Metzinger · Subjekt und Selbstmodell - Cogprints

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23.10.2012 Aufrufe

30 1. Kapitel gen menschlicher Handlungen vom neurowissenschaftlichen Typ müssen nicht auf Beschreibungen innerer Zustände rekurrieren, in denen das Prä dikat „bewußt“ auftaucht. Bei unserer Erforschung des menschlichen Ge hirns entdecken wir immer neue Beschreibungsebenen: Physikalische, neu rochemische, neurobiologische, neuropsychologische, funktionale, infor mationale und repräsentationale. Jede dieser Ebenen besitzt ihre eigenen logischen Subjekte, denen wir bei unseren Erklärungen unterschiedliche Eigenschaften zuweisen. Mit der Expansion unseres empirischen Wissens nimmt die Zahl der Beschreibungsebenen zu, die ihnen zugeordneten Sets von Prädikaten werden stetig subtiler und differenzierter jedoch taucht das Prädikat „bewußt“ niemals auf. Aber immer, wenn wir ein biologi sches, funktionales oder repräsentationales Subsystem der gigantischen neuronalen Maschinerie etwas besser verstanden haben, taucht wieder die selbe Frage auf: Aber wäre all dies nicht auch ohne Bewußtsein möglich? Es mag durchaus sein, daß die zukünftige Theorie des Geistes in weiten Teilen stark kontraintuitiv und damit emotional unbefriedigend sein wird. Vielleicht wird es niemals gelingen, das vom Gehirn selbst gezeichnete Bild seiner eigenen Aktivität und das von der Wissenschaft entworfene Bild derselben miteinander zur Deckung zu bringen oder wenigstens partiell zu verknüpfen. Denn es gibt eine ganze Reihe von Merkmalen, die das psychische Phä nomen „Bewußtsein“ so rätselhaft machen wobei ich zunächst nur das wichtigste dieser Merkmale nennen möchte: seine Homogenität.Phänome nologisch gesehen ist Bewußtheit eine bruchlose Qualität, die unseren sub jektiven Erlebnisraum durchzieht und ihn zu einem integrierten Feld 13 macht. Diese phänomenale „Feldqualität“ ist sehr konkret und läßt sich introspektiv deutlich vom intentionalen Gehalt der durch sie verbundenen mentalen Zustände unterscheiden. Sie kann anstrengungslos und diffus über den Erlebnisraum verteilt sein, aber auch bei Orientierungsreaktionen oder absichtlicher Konzentration durch den Einsatz „subjektiver Ener gie“ fokussiert werden. Mit der inneren Erfahrung dieser „Feldqualität“ geht die „Unteilbarkeits Intuition“ einher, die Descartes in der Sechsten Meditation so eindrücklich formuliert und zu einem Unterscheidungskrite rium gegenüber allen ausgedehnten Dingen entwickelt hat: Bewußtsein ist unteilbar. Nun bemerke ich hier erstlich, daß ein großer Unterschied zwischen Geist und Körper insofern vorhanden ist, als der Körper seiner Natur nach stets teilbar, der Geist hingegen durchaus unteilbar ist. Denn, in der Tat, wenn ich diesen betrachte, d. h. mich selbst, insofern ich nur ein denkendes Ding bin, so vermag 13 Wie man eine durch viele empirische Befunde gestützte integrierte Feldtheorie des Bewußtseins als einer distribuierten Eigenschaft in einem neuronalen Netz entwickeln könnte, zeigt Marcel Kinsbourne. Ein solcher Ansatz hat den Vorteil, ohne Metarepräsentation und die Gefahr infiniter Regresse auszukommen. Wenn Bewußtsein eine Netzwerkeigenschaft ist, die in multimodalen, nicht restringierten Repräsentationsfeldern auftritt, dann fragt sich allerdings, ob hier mit dem Begriff „Feld“ nicht eine unhaltbare Anleihe bei der Physik gemacht worden ist. Vgl. Kinsbourne 1988.

Auf dem Weg zu einer neuen Theorie des Geistes 31 ich in mir keine Teile zu unterscheiden, sondern erkenne mich als ein durchaus einheitliches und ganzes Ding. Und wenngleich der ganze Geist mit dem gan zen Körper verbunden zu sein scheint, so erkenne ich doch, daß, wenn man den Fuß oder den Arm oder irgendeinen anderen Teil des Körpers abschneidet, darum nichts vom Geiste weggenommen ist. Auch darf man nicht die Fähigkei ten des Wollens, Empfindens, Erkennens als seine Teile bezeichnen, ist es doch ein und derselbe Geist der will, empfindetund erkennt. Im Gegenteil aber kann ich mir kein körperliches, d. h. ausgedehntes Ding denken, das ich nicht in Gedanken unschwer in Teileteilen und ebendadurch als teilbar erkennen könn te, und das allein würde hinreichen, mich zu lehren, daß der Geist vom Körper gänzlich verschieden ist, wenn ich es nicht anderswoher zur Genüge wüßte. 14 Diese Grundannahme neuzeitlicher Subjektivitätstheorien ist mittlerweile durch eine Vielfalt von Untersuchungen, zum Beispiel an hypnotisierten Versuchspersonen oder split brain Patienten15 falsifiziert worden. Mit ihr wurde auch die altehrwürdige Selbsttransparenz des Bewußtseins obsolet (in den Abschnitten 2.3.2 und 3.2.2 werde ich einige der bedrückenden neuropsychologischenBefunde schildern, die jede diese beiden intuitiven Annahmen voraussetzende oder explizierende Theorie des Geistes unhalt bar machen). All das sollte uns jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß Bewußtsein eines der prägnantesten Charakteristika unseres normalen mentalen Lebens ist. Die rätselhafte Natur des introspektiven Gegeben seins der Gerichtetheit ist ja gerade eine der Hauptquellen unseres Interes ses an einer philosophischen Psychologie. Deshalb sollten wir auch nicht vorschnell zu sprachanalytischen Auflösungen des Problems übergehen. Wenn Bewußtsein tatsächlich keinen Platz in einer empirisch fundierten Taxonomie mentaler Zustände finden kann, dann muß uns eine befriedi gende naturalistische Theorie des Geistes zumindest erklären können, wie all die Intuitionen zustande kommen konnten, die es uns als ein so zentra les und bedeutsames Element unserer Innerlichkeit erscheinen lassen. Ich werde zu diesem Zweck in Abschnitt 2.1.4 einige Überlegungen zum Pro blem des Bewußtseins aus der Perspektive einer Theorie mentaler Reprä sentation anstellen. Die von anti mechanistischen Philosophen immer wie der ins Feld geführte Homogenität und Atomizität phänomenalenBewußt seins begegnet uns wieder auf einer etwas tiefer liegenden phänomenologi schen Analyseebene, nämlich dann, wenn wir spezifische qualitative 14 Descartes 1972 (1641). Ein klare analytische Rekonstruktion von Descartes’ Beweis für den metaphysischen Dualismus bietet Beckermann 1986a. 15 Hierbei handelt es sich um Patienten, denen (häufig wegen einer schweren, therapieresi stenten Epilepsie) das die beiden Großhirnhemisphären verbindende Corpus callosum chirur gisch durchtrennt werden mußte. Vgl. z. B. Bogen 1969a, 1969b, Bogen et al. 1966, Gazzaniga ⁄ Le Doux 1978, Le Doux⁄ Wilson ⁄ Gazzaniga 1977, Sperry 1970, 1974. Auch Thomas Nagel hat die Implikationen der empirischen Resultate für den philosophischen Begriff des Selbstbe wußtseins analysiert; vgl. Nagel 1971. Weitere philosophische Kommentare finden sich bei John Eccles in Popper ⁄ Eccles 1982: 380ff (bezüglich der Wiederauferstehung der cartesiani schen „Zirbeldrüsen Hypothese“ in Form des „Liaison Hirns“ siehe auch 434ff), Metzinger 1985: Kapitel 4, Puccetti 1973, 1981 und Wilkes 1988: Kapitel 5.

Auf dem Weg zu einer neuen Theorie des Geistes 31<br />

ich in mir keine Teile zu unterscheiden, sondern erkenne mich als ein durchaus<br />

einheitliches <strong>und</strong> ganzes Ding. Und wenngleich der ganze Geist mit dem gan<br />

zen Körper verb<strong>und</strong>en zu sein scheint, so erkenne ich doch, daß, wenn man den<br />

Fuß oder den Arm oder irgendeinen anderen Teil des Körpers abschneidet,<br />

darum nichts vom Geiste weggenommen ist. Auch darf man nicht die Fähigkei<br />

ten des Wollens, Empfindens, Erkennens als seine Teile bezeichnen, ist es doch<br />

ein <strong>und</strong> derselbe Geist der will, empfindet<strong>und</strong> erkennt. Im Gegenteil aber kann<br />

ich mir kein körperliches, d. h. ausgedehntes Ding denken, das ich nicht in<br />

Gedanken unschwer in Teileteilen <strong>und</strong> ebendadurch als teilbar erkennen könn<br />

te, <strong>und</strong> das allein würde hinreichen, mich zu lehren, daß der Geist vom Körper<br />

gänzlich verschieden ist, wenn ich es nicht anderswoher zur Genüge wüßte. 14<br />

Diese Gr<strong>und</strong>annahme neuzeitlicher <strong>Subjekt</strong>ivitätstheorien ist mittlerweile<br />

durch eine Vielfalt von Untersuchungen, zum Beispiel an hypnotisierten<br />

Versuchspersonen oder split brain Patienten15 falsifiziert worden. Mit ihr<br />

wurde auch die altehrwürdige Selbsttransparenz des Bewußtseins obsolet<br />

(in den Abschnitten 2.3.2 <strong>und</strong> 3.2.2 werde ich einige der bedrückenden<br />

neuropsychologischenBef<strong>und</strong>e schildern, die jede diese beiden intuitiven<br />

Annahmen voraussetzende oder explizierende Theorie des Geistes unhalt<br />

bar machen). All das sollte uns jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß<br />

Bewußtsein eines der prägnantesten Charakteristika unseres normalen<br />

mentalen Lebens ist. Die rätselhafte Natur des introspektiven Gegeben<br />

seins der Gerichtetheit ist ja gerade eine der Hauptquellen unseres Interes<br />

ses an einer philosophischen Psychologie. Deshalb sollten wir auch nicht<br />

vorschnell zu sprachanalytischen Auflösungen des Problems übergehen.<br />

Wenn Bewußtsein tatsächlich keinen Platz in einer empirisch f<strong>und</strong>ierten<br />

Taxonomie mentaler Zustände finden kann, dann muß uns eine befriedi<br />

gende naturalistische Theorie des Geistes zumindest erklären können, wie<br />

all die Intuitionen zustande kommen konnten, die es uns als ein so zentra<br />

les <strong>und</strong> bedeutsames Element unserer Innerlichkeit erscheinen lassen. Ich<br />

werde zu diesem Zweck in Abschnitt 2.1.4 einige Überlegungen zum Pro<br />

blem des Bewußtseins aus der Perspektive einer Theorie mentaler Reprä<br />

sentation anstellen. Die von anti mechanistischen Philosophen immer wie<br />

der ins Feld geführte Homogenität <strong>und</strong> Atomizität phänomenalenBewußt seins begegnet uns wieder auf einer etwas tiefer liegenden phänomenologi<br />

schen Analyseebene, nämlich dann, wenn wir spezifische qualitative<br />

14 Descartes 1972 (1641). Ein klare analytische Rekonstruktion von Descartes’ Beweis für<br />

den metaphysischen Dualismus bietet Beckermann 1986a.<br />

15 Hierbei handelt es sich um Patienten, denen (häufig wegen einer schweren, therapieresi<br />

stenten Epilepsie) das die beiden Großhirnhemisphären verbindende Corpus callosum chirur<br />

gisch durchtrennt werden mußte. Vgl. z. B. Bogen 1969a, 1969b, Bogen et al. 1966, Gazzaniga ⁄<br />

Le Doux 1978, Le Doux⁄ Wilson ⁄ Gazzaniga 1977, Sperry 1970, 1974. Auch Thomas Nagel hat<br />

die Implikationen der empirischen Resultate für den philosophischen Begriff des Selbstbe<br />

wußtseins analysiert; vgl. Nagel 1971. Weitere philosophische Kommentare finden sich bei<br />

John Eccles in Popper ⁄ Eccles 1982: 380ff (bezüglich der Wiederauferstehung der cartesiani<br />

schen „Zirbeldrüsen Hypothese“ in Form des „Liaison Hirns“ siehe auch 434ff), <strong>Metzinger</strong><br />

1985: Kapitel 4, Puccetti 1973, 1981 <strong>und</strong> Wilkes 1988: Kapitel 5.

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