Metzinger · Subjekt und Selbstmodell - Cogprints
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5. Kapitel<br />
Realitätsmodells zeigt sich besonders prägnant in dem was Thomas Nagel<br />
als unsere Kompetenz für Objektivität bezeichnet hat: In unserer Fähigkeit<br />
zu repräsentationaler Selbsttranszendenz. Die Fähigkeit zur Abschwächung<br />
der Perspektivität unseres mentalen Modells der Realität durch den Blick<br />
von nirgendwo ist möglicherweise das philosophisch bedeutsamste Charak<br />
teristikum menschlicher <strong>Subjekt</strong>ivität. Auch wenn der Blick von nirgendwo<br />
am Ende doch nur eine natürlich entstandene Fähigkeit unserer Gehirne<br />
ist, die zu einer neuen Objektbildung auf einer höheren Ebene führt, kann<br />
man die Fähigkeit zur repräsentationalen Distanzierung vom <strong>Selbstmodell</strong><br />
als unsere höchste <strong>und</strong> bedeutende kognitive Kompetenz ansehen. Viel<br />
leicht ist das Ich nicht die Grenze der Welt, sondern die Fähigkeit, diese<br />
Grenze auf immer höheren phänomenalen Ebenen neu zu ziehen.<br />
Unser funktionales Profil ist reich, flexibel <strong>und</strong> erfolgreich. Gemessen an<br />
allen anderen informationsverarbeitenden Systemen, die wir aus der biolo<br />
gischen Geschichte unseres Planeten kennen oder selbst konstruiert haben,<br />
sind wir von überlegener funktionaler Komplexität. Die Breite unserer<br />
Handlungsmöglichkeiten auch unserer inneren Handlungsmöglichkei<br />
ten ist so enorm, daß sie zum Problem geworden ist. Als Gattung sind wir<br />
bisher äußerst erfolgreich, wir haben die biologische Evolution um eine,<br />
wenn auch wesentlich primitivere, kulturelle Evolution bereichert. In der<br />
Interaktion mit der Umwelt <strong>und</strong> miteinander haben wir ein beträchtliches<br />
Maß an funktionaler Flexibilität erreicht: Als Systeme sind wir nicht mehr<br />
in starre Reaktionsmuster gepreßt. Wir sind auch ökologisch offene Wesen,<br />
die in einer Vielzahl natürlicher oder selbstgeschaffener Umwelten existie<br />
ren können. Die aktuelle technische Metapher, mit deren Hilfe wir nun für<br />
einige Zeit den Prozeß der Selbsterkenntnis vorantreiben können, ist das<br />
Netz. Wir sind Systeme, die durch Myriaden mikrofunktionaler Zustände<br />
ein großes Maß an Information gleichzeitig verarbeiten können sogar <strong>und</strong><br />
gerade dann, wenn diese Information „verrauscht“ oder uneindeutig ist.<br />
Auch für das phänomenale Ich, das <strong>Selbstmodell</strong>, gibt es eine neue Meta<br />
pher: Da es nicht nur einen Gehalt, sondern auch ein funktionales Profil<br />
besitzt, können wir es als eine virtuelle Maschine interpretieren, die durch<br />
einen speziellen Mechanismus implementiert ist, der beim Menschen<br />
durch die Aktivität einer genetisch fixierten <strong>und</strong> fest verdrahteten Neuro<br />
matrix das Körperschema gebildet wird. Sein F<strong>und</strong>ament ist der konti<br />
nuierliche <strong>und</strong> inputunabhängige Signalaspekt des Körperpräsentats, der<br />
physische Anker des phänomenalen Ich. Dieser spezielle Mechanismus<br />
macht das <strong>Selbstmodell</strong> zu einem diskreten funktionalen Subsystem, wel<br />
ches in diesem Sinn eine gewisse Autonomie besitzt.<br />
Wir bewegen uns in hochabstrakten, multidimensionalen Räumen. Die<br />
Tatsache, daß unser mentales Realitätsmodell sich durch eine starke phäno<br />
menale Konkretheit auszeichnet, darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß<br />
die zugr<strong>und</strong>eliegenden Mechanismen der Informationsverarbeitung sehr<br />
komplex sind. Die Formalismen <strong>und</strong> Algorithmen, die nötig sind, um die<br />
Entstehung repräsentationalen Gehalts in unseren Gehirnen zu erfassen,<br />
sind allem Anschein nach recht abstrakt <strong>und</strong> umfangreich. Besonders die