Metzinger · Subjekt und Selbstmodell - Cogprints
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Mentale Repräsentation <strong>und</strong> phänomenale Zustände 75<br />
werfen. Am Ende dieses Abschnitts werde ich eine vorläufige <strong>und</strong> recht<br />
spekulative Hypothese bezüglich Qualia aus der Perspektive einer naturali<br />
stischen Theorie mentaler Repräsentation formulieren.<br />
Wie wir bereits gesehen haben, war die Geschichte subjektiven Bewußt<br />
seins auf unserem Planeten eine biologische Geschichte. Eine der frühesten<br />
<strong>und</strong> gr<strong>und</strong>legendsten Aufgaben von Bewußtsein wird es gewesen sein, zu<br />
präsentieren: Interne Ereignisse zu erzeugen, die zuverlässig die Gegenwart<br />
äußerer Eigenschaften der Welt anzeigen. Solche Zustände könnten sich<br />
von reinen Reflexbögen dadurch unterschieden haben, daß sie ein stabiles<br />
internes Präsentat erzeugten. Insofern solche inneren Zustände bereits das<br />
Potential besitzen, vorübergehend zu Inhalten subjektiven Bewußtseins zu<br />
werden, kann man sie auch als mentale Präsentate bezeichnen. 64 Mentale<br />
Präsentate besitzen zwei Eigenschaften, die für das philosophische Qualia<br />
Problem von zentraler Bedeutung sind.<br />
Erstens: Sie sind nicht unabhängig vom Strom des Inputs aktivierbar.<br />
Mentale Präsentate haben Signalcharakter, d. h. sie signalisieren für ein<br />
System die aktuelle Präsenz eines Präsentandums. Mentale Präsentation ist<br />
also eine rudimentäre Form von mentaler Repräsentation. Schmerzerleb<br />
nisse oder eine türkise Farbwahrnehmung zum Beispiel können wir nicht<br />
unabhängig von einer Signalquelle in uns erzeugen. Denn es gibt in nicht<br />
pathologischen Zuständen keine Möglichkeit einer phänomenalen Simula<br />
tion von Qualia: Mentale Präsentate unterscheiden sich von mentalen Re<br />
präsentaten dadurch, daß sie nicht simulationsfähig sind. Wir können ein<br />
Schmerzerlebnis oder ein türkises Seherlebnis nicht einfach mit geschlosse<br />
nen Augen in uns erzeugen. Das bedeutet, daß sie im allgemeinen in Abwe<br />
senheit der üblichen kausalen Antezedentien nicht aktivierbar sind. 65 Weil<br />
Präsentate nicht die kausalen Relationen von Umweltelementen unterein<br />
ander abbilden, sondern die pure aktuelle Präsenz einer Reizquelle zum<br />
Inhalt haben, hat es auch den Anschein, als entzögen sie sich einer funktio<br />
nalen Analyse. 66 In Qualia erleben wir ein reines, nicht relationales 67 Prä<br />
sentieren. Aber selbstverständlich tragen Qualia Information 68 ,<strong>und</strong>zwar<br />
64 Meine vorsichtige Skizze des Begriffs der „mentalen Präsentation“ sollte nicht als eine<br />
direkte Anknüpfung an den Begriff der „Gegenwärtigung“ bei Husserl <strong>und</strong> Heidegger oder<br />
andere frühere Begriffe der Präsentation etwa bei Meinong, Spencer oder Bergson gelesen<br />
werden. Vgl. insbesondere <strong>Metzinger</strong> 1998.<br />
65 Ausnahmen sind hier zum Beispiel Eidetiker, die vollständige Farberlebnisse bei ge<br />
schlossenen Augen haben können. Die Erzeugung interner Signalquellen (zum Beispiel durch<br />
Visualisierungsübungen oder durch pharmakologische Enthemmung gewisser Hirnbereiche)<br />
führt zu ähnlichen subjektiven Phänomenen. Diese Phänomene widersprechen nicht der hier<br />
vertretenen Theorie über mentale Präsentate, weil in diesen Fällen der notwendige Input<br />
intern generiert wird.<br />
66 Nemirov 1979 bietet eine tiefgehende Analyse des Problems subjektiver Erlebnisqualitä<br />
ten aus der Perspektive eine funktionalistischen Theorie des Geistes.<br />
67 Gegen diese Auffassung argumentiert Dennett 1988.<br />
68 Es kann also auch Fehlpräsentationen geben, wenn nämlich das dem Präsentat zugehö<br />
rige mentale Modell (vgl. Abschnitt 2.2) die kausale Relation, in der das Präsentat zu einer<br />
Signalquelle steht, falsch interpretiert: Die Farben eines geträumten Regenbogens haben ihre