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Weltseele und unendlicher Verstand - Salomon Maimon

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platonische 445 Auffassung der mathematischen Konstruktion. 446 Für die allgemeine Antinomie<br />

des Denkens <strong>Maimon</strong>s heißt das nun, daß wir einerseits an der „Sinnlichkeit haften müssen,<br />

um zum Bewußtsein“ (Versuch, 103 [183]) 447 der Gegenstände (als Vorstellungen) gelangen,<br />

diese Gegenstände andererseits ihre Realität (als Darstellungen) allein durch den unendlichen<br />

<strong>Verstand</strong> erhalten. Der endliche <strong>Verstand</strong> denkt alle seine Gegenstände (Vorstellungen) un-<br />

vollständig. Der dritte Abschnitt des Versuches ist allein der Ausführung dieses Gedankens<br />

gewidmet, indem eine sowohl „materielle“ (Versuch, 46 [75]) als auch „formelle“ (Versuch,<br />

49 [80] Unvollständigkeit unterschieden <strong>und</strong> auf das Bewußtsein angewandt wird. 448 In der<br />

Antwort findet sich eine treffende Zusammenfassung von <strong>Maimon</strong>s Gedanken zur Antinomie<br />

des Denkens, indem seine Synthese von Kants Bewußtseinstheorie mit der Lehre vom unend-<br />

lichen <strong>Verstand</strong> treffend zum Ausdruck kommt.<br />

„Denn das Denken überhaupt bestehet in Beziehung einer Form (Regel des <strong>Verstand</strong>es) auf<br />

eine Materie (das ihr subsumirte Gegebne)[.] Ohne Materie kann man zum Bewußtseyn der<br />

Form nicht gelangen, folglich ist die Materie eine nothwendige Bedingung des Denkens, d. h.<br />

zum reellen Denken einer Form oder <strong>Verstand</strong>esregel muß nothwendig eine Materie, worauf<br />

445 Zum mathematischen Platonismus vgl. Shapiro (2000), 7 f., 27 f. sowie Shapiro (1997), 15 f.: „Mathematicians<br />

at work speak and write as if they perform dynamic operations and constructions. Taken literally, this language<br />

presupposes that mathematicians envision creating their objects, moving them aro<strong>und</strong>, and transforming<br />

them. In contrast to this dynamic picture, the traditional realist in ontology, or Platonist, holds that the subject<br />

matter of mathematics is an indedependent, static realm. In a deep metaphysical sense, this mathematical realm<br />

is eternal and immutable, and so the universe cannot be affected by operations, constructions, or any other human<br />

activity.“ Während Shapiro den Unterschied zwischen Platonismus <strong>und</strong> Konstruktivismus in der statischen<br />

<strong>und</strong> dynamischen Gr<strong>und</strong>überzeugung sieht, so kann dies für den vorliegenden Zusammenhang mit <strong>Maimon</strong>s<br />

Kant-Kritik als objektive (<strong>Maimon</strong>) <strong>und</strong> subjektive (Kant) Tätigkeit veranschaulicht werden. Siehe hierzu auch<br />

Körner (1968), 19: „Eine Konstruktion ist nach Plato nur ein praktisches Hilfsmittel des Mathematikers oder ein<br />

selbstgegebener Wegweiser für die Forschung.“<br />

446 Zur mathematischen Konstruktion bei Kant <strong>und</strong> <strong>Maimon</strong> siehe Lachterman (1992) sowie Gideon Freudenthal<br />

(Ms. b). Im Appendix seines Aufsatzes („Evidence that <strong>Maimon</strong> changed the body of the Transcendentalphilosophie<br />

After Receiving Kant’s Letter”, [Ms. b], 87-90) versucht Freudenthal zu erweisen, daß die im Versuch<br />

festzustellenden Widersprüche in Beziehung auf <strong>Maimon</strong>s Beweis, daß die Linie die kürzeste Verbindung zweier<br />

Punkte sei, darauf zurückzuführen sei, daß <strong>Maimon</strong> – auf Gr<strong>und</strong> von Kants Brief an Herz vom 26. Mai 1789 –<br />

seine Meinung geändert habe. Der Widerspruch ist also darauf zurückzuführen, um mit <strong>Maimon</strong>ides zu sprechen,<br />

daß „der Verfasser eine gewisse Meinung hat, von dieser aber später wieder abgekommen ist, desungeachtet<br />

aber sein früherer Ausspruch zusammen mit dem späteren niedergeschrieben wurde.“ (<strong>Maimon</strong>ides [1995], 1.<br />

Buch, Vorwort, 20) Die Widersprüche in Beziehung auf die arithmetische Konstruktion sind wohl in derselben<br />

Weise zu erklären, wenngleich hier die Ursache nicht bestimmt werden kann, welche <strong>Maimon</strong> dazu geführt hat,<br />

seine Meinung zu ändern.<br />

447 Das Denken ist nicht mehr zur unio mystica im Sinne der rationalistischen Mystik fähig, sondern es ist, wie<br />

sich Heidegger ausdrückt, „eingesenkt in die durch die Sinnlichkeit betroffene, d.h. endliche Subjektivität des<br />

Menschen.“ (Heidegger [1967], 462) Es wird sich gleich herausstellen, daß <strong>Maimon</strong> aus diesem Sachverhalt einen<br />

gänzlich anderen Schluß als Heidegger zieht.<br />

448 Vgl. Versuch, 46-50 [75-84].<br />

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