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Weltseele und unendlicher Verstand - Salomon Maimon

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Gefühl der Unvollständigkeit <strong>und</strong> das Bedürfnis, die ursprüngliche Realität, d.h. Spontaneität<br />

wieder herzustellen:<br />

„Unser denkendes Wesen (es sei was es wolle) fühlt [!] sich als ein Bürger einer intelligibeln<br />

Welt; zwar ist nicht diese intelligible Welt, ja nicht einmal dieses denkende Wesen selbst, das<br />

Objekt seiner Erkenntnis, aber doch weisen ihn selbst die sinnlichen Gegenstände auf die intelligibeln<br />

hin. Das Dasein der Ideen im Gemüte zeigt notwendigerweise irgend einen Gebrauch<br />

an, <strong>und</strong> da dieser in der Sinnenwelt nicht anzutreffen ist: so müssen wir ihn in einer intelligibeln<br />

Welt, wo der <strong>Verstand</strong> durch die Formen selbst Gegenstände bestimmt, auf welche<br />

sich diese Ideen beziehen, aufsuchen. – Es kann sich daher mit den ersteren <strong>und</strong> mit seiner<br />

Art, dieselbe zu denken, nie befriedigen, wie der Prediger sagt: Die Seele wird nie voll (befriedigt).<br />

Es erkennt sich also von der einen Seite auf die sinnliche Welt eingeschränkt, von<br />

der andern Seite hingegen fühlt [!] es in sich einen unwiderstehlichen Trieb, diese Schranken<br />

immer zu erweitern, <strong>und</strong> einen Übergang 455 von der sinnlichen zur intelligibeln Welt (welches<br />

gewiß, die Politiker mögen sagen, was sie wollen, wichtiger als die Erfindung eines Weges<br />

nach Ostindien ist) ausfindig zu machen.“ (Versuch, 184 [338 f.]) 456<br />

Dieses Gefühl der Beschränkung ist es also in diesem Kontext, was uns zur Annahme einer<br />

solcher Spontaneität führt. Die absolute Sponaneität, wie sie von <strong>Maimon</strong> dem unendlichen<br />

<strong>Verstand</strong> zugesprochen wird <strong>und</strong> der an den unbewegten Beweger der Aristotelischen Meta-<br />

physik erinnert, ist als praktische Idee, als Aufforderung zur Annäherung an denselben zu ver-<br />

455 Chiereghin (1988) sieht im „Übergang zum Übersinnlichen“ das „entscheidende Problem in der Metaphysik,<br />

das deren Existenz legitimiert“ (492). Während <strong>Maimon</strong> diesen Übergang in der theoretischen Vernunft sucht,<br />

wählt Kant den Weg der praktischen Vernunft: „Der praktische Charakter der Vernunft garantiert den Zugang zu<br />

ihrer noumenalen Wirklichkeit dank der gr<strong>und</strong>legenden Eigenschaft des Willens, der das Vermögen ist, sich<br />

selbst Gesetz zu sein. [...] der Wille ist für sich selbst das bestimmende Prinzip, sich selbst Gesetz, das sich als<br />

Sollen des reinen Wollens ausdrückt. [...] Der Wille als Vermögen der Selbstbestimmung, <strong>und</strong> somit insofern er<br />

sich auf nichts anderes als das Gesetz bezieht, hat keinen Bezug zu etwas, das darauf wartet, verwirklicht zu<br />

werden, noch zu einer Wirkung, die noch hervorgebracht werden muß. Es ist in der Tat ein Zweck, der schon für<br />

sich existiert, in dem nichts Unvollständiges ist“. (Chiereghin [1988], 488 f.) Vgl. hierzu auch Wegener (1909),<br />

nachdem der „wirkliche Philosoph [...] danach [strebt], vom Endlichen zum Unendlichen zu gelangen; daher<br />

kommt es, daß er sich nie mit dem jeweiligen Erkenntnisbesitzstande begnügen kann.“ (91). Diese Charakterisierung<br />

ist ihm bezeichnend für <strong>Maimon</strong>s Philosophie, die man nach Wegener „eine Philosophie des Näherungswertes<br />

nennen könnte“. (91)<br />

456 GW III, 311: „[E]s wird [in <strong>Maimon</strong>s eigener Philosophie; F.E.] bloß der Trieb nach der höchsten Vollkommenheit,<br />

als Faktum, im Menschen vorausgesetzt; diese treffen wir zwar nirgends an, wir können uns aber zu<br />

derselben, als zu einer reellen Idee, immer nähern; zu diesem Behuf denken wir uns diese Idee als einen reellen<br />

Begriff eines übrigens unbestimmten Objekts [...].“ Vgl. weiterhin GW VI, 278: „Ich bin mir eines Triebes zur<br />

höchsten Vollkommenheit (zur größtmöglichen Entwickelung meiner Kräfte) bewußt. Ich habe also einen Trieb<br />

zur Entwickelung meines Erkenntnißvermögens (welches ein Bestandtheil dieser höchsten Vollkommenheit ist),<br />

d.h. zur Erkenntniß der Wahrheit. Der Charakter der Wahrheit aber ist Allgemeingültigkeit; ich habe also einen<br />

Trieb zur Allgemeingültigmachung meiner Vorstellungen. Mache ich nun diesen Trieb allgemein, <strong>und</strong> dehne ihn<br />

nicht nur auf das Erkenntnißvermögen, sondern auch auf den Willen aus, so läßt sich daraus das Urtheil des allgemeinen<br />

Menschenverstandes über die Moralität der Handlungen, ohne alle Täuschung, aus Gründen, erklären.“<br />

Siehe auch GW VI, 279.<br />

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