12.09.2013 Aufrufe

Weltseele und unendlicher Verstand - Salomon Maimon

Weltseele und unendlicher Verstand - Salomon Maimon

Weltseele und unendlicher Verstand - Salomon Maimon

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

dessen, was ‚aus’ diesem durch das Wirken eines Tätigen gestaltbar ist.“ 53 Alles, was aus die-<br />

sem passiven Möglichen entsteht, verdankt seine Wirklichkeit dem aktiven Prinzip <strong>und</strong> der<br />

Tätigkeit der energeia. Die tätige Wirklichkeit erhält dabei den Vorrang 54 vor der Möglich-<br />

keit, was bekanntlich in die Lehre des unbewegten Bewegers als reine Tätigkeit (actus purus)<br />

mündet. 55<br />

Dieses dichotomische Modell von dynamis <strong>und</strong> energeia, von Materie <strong>und</strong> Form, Passivität<br />

<strong>und</strong> Aktivität beherrscht nun die gesamte sublunare Sphäre, die Sphäre des Werdens <strong>und</strong> Ver-<br />

gehens. Es verw<strong>und</strong>ert daher nicht, wenn Aristoteles in Über die Seele dieses Schema auf den<br />

Prozeß vernünftiger (menschlicher) Erkenntnis anwendet. 56 Dort untersucht Aristoteles, „wie<br />

sich denn das vernünftige (intellektive) Erfassen vollzieht“ 57 . Und so heißt es folgerichtig, daß<br />

es auch für den Bereich der vernünftigen Erkenntnis eine Materie geben muß <strong>und</strong> andererseits<br />

eine Form, „das Ursächliche <strong>und</strong> Wirkende, dadurch daß es alles wirkt“, denn diese Unter-<br />

schiede „müssen auch in der Seele [....] vorliegen“ 58 . Im fünften Kapitel des dritten Buches<br />

von Über die Seele heißt es daher auch:<br />

53 Schlüter (1971), 136; vgl. Aristoteles (1975), 5. Buch, 2. Kapitel, 169 [226 a]: „Auch muß jedem Werdenden<br />

<strong>und</strong> sich Wandelnden Stoff zugr<strong>und</strong>e liegen“; sowie Aristoteles (1975), 8. Buch, 5. Kapitel, 271 [255 b]: „Aber<br />

es hat den Ursprung der Bewegung, freilich nicht des Bewegens <strong>und</strong> Wirkens, sondern des Erleidens.“<br />

54 Vgl. Aristoteles (1975), 8. Buch, 7. Kapitel, 288 [261 a]: „Überhaupt ist das Werdende offenbar noch unvollendet<br />

<strong>und</strong> erst auf dem Weg zu seiner Gr<strong>und</strong>form, so daß der im Werdevorgang letzte Zustand dem Wesen nach<br />

der frühere ist.“ Vgl. Pechmann (1999), 35 a: „Da die Materie als Stoff (hyle) bloß die Möglichkeit zu ihrer Veränderung<br />

besitze, komme der energeia als dem tätigen Prinzip gegenüber der dynamis das zeitliche <strong>und</strong> wesensmäßige<br />

Prius zu.“ Vgl. Stallmach (1959), 135: „Die Lehre vom Vorrang der Wirklichkeit vor der Möglichkeit“.<br />

55 Vgl. Bloch (1985), 492: „Aristoteles hatte den Stoff als das ‚dynamei on’, das bloße In-Möglichkeit-Sein definiert,<br />

als das an sich Bestimmungslose, das, wie Wachs, die Form passiv aufnimmt <strong>und</strong> sich abdrücken läßt. Die<br />

Form (Zielursache, Zielgestalt, Entelechie) ist das einzig hierbei aktiv Wirksame; <strong>und</strong> die oberste Form, der<br />

gänzlich stofffreie actus purus ist der Nus, der reine Denkgott.“ Vgl. ferner Bloch (1985), 153-155, 493, 500 f.<br />

Die Unterscheidung von Evolutions- <strong>und</strong> Epigenesis-Theorie, welche weiter unten zur Sprache kommen wird,<br />

beruht letztlich auf der unterschiedlichen Konzeption der Möglichkeit (Materie). Für die Epigenesis bedarf es einen<br />

„Formgeber“ (Bloch [1985], 500), um die Entwicklung von der Möglichkeit zur Wirklichkeit zu erklären,<br />

während die Evolution diesen als bloßen „Signalgeber eines ohnehin, ohne ihn zur Entfaltung Reifen“ (Bloch<br />

[1985], 500) auffaßt.<br />

56 Vgl. Seidl (1971), 117: „In Analogie zu allem wirklichen Seienden finden sich auch in der Seele [...] zwei<br />

Prinzipien, ein stoffliches <strong>und</strong> ein wirkursächliches“.<br />

57 Aristoteles (1995), 3. Buch, 4. Kapitel, 165 [429 a].<br />

58 Aristoteles (1995), 3. Buch, 5. Kapitel, 171 f. [430 a]<br />

23

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!