MOLIÃRE Geiz â Liebe â Verschwendung - ASAMnet
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MOLIÈRE<br />
<strong>Geiz</strong> – <strong>Liebe</strong> – <strong>Verschwendung</strong><br />
(Der <strong>Geiz</strong>ige mit ergänzenden Szenen aus<br />
Der Bürger als Edelmann)<br />
Textfassung der Theatergruppe des<br />
Dr.-Johanna-Decker-Gymnasiums<br />
Schuljahr 2003/2004<br />
Harpagon Marion Roier<br />
Frédéric Elli Eichenseer<br />
Cléante Biggi Bauer<br />
Élise Franziska Schmid<br />
Mariane Regina Endres<br />
Valère Julia Frank<br />
Frosine Conny Dobler<br />
Anselmo Sandra Irmer<br />
Jacques Cornelia Fehlner<br />
Vorspiel<br />
Simon, La Flèche<br />
LA FLÈCHE (klopft an) Monsieur Simon!<br />
La Flèche Julia Heuberger<br />
Kommissar Uli Gehring<br />
Simon Anja Sommer<br />
Claude Ellen Heuberger<br />
La Merluche Susanne Herdegen<br />
Fechtlehrer Franziska v. Schießl<br />
Philosoph Steffi Kirner<br />
Musiklehrer Ellen Heuberger<br />
Tanzlehrer Susanne Herdegen<br />
SIMON Wer ist denn da? (öffnet die Tür) Ah, La Flèche! Was willst du denn noch um diese Zeit?<br />
LA FLÈCHE Sie haben doch gesagt, wenn jemand von meiner Herrschaft wieder mal ’n Kredit braucht,<br />
dann soll ich mich ruhig an Sie wenden, oder?<br />
SIMON Ja, natürlich, das hab ich gesagt, und das gilt nach wie vor, mein Junge! Ist es wohl soweit?<br />
LA FLÈCHE Allerdings! Der junge Herr, für den ich seit kurzem arbeite, wird von seinem <strong>Geiz</strong>hals von<br />
Vater so kurz gehalten, dass er seiner Liebsten nicht mal die einfachsten Geschenke machen kann. Das fällt<br />
ihm umso schwerer, weil sein älterer Bruder Frédéric letztes Jahr den Erbteil seiner verstorbenen Mutter<br />
ausgezahlt bekommen hat – und der lebt jetzt in Saus und Braus. Nun will mein Herr Cléante seinen Erbteil,<br />
an den er noch nicht herankommt, beleihen und mit seiner Liebsten in einer anderen Stadt ein neues Leben<br />
anfangen.<br />
SIMON Oh la la, das klingt ja pikant. (zur Seite) Die Gelegenheit scheint günstig, aus dieser Sache<br />
ordentlich Profit zu schlagen. Provision erhöhen, ’ne kleine Risikozulage noch drauf, und schon fließt das<br />
Geld … (zu La Flèche) Da muss man bei der Wahl des Kreditgebers natürlich doppelt vorsichtig sein. Tja –<br />
offen gestanden, ich habe im Moment überhaupt kein Geld …<br />
LA FLÈCHE Wie? Wie ist das mög-<br />
SIMON Aber selbstverständlich kann ich einen Kredit vermitteln …<br />
Stand: 09. Feb. 2004
DJD-Theatergruppe 2003/04 Molière: <strong>Geiz</strong>, <strong>Liebe</strong> und <strong>Verschwendung</strong> Seite 2 von 47<br />
I. Akt, 1. Szene<br />
Élise, Valère<br />
ÉLISE Ja, Valère, was wir uns versprochen haben, will ich halten, aber ich habe Angst, dass ich Sie mehr<br />
liebe, als mir erlaubt ist.<br />
VALÈRE Erlaubt von wem, Élise, und Angst vor was?<br />
ÉLISE Ach, vor dem Zorn des Vaters, vor dem Gerede der Leute, vor dem Urteil der Welt, am meisten aber,<br />
Valère, fürchte ich ihr unbeständiges Herz. Ich fürchte mich vor der eisigen Kälte, mit der Ihr Männer immer<br />
wieder die heiße <strong>Liebe</strong> von uns Frauen bestraft.<br />
VALÈRE Élise! Wie könnte ich vergessen, was ich Ihrer <strong>Liebe</strong> schuldig bin.<br />
ÉLISE Ach, wie gern glaubt eine Frau dem Mann, den sie liebt, und ich höre nicht auf, Ihnen zu glauben,<br />
Valère, denn ich sehe uns immer wieder, wie wir uns das erste Mal sahen. Ich sehe mich in der Gefahr, in der<br />
ich war, und sehe Sie, wie Sie das Leben wagten, um mich zu retten. Das werde ich Ihnen niemals vergessen,<br />
und dafür schulde ich Ihnen lebenslangen Dank, denn das alles rechtfertigt mir selbst gegenüber alles, womit<br />
ich einverstanden war. Aber rechtfertigt das alles all das in den Augen der anderen?<br />
VALÈRE Alles, Élise! Alles was wir getan haben, braucht keine Rechtfertigung, verglichen mit dem, wofür<br />
Ihr Vater sich nie rechtfertigt; denn seine grenzenlose Habgier und sein sagenhafter <strong>Geiz</strong>, Élise, spotten jeder<br />
Beschreibung – ganz zu schweigen von der fast ebenso grenzenlosen <strong>Verschwendung</strong>ssucht Ihres älteren<br />
Bruders Frédéric. Aber wenn ich am Ende meine Eltern wieder finde, wird sich alles zum Guten wenden.<br />
ÉLISE Aber bis dahin, Valère, müssen Sie alles tun, damit mein Herr Vater nichts von allem erfährt.<br />
VALÈRE Aber Élise, sehen Sie denn nicht, wie viel Mühe ich mir geben und wie viel Geschick und Geduld<br />
ich aufbringen musste, um diese Anstellung zu bekommen, und hinter welcher Maske ich mich seither<br />
verstecken und wie viel Rollen ich seither spielen muss, um ihn bei Laune zu halten! Aber das Verrückte<br />
dabei ist, dass ich dabei die komischsten Entdeckungen über die Leute mache: Willst du sie um den Finger<br />
wickeln, brauchst du nur zu allem ja zu sagen, was sie so an Weisheiten und Dummheiten von sich geben,<br />
dann kannst du ihnen die größten Bären aufbinden und ihnen das Blaue vom Himmel herunterspinnen, sie<br />
glauben dir jedes Wort, solange du alles bewunderst, was sie sagen und tun. Die Moral kommt dabei etwas zu<br />
kurz, aber schließlich weiß heute jeder, dass ein Mann Haare lassen muss, wenn er es zu was bringen will.<br />
ÉLISE In diesem Sinne, Valère, müssen Sie dringend mit meinem jüngeren Bruder Cléante reden, denn ich<br />
habe Angst, die Magd könnte uns verraten.<br />
VALÈRE Ich kann nicht mit Cléante reden, die Gefahr ist zu groß, dass Ihr Vater dadurch von unserer <strong>Liebe</strong><br />
erfährt.. Reden Sie lieber mit ihm. Da kommt er, ich gehe.<br />
ÉLISE Ach, ich weiß nicht, ob das richtig ist, wenn ich ihm verrate, dass ich liebe.<br />
1. AKT - 2. SZENE<br />
Cléante, Élise<br />
CLÉANTE Élise! Gut, dass du da bist. Ich muss dich sprechen. Ich muss dir was sagen.<br />
ÉLISE Was ist, Cléante, bist du krank?
DJD-Theatergruppe 2003/04 Molière: <strong>Geiz</strong>, <strong>Liebe</strong> und <strong>Verschwendung</strong> Seite 3 von 47<br />
CLÉANTE Nein! ICH LIEBE!<br />
ÉLISE Du liebst?<br />
CLÉANTE Ja! Ich liebe! Und deshalb verschone mich mit deiner Predigt: ich weiß, dass ich meinem Vater<br />
Gehorsam schulde, ich weiß, dass ich ohne seine Genehmigung nicht heiraten darf, ich weiß, beim Himmel,<br />
dass er Herr über Leben und <strong>Liebe</strong> für mich ist, ich weiß auch, dass seine Altersweisheit leuchtet, während<br />
meine Jugenddummheit blinde Leidenschaft entfacht, und ich weiß, dass er deshalb viel weniger<br />
Täuschungen ausgesetzt ist als ich und dass er deshalb viel besser weiß als ich, was gut und richtig für mich<br />
ist, so dass durch den Schutz seiner Vollkommenheit meine Unvollkommenheit sich nicht in abgründige<br />
Tiefen zu stürzen vermag. Ich habe dir das eben alles nur gesagt, damit dir klar ist, dass mir klar ist, dass du<br />
mir alles eben sagen wolltest und ich diese ewig gleiche Predigt nicht mehr ertragen kann. Also lass mich in<br />
Ruhe damit, denn meine <strong>Liebe</strong> hört auf nichts. Ich werde sie heiraten.<br />
ÉLISE Was, du willst heiraten, Cléante?<br />
CLÉANTE Ja! ich bin dazu fest entschlossen, und ich sage dir klipp und klar: versuche nicht, mich mit<br />
deiner Moral und deiner Sittsamkeit davon abzuhalten.<br />
ÉLISE Gut, Bruderherz, dann komm du mir aber auch nicht mehr mit Keuschheit und Anstand. Doch eh wir<br />
von mir reden, sag du zuerst, wen du liebst.<br />
CLÉANTE Ein Mädchen. Es wohnt um die Ecke. Es heißt Mariane und pflegt seine kranke Mutter mit<br />
tausendfacher Anmut, nie versagender Güte und anbetungswürdiger Aufopferung.<br />
ÉLISE Wie schön, ich sehe sie vor mir.<br />
CLÉANTE Ja! Sie leben in echter Armut. Ach, Schwester, wie herrlich könnte es sein, einem so armen und<br />
schönen Mädchen ganz unauffällig zu helfen. Kannst du dir vorstellen, wie sehr ich darunter leide, dass der<br />
<strong>Geiz</strong> unseres Vaters mich daran hindert, die Lust an solchen Freuden auszukosten?<br />
ELISE Ja, Bruder, ich verstehe sehr gut, wie groß dein Kummer ist; denn armen Menschen zu helfen, ist<br />
sicher etwas sehr Schönes.<br />
CLÉANTE Ja, und stattdessen muss ich überall Schulden machen, um nach meinem Geschmack leben zu<br />
können – während unser Bruder Frédéric sein Erbteil von unserer seligen Mutter in Saus und Braus verprasst!<br />
- Élise, du musst herausbekommen, wie unser Vater über meine <strong>Liebe</strong> denkt. Ist er dagegen, dann nehme ich<br />
Mariane, verschwinde und versuche irgendwo in der Welt mein Glück. Du kannst mitkommen, wenn du<br />
willst. Das Geld dafür treibe ich auf. Ich höre die Stimme unseres Vaters. Lass uns gehen.<br />
1. AKT - 3. SZENE<br />
Harpagon, La Flèche<br />
HARPAGON Raus mit dir! Keine Widerrede! Raus aus meinem Haus! Raus, auf der Stelle! Du Schnüffler!<br />
Du Spitzel! Du Dieb!<br />
LA FLÈCHE Etwas Knausrigeres als diesen knickrigen Alten hat es noch nicht gegeben.<br />
HARPAGON Was knurrst du da?<br />
LA FLÈCHE Warum schmeißt ihr mich raus?
DJD-Theatergruppe 2003/04 Molière: <strong>Geiz</strong>, <strong>Liebe</strong> und <strong>Verschwendung</strong> Seite 4 von 47<br />
HARPAGON Raus! Sonst schlag ich dich tot!<br />
LA FLÈCHE Was habe ich denn getan?<br />
HARPAGON Das hast du getan. - Raus!<br />
LA FLÈCHE Ihr Sohn Cleánte, mein Herr, hat mir befohlen, hier auf ihn zu warten.<br />
HARPAGON So? Mein Sohn Cléante, dein Herr? - Dann warte draußen, du Lump, du der du meine<br />
Geschäfte bespitzelst, der du mit deinen gierigen Blikken alles verschlingst, mit deinen großen Ohren alles<br />
belauschst, der du mit deiner spitzen Nase überall herumschnüffelst, ob es für deine langen Finger nichts zu<br />
stehlen gibt.<br />
LA FLÈCHE Euch? Bestehlen? Der alles einschließt und Tag und Nacht davor Wache steht?<br />
HARPAGON Ich kann davorstehen, so oft ich will, und alles einschließlich Tag und Nacht. Ich bin von<br />
Dieben umgeben, die mich belauern auf Schritt und Tritt. (beiseite) Weiß er was von meinem Geld? Kennt er<br />
das Versteck? (laut) du bist auch so einer von denen, die hier drin herumlungern und draußen überall<br />
herumlügen, ich hätte mein Geld vergraben.<br />
LA FLÈCHE Sie haben Ihr Geld vergraben?<br />
HARPAGON Nein! Aber verbreitest du nicht das Gerücht, ich hätte es vergraben?<br />
LA FLÈCHE Vergraben oder nicht vergraben - das ist hier nicht die Frage. Die Antwort ist, wir haben ja<br />
sowieso nichts davon.<br />
HARPAGON Jetzt aber raus hier!<br />
LA FLÈCHE Ich geh ja schon raus hier.<br />
HARPAGON Halt! Was hast du gestohlen? Zeig mir deine Hände!<br />
LA FLÈCHE Hier.<br />
HARPAGON Die anderen.<br />
LA FLÈCHE Die anderen?<br />
HARPAGON Ja.<br />
LA FLÈCHE Hier.<br />
HARPAGON Was hast du da drin? (zeigt auf La Flèches Hose)<br />
LA FLÈCHE Sehen Sie doch nach. (beiseite) Die Pest auf den <strong>Geiz</strong> und die <strong>Geiz</strong>igen.<br />
HARPAGON Den <strong>Geiz</strong>igen? Wen meinst du damit?<br />
LA FLÈCHE Den Blutsauger und den Halsabschneider.<br />
HARPAGON Noch ein Wort und ich schneide dir den Hals ab.<br />
LA FLÈCHE Dieser Schuh ist noch nicht durchsucht.
DJD-Theatergruppe 2003/04 Molière: <strong>Geiz</strong>, <strong>Liebe</strong> und <strong>Verschwendung</strong> Seite 5 von 47<br />
HARPAGON Scher dich zum Teufel.<br />
LA FLÈCHE Gott befohlen.<br />
I. Akt, 4. Szene<br />
Harpagon, Cléante, Élise<br />
HARPAGON Dieser lahme Hund, dieser hinkende Diener, dieser verkommene Krüppel macht mich krank.<br />
Es ist, weiß Gott, keine kleine Strafe, so große Summen Geld im Haus zu haben, und ich werde froh sein,<br />
wenn erst alles wieder sicher angelegt ist. Man darf keinen Pfennig mehr im Haus behalten, sag ich immer,<br />
als man unbedingt zum Leben braucht. Allein schon ein sicheres Versteck zu suchen bringt einen nächtelang<br />
um den Schlaf. Zum Teufel mit allen Tresoren, Schließfächern und Geldschränken, an die sich die Diebe<br />
zuerst ranmachen. Aber vielleicht war es doch falsch, die Hunderttausend, die ich gestern zurückbekam, im<br />
Garten zu vergraben. Einhunderttausend - verflucht noch eins - hab ich mich verraten, hab ich zu laut<br />
gesprochen, haben die was gehört? Was ist?<br />
CLÉANTE Nichts, mein Vater.<br />
HARPAGON Seid ihr schon länger hier?<br />
ÉLISE Seit eben.<br />
HARPAGON Habt ihr was gehört?<br />
ÉLISE Was?<br />
HARPAGON Was, was ich soeben gesagt habe.<br />
CLÉANTE Nein.<br />
HARPAGON Doch.<br />
ÉLISE Nein.<br />
HARPAGON Ich sehe es euch an, dass ihr was gehört habt. Gerade dachte ich laut darüber nach, wie schwer<br />
es heute ist, Geld aufzutreiben, und welches Glück es wäre, Hunderttausend in bar zu haben, aber bildet euch<br />
nur nicht ein, ich hätte Hunderttausend im Garten vergraben. Gäb Gott, ich hätte Hunderttausend.<br />
CLÉANTE Ja, gäb's Gott.<br />
HARPAGON Das wäre ein Geschenk des Himmels.<br />
ÉLISE Weiß Gott, das wär's.<br />
HARPAGON Dann wär's egal, wie schlecht die Zeiten sind.<br />
CLÉANTE Mein Gott, zum Teufel, Herr Vater, jeder weiß doch, dass Ihr, weiß Gott, genug Geld habt.<br />
HARPAGON Wer das weiß, der lügt, weiß Gott.<br />
ÉLISE O Gott, regen Sie sich nicht so auf, Herr Vater.
DJD-Theatergruppe 2003/04 Molière: <strong>Geiz</strong>, <strong>Liebe</strong> und <strong>Verschwendung</strong> Seite 6 von 47<br />
HARPAGON Meine eigenen Kinder verraten mich, mein Gott, und werden zu meinen Feinden.<br />
CLÉANTE Werden wir zu Ihren Feinden, weil wir sagen, Sie hätten Geld?<br />
HARPAGON Ja, das werdet ihr dadurch, denn durch solches Geschwätz und eure Ausgaben glaubt jeder, ich<br />
schwimm im Geld, und eines Tages schneidet man mir deshalb die Kehle durch.<br />
CLÉANTE Was gebe ich denn schon aus? Im Vergleich zu meinem Bruder Frédéric …<br />
HARPAGON Was du ausgibst? Es gibt nichts, wofür du nichts ausgibst, du Nichtsnutz, du gibst noch mehr<br />
aus als deine Schwester, wenn sie viel ausgibt, denn du gibst viel zu viel aus, und dieses „viel zu viel“ stiehlst<br />
du mir viel zu oft, und von Frédéric brauchst du mir schon überhaupt nicht anzufangen, sonst höre ich sofort<br />
auf dir zuzuhören. Woher hast du denn das viele Geld, das du immerzu ausgibst?<br />
CLÉANTE Ich spiele.<br />
HARPAGON Und was machst du mit dem Gewinn? Du legst ihn hoffentlich an, zu einem guten Zins, damit<br />
was draus wird. Stell dir mal vor, du gewinnst Hunderttausend, gehen ab dreieinhalb Prozent für den<br />
Croupier, macht dreitausendfünfhundert Mark, abzüglich Spielsteuer, dazu der Rabatt mit achteinhalb, macht<br />
Sechstausenddreihundertfünfzig, das Ganze mal elfeinhalb, weil die Feiertage wegfallen, dann bleiben dir<br />
alles in allem - na - Achtundsechzigtausenddreihundertundneunzig Komma vier, vier, vier.<br />
CLÉANTE Ja, Einunddreißigtausendsechshundert Komma sechsundfünfzig weniger als vorher.<br />
HARPAGON Na, rechnen kannst du ja wenigstens. – Was wollt ihr?<br />
ÉLISE Wir müssen mit Ihnen reden, Herr Vater.<br />
HARPAGON Und ich muss mit euch reden, Fräulein Tochter.<br />
CLÉANTE Wir möchten mit Ihnen über das Heiraten reden, Herr Vater.<br />
HARPAGON Ich möchte auch über das Heiraten reden, Herr Sohn.<br />
ÉLISE Ach, Vater.<br />
HARPAGON Was ist? Macht dir das Wort Angst, Tochter, oder die Sache selbst?<br />
CLÉANTE Weder noch. Herr Vater, Angst macht uns, was Sie darunter verstehen. Angst macht uns, dass<br />
unsere ehrlichen Gefühle und Ihre geschäftlichen Interessen nicht übereinstimmen.<br />
HARPAGON Aber meine Kinder, euer Vater kennt euch doch und weiß sehr gut, was richtig für euch ist,<br />
und ihr werdet bestimmt keinen Grund zum Klagen haben, wenn ihr hört, was ich insgeheim, ohne euch zu<br />
fragen, beschlossen habe. Mein Sohn, kennst du ein Mädchen, das jung ist, hier um die Ecke wohnt und<br />
Mariane heißt?<br />
CLÉANTE Ich kenne es, Herr Vater.<br />
HARPAGON Und wie, mein Sohn, gefällt dir es?<br />
CLÉANTE Es gefällt mir sehr!<br />
HARPAGON Und wie sieht es aus, mein Sohn?
DJD-Theatergruppe 2003/04 Molière: <strong>Geiz</strong>, <strong>Liebe</strong> und <strong>Verschwendung</strong> Seite 7 von 47<br />
CLÉANTE Es ist sehr schön, Herr Vater.<br />
HARPAGON Und ist es sittsam, ehrlich und tugendhaft und eine gute Hausfrau und sauber und fleißig?<br />
CLÉANTE Ja, ganz bestimmt, Herr Vater, ja, das ist es.<br />
HARPAGON Ja, mein Sohn, es hat nur einen kleinen Haken, es hat ganz und gar kein Geld.<br />
CLÉANTE Aber Geld, Herr Vater, spielt hier ganz und gar keine Rolle, denn es, das Mädchen, ist<br />
unbezahlbar.<br />
HARPAGON Nur immer langsam, Herr Sohn, nur kein Leichtsinn.<br />
CLÉANTE Ja, natürlich, Herr Vater, dieser Makel lässt sich leicht beheben.<br />
HARPAGON Sehr schön, mein Sohn, wenn du meiner Meinung bist, denn ich werde es, dieses Mädchen,<br />
das mein Herz gewonnen hat mit ihrem seinem Liebreiz, sobald sie es nur zu etwas Vermögen gebracht hat,<br />
heiraten.<br />
CLÉANTE Was?<br />
HARPAGON Wieso was?<br />
CLÉANTE Du? Es?<br />
HARPAGON Ich! Sie!<br />
CLÉANTE Sie? Dich?<br />
HARPAGON Ja! Es! Mich!<br />
CLÉANTE Ich muss raus. Es wird mir schlecht.<br />
HARPAGON Was ist dir, mein Sohn, geh in die Küche und trink ein Glas Wasser. Für diesen Zögling,<br />
diesen verzogenen, für den hab ich eine erfahrene Witwe bestimmt, und dich, meine Tochter, habe ich dem<br />
Herrn Anselmo, einem reichen Ausländer aus Neapel versprochen.<br />
ÉLISE Mich, einem Fremden aus Neapel?<br />
HARPAGON Ja, dem Herrn Anselmo, einem reichen und reifen Ausländer, so um die Fünfzig.<br />
ÉLISE Mit Verlaub, lieber Herr Vater, ich will keinen Ausländer, auch keinen reichen um die Fünfzig.<br />
HARPAGON Mit Verlaub, meine liebe Tochter, und ich will, dass du ihn willst.<br />
ÉLISE Nichts gegen Ihren Willen, Herr Vater, aber ich will ihn nicht gegen meinen Willen.<br />
HARPAGON Mit deinem Willen oder gegen deinen Willen, du willst, was ich will, und ich will, dass du ihn<br />
noch heute Abend heiratest.<br />
ÉLISE Nein.<br />
HARPAGON Doch.
DJD-Theatergruppe 2003/04 Molière: <strong>Geiz</strong>, <strong>Liebe</strong> und <strong>Verschwendung</strong> Seite 8 von 47<br />
ÉLISE Nein.<br />
HARPAGON Doch, sag ich.<br />
ÉLISE Dazu lasse ich mich nicht zwingen.<br />
HARPAGON Dazu werde ich dich zwingen.<br />
ÉLISE Bevor ich ihn heirate, bringe ich mich um.<br />
HARPAGON Bevor du dich umbringst, heiratest du ihn.<br />
ÉLISE Nein.<br />
HARPAGON Da kommt Valère: Soll er entscheiden, ob du ihn heiratest oder nicht!<br />
ÉLISE Einverstanden!<br />
HARPAGON Abgemacht!<br />
1. AKT, 5. SZENE<br />
Valère, Harpagon, Élise<br />
HARPAGON Komm mal her, Valère, und entscheide, wer recht hat. Ich oder meine Tochter.<br />
VALÈRE Sie.<br />
HARPAGON Woher weißt du, worum es geht?<br />
VALÈRE Wozu? Sie haben immer Recht. Sie sind die Gerechtigkeit selber.<br />
HARPAGON Ja. Ich will ihr einen reichen und reifen Mann geben, und sie will ihn nicht haben. Herr<br />
Anselmo ist ein Edelmann, ledig, ohne Kinder und hat sich verpflichtet, sie ganz und gar ohne Mitgift zu<br />
nehmen. Entscheide!<br />
VALÈRE Sie ganz und gar ohne Mitgift zu nehmen, dagegen lässt sich nichts sagen. Sagen lässt sich aber<br />
etwas dagegen, sie ganz und gar ohne Mitgift zu geben, weil dadurch der Eindruck entstehen könnte, sie sei<br />
ganz und gar nicht der Mitgift wert und deshalb selber ganz und gar wertlos.<br />
HARPAGON Ohne Mitgift.<br />
VALÈRE Ja, wie eben gesagt, lässt sich gegen "ohne Mitgift" nichts sagen, sagen lässt sich gegen "ohne<br />
Mitgift" eben nur, dass die "Ohne-Mitgift-Väter" möglicherweise das mögliche Glück ihrer Töchter vergiften<br />
und somit das "ohne Mitgift" zum möglichen Gift für die ganze Ehe werden kann. Das Ausschlaggebende an<br />
sich ist, ob Mitgift Gift oder nicht Gift ist.<br />
HARPAGON Ohne Mitgift. Das sind ganz und gar keine Ausgaben für mich.<br />
VALÈRE Ganz und gar keine Ausgaben für Sie, das allein ist natürlich ganz und gar ausschlaggebend, aber<br />
dies ist auch nicht allein ausschlaggebend, weil die ausschlaggebenden Gefühle einer Tochter nicht<br />
unausschlaggebend sind, wenn sie nicht auch berücksichtigt werden, da sie sonst in der Ehe zu
DJD-Theatergruppe 2003/04 Molière: <strong>Geiz</strong>, <strong>Liebe</strong> und <strong>Verschwendung</strong> Seite 9 von 47<br />
ausschlaggebenden Zwischenfällen führen könnten, die das Ganze auf einen Schlag zerschlagen, so dass von<br />
der Ehe ganz und gar nichts übrig bleibt.<br />
HARPAGON Horch, draußen bellt mein Hund. Stiehlt dort etwa einer mein ganzes Geld? Ihr bleibt hier, ich<br />
bin gleich wieder da. (ab)<br />
ÉLISE Was soll denn das, Valère, sind Sie verrückt geworden? Das ganze Reden ist doch für die Katz bei<br />
meinem Herrn Vater.<br />
VALÈRE Zum Kuckuck, Elise, das ist ja mein Trick, damit wir Zeit gewinnen.<br />
ÉLISE Aber ich werde heute Abend verkauft, Sie Unschuldslamm.<br />
VALÈRE Das werde ich zu verhindern wissen. (Harpagon kommt zurück)<br />
HARPAGON Blinder Alarm. Es war nur ein Maulwurf.<br />
VALÈRE (leise) Als Letztes bleibt uns immer noch die Flucht ... (laut) Ja, eine Tochter muss ihrem Vater<br />
aufs Wort gehorchen und zu allem Ja und Amen sagen, wie sich das für eine Jungfrau gehört.<br />
HARPAGON Das sind goldene Worte.<br />
VALÈRE Verzeihen Sie, Herr Chef, wenn ich mit Ihrer Tochter Tacheles rede.<br />
HARPAGON Tu dir keinen Zwang an, lieber Freund, ich gebe dir unumschränkt Gewalt über sie, und du, du<br />
machst, was er sagt.<br />
VALÈRE Haben Sie gehört, Élise, Sie sollen alles machen, was ich sage. Ich gehe jetzt zu ihr, Herr Chef,<br />
und sage ihr, was sie zu machen hat.<br />
HARPAGON Geh nur, geh, und mach, was du denkst, ich vertraue dir ganz und gar.<br />
VALÈRE Man darf die Zügel nicht zu locker lassen.<br />
HARPAGON Ja, sie soll lernen zu parieren.<br />
VALÈRE Wer sein Kind liebt, der züchtigt es.<br />
HARPAGON Ja, sie soll die Rute spüren.<br />
VALÈRE Was Lieschen nicht lernt, lernt Élise nimmermehr.<br />
HARPAGON Ja, nichts auf der Welt ist so wertvoll wie Geld. Wenn ihr mich braucht, ich bin im Garten.<br />
VALÈRE Ja, nichts auf der Welt ist so wertvoll wie Geld, Élise, Ihr Vater kennt das Leben. "Ohne Mitgift" -<br />
das ist besser als alle Schönheit, Ehre, Jugend, Glück, Verstand und Tugend.<br />
HARPAGON Braver Bursche! Sagt, was ich denke, es ist unbezahlbar, einen solchen verdienstvollen Diener<br />
im Dienst zu haben.
DJD-Theatergruppe 2003/04 Molière: <strong>Geiz</strong>, <strong>Liebe</strong> und <strong>Verschwendung</strong> Seite 10 von 47<br />
II. AKT - 1. SZENE<br />
Cléante, La Flèche<br />
CLÉANTE Na, du Gauner, du wolltest doch hier auf mich warten ...<br />
LA FLÈCHE Hab ich auch, Junior, aber der Chef, dieser knausrigre Knicker, hat mich rausgeschmissen.<br />
CLÉANTE In Ordnung, und was ist mit den Hunderttausend? Mein Herr Vater ist mein Nebenbuhler, ich<br />
brauche das Geld sofort.<br />
LA FLÈCHE Der Chef ...?<br />
CLÉANTE Ja, mein Mädchen, –er will es heiraten!<br />
LA FLÈCHE Was, der Alte buhlt um euer Mädchen und will es heiraten? Pfui Teufel!<br />
CLÉANTE Ja, pfui Teufel, ich muss die Heirat unbedingt verhindern, und wenn ich das nicht schaffe,<br />
brauche ich das Geld, um zu fliehen. Also, wie steht's mit den Hunderttausend?<br />
LA FLÈCHE Eins zu hunderttausend.<br />
CLÉANTE Ja, und was heißt das?<br />
LA FLÈCHE Das heißt, dass es dabei einhunderttausend Schwierigkeiten gibt, bis man einmal zu Geld<br />
kommt.<br />
CLÉANTE Diese Schwierigkeiten interessieren mich nicht. Wozu bezahle ich einen Makler?<br />
LA FLÈCHE Der Makler Simon hat sich für Sie, Junior, die Hacken abgelaufen, bloß um einen Gläubiger an<br />
Land zu ziehen.<br />
CLÉANTE Sehr gut, her mit dem Scheck.<br />
LA FLÈCHE Moment, selbiger Herr Makler Simon hat nach Diktat jenes soeben erwähnten Gläubigers den<br />
im weiteren Wortlaut zu verlesenden Vertragstext folgenden Inhalts aufgesetzt: Erstens, der Geldgeber<br />
möchte vorerst ungenannt bleiben. Zweitens, der Geldgeber verlangt zuverlässige Auskunft über des<br />
Schuldners Vermögen - und detaillierten Einblick in des Schuldners Familienverhältnisse, um - drittens - des<br />
Schuldners Kreditwürdigkeit peinlichst zu prüfen und des Schuldners Kreditrahmen umfänglich abstecken zu<br />
können. Viertens, sofern der Schuldner über geeignete Sicherheiten verfügt, wie liegende und stehende Werte,<br />
also Liegenschaften, wie z.B. Vorwerke, Ausgedinge, Baumschulen, Kaffeeplantagen, und also Anlagen, wie<br />
z.B. Lebensversicherungen, Kriegsanleihen, Erbverträge, Leibrenten, Schuldverschreibungen und Wechsel<br />
aller Art, so hat er diese dem ungenannten Gläubiger gegenüber uneingeschränkt offen darlegen zu lassen.<br />
CLÉANTE Sehr gut, kein Problem, die Hinterlassenschaften meiner früh verstorbenen Mutter sollten wohl<br />
ausreichen.<br />
LA FLÈCHE Das werden sie, Junior. Also weiter im Text: Vorausgesetzt, der ungenannte Gläubiger findet<br />
die genannten Sicherheiten des genannten Schuldners hinreichend belegt, erklärt er sich bereit, die Summe<br />
von Hunderttausend zum nächsten Ersten zu veranlassen.<br />
CLÉANTE Donnerwetter, das ist noch ganz die alte Schule.<br />
LA FLÈCHE Ganz die alte, Junior, verzinst mit fünf Prozent ab Fälligkeit per anno.
DJD-Theatergruppe 2003/04 Molière: <strong>Geiz</strong>, <strong>Liebe</strong> und <strong>Verschwendung</strong> Seite 11 von 47<br />
CLÉANTE Das nennt man einen seriösen Geschäftsmann.<br />
LA FLÈCHE Bis ins Mark, Junior. Da aber sechstens der ungenannte Gläubiger die in Rede stehende<br />
Summe gar nicht besitzt, sondern sich selbst alleinschuldnerisch über Risiko belastet gegenüber einem nie mit<br />
eigenem Namen zeichnenden oder gar unter diesem Namen in Erscheinung treten wollende Gesamtgläubiger,<br />
erwächst ihm selbst eine zinsliche Belastung in Höhe von zwanzig Prozent, die er, um genanntem Schuldner<br />
über Gebühr gefällig zu sein, aus eigener Tasche vorschießt, um sie anschließend dem genannten Schuldner<br />
gebührend in Rechnung zu stellen.<br />
CLÉANTE Heiliger Judas, das sind ja fünfundzwanzig Prozent!<br />
LA FLÈCHE Stimmt, Junior, hier steht's!<br />
CLÉANTE Der zieht einem das Fell über die Ohren, aber was soll ich machen?<br />
LA FLÈCHE Genau, Junior, so ist es. Siebtens: Von den Einhunderttausend zahlt der unter fünf genannte<br />
Gläubiger drei Viertel, also fünfundsiebzigtausend, in bar und ein Viertel, also fünfundzwanzigtausend, in<br />
Sachwerten gemäß nachfolgend im Einzelnen aufgelisteter Liste, deren Stückpreise vom ungenannten<br />
Gläubiger kulant festgesetzt wurden und die durch den unter zweitens genannten Schuldner zu übernehmen<br />
sind.<br />
CLÉANTE Das ist der Gipfel, aber lies vor.<br />
LA FLÈCHE Ja, der Gipfel, Junior. Ich lese: Ein Bett mit vier Füßen, Eiche, geflammt und gedrechselt, dazu<br />
sechs Stühle aus dem gleichen Holz, genauso gedrechselt, ferner eine Steppdecke, sehr gut erhalten, wattiert,<br />
auf hellblauen Taft gesteppt, ferner ein Betthimmel aus rosa Tüll, gefältelt, und die dazu passende<br />
Bettumrandung in der gleichen Art ...<br />
CLÉANTE Was soll denn das heißen?<br />
LA FLÈCHE Warten Sie ab, Junior. Ferner einen Ausziehtisch für zwölf bis vierzehn Personen aus<br />
Nussbaum, poliert, nebst den dazugehörigen Stühlen und Fußbänkehen, ferner ein ausgehöhlter Elefantenfuß,<br />
zum Eintopfen für Gummibäume oder Zimmerlinden geeignet, ferner drei große, ganz mit Silbernägeln<br />
beschlagene Vorderlader nebst den dazugehörigen eisernen Stützgabeln ...<br />
CLÉANTE Was soll ich denn mit dem Zeug?<br />
LA FLÈCHE Nur Geduld, Junior. Ferner ein transportabler Ofen aus roten gebrannten Ziegelsteinen, mit<br />
zwei Retorten und drei Rücklaufgeräten zum Schnapsbrennen, ferner eine Stehlampe, vierarmig, mit<br />
gusseisernem Ständer ...<br />
CLÉANTE Was zum Teufel soll das Ganze?<br />
LA FLÈCHE Nicht aufregen, Junior. Ferner ein kombiniertes Dame- und Mühlespiel mit vielen schwarzen<br />
und weißen Steinen, ferner ein dreieinhalb Meter langer Alligator, mit Holzwolle ausgestopft, eine Seltenheit,<br />
die man gut als Schmuck an die Decke hängen kann. Alle vorgenannten Gegenstände haben gut und gerne<br />
einen Wert von über Dreißigtausend, werden aber von dem ungenannten Gläubiger<br />
entgegenkommenderweise für Fünfundzwanzigtausend in Rechnung gestellt.<br />
CLÉANTE Kann dieser habgierige Mensch nicht zufrieden sein mit den Fünfundzwanzig. Muss er mir noch<br />
den alten Ramsch andrehen, den er, wer weiß wo, zusammengeschachert hat und den ich nicht mal für Fünf<br />
loskriege. Aber der unsägliche <strong>Geiz</strong> meines Herrn Vater lässt mir keine andere Wahl. Es ist kein Wunder,<br />
wenn es Söhne gibt, die auf den Knien den Tod solcher Väter herbeibeten.
DJD-Theatergruppe 2003/04 Molière: <strong>Geiz</strong>, <strong>Liebe</strong> und <strong>Verschwendung</strong> Seite 12 von 47<br />
LA FLÈCHE Tod den Vätern, Junior. Auch ich habe meinen umgebracht, zwar auch nur durch Gebete, und<br />
wie Sie sehen, seither geht's mir viel besser, aber zugegeben, der hemmungslose <strong>Geiz</strong> Ihres Herrn Vater treibt<br />
mich sogar kopfüber in die Kleptomanie, denn so einem den Beutel zu schneiden, das ist, zum Teufel,<br />
gottgefällig.<br />
CLÉANTE Na dann her mit dem Vertrag, Beutelschneider, ich will ihn noch mal durchsehen.<br />
II. AKT -2. SZENE<br />
Makler Simon, Harpagon, Cléante, La Flèche<br />
SIMON Ja, mein Herr, es handelt sich in der Tat um einen jungen Mann, der einer Affaire wegen gezwungen<br />
ist, umgehend Geld aufzunehmen. Das Prekäre seiner Lage wird ihm keinen anderen Ausweg lassen, als sich<br />
den von uns erhobenen und vertraglich festgesetzten Forderungen zu beugen.<br />
HARPAGON Und sie garantieren mir, Herr Makler Simon, dass ich ganz und gar kein Risiko eingehe.<br />
SIMON Zu meiner großen Freude, mein Herr, lässt sich das durchaus garantieren. Mir sind zwar weder<br />
Name noch Familie des jungen Mannes näher bekannt - der pure Zufall ließ seinen Diener an meine Adresse<br />
geraten - dieser jedoch hat mir zweifelsohne versichert, dass es sich um einen Spross aus reichem Hause<br />
handelt, dessen Mutter verstorben ist und dessen Vaters Tod er nach Ablauf von neun Monaten garantiert,<br />
falls er mit der Tilgung seiner Schulden in Verzug gerät.<br />
HARPAGON Korrekt. Verträge müssen erfüllt werden.<br />
LA FLÈCHE Junior, da kommt unser Herr Makler mit Ihrem Herrn Vater.<br />
CLÉANTE Mit meinem Herrn Vater, du hast mich verraten.<br />
SIMON (zu La Flèche) Was willst du denn hier? Wer hat dir denn die Adresse dieses Herrn hier gegeben. (zu<br />
Harpagon) Ich, mein Herr, habe sie ihm nicht gegeben, weder Ihren Namen noch Ihre Wohnung. Aber da die<br />
Herrschaften einen absolut soliden und verschwiegenen Eindruck machen, würde ich anheim stellen, sich<br />
über die betreffende Angelegenheit gleich hier an Ort und Stelle zu verständigen.<br />
HARPAGON Wie.<br />
SIMON Ja, mein Herr, dieser Herr ist der Herr wegen der Hunderttausend.<br />
HARPAGON Was, du Spatzenhirn, auf einen so faulen Handel gehst du ein?<br />
CLÉANTE Wie, lieber Herr Vater, dieses saubere Geschäft stammt von Ihnen?<br />
HARPAGON Du willst dich durch einen so unverschämten Kredit ruinieren?<br />
CLÉANTE Sie wollen sich durch einen so verdammenswerten Wucher bereichern?<br />
HARPAGON Du wagst es noch, mir unter die Augen zu treten?<br />
CLÉANTE Sie wagen es noch, sich öffentlich zu zeigen?<br />
HARPAGON Schämst du dich nicht, sag mal, dich in so schamlose Ausgaben zu stürzen, dich zu einer<br />
solchen <strong>Verschwendung</strong> hinreißen zu lassen und in derart unverantwortlicher Weise das Vermögen zu<br />
verschleudern, das dir deine kürzlich verstorbene Mutter hinterlassen hat.
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CLÉANTE Werden Sie nicht schamrot, Ihre Ehre als Geschäftsmann durch derlei Praktiken zu beflecken,<br />
Ihren Ruf und Ihr Ansehen Ihrer unersättlichen Geldgier zu opfern, und was die Zinsen angeht, übersteigt das<br />
die Verruchtheit noch der infamsten Wucherer.<br />
HARPAGON Aus den Augen, du Versager, geh mir aus den Augen!<br />
CLÉANTE Wer muss hier wem aus den Augen gehen? Der, der sich das Geld beschafft, das er benötigt, oder<br />
der, der das Geld zusammenrafft, das er nicht benötigt?<br />
HARPAGON Geh! Eh ich mich vergesse! (beiseite) Aus solchen Zwischenfällen wie diesem kann man nur<br />
lernen, das heißt, ich muss immer ein Auge auf meinen Herrn Sohn werfen.<br />
II. AKT - 3. SZENE<br />
Frosine, Harpagon, La Flèche<br />
FROSINE Hallo, Herr Harpagon!<br />
HARPAGON Guten Tag, Jungfer Frosine. (beiseite) Mein Hund bellt, ich muss sofort nach meinem Geld<br />
sehen. (laut) Ich gehe und komme gleich wieder.<br />
LA FLÈCHE Dieser alte Knicker muss irgendwo ein Lager für den Krempel haben, denn alles, was auf der<br />
Liste steht, ist nicht im Haus.<br />
FROSINE Na, mein steiler Elch, sieht man dich auch mal wieder?<br />
LA FLÈCHE Na, fette Maus, was treibst du denn hier?<br />
FROSINE Na kuppeln, was denn sonst, du müsstest doch am besten wissen, dass man heutzutage am besten<br />
von dem lebt, was man am besten kann.<br />
LA FLÈCHE Was? Willst du etwa diesen grausigen alten Knauser verkuppeln?<br />
FROSINE Ja, ich brauche dringend Geld. Ich habe da so ein zartes Reh, das will ich hier unterbringen.<br />
LA FLÈCHE Geld von dem, diesem verfluchten alten Geldsack? Da kannst du vor Hunger in der Ecke<br />
verrecken, der rückt keinen Pfennig raus. Wer von dem was haben will, muss ihm einen Dolch in den Bauch<br />
stoßen, muss ihm die Eingeweide aus dem Leib reißen und muss ihm das Gehirn aus dem Kopf drücken. Aber<br />
da kommt er, und ich gehe.<br />
FROSINE (beiseite) Keine Angst, ich weiß schon, wie man so einen alten Affen laust.<br />
II. AKT - 4. SZENE<br />
Harpagon, Frosine, später Frédéric<br />
HARPAGON Es ist alles, wie es sein soll. (laut) Nun, Jungfer, was gibt's?<br />
FROSINE Olala, sie strotzen ja vor Gesundheit.<br />
HARPAGON Ich?
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FROSINE Ich habe Sie noch nie so frisch und munter gesehen.<br />
HARPAGON Im Ernst?<br />
FROSINE Die jungen Dachse von heute sehen mit Fünfundzwanzig älter aus als Sie.<br />
HARPAGON Ich bin volle Fünfzig.<br />
FROSINE Na und, was ist das schon, fünfzig Lenze, das beste Alter, die Blüte des Lebens.<br />
HARPAGON Das ist wahr, aber zehn Jahre weniger würden auch nicht schaden.<br />
FROSINE Ach was, wie Sie gebaut sind, machen Sie es glatt bis Hundert.<br />
HARPAGON Glaubst du wirklich?<br />
FROSINE Ja doch, alles deutet darauf hin. Sehen Sie mal das Zeichen da zwischen Ihren Augen da, das<br />
bedeutet langes Leben.<br />
HARPAGON Hast du Ahnung von so was?<br />
FROSINE Ja doch, aber natürlich, sicher, zeigen Sie mir mal ihre Hand. Um Gottes willen, diese<br />
Lebenslinie!<br />
HARPAGON Um Himmels willen, was ist damit?<br />
FROSINE Sehen Sie denn nicht, die hört ja gar nicht mehr auf, die ist ja hundert, nein hundertzwanzig Jahre<br />
lang. Und auch dann wird man Sie noch totschlagen müssen. Ja, ist das denn die Möglichkeit, Sie werden Ihre<br />
Kinder, Enkel und Urenkel begraben.<br />
HARPAGON Sehr schön, aber so alt will ich gar nicht werden. Wie geht es unserem Geschäft?<br />
FROSINE Was ich anfasse, das wird was. Wenn Sie wollen, verheirate ich selbst den Papst mit einer Türkin,<br />
doch in Ihrem Fall lag der Fall nicht ganz so einfach. Aber bei meinem Talent, und da ich die Leutchen gut<br />
kenne, hat Marianes Mutter gleich mit Freuden zugestimmt, und als ich ihr sagte, wie sehr Sie sich freuen<br />
würden, wenn heute Abend beim Abschluss des Ehevertrages zwischen Ihrem Fräulein Tochter Élise und<br />
dem Herrn Anselmo das Fräulein Mariane dabei sein könnte, hat die Mutter sie mir für diese Gelegenheit<br />
sofort anvertraut.<br />
HARPAGON Moment mal, Jungfer, bevor wir das Mädchen zum Essen einladen - hast du seine Mutter<br />
gefragt, was es als Mitgift einbringt? Schließlich verheirate ich mich nicht, wenn es nichts bringt.<br />
FROSINE Es bringt Hunderttausend.<br />
HARPAGON Ganz und gar Hunderttausend?<br />
FROSINE Einhunderttausend. Wenn Sie wollen, stelle ich Ihnen das mal zusammen. Ich fange an: erstens ist<br />
es in Bezug auf Essen vollkommen anspruchslos, da es Graupen und Salat bekommt und keine Delikatessen<br />
wie die anderen Weiber, was schon eine ganze Menge ausmacht, mindestens Vierzehntausend im Jahr.<br />
Zweitens braucht es fast nichts zum Anziehen, denn teure Kleider, wertvollen Schmuck und echte Möbel, die<br />
den anderen Weibern über alles gehen, mag es nicht, was im Jahr fast Zweiunddreißigtausend ausmacht.<br />
Drittens hat es keinerlei Hobbys, da es nicht raucht und nicht trinkt und nicht spielt wie die anderen Weiber,<br />
die in meinem Viertel wohnen und die allein im letzten Jahr Zweitausend in die Luft gepafft und sich<br />
Viertausend durch die Gurgel gejagt und das Neunfache von beidem, also Vierundfünfzigtausend, beim Skat
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in den Sand gesetzt haben. Nehmen wir nun Punkt eins mit Vierzehntausend, Punkt zwei mit<br />
Zweiunddreißigtausend und Punkt drei, wie eben gesagt, mit Vierundfünfzigtausend, dann sind das sage und<br />
schreibe genau Ihre Einhunderttausend Mark im Jahr.<br />
HARPAGON Aber diese Art zu rechnen ist doch ganz und gar nur Theorie.<br />
FROSINE Na erlauben Sie mal, Sparsamkeit, Bedürfnislosigkeit und Enthaltsamkeit sind doch nicht nur<br />
Theorie.<br />
HARPAGON Theorie daran ist, dass ich in der Praxis nichts davon habe, weil ich mir die Ausgaben, die es<br />
nicht ausgibt, nicht als Mitgift anrechnen lasse, denn Mitgift ist nichts Theoretisches, nichts Abstraktes,<br />
Mitgift ist etwas ganz und gar Reales, etwas, was man praktisch auf Heller und Pfennig mit eigenen Händen<br />
greifen kann. - Aber da ist noch etwas, was ich in den Griff kriegen muss: Es ist jung! Und es heißt, wie man<br />
hört, jung und jung gesellt sich gern, und das könnte meine Person in gewisse ganz und gar ausschlaggebende<br />
Verlegenheit bringen.<br />
FROSINE Auch in diesem Punkt können Sie ganz und gar beruhigt sein, denn verlegen wird es nur im<br />
Verkehr mit Personen seines Alters, wogegen ihm der Verkehr mit Personen Ihres Alters ganz und gar<br />
entgegenkommt, da ihm diese Art Verkehr ganz und gar vertraut ist, weil es mit seinem Vater, den es sehr<br />
liebte und der eine Person Ihres Alters war, tagtäglichen Verkehr pflegte, solange das möglich war, bis eines<br />
Tages irgendetwas unterging, und seither ist er verschollen, wie man sagt.<br />
HARPAGON Das beruhigt mich, Jungfer, denn wenn ein Mädchen seinen Vater ehrt, dann ehrt es auch<br />
seinen Mann.<br />
FROSINE Und so muss es auch sein. Aber das ist noch nicht alles. In seinem Zimmer hat es nicht etwa<br />
Bilder von jungen, schönen goldgelockten Helden, sondern von alten, barhäuptigen Gelehrten.<br />
HARPAGON Es denkt und fühlt wie ich und du, und wenn ich ein Mädchen wäre, dächte und fühlte ich auch<br />
wie du und es, und ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr mir gänzlich die Worte fehlen, dir zu sagen, wie<br />
dankbar ich dir bin.<br />
FROSINE O bitte, wenn Sie sich bedanken wollen, ich hätte da eine kleine Bitte. (Harpagons Gesicht wird<br />
ernst) Ich habe da einen Prozess, aber kein Geld, ihn zu gewinnen, und Sie könnten mir dabei ein wenig unter<br />
die Arme greifen ... Sie können sich gar nicht vorstellen, wie sehr es darauf brennt, Sie zu sehen (sein Gesicht<br />
wird heiter), wie sehr es Feuer und Flamme war, als ich ihm von Ihrer Herzenswärme sprach.<br />
HARPAGON O Jungfer, nehmt dafür meinen wärmsten Dank.<br />
FROSINE Dieser Prozess ist für mich von größter Wichtigkeit (Harpagons Gesicht wird ernst), wenn ich ihn<br />
verliere, bin ich verloren, aber mit Ihrer Hilfe ... Sie hätten es nur sehen sollen, wie es zitterte, wie sehr es<br />
erbebte, als ich ihm Ihre fast unmenschlich zu nennende Großzügigkeit und Nächstenliebe pries.<br />
HARPAGON O Jungfer, dafür schulde ich Ihnen meinen allerergebensten Dank.<br />
FROSINE Mein Herr, bitte ziehen Sie mich allerergebenst aus der ausweglosen Klemme, in der ich stecke.<br />
HARPAGON Tausend Dank, lebe wohl, ich muss weg, mein Hund bellt.<br />
FROSINE Herr Harpagon, ich bin in Not, ich bin am Ende, ich komme ins Gefängnis, ich verhungere, ich<br />
sterbe.<br />
HARPAGON Jungfer, nimm das (gibt ihr ein Kuvert), und dann geh meinetwegen in die Küche und lass dir<br />
ein Stück Brot geben, ich bin heute in Geberlaune.(ab)
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FROSINE (betrachtet Karte) Du erbärmliches, dürres, widerwärtiges Sparschwein; eine Eintrittskarte: zum<br />
Ballett – Stehplatz! – Das hilft mir auch nicht über meine Schulden hinweg! Dir altem Sack kann man die<br />
Tränendrüsen zerquetschen, da kommt nicht ein Groschen Mitleid raus. – Aber deswegen lass ich das<br />
Geschäft noch lange nicht fahren, schließlich gibt es noch die andere Seite, (Frédéric tritt auf) die lässt sich<br />
bestimmt leichter zur Kasse bitten. (Frosine bemerkt ihn, er erblickt die Karte, die sie noch in der Hand hält.)<br />
FRÉDÉRIC Ja ähm, äh, meine, meine, Sie, äh, Gräfin, verehrteste, darf, ...dürfte ich Sie, –ich sehe, Sie haben<br />
auch eine Karte fürs Ballett! ... ! Dürfte ich Sie, vielleicht, bitten mich zu begleiten?<br />
FROSINE (sieht nicht sehr begeistert aus, druckst rum)<br />
FRÉDÉRIC Ich würde es mir selbstverständlich als, äh, als ähm, als Ehre anrechnen, Gräfin, Ihnen auch<br />
sonst alle ihre Wünsche zu erfüllen, die Sie vielleicht, ähähähä, zu hegen geruhen wollten, äh?<br />
FROSINE Ja, das klingt in der Tat recht angenehm. In diesem Fall ist es mir natürlich eine Freude ihnen<br />
meine Gesellschaft zu schenken. (beide ab)<br />
II. AKT - 5. SZENE<br />
Frédéric, Frosine, Tänzerinnen<br />
[Ballett] (Tänzer verbeugen sich, ab)<br />
FRÉDÉRIC (applaudiert zunächst, wendet sich dann Frosine zu) Gar nicht schlecht, wie die Leutchen da<br />
hopsen. – Ich kenn mich nämlich ein bisschen aus in diesem Regal, ähm, äh in diesem Fach. Ich habe mir<br />
nämlich seit kurzem einen eigenen Tanzlehrer zugelegt, für mich!<br />
FROSINE (mit erfreuter Miene) Oh, das ist aber schön! Es ist nämlich oft so, dass die Männer zwar die<br />
Reize der galanten Künste mit einem Nicken hinnehmen, aber sonst haben sie von Tuten und Blasen keine<br />
Ahnung!<br />
FRÉDÉRIC Ah, das ist schön, wie Sie das sagen. Ja, in der Tat, ich habe bald auch von Tuten und Blasen<br />
eine Ahnung, denn ich habe mir auch einen Musiklehrer zugelegt. (Frosine staunt– während des Gesprächs<br />
sind die Lehrer aufgetreten).<br />
II. AKT - 6. SZENE<br />
Frédéric, Musiklehrer, Tanzlehrer, anfangs noch Frosine<br />
MUSIKLEHRER Wenn erst Tanz und Musik miteinander verbunden sind, dann ist die Wirkung noch größer,<br />
(Frosine verabschiedet sich mit vielem Winken.) - das kleine Ballett, das wir für Sie einstudiert haben, wird<br />
eine sehr hübsche Sache werden!<br />
FRÉDÉRIC Ist auch dringend nötig! Weil nämlich die Person, für die wo das alles gemacht wird, will mir<br />
die Ehre geben, daß sie heute abend bei mir speist.<br />
TANZLEHRER Alles ist vorbereitet.<br />
MUSIKLEHRER Aber das ist noch nicht genug, Herr Frédéric. Ein Herr wie Sie, der im großen Stil lebt und<br />
Sinn für das Schöne hat, sollte in seinem Haus jeden Mittwoch oder jeden Donnerstag ein Konzert<br />
veranstalten.
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FRÉDÉRIC Machen die feinen Leute so was?<br />
MUSIKLEHRER Aber ja, Monsieur!<br />
FRÉDÉRIC Dann mach ich das auch. Und das ist schön?<br />
MUSIKLEHRER Aber gewiß doch! Sie brauchen drei Stimmen, einen Tenor, einen Alt und einen Baß, und<br />
begleitet werden sie von einer Viola da gamba, einer Laute und einem Cembalo für den Basso continuo, und<br />
zwei Geigen für die Ritornellen.<br />
FRÉDÉRIC Eine singende Säge muß noch dazu! Die singende Säge, das ist mein Lieblingsinstrument.<br />
MUSIKLEHRER Wir machen das schon.<br />
FRÉDÉRIC Vergessen Sie bloß nicht die Leute, die beim Essen singen sollen!<br />
MUSIKLEHRER Alles nach Wunsch.<br />
FRÉDÉRIC Und Hauptsache, das Ballett hüpft schön!<br />
MUSIKLEHRER Sie werden zufrieden sein! Wir würden Ihnen auch einige Menuette bieten.<br />
FRÉDÉRIC Ah, Menuett! Das ist mein Fall! Da sollen Sie mal sehen, wie ich die tanzen kann! Los,<br />
Musikmeister!<br />
TANZLEHRER Einen Hut bitte, Herr Frédéric!<br />
(Frédéric nimmt den Hut eines Lakaien und stülpt ihn über seine Nachtmütze. Der Tanzlehrer faßt ihn bei den<br />
Händen, singt die Melodie eines Menuetts und läßt ihn danach tanzen.)<br />
TANZLEHRER Lalala lalala, lalala, lalala, Takt halten, wenn ich bitten darf. La la la ... Rechten Fuß! La la<br />
la ... Halten Sie die Schulter ruhig ... La la la la la la ... Die Arme nicht so verkrampft ... La la la la ... Den<br />
Kopf heben! Den Fuß spitzer mehr nach außen! - La la la la la ... Gerade halten!<br />
FRÉDÉRIC Na?<br />
MUSIKLEHRER Meisterhaft!<br />
FRÉDÉRIC Ach, übrigens, zeigen Sie mir doch mal, wie man sich vor einer Gräfin verbeugt. Das brauche<br />
ich nämlich gleich.<br />
TANZLEHRER Eine Verbeugung vor einer Gräfin?<br />
FRÉDÉRIC Ja, eine Gräfin, sie heißt Frosine.<br />
TANZLEHRER Reichen Sie mir die Hand!<br />
FRÉDÉRIC Nein. Sie sollen es mir nur vormachen, und ich merke mir das.<br />
TANZLEHRER Wenn Sie die Dame mit großem Respekt begrüßen wollen, dann müssen Sie bei der ersten<br />
Reverenz zurückweichen, dann mit drei Reverenzen auf sie zugehen, und bei der letzten müssen Sie sich ganz<br />
tief verbeugen, den Kopf nicht höher als ihre Knie.
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FRÉDÉRIC Machen Sie mal! (Der Tanzlehrer macht Verbeugungen.) Gut, ja in der Tat: Ganz<br />
ausgezeichnet!<br />
III. AKT - 1. SZENE<br />
Harpagon, Cléante, Jacques, Valère und 3 Diener: Claude, La Merluche, Brindavoine<br />
HARPAGON Hopphopp, alle mal herkommen, ich teile jetzt die Arbeit ein, damit klar ist, was nachher jeder<br />
zu tun hat. Du, dicke Claude, stehst schon Gewehr bei Fuß mit deinem Schrubber, deine Arbeit ist das<br />
Schrubben, also schrubbe mit Gefühl, sonst schrubbst du mir zu viel weg, und nachher ist nichts mehr zu<br />
schrubben da, und du fliegst raus, und ihr beiden Pfeifen geht in die Küche, wascht die Gläser, lasst sie<br />
halbvoll mit Wasser, gießt vorsichtig Wein dazu, und dann wartet ihr mit dem Servieren, bis man euch vier-<br />
bis fünfmal dazu aufgefordert hat, und bekleckert nicht wieder eure Livrees.<br />
LA MERLUCHE Was soll ich machen, Chef, auf meiner Hose vorn ist schon wieder ein Fleck.<br />
HARPAGON Halt die Hand drüber, wenn du servierst.<br />
BRINDAVOINE Und was soll ich machen, Chef, in meiner Hose hinten ist immer noch ein Loch.<br />
HARPAGON Sieh zu, dass keiner hinter dir steht, und du, meine Tochter, steh nicht rum, wasch dich und<br />
mach dich fertig, gleich kommt meine Braut, mit der fährst du auf den Markt. Habt ihr das alles verstanden?<br />
ALLE Ja, Herr Chef! (Diener ab.)<br />
HARPAGON Und nun zu dir, mein missratener Sohn, deine unverzeihliche Niedertracht von vorhin soll dir<br />
verziehen sein, aber lass dir ja nicht einfallen, vor deiner zukünftigen Stiefmutter den Beleidigten zu spielen,<br />
sonst zieh ich dir die Ohren lang, also, Junge, bereite ihr einen solchen Empfang, dass du mir keine Schande<br />
machst.<br />
CLÉANTE Als Ihr Sohn finde ich es eine Schande, dass ich durch Euch ihr Stiefsohn werde, aber als ihr<br />
Stiefsohn finde ich es keine Schande, wenn meine liebe Stiefmutter durch mich einen Sohn empfängt.<br />
HARPAGON Gut, mein Sohn, (Cléante ab.) und nun zu dir, Jacques, du kommst als Letzter dran.<br />
JACQUES Mit wem von mir beiden wollen Sie sprechen, mit dem Kutscher oder mit dem Koch?<br />
HARPAGON Mit beiden.<br />
JACQUES Mit wem zuerst?<br />
HARPAGON Mit dem Koch.<br />
JACQUES Moment. (setzt die Kochmütze auf) Was wollen Sie essen, Herr?<br />
HARPAGON Jetzt nichts, aber leider müssen wir heute Abend ein Essen geben, kannst du dafür das Nötige<br />
herrichten?<br />
JACQUES Natürlich, wenn Sie mir das nötige Geld geben.<br />
HARPAGON Geld! Zum Teufel, immer nur Geld! Immer hör ich nur Geld! Habt ihr denn nichts anderes im<br />
Kopf als immer nur Geld? Geld, Geld und immer wieder nur Geld: jeder Satz fängt mit Geld an, hört mit Geld<br />
auf und handelt von Geld. Geld, Geld, Geld, komm mal her, Valère, und hilf mir mal.
DJD-Theatergruppe 2003/04 Molière: <strong>Geiz</strong>, <strong>Liebe</strong> und <strong>Verschwendung</strong> Seite 19 von 47<br />
VALERE So eine erbärmliche, bodenlos dämliche Antwort kann nur so ein dämlicher, bodenlos erbärmlicher<br />
Kutscher geben, denn mit Geld kann jeder kochen, auch wenn er nicht kochen kann, aber mit ohne Geld<br />
kochen, da fängt die Kochkunst an.<br />
JACQUES Nehmen Sie Ihren Mund nicht so voll. Sie Maultasche, kommen Sie lieber mit in die Küche und<br />
zeigen Sie uns, wie man das macht.<br />
HARPAGON Halt den Mund, er hat recht, wie viel brauchst du?<br />
JACQUES Wie viele Personen, schätzen Sie, werden kommen?<br />
HARPAGON Kommen werden zehn, aber rechnen tun wir mit acht, denn was für acht reicht, reicht auch für<br />
zehn.<br />
VALÈRE Ist das klar, Kutscher?<br />
JACQUES Also, dann rechne ich acht Vorspeisen, acht Suppen, acht Hauptgerichte.<br />
HARPAGON Das ist viel zu viel, Koch, Schluss damit, damit kannst du eine ganze Stadt ernähren.<br />
VALÈRE Willst du die Gäste zu Tode füttern, sollen sie sich überfressen, Kutscher?<br />
HARPAGON Ganz recht, Valère, hast du gehört, Koch?<br />
VALÈRE Merk dir, Kutscher, ein reichgedeckter Tisch ist geradezu lebensgefährlich, und wer es mit der<br />
Gesundheit seiner Mitmenschen ernst meint, der kocht magere, knappe und leichte Schonkost, denn wie ein<br />
altes Sprichwort schon sagt: man muss essen, um zu leben und nicht leben, um zu essen.<br />
HARPAGON Ein schöner Spruch: Man muss leben, um zu essen und nicht essen, um zu leben. Nein, so rum<br />
nicht, andersrum, Valère. Valère, schreibe es richtigrum auf ein großes Plakat, mit großen Buchstaben, und<br />
hänge es über den großen Tisch im Speisezimmer.<br />
VALÈRE Schon in Arbeit, Herr Chef, und für das Essen heute Abend lassen Sie mich die Sorge tragen, es<br />
wird alles so sein, wie alles sein soll.<br />
HARPAGON Ja, so sei es! Und du, Jacques, da du als Koch nichts taugst, mach dich als Kutscher nützlich,<br />
hol die Kutsche raus und spann die Pferde ein, und dann ab auf den Markt.<br />
JACQUES Herr, Ihre Pferde, die unglücklichen, diese verhungerten Geschöpfe, sind nur noch traurige,<br />
klapprige Klepper, die sich nicht mehr auf ihren vieren halten können, und es zerreißt mir das Herz, und ich<br />
teile jeden Bissen mit ihnen, denn ich liebe sie mehr als mich selbst. Siehe an deines Nächsten Pferd, und ich<br />
will dir sagen deines Nächsten Wert.<br />
VALÈRE So eine hirnverbrannte, schwindsüchtige, tränentriefende Salbaderei kann doch nur von einem<br />
engstirnigen, beschränkten, tierliebenden Koch kommen, der ein gesundes junges Ross vor der Kutsche mit<br />
einem kranken alten Gaul in der Pfanne verwechselt. Herr Chef, ich spann die beiden munteren Pferde selber<br />
an, dieser verkalkte Koch kann solange Däumchen drehn. (Valère ab)<br />
JACQUES Mutter Maria, ich danke dir, dass nicht ich, sondern ein anderer schuldig werden wird an dem<br />
Tod dieser unschuldigen Pferde.<br />
HARPAGON Ruhe!
DJD-Theatergruppe 2003/04 Molière: <strong>Geiz</strong>, <strong>Liebe</strong> und <strong>Verschwendung</strong> Seite 20 von 47<br />
JACQUES O Herr, ich verabscheue diese verleumderischen, speichelleckenden Schmeichler und<br />
Denunzianten. Ich berste vor Ärger, wenn ich so höre, was so alles über Sie geredet wird, denn trotz allem,<br />
nach meinen Pferden sind Sie der einzige Mensch, den ich liebe.<br />
HARPAGON So, man redet über mich, was denn? Raus mit der Sprache.<br />
JACQUES Wenn ich Ihnen das sage, Herr, trifft mich wahrscheinlich der Schlag.<br />
HARPAGON Der Schlag trifft dich ganz sicher, wenn du es nicht sagst.<br />
JACQUES Nun gut, Gott, komme was da wolle, aber vergeben Sie mir schon vorher, was ich jetzt zu sagen<br />
habe: Überall reißt man üble Witze über Sie, überall erzählt man die übelsten Geschichten über Ihren üblen<br />
<strong>Geiz</strong>, wie man hört, sagen die einen, sie hätten doppelt so viele Fastentage im Kalender stehen wie die<br />
anderen, damit Sie am Essen sparen könnten, dann hört man wieder, wie die anderen sagen, Sie entließen zu<br />
den Feiertagen die Leute, damit Sie um das Schenken herumkämen, dann hört man, wie dieser sagt, dass Sie<br />
einen Prozess gegen die Katze Ihres Nachbarn führten, weil sie Ihnen den Rest einer Hühnerleber<br />
weggefressen hätte, und wieder von anderen hört man, dass jener gesagt haben soll, er hätte Sie nach<br />
Mitternacht erwischt, wie Sie Ihren fressenden Pferden aus ihren umgehängten Futtersäcken den kargen Hafer<br />
gestohlen hätten, und gesehen, wie ihr damaliger Kutscher, der vor meiner Zeit hier Kutscher war, als er das<br />
sah, aus Mitleid mit den armen Tieren in einen so grenzenlosen Zorn geraten sei, dass er den erstbesten<br />
Knüppel ergriffen habe und damit so fürchterlich auf Sie eingeschlagen hätte, dass die ausgehungerten<br />
Vierbeiner vor lauter Menschenmitleid dagestanden und gezittert hätten und unfähig gewesen wären, ihre<br />
noch von Ihnen übrig gelassenen spärlichen Haferreste aufzufressen, kurzum, und da Sie es nun einmal genau<br />
wissen wollen, überall, wo man geht und steht, spricht man von Ihnen, Herr, allüberall in Stadt und Land, auf<br />
Straßen und Plätzen, in Schulen, Theatern und Kneipen, drinnen wie draußen nur vom Knicker, (Valère<br />
kommt zurück) vom Sparschwein, vom Wucherer, vom Leuteschinder, vom Filz, mit einem Wort, vom<br />
<strong>Geiz</strong>igen.<br />
HARPAGON (fällt über Jacques her) Du Dummkopf, Verleumder, du Spitzel und Lump, du!<br />
JACQUES Ich habe Ihnen gleich gesagt, was man davon hat, wenn man Ihnen die Wahrheit sagt.<br />
HARPAGON Ich gehe, und sage du in Zukunft immer nur noch, was ich hören will.<br />
II. AKT - 2. SZENE<br />
Valère. Jacques<br />
VALÈRE Ja, ja, die Ehrlichkeit, bester Jacques, zahlt sich nicht aus.<br />
JACQUES Du hergelaufener, heimatloser, herumstreunender, fremdländischer, übel riechender, ungläubiger,<br />
gottloser Niemand, kommst hierher, machst dich hier breit, spielst dich hier auf, mischst dich hier ein und<br />
drängst mich von meinem Arbeitsplatz an der Seite meines Herrn mit List und Trug und Tücke.<br />
VALÈRE Aber reden Sie sich doch nicht so in Rage, bester Jacques. Sie wissen doch: wes Dienst ich tu, des<br />
Brot ich brech, des Lied ich sing, des Sprach ich sprech. (geht ab)<br />
JACQUES Ja, nieder mit der Aufrichtigkeit, ich schwör ihr ab und sage von jetzt an kein wahres Wort mehr,<br />
so wahr mir Gott helfe. Nichts gegen meinen Herrn, aber an diesem großmäuligen Maulhelden werde ich<br />
mich rächen.]
DJD-Theatergruppe 2003/04 Molière: <strong>Geiz</strong>, <strong>Liebe</strong> und <strong>Verschwendung</strong> Seite 21 von 47<br />
III. AKT - 3. SZENE<br />
Frédéric, Lakai, Fechtlehrer, Musiklehrer, Tanzlehrer, später Philosoph<br />
DER LAKAI Monsieur, der Fechtlehrer ist da.<br />
FRÉDÉRIC Sag ihm, er soll reinkommen und mir eine Lektion erteilen. - Da können Sie mal was sehen, wie<br />
ich fechte. (Der Fechtlehrer kommt dazu.)<br />
FECHTLEHRER (gibt Herrn Frédéric eins der beiden Florette) Nun bitte, Herr Frédéric. Die Begrüßung!<br />
Körper gerade! Ein wenig auf den linken Schenkel gestützt. Beine nicht so sehr spreizen! Die Füße in einer<br />
Linie! Ihre Hände in Hüfthöhe! Degenspitze in Schulterhöhe! Den Arm nicht ganz so gestreckt! Linke Hand<br />
in Höhe der Augen! Linke Schulter drehen und etwas senken! Kopf gerade! Festen Blick! Schritt vor! Körper<br />
ruhig halten! Schlagen Sie jetzt die Quart und parieren Sie gleich! Eins, zwei. Zurück! Noch einmal. Fest<br />
stehenbleiben! Eins, zwei ... Sprung zurück! Wenn Sie einen Ausfall machen, Herr Jourdain, geht der Degen<br />
nach vorn, und der Körper biegt sich zurück! Eins, zwei! jetzt die Terz, und parieren Sie! Schritt vor, Körper<br />
gerade! Noch einen Schritt! Ausfall! Eins, zwei, Sprung zurück. Aufgepaßt! Aufgepaßt! (Er versetzt Herrn<br />
Jourdain zwei oder drei Stöße.) Aufgepaßt!<br />
FRÉDÉRIC Na?<br />
MUSIKLEHRER Das reinste Wunder!<br />
FECHTLEHRER Wie ich Ihnen schon sagte: das ganze Geheimnis der Fechtkunst besteht nur aus zwei<br />
Dingen. Treffen und nicht getroffen werden. Und, wie ich Ihnen bereits gestern nach der demonstrativen<br />
Methode gezeigt habe: es ist unmöglich, daß Sie getroffen werden, wenn Sie den Degen des Gegners von<br />
Ihrem Körper fernhalten, und das hängt nur von einer kleinen Bewegung Ihres Handgelenks ab: entweder<br />
nach außen oder nach innen.<br />
FRÉDÉRIC Nach dieser Methode kann man also jeden erstechen, ohne daß man selber erstochen wird? Da<br />
braucht man gar keinen Mut?<br />
FECHTLEHRER Nein. Habe ich es denn nicht vorgeführt?<br />
FRÉDÉRIC Ja.<br />
FECHTLEHRER Sehen Sie! Und daran kann man ermessen, was für ein hohes Ansehen wir im Staat<br />
genießen müssen, wie hoch die Fechtkunst über allen diesen anderen überflüssigen Künsten steht, über der<br />
Musik und über dem Tanz ... und über ...<br />
TANZLEHRER Sachte, sachte, Herr Degenstecher! Etwas mehr Respekt vor der Tanzkunst!<br />
MUSIKLEHRER Bitte mehr Achtung vor dem Wert der Musik!<br />
FECHTLEHRER Das sind ja komische Herrschaften! Ihre Kunst mit meiner zu vergleichen!<br />
MUSIKLEHRER Sieh nur den Angeber!<br />
TANZLEHRER Was ist denn das für eine Tiergattung! Mit der gepolsterten Brust!<br />
FECHTLEHRER Sie kleiner Tanzmeister, Sie lasse ich noch springen! Und du, du Musikmeisterchen, du<br />
singst mir noch!<br />
TANZLEHRER Und ich, ich bringe Ihnen noch Ihr eigenes Handwerk bei, Sie dummer Schläger!
DJD-Theatergruppe 2003/04 Molière: <strong>Geiz</strong>, <strong>Liebe</strong> und <strong>Verschwendung</strong> Seite 22 von 47<br />
FRÉDÉRIC (zum Tanzlehrer) Sind Sie verrückt? Sie streiten mit einem, der die Terz und die Quart kann und<br />
der weiß, wie man jemand umbringt mit der demonstrativen Methode!<br />
TANZLEHRER Da lache ich! Demonstrative Methode! Terz! Quart! Ha!<br />
FRÉDÉRIC (zum Tanzlehrer) Mal langsam, sag ich.<br />
FECHTLEHRER (zum Tanzlehrer) Was? Du unverschämter Zwerg!<br />
FRÉDÉRIC Ich bitte Sie, Herr Fechtmeister!<br />
TANZLEHRER (zum Fechtlehrer) Was? Du stupider Ochse!<br />
FRÉDÉRIC Aber Herr Tanzmeister!<br />
FECHTLEHRER Wenn ich mich auf dich schmeiße ...<br />
FRÉDÉRIC (zum Fechtlehrer) Langsam, langsam!<br />
TANZLEHRER (zum Fechtlehrer) Wenn ich Hand an Sie lege ...<br />
FRÉDÉRIC Sachte!Sachte!<br />
FECHTLEHRER Ich hau dich in den Sack!<br />
FRÉDÉRIC (zum Fechtlehrer) Um Gottes willen!<br />
TANZLEHRER (zum Fechtlehrer) Ich schlage dich zusammen!<br />
FRÉDÉRIC (zum Tanzlehrer) Ich bitte Sie ... bitte ...<br />
MUSIKLEHRER Wir bringen ihm schon bei, wie er mit uns zu reden hat!<br />
FRÉDÉRIC Mein Gott! Hören Sie auf! (Der Philosophieprofessor kommt dazu, er tritt herein, blickt streng<br />
auf die sich streitenden Lehrer und schüttelt stumm den Kopf.)<br />
III. AKT - 4. SZENE<br />
Frosine, Jacques, Mariane<br />
FROSINE Na, du heißer Hecht, ist dein Herr zu Hause?<br />
JACQUES Ja.<br />
FROSINE Dann husch und sag, dass wir da sind.<br />
MARIANE Ach Frosine, mir ist schlecht, und ich fürchte mich so sehr, ihn zu sehen.<br />
FROSINE Aber Herzchen, wieso denn?<br />
MARIANE Das fragen Sie noch? Wissen Sie denn nicht, welche Qualen man durchlebt, wenn man wie ein<br />
Lamm als Opfer auf den Opferstein gelegt wird?
DJD-Theatergruppe 2003/04 Molière: <strong>Geiz</strong>, <strong>Liebe</strong> und <strong>Verschwendung</strong> Seite 23 von 47<br />
FROSINE Ich weiß, dass Harpagon nicht gerade der ist, unter dem man sich gerne opfert, und mir scheint, du<br />
opferst dich lieber dem schmucken Halbwaisen, von dem du mir heute Mittag mit zitternder Lippe erzählt<br />
hast.<br />
MARIANE Ja, Frosine, so ist es.<br />
FROSINE Und wie heißt er, was kann er, was hat er, was ist er?<br />
MARIANE Das weiß ich nicht. Aber er ist die <strong>Liebe</strong> in Person und deshalb nicht wenig daran schuld, dass<br />
mir schon bei der Vorstellung, dem anderen vorgestellt zu werden, schwarz vor Augen wird, ich Schluckauf<br />
bekomme und mir das Herz bricht.<br />
FROSINE Mein Gott, Herzchen, diese bartlosen Milchgesichter sind ja ganz lecker, aber arm wie die<br />
Kirchenmäuse, drum merk dir eins: es kann nie schaden, sich einen zu nehmen, der alt und reich ist, auch<br />
wenn er vorn und hinten nicht mehr hochkommt, auf dir einschläft und vergisst, was er wollte. Lass dir Zeit,<br />
behalte die Nerven, schluck es runter, das hat alles mal ein Ende, denn, glaub mir, Herzchen, sechs, acht<br />
Wochen rund um die Uhr, und du hast ihn unter der Erde und bist eine reiche Dame, und dann bekommst du<br />
wen und was und so viel du willst, bekommst einen strammen Jungen, der dich liebt und der dich verwöhnt,<br />
und der dich alles vergessen lässt, was je war und alles wieder gutmacht, wovon dir je schlecht gewesen ist.<br />
MARIANE Gute Frosine, ist es nicht furchtbar auf Erden, dass das Glück des einen der Tod des anderen sein<br />
muss. Doch wer weiß, ob der böse Tod uns auch wirklich zu unserem Glück verhilft?<br />
FROSINE Keine Bange, Herzchen, wir heiraten ihn ja nur unter der Bedingung, und das muss unbedingt so<br />
in den Vertrag hinein, Tod binnen drei Monaten, ohne Wenn und Aber, komme, was da wolle, aber da kommt<br />
er selbst.<br />
MARJANE O Gott, bei meinem verschollenen Vater, dieser Mann, der da kommt, ist ja noch steifer als der<br />
Mann, der immer in meinen Träumen kommt.<br />
III. AKT - 5. SZENE<br />
Frédéric, Musiklehrer, Tanzlehrer, Fechtlehrer, Philosoph<br />
FRÉDÉRIC Ah, Herr Philosoph! Sie kommen gerade recht mit Ihrer Philosophie! Kommen Sie mal und<br />
stellen Sie mal den Frieden wieder her unter diesen Leuten da.<br />
PHILOSOPHIEPROFESSOR Was ist los? Was haben Sie denn, meine Herren?<br />
FRÉDÉRIC Sie sind in Wut geraten. jeder hält seine Kunst für die beste, sie haben sich gegenseitig beleidigt<br />
und sind schon fast aufeinander losgegangen.<br />
PHILOSOPHIEPROFESSOR Aber meine Herren! Ich bitte Sie! Darf man sich so gehen lassen! Haben Sie<br />
denn die kluge Betrachtung von Seneca über den Zorn nicht gelesen? Nichts ist so unwürdig wie diese<br />
Leidenschaft, die den Menschen zum Tier macht. Muß nicht die Vernunft über unsere Triebe herrschen?<br />
TANZLEHRER Hören Sie mal! Er hat die Tanzkunst beleidigt, die ich ausübe und die Musik, die sein Beruf<br />
ist!<br />
PHILOSOPHIEPROFESSOR Der Weise ist über alle Beleidigungen erhaben. Die wahre Antwort auf jede<br />
Beschimpfung heißt: Mäßigung und Geduld.<br />
FECHTLEHRER Die waren so dreist, ihre Kunst mit meiner auf eine Stufe zu stellen.
DJD-Theatergruppe 2003/04 Molière: <strong>Geiz</strong>, <strong>Liebe</strong> und <strong>Verschwendung</strong> Seite 24 von 47<br />
PHILOSOPHIEPROFESSOR Das bringt Sie so außer Fassung? Der Mensch soll nicht um äußerlichen Glanz<br />
und Ehrentitel streiten. Das was ihn wahrhaft über andere erhebt, ist einzig Weisheit und Tugend.<br />
TANZLEHRER Der Tanz ist eine Wissenschaft, die man gar nicht hoch genug schätzen kann, Ich beharre<br />
darauf!<br />
MUSIKLEHRER Und ich sage, die Musik ist eine seit Jahrhunderten hochgeschätzte Wissenschaft.<br />
FECHTLEHRER Und ich sage allen beiden, daß der Umgang mit der Waffe die allerschönste und<br />
allernützlichste aller Wissenschaften ist. Darauf beharre ich!<br />
PHILOSOPHIEPROFESSOR Und was wäre dann die Philosophie? Ich finde Sie alle drei ziemlich<br />
anmaßend. Sie haben die Arroganz, in meiner Gegenwart als Wissenschaft zu bezeichnen, was kaum noch die<br />
Bezeichnung Kunst verdient, ja eigentlich doch nur unter den Begriff Amüsiergewerbe fällt: geistlose<br />
Fertigkeiten! Einer schlägt mit einem Stück Eisen um sich, einer erzeugt Geräusche, einer springt geschickt<br />
hin und her.<br />
FECHTLEHRER Hau ab, du Philosophenhund!<br />
MUSIKLEHRER Hinaus, du mieser Schwätzer!<br />
TANZLEHRER Du Schleimtier! Hinaus!<br />
PHILOSOPHIEPROFESSOR Was! Ihr Schufte ... (Der Philosophieprofessor stürzt sich auf sie, und alle drei<br />
schlagen auf ihn ein.)<br />
FRÉDÉRIC Herr Philosoph!<br />
PHILOSOPHIEPROFESSOR Lumpenpack! Mieses Volk!<br />
FRÉDÉRIC Herr Philosoph!<br />
FECHTLEHRER Krepier, du Vieh!<br />
FRÉDÉRIC Meine Herren!<br />
PHILOSOPHIEPROFESSOR Verbrecher!<br />
FRÉDÉRIC Herr Philosoph!<br />
TANZLEHRER Der Teufel soll dich holen!<br />
FRÉDÉRIC Meine Herren!<br />
PHILOSOPHIEPROFESSOR Troglodyten!<br />
FRÉDÉRIC Herr Philosoph!<br />
MUSIKLEHRER Zur Hölle mit dir!<br />
FRÉDÉRIC Meine Herren!<br />
PHILOSOPHIEPROFESSOR Lumpenpack! Gesindel! Affen! Kretins!
DJD-Theatergruppe 2003/04 Molière: <strong>Geiz</strong>, <strong>Liebe</strong> und <strong>Verschwendung</strong> Seite 25 von 47<br />
FRÉDÉRIC Herr Philosoph! Meine Herren! Herr Philosoph! Meine Herren! (Die vier prügeln sich hinaus.)<br />
Prügelt euch nur, so viel ihr wollt. Was geht's mich an. Ich zerreiße mir doch nicht meinen schönen Kimio,<br />
um die zu trennen. Wär ich schön dumm, mich einzumischen, bloß damit ich auch noch Prügel kriege. Prügel<br />
sind ungesund. (Philosophieprofessor kommt zurück.)<br />
PHILOSOPHIEPROFESSOR (bringt seinen Anzug wieder in Ordnung) Nun zum Unterricht.<br />
FRÉDÉRIC Ah, da sind Sie! Es tut mir sehr leid, daß Sie Prügel bekommen haben.<br />
PHILOSOPHIEPROFESSOR Das ist nichts. Ein Philosoph erträgt so etwas mit Gelassenheit. Ich werde eine<br />
Satire gegen die drei verfassen, und zwar im Stil von Juvenal! Das wird sie vernichten.<br />
III. AKT - 6. SZENE<br />
Harpagon, Frosine, Mariane<br />
HARPAGON Zürnt nicht, meine Schöne, dass ich mich Ihnen mit einer Brille nähere, ich weiß durchaus,<br />
dass Ihre Reize einem so unübersehbar in die Augen stechen, dass man, um von Ihnen hingerissen zu sein,<br />
keinerlei Brille bedarf, aber man guckt ja auch durch Gläser, wenn man in die Sterne guckt, und hiermit<br />
behaupte und versichere ich, dass Sie ein Stern sind, und zwar der schönste, strahlendste und leuchtendste<br />
Stern an Gottes weitem Firmament ... Frosine, was ist mit dem Fräulein, es regt sich nicht, es sagt nichts, es<br />
scheint nicht entzückt von mir.<br />
FROSINE Weil es ganz und gar überwältigt ist. Es schämt sich zu zeigen, was es für Sie fühlt und über Sie<br />
denkt.<br />
HARPAGON So wird's wohl sein. Meine anbetungswürdigste Schöne, hier kommt meine Tochter, um Ihnen<br />
schönen guten Tag zu sagen.<br />
III. AKT - 7. SZENE<br />
Mariane, Élise, Harpagon, Frosine<br />
MARIANE Verzeihen Sie, Madame, ich komme sehr spät der Verpflichtung zu solchem Besuche nach.<br />
ÉLISE Sie, Madame, haben getan, was ich hätte längst tun müssen, es wäre meine Pflicht gewesen, Ihnen<br />
zuvorzukommen.<br />
HARPAGON Da staunen Sie, gell, wie groß sie ist, Unkraut gedeiht eben heutzutage.<br />
MARIANE (leise zu Frosine) Diesem alten Greis wollen Sie meine Unschuld geben?<br />
HARPAGON Was meint unser Schönes?<br />
FROSINE Es ist völlig weg und restlos hin.<br />
HARPAGON Das ist zu viel der Ehre, holdseliger Anblick, du!<br />
MARIANE (leise) Dieses bleiche Gespenst.<br />
HARPAGON Ich bin Ihnen für Ihre Gefühle zu tiefstem Dank verpflichtet.
DJD-Theatergruppe 2003/04 Molière: <strong>Geiz</strong>, <strong>Liebe</strong> und <strong>Verschwendung</strong> Seite 26 von 47<br />
MARIANE (leise) Mir wird schlecht, ich halt es nicht mehr aus.<br />
III. AKT - 8. SZENE<br />
Frédéric, Philosoph<br />
PHILOSOPHIEPROFESSOR Nun, also: Was möchten Sie lernen?<br />
FRÉDÉRIC Alles! Ich bin ganz wild darauf, ein Gelehrter zu werden. Ich habe eine Mordswut auf meine<br />
Eltern, daß sie mich nicht haben studieren lassen, als ich noch jung war. Alle Wissenschaften!<br />
PHILOSOPHIEPROFESSOR Dieses Gefühl ist ganz richtig. Nam sine doctrina vita est quasi mortis imago.<br />
Verstehen Sie? Sie können doch sicher Latein?<br />
FRÉDÉRIC Ja, ja. Aber tun Sie ruhig so, als ob ich's nicht könnte, und erklären Sie mir mal, was das heißt.<br />
PHILOSOPHIEPROFESSOR Das heißt: Ohne die Wissenschaft ist das Leben gleichsam ein Abbild des<br />
Todes.<br />
FRÉDÉRIC Das Latein da ist vernünftig.<br />
PHILOSOPHIEPROFESSOR Haben Sie denn schon gewisse Elementarbegriffe, einige Grundkenntnisse in<br />
den Wissenschaften?<br />
FRÉDÉRIC O ja! Ich kann lesen und schreiben.<br />
PHILOSOPHIEPROFESSOR Womit wäre es Ihnen angenehm zu beginnen? Möchten Sie, daß ich Sie in die<br />
Logik einführe?<br />
FRÉDÉRIC Was ist denn das, diese Logik?<br />
PHILOSOPHIEPROFESSOR Sie lehrt uns die drei Operationen des Geistes.<br />
FRÉDÉRIC Was sind denn das für drei Operationen, die drei Operationen des Geistes?<br />
PHILOSOPHIEPROFESSOR Es sind: die erste, die zweite und die dritte. Die erste läßt uns zu den richtigen<br />
Begriffen gelangen mit Hilfe der Universalien. Die zweite zu den richtigen Urteilen mit Hilfe der Kategorien.<br />
Und die dritte ermöglicht es uns richtige Schlüsse zu ziehen mit Hilfe der Formeln: Barbara, Celarent, Darii,<br />
Ferio, Baralipton und so weiter.<br />
FRÉDÉRIC Die Wörter gefallen mir nicht. Kann ich mich nicht mit befreunden. Lernen wir lieber was<br />
anderes. Was Netteres.<br />
PHILOSOPHIEPROFESSOR Wollen Sie Moral studieren?<br />
FRÉDÉRIC Moral?<br />
PHILOSOPHIEPROFESSOR Ja.<br />
FRÉDÉRIC Was ist mit der los, mit der Moral?
DJD-Theatergruppe 2003/04 Molière: <strong>Geiz</strong>, <strong>Liebe</strong> und <strong>Verschwendung</strong> Seite 27 von 47<br />
PHILOSOPHIEPROFESSOR Sie beschäftigt sich mit dem Glück, sie lehrt den Menschen, seine<br />
Leidenschaften und Triebe zu mäßigen, und ...<br />
FRÉDÉRIC Nein, das lassen wir lieber! Ich bin teuflisch wild, da will ich keine Moral haben, die mich<br />
zurückhält, ich will mich austoben, wenn mich die Wut packt.<br />
PHILOSOPHIEPROFESSOR So wollen Sie vielleicht die Physik studieren?<br />
FRÉDÉRIC Was besingt die denn?<br />
PHILOSOPHIEPROFESSOR Die Physik erklärt uns die Vorgänge in der Natur und die Eigenschaften der<br />
Körper. Sie handelt von der Beschaffenheit der Elemente, der Metalle, der Mineralien, der Steine, der<br />
Pflanzen und der Tiere und betrachtet das Phänomen der Meteore, des Regenbogens, der Sternschnuppen, der<br />
Kometen, der Blitze, des Donners, des Gewitters, des Regens, des Schnees, des Hagels, der Winde und<br />
Stürme.<br />
FRÉDÉRIC Das kracht und zischt mir zuviel.<br />
PHILOSOPHIEPROFESSOR Was soll ich Sie denn dann lehren?<br />
FRÉDÉRIC Lehren Sie mich die Orthographie.<br />
PHILOSOPHIEPROFESSOR Sehr gern.<br />
FRÉDÉRIC Und danach bringen Sie mir den Kalender bei, damit ich weiß, wann der Mond scheint und<br />
wann nicht.<br />
PHILOSOPHIEPROFESSOR Gut. Um nun Ihrer Intention zu entsprechen und um diesen Gegenstand<br />
zugleich philosophisch zu behandeln, müssen wir systematisch vorgehen. Wir müssen zuerst die exakte<br />
Kenntnis der Buchstaben erwerben, und dann müssen wir lernen, wie verschieden man jeden einzelnen<br />
ausspricht. Dazu muß ich Ihnen sagen, daß wir die Buchstaben einteilen in Vokale oder auch Selbstlaute<br />
genannt, deswegen weil sie einen eigenen Lautwert haben, und in Konsonanten oder auch Mitlaute, deshalb<br />
so genannt, weil sie nur in Verbindung mit den Vokalen einen Laut ergeben. Es gibt fünf Vokale: A, E, I, O,<br />
U.<br />
FRÉDÉRIC Das versteh ich.<br />
PHILOSOPHIEPROFESSOR Der Vokal A bildet sich, indem man den Mund weit öffnet: A.<br />
FRÉDÉRIC A A. Stimmt.<br />
PHILOSOPHIEPROFESSOR Der Vokal E bildet sich, indem man den Unterkiefer dem Oberkiefer nähert:<br />
A, E.<br />
FRÉDÉRIC A, E, A, E - stimmt, tatsächlich! Das ist schön.<br />
PHILOSOPHIEPROFESSOR Beim Vokal I werden die beiden Kiefer noch näher aufeinander zu bewegt,<br />
während man gleichzeitig die beiden Mundwinkel zu den Ohren hin zieht. A, E, I.<br />
FRÉDÉRIC A, E, I, I, I. Das stimmt! Herrlich, diese Wissenschaft!<br />
PHILOSOPHIEPROFESSOR Der Vokal O wird gebildet, indem man die Kiefer wieder auseinanderbringt<br />
und die Lippen sowohl von den beiden Mundwinkeln her als auch von oben und unten zusammenzieht: O.<br />
Die Öffnung des Mundes bildet eine kleine Rundung, die dem Schriftzeichen O entspricht.
DJD-Theatergruppe 2003/04 Molière: <strong>Geiz</strong>, <strong>Liebe</strong> und <strong>Verschwendung</strong> Seite 28 von 47<br />
FRÉDÉRIC O, O. Das ist ja genau richtig! A, E, I, O, I, O, I, O, - wunderbar! I, O, I, O. Ah, wie herrlich ist<br />
es, wenn man etwas weiß!<br />
PHILOSOPHIEPROFESSOR Der Vokal U wird gebildet, indem man die oberen und die unteren Zähne<br />
einander näher bringt, ohne das Gebiß ganz zu schließen, und indem man die Lippen vorwölbt und<br />
zusammenzieht, wiederum ohne daß sie sich berühren: U.<br />
FRÉDÉRIC U, U. ja, wirklich! Wahrhaftig! U!<br />
PHILOSOPHIEPROFESSOR Sie schieben Ihre Lippen vor wie zu einem mürrischen Maulen. Daraus folgt:<br />
wenn Sie einem Menschen Ihre Verachtung zeigen wollen, brauchen Sie nur zu sagen: U.<br />
FRÉDÉRIC U, U. ja, so ist es! Ach, hätte ich das doch früher studiert, dann hätte ich es jetzt schon gewußt.<br />
PHILOSOPHIEPROFESSOR Morgen sehen wir uns die anderen Buchstaben an, nämlich die Konsonanten.<br />
FRÉDÉRIC Kommen da auch so ulkige Sachen vor wie eben?<br />
PHILOSOPHIEPROFESSOR Gewiß. Den Konsonanten D zum Beispiel erzeugt man, indem man die<br />
Zungenspitze hinter den oberen Zähnen an den Gaumen preßt und dann losläßt: DA.<br />
FRÉDÉRIC DA, DA. Ja! Ach wie schön! Wie schön!<br />
PHILOSOPHIEPROFESSOR Das F, indem man die oberen Zähne an die Unterlippe legt: FA.<br />
FRÉDÉRIC FA, FA. Richtig! Richtig! Ach, Vater, und auch verstorbene Mutter, ich nehme euch das krumm,<br />
dass ihr mich das nicht früher habt lernen lassen!<br />
PHILOSOPHIEPROFESSOR Und das R. Beim R pressen wir die Zungenspitze gegen den Gaumen. Vor der<br />
kräftig herausströmenden Luft gibt sie nach, bleibt aber in derselben Lage, und so entsteht eine Art Vibration:<br />
R, R, RRA.<br />
FRÉDÉRIC RRRRRRRRRRA, Stimmt! Ach, Sie sind großartig! Was habe ich alles versäumt! RRRRRRA.<br />
PHILOSOPHIEPROFESSOR Alle diese Eigentümlichkeiten werde ich Ihnen noch genau erklären.<br />
FRÉDÉRIC Ach ja, bitte! Und jetzt muß ich Ihnen mal ein Geständnis machen: nämlich ich habe ein Auge<br />
auf eine Dame geworfen, aus feinsten Kreisen, und ich möchte, daß Sie mir helfen, was schreiben zu wollen,<br />
ein Briefchen oder Billet, das ich mir ihr zu Füßen fallen zu lassen erlauben will, - - na ja, ihr geben will.<br />
PHILOSOPHIEPROFESSOR Sehr gut.<br />
FRÉDÉRIC Das ist doch was Galantes, nicht?<br />
PHILOSOPHIEPROFESSOR Zweifellos.<br />
III. AKT - 9. SZENE<br />
Harpagon, Mariane, Frosine, Cléante, Elise; später: Valère, Diener<br />
HARPAGON Da kommt mein Herr Sohn, um Ihnen auch guten Tag zu sagen.
DJD-Theatergruppe 2003/04 Molière: <strong>Geiz</strong>, <strong>Liebe</strong> und <strong>Verschwendung</strong> Seite 29 von 47<br />
MARIANE (leise zu Frosine) Frosine, das ist der schöne junge Mann, der mir heute Mittag die Hand<br />
gehalten, tief in die Augen geblickt und mich gefragt hat, ob ich seine Frau werden möchte.<br />
FROSINE (zu Mariane) Das kann ja heiter werden.<br />
HARPAGON Wie ich bemerke, bemerken Sie, dass ich bemerkenswert große Kinder habe, aber dazu darf<br />
ich bemerken, dass ich beide noch heute Abend verheiraten werde.<br />
CLÉANTE (zu Mariane) Meine Dame, Sie müssen mir glauben, dass ich mit dieser Art von<br />
Zusammentreffen nicht gerechnet habe.<br />
MARIANE Mein Herr, auch ich habe mit dieser Art von Zusammentreffen nicht gerechnet.<br />
CLÉANTE Meine Dame, mein Vater hätte keine bessere Wahl treffen können, als Sie zu seiner Erwählten zu<br />
machen ... Doch was mich betrifft, so bin ich tief betroffen, weil diese Wahl Sie zu meiner Stiefmutter macht,<br />
und in Ihnen, meine Dame, meine Stiefmutter zu sehen, ist, wie Sie verstehen werden, für mich nicht<br />
einzusehen, denn wenn Sie, meine Dame, der Umstand, meine Stiefmutter zu werden, ebenso sehr trifft wie<br />
mich der Zustand, Ihr Stiefsohn zu werden, werde ich, was uns betrifft, meinen vortrefflichen Vater mit<br />
unnatürlicher Entschiedenheit vor die Wahl stellen: Wähl dir eine andere, oder ich bin nicht mehr dein Sohn.<br />
HARPAGON Das ist eine ganz und gar widernatürliche, abgrundtief amoralische Drohung, die mich als<br />
natürlich und gesund empfindenden Vater unmöglich treffen kann.<br />
MARIANE Was mich betrifft, mein Herr, trifft mich dieses Stiefmutter-Stiefsohn-Verhältnis noch tiefer als<br />
Sie, denn eine höhere Gewalt lässt mir, dieses, unser zukünftiges Verhältnis betreffend, keine andere Wahl,<br />
als mich so zu verhalten, wie mich Armut, Krankheit und Not zwingen, mich zu verhalten, denn wenn ich<br />
wählen könnte, würde ich weder Sie zu meinem Sohn noch mich zu Ihrer Mutter machen.<br />
HARPAGON Vortrefflich, da hast du die Rechnung. Als Sohn will sie dich nicht nehmen, als Mutter will sie<br />
sich dir nicht geben. Herr Sohn, schlage auf der Stelle einen ganz und gar anderen Ton gegen sie an, sofern du<br />
wünschst, dass sich ihre Meinung, dich betreffend, ändert. Aber verzeihen Sie, meine Schöne, dass ich Ihnen<br />
nicht zum Empfang eine kleine Erfrischung angeboten habe, aber leider ...<br />
CLÉANTE Ach, lieber Vater, bemühen Sie sich nicht, ich habe mir erlaubt, auf Ihre Rechnung einen kleinen<br />
Imbiss zu bestellen. (Auf seinen Wink treten Diener auf, die die Speisen und Getränke bringen, gefolgt von<br />
einem entsetzt wirkenden Valère.) Hier eine Platte mit Vorspeisen, hier eine mit kaltem Braten und Aufschnitt<br />
und hier eine mit Kuchen, Törtchen und Gebäck, und gegen den Durst Wein, Champagner, Sekt und Bier.<br />
HARPAGON Was soll das, Valère?<br />
VALÈRE Ihr Herr Sohn hat den Verstand verloren.<br />
CLÉANTE O mein Gott, Herr Vater, glauben Sie, es reicht nicht? Da, etwas zum Naschen, genieren Sie sich<br />
nicht.<br />
MARIANE Das ist aber nicht nötig.<br />
CLÉANTE (er zerlegt eine Taube) Und hier etwas vom weichen Schenkelchen, nehmen Sie.<br />
MARIANE Das muss aber nicht sein.<br />
CLÉANTE Oder hier, vom zarten Brüstchen, probieren Sie.<br />
MARIANE Aber bitte, das muss aber wirklich nicht sein.
DJD-Theatergruppe 2003/04 Molière: <strong>Geiz</strong>, <strong>Liebe</strong> und <strong>Verschwendung</strong> Seite 30 von 47<br />
CLÉANTE Und hier das liebe Herzchen, essen Sie's auf.<br />
HARPAGON Schluss jetzt, es reicht, bist du verrückt geworden, willst du mich arm machen?<br />
CLÉANTE Sehen Sie nur, liebste Mariane, diesen strahlenden Diamenten, welcher meinem Herrn Vater den<br />
Daumen schmückt.<br />
MARIANE Wirklich, er funkelt ganz herrlich.<br />
CLÉANTE (zieht den Ring vom Daumen des Vaters und gibt ihn Mariane) Hier, Sie müssen ihn aus der<br />
Nähe betrachten.<br />
MARIANE Er hat einen wunderbaren Schliff, und erst dieses Feuer.<br />
CLÉANTE (stellt sich vor Mariane, die den Ring zurückgeben will) Aber nicht doch, entzückende Mariane,<br />
er sieht wie für Sie gemacht aus, in Ihren kleinen weißen Händen (er schiebt ihn ihr auf den Finger), auf<br />
Ihrem zarten langen Finger, und mein Vater erlaubt sich durch mich, ihnen diesen Ring zum Geschenk zu<br />
machen.<br />
HARPAGON Ich?<br />
CLÉANTE Ja, Herr Vater, Sie legen doch Wert darauf, dass Mariane den Ring aus <strong>Liebe</strong> zu Ihnen behält.<br />
HARPAGON Wie bitte?<br />
MARIANE Nein, nein, ich möchte nicht ...<br />
CLÉANTE Doch, doch, Sie müssen, sonst ist er beleidigt, ich kenne ihn.<br />
HARPAGON du wirst mich noch kennen lernen.<br />
MARIANE Nein, wirklich, ich will ihn nicht haben.<br />
CLÉANTE Ja, richtig, er will ihn wirklich nicht wiederhaben.<br />
HARPAGON Ich jage ihn aus meinem Haus.<br />
CLÉANTE Da sehen Sie, seine gerechte Empörung über Ihre ungerechtfertigte Weigerung.<br />
HARPAGON Ich bring ihn um.<br />
CLÉANTE Da, wie er sich aufbäumt und sich alles in ihm verzweifelt wehrt gegen die unaussprechliche und<br />
unbeschreibbare Abnormität, dass er etwas geben will und ein anderer es nicht haben will.<br />
HARPAGON Ich enterbe ihn.<br />
CLÉANTE Mein armer Herr Vater, meine Schuld ist es nicht, dass Mariane den Ring nicht will, Sie sehen ja,<br />
ich habe alles versucht, mehr ist nicht drin.<br />
HARPAGON Du räudiger Hund.
DJD-Theatergruppe 2003/04 Molière: <strong>Geiz</strong>, <strong>Liebe</strong> und <strong>Verschwendung</strong> Seite 31 von 47<br />
CLÉANTE Hören Sie, Mariane, wie er mich beschimpft, daran sind nur Sie schuld, und da sehen Sie, er wird<br />
uns noch krank. Da, er wird abwechselnd blau, weiß, rot, haben Sie doch Erbarmen und behalten Sie den<br />
Ring.<br />
FROSINE Nun Herzchen, so nimm doch endlich den Ring, wenn alle es so wollen.<br />
MARIANE (zu Harpagon) Da ich es mir mit keinem verderben möchte, nehme ich den Ring, um ihn bei<br />
passender Gelegenheit wieder zurückzugeben.<br />
III. AKT - 10. SZENE<br />
Frédéric, Philosoph<br />
PHILOSOPHIEPROFESSOR Dieser Brief, den Sie verfassen wollen - soll er in Versen sein?<br />
FRÉDÉRIC Nein, nein. Verse nicht!<br />
PHILOSOPHIEPROFESSOR Ach, Sie dachten nur an Prosa?<br />
FRÉDÉRIC Nein, nein, Prosa nicht! Keine Verse und keine Prosa!<br />
PHILOSOPHIEPROFESSOR Eins von beiden muß es aber sein.<br />
FRÉDÉRIC Warum?<br />
PHILOSOPHIEPROFESSOR Es gibt keine andere Möglichkeit, sich auszudrücken: nur Vers oder Prosa!<br />
FRÉDÉRIC Ach, Vers und Prosa, was anderes gibt's gar nicht?<br />
PHILOSOPHIEPROFESSOR Nein, Herr Jourdain. Alles was nicht Prosa ist, ist Vers, und alles was nicht<br />
Vers ist, ist Prosa.<br />
FRÉDÉRIC Und was man einfach nur so spricht, was ist denn das?<br />
PHILOSOPHIEPROFESSOR Das ist Prosa.<br />
FRÉDÉRIC Was! Wenn ich jetzt sage: Nicole, bring mir mal die Pantoffeln her und die Nachtmütze, - das ist<br />
Prosa?<br />
PHILOSOPHIEPROFESSOR Ja, Monsieur.<br />
FRÉDÉRIC Mensch, Mensch! Da rede ich jetzt vierzig Jahre lang Prosa und hab's überhaupt nicht gemerkt!<br />
Da bin ich Ihnen jetzt aber herzlich dankbar, daß Sie mich aufgeklärt haben! Ich will ihr also in das Briefchen<br />
schreiben: „Ach, Sie schöne Gräfin, ich liebe Sie, wegen Ihrer schönen Augen bringe ich mich noch um.“ Ich<br />
möchte aber, daß das irgendwie elegant ausgedrückt ist, daß es ein bißchen was hermacht.<br />
PHILOSOPHIEPROFESSOR Man könnte vielleicht so sagen: daß die Flammen ihrer Augen mein Herz zu<br />
Asche verbrennen, und daß Sie Tag und Nacht Qualen leiden, ihretwegen, und unter der Gewalt ...<br />
FRÉDÉRIC Nein, nein, so was will ich nicht. Ich will nur das sagen, was ich schon gesagt habe: „Ach, Sie<br />
schöne Gräfin, ich liebe Sie, wegen Ihrer schönen Augen bringe ich mich noch um!“<br />
PHILOSOPHIEPROFESSOR Aber man müßte das noch ein wenig ausschmücken.
DJD-Theatergruppe 2003/04 Molière: <strong>Geiz</strong>, <strong>Liebe</strong> und <strong>Verschwendung</strong> Seite 32 von 47<br />
FRÉDÉRIC Nein, habe ich gesagt! Ich will, daß in dem Briefchen nur diese Worte stehen, keine anderen!<br />
Aber irgendwie moderner, irgendwie besser verteilt, so wie es besser ist. Ich möchte, daß Sie mir das jetzt mal<br />
ein bißchen vorführen, wie man es so oder so hinbringen kann.<br />
PHILOSOPHIEPROFESSOR Man kann es natürlich erstens so sagen, wie Sie schon gesagt haben: „Ach, Sie<br />
schöne Gräfin, ich liebe Sie, wegen Ihrer schönen Augen bringe ich mich noch um!“ Oder vielleicht: „Ach,<br />
schöne Gräfin, Sie lieben mich wegen Ihrer schönen Augen, und ich bringe mich um!“ Oder: „Ich bringe Sie<br />
um, schöne Gräfin Sie, wegen Ihrer schönen Augen. Ich liebe Sie. Noch.“ Oder: „Schöne Gräfin, bringen Sie<br />
mich um. Aber ich liebe ach noch Ihre Augen!“ Oder: „Ich, ach, Ihre noch schönen Augen, ich liebe sie,<br />
bringen Sie mich lieber um!“<br />
FRÉDÉRIC Aha. Aber wie wirkt es denn jetzt am besten?<br />
PHILOSOPHIEPROFESSOR So wie Sie es gesagt haben: „Ach, Sie schöne Gräfin, ich liebe Sie. Wegen<br />
Ihrer schönen Augen bringe ich mich noch um!“<br />
FRÉDÉRIC Jetzt habe ich noch gar nicht studiert und habe es gleich auf Anhieb richtig gesagt. Ich danke<br />
Ihnen von Herzen, kommen Sie bitte morgen früh wieder.<br />
PHILOSOPHIEPROFESSOR Sehr gern. (Er geht ab.)<br />
III. AKT - 11. SZENE<br />
La Merluche, Harpagon, Valère, Cléante, Mariane, Frosine, Élise<br />
LA MERLUCHE Herr, draußen steht ein Mann und möchte euch sprechen.<br />
HARPAGON Jetzt nicht, morgen, jag ihn weg.<br />
LA MERLUCHE Er sagt, er bringt Geld.<br />
HARPAGON Entschuldigt mich, meine Herrschaften, ich bin auf der Stelle zurück. (zu Valère) Pass auf alles<br />
auf, Valère, rette, was du kannst, damit man so viel wie möglich dem Kaufmann zurückgeben kann.<br />
VALÈRE Ganz und gar, Herr Chef, und so viel wie möglich.<br />
CLÉANTE In der Zeit, in der Sie weg sind, Herr Vater, werde ich mir erlauben, Sie bei dieser Dame zu<br />
vertreten.<br />
HARPAGON Soviel steht jetzt schon fest, dieser Sohn ruiniert mich und überlebt mich und bringt mich<br />
schon in Kürze unter die Erde.<br />
IV. AKT - 1. SZENE<br />
Cléante, Élise, Mariane, Frosine<br />
CLÉANTE Kommen Sie, meine Damen, hier können wir endlich offen und ehrlich miteinander reden.<br />
ÉLISE Madame, mein Bruder hat mir gestanden, wie leidenschaftlich er Sie liebt und wie er hofft, dass Sie<br />
ihn genauso lieben mögen, und auch ich wünsche nichts sehnlicher als das, was mein Bruder sich wünscht,
DJD-Theatergruppe 2003/04 Molière: <strong>Geiz</strong>, <strong>Liebe</strong> und <strong>Verschwendung</strong> Seite 33 von 47<br />
weshalb ich alles mir Mögliche tun werde, um diese bar jeder Vernunft zu nennende Beziehung, die mein<br />
Vater zu Ihnen herzustellen wünscht, möglichst zu vereiteln.<br />
MARIANE Madame, auch ich gestehe Ihnen, dass ich Ihren Bruder mehr als leidenschaftlich liebe und dass<br />
jene verwerfliche Beziehung, die Sie so treffend zu bezeichnen wussten, so dass ich, die Betroffene, sie nicht<br />
treffender hätte bezeichnen können, mir schon in der Vorstellung so zuwider ist, dass ich mich lieber aus der<br />
Welt schaffen würde, als diese Unmöglichkeit Wirklichkeit werden zu lassen, aber leider kann ich, da mein<br />
lieber Vater verschollen, meine arme Mutter krank und ich daher mittellos und unvermögend, wie ich bin,<br />
nichts gegen mein Schicksal tun, weil mir mein Schicksal nichts in die Hände gegeben hat, um mein<br />
Schicksal zu ändern.<br />
CLÉANTE Ja, aber was machen wir denn da?<br />
FROSINE Ja, Kinder, was machen wir denn da?<br />
CLÉANTE Überleg doch mal, wir brauchen eine Idee.<br />
MARIANE Denk doch mal nach, wir brauchen einen Einfall.<br />
ÉLISE Da muss doch was zu machen sein, schließlich bist du an allem schuld.<br />
FROSINE Aber, aber, Schätzchen, wir wollen doch hier keine Schuld verteilen, aber zur Sache. Deine alte<br />
kranke Mutter ist nicht das Problem, mit der kann man ins Geschäft kommen und ihr statt des reichen, alten<br />
Vaters einen jungen armen Sohn andrehen. Das Problem ist euer Vater ...<br />
CLÉANTE Genau.<br />
MARIANE Richtig.<br />
ÉLISE So ist es.<br />
FROSINE Dieser alte Knabe hat sich mittlerweile so versteift auf unser Herzchen, dass man ihn nicht davon<br />
abbringen kann. Es gibt nur eine Lösung: man müsste das Kunststück fertig bringen, ihn dahin zu bringen,<br />
dass er Herzchen aus seinem Herzen verstößt, weil er eine andere ins Herz geschlossen hat.<br />
CLÉANTE Ein toller Einfall.<br />
MARIANE Ein bestechender Plan.<br />
ÉLISE Eine brillante Idee.<br />
FROSINE Aber um das Ganze auf die Beine zu stellen, braucht's nicht nur Köpfchen, sondern auch das<br />
nötige Kleingeld, denn billig sind meine Einfälle nun mal nicht zu haben.<br />
CLÉANTE Beim Erbteil meiner Mutter, daran soll es nicht scheitern.<br />
FROSINE Ja, wenn Geld in der Kasse ist, dann lasst uns mal vorsichtig zu Werke gehen. Stellt euch mal vor,<br />
wenn es eine Frau gäbe, mit meiner Statur, mit meinen Formen und Kurven und mit meiner Erfahrung, und<br />
diese Frau käme so daher, elegant, alles vom Feinsten, in einem raffinierten Kleid, dazu ein toller Hut und<br />
von oben bis unten behangen mit kostbarem Schmuck, und jetzt stellt euch weiter vor, diese teure<br />
Erscheinung hätte auch noch mein, mir von der Natur verliehenes schauspielerisches Talent und würde eurem<br />
Vater täuschend echt vormachen, dass sie eine reiche Gutsbesitzerin ist, mit vielen Scheunen, Äckern, Wiesen<br />
und Weiden und mit einem ellenlangen Titel im Wappen, und diese Person machte, nun stellt euch vor, eurem<br />
Vater weis, sie sei bis über beide Ohren hemmungslos in ihn verliebt ...
DJD-Theatergruppe 2003/04 Molière: <strong>Geiz</strong>, <strong>Liebe</strong> und <strong>Verschwendung</strong> Seite 34 von 47<br />
MARIANE So weit muss man gehen.<br />
FROSINE ... könnte ohne ihn nicht leben ...<br />
ÉLISE So weit kann man gehen.<br />
FROSINE ... und dass sie alles, ihr gesamtes Hab und Gut, ihr sämtliches Bargeld, gerollt und gebündelt, ihm<br />
zu Füßen legt, wenn er dafür bereit ist, einen Ehevertrag um den Preis mit ihr abzuschließen, dass ICH seine<br />
Frau werde. Und wenn er dann auf Herzchen verzichtet und es dann DEINE Frau ist, und wenn er dann<br />
merkt, dass ich das bin, die jetzt dann SEINE Frau ist, dann ist es zu spät. Doch, wie gesagt, das alles kostet<br />
so über den Daumen so an die Hunderttausend.<br />
CLEANTE Teuer, findet ihr nicht auch?<br />
MARIANE Ich kann dazu nur ja, aber gut sagen.<br />
ÉLISE Gut, Ja sage ich auch.<br />
FROSINE Ja gut, Kinderchen, dann machen wir es so.<br />
IV. AKT - 2. SZENE<br />
Harpagon, Elise, Cléante, Mariane, Frosine<br />
HARPAGON Was sehe ich, mein Herr Sohn küsst seiner zukünftigen Stiefmutter die Hand, und die<br />
zukünftige Stiefmutter zieht die Hand nicht weg. Ob das so harmlos ist, wie es aussieht?<br />
ÉLISE Da kommt unser Vater.<br />
HARPAGON Die Pferde sind angeschirrt, die Kutsche steht bereit, es geht los, meine Damen.<br />
CLÉANTE Da Sie hier bleiben, Herr Vater, werde ich mit den Damen zu Markte fahren und versuchen, sie<br />
so gut wie möglich zu unterhalten.<br />
HARPAGON Nichts da, hier geblieben, die finden den Weg auch ohne dich, denn dich brauch ich hier.<br />
IV. AKT - 3. SZENE<br />
Harpagon, Cléante<br />
HARPAGON Na, sei mal ehrlich, mein Sohn, wie gefällt dir deine Stiefmutter, abgesehen von der Tatsache,<br />
dass sie deine Stiefmutter wird?<br />
CLÉANTE Wie sie mir gefällt?<br />
HARPAGON Ja, so ganz insgesamt im Ganzen.<br />
CLÉANTE Mein Typ ist sie weder im Ganzen noch teilweise. Sie sieht nicht besonders hübsch aus, sie<br />
macht weder einen sehr ordentlichen noch sehr sparsamen Eindruck, hat kein feines Benehmen, und mit<br />
ihrem Verstand scheint es auch nicht weit her zu sein. Stiefmutter hin, Stiefmutter her, ob Sie die nehmen<br />
oder eine andere, von der Sorte gibt es Hunderte, und alle sind gleich.
DJD-Theatergruppe 2003/04 Molière: <strong>Geiz</strong>, <strong>Liebe</strong> und <strong>Verschwendung</strong> Seite 35 von 47<br />
HARPAGON Eben noch hast du aber noch ...<br />
CLÉANTE Ach was, ich hab ihr als ihr zukünftiger Stiefsohn doch nur die nötigen Komplimente gemacht.<br />
HARPAGON Also, du empfindest ganz und gar keinerlei Zuneigung zu ihr?<br />
CLÉANTE Ich? Überhaupt ganz und gar keine.<br />
HARPAGON Das ist wirklich zu schade, damit fällt mein ganzer schöner Plan ins Wasser. Als ich euch<br />
vorhin beide so zusammen beieinander sah und ich so bei mir an mein eigenes Alter dachte, und dass ich auch<br />
nicht mehr so ganz der Allerjüngste bin und man mir vielleicht deswegen irgendwann irgendwelche,<br />
vielleicht sogar irgendwie berechtigte Vorwürfe machen könnte, dass ein so alter Mann wie ich sich an so<br />
einem jungen, reinen, unschuldigen Ding vergreift, da dachte ich, so, um all dem aus dem Wege zu gehen:<br />
warum gibst du eigentlich nicht dieses junge, reine, unschuldige Ding, warum gibst du dieses Ding, damit es<br />
in der Familie bleibt, warum gibst du es nicht einfach deinem Sohn?<br />
CLÉANTE Mir? Es?<br />
HARPAGON Ja, dir sie.<br />
CLÉANTE Es mir zur Frau?<br />
HARPAGON Sie dir zur Frau. Aber bei dieser abgrundtiefen Abneigung ...<br />
CLÉANTE Ja, aber wie schon gesagt, mein Ideal ist sie einerseits nicht, aber andererseits soll man ja seinem<br />
Vater ...<br />
HARPAGON Bitte, nimm auf mich keine falsche Rücksicht ...<br />
CLÉANTE Ihnen zuliebe, Herr Vater, würde ich aber gerne ein Opfer bringen ...<br />
HARPAGON Nein, nein, seinen Gefühlen soll man keinen Zwang antun, und eine Ehe ohne <strong>Liebe</strong> ...<br />
CLÉANTE Die <strong>Liebe</strong> kann sich doch hinterher einstellen ...<br />
HARPAGON Nein, nein, so was geht nicht gut, so was darf man nicht riskieren, ja, hättest du nur den<br />
Funken einer Zuneigung verspürt, ich hätte Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, dass du sie an meiner<br />
Stelle heiratest. Aber da die Dinge nun einmal so stehen, wie sie stehen, muss ich sie selbst heiraten.<br />
CLÉANTE Aber die Dinge stehen gar nicht so, wie Sie denken, dass sie stehen, sie stehen nämlich so, dass<br />
ich das junge Ding, das kann ich Ihnen sagen, liebe seit dem ersten Blick, und das ist die Wahrheit.<br />
HARPAGON Und, hast du ihr schon gesagt, dass du sie liebst und dass du sie heiraten willst?<br />
CLÉANTE Ja.<br />
HARPAGON Und sie, hat sie dir auch gesagt, dass sie dich liebt und sie dich heiraten will?<br />
CLÉANTE Ja.<br />
HARPAGON Na gut, mein Sohn, dann hör mir mal einen Moment gut zu: vergiss diese Heirat und schlag dir<br />
die Kleine aus dem Kopf, denn die gehört mir, und die heirate ich, und du, mein Herr Sohn, heiratest eine<br />
ganz andere, und zwar eine, die nicht du, sondern eine, die ich dir aussuche.
DJD-Theatergruppe 2003/04 Molière: <strong>Geiz</strong>, <strong>Liebe</strong> und <strong>Verschwendung</strong> Seite 36 von 47<br />
CLÉANTE Na gut, nachdem Sie so offen zu mir waren, Herr Vater, hören Sie mir mal bitte einen Moment<br />
gut zu. Ich werde meine Mariane nie aufhören zu lieben, und ich werde nicht zurückschrecken, sie vor Ihnen<br />
zu bewahren, auch wenn es mein Leben kostet.<br />
HARPAGON du wagst es, mir ins Gehege zu kommen, Grünschnabel?<br />
CLÉANTE Sie sind in meinem Gehege, nicht ich in Ihrem.<br />
HARPAGON Ich bin dein Vater, du hast mir zu gehorchen.<br />
CLÉANTE Ich bin Ihr Sohn, Sie müssen mich respektieren.<br />
HARPAGON Respektieren! Ich werde dir deinen Hintern respektieren!<br />
CLÉANTE Wer schlägt hat Unrecht.<br />
HARPAGON du verzichtest auf Mariane.<br />
CLÉANTE Nie!<br />
HARPAGON Einen Knüppel her, einen Knüppel!<br />
IV. AKT - 4. SZENE<br />
Jacques, Harpagon, Cléante<br />
JACQUES Aber um Gottes willen, bei unserem Herrn und Heiland, der alle un sere Menschensünden auf<br />
sich genommen hat, das darf doch nicht sein, dass Vater und Sohn sich so in den Haaren liegen.<br />
HARPAGON Komm her, Koch, und spiel den Schiedsrichter und bring ihm bei, dass ich recht habe und er<br />
Unrecht.<br />
JACQUES Gut, ich will alles versuchen, was in meinen bescheidenen Kräften steht, aber bitte, erst gehen Sie<br />
auseinander.<br />
HARPAGON Ich liebe und will heiraten, er liebt und will auch heiraten, das Problem ist, es ist dasselbe<br />
Mädchen. Was sagst du dazu, Kutscher?<br />
JACQUES Das geht nicht.<br />
HARPAGON Ist das nicht wie Sodom und Gomorrha, Koch, dass der Sohn buhlt um des Vaters Weib, und<br />
müsste er nicht schon aus Anstand davon Abstand nehmen?<br />
JACQUES Ja, Herr, recht haben Sie, Abstand aus Anstand, lassen Sie mich mit ihm reden, aber Sie bleiben<br />
hier, Herr. (zu Cléante) Und jetzt sprechen Sie, junger Herr.<br />
CLÉANTE Ich liebe und will heiraten, er liebt und will auch heiraten, das Problem ist das gleiche Mädchen.<br />
Was sagst du dazu, Kutscher?<br />
JACQUES Das geht nicht.
DJD-Theatergruppe 2003/04 Molière: <strong>Geiz</strong>, <strong>Liebe</strong> und <strong>Verschwendung</strong> Seite 37 von 47<br />
CLÉANTE Sei mal ehrlich, ist das nicht wie Sodom und Gomorrha, Koch, dass der Vater buhlt um des<br />
Sohnes Weib, und müsste er nicht Abstand davon nehmen, schon aus Anstand?<br />
JACQUES Ja, junger Herr, Sie haben recht, Abstand aus Anstand. Aber wenn sie mir erlauben, Ihr Herr<br />
Vater steht in der Sache wortwörtlich auf dem gleichen Standpunkt wie Sie, und seine Ansicht und Ihre<br />
Ansicht über die Sache unterscheiden sich genauso wenig voneinander.<br />
CLÉANTE Ja, wenn das so ist, Koch, dass mein Herr Vater die Sache genauso sieht wie ich, dann können<br />
wir aus meiner Sicht die Sache als erledigt ansehen, und ich lasse meinem Herrn Vater durch dich, Kutscher,<br />
mitteilen, dass ich ihm verzeihe.<br />
HARPAGON Na, Koch, habe ich nun recht oder nicht?<br />
JACQUES (zu Harpagon) Mein Herr, alles ist wieder in Butter. Ihr Herr Sohn lässt Ihnen durch mich<br />
mitteilen, dass er Ihnen verzeiht und die Sache als erledigt ansieht, nachdem ich ihm gesagt hatte, dass Sie die<br />
Sache genauso sehen wie er.<br />
HARPAGON Ja, wenn das so ist, Kutscher, dass mein Herr Sohn die Sache genauso sieht wie ich, dann<br />
können wir aus meiner Sicht die Sache auch als erledigt ansehen, und ich lasse meinem Herrn Sohn durch<br />
dich, Koch, mitteilen, dass ich ihm gleichfalls verzeihe.<br />
JACQUES Meine Herren, ich teile Ihnen durch mich mit, dass ich in Ihrer Sache Frieden stiften konnte, denn<br />
Sie sind völlig einer Meinung.<br />
IV. AKT - 5. SZENE<br />
Cléante, Harpagon<br />
CLÉANTE Herr Vater, ich bitte um Verzeihung.<br />
HARPAGON Das macht doch nichts, Herr Sohn.<br />
CLÉANTE Ich bedaure das Ganze zutiefst und aus vollem Herzen.<br />
HARPAGON Und ich freue mich ganz und gar aus tiefstem Herzen, dass du vernünftig bist.<br />
CLÉANTE Wie großsinnig von Ihnen; alles so schnell zu verzeihen.<br />
HARPAGON Wie hochanständig von dir, dich auf deine Pflicht zu besinnen.<br />
CLÉANTE Ich verspreche Ihnen, Herr Vater, dass mir Ihre Güte unvergesslich bleiben wird.<br />
HARPAGON Und ich, ich verspreche dir, dass es nichts gibt, was du nicht von mir haben kannst.<br />
CLÉANTE Danke, lieber Herr Vater, ich brauche nichts mehr, Sie haben mir meine Mariane gegeben, was<br />
will ich mehr?<br />
HARPAGON Wie?<br />
CLÉANTE Ja, lieber Herr Vater, Sie haben mir Mariane zur Frau gegeben und damit meinen größten<br />
Wunsch erfüllt und mich glücklich gemacht.<br />
HARPAGON Wer redet davon, dir Mariane zur Frau zu geben?
DJD-Theatergruppe 2003/04 Molière: <strong>Geiz</strong>, <strong>Liebe</strong> und <strong>Verschwendung</strong> Seite 38 von 47<br />
CLÉANTE Sie, lieber Herr Vater.<br />
HARPAGON Ich?<br />
CLÉANTE Ja, Sie.<br />
HARPAGON Was, du hast doch versprochen, auf sie zu verzichten.<br />
CLÉANTE Ich auf sie verzichten?<br />
HARPAGON Ja.<br />
CLÉANTE Mit keiner Silbe.<br />
HARPAGON du hörst also nicht auf, Anspruch auf sie zu erheben?<br />
CLÉANTE Im Gegenteil, ich will sie mehr denn je haben.<br />
HARPAGON Was, du Wechselbalg, mehr denn je?<br />
CLÉANTE Ich verzichte nie und nimmer.<br />
HARPAGON Ich verbiete dir ein für allemal, sie zu nehmen.<br />
CLÉANTE Und ich nehme sie, auch wenn Sie es ein für allemal verbieten.<br />
HARPAGON Ich verstoße dich.<br />
CLÉANTE Bitte sehr.<br />
HARPAGON Ich erkenne dich nicht mehr als Sohn an.<br />
CLÉANTE Meinetwegen.<br />
HARPAGON Ich enterbe dich.<br />
CLÉANTE Tun Sie sich keinen Zwang an.<br />
HARPAGON Ich verfluche dich.<br />
CLÉANTE Ihre Gaben in allen Ehren.<br />
IV. AKT - 6. SZENE<br />
La Flèche, Cléante<br />
LA FLÈCHE (kommt mit einer Kassette) Gut, dass Sie hier sind, kommen Sie mit, schnell.<br />
CLÉANTE Was ist denn?<br />
LA FLÈCHE Ich habe es geschafft, wir müssen weg.
DJD-Theatergruppe 2003/04 Molière: <strong>Geiz</strong>, <strong>Liebe</strong> und <strong>Verschwendung</strong> Seite 39 von 47<br />
CLÉANTE Wieso?<br />
LA FLÈCHE Ich habe alles, was wir brauchen.<br />
CLÉANTE Was?<br />
LA FLÈCHE Darauf habe ich den ganzen Tag gelauert.<br />
CLÉANTE Was hast du denn da?<br />
LA FLÈCHE Den Schatz eures Vaters, Junior, endlich haben wir ihn erwischt.<br />
CLÉANTE Wie hast du denn das gemacht?<br />
LA FLÈCHE Das erzähle ich Ihnen später, erst mal weg hier, ich höre ihn schreien.<br />
IV. AKT - 7. SZENE<br />
Harpagon<br />
HARPAGON Diebe, Diebe, haltet den Dieb! Räuber! Mörder! Raubmörder! Gerechter Himmel!<br />
Gerechtigkeit! Ich bin hin, ich bin verloren, ich bin ermordet! Man hat mir durch die Kehle geschnitten, man<br />
hat mir mein Geld geraubt! Wer, wer war's, wo ist er? Wo steckt er, wo hat er sich versteckt, wo finde ich<br />
ihn? Wo suchen, wo nicht suchen? Ist er hier, ist er da, wer da, halt, du da! Gib mir mein Geld, Hund! (packt<br />
sich selbst amArm) Ach, ich selbst, mein Verstand, ganz verwirrt. Ich bin wo, ich bin wer, ich bin was? Ach,<br />
mein armes Geld, mein armes Geld, mein teurer Freund! Beraubt hat man mich deiner, verloren habe ich<br />
meine Stütze, meinen Trost, meine Freude. Alles ist aus für mich, was soll ich noch auf der Welt? Ohne dich<br />
kann ich unmöglich leben. Es ist aus, ich kann nicht mehr, ich sterbe, ich bin tot, ich bin unter der Erde. Ist<br />
denn hier niemand, der mich auferwecken will, indem er mir mein teures Geld zurückgibt oder mir sagt, wer<br />
es stahl? Wie, was sagt ihr, da ist niemand? Wer es auch war, der mir diesen Schlag versetzt hat, der hat den<br />
Zeitpunkt höchst genau gewählt, gerade als ich mit meinem Sohn sprach, dem Verräter, dem Verfluchten. Ich<br />
hole die Polizei! Sie soll in meinem Haus alles foltern und vernehmen. Alles! Diener, Dienerinnen, Sohn,<br />
Tochter und mich auch. Oh, die vielen Leute, die da sind, ich kann ansehen, wen ich will, jeder erregt<br />
Verdacht in mir, jeder sieht ganz nach meinem Dieb aus. He, was redet ihr da? Sie wissen was? Was ist denn<br />
das da oben? Ist das dort etwa mein Dieb? Alles Diebe! Ich flehe euch an, wo ist mein Geld, sagt es mir! Jetzt<br />
lachen sie, sie lachen mich aus, ihr steckt doch alle unter einer Decke. Nur ich nicht! Polizei! Polizei her!<br />
Kommissare! Richter! Schöffen! Daumenschrauben! Ketten! Galgen! Henker! Ich will, dass alle Welt hängt!<br />
Und finde ich mein Geld nicht wieder, hänge ich mich selbst dazu!<br />
V. AKT - 1. SZENE<br />
Kommissar, Harpagon<br />
KOMMISSAR (und ein Schreiber) Lassen Sie mich nur machen, ich kenne mein Geschäft. Dies ist nicht der<br />
erste Diebstahl, den ich erfolgreich aufkläre. Wenn ich pro Kopf und Dieb nur eine Mark genommen hätte,<br />
wäre ich heute ein reicher Mann.<br />
HARPAGON Alle Beamten und Angestellten müssen in meinem Fall auf den Täter angesetzt werden, und<br />
wenn sie nicht binnen kürzester Frist mir mein Geld herbeischaffen, dann mache ich der gesamten Justiz den<br />
Prozess.<br />
KOMMISSAR Ich werde alle erforderlichen Schritte einleiten. Was und wie viel also waren in der Kassette?
DJD-Theatergruppe 2003/04 Molière: <strong>Geiz</strong>, <strong>Liebe</strong> und <strong>Verschwendung</strong> Seite 40 von 47<br />
HARPAGON Einhunderttausend.<br />
KOMMISSAR Einhunderttausend?<br />
HARPAGON Genau Einhunderttausend.<br />
KOMMISSAR Das ist ein hübsches Sümmchen, und wen haben Sie in Verdacht?<br />
HARPAGON Jeden. Ich verlange, dass die ganze Stadt und ihre Vororte durchsucht werden.<br />
KOMMISSAR Nur keine Panik. Zuerst muss man in aller Ruhe versuchen, alle Beweise in eine Hand zu<br />
bekommen, hat man die erst mal, kann man sich energisch an die Wiederbeschaffung des Geldes<br />
heranmachen.<br />
V. AKT -2. SZENE<br />
Jacques, Harpagon, Kommissar<br />
JACQUES (im Hintergrund) So! Der Kopf ist weg vom Hals! Lasst ihn erst mal ausbluten, ich komme gleich<br />
wieder. Und bevor ihr ihn in kochendes Wasser schmeißt und ihn verkehrtrum aufhängt, vergesst nicht, ihm<br />
die Füße abzuschneiden.<br />
HARPAGON Wem? Meinem Dieb?<br />
JACQUES Nein! Dem Hahn, der heute vor Hunger von der Henne gefallen ist. Nimmt dieser Herr an Ihrem<br />
Essen teil?<br />
HARPAGON Davon ist jetzt nicht die Rede, der Herr Kommissar will dir ein paar Fragen stellen.<br />
KOMMISSAR Nur keine Angst, ich beiße nicht. Sie müssen nur die Wahrheit sagen. Ich frage Sie jetzt rein<br />
routinemäßig auf den Kopf zu: Haben sie Herrn Harpagon in der letzten Zeit Geld gestohlen?<br />
JACQUES Nein.<br />
HARPAGON Doch! Warum wirst du rot im Gesicht, du Dieb! Ich werde dich zum Reden bringen, ich lass<br />
dich foltern. Kommissar, tun Sie Ihre Pflicht.<br />
KOMMISSAR Wie können Sie diesen Mann nur so ungeschickt anfassen, haben Sie denn keinerlei Augen<br />
im Kopf? Sie entnehmen doch seiner Physiognomie, dass dieser Mensch zur Kategorie der offenen und<br />
einfachen Subjekte gehört. Zur Erlangung von Auskünften bei dieser Spezies führt jede Anwendung von<br />
Druck, Drohung und Gewalt zu Misserfolgen. Stattdessen haben Sie mit der freundlichen, sanften Methode<br />
auf Anhieb Erfolg, und jetzt passen Sie mal auf, ich werde Ihnen jetzt mal zeigen, wie man das macht: <strong>Liebe</strong>r<br />
Freund, man hat Ihrem Herrn übel mitgespielt, man hat ihm sehr viel Geld gestohlen.<br />
JACQUES Man hat ihm Geld gestohlen?<br />
KOMMISSAR Sehr, sehr viel Geld. Und wenn Sie es haben oder wissen, wer es war, sagen Sie es uns ohne<br />
Umschweife, denn das ist immer das Beste.<br />
JACQUES (beiseite) Jetzt kann ich mich endlich an meinem Herrn Vorgesetzten, diesem Herrn Valère,<br />
rächen.
DJD-Theatergruppe 2003/04 Molière: <strong>Geiz</strong>, <strong>Liebe</strong> und <strong>Verschwendung</strong> Seite 41 von 47<br />
HARPAGON Sprich laut und deutlich, falls du ein reines Gewissen hast.<br />
KOMMISSAR Stören Sie den guten Mann nicht, Sie sehen doch, wie er überlegt.<br />
JACQUES Ich weiß, wer es war, es war mein Chef, Ihr Herr Haushofmeister.<br />
HARPAGON Valère?<br />
JACQUES Ja der.<br />
HARPAGON Der, dem ich ganz und gar vertraut habe?<br />
JACQUES Genau der, der hat Sie bestohlen.<br />
KOMMISSAR Na bitte, man muss nur die Augen aufmachen und Menschenkenntnis besitzen. Ich hab doch<br />
gleich gewusst, dass das unser Mann ist.<br />
HARPAGON Hast du gesehen, wo er das Geld gestohlen hat?<br />
V. AKT - 3. SZENE<br />
Jacques, Harpagon, Kommissar, Valère<br />
JACQUES Natürlich, da hinten.<br />
HARPAGON Im Garten?<br />
JACQUES Natürlich, wo sonst, ich hab ihn im Garten gesehen.<br />
HARPAGON Und wo ist das Geld?<br />
JACQUES Das Geld hatte er da drin.<br />
HARPAGON In der Kassette?<br />
JACQUES Natürlich, worin sonst, ich habe ihn mit der Kassette im Garten gesehen.<br />
HARPAGON Und wie sieht die Kassette aus?<br />
JACQUES Eher groß.<br />
HARPAGON Meine war eher klein.<br />
JACQUES Ich meine den Inhalt und nicht die Form. Ich habe Ihren Herrn Haushofmeister, den Valère, mit<br />
einer kleinen Kassette im Garten gesehen.<br />
KOMMISSAR <strong>Liebe</strong>r Freund, nun sagen Sie uns mal gerade heraus ...<br />
HARPAGON Welche Farbe hat die Kassette?<br />
JACQUES Welche Farbe, es ist schwer zu beschreiben, war sie nicht gelb mit blau?<br />
HARPAGON Nein, grau.
DJD-Theatergruppe 2003/04 Molière: <strong>Geiz</strong>, <strong>Liebe</strong> und <strong>Verschwendung</strong> Seite 42 von 47<br />
JACQUES Ja, graublau, natürlich, wie sonst. Ich habe Ihren Haushofmeister, den Herrn Valère, mit einer<br />
kleinen grauen Kassette voll Geld in Ihrem Garten gesehen.<br />
HARPAGON Voll Geld? Das ist der Beweis. Kein Zweifel, nehmen Sie seine Aussage zu Protokoll,<br />
Kommissar. Valère, ein Dieb, Himmel, wem kam man noch trauen.<br />
JACQUES Da kommt der Herr Haushofmeister. Sagen Sie ihm um Himmels willen nicht, dass Sie alles von<br />
mir wissen.<br />
HARPAGON Komm mal her, Valère, und gesteh auf der Stelle das schwärzeste Verbrechen der<br />
Weltgeschichte.<br />
VALÈRE Was wünschen Sie, Herr Chef? Und von welchem Verbrechen redei Sie?<br />
HARPAGON Verstell dich nicht, du, der du mein Vertrauen missbraucht, der du meine Güte mit Füßen<br />
getreten, du, der du meine <strong>Liebe</strong> durch den Dreck gezerrt hast, du weißt genau, was ich meine.<br />
VALÈRE Da nun alles raus ist, Herr, will ich Sie nicht länger belügen und gebe alles zu.<br />
JACQUES Da habe ich etwas erraten, ohne es zu wissen.<br />
VALÈRE Ich wollte schon längst alles gestehen, aber es gab nie den richtigen Moment, nun ist er da. Nun<br />
gibt es ihn, und ich bitte Sie, Herr, versuchen Sie, ohne in Zorn zu geraten, meinen Gründen zu folgen und<br />
nicht gleich auf mich loszugehen, denn dann werden Sie sehen, mein Verbrechen ist ganz und gar das<br />
Gegenteil eines Verbrechens.<br />
HARPAGON Was, ein Verbrechen wie dein Verbrechen kein Verbrechen? Bei so viel Hinterlist und<br />
Dreistigkeit?<br />
VALÈRE Dreistigkeit? Dieses Schimpfwort habe ich nicht verdient. Bei meiner Ehre, ich habe sie nicht<br />
angefasst.<br />
HARPAGON Sie nicht angefasst, du Heuchler, sie, die mein Herzblut ist, mein Ein und Alles.<br />
VALÈRE Ihr Blut wird durch mich nicht befleckt. Ich stamme aus einer Familie mit Stammbaum, und alles,<br />
was ich verbrochen habe, wird von meiner Familie in Ordnung gebracht, und Ihre Ehre wird durch uns<br />
vollkommen wiederhergestellt.<br />
HARPAGON Mit oder ohne Ehre, das ist mir so egal wie der Teufel mit oder ohne Schwanz. Ich will sie<br />
wiederhaben, hier geht's einzig und allein, ganz und gar nur noch um all mein Geld.<br />
VALÈRE All Ihr Geld will und brauche ich nicht, wenn Sie mir nur meinen, Ihren Schatz lassen, den ich so<br />
liebe.<br />
HARPAGON Deinen Schatz? Meinen Schatz hast du nicht zu lieben. Was mein ist, wird nur von mir geliebt,<br />
das darf kein anderer lieben, das liebe nur ich. Wo kommen wir denn hin, wenn alle durcheinanderlieben,<br />
dann lieben plötzlich alle alles, und alles gehört plötzlich allen.<br />
VALÈRE Die <strong>Liebe</strong> gehört nicht allen! Die <strong>Liebe</strong> ist eine Himmelsmacht, und ich und mein Schatz, wir<br />
haben uns geschworen, wir gehören nur uns, Und nichts auf der Welt kann uns trennen.
DJD-Theatergruppe 2003/04 Molière: <strong>Geiz</strong>, <strong>Liebe</strong> und <strong>Verschwendung</strong> Seite 43 von 47<br />
HARPAGON Bei meinem Schatz? Dieser Schwur ist nicht nur abgrundtief komisch, sondern auch<br />
himmelhoch tragisch, und ich kriege gleich Tränen und Bauchschmerzen vor Lachen. Aber wie, bei meinen<br />
Hunderttausend, hast du denn rausgekriegt, wo ich sie vergraben hatte?<br />
VALÈRE Sie hatten sie vergraben, aber das ist doch ganz und gar unmöglich, ich war doch tagtäglich mit<br />
Ihrer Tochter immer zusammen.<br />
HARPAGON (beiseite) Ich sehe, die Angst vor der Strafe lässt ihn irre reden. (zu Valère) Was sprichst du<br />
denn da plötzlich von meiner Tochter?<br />
VALÈRE Herr Chef, Ihre Tochter und ich haben heute Mittag einen Ehevertrag unterzeichnet.<br />
HARPAGON Was!? Meine Tochter Élise hat dir einen Ehevertrag unterschrieben?<br />
VALÈRE Ja, und ich ihr.<br />
HARPAGON O Himmel, noch ein Schicksalsschlag.<br />
JACQUES (zum Kommissar) Schreiben Sie, Herr Kommissar, das muss alles festgehalten werden.<br />
HARPAGON Unheil wird aus Unheil geboren und gebiert neues Unheil. Tun Sie Ihre Pflicht, Herr<br />
Kommissar, machen Sie ihm den Prozess als Dieb und Verführer.<br />
VALÈRE Diese Beschuldigung werde ich abschütteln, wenn Sie erst wissen, wer und was ich bin und woher<br />
ich komme.<br />
V. AKT - 4. SZENE<br />
Harpagnon, Élise, Valère, Jacques, Frosine<br />
HARPAGON (zu Elise) du verworfenes gemeines Luder, meine Tochter ist eine Hure. Mit einem<br />
hergelaufenen gemeinen Dieb lässt sie sich ein und gibt ihm ihr Wort ohne meine Erlaubnis. Aber ihr habt<br />
mich unterschätzt. Ich lass dich hinter den Mauern eines Klosters lebendig begraben, (zu Valère) und du<br />
bekommst eine Schlinge um den Hals und wirst an der höchsten Turmspitze aufgehängt, damit die Welt<br />
endlich von dem hinterhältigsten Dieb und niederträchtigsten Verführer erlöst ist.<br />
VALÈRE Ihre grundlose Rache wird mich niemals richten, denn bevor man mich verurteilt, wird man mich<br />
anhören müssen.<br />
HARPAGON Mit baumelnden Beinen, mit gebrochenem Genick und heraushängender Zunge wird dich<br />
keiner mehr hören können.<br />
ÉLISE (fällt aufdie Knie) <strong>Liebe</strong>r Herr Vater, ich flehe Sie an, bei allem, was mir heilig ist, seien Sie nicht so<br />
grausam zu ihm und lassen Sie sich von ihrem maßlosen Hass nicht so blenden, dass Sie ihn, den Sie so<br />
hassen, gar nicht mehr sehen. Denn hätte er mich damals nicht gesehen, als ich in Lebensgefahr, schon nichts<br />
mehr sehend, auf den Wellen trieb, und wäre er nicht, um mich zu retten, ohne sich umzusehen, ins Wasser<br />
gesprungen, und hätte er nicht mit seinen starken Armen die Wellen geteilt, so wie ich es, die sich jetzt<br />
kraftlos unter Wasser sah, noch nie gesehen habe, und wäre er dann nicht, indem er beide Augen schloss,<br />
untergetaucht und hätte blind, wie er jetzt war, mich nicht wieder nach oben gestoßen, so dass ich mich<br />
plötzlich wieder oben sah wie zuvor, auf der unübersehbaren blindwütenden See, und wäre er dann nicht<br />
wieder aufgetaucht, um mich in seine starken Arme zu nehmen, und wäre er dann mit mir nicht an Land<br />
geschwommen, während meine Augen in seine Augen und seine Augen in meine Augen sahen, ich wäre jetzt<br />
längst tot, und Sie hätten Ihre Tochter nie mehr wieder gesehen, mein Herr Vater.
DJD-Theatergruppe 2003/04 Molière: <strong>Geiz</strong>, <strong>Liebe</strong> und <strong>Verschwendung</strong> Seite 44 von 47<br />
HARPAGON All das ist ganz und gar unwichtig, und es wäre für mich viel besser gewesen, er hätte dich<br />
sehenden Auges ertrinken lassen, als mir das anzutun, was er mir angetan hat.<br />
ÉLISE Ich beschwöre Ihre väterliche <strong>Liebe</strong>, Herr Vater.<br />
HARPAGON Ich will nichts mehr hören, das gerechte Schicksal nehme seinen gerechten Lauf.<br />
JACQUES (beiseite) Und die gerechte Sache hat doch gesiegt.<br />
FROSINE (beiseite) Mit diesem Wirrwar kann selbst ich nichts anfangen.<br />
V. AKT - 5. SZENE<br />
Anselmo, Harpagon, Valère, Mariane, Elise, Frosine, Jacques, Kommissar, Frédéric<br />
ANSELMO Aber, aber, Signor Harpagon, was muss ich sehn, eine schöne Frau auf Knien, was ist passiert?<br />
HARPAGON Signor Anselmo, ich bin am Boden zerstört. Sie kommen und wollen mit mir den Ehevertrag<br />
abschließen und meine Tochter heiraten, und mich bringt man unterdessen um meinen Besitz und meine Ehre.<br />
Hier steht der Verräter, ein Verbrecher, der sich in meine Dienste schlich, um mir meine Tochter zu verführen<br />
und mein Geld zu stehlen.<br />
VALÈRE Ich habe weder verführt noch gestohlen, ich will heiraten.<br />
HARPAGON Sie haben einander die Ehe versprochen. Diese Beleidigung richtet sich auch gegen Sie, Signor<br />
Anselmo, bringen Sie die beiden vor Gericht, damit ihnen diese Frechheit ausgetrieben wird.<br />
ANSELMO O Mama mia, ich zwinge nie eine schöne Frau gegen ihren Willen. Niemals! Ich bin kein<br />
Barbar. Ich bin ein Ehrenmann. Meine Ehre ist mein Leben, Signor Harpagon.<br />
HARPAGON Hier, Signor Anselmo, der Kommissar hat schwarz auf weiß notiert, welch ruchloser Gauner<br />
dieser Mann hier ist, der bis dato mein Diener war.<br />
VALÈRE Nun halten Sie mal den Mund, Sie Herr, Sie. Ich stamme aus Neapel, und ganz Neapel kann<br />
bezeugen, wer ich bin und was ich war.<br />
ANSELMO Attenzione, Attenzione, mein Herr! Was Sie sagen ist riskant, ich bin ein Neapolitaner, seien Sie<br />
vorsichtig!<br />
VALÈRE Ich habe keine Angst. Wenn Sie aus Neapel sind, müssen Sie wissen, wer Don Tomaso d'Alburzzi<br />
ist.<br />
ANSELMO Don Tomaso d'Alburzzi? Dio mio, kein Mensch kennt Tomaso d'Alburzzi besser als ich.<br />
HARPAGON Zum Kuckuck, was geht uns dieser Tomaso an?<br />
VALÈRE Er hat mir mein Leben gegeben.<br />
ANSELMO Was, Tomaso d'Alburzzi hat Ihnen Ihr Leben gegeben?<br />
VALÈRE So ist es, Signor Tomaso d'Alburzzi war mein Vater, Signore.
DJD-Theatergruppe 2003/04 Molière: <strong>Geiz</strong>, <strong>Liebe</strong> und <strong>Verschwendung</strong> Seite 45 von 47<br />
ANSELMO Finito! Finito! Sie sind ein Betrüger.<br />
VALÈRE Hüten Sie Ihre Zunge, einem d'Alburzzi geht nichts über seine Ehre.<br />
ANSELMO Eine unglaubliche Impertinenza. Don Tomaso d'Alburzzi ist tot. Er und seine Familie sind bei<br />
einem Schiffsunglück ertrunken.<br />
VALÈRE Piano, piano, Signore, nehmen Sie zur Kenntnis, dass ich als sein damals siebenjähriger Sohn, mit<br />
seinem damals sechzigjährigen Diener zwar Schiffbruch auf der Höhe von Cadiz erlitt und mutterseelenallein<br />
mit dem alten ohnmächtigen Diener hilflos auf der unendlichen Weite des Atlantiks dahintrieb, bis uns nach<br />
acht Tagen, ohne zu essen und zu trinken, in glühender Hitze bei Tage und in eisiger Kälte bei Nacht, der<br />
Kapitän der spanischen Armada an Deck holte, und nehmen Sie weiter zur Kenntnis, dass meine gute arme<br />
Mutter und meine liebe kleine Schwester bei demselben Schiffbruch mit an Sicherheit grenzender<br />
Wahrscheinlichkeit ein kühles nasses Grab fanden, und dass Signor Tomaso d'Alburzzi nicht, wie Sie vorhin<br />
in Unkenntnis der Wahrheit behaupteten, bei eben diesem Schiffbruch mit seiner Familie ertrunken ist,<br />
sondern dass er, wie ich seit voriger Woche, Dienstag, mit Bestimmtheit weiß, noch lebt.<br />
ANSELMO Haben Sie Beweise für diese Historia Fantastica?<br />
VALÈRE Beweise? Der alte Diener, der morgen, Mittwoch, achtzig wird. Das Muttermal an meinem<br />
Oberschenkel und die Narbe hier an meinem Hinterkopf, die ich mir holte, als ich mit Drei bei einem<br />
Reiterspiel von den Knien meines Vaters rutschte und zu Boden fiel.<br />
MARIANE Alle drei Beweise sind für mich Beweise, dass du mein Bruder bist.<br />
VALÈRE Und du, du bist meine Schwester?<br />
FROSINE (die bisher schon leise geschluchzt hat, bricht nun völlig in Tränen der Rührung aus, ihre<br />
Taschentücher sind schon nass – da kommt zum Glück Frédéric mit Trost und Tempos. Mariane lässt sich<br />
dadurch nicht beirren und spricht unterdessen weiter)<br />
MARIANE Ja, mein lieber Bruder, meine arme Mutter hat mir immer wieder von dem Unglück unserer<br />
Familie erzählt. Ein Schutzengel hielt bei diesem furchtbaren Schiffbruch seine Hand über uns. Wir wurden<br />
gerettet, aber wir verloren unsere Freiheit. Seeräuber fischten uns aus dem Meer, nahmen uns zu sich auf ihr<br />
Schiff, wo wir gezwungen wurden, ihnen zu dienen. Nach zehn Jahren hatten sich die Piraten gegenseitig bis<br />
auf den letzten Mann umgebracht, und das Schiff, welches mit uns nun herrenlos auf den Weltmeeren ohne<br />
festen Kurs umhertrieb, lief eines Nachts vor Neapel auf Grund. Nun waren wir zwar wieder zu Hause, aber<br />
unser Haus war zerstört, unsere Besitzungen waren von den aufständischen Horden niedergebrannt worden,<br />
von unserem Vater war jede Spur verwischt, darum gingen wir nach Genua, wo meine arme Mutter die<br />
armseligen Reste einer bereits aufgeteilten Erbschaft retten wollte, aber vor der barbarischen Ungerechtigkeit<br />
unserer Verwandten flohen wir hierher, wo die leidgeprüfte Frau seither ihr Leben in Siechtum verbringt.<br />
ANSELMO O meine Kinder, ich bin euer Vater, avanti, avanti, kommt an mein Herz.<br />
VALÈRE Sie, Herr, mein Vater?<br />
MARIANE Sie sind der, um den meine arme Mutter so viele Jahre weinte?<br />
ANSELMO Ja, Kinder, ich, Don Tomaso d'Alburzzi, euer Vater und der Mann eurer Mutter, ich konnte mich<br />
damals mit all unserem Geld retten, euch hielt ich für tot. Ich war nun allein und heimatlos, denn zurück nach<br />
Neapel konnte ich nicht, ohne mein Leben zu riskieren. Nach jahrelanger Trauer und Einsamkeit wollte ich<br />
mir nun ein anständiges einfaches Mädchen zur Frau nehmen und hier mit neuem Namen in einer neuen<br />
Heimat Glück und Ruhe finden.
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HARPAGON Ist der da Ihr Sohn?<br />
ANSELMO Ja, das ist er.<br />
HARPAGON Ich verlange, dass Sie mir die Hunderttausend zurückgeben, die er mir gestohlen hat.<br />
ANSELMO Er, euch bestohlen?<br />
HARPAGON Ja, das hat er, genau Einhunderttausend.<br />
VALÈRE Wer hat das gesagt?<br />
HARPAGON Der Koch oder der Kutscher.<br />
VALÈRE Was hast du gesagt?<br />
JACQUES Wie Sie hören, sage ich gar nichts.<br />
HARPAGON Der Kommissar hat die Aussage zu Protokoll genommen.<br />
VALÈRE Und Sie halten mich einer so niedrigen Tat für fähig?<br />
HARPAGON Fähig oder nicht fähig, ich will mein Geld wiederhaben.<br />
V. AKT - 6. SZENE<br />
Cléante, Harpagon, Mariane, Anselmo, Kommissar, Valère, Élise, Frosine, Jacques, La Flèche, Frédéric<br />
CLÉANTE Schreien Sie nicht so, Herr Vater, und beschuldigen Sie niemanden, Sie bekommen Ihr Geld nur<br />
dann zurück, wenn Sie mich Mariane heiraten lassen.<br />
HARPAGON Wo ist es, mein Geld?<br />
CLÉANTE Nur keine Angst, Herr Vater, es ist gut versteckt, Sie haben die Wahl, entweder ich kriege<br />
Mariane, oder Sie sehen Ihr Geld nie wieder.<br />
HARPAGON Ist noch alles da?<br />
CLÉANTE Auf Heller und Pfennig. Entscheiden Sie sich schnell, ob Sie, genauso wie Marianes Mutter, die<br />
Heirat genehmigen wollen.<br />
MARIANE (zu Cléante) Liebster Cléante, es hat sich alles geändert, der Himmel hat mir soeben meinen<br />
Vater, den Sie hier sehen, und meinen Buder, den Sie da sehen, zurückgegeben, und Sie müssen beide um<br />
Erlaubnis fragen.<br />
ANSELMO Meine Kinder, der Himmel hat euch mir nicht wiedergegeben, damit ich euch Unglück bringe.<br />
Signor Harpagon, geben Sie, so wie ich, Ihren Segen, damit Sie, so wie ich, diesem jungen Geld nicht länger<br />
im Wege stehen.<br />
HARPAGON Erst muss ich mein Geld haben.<br />
CLÉANTE Erst muss ich Mariane haben.
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HARPAGON Ich kann aber meinen Kindern kein Geld mit in die Ehe geben.<br />
ANSELMO Geld, Signor Harpagon, soll in diesem Falle keine Rolle spielen.<br />
HARPAGON Heißt das, dass Sie auch die Kosten für die Doppelhochzeit übernehmen?<br />
ANSELMO Ja, ich werde sie bezahlen.<br />
FROSINE (hat sich von Frédéric weiter trösten lassen – vorsichtig) Wie … wie wäre es denn mit einer<br />
Dreifachhochzeit? (Allgemeines Entzücken)<br />
HARPAGON Heißt das auch, dass ich mir zwei Anzüge nach Maß für diese Doppel-, äh, drei Anzüge nach<br />
Maß für diese Dreifachhochzeit anfertigen lassen darf?<br />
ANSELMO Ja, auch das, Amigo.<br />
KOMMISSAR Un momento, il conto per protocollo.<br />
HARPAGON Wir haben mit Ihren Schriftstücken nichts zu schaffen. (auf Jacques zeigend) Fangen Sie<br />
diesen Lügner und stecken Sie ihn ins Loch.<br />
ANSELMO Amigo, die Comedia ist aus, lassen Sie ihn laufen, wohin er will.<br />
HARPAGON Heißt das, dass Sie dem Kommissar seine Auslagen erstatten?<br />
ANSELMO Wir in Neapel bezahlen immer die Polizei, und jetzt, meine Kinder, schnell zu meiner Frau und<br />
eurer Mutter, damit auch sie von ihrem Glück erfährt.<br />
HARPAGON Und ich sehe endlich mein liebes Geld wieder.<br />
ENDE