Metzinger · Subjekt und Selbstmodell - Cogprints
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86<br />
2. Kapitel<br />
Grüns verb<strong>und</strong>en werden. Auch was das „logisch inkonsistente“ dyadische<br />
Farbprädikat „gelbliches Blau“ angeht, kann man bei einem Teil der Ver<br />
suchspersonen die entsprechenden phänomenalen Zustände erzeugen.<br />
Von großem Interesse für eine empirisch f<strong>und</strong>ierte Theorie des Geistes<br />
sind auch Synästhesien. Synästhesien sind polymodale Fusionen qualitati<br />
ven Gehalts, die als Folge von Schläfenlappenanfällen, Migräne, der Ein<br />
nahme von psychoaktiven Substanzen, direkter Elektrostimulation des Ge<br />
hirns <strong>und</strong> anderer außergewöhnlicher Zustände auftreten können. 97 Es gibt<br />
jedoch auch Personen, die von Geburt an Synästheten sind. Solche Perso<br />
nen fühlen Schmerzen in Formen 98 , erleben Worte geschmacklich oder in<br />
Kombination mit phänomenalen Farben 99 , sehen den blauen Geruch von<br />
weißer Farbe 100 , nehmen Geschmackserlebnisse subjektiv als Objekte mit<br />
Geruch, Form, Oberflächeneigenschaften <strong>und</strong> Temperaturen wahr 101 ,erle<br />
ben die Note As als lavendelfarben, den Akkord As Dur dagegen als laven<br />
delfarben, violett <strong>und</strong> weiß mit einem bißchen blau <strong>und</strong> grün 102 oder den<br />
Geschmack von Grüner Minze wie fühlbare, kühle Glassäulen während<br />
Zitronengeschmack sich für manche von ihnen anfühlt, als ob sie die Hand<br />
auf ein Nagelbett legen. 103 Am bekanntesten ist das Sehen von Musik:<br />
When I listen to music I see colored shapes. If I am tired at the end of the day<br />
theshapesseemverynear.Theyarealwaysincolor.Shinywhiteisoceles<br />
triangles, like long sharp pieces of broken glass. Blue is a sharper color and has<br />
lines and angles, green has curves, soft balls, and discs. It is uncomfortable to sit<br />
still. I feel the space above my eyes is a big screen where this scene is<br />
playing. 104<br />
Diese Phänomene haben seit etwa 200 Jahren die Aufmerksamkeit der<br />
Wissenschaft auf sich gezogen. 105 Heutige Erklärungsversuche gehen von<br />
einer polymodalen Kombination von Repräsentaten in relativ frühen Sta<br />
dien der Informationsverarbeitung im Gehirn aus, während man früher<br />
eine Dedifferenzierung des Informationsflusses, die Überkreuzung sensori<br />
scher Kanäle oder die Existenz eines synästhetischen Mediators (in Gestalt<br />
einer emotionalen oder perzeptuellen Abstraktion, die die spezifischen sen<br />
97 Im Folgenden stütze ich mich auf Cytowic 1989.<br />
98 Vgl. Cytowic 1989: 35.<br />
99 Vgl. Cytowic 1989: 34.<br />
100 Vgl. Cytowic 1989: 24.<br />
101 Vgl. Cytowic 1989: 24.<br />
102 Vgl. Cytowic 1989: 47f.<br />
103 Vgl. Cytowic 1989: 1.<br />
104 Die Person ML, zitiert nach Cytowic 1989: 35.<br />
105 Einen Überblick über die bisher entwickelten Theorien gibt Cytowic 1989, Kapitel 3.<br />
Man kann annehmen, daß die hier angesprochene Klasse subjektiver Erlebnisse auch vielen<br />
mythologischen, metaphysischen <strong>und</strong> esoterischen Theorien (wie zum Beispiel in der Theo<br />
oder Anthroposophie) über das „Hellsehen“ oder „Aurasehen“ zugr<strong>und</strong>eliegen. Denn tatsäch<br />
lich sind solche durch neurologische Anomalien hervorgerufenen „übersinnlichen“ Erlebnisse<br />
dramatische <strong>und</strong> erlebnismäßig unhintergehbare Bereicherungen der inneren Wirklichkeit:<br />
Synästhesien verleihen der jeweiligen Person außergewöhnliche phänomenale Zustände.