wandlungen des strafrecht- lichen schuldbegriffs in ... - Criminet
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01: 8<br />
Hans - He<strong>in</strong>rich Jescheck<br />
also nach dem Stand der richter<strong>lichen</strong>, psychologischen und krim<strong>in</strong>ologischen Erfahrung<br />
(51).<br />
In Österreich wird dieser sozial-vergleichende Massstab auch vom Obersten<br />
Gerichtshof <strong>in</strong> der schon erwähnten Entscheidung aus dem Jahre 1958 (S. 263) im<br />
H<strong>in</strong>blick auf die körperlich und seelisch schwerstbelastete Täter<strong>in</strong> <strong>des</strong> zu entscheidenden<br />
Falles zugrundegelegt. ,,Es sei”, so sagt er, ,,von dem von e<strong>in</strong>er solchen Menschengruppe<br />
zu erwartenden Massstab auszugehen”. Re<strong>in</strong>hard Moos schliesst sich dieser<br />
Entscheidung an, <strong>in</strong>dem er betont, dass ,,sich e<strong>in</strong>e massstabgerechte Vergleichsperson<br />
dem Täter möglichst annähern muss”(52). Ebenso sieht Kurt Schmoller (53) den eigent<strong>lichen</strong><br />
S<strong>in</strong>n <strong>des</strong> Massstabs ,,<strong>des</strong> mit den rechtlich geschützten Werten verbundenen<br />
Menschen” dar<strong>in</strong>, dass dadurch zu e<strong>in</strong>er ,,Fallvergleichung” angeregt wird. Auch Günther<br />
Kunst (54) geht <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Kommentierung <strong>des</strong> § 32 Abs 2 österreichisches StGB<br />
nicht streng von dem Idealtypus <strong>des</strong> massstabgerechten Menschen aus, sondern versteht<br />
das Gesetz dar<strong>in</strong>, dass der Täter mit e<strong>in</strong>em Typus verg<strong>lichen</strong> wird, dem nach den<br />
äusseren Umständen der Tat und den Beweggründen <strong>des</strong> Täters ,,der Gedanke der<br />
Begehung e<strong>in</strong>er strafbarer Handlung ernsthaft <strong>in</strong> den S<strong>in</strong>n kommen kann, so dass ihm<br />
auch alle Milderungsgründe <strong>des</strong> § 34 StGB zugutekommen können”.<br />
Inwieweit e<strong>in</strong>e solche dem konkreten Täter angenäherte Interpretation <strong>des</strong> Vergleichstypus<br />
mit der Regel <strong>des</strong> § 32 Abs 2 StGB vere<strong>in</strong>bar ist, ersche<strong>in</strong>t allerd<strong>in</strong>gs offen.<br />
Die Begründung <strong>des</strong> Strafgesetzentwurfs verweist jedenfalls une<strong>in</strong>geschränkt auf die<br />
Modellfigur <strong>des</strong> mit den rechtlich geschützten Werten verbundenen Menschen als<br />
Massstab für die Bewertung der Schuld (55). Die Literatur ist gespalten. Nach He<strong>in</strong>z Zipf<br />
kommt <strong>in</strong> der Formulierung <strong>des</strong> § 32 ABS 1 StGB ,,Schuld <strong>des</strong> Täters” “die <strong>in</strong>dividuelle<br />
Ausrichtung auf den e<strong>in</strong>zelnen Täter zum Ausdruck”(56). Herbert Ste<strong>in</strong><strong>in</strong>ger (57)<br />
erkennt dagegen <strong>in</strong> der E<strong>in</strong>zeltatschuld e<strong>in</strong>e ,,Komponente der Charakterschuld” <strong>des</strong><br />
Täters, die sich aus der recht<strong>lichen</strong> Ges<strong>in</strong>nung e<strong>in</strong>es an sich rechtstreuen Menschen an<br />
se<strong>in</strong>er Stelle ergibt. Franz Pall<strong>in</strong> (58) lässt die Berücksichtigung der <strong>in</strong>dividuellen<br />
Gegebenheiten nur ,,bei den körper<strong>lichen</strong> und <strong>in</strong>tellektuellen Fähigkeiten und dem<br />
Erfahrungswissen <strong>des</strong> Täters” zu und verweist den Richter im übrigen auf den objektiven<br />
Massstab <strong>des</strong> Gesetzes. Nach ihm und Egmont Foregger (59) wiegt die Schuld <strong>des</strong><br />
,,grundsätzlich Asozialen schwerer als die Schuld <strong>des</strong> Rechtstreuen, der e<strong>in</strong>mal<br />
gestrauchelt ist”, weil er <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>stellung von derjenigen <strong>des</strong> mit den rechtlich<br />
geschützten Werten verbundenen Menschen stärker abweicht als der Augenblickstäter<br />
(60). Auch für Moos ist die Schuld nach dem ,,reduzierten Schuldbegriff” <strong>des</strong><br />
österreichischen Rechts ,,objektivierte sozialethische Haftung”; diese schliesst die<br />
,,Individualethik nicht e<strong>in</strong>, sondern aus”(61). Moos legt jedoch, wie schon gesagt, Wert<br />
auf die möglichst weitgehende Individualisierung dieses objektiven Massstabs (62). Die<br />
gleichwohl stattf<strong>in</strong>dende Abstrahierung von der Moralität <strong>des</strong> konkreten Täters macht für<br />
ihn aber die <strong>in</strong>dividualethische Vergeltung unmöglich, weil diese nur über das Andershandelnkönnen<br />
e<strong>in</strong>es bestimmten Menschen und nicht e<strong>in</strong>es fiktiven anderen an se<strong>in</strong>er<br />
Stelle konstruiert werden kann. Der Schuldausgleich bedeutet demnach bloss e<strong>in</strong>e<br />
Wiederherstellung der Wertgeltung, nicht e<strong>in</strong>e sittliche Bewertung <strong>des</strong> Täters (63). In<br />
Deutschland kommt dieser Auffassung am nächsten der soziale Schuldbegriff Justus<br />
Revista Electrónica de Ciencia Penal y Crim<strong>in</strong>ología. 2003, núm. 05-01vo, p. 01:1-01:17 ISSN 1695-0194