Metzinger · Subjekt und Selbstmodell - Cogprints
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2. Kapitel<br />
sere sexuelle Erregung genießen möchten, wenn wir uns konzentrieren,<br />
wenn wir uns an etwas zu erinnern versuchen, wenn wir versuchen, heraus<br />
zufinden, was wir eigentlich wirklich wollen oder auch einfach, wenn wir<br />
gefragt werden, wie es uns geht. Es gibt zudem passive, nicht ziel sondern<br />
prozeßorientierte Typen von Introspektion, wie den Tagtraum oder ver<br />
schiedene Formen von Meditation. All diesen Bewußtseinszuständen ist<br />
gemeinsam, daß in ihnen mentale Zustände zu Objekten innerer Aufmerk<br />
samkeit gemacht werden <strong>und</strong> ihre Introspizierbarkeit ausgenutzt wird, um<br />
sie vorübergehend in den Brennpunkt subjektiven Erlebens zu rücken.<br />
Introspizierbarkeit ist eine notwendige phänomenologische Bedingung,<br />
wenn interne Systemzustände zu mentalen Zuständen werden <strong>und</strong> als sol<br />
che erklärt werden sollen. Phänomenologie allein ist aber nicht genug für<br />
eine moderne Theorie des Geistes. Die phänomenologische „Introspizier<br />
barkeit unter Standardbedingungen“ liefert uns keinen befriedigenden Be<br />
griff der Mentalität, weil sie die hinreichenden Bedingungen seiner Anwen<br />
dung nicht fixieren kann. Schließlich kennen wir Bewußtseinsinhalte von<br />
unseren Gehirnen erzeugte mentale Modelle von Objekten (d. h. als Ob<br />
jekte codierte Datenstrukturen) in unserer Umwelt , die wir unter Stan<br />
dardbedingungen niemals als introspizierbar erleben. Die Fortschritte der<br />
Neurowissenschaften haben mehr als deutlich gemacht, wie stark auch<br />
solche Inhalte in ihrem Auftreten <strong>und</strong> phänomenalen Gehalt durch die<br />
jeweiligen Eigenschaften des Gehirns determiniert sind. Die verschiedenen<br />
Typen von Halluzinationen, Agnosien <strong>und</strong> Neglekten 15 zeigen (ganz unab<br />
hängig von jeder theoretischen Position zum Leib Seele Problem) wie eng<br />
die Korrelation zwischen neuronalen <strong>und</strong> psychischen Zuständen ist <strong>und</strong><br />
wie stark die Determination „von unten“. Es gibt zum Beispiel Wahrneh<br />
mungserlebnisse von externen Objekten, die wir ausgehend von unserem<br />
präreflexiven Erleben niemals als „mental“ oder „introspizierbar“ bezeich<br />
nen würden. Die wissenschaftliche Forschung zeigt uns nun aber, daß auch<br />
diese Zustände unter abweichenden Bedingungen durchaus als mentale,<br />
innere oder „introspizierbare“ Zustände erlebt werden können. 16 Dies legt<br />
einen wichtigen Schluß nahe, der beim gegenwärtigen Stand des empiri<br />
schen Wissens <strong>und</strong> aller gebotenen Vorsicht bereits als gerechtfertigt er<br />
scheint: Der Prozeß der mentalen Repräsentation generiert in vielen Fällen<br />
(zum Beispiel im humanen Wachbewußtsein) sowohl Repräsentate, die aus<br />
der Perspektive der ersten Person als mental erlebt werden <strong>und</strong> potentielle<br />
Objekte von Introspektion <strong>und</strong> innerer Aufmerksamkeit sind, als auch<br />
Repräsentate, die als nicht mental bzw. externe Zustände erlebt werden.<br />
Mentale Repräsentation als aus der Dritte Person Perspektive des Kogni<br />
tionswissenschaftlers analysierter Vorgang führt also in bezug auf die<br />
15 In Abschnitt 2.3.2 werde ich einige solcher Fälle <strong>und</strong> ihre Bedeutung für eine naturalisti<br />
sche Theorie mentaler Repräsentation untersuchen.<br />
16 Das kann zum Beispiel bei Schizophrenien, Manien oder religiösen Erfahrungen der Fall<br />
sein.