Metzinger · Subjekt und Selbstmodell - Cogprints
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36 1. Kapitel diesem Fall gilt esse est percipi, das Sein und die Erscheinung mentaler Zustände mit qualitativem Gehalt fallen zusammen, weil Erkenntnisinstru ment und Erkenntnisobjekt identisch sind. Alle einzelnen Instanzen von Türkiserlebnissen bilden nach der subjektiven Taxonomie eine Klasse, weil sie dasselbe intrinsische, nicht relationale Merkmal eben: Türkisheit be sitzen. Dieses nicht relationale Merkmal, das für den natürlichen Psychologen die fraglichen Zustände eben genau als psychische Zustände identifiziert, hat interessanterweise starke Gemeinsamkeiten mit der zweiten phänome nologischen und begrifflichen Säule des Subjektivitätsproblems, mit der bereits angesprochenen („einstelligen“) Bewußtheit innerer Erlebnisse. Er stens erscheint es introspektiv ebenfalls als homogen: Jeder Teil eines türki sen Wahrnehmungsobjekts ist auch türkis, jedes Zeitsegment einer Schmer zepisode ist auch schmerzhaft. Eine Quale zeichnet sich dadurch aus, daß ihr individuierendes Charakteristikum bruchlos über die entsprechenden Partitionen des intentionalen Gehalts verteilt ist. Zweitens bilden Qualia phänomenale Atome. Dadurch nämlich, daß die Türkis Qualität oder Schmerzhaftigkeit eines subjektiven Zustandes introspektiv nicht weiter analysierbar also: in kleinere Erlebniseinheiten und ihre Beziehungen zerlegbar zu sein scheint 21 , entsteht ein Analogon zu der bereits angespro chenen Unteilbarkeits Intuition bezüglich der Bewußtheit unseres inneren Raumes. Qualia erscheinen uns als nicht weiter analysierbare, prinzipiell irreduzible Bestandteile der subjektiven Wirklichkeit. Sie bilden anschei nend die introspektiv unhintergehbaren Bausteine der subjektiven Reali tät. Und jede Theorie, in der diese Bausteine des subjektiven Erlebnisrau mes nicht mehr vorkommen, ist so scheint es den meisten von uns a priori überhaupt keine Theorie über psychische Zustände mehr. Diese der Unteilbarkeits Illusion verwandten Intuitionen bezüglich phänomenaler Qualitäten werde ich ab jetzt als essentialistische Intuitionen bezeichnen. Solche subjektiven Gewißheiten haben ihre Grundlage in der Tatsache, daß wir unsere eigenen inneren Zustände viel schneller und zuverlässiger über 21 Es gibt bei näherem Hinsehen eine Reihe von Gegenbeispielen. Unser Farbdiskriminie rungsvermögen ist trainierbar, und Akkorde werden zum Beispiel von ungeübten Musikhö rern zunächst als homogene, auditorische Ganzheiten erlebt. Das trainierte Ohr kann dagegen einzelne Noten unterscheiden, Komponisten sind sogar in der Lage neue, seltene Akkorde zu imaginieren (Vgl. Churchland 1989: 65). Eine naturalistische Qualia Theorie muß diese Aus nahmen erklären können (vgl. Abschnitt 2.1.3). Ray Jackendoff hat in empirisch philosophi schen Untersuchungen zum Verhältnis von phänomenalem Bewußtsein und Informationsver arbeitung im Gehirn seine These, daß phänomenale Zustände eine mittlere Ebene der repräsentationalen Hierarchie bilden, auch für subjektives Musikerleben empirisch belegt. „Here direct awareness appears to parallel the musical surface, the linearly ordered sequence of pitch events (notes and chords): the notes are what we hear. The musical surface is not the lowest level of information structure involved in music perception, for, (. . .) ,a great deal of auditory processing has already taken place to discriminate pitches, pitch simultaneities, attack points, and temporal sequencing. On the other hand, the musical surface is far from the most central level of musical structure, since there are four higher levels of hierarchical musical structure, that are responsible for the understanding of music.“(Jackendoff 1987: 292; vgl. auch Kapitel 11)
Auf dem Weg zu einer neuen Theorie des Geistes 37 ihre qualitativen Merkmale identifizieren, als über ihr relationales, kausa les oder funktionales Profil. Was kann nun der naturalistische Psychologe all dem erwidern? Die Arbeit derjenigen Forscher, die als empirische Psychologen nach einer na turwissenschaftlichen Methodologie Beiträge zu einem tieferen Verständ nis mentaler Zustände liefern wollen, besteht zu einem großen Teil in der Erzeugung und dem Testen 22 von Hypothesen über kausale Rollen und funktionale Interdependenzen. Theoretische Repräsentation erzeugt eine andere revidierbare Ontologie als mentale Repräsentation; die empiri sche Psychologie benutzt einen anderen epistemischen Zugang zu den frag lichen Phänomenen als der introspizierende Alltagspsychologe. Dieser theoretische Zugang wird niemals dieselbe Innerlichkeit erzeugen können wie die systeminterne Selbstwahrnehmung, denn im Gegenteil ist das epi stemische Ziel wissenschaftlicher Theorienkonstruktion ja gerade Intersub jektivität. Bedeutet dies nicht, daß die qualitativen Gehalte subjektiven Bewußtseins sich dem naturalisierenden Zugriff der Neuro und Kogni tionswissenschaften prinzipiell entziehen müssen? Was an diesem Punkt entschieden werden muß, ist die Frage nach der erkenntnistheoretischen Autorität des Subjekts bezüglich seiner eigenen Zu stände. Muß eine naturalistische Theorie des Geistes die subjektive Inner lichkeit nur über ihre objektiven Entstehungsbedingungen erklären können oder verfehlt sie systematisch eine relevante Klasse von Tatsachen, die nur aus der Perspektive der ersten Person epistemisch erschlossen werden kön nen? Berühmte zeitgenössische Anti Naturalisten wie Thomas Nagel oder Frank Jackson haben dieses Problem in origineller Weise reformuliert und zu beantworten versucht, deswegen werden wir uns ihren Analysen später zuzuwenden haben. Mit der Frage, ob das Subjekt ein bleibendes Loch im wissenschaftlichen Weltbild ist oder nur ein vorübergehender weißer Fleck auf der Landkarte, sind wir am Ende unseres ersten Ausflugs in die Pro blemlandschaft bereits auf die Tatsache gestoßen, daß Subjektivität nicht nur ein psychisches, sondern auch ein epistemisches Phänomen ist. Damit wird Subjektivität nicht nur zum zentralen Thema einer empirisch orien tierten Philosophie der Psychologie, sondern auch direkt relevant für das Projekt einer naturalistischen Erkenntnistheorie. In Entsprechung zu den eben untersuchten drei phänomenologisch fundierten Hauptaspekten des Subjektivitätsproblems muß man nämlich immer auch drei erkenntnis theoretische Fragen aufwerfen. Sie lauten: Weiß ich um die „Meinigkeit“ der Zustände meines Selbst, und zwar in einem philosophisch interessanten Sinn von „Wissen“? Ist „Bewußtheit“ ein epistemisches Phänomen; weiß das psychologische Subjekt in einem philosophisch interessanten Sinn von „Wissen“ um seine eigene Bewußtheit und deren Inhalte? Stellt der quali 22 Es gibt allerdings bereits Versuche, sogar eine Wissenschaftstheorie nach dem Muster subsententialistischer, parallel distribuierter Informationsverarbeitung zu konstruieren, mit hin die Arbeitsweise des Gehirns auch im Bereich intersubjektiven Wissenserwerbs zu etablie ren. Vgl. Churchland 1989 Teil 2, besonders Kap. 9 11.
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1. Kapitel<br />
diesem Fall gilt esse est percipi, das Sein <strong>und</strong> die Erscheinung mentaler<br />
Zustände mit qualitativem Gehalt fallen zusammen, weil Erkenntnisinstru<br />
ment <strong>und</strong> Erkenntnisobjekt identisch sind. Alle einzelnen Instanzen von<br />
Türkiserlebnissen bilden nach der subjektiven Taxonomie eine Klasse, weil<br />
sie dasselbe intrinsische, nicht relationale Merkmal eben: Türkisheit be<br />
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Dieses nicht relationale Merkmal, das für den natürlichen Psychologen<br />
die fraglichen Zustände eben genau als psychische Zustände identifiziert,<br />
hat interessanterweise starke Gemeinsamkeiten mit der zweiten phänome<br />
nologischen <strong>und</strong> begrifflichen Säule des <strong>Subjekt</strong>ivitätsproblems, mit der<br />
bereits angesprochenen („einstelligen“) Bewußtheit innerer Erlebnisse. Er<br />
stens erscheint es introspektiv ebenfalls als homogen: Jeder Teil eines türki<br />
sen Wahrnehmungsobjekts ist auch türkis, jedes Zeitsegment einer Schmer<br />
zepisode ist auch schmerzhaft. Eine Quale zeichnet sich dadurch aus, daß<br />
ihr individuierendes Charakteristikum bruchlos über die entsprechenden<br />
Partitionen des intentionalen Gehalts verteilt ist. Zweitens bilden Qualia<br />
phänomenale Atome. Dadurch nämlich, daß die Türkis Qualität oder<br />
Schmerzhaftigkeit eines subjektiven Zustandes introspektiv nicht weiter<br />
analysierbar also: in kleinere Erlebniseinheiten <strong>und</strong> ihre Beziehungen<br />
zerlegbar zu sein scheint 21 , entsteht ein Analogon zu der bereits angespro<br />
chenen Unteilbarkeits Intuition bezüglich der Bewußtheit unseres inneren<br />
Raumes. Qualia erscheinen uns als nicht weiter analysierbare, prinzipiell<br />
irreduzible Bestandteile der subjektiven Wirklichkeit. Sie bilden anschei<br />
nend die introspektiv unhintergehbaren Bausteine der subjektiven Reali<br />
tät. Und jede Theorie, in der diese Bausteine des subjektiven Erlebnisrau<br />
mes nicht mehr vorkommen, ist so scheint es den meisten von uns a<br />
priori überhaupt keine Theorie über psychische Zustände mehr. Diese der<br />
Unteilbarkeits Illusion verwandten Intuitionen bezüglich phänomenaler<br />
Qualitäten werde ich ab jetzt als essentialistische Intuitionen bezeichnen.<br />
Solche subjektiven Gewißheiten haben ihre Gr<strong>und</strong>lage in der Tatsache, daß<br />
wir unsere eigenen inneren Zustände viel schneller <strong>und</strong> zuverlässiger über<br />
21 Es gibt bei näherem Hinsehen eine Reihe von Gegenbeispielen. Unser Farbdiskriminie<br />
rungsvermögen ist trainierbar, <strong>und</strong> Akkorde werden zum Beispiel von ungeübten Musikhö<br />
rern zunächst als homogene, auditorische Ganzheiten erlebt. Das trainierte Ohr kann dagegen<br />
einzelne Noten unterscheiden, Komponisten sind sogar in der Lage neue, seltene Akkorde zu<br />
imaginieren (Vgl. Churchland 1989: 65). Eine naturalistische Qualia Theorie muß diese Aus<br />
nahmen erklären können (vgl. Abschnitt 2.1.3). Ray Jackendoff hat in empirisch philosophi<br />
schen Untersuchungen zum Verhältnis von phänomenalem Bewußtsein <strong>und</strong> Informationsver<br />
arbeitung im Gehirn seine These, daß phänomenale Zustände eine mittlere Ebene der<br />
repräsentationalen Hierarchie bilden, auch für subjektives Musikerleben empirisch belegt.<br />
„Here direct awareness appears to parallel the musical surface, the linearly ordered sequence of<br />
pitch events (notes and chords): the notes are what we hear. The musical surface is not the lowest<br />
level of information structure involved in music perception, for, (. . .) ,a great deal of auditory<br />
processing has already taken place to discriminate pitches, pitch simultaneities, attack points,<br />
and temporal sequencing. On the other hand, the musical surface is far from the most central<br />
level of musical structure, since there are four higher levels of hierarchical musical structure, that<br />
are responsible for the <strong>und</strong>erstanding of music.“(Jackendoff 1987: 292; vgl. auch Kapitel 11)