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Weltseele und unendlicher Verstand - Salomon Maimon

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solut vorgestellt werden. Die Funktion der Einbildungskraft ist es, daß sie „dasjenige was nur<br />

in Beziehung auf etwas anders ist, als absolut sich vorstellt“ (Versuch, 16 [19]). 396 Dieser ur-<br />

sprüngliche Modus der Einbildungskraft wird an der Genese der sinnlichen Qualitäten veran-<br />

schaulicht. Diese können nicht anders als in der objektiven Einheit des unendlichen Verstan-<br />

des gegründet gedacht werden. Sie sind also ursprünglich reine Relationen. So erscheinen die<br />

sinnlichen Qualitäten, welche im (unendlichen) <strong>Verstand</strong> allein quantitativ durch Wechselbe-<br />

stimmung determiniert <strong>und</strong> bestimmt sind, als sinnliche Empfindungen in der Apprehension.<br />

Diesen Sachverhalt drückt <strong>Maimon</strong>s Begriff des Differentials aus. 397 Das Differential be-<br />

zeichnet zum einen das Unendlichkleine der Anschauung 398 , d.h. also das, was ‚objektiv üb-<br />

rigbleibt’, wenn man von der Empfindung alles ‚Subjektive’ 399 abstrahiert. 400 Die empirische<br />

Anschauung stellt in dieser Hinsicht das Integral dar, wobei sich dem Differential durch Re-<br />

duktion der Anschauung zu nähern ist. 401 Dieser Aspekt des Differentials nimmt also den<br />

Ausgang von der Perspektive des endlichen <strong>Verstand</strong>es bzw. der subjektiven Anschauung. In<br />

anderer Hinsicht ist das Differential als Differentialquotient zu verstehen. 402 Dasjenige, was<br />

396 Vgl. Versuch, 194 [356 f.]: „Die Einbildungskraft hingegen kann es nicht anders, als bestimmt vorstellen, diese<br />

hat also die bestimmte Anschauung selbst. Jener aber die Regel oder Entstehungsart derselben zum Gegenstande.“<br />

397 Es kann im folgenden nur eine sehr vereinfachende Skizze von <strong>Maimon</strong>s Differentialbegriff gegeben werden.<br />

Eine ausführliche philosophie-, wissenschaftshistorische oder systematische Arbeit zum Differentialbegriff bei<br />

<strong>Maimon</strong> stellt ein Desiderat der Forschung dar. Die bislang umfangreichste Diskussion des Differentials bei<br />

<strong>Maimon</strong> mit Diskussion der Forschungsliteratur findet sich in Kauferstein (2004), 243-273.<br />

398 Auf den Zusammenhang von Differential <strong>und</strong> petites perceptions weist beispielsweise Windelband (1919),<br />

208, hin: „Es sind die ‚petites perceptions’ von Leibniz, welche <strong>Maimon</strong> für die kritische Lehre fruchtbar macht.<br />

Diese Verwandtschaft kommt auch im Ausdruck zutage: <strong>Maimon</strong> nennt das Gegebene ‚die Differentiale des<br />

Bewußtseins’.“<br />

399 Es ist von der empirischen Anschauung all das abzuziehen, was Kant in den „Axiomen der Anschauung“ (A<br />

162/B 202 – A 166/B 207) <strong>und</strong> den „Antizipationen der Wahrnehmung“ (A 166/B 207 – A 176/B 218) über dieselbe<br />

a priori behauptet sowie alles übrige, was „der Erfahrung überlassen“ (A 176/B 218) bleibt. Diesen Ansatz<br />

in der Erklärung der empirischen Anschauung im Anschluß an Leibniz’ Differentialbegriff <strong>und</strong> Kants „Antizipationen<br />

der Wahrnehmungen“ vertieft <strong>und</strong> führt fort Cohen (1883): „Unsere Absicht nämlich ist der erkenntnisskritische<br />

Nachweis: dass jene vermisste logische Begründung des Differentialbegriffs [bei Leibniz; F.E.] in<br />

einem erkenntnisskritischen Gr<strong>und</strong>satze, <strong>und</strong> zwar in dem der Kategorie der Realität entsprechenden, mithin in<br />

dem Gr<strong>und</strong>satz der intensiven Grösse oder der Anticipation enthalten sei.“ (14)<br />

400 Vgl. Versuch, 21 Anm. [27 f. Anm.] sowie 213 f. [393 ff.]<br />

401 Vgl. Serres (1968), 209: „la perception est l’integrale des petites perceptions“.<br />

402 Vgl. Versuch, 23-25 [32-36], 191 f. [352 f.]. Vgl. Deleuze (2000), 144 f.: „anstelle der Voraussetzung eines<br />

Gegenstandes der Perzeption, der uns zu affizieren vermöchte, <strong>und</strong> anstelle von Bedingungen unserer Affizierbarkeit<br />

bringt die wechselseitige Bestimmung der Differentiale (dy/dx) die vollständige Bestimmung des Gegenstandes<br />

als Perzeption mit sich, <strong>und</strong> die Bestimmbarkeit von Raum-Zeit als Bedingung.“ Siehe ferner Guéroult<br />

(1929), 59-68. Mit der Bezeichnung „Differential“ sind also zwei Hinsichten der empirischen Anschauung be-<br />

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