seinen Beziehungen zur sittlichen Ordnung bei T. v. A.<br />

Eine staatsphilosophische Untersuchung. Münster 1916.<br />

Muriel R., Trascen<strong>de</strong>ncia <strong>de</strong> la persona en el bien comün <strong>de</strong>l universo.<br />

In: Estudios Filosoficos 6 (1957) 231-243.<br />

Nawroth E., Ganzheitliches Gesellschaftsordnungs<strong>de</strong>nken. In: NO<br />

20 (1966) 401-416; 21 (1967) 16-31.<br />

Negro Fr., Das Eigentum. Geschichte <strong>und</strong> Zukunft. Berlin 1963.<br />

Nefl-Breuning O. v., SJ, Gr<strong>und</strong>züge <strong>de</strong>r Börsenmoral. Freiburg 1928.<br />

— Zins. In: Staatslexikon <strong>de</strong>r Görresgesellschaft, 5. Aufl., Bd. V, 1932,<br />

1600-1624.<br />

— Die Eigentumsfrage in neueren kirchenlehramtlichen Verlautbarungen.<br />

In: Trierer Theologische Zeitschrift 60 (1951) 31 ff.<br />

— Die Eigentumsfrage in <strong>de</strong>n Dokumenten <strong>de</strong>r katholischen Soziallehre.<br />

In: Stimmen <strong>de</strong>r Zeit 197 (1979) 347-349.<br />

— <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Freiheit. Wien 1980.<br />

— <strong>und</strong> Sacher H., Beiträge zu einem Wörterbuch <strong>de</strong>r Politik. H. 1-6.<br />

Frbg. 1947 ff.<br />

Nußbaumer A., Der hl. T. <strong>und</strong> die rechtliche Stellung <strong>de</strong>r Frau. In:<br />

DTF 11 (1933) 63-75, 138-156.<br />

O'Connor D. J., Aquinas and natural law. London 1967.<br />

Olgiati F.,Ii concetto di giuridicitä e S.T. d'A. 2. A. Milano 1944. 3. A.<br />

1951 (Neudruck).<br />

— Indagini e discussioni intorno al concetto di giuridicitä. Milano<br />

1944.<br />

Olivier-Martin Fr., Histoire du Droit Francais <strong>de</strong>s origines ä la Revolution.<br />

Montchrestien 1948.<br />

Orabona L., Cristianesimo e proprietä. Saggio sulle fonti antiche.<br />

Roma 1964.<br />

O'Rahilly A., S.T. on Credit. In: Irish Eccles. Record 64 (1928) 159-<br />

186.<br />

Orel A., Oeconomia perennis. 2 B<strong>de</strong>. Mainz 1930.<br />

Orlich A., L'uso <strong>de</strong>i beni nella morale di S.T. (Diss.) Monza 1913.<br />

515


Ostiguy R., De la nature du droit selon S.T. In: RUO 17 (1947) 69*-<br />

112*.<br />

Palacio J. M., Enchiridion sobre la propiedad. Concepto cristiano <strong>de</strong>l<br />

<strong>de</strong>recho <strong>de</strong> propiedad y <strong>de</strong>l uso <strong>de</strong> las riquezas. Madrid 1935.<br />

Parel A. - Flanagan Th., ed., Theories of property. Waterloo/Ont.<br />

1979.<br />

Passerin d'Entreves A., S.T.d'A. Scritti politici. Bologna 1946.<br />

Patrono A., II pensiero politico di S.T.d'A. Genova 1940.<br />

Paulus N., Die Wertung <strong>de</strong>r weltlichen Berufe im Mittelalter. In:<br />

Historisches Jahrbuch 32 (1911) 725 ff.<br />

Pegues T., La theorie du pouvoir d'apres S.T. In: RT 19 (1911) 591-<br />

616.<br />

Peläez A. G., Doctrina tomista sobre la tirania politica. In: CT 30<br />

(1924) 313-331.<br />

— Teoria <strong>de</strong> honor en la moral tomista. In: CT 31 (1925) 5-25.<br />

Perez B. A., En pos <strong>de</strong> la paz. Normas etico-juridicas que, segtin<br />

S. Tomas <strong>de</strong> Aquino y sus principales commentadores, <strong>de</strong>ben regulär<br />

la duraciön, ejercicio y terminaciön <strong>de</strong> la guerra. Lima 1928.<br />

Perez Garcia J., De principiis functionis socialis proprietatis privatae<br />

apud divum Thomam Aquinatem. (Diss. Frib.) Abulae 1924.<br />

Perticone G., In tema di diritto e giustizia. Milano 1961.<br />

Pesch H., SJ, Das Privateigentum als soziale Institution. 2. A. Frbg.<br />

1900.<br />

Petit Cl., Les enseignements juridiques et sociaux <strong>de</strong> S.T. In: Chron.<br />

soc. <strong>de</strong> France 33 (1924) 339ff., 426ff.<br />

La Pira G., Indirizzo e conquiste <strong>de</strong>lla filosofia neo-scolastica italiana.<br />

In: RFN 26 (1934) Suppl. 193-205.<br />

— Ii valore <strong>de</strong>üa persona. Milano 1947.<br />

Pöhlmann R., Geschichte <strong>de</strong>r sozialen Frage <strong>und</strong> <strong>de</strong>s Sozialismus in<br />

<strong>de</strong>r antiken Welt. 3.A. München 1925.<br />

II problema <strong>de</strong>lla giustizia. In: RIFD 39 (1962) 47-221.<br />

Prümmer D., Manuale Theologiae Moralis. 9. Aufl. Freiburg 1940.<br />

Quillet H. R., Doctrina socialis et politica divi Thomae Aquinatis.In:<br />

Rev. <strong>de</strong>s sciences eccles. 9 (1894) 340-355.<br />

Ramirez S., El <strong>de</strong>recho <strong>de</strong> gentes. Madrid 1955.<br />

— Pueblo y gobierno al servicio <strong>de</strong>l bien comün. Madrid 1956.<br />

Ratzinger G., Die Volkswirtschaft in ihren sittlichen Gr<strong>und</strong>lagen.<br />

2.A. Frbg. 1895.<br />

Rauscher A., Privater <strong>und</strong> sozialer Wohlstand. In: F. Groner, Hrsg.,<br />

Kirche im Wan<strong>de</strong>l <strong>de</strong>r Zeit, Köln 1971, 479-494.<br />

— (Hrsg.), Selbstinteresse <strong>und</strong> Gemeinwohl. Berlin 1985.<br />

Rawls J., Eine Theorie <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>. Frankfurt 1978.<br />

Renard R. G., OP, L'entreprise et sa finance. In: RSPT 25 (1936) 645-<br />

657.<br />

— La philosophie <strong>de</strong> l'institution. Essai d'ontologie juridique. I. Partie<br />

juridique. Paris 1939.<br />

— Droit romain et pensee chretienne. In: RSPT 27 (1938) 53-62.<br />

516


— et Trotabas L., La fonction sociale <strong>de</strong> la propriete privee. Paris<br />

1930.<br />

Renaudiere <strong>de</strong> Paulis D., La naturaleza <strong>de</strong>l <strong>de</strong>recho <strong>de</strong> gentes y la ley<br />

natural. In: Sapientia 13, 49 (1958) 219-223.<br />

Renz O., Die Synteresis nach <strong>de</strong>m hl. T. v. A. Beiträge X 1/2. Münster<br />

1911.<br />

— Die Lösung <strong>de</strong>r Arbeiterfrage durch die Macht <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s. Luzern<br />

1927.<br />

— Das Dienstverhältnis. Ein Beitrag zum Familienrecht <strong>und</strong> zur<br />

Arbeiterfrage. In: Xenia thomistica I 475-506.<br />

Riedl C, The social theory of S.T.A. Phila<strong>de</strong>lphia 1934.<br />

Robert M., Hierarchie necessaire <strong>de</strong>s fonctions economiques d'apres<br />

S.T.d'A. In: RT 21 (1913) 419-431.<br />

— La doctrine sociale <strong>de</strong> S.T. et sa realisation dans les faits. In: RT 20<br />

(1912) 49-65.<br />

Robillard J. A., Sur la Condition (status) en S.T. In: RSPT 25 (1926)<br />

104-107.<br />

Rocha M., Les origines <strong>de</strong> „Quadragesimo anno". Travail et salaire ä<br />

travers la scolastique. Paris 1933.<br />

Rohner A., OP, Naturrecht <strong>und</strong> positives <strong>Recht</strong>. In: DTF 12 (1934)<br />

59-83.<br />

Rolland-Gosselin B., La doctrine politique <strong>de</strong> S.T. Paris 1928.<br />

Rommen H., Der Staat in <strong>de</strong>r katholischen Gedankenwelt. Pa<strong>de</strong>rborn<br />

1935.<br />

— Die ewige Wie<strong>de</strong>rkehr <strong>de</strong>s Naturrechts. 2.A. München 1947.<br />

DeRooy P., OP, La nature <strong>de</strong> la Societe selon S.T. In: Ang 6 (1929)<br />

483-496.<br />

— Philosophia socialis. Rom 1937.<br />

Ryan J. A., Alleged Socialism of the Church Fathers. St. Louis 1913.<br />

Salleron L., Six etu<strong>de</strong>s sur la propriete collective. Paris 1964.<br />

Sandoz A., La notion <strong>de</strong> juste prix. In: RT 45 (1939) 285-305.<br />

Sauer W., Die <strong>Gerechtigkeit</strong>. Berlin 1959.<br />

Sauter J., Thomistische Gesellschaftslehre. In: Hdb. d. Staatswissenschaften.<br />

4.A. 1928. Bd. 8, 244ff.<br />

Schaller L., OP, Der <strong>Recht</strong>sformalismus Kelsens <strong>und</strong> die thomistische<br />

<strong>Recht</strong>sphilosophie. (Diss.) Frbg. (Schw.) 1949.<br />

Schaub F., Die Eigentumslehre nach T.v.A. <strong>und</strong> <strong>de</strong>m mo<strong>de</strong>rnen<br />

Sozialismus. Frbg. 1898.<br />

— Der Kampf gegen <strong>de</strong>n Zinswucher <strong>und</strong> unlauteren Han<strong>de</strong>l im M.-A.<br />

von Karl d. Gr. bis Papst Alexan<strong>de</strong>r III. Frbg. 1905.<br />

— Studien zur Geschichte <strong>de</strong>r Sklaverei im Frühmittelalter. Berlin-<br />

Lpz. 1913.<br />

Schaube A., Han<strong>de</strong>lsgeschichte <strong>de</strong>r romanischen Völker. München<br />

1906.<br />

Schäzler C. v., Divus Thomas contra Liberalismum. Rom 1874.<br />

Schickling H., Sinn <strong>und</strong> Grenze <strong>de</strong>s aristotelischen Satzes „Das<br />

Ganze ist vor <strong>de</strong>m Teil". München 1936.<br />

517


Schilling O., Reichtum <strong>und</strong> Eigentum in <strong>de</strong>r altkirchlichen Literatur.<br />

Frbg. 1908.<br />

— Das Völkerrecht nach T.v.A. Frbg. 1919.<br />

— Katholische Sozialethik. München 1929.<br />

— Die christliche Soziallehre. München (1926).<br />

— Der kirchliche Eigentumsbegriff. 2.A. Frbg. 1930.<br />

— Die Staats- <strong>und</strong> Soziallehre <strong>de</strong>s hl.T.v.A. 2.A. München 1930.<br />

— Christliche Gesellschaftslehre. Frbg. 1926.<br />

— Christliche Staatslehre <strong>und</strong> Politik. M.-Gladbach (1927).<br />

— Katholische Wirtschaftsethik. München 1933.<br />

— Christliche Gesellschaftslehre. Sozialistische o<strong>de</strong>r christliche Kultur?<br />

München 1949.<br />

— Christliche Sozial- <strong>und</strong> <strong>Recht</strong>sphilosophie. 2.A. München 1950.<br />

Schmölz F.-M., Der gesellschaftliche Mensch <strong>und</strong> die menschliche<br />

Gesellschaft bei Thomas von Aquin. In: NO 16 (1962) 328-335.<br />

Schneid M., Die Philosophie <strong>de</strong>s hl.T.v.A. <strong>und</strong> ihre Be<strong>de</strong>utung für<br />

die Gegenwart. Würzburg 1881.<br />

— Die Staatslehre <strong>de</strong>s hl.T.v.A. Hist.-Politische Blätter 77 (1876).<br />

Schnei<strong>de</strong>r C. M., Die sozialistische Staatsi<strong>de</strong>e, beleuchtet durch<br />

T.v.A. Pa<strong>de</strong>rborn 1894.<br />

Schnei<strong>de</strong>r F., Das kirchliche Zinsverbot <strong>und</strong> die kuriale Praxis im<br />

13.jh. In: Festgabe f. H. Finke. Münster 1904. 129ff.<br />

Schnürer G., Inquisition. In: LThK V, 1933, 419ff.<br />

Schreiber E., Die volkswirtschaftlichen Anschauungen <strong>de</strong>r Scholastik<br />

seit T.v.A. Jena 1913.<br />

Schreyvogel F., Ausgewählte Schriften zur Staats- <strong>und</strong> Wirtschaftslehre<br />

<strong>de</strong>s T.v.A. Jena 1923.<br />

Schulte K., Gemeinschaft <strong>und</strong> Wirtschaft im Denken <strong>de</strong>s T.v.A.<br />

Pa<strong>de</strong>rborn 1925.<br />

— Staat <strong>und</strong> Gesellschaft im Denken <strong>de</strong>s T.v.A. Pa<strong>de</strong>rborn 1927.<br />

Schumacher H., The social message of the New Testament. Milwaukee<br />

1937.<br />

Schuster J. B., SJ, Die Soziallehre nach Leo XIII. <strong>und</strong> Pius XI. Frbg.<br />

1935.<br />

Schwa<strong>de</strong>rlapp W., Eigentum <strong>und</strong> Arbeit bei Oswald von Nell-Breuning.<br />

Düsseldorf 1980.<br />

Schwalm B., OP, La societe et l'etat. Paris 1937.<br />

— Individualisme et solidarite. In: RT 6 (1898) 65-99.<br />

— La propriete d'apres la philosophie <strong>de</strong> S.T. d'A. In: RT 3 (1895)<br />

281-307, 634-660.<br />

Schwer W., Katholische Gesellschaftslehre. Pa<strong>de</strong>rborn 1928.<br />

Seipel I., Die wirtschaftsethischen Lehren <strong>de</strong>r Kirchenväter. Wien<br />

1907.<br />

Sertillanges A. D., OP, La philosophie morale <strong>de</strong> S.T.d'A. Paris<br />

1922.<br />

Simon Y., Trois lecons sur le travail. Paris 1938.<br />

— Nature and function of authority. Milwaukee/Wisc. 1940.<br />

518


Simone L. <strong>de</strong>, La giustizia secondo S.T. Saggio sulla 58* questione<br />

<strong>de</strong>lla Somma Teologica II-II". Napoli 1941.<br />

Sohm R., Institutionen. Geschichte <strong>und</strong> System <strong>de</strong>s römischen Privatrechtes.<br />

München, Lpz. 1919 16 .<br />

Sombart W., Der mo<strong>de</strong>rne Kapitalismus. 2 B<strong>de</strong>. 6. A. München 1924.<br />

Sommerlad Th., Das Wirtschaftsprogramm <strong>de</strong>r Kirche <strong>de</strong>s Mittelalters.<br />

Lpz. 1903.<br />

Sorgenfrei H., Die geistesgeschichtlichen Hintergrün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Sozialenzyklika<br />

„Rerum novarum" Papst Leos XIII. vom 15. Mai 1891.<br />

Hei<strong>de</strong>lberg 1970.<br />

Sousberghe L. <strong>de</strong>, SJ, Propriete „<strong>de</strong> droit naturel". These neo-scolastique<br />

et tradition scolastique. In: Nouvelle Revue Theologique 72<br />

(1950) 580-607.<br />

Spicq C, OP, L'aumone: Obligation <strong>de</strong> justice ou <strong>de</strong> charite? S.T.,<br />

Summa Theol. II-II q. 32 a. 5. In: Melanges Mandonnet 1,245-264.<br />

— Notes <strong>de</strong> lexicographie philosophique medievale: „Dominium,<br />

possessio, proprietas" chez S.T. et chez les juristes romains. In:<br />

RSPT 18 (1929) 269-281.<br />

— La notion analogique <strong>de</strong> „Dominium" et le droit <strong>de</strong> propriete. In:<br />

RSPT 20 (1931) 53-76.<br />

— Note <strong>de</strong> lexicographie philosophique medievale: „Potestas procurandi<br />

et dispensandi" (II-II q. 66 a. 2). In: RSPT 23 (1934) 82-93.<br />

Vgl. auch: Notes et Communications du BT 1 (1931-1933) 62*-<br />

68*.<br />

Spranger E., Zur Frage <strong>de</strong>s Naturrechts. In: Universitas 3 (1948) 405-<br />

420.<br />

Stammler R., Die Lehre vom richtigen <strong>Recht</strong>. 2.A. Lpz. 1922.<br />

— Lehrbuch <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>sphilosophie. 3.A. Berlin 1928.<br />

Stein E., Individuum <strong>und</strong> Gemeinschaft. In: Jb. f. Philos. <strong>und</strong> phaen.<br />

Forschung 5 (1922) 116-267.<br />

Stepa J., Le caractere total <strong>de</strong> l'Etat d'apres S.T. d'A. In: Studia Gnesnensia<br />

12 (1935) 439-442.<br />

Steuer G., Studien über die theoretischen Gr<strong>und</strong>lagen <strong>de</strong>r Zinslehre<br />

bei T.v.A. Stuttgart 1936.<br />

Stockums W., Die Unverän<strong>de</strong>rlichkeit <strong>de</strong>s natürlichen Sittengesetzes<br />

in <strong>de</strong>r scholastischen Ethik. Münster 1911.<br />

Sutherland A. E., The Law and One Man among Many. Madison<br />

1956.<br />

Sylvestre P. A., Le tout physique et le tout social. In: RUO 6 (1937)<br />

93-112.<br />

Tammelo J., Untersuchungen zum Wesen <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>snorm. Willsbach<br />

u. Hei<strong>de</strong>lbg. 1947.<br />

Taparelli A., SJ, Saggio teoretico di diritto naturale appogiato sul<br />

fatto. 2 vol. Palermo 1840/41. Deutsche Ausgabe: Versuch eines auf<br />

Erfahrung begrün<strong>de</strong>ten Naturrechts. 2 B<strong>de</strong>. Regensburg 1845.<br />

— Essai sur les principes philosophiques <strong>de</strong> l'economie politique. Paris<br />

1943.<br />

519


Thieme, K., Fö<strong>de</strong>ralismus <strong>und</strong> Subsidiaritätsprinzip. In: Politeia 1<br />

(1948/49) 11-18.<br />

Thomann M., Une source peu connue <strong>de</strong> l'Encyclopedie: L'influence<br />

<strong>de</strong> Christian Wolff. Paris 1970.<br />

— Einführung zu: Christian Wolff, Jus gentium, Hil<strong>de</strong>sheim 1972.<br />

— Einführung zu: Christian Wolff, Jus naturae, Hil<strong>de</strong>sheim 1972.<br />

Tischle<strong>de</strong>r P., Die Staatslehre Leos XILI. M.-Gladbach 1925.<br />

— Staatsgewalt <strong>und</strong> katholisches Gewissen. 1927.<br />

— Ursprung <strong>und</strong> Träger <strong>de</strong>r Staatsgewalt. M.-Gladbach 1923.<br />

— Die Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s Franziskus von Vittoria für die Wissenschaft <strong>de</strong>s<br />

Völkerrechts. In: Aus Ethik <strong>und</strong> Leben. Festgabe f. J. Mausbach.<br />

Hrsg. v. M. Meinerts <strong>und</strong> A. Don<strong>de</strong>rs. Münster 1931. 90-106.<br />

Tomberg V., Degeneration <strong>und</strong> Regeneration <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>swissenschaft.<br />

Bonn 1946.<br />

Tonneau J., OP, Propriete. In: Dict. Theol. Cath. XIII (1936) 757-<br />

846.<br />

Trappe P., Soziale Norm, Normalität <strong>und</strong> Wirklichkeit. In: P.<br />

Trappe, Kritischer Realismus in <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>ssoziologie. Wiesba<strong>de</strong>n<br />

1983, 67-84.<br />

— Die elitären Macht! <strong>de</strong>r Gesellschaft - o<strong>de</strong>r: Über die<br />

Geschlossenheit <strong>de</strong>r offenen Gesellschaft. In: A.F.Utz, Hrsg., Die<br />

offene Gesellschaft <strong>und</strong> ihre I<strong>de</strong>ologien, Bonn 1986, 271-310.<br />

Tremblay J. J., Le patriotisme. In: RUO 8 (1939) 73*-93*, 205*-<br />

229*.<br />

Truyol Serra A., Los principios <strong>de</strong> <strong>de</strong>recho püblico en Francisco <strong>de</strong><br />

Vitoria. Selecciön <strong>de</strong> textos, con introducciön y notas. Madrid<br />

1946. Deutsche Übersetzung von C. J. Keller-Senn: Truyol Serra<br />

A., Die Gr<strong>und</strong>sätze <strong>de</strong>s Staats- <strong>und</strong> Völkerrechts bei Francisco <strong>de</strong><br />

Vitoria. Auswahl <strong>de</strong>r Texte, Einführungen <strong>und</strong> Anmerkungen.<br />

Zürich 1947.<br />

U<strong>de</strong> J., Soziologie. Leitfa<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r natürlich-vernünftigen Gesellschafts<strong>und</strong><br />

Wirtschaftslehre im Sinne <strong>de</strong>r Lehre <strong>de</strong>s hl.T.v.A. Schaan<br />

1931.<br />

Utz A. F., OP, Freiheit <strong>und</strong> Bindung <strong>de</strong>s Eigentums. Hei<strong>de</strong>lberg 1949.<br />

— Die Krise im mo<strong>de</strong>rnen Naturrechts<strong>de</strong>nken. In: NO 5 (1951) 201-<br />

219.<br />

— Naturrecht im Wi<strong>de</strong>rstreit zum positiven Gesetz. In: NO 5 (1951)<br />

313-329.<br />

— Das Ordnungsgesetz in Wirtschaft <strong>und</strong> Staat. In: NO 3 (1949) 385-<br />

400.<br />

— Das <strong>Recht</strong> auf Arbeit. In: ARSP 38 (1950) 350-363.<br />

— Metaphysik <strong>de</strong>r Wirtschaft. In: Schweiz. R<strong>und</strong>schau 50 (1950) 449-<br />

456.<br />

- Der Beitrag <strong>de</strong>r kath. Soziallehre zur Gestaltung <strong>de</strong>r Gesellschaft.<br />

In: Civitas 6 (1951) 466-474.<br />

- Sozialethik, 3 B<strong>de</strong>. Hei<strong>de</strong>lberg 1958 ff.<br />

- Hrsg., Bibliographie <strong>de</strong>r Sozialethik. 11 B<strong>de</strong>. 1960-1980.<br />

520


— Ethik. Hei<strong>de</strong>lberg 1970.<br />

— Ethik <strong>und</strong> Politik. Gesammelte Aufsätze. Stuttgart 1970.<br />

— Ethische <strong>und</strong> soziale Existenz. Gesammelte Aufsätze aus Ethik <strong>und</strong><br />

Sozialphilosophie 1970-1983. Walberberg 1983.<br />

— Johannes Messners Konzeption <strong>de</strong>r Sozialphilosophie. In: A. Klose,<br />

H. Schambeck, R. Weiler, Hrsg., Das Neue Naturrecht, Berlin<br />

1985, 21-62.<br />

Galen B. Gr. v. - Hrsg., Die katholische Sozialdoktrin in ihrer<br />

geschichtlichen Entfaltung. Eine Sammlung päpstlicher Dokumente<br />

vom 15.Jahrh<strong>und</strong>ert bis in die Gegenwart. 4 B<strong>de</strong>. Aachen 1976.<br />

Groner J. F., Aufbau <strong>und</strong> Entfaltung <strong>de</strong>s gesellschaftlichen<br />

Lebens, Soziale Summe Pius' XII., 3 B<strong>de</strong>., Freiburg/Schweiz 1954/<br />

1961.<br />

Veit O., Die geistesgeschichtliche Situation <strong>de</strong>s Naturrechts. In:<br />

Merkur 1 (1947) 390-405.<br />

Verpaalen A. P., Der Begriff <strong>de</strong>s Gemeinwohls bei Thomas von<br />

Aquin. Hei<strong>de</strong>lberg 1954.<br />

Vialatoux J., Morale et politique. Paris 1931.<br />

— Philosophie economique. Paris 1944.<br />

Viance G., Preface ä une reforme <strong>de</strong> l'etat. Paris 1934.<br />

Vilmain J., Staatslehre <strong>de</strong>s T.v.A. im Lichte mo<strong>de</strong>rn-juristischer<br />

Staatsauffassung. Lpz. 1910.<br />

Francisco <strong>de</strong> Vitoria, OP, De Indis recenter inventis et <strong>de</strong> iure belli<br />

Hispanorum in Barbaros relectiones. Vorlesungen über die kürzlich<br />

ent<strong>de</strong>ckten In<strong>de</strong>r <strong>und</strong> das <strong>Recht</strong> <strong>de</strong>r Spanier zum Kriege gegen die<br />

Barbaren. Lateinischer Text nebst <strong>de</strong>utscher Übersetzung. Hrsg. v.<br />

W. Schätzel. Einleitung von P. Hadrossek. Tübingen 1952.<br />

— Relecciones teolögicas. Edicion critica por L. G. A. Getino. 3 B<strong>de</strong>.<br />

Madrid 1933-1936.<br />

— Comentarios a la Sec<strong>und</strong>a Sec<strong>und</strong>ae <strong>de</strong> S.T. Hrsg. v. V. Beiträn <strong>de</strong><br />

Heredia. 5 B<strong>de</strong>. Salamanca 1932-1935.<br />

Vives J., dEs la propiedad un robo? In: Estudios Eclesiästicos 52<br />

(1977) 591-626.<br />

Vonlanthen A., I<strong>de</strong>e <strong>und</strong> Entwicklung <strong>de</strong>r sozialen <strong>Gerechtigkeit</strong>.<br />

Freiburg 1973.<br />

Vykopal A., La dottrina <strong>de</strong>l „superfluo" in S.T. Brescia 1945.<br />

Wagner F., Das natürliche Sittengesetz nach <strong>de</strong>r Lehre <strong>de</strong>s hl. T. v. A.<br />

Frbg. 1911.<br />

Walter F., Das Eigentum nach <strong>de</strong>r Lehre <strong>de</strong>s hl. T. v. A. <strong>und</strong> <strong>de</strong>s Sozialismus.<br />

Frbg. 1895.<br />

— Thomas v. Aquino. In: Handwörterbuch <strong>de</strong>r Staatswissenschaften.<br />

4.A. Bd. 8. Jena 1928. 231-242.<br />

— Sozialpolitik <strong>und</strong> Moral. Frbg. 1899.<br />

Weber H. <strong>und</strong> Tischle<strong>de</strong>r P., Handbuch <strong>de</strong>r Sozialethik. I. Wirtschaftsethik.<br />

Essen 1931.<br />

Welty E., OP, Gemeinschaft <strong>und</strong> Einzelmensch. Eine sozialmetaphy-<br />

521


sische Untersuchung, bearbeitet nach <strong>de</strong>n Gr<strong>und</strong>sätzen <strong>de</strong>s hl.<br />

T.v.A. Salzburg 1935.<br />

— Die Leitungsnorm <strong>de</strong>r Gemeinschaft: das Gesetz. Ein Beitrag zur<br />

Frage: Gemeinschaft <strong>und</strong> Person. In: DTF21 (1943) 257-286, 386-<br />

411.<br />

— Die Entscheidung in die Zukunft. Gr<strong>und</strong>sätze <strong>und</strong> Hinweise zur<br />

Neuordnung im <strong>de</strong>utschen Lebensraum. Köln 1946.<br />

— Vom Sinn <strong>und</strong> Wert <strong>de</strong>r menschlichen Arbeit. Aus <strong>de</strong>r Gedankenwelt<br />

<strong>de</strong>s hl. T.v.A. Hei<strong>de</strong>lbg. 1946.<br />

— Wie <strong>de</strong>nkt die katholische Soziallehre über die Gr<strong>und</strong>rechte <strong>de</strong>s<br />

Menschen? In: NO 2 (1948) 5-26.<br />

— Her<strong>de</strong>rs Sozialkatechismus. 3 B<strong>de</strong>. Freiburg 1951/1953/1958.<br />

— <strong>Recht</strong> <strong>und</strong> Ordnung im Eigentum. Pa<strong>de</strong>rborn 1947.<br />

— Freiheit o<strong>de</strong>r Bindung <strong>de</strong>s wirtschaftlichen Tuns. In: NO 1 (1946/<br />

47) 321 ff.<br />

Wiegand H., Die Staatslehre <strong>de</strong>s hl.T.v.A. <strong>und</strong> ihre Be<strong>de</strong>utung für<br />

die Gegenwart. Berlin 1930.<br />

Winter E. K., Die Sozialmetaphysik <strong>de</strong>r Scholastik. Lpz. 1929.<br />

Witte F.-W., Die Staats- <strong>und</strong> <strong>Recht</strong>sphilosophie <strong>de</strong>s Hugo von<br />

St. Viktor. In: ARSP 43 (1957) 555-574.<br />

Wittmann M., Der Begriff <strong>de</strong>s Naturgesetzes bei T.v.A. In: Aus<br />

Ethik <strong>und</strong> Leben. Festschrift f. J. Mausbach. Münster 1931. 66-80.<br />

Wolf E., Das Problem <strong>de</strong>r Naturrechtslehre. Karlsruhe 1964.<br />

Wolfe M. J., The Problem of Solidarism in S. T. Washington 1938.<br />

Woroniecki H., Quaestio disputata <strong>de</strong> natione et statu civili. In: DTP<br />

3 (1926) 25-54.<br />

Wulf M. <strong>de</strong>, Les theories politiques du moyen-äge. In: RNP 26 (1924)<br />

249-266.<br />

— L'individu et le groupe dans la Scolastique du XILT siecle. In: RNP<br />

22 (1920) 341-357.<br />

Zeiller J., L'i<strong>de</strong>e <strong>de</strong> l'Etat dans S.T.d'A. Paris 1910.<br />

Zitarosa G., II diritto naturale da padre Taparelli d'Azeglio ad oggi.<br />

Napoli 1965.<br />

Zizak G., La giustizia e la legge. In: RIFD 33 (1956) 450-487.<br />

522


Adiaphoron 370<br />

aequabilitas 372<br />

Agrarsozialismus 351<br />

Alchimie 420<br />

Almosen 372<br />

ALPHABETISCHES SACHVERZEICHNIS<br />

— als Abschöpfung d Überflusses<br />

398<br />

Amor socialis 455<br />

Anathem 195<br />

Angeklagter<br />

— Aussagepflicht d - 454<br />

-u Kläger 132 133<br />

— Leugnung d Wahrheit 142-144<br />

— Lügen zulasten d Klägers 143<br />

— <strong>Recht</strong> auf Gegenüberstellung<br />

131<br />

— Sün<strong>de</strong>n gg d <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

142-149<br />

— Ungerechtigkeiten d - 407-408<br />

— Unrechte Mittel z Verteidigung<br />

144-146<br />

— Verpflichtung z Wahrheit 143<br />

— Wi<strong>de</strong>rstand d - 149 408<br />

Anklage 135<br />

-falsche 139-140<br />

— u Gemeinwohl 138<br />

-Pflicht zur - 134-136 407<br />

— schriftl Abfassung 136-137<br />

— unbedachte 137-139<br />

— ungerechte 134-141<br />

— Unterschied z Anzeige 407<br />

— gg Vorgesetze 135<br />

Ansehen d Person 79-86 325-326<br />

— u austeilen<strong>de</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong> 80<br />

— u Ehrerweisung 84-85<br />

— u Gericht 85-86<br />

— als Sün<strong>de</strong> 79-81<br />

— u Verleihung geistl Güter 81-<br />

83<br />

Anwalt<br />

— Ausschluß v Amt d - 161-163<br />

— Geld f <strong>Recht</strong>sbeistand 165-166<br />

— Pflicht d <strong>Recht</strong>sbeistands f<br />

Arme 159-161<br />

— f e ungerechte Sache 163-164<br />

— Ungerechtigkeiten d - 159-166<br />

409-410<br />

Anzeige 135 137 406<br />

Apostoliker, Apostelbrü<strong>de</strong>r 253<br />

Arbeit<br />

— u Eigentum 358 359<br />

— als Einkommensquelle 426<br />

— u Gewinn 422<br />

— als individuelle Leistung 359<br />

— u Kapital 400<br />

— u Preis 432<br />

— u Produktionsmittel 364<br />

— Wür<strong>de</strong> d - 459<br />

Arbeitsrecht 278<br />

Arbeitswertlehre 359<br />

Ärgernis 260<br />

Argwohn 46<br />

Arme<br />

— <strong>Recht</strong> auf Überfluss 387 388<br />

— <strong>Recht</strong>shilfe für - als Akt d<br />

Barmherzigkeit 160<br />

Armut<br />

— i AT 367<br />

Asylrecht, kirchl 337<br />

Aussage<br />

— indikative, imperative, Optative<br />

194<br />

Autonomie<br />

— u Gemeinwohl 481<br />

523


— d gesellschafd Ordnung 361<br />

362<br />

— d Person 463<br />

Autorität 306 458<br />

— u Gemeinwohl 449 476<br />

— u Gewissen 476<br />

— göttl - u Urgewissen 306<br />

— u Menschenrechte 450<br />

— u <strong>Recht</strong> 304 306<br />

— u <strong>Recht</strong>sprechung 44 51 52<br />

— staatl 291 449 476<br />

— d Vaters 348 349<br />

Barmherzigkeit 160 161 162 166<br />

315 350<br />

Beghinen 384<br />

Beichtgeheimnis 152 407<br />

Beruf 458<br />

Berufsständische Ordnung 361<br />

Berufswahlfreiheit 457<br />

Berufung 408<br />

— gerichtl 146-148<br />

Beschimpfung 66 168 169-171<br />

411<br />

Besitz 111-112 251-252 351<br />

— u natura humana 352<br />

— d Ungläubigen 404 405<br />

— s a Eigentum<br />

Güter<br />

Bestechung 145<br />

Betrug 58 200-222 416-423<br />

Beute 124<br />

Beweise v Gericht 129 135 137<br />

Billigkeit 50 293 319 320<br />

Bischof<br />

— als weltl Fürst 249-250<br />

Bo<strong>de</strong>n, Eigentumsrecht an - 398<br />

bona fi<strong>de</strong>s 292<br />

Das Böse mei<strong>de</strong>n 284 442 443<br />

— Gegensatz z Übertretung 228<br />

— als Teiltugend d <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

223-225<br />

Brü<strong>de</strong>rlichkeit 466<br />

Bürger 467 469 473 477<br />

524<br />

Caritas socialis 454 455<br />

Darlehen 424-442<br />

— u ausgleichen<strong>de</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

437<br />

— Definition 425<br />

— Gewinn aus - 214<br />

— u Kapitalgesellschaft 438<br />

-u Kredit 431<br />

-u Leistung 214 215-219<br />

— u <strong>Recht</strong> auf Rückgabe 439<br />

— u Schenkung 439<br />

— u Zins 220-222 439<br />

Darlehenszins 435-442<br />

— Definition 425<br />

— u Kapitalzins 441<br />

— Rückgabepflicht 441<br />

— als Sün<strong>de</strong> 259<br />

Darwinismus 276<br />

Demokratie<br />

— u Konsens 482<br />

— u Monarchie 312<br />

— u Naturrecht 278<br />

— pluralistische 469 497 498<br />

Dieb<br />

— <strong>Recht</strong> auf gestohlene Sache 254<br />

255<br />

Diebstahl 59 73 111-122<br />

-Definition 115-116 401<br />

— Entführung d Gattin kein - 254<br />

— Kin<strong>de</strong>sentführung ist - 254<br />

— aus Not 121-122 403<br />

— u Raub, Unterschied 116-117<br />

— als schwere Sün<strong>de</strong> 120-121<br />

— sittl Bewertung 401-405<br />

-als Sün<strong>de</strong> 118-119<br />

— Wie<strong>de</strong>rgutmachung bei - 248<br />

dominium (Herrschaft) 252<br />

Ehe 10 243 386-387 453 457 458<br />

483<br />

— s a Monogamie<br />

Polygamie<br />

Ehebruch 109 180 251


Ehescheidungsgesetze 306<br />

Eheschliessung, Dispens 83<br />

Ehrabschneidung 175-184 194<br />

198-199 412-413<br />

Ehre 85 168 169 170 258<br />

Ehrverlust 141 257<br />

Eid 221<br />

Eigentum<br />

— i AT 366<br />

— u Besitz 252<br />

— an Bo<strong>de</strong>n 356<br />

— u Familie 361<br />

— u Gemeinwohl 399<br />

— b d Kirchenvätern 241 242 369<br />

370 376 377<br />

— als Kollektiv- o<strong>de</strong>r Privat- 352<br />

— u natura humana 352<br />

— als Naturrecht 252 352 354-365<br />

394-397<br />

— <strong>Recht</strong> auf - 390 392 393 394-<br />

397 453<br />

— sittl-guter Gebrauch d - 255<br />

— soziale Bindung d - 355 398 399<br />

459<br />

— b Thomas 385-400<br />

— d Ungläubigen 124 255<br />

— u Verfügungsgewalt 399<br />

— u Wirtschaft 398-400<br />

— u Ziel d Güter 364<br />

— Zweck d - 398<br />

— s a Besitz<br />

Güter<br />

Eigentumserwerb<br />

— aus Arbeit 359 426<br />

— durch Besitznahme 426<br />

— durch Erbschaft 378<br />

— Grenzen d - 397<br />

— durch rechten Gebrauch 377<br />

388<br />

Eigentumslehre<br />

-d Aristoteles 239-241 242<br />

— aristotelisch-thomasische 242<br />

— d chrisd Tradition 365-385<br />

Eigentumsordnung<br />

— private 394 483<br />

— private - u Kapitalrendite 434<br />

— u Zins 424 425<br />

Eigentumsrecht 351-400<br />

Einkerkerung 107-108<br />

Einkommen<br />

-arbeitsloses 422 424 426 432<br />

433 434 437 438<br />

Einkommensbildung<br />

— Preis d Waren als Regler d - 418<br />

Einzelgerechtigkeit 224<br />

Einzelmensch, Einzelner<br />

— u Gemeinschaft 464<br />

— <strong>Recht</strong> d - i Paradies 391<br />

— soziale Belastung 451<br />

— u Staat 358 446<br />

— s a Individuum<br />

Einzelwohl 497<br />

Eltern<br />

— Menschenrecht d Kin<strong>de</strong>s gg d -<br />

243<br />

— <strong>Recht</strong> d Kin<strong>de</strong>s auf Erziehung<br />

244<br />

Elternrecht<br />

— u Religion d Kin<strong>de</strong>s 362<br />

Enteignung<br />

— u <strong>Gerechtigkeit</strong> 404<br />

Entführung 254<br />

Erbschaft 378<br />

Erbsün<strong>de</strong> 241<br />

Erkenntnisfähigkeit<br />

— u sittl Verantwortung 285<br />

Erziehung 243 244 301<br />

Ethik<br />

— materiale 456<br />

— u <strong>Recht</strong> 283<br />

Existenz, leibliche 59<br />

Fahrlässigkeit 248 346<br />

Familie 24 25 372 457 458 483<br />

— ältestes Gemeinwesen 361 362<br />

— u Eigentum 361<br />

— Gemeinwohl d - 473<br />

— u Staat 358<br />

525


Familiengüter 3 71<br />

Fraticelli 384<br />

Frau<br />

— rechtl Stellung d - 301<br />

— Träger v Menschenrechten 349<br />

Freigebigkeit 28 31 32 33 81 241<br />

373<br />

Freiheit<br />

— Begrenzung d - 245<br />

— u Gemeinwohl 473<br />

— d Gewissensentscheidung 457<br />

— u Menschenwür<strong>de</strong> 355<br />

— u <strong>Recht</strong> 271 357<br />

— u Staatsgewalt 473<br />

Freiheitsrechte 357 360 453<br />

Freirechtslehre 276 287 318 319<br />

Fre<strong>und</strong>schaft<br />

— drei Arten 258<br />

-u Ohrenbläserei 186 187 188<br />

Frie<strong>de</strong><br />

— durch Bestrafung d Sün<strong>de</strong>r 135<br />

— sozialer - u Privateigentum 364<br />

Frie<strong>de</strong>nsordnung 206 235 267<br />

273 290 291 303 304 306 388<br />

393<br />

Frie<strong>de</strong>nsverträge 296<br />

Furcht 255<br />

Fürst 29 30 43 57 61 85 91 109<br />

123 124 132 133 139 140 147<br />

149 249 250 312 362 482<br />

Ganzes<br />

— integrales 444 445<br />

— Verhältnis z d Teilen 445<br />

Gastfre<strong>und</strong>schaft 241<br />

Geben, unerlaubtes 71<br />

Gebot<br />

— negatives 226<br />

— positives 228<br />

Gebote<br />

— for<strong>de</strong>rn<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r affirmative - u<br />

Verbote 249<br />

Gebrauch<br />

— Begriff b Thomas 389<br />

526<br />

-d Gel<strong>de</strong>s 214-215<br />

— gemeinsamer - d Güter 387<br />

-u Verbrauch 212-213<br />

Geburtshilfe 345<br />

Geheimnisse 152<br />

Geld<br />

— als Metall 436<br />

-als Tauschmittel 209 213 435<br />

436 437<br />

-Zweck d - 201 213 259<br />

— zweifacher Gebrauch d - 214-<br />

215<br />

Gelddarlehen 425<br />

Gemeingut<br />

— unterschie<strong>de</strong>n v Gemeinwohl<br />

486 487 488 489 492<br />

Gemeinsamkeit d Dinge<br />

— u Naturrecht 114<br />

Gemeinschaft 458<br />

— u Gemeinwohl 464<br />

— Mensch als Teil d - 341 346<br />

— als Mittel z Wohl aller 464<br />

— u Person 334<br />

— nur ein einziges <strong>Recht</strong> 267<br />

Gemeinschaften, natürl 457<br />

Gemeinschaftsleben<br />

— eth Sicht i Paradies 390 392<br />

Gemeinschaftswerte 288<br />

Gemeinwohl 34 35 82 132 135<br />

136 138 241 247 311 335 362<br />

448 456-498<br />

— Analogie d - 489 492<br />

— u Autorität 476<br />

— Definition 465 471<br />

— u Eigentum 399<br />

— u Gemeinschaft 464<br />

— als Gemeinwohlinstitutionen<br />

471 472<br />

— u <strong>Gerechtigkeit</strong> 20 23 24 33<br />

— u Gesetz 20 21<br />

— u Gesetzesgerechtigkeit 55 261<br />

467<br />

— Gott als - d Universums 480<br />

— als göttl Institution 469 482


— u Gruppen, freie Initiative d -<br />

473 474<br />

— b G<strong>und</strong>lach 486-492<br />

— u Individualprinzip 450<br />

— u Individualrechte 458<br />

— u Individuum 473<br />

— als Institution 470 471 472<br />

— d Kirche 472-475 488<br />

— i d Kirche 485<br />

— b Messner 493-494<br />

— u Naturrecht 460<br />

— i d päpstl Verlautbarungen<br />

461-477<br />

— u Person 28 448 449 459 460<br />

462 466 470 476 486<br />

— Pflichten im - 476<br />

— i pluralist Staat 495<br />

— u Privateigentum 362 395 396<br />

400<br />

— u <strong>Recht</strong> 334<br />

— u Religion 476<br />

— u Staat 335 449 461 463 495<br />

— b Thomas 479-484<br />

— u To<strong>de</strong>sstrafe 249 335<br />

— u Tugend 311<br />

— u Ungerechtigkeit 34 35<br />

— u Verteilungsgerechtigkeit 55<br />

— als Wert 471 472<br />

— u Wohl d Menschheit 466<br />

— u Wohlfahrt 495-498<br />

Gemeinwohlgerechtigkeit 244-<br />

245 307 316 322 447 467 481<br />

— u Ungerechtigkeit 315-316<br />

— Wan<strong>de</strong>l i Begriff d - 448-455<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> 4 12-33 16 45 244<br />

247 265 302-307 313-314 316<br />

— allgemein i e doppelten Sinn<br />

244-245<br />

— allgemeine 23-25 224 307-312<br />

— als allgemeine Tugend 20-21<br />

21-23<br />

— ausgleichen<strong>de</strong> 54 246-247 323<br />

— ausgleichen<strong>de</strong> u austeilen<strong>de</strong><br />

322-325<br />

— ausgleichen<strong>de</strong>, Begriff 327<br />

— ausgleichen<strong>de</strong>, Sün<strong>de</strong>n gg d - -<br />

327-442<br />

— austeilen<strong>de</strong> 54 55 56 80 322-<br />

325 449 451<br />

— austeilen<strong>de</strong> u ausgleichen<strong>de</strong> 53-<br />

55 55-57 57-60 62<br />

— austeilen<strong>de</strong>, „Mitte" d - 56 57<br />

— austeilen<strong>de</strong>, Sün<strong>de</strong>n gg d - -<br />

325-326<br />

— beson<strong>de</strong>re 23-25<br />

— als Frie<strong>de</strong>nsordnung 303 304<br />

— u Gemeinwohl 22 23 24 33<br />

— u Gesetz 304<br />

— u Gesetzgeber 304<br />

— Gottes 16<br />

— als Habitus 302<br />

— als Kardinaltugend 31<br />

-u Liebe 3 317<br />

— Materie d - 57-60<br />

— u Menschenrechte 284<br />

— u Moralität 446 447<br />

— als Ordnungsprinzip 15<br />

— u Persönlichkeit 45 284<br />

— u <strong>Recht</strong> 3-5 265 267-302 317<br />

— u <strong>Recht</strong>sprechung 41-43 44<br />

— u Richter 14 42 49 50 126-133<br />

— als sittl Haltung 302<br />

— u sittl Tugen<strong>de</strong>n 26<br />

— Sitz im Willen 18-21<br />

-soziale 247 307-312 313 325<br />

398 404 448-455<br />

— u Staat 446 447<br />

— u Tapferkeit 33<br />

— Teiltugen<strong>de</strong>n d - 53-62 223-231<br />

246 442-444<br />

— als Tugend 13 17-18 20-21 21-<br />

23 32-33 244 265 302-315<br />

— Tugendmitte d - 30 245-246<br />

— Unterschied v Gemeinwohl- u<br />

Son<strong>de</strong>r- 307<br />

— als Vergeltung 60-62<br />

— u Vollkommenheit 304<br />

-Werthöhe d - 314-315<br />

527


— Wesen d - 267-321<br />

— u Wille 13 14 18-21 26 27 244<br />

302<br />

— u Zeugenaussage 157<br />

— s a Gemeinwohlgerechtigkeit<br />

Gesetzesgerechtigkeit<br />

Son<strong>de</strong>rgerechtigkeit<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>sschema<br />

— aristotelisches 448 449<br />

Gerichtsprozess<br />

— Ungerechtigkeiten i - 405-410<br />

Gesamtinteresse 463<br />

Gesamtwohl, Benthamscher<br />

Begriff 463 465<br />

Gesandte<br />

— Unverletzlichkeit 296<br />

Geschäftsbeteiligung<br />

— gesellschaftl 431 432<br />

Geschäftsfre<strong>und</strong>schaft 258<br />

Geschäftstüchtigkeit 326<br />

Gesellschaft<br />

— Aufbau v unten 451<br />

— als Institution 476<br />

— mo<strong>de</strong>rne 451<br />

— offene 496<br />

— u Person 462<br />

— u Privateigentum 241<br />

— u Religion 467 468<br />

— u Staat 300 301<br />

— u Subsidiaritätsprinzip 355<br />

Gesellschafts<strong>de</strong>nken<br />

— organisches 334<br />

Gesellschaftlehre<br />

— u Begriff d Ganzheit 444-447<br />

Gesellschaftstheorie 281<br />

Gesetz 4 5 235<br />

— u faktische Willenbildung 313<br />

— u Gemeinwohl 20 21<br />

— u <strong>Gerechtigkeit</strong> 304<br />

— u Gesetzgeber 304<br />

— u Gewissen 469<br />

— Lückenhaftigkeit d - 318 321<br />

— menschl u göttl 145<br />

— u Normen 276 277<br />

528<br />

— positives - u Naturnormen 272<br />

— positives - u Naturrecht 320<br />

— u <strong>Recht</strong> 4 5 49-50 235 276 304<br />

— u Richter 49 50 51 127 133 321<br />

-u Sittlichkeit 145 202 214<br />

— u soziolog Situation 313<br />

— u Tugend 202<br />

— Übertretung d - 226<br />

— ungerechtes 50<br />

Gesetzesbildung<br />

— u <strong>Recht</strong>sprechung 317<br />

Gesetzesgerechtigkeit 21 309<br />

— als allgem Tugend 22 23<br />

— u Gemeinwohl 55 261 467<br />

— u Gesetz Gottes 443<br />

— u Lei<strong>de</strong>nschaften 27-29<br />

— u Son<strong>de</strong>rgerechtigkeit 24 245<br />

— als universale Tugend 261<br />

Gesetzgeber<br />

— ewiger 290<br />

— u <strong>Gerechtigkeit</strong> 304<br />

— Gott als - 238 288<br />

— u <strong>Recht</strong> 304<br />

Gesetzgebung 5<br />

— u menschl Natur 235<br />

— u natürl sittl Normen 469<br />

— u praktische Vernunft 235<br />

Gewahrsam 349-350<br />

Gewalt 58 123 124 125<br />

— öffentl 465<br />

— väterl 298<br />

— staatl 461<br />

Gewaltverteilung<br />

— pluralist - i d Wirtschaft 482-<br />

483<br />

Gewinn<br />

— aus Arbeit 422<br />

— Erlaubtheit 209-210<br />

— händlerischer 421 422 423 431<br />

434<br />

— aus Wucherzinsen 219-220<br />

— Ziel d - 209 210<br />

Gewissen 306<br />

— u Gesetz 469


— kollektives 286<br />

— i d <strong>Recht</strong>sbildung 320<br />

— u rechtserzeugen<strong>de</strong>r Prozess<br />

290<br />

— u <strong>Recht</strong>sprechung 320<br />

— sittl u naturhaftes 289<br />

— u staatl Autorität 476<br />

— u Vernunft 289<br />

Gewissensentscheidung<br />

— Freiheit d - 457<br />

Gewohnheitsrecht<br />

— als Völkerrecht 239<br />

Gleichstellung v Mann u Frau 301<br />

Gloria conscientiae 258<br />

Glück 461 467 495 496 497 498<br />

Gold<br />

— Wert d - 420<br />

Gotteslästerung 196 199<br />

Gruppen<br />

— eigene Autonomie 464<br />

— freie Initiative 473<br />

— u Gemeinwohl 464<br />

Gute<br />

— d schlechthin - 30<br />

Das Gute tun 284 442 443<br />

— u allgemeine <strong>Gerechtigkeit</strong> 224<br />

— u Einzelgerechtigkeit 224<br />

— als Gegensatz zur Unterlassung<br />

228<br />

— als Teil d <strong>Gerechtigkeit</strong> 223-<br />

225<br />

Güter<br />

— Aufteilung d - 242 388 393 459<br />

462<br />

— Niessbrauch 219-220 415<br />

— N<strong>utz</strong>ung d - 242 243 252 461<br />

— Sinn d - 242 292 293 395 397<br />

— soziale Bestimmung d - 385-<br />

389<br />

— Verwaltung d - 397 461 483<br />

— Zweck d - 385-389<br />

— s a Besitz<br />

Eigentum<br />

Gütergemeinschaft<br />

— b d Griechen 240 368<br />

— d Urkirche 367 368 371 375<br />

Habitus<br />

— durch d Akt <strong>de</strong>finiert 13<br />

— d <strong>Gerechtigkeit</strong> 302<br />

-u Wille 14<br />

— Tugend als - d Willens 29<br />

Han<strong>de</strong>l<br />

-Ehrlichkeit i - 419 420<br />

— Verbot f Kleriker 423<br />

Han<strong>de</strong>ln<br />

— gerechtes 316 442-444<br />

Han<strong>de</strong>lsgeschäft 209 210 423<br />

Han<strong>de</strong>lskredit 429<br />

Han<strong>de</strong>lsmoral 419-423<br />

Händler<br />

— Aufgabe d - 209<br />

Handlungsordnung 443 461 490<br />

Hausgemeinschaft 299 335 348<br />

349<br />

Herrschaft 252 351<br />

Herrschaftsrecht 9-11 298-302<br />

Hinterhalt 164<br />

Hinterlegtes 6 119<br />

Homosexualität 316<br />

Individualismus 313 357 358 359<br />

360 361 363 456<br />

Individualmoral<br />

— u <strong>Recht</strong> 288<br />

Individualprinzip<br />

— u Gemeinwohl 450<br />

— u natura humana 450<br />

— als Sozialprinzip 363<br />

Individualrechte<br />

— u Gemeinwohl 458<br />

— Menschenrechte als - 393 450<br />

— Menschenwür<strong>de</strong> als - 363<br />

Individuum<br />

— u Gemeinwohl 473<br />

— u Kollektiv 357<br />

— u Person 334<br />

— soziale Belastung d - 490<br />

— s a Einzelmensch<br />

529


Inquisition 256<br />

Institution 396 476<br />

Institutionen<br />

— u Gemeinwohlfor<strong>de</strong>rungen<br />

470 471 472 476<br />

Irregularitäten 251<br />

Jungfräulichkeit 315<br />

jus gentium 243 292-298<br />

— Privateigentum als - 394<br />

— u stoischer Naturrechtsbegriff<br />

243<br />

— u Völkerrecht 239<br />

jus talionis 257 329 407<br />

justitia commutativa<br />

s <strong>Gerechtigkeit</strong>, ausgleichen<strong>de</strong><br />

Kalumnieneid 257<br />

Kapital<br />

— Anlage nach d Art e Gesellschaft<br />

428 429 440<br />

— u Arbeit 400<br />

— u Darlehen 438<br />

— Definition 424<br />

— produktiv o<strong>de</strong>r unproduktiv<br />

424<br />

Kapitalgesellschaft 438<br />

Kapitalismus 400 425<br />

Kapitalrendite 434<br />

Kapitalzins 424<br />

Kardinaltugen<strong>de</strong>n 17 18 25 26 31<br />

244 322 323<br />

Katharer 250<br />

Kauf u Verkauf 201 202 203 415<br />

419<br />

Käufer<br />

— Pflichten d - 420<br />

Kaufleute 209 419 423<br />

Kerkerhaft 349-350<br />

Keuschheit 315<br />

Kind<br />

— Entführung 254<br />

— Menschenrechte gg d Eltern<br />

243<br />

— <strong>Recht</strong> auf Erziehung 243<br />

530<br />

— rechtl Beziehung z Vater 298<br />

308<br />

— als <strong>Recht</strong>sträger 345 349<br />

— Religion d - 362<br />

Kirchenväter<br />

— Eigentumslehre d - 241 242<br />

— u ethischer Kommunismus 253<br />

— u Liebesgemeinschaft i Paradies<br />

304<br />

Kläger<br />

— vor Gericht 131<br />

— i Prozessverfahren 256<br />

— u <strong>Recht</strong> auf Bestrafung d Angeklagten<br />

132 133<br />

— Unbesonnenheit d - 138<br />

— Ungerechtigkeit d - im Prozess<br />

134-141 256 406-407<br />

Kleriker<br />

— u Han<strong>de</strong>lsgeschäfte 210 423<br />

— kirchl u weltl <strong>Recht</strong>sausrüstung<br />

249 250<br />

— u Krieg 250<br />

— u To<strong>de</strong>sstrafe 249 250<br />

Klugheit 17 257 319<br />

— vor Gericht 145 146<br />

— i d <strong>Recht</strong>sfindung 319<br />

— i d <strong>Recht</strong>sprechung 42 44 318<br />

— s a Kardinaltugen<strong>de</strong>n<br />

Kollektiv<br />

— u abstrakte natura humana 252<br />

— u Individuum 357<br />

Kollektivismus 358<br />

Kommenda 429 430<br />

Kommunismus 289-393<br />

— b Aristoteles 240<br />

— ethischer 253 390<br />

— freier 242<br />

— b Plato 240<br />

— negativer 242 252-253 255 392<br />

403<br />

-i Paradies 390 391<br />

— positiver 253<br />

— positiver u negativer 375 376<br />

377 387


— recht] - = Zwangs- 253<br />

Konsens<br />

— i d Demokratie 482<br />

— verschie<strong>de</strong>n i Staat u Kirche<br />

477<br />

Kontrakttheorie 452<br />

Kredit<br />

— u Darlehen 431<br />

— Han<strong>de</strong>ls- u Gewerbe- 429<br />

Krieg 164 250 344 345<br />

Kultur 311 493 494<br />

Laienapostolat 474<br />

Lebensqualität 497<br />

Leibeigenschaft 297<br />

— als naturrechtl Zustand 236<br />

237<br />

Lei<strong>de</strong>nschaften<br />

— u <strong>Gerechtigkeit</strong> 27-29<br />

Leihgeschäfte 211-222<br />

Leum<strong>und</strong> 66 131 178 412<br />

— u Ehrabschneidung 176 177<br />

183<br />

Liberalismus 355 357 358 360 363<br />

460<br />

Liebe<br />

— egoistische 241<br />

— u <strong>Gerechtigkeit</strong> 3 317<br />

— Selbst- 241 242<br />

— soziale 448 454-455<br />

Lohn 4<br />

— f Werke d Barmherzigkeit 166<br />

Mammon, ungerechter 369 370<br />

371<br />

Manager 398 425<br />

Markt 420 421 422<br />

Marktwirtschaft 365 423 467 497<br />

Maßhaltung 17 21 273 310 311<br />

314<br />

Materialismus 276<br />

Meineid 157 158<br />

Menschenrechte 308<br />

— u Autoritätsträger 450<br />

— als Freiheitsrechte 357 360<br />

— u <strong>Gerechtigkeit</strong> 284<br />

— als Individualrechte 393 450<br />

— d Kin<strong>de</strong>s 243<br />

— u vorstaatl <strong>Recht</strong>e 453<br />

Menschenrechtserklärung d<br />

UNO 489<br />

Menschenwür<strong>de</strong><br />

— u Eigentum 355<br />

— u Freiheit 355<br />

— als Individualrecht 363<br />

— als Naturrecht 363<br />

— u Privateigentum 393<br />

— Verbrechen gg d 290-291<br />

Miete<br />

— Entgelt f - 434<br />

Mitbestimmung 399 492<br />

Mittelstand 367<br />

Monarchie 312<br />

Monogamie 284 285 287<br />

Moral<br />

— u <strong>Gerechtigkeit</strong> 446 447<br />

— Han<strong>de</strong>ls- 419-423<br />

— Individual- 288<br />

— u <strong>Recht</strong> 270 273 287 288 306<br />

— u <strong>Recht</strong>snormen 283<br />

— u Richter 273<br />

Mord 87-102 180 328-346<br />

Natur<br />

— zweifache Ordnung d - 447<br />

Natur d Menschen<br />

— u Gesetzgebung 325<br />

— individuelle - u menschl<br />

Wesensnatur 429<br />

— u Naturrecht 235-236<br />

— u Privateigentum 242 253<br />

— verän<strong>de</strong>rlich 6 235 277<br />

— s a natura humana<br />

natura humana 497<br />

— als absolute Norm 450<br />

— u Besitz 352<br />

— u Individualprinzip 450<br />

— u Kollektiv 252<br />

531


— Pflichten d - 388<br />

— u <strong>Recht</strong> 252 253<br />

— als rechtl Ordnungsprinzip 288<br />

— u Staat 357<br />

— Verstoss gg d - 289<br />

— s a Natur d M<br />

Naturgesetz<br />

— Erkennbarkeit 276<br />

— F<strong>und</strong>ament d kirchl Soziallehre<br />

460<br />

— normativ 497<br />

Naturrecht 5-7 8 49 268 275 277<br />

291<br />

— u Gemeinsamkeit d Dinge 114<br />

— u Gemeinwohl 460<br />

— u geschriebenes <strong>Recht</strong> 49<br />

— u göttl <strong>Recht</strong> 238<br />

— Intoleranz d - 267 268<br />

— konkretes 236 237 275 296<br />

— Menschenwür<strong>de</strong> als - 363<br />

— u Natur d Menschen 235-236<br />

— u Natur d Sache 49<br />

— u Naturgesetz 276<br />

— Normen d - 277-289<br />

— u Normen 236<br />

— u positives <strong>Recht</strong> 5-7 268 274-<br />

302 320<br />

— u Privateigentum 252 254 353<br />

360 396<br />

— rationalistisches 489<br />

— rationalist u individualist 491<br />

492<br />

— <strong>Recht</strong> auf Eigentum als - 252<br />

352 354-365 394-397<br />

— u <strong>Recht</strong>sbildung 320<br />

— u Schöpferwille Gottes 238<br />

— u Selbsterkennen Gottes 238<br />

— symptomatische Be<strong>de</strong>utung<br />

279 280<br />

— u To<strong>de</strong>sstrafe 336<br />

— u Vernunft 243 278<br />

— u Völkerrecht 7-8<br />

— vorstaadich 396<br />

— u Weltrecht 293<br />

532<br />

Naturrechtsaauffassung<br />

— protestantische 278<br />

Naturrechtsbegriff<br />

— stoischer 243<br />

Naturrechts<strong>de</strong>nken<br />

— u Positivismus 269<br />

Naturrechtslehre<br />

— u mod <strong>Recht</strong>sphilosophie 277-<br />

292<br />

— u Positivismus 235 236 267<br />

— thomasische 277-292<br />

Naturrechtsprinzipien 277<br />

— absolute Normkraft d - 285<br />

— 2 Arten d - 284<br />

— u lex ferenda 280<br />

— primäre u sek<strong>und</strong>äre 285 286<br />

Nepotismus 325<br />

Neukantianismus 279<br />

Norm<br />

— u Naturgesetz 497<br />

— u Sein, Dichotomie 497 498<br />

— soziale 461<br />

Normen<br />

— absolute - u <strong>Recht</strong>sprechung<br />

318<br />

— absolute - u subjektive <strong>Recht</strong>e<br />

362<br />

— allgemeine - u Gesetz 276 277<br />

— allgemeine -, Unverän<strong>de</strong>rlichkeit<br />

d - 277<br />

— ethische u rechtl, Unterschied<br />

287<br />

— u Gesetz 277<br />

— u Gesetzgebung 469<br />

— u konkretes <strong>Recht</strong> 277 289-292<br />

— d Natur u positives Gesetz 272<br />

— u Naturrecht 236<br />

— d Naturrechts 277-289<br />

— u <strong>Recht</strong> 236 271 274 276<br />

— d <strong>Recht</strong>s, allgemeingültige 280<br />

— d <strong>Recht</strong>s u Gott als Gesetzgeber<br />

288<br />

— d <strong>Recht</strong>sbildung 279 282<br />

— u <strong>Recht</strong>sprechung 318


— u Vernunft 289<br />

Notwehr 99-101<br />

Notwendigkeit, zweifache 18<br />

N<strong>utz</strong>ung d Güter 242 243<br />

N<strong>utz</strong>wert e Sache 417 418<br />

Ohrenbläserei 185-188 413<br />

Ordnung<br />

— berufsständische 361<br />

— u <strong>Gerechtigkeit</strong> 15<br />

— gesellschaftl, Autonomie d -<br />

361 362<br />

— gesellschaftl - u Privateigentum<br />

241<br />

— soziale u privatrechtl 394<br />

— d Universums 330 331 448<br />

Paradiesesmensch<br />

— ethischer Kommunismus d -<br />

242<br />

— u Gütergemeinschaft 253<br />

Pareto-Regel 495 496 497 498<br />

Peregrini 293<br />

Person<br />

— Autonomie d - 463<br />

— als Eigentümerin 491<br />

— Einglie<strong>de</strong>rung i d Gemeinschaft<br />

334<br />

— freie Entfaltung d - 470 471<br />

— u Gemeinwohl 28 448 449 459<br />

460 462 466 470 476 486<br />

— u <strong>Gerechtigkeit</strong> 45 284<br />

— u Gesellschaft 462<br />

— u Individuum 334<br />

— Priorität d - 470<br />

— u Privateigentum 458 483 491<br />

— u Produktionsprozess 364<br />

— <strong>Recht</strong>e d - 463<br />

— u Son<strong>de</strong>rgerechtigkeit 28 54<br />

— als soziales Wesen 459 464<br />

-Unrecht ggd- 87-102 103-110<br />

251<br />

— Werte d - 465<br />

— u Wirtschaft 364<br />

— u Wohlfahrt 459<br />

— Wür<strong>de</strong> d - 59 326 491<br />

Personalismus 453<br />

Persönlichkeitsi<strong>de</strong>al<br />

— u <strong>Recht</strong>sempfin<strong>de</strong>n 283<br />

Pfand 259 429<br />

Pfrün<strong>de</strong> 66 67<br />

Planwirtschaft<br />

— u Zins 424<br />

Polygamie 284<br />

Positivismus<br />

— u Naturrechtslehre 235 236<br />

267 269<br />

— u Normen d <strong>Recht</strong>sbildung<br />

279<br />

— i <strong>Recht</strong> 268 269 270 276 305<br />

316<br />

possessio (Besitz) 252<br />

Preis 419<br />

— u Arbeit 432<br />

— gerechter 202 416-419 434<br />

— u Kosten 432<br />

— u N<strong>utz</strong>en 202<br />

— u N<strong>utz</strong>wert 417 418<br />

— u ontischer Wert 417<br />

— als Regler d Einkommensbildung<br />

418<br />

— als Regler d Verbrauchs 418<br />

-u Wert 201 418<br />

Preisunterschie<strong>de</strong><br />

— i d Marktsituation 420 421<br />

Prinzipien<br />

— allgemeine 276 284<br />

— s a Naturrechts-<br />

Privateigentum<br />

-Erlaubtheit 113-115<br />

— u Gemeinwohl 362 395 396<br />

— u gesatztes <strong>Recht</strong> 353 395<br />

— individualistisches - u kath<br />

Moral 359 360 361<br />

— als Institution 396<br />

— als jus gentium 394<br />

— u Kapitalismus 400<br />

— u Menschenwür<strong>de</strong> 393<br />

533


— u Natur d Menschen 242 253<br />

— u Naturrecht 252 254 353 396<br />

— Notwendigkeit d - 392<br />

— als Ordnungsprinzip d<br />

Gesellsch 241<br />

-u Person 458 483 491<br />

— u positives <strong>Recht</strong> 114 353 395<br />

— an Produktionsmitteln 364<br />

— <strong>Recht</strong> auf - 453<br />

— soziale Belastung d - 483<br />

— u Staat 396<br />

— als vorstaatl Naturrecht 360<br />

Privateigentumsordnung 389-<br />

393<br />

— Gr<strong>und</strong>legung i Gemeinwohl<br />

400<br />

— metaphysisch-ethischer Ort d<br />

- 400<br />

Privates<br />

— Reichweite d - 397-398<br />

Produktion 459<br />

Produktionsgüter<br />

— u positiver Kommunismus 253<br />

Produktionsmittel<br />

— u Arbeit 364<br />

— u arbeiten<strong>de</strong> Person 363<br />

Produktionsprozess<br />

— u Person 364<br />

— u Privateigentumsordnung 400<br />

Produktivität 260<br />

proprietas (Eigentum) 252<br />

Prügelstrafe 105-107 348-349<br />

Rache 173<br />

ratio scripta 294<br />

Raub 59 123-125 401-405<br />

— i äusserster Not 403<br />

— u Diebstahl, Unterscheidung<br />

116-117<br />

— Menschen- 121<br />

— sittl Bewertung 401-405<br />

Raumplanung<br />

— u Privateigentum 396<br />

<strong>Recht</strong> 3-11 235 268 269 271 272<br />

534<br />

273 276 277 331<br />

— u absolut gültige Norm 272<br />

— allgemein gültige Normen d -<br />

280<br />

— als Ausgleich 6 270<br />

— u Autorität 304 306<br />

— Begriff d - 267-274<br />

— zw Eheleuten 10<br />

— auf Eigentum 390 392 393 394-<br />

397 453<br />

— eingeteilt i Naturrecht u positives<br />

<strong>Recht</strong> 5-7<br />

— Einheit d - 291<br />

— Einheit o<strong>de</strong>r Mehrheit 267<br />

— d Einzelnen i Paradies 391<br />

— Entstehung d - 274-277<br />

— u Ethik 283 288<br />

— u Freiheit 271<br />

— auf Freiheit 357<br />

— als Frie<strong>de</strong>nsordnung 273<br />

— u Gemeinschaft 267<br />

— u Gemeinwohl 334<br />

— u <strong>Gerechtigkeit</strong> 3-5 265 267-<br />

302 317<br />

— geschriebenes - u Naturrecht<br />

49<br />

— u Gesetz 4 5 49-50 235 276 304<br />

— u Gesetzgeber 304<br />

— u Gewissen 290 320<br />

— „göttliches" 7<br />

— herrschaftl 9-11 298-302<br />

— I<strong>de</strong>al d - 269<br />

— u Individualmoral 288<br />

-u Klugheit 319<br />

— konkretes - u Normen 277<br />

289-292<br />

— auf Leben 357<br />

— u materielle Werte 282<br />

— u Moral 270 273 387 288 306<br />

— natura humana als Ordnungsprinzip<br />

d - 288<br />

— Nominal<strong>de</strong>finition 269 270<br />

— Nominal- u Real<strong>de</strong>finition d -<br />

268


- u Norm 236 271 274 276 283<br />

- u Normen d Natur 272<br />

- positives 49-50<br />

- positives u Naturrecht 5-7 268<br />

274-302 320<br />

- u Privateigentum 114 353 395<br />

453<br />

- Real<strong>de</strong>finition 270 272<br />

- „richtiges" 265 269<br />

- u sittl Deka<strong>de</strong>nz 306<br />

- sitd Wert d - 304<br />

- u Situation 276<br />

- u Staat 291 300<br />

- u universale natura humana<br />

252 253<br />

-d Vaters 9-11 298-302 308<br />

-u Vernunft 235 236 278 280<br />

283<br />

- Welt- 293<br />

- u Wertbewusstsein 286<br />

- u Wertgefühl 284<br />

- u Wille 265 278<br />

- u Zwang 270 303<br />

<strong>Recht</strong>e<br />

- d Person 463<br />

- subjektive 362 450 451 453<br />

- vorstaatl 267 282 356 357 358<br />

396 453<br />

<strong>Recht</strong>fertigung 16<br />

<strong>Recht</strong>sanspruch 316 331<br />

<strong>Recht</strong>sbesserung 280 281<br />

<strong>Recht</strong>sbeziehungen<br />

- freiwillige u unfreiwillige 58-60<br />

<strong>Recht</strong>sbildung<br />

- u Naturrecht 320 .<br />

- Normen d - 279<br />

- u <strong>Recht</strong>sbewusstsein 283<br />

- durch richterl Spruch 276 287<br />

317 318<br />

- u „richtiges" <strong>Recht</strong> 265<br />

- u Vernunft 283<br />

- Werte als Normen d - 282<br />

- u Wertforschung 282<br />

<strong>Recht</strong>sfindung 319<br />

<strong>Recht</strong>sgefühl 319<br />

<strong>Recht</strong>sgeschäfte<br />

— Ungerechtigkeiten i - 414-442<br />

<strong>Recht</strong>shilfe f Arme 160<br />

<strong>Recht</strong>sphilosophie<br />

— mo<strong>de</strong>rne 265 269 270 271 274<br />

276 277-292<br />

<strong>Recht</strong>slehre, reine 306<br />

<strong>Recht</strong>snormen<br />

— u Ethik 283<br />

— naturrechtl 279<br />

— u Werte 282<br />

<strong>Recht</strong>spositivismus<br />

— u Naturrechtslehre 235 236<br />

267<br />

<strong>Recht</strong>sprechung 41-52 317-321<br />

— u absolute Normen 318<br />

— als Akt d <strong>Gerechtigkeit</strong> 41-43<br />

44<br />

— als Akt d Richters 42<br />

— als Akt d Vernunft 42<br />

— angemasste 44 50-52<br />

— u Autorität d Obrigkeit 44<br />

— u Billigkeit 50<br />

— Erlaubtheit d - 43-45<br />

— u <strong>Gerechtigkeit</strong> 41-43 44<br />

— u geschriebenes Gesetz 49-50<br />

-u Klugheit 42 44 318<br />

— u Obrigkeit 44<br />

<strong>Recht</strong>ssicherheit 319 321<br />

<strong>Recht</strong>sstaat 321<br />

<strong>Recht</strong>ssystem 305<br />

Regierung 477<br />

Reichtum i AT 366 367<br />

Religion<br />

— u Gemeinwohl 476<br />

— gesellschaftl Be<strong>de</strong>utung 467<br />

468<br />

— u soziale Verpflichtung 242<br />

— u Staat 476<br />

— u Staatsgewalt 467 468 469<br />

Religionsfreiheit 468 476<br />

Rente (census) 426-435<br />

Rentenquelle 427<br />

535


Restitution 77-78 219-220<br />

— s a Rückerstattung<br />

Wie<strong>de</strong>rgutmachung<br />

Revolution 403<br />

Richter 42 51 127 129 132 143<br />

255 318<br />

— u Barmherzigkeit 133<br />

— als Diener Gottes 44<br />

— freie sittl <strong>Recht</strong>sentscheidung d<br />

- 318<br />

-u <strong>Gerechtigkeit</strong> 14 42 49 50<br />

126-133<br />

— u Gesetz 49 50 51 127 133 321<br />

— u Moral 273<br />

-u <strong>Recht</strong>sbildung 276 287 317<br />

318<br />

— u <strong>Recht</strong>sverbesserung 319<br />

— sittl Verantwortung d - 318 319<br />

-u Staat 132 133<br />

-u Strafe 68 132<br />

-u Straferlass 132-133<br />

— ungerechtes Urteil d - 147<br />

— Ungerechtigkeiten d - 126-133<br />

405-406<br />

-Zuständigkeit d - 126-128<br />

Richterrecht 319 321<br />

Risiko 259 422 440<br />

Rückerstattung 63-78<br />

— bei Wucherzinsen 219-220 248<br />

— s a Restitution<br />

Wie<strong>de</strong>rgutmachung<br />

Rücksicht auf Personen<br />

— s Ansehen d Person<br />

Ruf s Leum<strong>und</strong><br />

Saccati 384<br />

Sachanalyse<br />

— objektive - u Naturrecht 243<br />

Sache<br />

— Substanz, Gebrauch u Früchte<br />

d - 415<br />

— Überlassung gg Entgelt 415<br />

— Wert d - 415<br />

— u Wert 435-439<br />

536<br />

Sachen, gef<strong>und</strong>ene 119<br />

Sachscha<strong>de</strong>n 111-125<br />

Sachverhalt<br />

— objektiver - u <strong>Recht</strong> 236 237<br />

Sachverhalte<br />

— naturgegebene - u menschl<br />

Vernunft 243<br />

— i Völkerrecht 289<br />

Scha<strong>de</strong>n 69<br />

Schiedsrichter<br />

— u Erzwingungsgewalt 127<br />

Schmähung (contumelia)<br />

167-174 411-412<br />

— Verhältnis z Ehrabschneidung<br />

181<br />

Scholastik 277 284<br />

Schuld 180<br />

— u Strafe 329-333<br />

Schulrecht 301<br />

Schwangerschaftsabbruch 346<br />

Das Seine 308<br />

— geben 284<br />

— je<strong>de</strong>m - geben 12-14 30-32<br />

Selbsterhaltung<br />

— als Naturgesetz 340<br />

Selbstinteresse<br />

— soziale Belastung d - 483<br />

Selbstliebe 241 242<br />

Selbstmord 94-97 149 338-342<br />

Selbstverteidigung 100 149 251<br />

343 344<br />

Sensualismus 496 498<br />

Simonie 249<br />

Sittengesetz 340<br />

Situationsethik 206<br />

Sklaverei 7 8 10 236 294 295 297<br />

Soldaten 100<br />

Solidarismus 467 486-492<br />

Son<strong>de</strong>rgerechtigkeit 24 25-26 28<br />

32 35 54 245 307 312<br />

das Soziale 493<br />

soziale Belastung 492<br />

— d Eigentums 459 483<br />

— d Einzelnen u Privaten 451


— d Individuums 490<br />

— d Privateigentums 483<br />

— d Selbstinteresses 483<br />

— d subjektiven <strong>Recht</strong>e 362<br />

soziale Frage 491<br />

sozialer Frie<strong>de</strong> 135 364<br />

soziale <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

— s <strong>Gerechtigkeit</strong>, soziale<br />

soziale Liebe<br />

— s Liebe, soziale<br />

soziale Methodologie 496<br />

soziale Natur d M 464 481<br />

soziale Norm 461<br />

soziale Verpflichtung 242<br />

soziale Werte 461<br />

soziales Wesen<br />

— Person als - 459 464<br />

Sozialethik 288 306<br />

— u Handlungsordnung 490<br />

-u Individualethik 478 481 490<br />

491<br />

— Systematik d - 456-457<br />

Sozialismus 364<br />

Soziallehre, kath 456-498<br />

Sozialtechnologie 281<br />

Spassmacher 170 191 192<br />

Spekulation, wirtschaftl 420 421<br />

422 423<br />

Spekulationsgewinn 434<br />

Spiritualen 384<br />

Staat 457 458<br />

— u Einzelmensch 358<br />

— u Familie 358<br />

— formales <strong>Recht</strong> d - 291<br />

— u Freiheit d Religion 476<br />

— u Gemeinwohl 335-449 461<br />

495<br />

— u <strong>Gerechtigkeit</strong> 446 447<br />

— als Gesellschaft 300 301<br />

— u Mensch 356 446<br />

— u natura humana 357<br />

— u Naturrechte 396<br />

— als oberstes <strong>Recht</strong>ssystem 300<br />

— als Organismus 334 445<br />

— pluralistischer 470 495<br />

— u Privateigentum 360 396<br />

— <strong>Recht</strong>s- 321<br />

-u Richter 132 133<br />

— Subsidiaritätsprinzip i - 458<br />

477<br />

Staatsgemeinschaft<br />

— u Hausgemeinschaft, wesentl<br />

Unterschied 335<br />

Staatsgewalt 127 463 495<br />

— u Freiheit 473<br />

— u Gewissen 476<br />

— Grenzen d - 461 464 469<br />

— Kompetenz v Gott 469<br />

— u Pflichten d Bürger 469 473<br />

— u Religion 467 468 469<br />

— u To<strong>de</strong>sstrafe 333-338<br />

— Träger d - 482<br />

— u Wirtschaft 484<br />

Sterilisation 347<br />

Steuerhinterziehung 452<br />

Stoa 243 279 370<br />

Strafe 68 132<br />

— u Schuld 329-333<br />

Strebevermögen<br />

— doppeltes 19<br />

— sinnl 21 27 244<br />

Subsidiarität 453<br />

Subsidiaritätsprinzip 355 457 458<br />

470 473 477 484<br />

— i d Kirche 472 474<br />

— i Ehe, Familie, Staat, Kirche<br />

458<br />

Sühne 332<br />

Sün<strong>de</strong> 257 261 331<br />

Syn<strong>de</strong>resis 290 306<br />

Synesis 42<br />

Tapferkeit 17 21 33 273 310 311<br />

314<br />

Tatsün<strong>de</strong>n 87-125<br />

Tausch 209<br />

Tauschgerechtigkeit 246-247<br />

— Begriff 327<br />

537


— u Kauf u Verkauf 203<br />

Tauschgeschäfte 213<br />

Tauschhandlungen<br />

— freiwillige 200-222<br />

— unfreiwillige 176<br />

Tauschverkehr 56<br />

Tauschvertrag 416<br />

Tiere 87-89 92<br />

To<strong>de</strong>sstrafe 249 328-338<br />

To<strong>de</strong>surteil<br />

— gerechtes 251<br />

-Wi<strong>de</strong>rstand gg - 148 149<br />

Tötung<br />

— Erlaubtheit 328<br />

— fahrlässige 346<br />

— i d Geburtshilfe 345<br />

— i Krieg 344 345<br />

— v Lebewesen 87-89<br />

— e Menschen 251<br />

— i Notwehr 99-101 250 251 343-<br />

346<br />

— e Sün<strong>de</strong>rs 89-94 152<br />

— unfreiwillige 251<br />

— e Unschuldigen 97-99<br />

— unschuldigen Lebens 342-343<br />

— e Verbrechers 335<br />

— z Wohl d Gemeinschaft 249<br />

— zufällige 101-102<br />

Tugend<br />

— u Gemeinwohl 311<br />

— <strong>Gerechtigkeit</strong> als höchste - 32-<br />

33<br />

— u Gesetz 202<br />

— als Habitus d Willens 29<br />

— Materie d sittl - 26<br />

— sittl - u Lust u Trauer 27 28<br />

— u Son<strong>de</strong>rgerechtigkeit 32<br />

Tugendakt 13<br />

Tugen<strong>de</strong>n<br />

— theologische 455<br />

— s a Kardinaltugen<strong>de</strong>n<br />

Tugendmitte 245-246<br />

— d <strong>Gerechtigkeit</strong> 30 55-57<br />

— als Sachmitte 29-30<br />

538<br />

— u Vernunft 29<br />

Tyrannenmord 237 291<br />

Überfluss<br />

— <strong>de</strong>n Armen „geschul<strong>de</strong>t" 122<br />

242 403 404<br />

— „gehört" d Armen 404<br />

Übertretung 225-226<br />

— u Böses mei<strong>de</strong>n 228 443<br />

— u negatives Gebot 226 228<br />

— u Unterlassung 229-231<br />

— als Verachtung d Gesetzes 226<br />

Ungerechtigkeit 34-40 315-317<br />

— als allgemeine Sün<strong>de</strong> 261<br />

— u Gemeinwohl 34 35<br />

— gg d Gemeinwohlgerechtigkeit<br />

315-316<br />

— e beson<strong>de</strong>res Laster 34-35<br />

— u Son<strong>de</strong>rgerechtigkeit 35<br />

— u Unrechttun 35-37<br />

— Verdacht als - 47<br />

— u Wille 35<br />

Ungerechtigkeiten<br />

— d Ankägers 139-140<br />

— i Gerichtsprozess 405-410<br />

— i <strong>Recht</strong>sgeschäften 414-442<br />

— d Richters 405-406<br />

-b Vertrag 414-416<br />

— d Zeugen 408-409<br />

— s a Unrecht<br />

Universalismus 308<br />

Universum 330 331<br />

Unrecht<br />

— erlei<strong>de</strong>n 37-39 117 176<br />

-gg d Person 87-102 103-110<br />

251<br />

— durch Sachscha<strong>de</strong>n 111-125<br />

— tun 35-37 37-39 39-40 143<br />

— durch Worte 167-199 411-414<br />

— durch Worte i Gerichtsprozess<br />

126-166<br />

— gg Witwen u Waisen 350<br />

— s a Ungerechtigkeit<br />

Unterlassung 227-229


— u Gutes tun 228 443<br />

— u positives Gebot 228<br />

— u Übertretung 229-231<br />

Unternehmer 492<br />

Unwissenheit als Entschuldigung<br />

39<br />

Urteil 44 48<br />

— gern Aussagen d Zeugen 129<br />

— gg besseres Wissen 128-130<br />

— auf blossen Verdacht 45-47<br />

— u öffentl Autorität 51 52<br />

— u Richter 147<br />

Vater<br />

— Autorität d - 348 349<br />

-<strong>Recht</strong> d - 9-11 298-302 308<br />

Verdacht 45 46 47<br />

Vereine 457<br />

Verfluchung 193-199 414<br />

Vergeltung 60 61 62 140<br />

Verheimlichung (praevaricatio)<br />

137 138<br />

Verhöhnung 258<br />

— u Verspottung 258<br />

Verkauf 200-203 203-205<br />

— s a Kauf u Verkauf<br />

Verkäufer<br />

— Pflichten d - 419 420<br />

Verkaufspreis 208-210<br />

Verkehrsgerechtigkeit s <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />

ausgleichen<strong>de</strong><br />

Verleumdung 137 138141 406 407<br />

Vermögen, begehren<strong>de</strong>s 19 21<br />

Vermögen, überwin<strong>de</strong>n<strong>de</strong>s 19 21<br />

Vernunft<br />

— u naturgegebene Sachverhalte<br />

243<br />

— u Naturrecht 243 278<br />

— u Normen 289<br />

— praktische - als Gewissen 289<br />

— praktische - u Wahrheit 290<br />

— u <strong>Recht</strong> 278 280<br />

— u <strong>Recht</strong>sbildung 283<br />

— u Tugendmitte 29<br />

-u Wille 19<br />

Verschwiegenheit 152 408<br />

Verspottung 189-192 413-414<br />

— u Verhöhnung 258<br />

Verstümmelung 103-105 346-348<br />

Verteidigung 145<br />

-vor Gericht 131 146 147<br />

-dz Tod Verurteilten 148-149<br />

— m ungerechten Mitteln 144-146<br />

— s a Selbstverteidigung<br />

Verteilungsgerechtigkeit s<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>, austeilen<strong>de</strong><br />

Verstaatlichung 403<br />

Verwaltung 397 398 461 483<br />

Volk 466<br />

Völkerrecht 7-8 239 297 298<br />

Volksgeist 286<br />

Vorhaltung 168 169 411<br />

Waffenstillstand 296<br />

Wal<strong>de</strong>nser 384<br />

Ware 200-203 204 205<br />

Warenfehler 203 204 205 206-208<br />

419 420<br />

Warentausch<br />

— doppelte Art v 209<br />

Wegnahme frem<strong>de</strong>n Eigentums<br />

— auf dreifache Weise 73<br />

Weltrecht 293<br />

Wert<br />

-d <strong>Gerechtigkeit</strong> 314-315<br />

— u Preis 201 417<br />

— sittl - d <strong>Recht</strong>s 304<br />

— Trennung v Sache u - 435-439<br />

Wertbewusstsein 286<br />

Werte<br />

— ethische - u <strong>Recht</strong> 288<br />

— materielle - u <strong>Recht</strong> 282<br />

— Modus d Verwirklichung 461<br />

— d Person 465<br />

— u <strong>Recht</strong>snormen 282<br />

— soziale 461<br />

Wertekatalog<br />

— d kath Soziallehre 457<br />

539


Werterkenntnis 276<br />

Wertgefühl<br />

— soziologisches u <strong>Recht</strong> 284<br />

Wertordnung<br />

— u Handlungsordnung 461<br />

Wertskala, absolute 314 315<br />

Wettbewerb 467<br />

Wi<strong>de</strong>rruf (tergiversatio) 137 138<br />

Wi<strong>de</strong>rspruch 277<br />

Wie<strong>de</strong>rgutmachung 248 249 323<br />

324<br />

— s a Restitution<br />

Rückerstattung<br />

Wille<br />

— u <strong>Gerechtigkeit</strong> 13 14 18-21 26<br />

27 244 302<br />

— u <strong>Recht</strong> 265 278<br />

— u Tugend 29<br />

— u Ungerechtigkeit 35<br />

— Unwan<strong>de</strong>lbarkeit d - 14<br />

— als Vernunftstreben 19<br />

Willensbildung<br />

— u soziale Ordnung 288<br />

Wirtschaft<br />

— freie o<strong>de</strong>r gelenkte 399<br />

— Gewaltverteilung i d - 482-483<br />

— u Staatsgewalt 484<br />

— Wan<strong>de</strong>l d - u Eigentum 398-400<br />

Wirtschaftsform<br />

— u Zins 424<br />

Wirtschaftspolitik 399<br />

Wirtschaftssystem 364<br />

Wirtschaftsverfassung i AT 365<br />

366<br />

Witwen u Waisen 109 350<br />

Wohl<br />

— aller u Einzelwohl 497<br />

— d Menschheit 466<br />

— subjektives u allgemeines 496<br />

Wohlfahrt 462 482<br />

— geistige 467<br />

— u Gemeinwohl 495-498<br />

— personale 459<br />

Wohlfahrtsbestimmung<br />

540<br />

— Prozess d - 497<br />

Wohlfahrtsökonomik 498<br />

Wortsün<strong>de</strong>n 126-199<br />

— i Gerichtsverfahren 126-166<br />

— ausserh d Gerichtsverfahrens<br />

167-199<br />

Wucher 219-220 259 260 424 425<br />

431 435 436 440<br />

Wür<strong>de</strong><br />

— d Menschen s Menschenwür<strong>de</strong><br />

— d Person 59 326 457<br />

Zeuge<br />

— Verstösse gg d <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

150-158<br />

— Ungerechtigkeiten d - 408-409<br />

— Zurückweisung e - 155-157<br />

Zeugen<br />

-Anzahl d - 152-155<br />

Zeugenaussage<br />

-falsche 157-158 409<br />

-Pflicht zur - 150-152 408<br />

— u Schweigepflicht 408<br />

— Unstimmigkeiten i d - 154 155<br />

Zeugeneid 158<br />

Zins 211-222 371 424-442<br />

— Kapital- 424<br />

-Wucher- 2 19-22<br />

— s a Darlehenszins<br />

Zinstitel<br />

— äussere 439 440<br />

Zorn 173<br />

— u Beschimpfung 171<br />

— u Ehrabschneidung 181<br />

— u Schmähung 173-174<br />

— u Torheit 174<br />

Zwang 123 124 270 303<br />

Zwangsgewalt<br />

— d Richterspruches 127<br />

— d Schiedsrichters 127<br />

— i Staat 127<br />

Zweifel<br />

— nach d günstigeren Seite zu<br />

lösen 47-49


NAMENVERZEICHNIS<br />

Die im alphabetischen Literaturverzeichnis aufgeführten Autoren sind<br />

hier nicht nochmals erwähnt.<br />

Alexan<strong>de</strong>r III. Papa 517<br />

Alphons v. Liguori 248 454 503<br />

Ambrosius 9 17 30 52 111 113<br />

114 115 122 123 129 130 133<br />

204 206 225 226 372 381 382<br />

Anselm 12 19 302<br />

Aristoteles XXIII3467891012<br />

13 16171819202122 23 25 26<br />

27 28 29 30 31'32 33 35 36 37 38<br />

39 40 41 42 45 46 48 49 54 56 57<br />

58 60 65 66 69 84 88 89 91 95 96<br />

97102103 105106112117121<br />

127 130 140 153 169 174 181<br />

187 189 192 201 203 209 213<br />

214 216 221 229 230 236 239<br />

240 241 242 244 246 249 252<br />

272 295 299 300 302 307 309<br />

314 316 320 322 362 368 372<br />

393 423 435 444 445 446 447<br />

449 450 457 483 505 506<br />

Arnold T.W. 276<br />

Augustinus 3 13 14 15 25 26 30 34<br />

44 45 47 49 52 65 82 84 88 89 90<br />

91 92 94 96 97 99 101 102 113<br />

119 121 122 123 124 133 136<br />

150 151 154 160 165 168 171<br />

172 177 179 197 200 202 205<br />

209 221 224 225 226 253 258<br />

371 382 383 404 417 513<br />

Basilius 111 113 114 374 375 376<br />

377<br />

Becker W.G. 279 280 281<br />

Beiträn <strong>de</strong> Heredia V. 521<br />

Bernhard v. Clairvaud 183<br />

Bernhardin v. Siena 436 437 438<br />

439<br />

Beyer W.R. 268 269 282<br />

Bihlmeyer K. 250 254<br />

Billuart CR. 284<br />

Bochenski I.M. 503<br />

Bonaventura 384<br />

Brentano L. 372<br />

Brunner E. 278<br />

Bückers H. 365<br />

Cajetan 250 255<br />

Cassiodor 208<br />

Cathrein V. 491<br />

Celsus 3 371<br />

Chenon E. 256 257 405<br />

Chenu M.-D. 256<br />

Chrysipp 253 370 375<br />

(Johannes] Chrysostomus 24 44<br />

45 105 142 155 171 198 208<br />

210 230 377 380 381 384 393<br />

Cicero 15 17 30 32 45 53 164 201<br />

206 253 294 372 373 374 375<br />

381 409<br />

Cicognani A.G. 462 464 468 471<br />

Coing H. 283 285 319<br />

Cyprian 372<br />

Cyrill v. Jerusalem 374<br />

Darmstaedter F. 271<br />

Dekrete 99 101 113 115 122 134<br />

135 136 137 139 144 146 147<br />

153 156 162 163 219<br />

DelPAqua A. 466<br />

Delos J.Th. 507<br />

Del Vecchio G. 271<br />

541


Diogenes 370<br />

Dionysius (Areopagita) 92 229<br />

DoehringJ. 510<br />

Don<strong>de</strong>rs A. 520<br />

Duns Skotus J. 362<br />

Erzberger M. 337<br />

Eschmann I.Th. 309 512<br />

Faidherbe A.J. 325<br />

Fanfani L. 369<br />

Farner K. 375 379 380<br />

Ferdinand I. XXI<br />

Flanagan Th. 516<br />

Frank J. 276 284 285<br />

Friedmann W. XXI<br />

Fuchs E. 287<br />

Gaius 8 294 296<br />

Galen B.Gr. v. 457 462 463 464<br />

465 466 467 468 469 470 471<br />

472 474 521<br />

Garlan E.N. 276<br />

Gelasius (Callistus I.) 139 141<br />

Gerard Segarelli v. Parma 253<br />

Getino L.G.A. 521<br />

Gillet M.S. 507<br />

Girald v. Monteforte 384<br />

Glosse 46 47 80 84 101 144 147<br />

151 168 177 179 185 186 190<br />

193 198 215 223<br />

Graf Th. 244<br />

Gratian 141 296 373 383 407 506<br />

509<br />

Gregor 17 127 144 159 172 173<br />

179 182 191 192 196<br />

Gregor IX. 156 343<br />

Gregor v. Nazianz 373 377<br />

Gregor v. Nyssa 377<br />

Groner F. 516<br />

Groner J.F. XXV 457 458 460<br />

462 463 466 467 474 475 521<br />

Grotius H. 238 288 297<br />

Guillaume d'Auxerre 506<br />

G<strong>und</strong>lach G. 458 479 486 487 492<br />

494<br />

Habermas J. 281<br />

542<br />

Hadrian 139<br />

Hadrossek P. XXII 521<br />

Hartmann N. 282<br />

Hässle J. 426<br />

Healy P.J. 369<br />

Heck Ph. 282<br />

Hegel 447 489 493<br />

Hermogenian 295<br />

Hertling G. v. 514<br />

Hesiod 299<br />

Heumann 257<br />

Hieronymus 182 209<br />

Hilarius 44<br />

Hobbes Th. 304<br />

Holmes O.W. 276 286<br />

Homer 299 446<br />

Honorius IV. 253<br />

Horväth A. 352 427<br />

Hugo v. St. Viktor 522<br />

Irenaus 254 369 370<br />

Isay H. 287<br />

Isidor 34 5 7 13 115 116 168 185<br />

191 295 296<br />

Jacobus <strong>de</strong> Voragine 96<br />

Jerusalem F.W. 286<br />

Johannes XXII. 384<br />

Johannes XXIII. 453 465 467 469<br />

Johannes v. Damaskus 103 190<br />

Johannes Paul II. 337 363 364 365<br />

458 483<br />

Justinian 254 295 302 320 419<br />

Kant I. 271 306 307 442 497<br />

Kantorowicz H. 287<br />

Karl d Grosse 517<br />

Keller-Senn C.J. 520<br />

Kelsen H. 235 238 276 289 303<br />

305 306 317 456 517<br />

Kierkegaard S. 281<br />

Killeen S.M. 426<br />

Klemens v. Alexandrien 370 371<br />

374<br />

Klemens v. Rom 181 373<br />

Klose A. 479 495 521<br />

Kohler J. 279


Kraus J.D. 384<br />

Kühle H. 337<br />

Laktanz 372 373<br />

Larkin P. 359<br />

Laski HJ. 286 369<br />

Laun R. 279<br />

Lauterpacht H. 270 272<br />

Le Foyer J. 251<br />

Leo IV. 127<br />

Leo XIII. 245 354 355 356 358<br />

360 361 363 364 395 458 459<br />

460 462 463 467 468 469 484<br />

490 492 510 518 519 520<br />

Liberatore M. 360<br />

Linhardt R. 292<br />

Locke J. 359 484<br />

Lombard P. 513<br />

Lottin O. 292 295 296<br />

Ludwig d. Heilige 347 349<br />

Luhmann N. 281<br />

Luzia, hl. 96<br />

Macedonius 165<br />

Marcian 295<br />

Maritain J. 508<br />

Marx K. 489<br />

Mausbach J. 522<br />

Mayer J. 348<br />

McDonald W.J. 373<br />

Meinerts M. 520<br />

Messner J. 278 454 479 482 493<br />

494 511 521<br />

Mitteis H. 283<br />

Moralejo R. 462<br />

Müller K. 426<br />

Nell-Breuning O. v. 416 424 425<br />

454 470 487 488 518<br />

Nikolaus I. 99<br />

Nikolaus IV. 253<br />

O'Brien 369<br />

Oliver Martin Fr. 405<br />

Orel A. 421 422 424 426 427 428<br />

429 430 431 432 433 437 438<br />

439<br />

Origenes 371<br />

Pascal J. 268<br />

Pareto V. 495 496 497 498<br />

Parmenianus 90<br />

Paul VI. 462 464 472<br />

Pius I. 182<br />

Pius XI. 245 355 359 361 448 453<br />

454 455 458 462 464 465 467<br />

470 474 485 508 518<br />

Pius XII. XXIV XXV 457 458<br />

460 462 463 466 474 521<br />

Plato 240 372 373 374 376 383<br />

Porphyrius 334<br />

Posidonius 373<br />

Prümmer D. 249<br />

Publicola 99 102 221<br />

Radbruch G. 283 319 337<br />

Ramirez S. 298<br />

Rathenau W. 337<br />

Rauscher A. 360 459 487 495 511<br />

Reinach A. 279<br />

Rinecker C. 490<br />

RyanJ.A. 369<br />

Sacher H. 424 425 470 515<br />

Savigny F.K. v. 286<br />

Schambeck H. 479 511 521<br />

Schätzel W. 521<br />

Scheler M. 282 493 506<br />

Schickling H. 444<br />

Schilling O. 369 371 372 381<br />

Schmal F. 514<br />

Schnürer G. 256<br />

Schöttl F. 490<br />

Schumacher H. 369<br />

Seckel E. 257 510<br />

Seipel I. 369<br />

Seneca 341 373 374<br />

Sieling-Wen<strong>de</strong>ling U. 506<br />

Siri G. 464 468 471<br />

Smith J. 456<br />

Sohm R. 292 293 299<br />

Sombart W. 430<br />

Sommerlad Th. 375<br />

Sorgenfrei H. 490<br />

Soto D. <strong>de</strong> 505<br />

543


Sousberghe L. <strong>de</strong> 353 359<br />

Spann O. 308<br />

Spicq C. 252 259<br />

Spranger E. 281<br />

Stammler R. 271 279 281<br />

Suarez 390 391 392 508 509<br />

Tammelo J. 282<br />

Taparelli L. 359 360 451 484 490<br />

491 492 493 513 522<br />

Tawney R.H. 369<br />

Tertullian 371 372<br />

Thieme K. 453<br />

Thomann M. 490 491<br />

Tischle<strong>de</strong>r P. 521<br />

Tolstoi L. 304<br />

Tomberg V. 320<br />

Tonneau J. 513<br />

Trappe P. 285 496 520<br />

Troeltsch E. 369<br />

Tron<strong>de</strong> R. 513<br />

Truyol Serra A. 520<br />

544<br />

Tüchle H. 250 254 504<br />

Ulpian 294 295 296 302 319<br />

Utz A.F. XXV 244 268 277 279<br />

306 323 329 362 398 449 452<br />

457 458 460 462 463 464 465<br />

466 467 468 469 470 471 472<br />

474 475 496 503 520<br />

Veit O. 286<br />

Verpaalen A.P. 309 480<br />

Vincentius 123<br />

Vitoria F. <strong>de</strong> XXII 292 297 298<br />

503 520<br />

Weber A. 367<br />

Weber M. 369 497<br />

Weiler R. 479 511 521<br />

Welkoborsky H. 506<br />

Welty E. 325 426<br />

Wolf E. 279<br />

Wolff Chr. 491 520<br />

Wyser P. 503


Demnächst erscheint<br />

THOMAS VON AQUIN<br />

DIE HOFFNUNG<br />

(Theologische Summe II-II 17-22)<br />

Ubersetzung<br />

von<br />

Prof. Dr. Josef F. Groner<br />

Anmerkungen <strong>und</strong> Kommentar<br />

von<br />

Prof. Dr. Dr. h. c. Arthur F. Utz<br />

Die Hoffnung gehört zu <strong>de</strong>n f<strong>und</strong>amentalen Themen <strong>de</strong>s Lebens. Die<br />

Klassiker <strong>de</strong>r griechisch-römischen Zeit konnten nur von <strong>de</strong>r Vergeblich­<br />

keit o<strong>de</strong>r Selbsttäuschung re<strong>de</strong>n, die in <strong>de</strong>r menschlichen Hoffnung liege.<br />

Piaton sprach zwar von einer Hoffnung auf Gott, ob jedoch <strong>de</strong>r Ruf <strong>de</strong>s<br />

Hoffen<strong>de</strong>n überhaupt zu ihm gelange <strong>und</strong> sich die Hoffnung erfülle, ver­<br />

mag er nicht zu sagen. In <strong>de</strong>r Philosophie <strong>de</strong>r Neuzeit hat man darauf ver­<br />

zichtet, von <strong>de</strong>r Hoffnung eines einzelnen Menschen im Hinblick auf sein<br />

ewiges Glück zu diskutieren. So wich man aus auf die Hoffnung als Erwar­<br />

tung <strong>de</strong>r Menschheit im Sinn einer optimistischen Entwicklung <strong>de</strong>s Dies­<br />

seits. Der einzelne sollte sein Heil nur in einer Gottwerdung im Rahmen<br />

eines marxistisch konzipierten Geschichtsprozesses erwarten (E. Bloch).<br />

Thomas von Aquin vermittelt in diesem trostreichen Traktat die Ein­<br />

sicht, daß <strong>de</strong>r Mensch, <strong>und</strong> zwar je<strong>de</strong>r einzelne, durch die Gna<strong>de</strong> Christi<br />

die sichere Zuversicht haben kann <strong>und</strong> nach Gottes Willen auch haben soll,<br />

an ein glückliches En<strong>de</strong> zu kommen. Aus dieser Hoffnung soll <strong>de</strong>r Christ<br />

auch das unerschütterliche Vertrauen schöpfen, daß ihm in allen sonstigen<br />

kleinen o<strong>de</strong>r großen Sorgen <strong>de</strong>s täglichen Lebens die allmächtige Hilfe<br />

Gottes zur Verfügung steht. Diese personalistisch geprägte Hoffnung<br />

bewahrt <strong>de</strong>n Theologen vor einer allzu großen Anlehnung an die neuzeit­<br />

lichen kollektivistischen Vorstellungen von einer nur-eschatologischen<br />

Hoffnung <strong>de</strong>r gesamten Menschheit.<br />

IfG-Verlagsgesellschaft mbH, Bonn, Simrockstr. 19

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!