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Metzinger · Subjekt und Selbstmodell - Cogprints

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288<br />

5. Kapitel<br />

Realitätsmodells zeigt sich besonders prägnant in dem was Thomas Nagel<br />

als unsere Kompetenz für Objektivität bezeichnet hat: In unserer Fähigkeit<br />

zu repräsentationaler Selbsttranszendenz. Die Fähigkeit zur Abschwächung<br />

der Perspektivität unseres mentalen Modells der Realität durch den Blick<br />

von nirgendwo ist möglicherweise das philosophisch bedeutsamste Charak<br />

teristikum menschlicher <strong>Subjekt</strong>ivität. Auch wenn der Blick von nirgendwo<br />

am Ende doch nur eine natürlich entstandene Fähigkeit unserer Gehirne<br />

ist, die zu einer neuen Objektbildung auf einer höheren Ebene führt, kann<br />

man die Fähigkeit zur repräsentationalen Distanzierung vom <strong>Selbstmodell</strong><br />

als unsere höchste <strong>und</strong> bedeutende kognitive Kompetenz ansehen. Viel<br />

leicht ist das Ich nicht die Grenze der Welt, sondern die Fähigkeit, diese<br />

Grenze auf immer höheren phänomenalen Ebenen neu zu ziehen.<br />

Unser funktionales Profil ist reich, flexibel <strong>und</strong> erfolgreich. Gemessen an<br />

allen anderen informationsverarbeitenden Systemen, die wir aus der biolo<br />

gischen Geschichte unseres Planeten kennen oder selbst konstruiert haben,<br />

sind wir von überlegener funktionaler Komplexität. Die Breite unserer<br />

Handlungsmöglichkeiten auch unserer inneren Handlungsmöglichkei<br />

ten ist so enorm, daß sie zum Problem geworden ist. Als Gattung sind wir<br />

bisher äußerst erfolgreich, wir haben die biologische Evolution um eine,<br />

wenn auch wesentlich primitivere, kulturelle Evolution bereichert. In der<br />

Interaktion mit der Umwelt <strong>und</strong> miteinander haben wir ein beträchtliches<br />

Maß an funktionaler Flexibilität erreicht: Als Systeme sind wir nicht mehr<br />

in starre Reaktionsmuster gepreßt. Wir sind auch ökologisch offene Wesen,<br />

die in einer Vielzahl natürlicher oder selbstgeschaffener Umwelten existie<br />

ren können. Die aktuelle technische Metapher, mit deren Hilfe wir nun für<br />

einige Zeit den Prozeß der Selbsterkenntnis vorantreiben können, ist das<br />

Netz. Wir sind Systeme, die durch Myriaden mikrofunktionaler Zustände<br />

ein großes Maß an Information gleichzeitig verarbeiten können sogar <strong>und</strong><br />

gerade dann, wenn diese Information „verrauscht“ oder uneindeutig ist.<br />

Auch für das phänomenale Ich, das <strong>Selbstmodell</strong>, gibt es eine neue Meta<br />

pher: Da es nicht nur einen Gehalt, sondern auch ein funktionales Profil<br />

besitzt, können wir es als eine virtuelle Maschine interpretieren, die durch<br />

einen speziellen Mechanismus implementiert ist, der beim Menschen<br />

durch die Aktivität einer genetisch fixierten <strong>und</strong> fest verdrahteten Neuro<br />

matrix das Körperschema gebildet wird. Sein F<strong>und</strong>ament ist der konti<br />

nuierliche <strong>und</strong> inputunabhängige Signalaspekt des Körperpräsentats, der<br />

physische Anker des phänomenalen Ich. Dieser spezielle Mechanismus<br />

macht das <strong>Selbstmodell</strong> zu einem diskreten funktionalen Subsystem, wel<br />

ches in diesem Sinn eine gewisse Autonomie besitzt.<br />

Wir bewegen uns in hochabstrakten, multidimensionalen Räumen. Die<br />

Tatsache, daß unser mentales Realitätsmodell sich durch eine starke phäno<br />

menale Konkretheit auszeichnet, darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß<br />

die zugr<strong>und</strong>eliegenden Mechanismen der Informationsverarbeitung sehr<br />

komplex sind. Die Formalismen <strong>und</strong> Algorithmen, die nötig sind, um die<br />

Entstehung repräsentationalen Gehalts in unseren Gehirnen zu erfassen,<br />

sind allem Anschein nach recht abstrakt <strong>und</strong> umfangreich. Besonders die

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