Metzinger · Subjekt und Selbstmodell - Cogprints

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54 2. Kapitel Was mentale Repräsentation von Fällen externer Repräsentation oder den eingangs erwähnten Beispielen für nicht mentale interne Repräsenta tion unterscheidet, ist ein wesentliches Charakteristikum der Resultate des Abbildungsvorgangs: Die durch diesen Vorgang erzeugten internen Daten strukturen sind „mental“ genau deshalb, weil sie die Disposition besitzen bewußt zu werden (vgl. Abschnitt 2.1.4). Mentale Repräsentate sind men tal, weil sie bewußt werden können. „Mentalität“ möchte ich in diesem Sinne als dispositionale Eigenschaft einer bestimmten Klasse biologisch generierter Datenstrukturen verstehen. Eine Theorie des Mentalen ist also eine Theorie über diejenigen internen Zustände informationsverarbeiten der Systeme, die bewußt werden können. Aus diesem Grund darf sich eine solche Theorie nicht auf die Erklärung der kausalen Wirksamkeit und der Genese des intentionalen Gehalts mentaler Zustände beschränken. Die Lösung des Leib Seele Problems und die Beantwortung der Frage nach der Intentionalität des Mentalen sind natürlich wichtige Bausteine einer mo dernen Theorie des Geistes. Doch gerade eine solche moderne, naturalisti sche Theorie wird in ihrem Kern eine Theorie der Subjektivität sein. Sie darf das psychologische Subjekt nicht eliminieren oder einplanieren, son dern muß uns erklären, wie gewisse interne Datenstrukturen bewußt, sub jektzentriert und Träger phänomenaler Qualitäten sein können. Von primärem Interesse für die philosophische Psychologie sind somit die Resultate gewisser interner Repräsentationsprozesse. Die Prozesse selbst, das heißt die spezifischen Mechanismen, durch die solche Repräsen tate erzeugt werden, sind Gegenstand empirischer Einzelwissenschaften. Sind die interessierenden Systeme menschliche bzw. biologische Organis men, so werden es überwiegend die Neurowissenschaften sein, an die wir uns mit Fragen bezüglich des Mechanismus der Repräsentation zu wenden haben. Das mit den Bemühungen der empirischen Wissenschaften ver knüpfte philosophische Projekt besteht hingegen zum Großteil in der kom mentierenden Ausformulierung einer mit deren Ergebnissen kompatiblen psychologischen Anthropologie. Das menschliche Nervensystem erzeugt eine Vielzahl von Repräsenta ten, die Inhalte subjektiven Bewußtseins niemals zu verändern oder zu beeinflussen scheinen. Das können etwa solche Repräsentate sein, die ein Bestandteil von Regelungs und Steuerfunktionen für den Stoffwechsel oder das Immunsystem sind. Offensichtlich gibt es jedoch zum Beispiel beim Phänomen des Somnambulismus oder in hypnotischen Zuständen auch die Möglichkeit, daß komplexe Repräsentate der Umwelt aktiviert werden, ohne daß gleichzeitig phänomenales Bewußtsein erzeugt wird. Au ßerdem ahnen wir seit Freud, daß unbewußte mentale Zustände unser Verhalten und den Gehalt bewußter mentaler Zustände anscheinend stark determinieren können. Auf denjenigen Aspekt der Subjektivitätsfrage, der mit der „Bewußtheit“ mentaler Zustände zusammenhängt, komme ich spä ter zu sprechen. Vorerst kommt es auf ein Zuschreibungskriterium für das Prädikat „mental“ an, das unsere common sense Auffassung wiedergibt, die besagt, daß mentale Zustände wie Gefühle, Meinungen und Wünsche

Mentale Repräsentation und phänomenale Zustände 55 potentielle Bewußtseinsinhalte sind, also episodische innere Zustände von Personen, die Erlebnischarakter haben oder auch nicht. Was macht eine Teilmenge von durch unsere Gehirne erzeugten Repräsentaten zu mentalen Zuständen, die wiederum die Disposition besitzen, zu subjektiven Erleb nissen zu werden? Das Kriterium, das ich hier anbieten möchte, lautet: Introspizierbarkeit. Mental sind all jene Zustände, die prinzipiell introspizierbar sind, d. h. prinzipiell zu Gegenständen eines zumeist willkürlich eingeleiteten und zielgerichteten Prozesses innerer Aufmerksamkeit werden können. Innere Aufmerksamkeit darf aber nicht als Aktivität eines Homunkulus verstan den werden, der den Scheinwerferstrahl seiner ihm immer schon gegebenen Bewußtheit auf verschiedene innere Objekte richtet und sie so zu phänome nalen Individuen 13 macht. Vielmehr ist Introspektion ein in manchen in formationsverarbeitenden Systemen ablaufender Vorgang, und zwar eine besondere Variante genau desselben Vorgangs, der das Thema dieses Kapi tels ist: Introspektion ist die interne 14 Repräsentation mentaler Repräsenta te. Offenbar ist die interessante Klasse von Repräsentaten genau diejenige, die durch Metakognition selbst wieder zum Gehalt höherstufiger Repräsen tate werden kann. Die genaue Auszeichnung dieser Klasse ist eine empiri sche Frage, bezüglich derer man berechtigte Hoffnungen auf Erkenntnis fortschritte in der näheren Zukunft haben darf. Denn die Fakten, die manche internen Repräsentate zu potentiellen Repräsentanda von Meta kognition und somit zu introspizierbaren Zuständen machen, werden durch die Neuroinformatik der Zukunft immer besser beschrieben werden können. „Introspizierbarkeit“ ist eine charakteristische Eigenschaft man cher Produkte interner Informationsverarbeitung. Und nicht selten sind wir aus pragmatischen Gründen daran interessiert, internen Zuständen diese Eigenschaft zu verleihen bzw. sie zu aktualisieren: Viele Formen von Psychotherapie versuchen, pathologische mentale Strukturen mit verschie denen Methoden zu introspizierbaren zu machen, weil sie unter der sehr starken und häufig theoretisch argumentativ völlig unabgesicherten An nahme arbeiten, daß sich diese pathologischen Strukturen allein dadurch, daß sie die Eigenschaft der Introspizierbarkeit gewinnen, auflösen, trans formieren oder durch direkte „Verursachung von oben“ in ihrer uner wünschten Auswirkung auf das Verhalten und Erleben des Patienten beein flussen lassen. Außerdem wenden wir alle verschiedene Varianten von Introspektion auch in nicht therapeutischen Situationen an: Wenn wir un 13 Vgl. Lycan 1987, Kapitel 8. 14 Sie ist nur ein interner Repräsentationsprozeß (aber kein mentaler Repräsentationspro zeß), weil sie selbst nicht das Potential besitzt, durch Metarepräsentation ihrerseits zum Bewußtseinsinhalt zu werden. Dieser Punkt wird außerhalb des Informationsverarbeitungsan satzes von David Rosenthal in seiner Theorie der Higher Order Thoughts (vgl. zum Beispiel Rosenthal 1986) und innerhalb einer Computational Theory of Mind etwa durch Ray Jacken doff (vgl. Jackendoff 1987) entwickelt.

Mentale Repräsentation <strong>und</strong> phänomenale Zustände 55<br />

potentielle Bewußtseinsinhalte sind, also episodische innere Zustände von<br />

Personen, die Erlebnischarakter haben oder auch nicht. Was macht eine<br />

Teilmenge von durch unsere Gehirne erzeugten Repräsentaten zu mentalen<br />

Zuständen, die wiederum die Disposition besitzen, zu subjektiven Erleb<br />

nissen zu werden?<br />

Das Kriterium, das ich hier anbieten möchte, lautet: Introspizierbarkeit.<br />

Mental sind all jene Zustände, die prinzipiell introspizierbar sind, d. h.<br />

prinzipiell zu Gegenständen eines zumeist willkürlich eingeleiteten <strong>und</strong><br />

zielgerichteten Prozesses innerer Aufmerksamkeit werden können. Innere<br />

Aufmerksamkeit darf aber nicht als Aktivität eines Homunkulus verstan<br />

den werden, der den Scheinwerferstrahl seiner ihm immer schon gegebenen<br />

Bewußtheit auf verschiedene innere Objekte richtet <strong>und</strong> sie so zu phänome<br />

nalen Individuen 13 macht. Vielmehr ist Introspektion ein in manchen in<br />

formationsverarbeitenden Systemen ablaufender Vorgang, <strong>und</strong> zwar eine<br />

besondere Variante genau desselben Vorgangs, der das Thema dieses Kapi<br />

tels ist: Introspektion ist die interne 14 Repräsentation mentaler Repräsenta<br />

te.<br />

Offenbar ist die interessante Klasse von Repräsentaten genau diejenige,<br />

die durch Metakognition selbst wieder zum Gehalt höherstufiger Repräsen<br />

tate werden kann. Die genaue Auszeichnung dieser Klasse ist eine empiri<br />

sche Frage, bezüglich derer man berechtigte Hoffnungen auf Erkenntnis<br />

fortschritte in der näheren Zukunft haben darf. Denn die Fakten, die<br />

manche internen Repräsentate zu potentiellen Repräsentanda von Meta<br />

kognition <strong>und</strong> somit zu introspizierbaren Zuständen machen, werden<br />

durch die Neuroinformatik der Zukunft immer besser beschrieben werden<br />

können. „Introspizierbarkeit“ ist eine charakteristische Eigenschaft man<br />

cher Produkte interner Informationsverarbeitung. Und nicht selten sind<br />

wir aus pragmatischen Gründen daran interessiert, internen Zuständen<br />

diese Eigenschaft zu verleihen bzw. sie zu aktualisieren: Viele Formen von<br />

Psychotherapie versuchen, pathologische mentale Strukturen mit verschie<br />

denen Methoden zu introspizierbaren zu machen, weil sie unter der sehr<br />

starken <strong>und</strong> häufig theoretisch argumentativ völlig unabgesicherten An<br />

nahme arbeiten, daß sich diese pathologischen Strukturen allein dadurch,<br />

daß sie die Eigenschaft der Introspizierbarkeit gewinnen, auflösen, trans<br />

formieren oder durch direkte „Verursachung von oben“ in ihrer uner<br />

wünschten Auswirkung auf das Verhalten <strong>und</strong> Erleben des Patienten beein<br />

flussen lassen. Außerdem wenden wir alle verschiedene Varianten von<br />

Introspektion auch in nicht therapeutischen Situationen an: Wenn wir un<br />

13 Vgl. Lycan 1987, Kapitel 8.<br />

14 Sie ist nur ein interner Repräsentationsprozeß (aber kein mentaler Repräsentationspro<br />

zeß), weil sie selbst nicht das Potential besitzt, durch Metarepräsentation ihrerseits zum<br />

Bewußtseinsinhalt zu werden. Dieser Punkt wird außerhalb des Informationsverarbeitungsan<br />

satzes von David Rosenthal in seiner Theorie der Higher Order Thoughts (vgl. zum Beispiel<br />

Rosenthal 1986) <strong>und</strong> innerhalb einer Computational Theory of Mind etwa durch Ray Jacken<br />

doff (vgl. Jackendoff 1987) entwickelt.

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