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Weltseele und unendlicher Verstand - Salomon Maimon

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Möglichkeitsbegriff ist nicht als Kraft oder Vermögen 42 aufzufassen, sondern als Möglichkeit,<br />

Bestimmungen von einem in Wirklichkeit Seienden aufzunehmen. Hätte das in Möglichkeit<br />

Seiende in sich selbst die Kraft oder das Vermögen, von der Möglichkeit in die Wirklichkeit<br />

überzugehen, so müßte es „immerfort wirklich sein“. 43 Ein stets in Wirklichkeit Seiendes, wie<br />

beispielsweise Seiendes der supralunaren Sphäre, ist ohne Unterlaß tätig <strong>und</strong> daher dem Wer-<br />

den <strong>und</strong> Vergehen nicht unterworfen. 44 Das Mögliche kann darüber hinaus aus sich selbst<br />

heraus nicht zur Verwirklichung gelangen, da nicht jedes Mögliche auch wirklich wird. Die<br />

Kraft der Verwirklichung kann daher nach Aristoteles nicht im Möglichen selbst liegen. Die<br />

Bewegung von der Möglichkeit zur Wirklichkeit muß von einem bereits in Wirklichkeit Sei-<br />

enden ausgehen; daher kann Aristoteles in seiner Physik als Gr<strong>und</strong>satz aufstellen: „Alles, was<br />

sich bewegt, muß von etwas bewegt werden.“ 45 . Werden ist das von einem in Wirklichkeit<br />

42 Vgl. Stallmach (1959), 21-27: „Dynamis als ‚Vermögen’“ sowie Schlüter (1971), 135 f.: „Als erste <strong>und</strong> gr<strong>und</strong>legende<br />

Bedeutung von ‚Dynamis’ wird in einer formelhaften Wendung [von Aristoteles; F.E.] angegeben:<br />

‚Prinzip der Veränderung in einem anderen, sofern es anders ist’. Dynamis meint also in einem traditionellen<br />

Sinne die ‚Kraft’ (virtus) oder das ‚Vermögen’, wodurch z.B. ein Mensch in der Lage ist, etwas tun zu können;<br />

sie ist mit andern Worten der Wirkgr<strong>und</strong> im Tätigen selbst.“ Der gesuchte Möglichkeitsbegriff ist in diesem Zusammenhang<br />

nicht das aktiv bestimmende Vermögen, sondern das passive Aufnehmen von Bestimmungen, d.h.<br />

die Bestimmbarkeit: „‚Dynamis’ meint jetzt [in einer zweiten Bedeutung; F.E.] die einem Stoff (Material) innewohnende<br />

‚Möglichkeit’ im Hinblick auf die ‚Wirklichkeit’ dessen, was ‚aus’ diesem durch das Wirken eines<br />

Tätigen gestaltbar ist.“ (Schlüter [1971], 136) Der Möglichkeitsbegriff in seiner zweiten Bedeutung mit der Charakteristik<br />

von Passivität <strong>und</strong> Bestimmbarkeit bildet den Hintergr<strong>und</strong> für die Debatte um den aktiven <strong>und</strong> passiven<br />

Intellekt <strong>und</strong> für <strong>Maimon</strong>s Auffassung von der <strong>Weltseele</strong>. Auf die treffende Bemerkung Vieillard-Barons<br />

(1977), 401 Anm. wird noch ausführlich einzugehen sein: „Vraisemblablement, Maïmon a plutôt lu le De Anima<br />

d’Aristote que le Phédon“. Vgl. weiterhin Vieillard-Baron (1977), 401-404 sowie Vieillard-Baron (1979), 154-<br />

157.<br />

43 <strong>Maimon</strong>ides [1995], 2. Buch, 18. Philosophischer Leitsatz, 12.<br />

44 Im zwölften Buch der Metaphysik nimmt Aristoteles eine Dreiteilung der Wesenheit (Substanz) vor, d.h. es<br />

gibt nach ihm drei Arten von Wesenheiten oder Substanzen: „(a) erstens die sinnlich wahrnehmbare [Wesenheit]<br />

(aisthēté), welche alle anerkennen, <strong>und</strong> diese (i) teils ewig, (ii) teils vergänglich, wie z.B. die Pflanzen <strong>und</strong> die<br />

Tiere; [...]. (b) Zweitens die unbewegliche“ Wesenheit (Aristoteles [1999], 306 f. [1069 a]). Die unbewegliche<br />

Wesenheit ist Gott, während die beweglichen in den ewigen Himmel (die Sphären) <strong>und</strong> die sublunaren Substanzen<br />

eingeteilt werden können: Menschen, Tiere <strong>und</strong> Pflanzen. Diese sublunaren Substanzen nun sind vergänglich,<br />

d.h. sie sind dadurch gekennzeichnet, daß sie entstehen <strong>und</strong> vergehen. Die ewigen Substanzen sind der<br />

Himmel, die Gestirne <strong>und</strong> Sphären. Vgl. hierzu auch <strong>Maimon</strong>ides: „Alles, was der Heilige erschaffen, gelobt sey<br />

Er in Seiner Schöpfung, läßt sich unter drei Categorieen bringen. Es giebt nämlich theils solche Geschöpfe, die<br />

Körper <strong>und</strong> Wesenheit haben, <strong>und</strong> fortwährend entstehen <strong>und</strong> verwesen; z.B. der menschliche Körper <strong>und</strong> der<br />

der Thiere, Pflanzen <strong>und</strong> Metalle. Nun giebt es wiederum solche Wesen, die auch Körper <strong>und</strong> Wesenheit haben,<br />

die aber nicht wie erstere von einem Körper zum andern, von einer Wesenheit zur andern übergehen, sondern<br />

ewiglich ihre ursprüngliche Wesenheit beibehalten, <strong>und</strong> sich nicht wie jene verändern, nämlich die Himmels-<br />

Sphären, <strong>und</strong> die darin befindlichen Sterne. Auch gleicht ihr Körper nicht den andern Körpern, <strong>und</strong> ihre Wesenheit<br />

nicht den andern Geschöpfen. Endlich giebt es wieder solche Geschöpfe die blos Wesenheit, aber keinen<br />

Körper haben, die Engel nämlich. Die Engel haben keinen Körper, sondern nur Wesenheit, <strong>und</strong> zwar verschieden<br />

untereinander.“ (<strong>Maimon</strong>ides [1994], 1. Buch, 2. Kapitel, § 3, 57) Vgl. <strong>Maimon</strong>ides (1995), 2. Buch, 10. Kapitel,<br />

76.<br />

45 Aristoteles (1975), 7. Buch, 1. Kapitel, 222 [241 b].<br />

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