Metzinger · Subjekt und Selbstmodell - Cogprints

Metzinger · Subjekt und Selbstmodell - Cogprints Metzinger · Subjekt und Selbstmodell - Cogprints

23.10.2012 Aufrufe

70 2. Kapitel Wenden wir uns vorerst noch einmal kurz der logischen Dimension des Phänomens der mentalen Simulation zu. Was bedeutet es, daß M Sim kein Fall von M Rep ist? Was ist damit gesagt, daß durch den Prozeß der mentalen Simulation in einem System kontrafaktische Sachverhalte abgebildet wer den? Man kann mentale Repräsentation als einen Sonderfall von mentaler Simulation rekonstruieren, nämlich als genau den Fall von mentaler Simu lation, bei dem erstens das Simulandum zum Zeitpunkt t der Aktivierung des internen Simulats als Repräsentandum, d.h.alsBestandteilderwirkli chen Welt, gegeben ist; und zweitens das Simulandum die Aktivierung des Simulats durch die Standard Kausalketten auslöst. Mentale Simulation Simulation: M Sim (S,X,Y) Es gibt eine möglicheWelt W,sodaßMSim (S,W,X,Y) und Y ein Element von W ist. Mentale Repräsentation Repräsentation: M Rep (S,X,Y) = M Sim (S,W0 ,X,Y), so daß Y zum Zeitpunkt t ein Element der wirklichen Welt W 0 ist, also: Y ist ein erfüllter Sachverhalt in W 0 ; Y löst zum Zeitpunkt t X in S über die Standard Kausalketten aus. Nach diesem Schema ist jede Repräsentation auch eine Simulation, da es mit der wirklichen Welt mindestens eine mögliche Welt gibt, in der das Repräsentandum einen Sachverhalt darstellt. Der Gehalt mentaler Simula te besteht somit aus Sachverhalten in möglichen Welten. 54 Von der logi schen Struktur her gesehen ist also Simulation das umfassendere Phäno men und Repräsentation nur ein eingeschränkter Sonderfall. Dagegen ist aus genetischer Perspektive die Repräsentation das frühere Phänomen, weil Organismen überhaupt erst durch Wahrnehmung der Umwelt die funktio nale Architektur ihrer Nervensysteme geprägt haben, die sie sich dann später auch zur nicht repräsentationalen Aktivierung mentaler Zustände zunutze machen konnten. Perzeption und Kognition kamen vor Simula tion: Nur wer sehen kann, kann auch träumen. 55 54 Das heißt nicht, daß jedem dieser Sachverhalte eine durch das System intern dargestellte Proposition bzw. ein inneres Satzanalogon entsprechen muß oder daß die entsprechenden Simulate in propositionalem Format vorliegen müssen. 55 Gilt dies auch für Sprechen und Denken? Möglicherweise müssen wir die Manipulation diskreter Symbole erst extern erlernen (durch Operationen mit äußeren, physikalischen Sym bolen wie Schriftzeichen oder sprachlichen Lauten), bevor wir sie mental simulieren können. Dafür sprechen neuere Überlegungen in Zusammenhang mit der Stabilität von Begriffsstruk turen und der Simulation von Sprachverarbeitung in konnektionistischen Systemen, die sich auch durch empirische Untersuchungen stützen lassen. Vgl. Rumelhart, Smolensky, McClel land & Hinton 1986, Band 2; Goschke⁄ Koppelberg 1990: 267, Helm 1991, Kapitel 6, Johnson Laird 1990, Bechtel ⁄ Abrahamsen 1991.

Mentale Repräsentation und phänomenale Zustände 71 Wenn dieser Punkt deutlich geworden ist, können wir zurückkehren zu solchen Fällen mentaler Simulation, die im Zusammenhang der biologi schen Evolution (speziell der menschlichen) entstanden sind und fragen: Welche Funktion kann es für ein biologisches System haben, mögliche Welten intern zu simulieren? Welche biologische Funktion könnte dadurch erfüllt werden, daß nicht existierende Welten zu Gegenständen mentaler Simulation werden? Auf der Grundlage des eben eingeführten Begriffspaa res „mentale Repräsentation“⁄ „mentale Simulation“ können wir vielleicht zu einem genaueren Verständnis bestimmter Klassen von mentalen Zu ständen gelangen, indem wir „philosophisch problematische“ Sonderfälle des grundlegenden Phänomens analysieren und dabei unseren rudimentä ren Begriffsapparat immer weiter differenzieren. Einen Auslesevorteil dürfte es nur bedeuten, wenn das System aus der Unendlichkeit möglicher Welten diejenigen extrahieren kann, die biolo gisch wahrscheinliche Welten darstellen. Es muß also eine Heuristik besit zen, die den logischen Raum komprimiert auf zwei wesentliche Klassen von „intendierten“, d. h. ausleserelevanten Welten. Zuerst einmal sind dies die wünschenswerten Welten, d. h. all jene möglichen Welten, in denen das System sich optimaler äußerer Bedingungen, vieler Nachkommen und ei nes hohen sozialen Status’ erfreut. Diese Welten sind interessante Simulan da, wenn es um mentale Zukunftsplanung geht. Andererseits sind auch all jene möglichen und wahrscheinlichen Welten interessante Simulanda, in denen das System und seine Nachkommen zu Tode gekommen oder sonst wie in ihrem Fortpflanzungs und Selbsterhaltungserfolg eingeschränkt sind. Solche Welten sind intendierte Simulanda bei der mentalen Risikoab schätzung von Verhaltensweisen. Sollen mentale Simulationen erfolgreich sein, muß es demnach eine Möglichkeit geben, verschiedenen intern erzeugten Makro Simulaten („möglichen phänomenalen Welten“) unterschiedliche Wahrscheinlichkei ten zuzuweisen. Wahrscheinlichkeitsabschätzung besteht in der Messung des Abstands möglicher Welten zur wirklichen Welt. Mentale Wahrschein lichkeitsabschätzung kann demnach nur in der Messung desAbstands eines mentalen Makro Simulats von einem mentalen Makro Repräsentat beste hen. Es müssen also komplexe interne Systemzustände miteinander vergli chen werden. Die Analyse und Erprobung neuronaler Netze hat uns hierfür eine präzise Begrifflichkeit geliefert: In einem konnektionistischen System kann man interne Simulate als Mengen von Subsymbolen bzw. Aktivie rungsvektoren darstellen. Die Ähnlichkeit zweier Aktivierungsvektoren läßt sich mathematisch exakt durch den Winkel beschreiben, den sie im Vektorraum bilden. 56 Ohne diesen technischen Punkt weiter zu vertiefen 57 , möchte ich darauf hinweisen, daß in der Notwendigkeit einer Funktion zur 56 Vgl. zum Beispiel Churchland 1989, Helm 1990: 184. 57 Vgl. jedoch Abschnitt 2.2.1. Gute einführende Textsammlungen sind Anderson ⁄ Rosenfeld 1988, Nadel et al. 1989 oder Rumelhart, Smolensky, McClelland & Hinton 1986.

Mentale Repräsentation <strong>und</strong> phänomenale Zustände 71<br />

Wenn dieser Punkt deutlich geworden ist, können wir zurückkehren zu<br />

solchen Fällen mentaler Simulation, die im Zusammenhang der biologi<br />

schen Evolution (speziell der menschlichen) entstanden sind <strong>und</strong> fragen:<br />

Welche Funktion kann es für ein biologisches System haben, mögliche<br />

Welten intern zu simulieren? Welche biologische Funktion könnte dadurch<br />

erfüllt werden, daß nicht existierende Welten zu Gegenständen mentaler<br />

Simulation werden? Auf der Gr<strong>und</strong>lage des eben eingeführten Begriffspaa<br />

res „mentale Repräsentation“⁄ „mentale Simulation“ können wir vielleicht<br />

zu einem genaueren Verständnis bestimmter Klassen von mentalen Zu<br />

ständen gelangen, indem wir „philosophisch problematische“ Sonderfälle<br />

des gr<strong>und</strong>legenden Phänomens analysieren <strong>und</strong> dabei unseren rudimentä<br />

ren Begriffsapparat immer weiter differenzieren.<br />

Einen Auslesevorteil dürfte es nur bedeuten, wenn das System aus der<br />

Unendlichkeit möglicher Welten diejenigen extrahieren kann, die biolo<br />

gisch wahrscheinliche Welten darstellen. Es muß also eine Heuristik besit<br />

zen, die den logischen Raum komprimiert auf zwei wesentliche Klassen<br />

von „intendierten“, d. h. ausleserelevanten Welten. Zuerst einmal sind dies<br />

die wünschenswerten Welten, d. h. all jene möglichen Welten, in denen das<br />

System sich optimaler äußerer Bedingungen, vieler Nachkommen <strong>und</strong> ei<br />

nes hohen sozialen Status’ erfreut. Diese Welten sind interessante Simulan<br />

da, wenn es um mentale Zukunftsplanung geht. Andererseits sind auch all<br />

jene möglichen <strong>und</strong> wahrscheinlichen Welten interessante Simulanda, in<br />

denen das System <strong>und</strong> seine Nachkommen zu Tode gekommen oder sonst<br />

wie in ihrem Fortpflanzungs <strong>und</strong> Selbsterhaltungserfolg eingeschränkt<br />

sind. Solche Welten sind intendierte Simulanda bei der mentalen Risikoab<br />

schätzung von Verhaltensweisen.<br />

Sollen mentale Simulationen erfolgreich sein, muß es demnach eine<br />

Möglichkeit geben, verschiedenen intern erzeugten Makro Simulaten<br />

(„möglichen phänomenalen Welten“) unterschiedliche Wahrscheinlichkei<br />

ten zuzuweisen. Wahrscheinlichkeitsabschätzung besteht in der Messung<br />

des Abstands möglicher Welten zur wirklichen Welt. Mentale Wahrschein<br />

lichkeitsabschätzung kann demnach nur in der Messung desAbstands eines<br />

mentalen Makro Simulats von einem mentalen Makro Repräsentat beste<br />

hen. Es müssen also komplexe interne Systemzustände miteinander vergli<br />

chen werden. Die Analyse <strong>und</strong> Erprobung neuronaler Netze hat uns hierfür<br />

eine präzise Begrifflichkeit geliefert: In einem konnektionistischen System<br />

kann man interne Simulate als Mengen von Subsymbolen bzw. Aktivie<br />

rungsvektoren darstellen. Die Ähnlichkeit zweier Aktivierungsvektoren<br />

läßt sich mathematisch exakt durch den Winkel beschreiben, den sie im<br />

Vektorraum bilden. 56 Ohne diesen technischen Punkt weiter zu vertiefen 57 ,<br />

möchte ich darauf hinweisen, daß in der Notwendigkeit einer Funktion zur<br />

56 Vgl. zum Beispiel Churchland 1989, Helm 1990: 184.<br />

57 Vgl. jedoch Abschnitt 2.2.1. Gute einführende Textsammlungen sind Anderson ⁄<br />

Rosenfeld 1988, Nadel et al. 1989 oder Rumelhart, Smolensky, McClelland & Hinton<br />

1986.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!