Metzinger · Subjekt und Selbstmodell - Cogprints
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286<br />
5. Kapitel<br />
Es mag zudem sein, daß uns eine zukünftige Theorie des Geistes wenn<br />
auch vielleicht nicht als pure Epiphänomene, so aber doch als Wesen dar<br />
stellt, deren subjektive Zustände in ihrem Gehalt in viel stärkerer Weise<br />
durch bewußtseinsexterne Faktoren, also „von unten“, determiniert sind,<br />
als wir introspektiv ahnen können. Es könnte sein, daß unsere Selbstmodel<br />
le in bezug auf die Rationalität unserer Handlungen <strong>und</strong> auf unsere kausale<br />
Rolle bei der Handlungsgenese als geistige Wesen schlicht falsch sind:<br />
Funktional adäquate innere Konfabulationen, die das phänomenale Selbst<br />
als den Initiator von Handlungen repräsentieren, während es in Wirklich<br />
keit nur der subjektive Schatten von Aktivitäten ist, die die neuronale<br />
Maschinerie immer schon durchgeführt hat. Für solche Thesen ist es beim<br />
gegenwärtigen Stand unseres empirischen Wissens noch zu früh. Es gibt<br />
jedoch Anzeichen, die in diese Richtung deuten. 45 Als physische Systeme<br />
sind wir zudem Wesen, die durch einen Schleier aus tanzender Information<br />
von sich selbst <strong>und</strong> der Welt getrennt sind. Wir sind uns selbst nicht in der<br />
Direktheit eines sich selbst durchsichtigen Ichs gegeben, sondern nur durch<br />
die Produkte des von uns selbst erzeugten inneren Informationsflusses.<br />
Aufgr<strong>und</strong> von Eigenheiten der Weise, in der wir die Welt <strong>und</strong> uns selbst für<br />
uns selbst darstellen, wird dieser Informationsfluß nicht nur zum Medium<br />
der Wissensgewinnung sondern auch zum Schleier, der uns auf der Ebene<br />
innerenErlebensineinemnaivrealistischen Selbstmißverständnis gefan<br />
genhält. Allein die Tatsache, daß wir diese Einsicht aussprechen <strong>und</strong> nun<br />
im Rahmen naturalistischer Theorien des Geistes mit zunehmender Ge<br />
nauigkeit werden formulieren können, zeigt jedoch, daß dies nicht der<br />
Endpunkt unserer Entwicklung sein muß.<br />
Das neue Bild vom Menschen als eines endlichen Repräsentationssy<br />
stems mit einer natürlichen Genese ist aber nicht nur eine Demütigung, die<br />
uns nun endgültig einer Würde beraubt, die im Gr<strong>und</strong>e schon immer eine<br />
Illusion war. Ein neues Selbstverständnis ist immer auch eine Chance: Die<br />
Chance, eine neue Perspektive auf sich selbst einzunehmen <strong>und</strong> unsere<br />
rationale Selbsterkenntnis auf eine neue Ebene zu heben. Das neue Bild<br />
von uns selbst als biologischen <strong>Selbstmodell</strong>erzeugern birgt die Chance, die<br />
Merkmale,diedasneueBildalszentralzeigt,anzunehmen <strong>und</strong> gegebe<br />
nenfalls sogar zu kultivieren. Ein würdevoller Umgang mit der eigenen<br />
Natur kann somit darin bestehen, den Tatsachen ins Auge zu schauen <strong>und</strong><br />
dann auf der Gr<strong>und</strong>lage eines realistischen Selbstbildes Zielvorstellungen<br />
zu definieren. Denn auch jenseits essentialistischer <strong>Subjekt</strong>metaphysik er<br />
geben sich eine ganze Reihe neuer Perspektiven, aus denen wir als in vieler<br />
Hinsicht w<strong>und</strong>erbare Wesen erscheinen.<br />
Der Zustandsraum von Gehirnen ist unfaßbar groß. Die Systeme, die<br />
unsere phänomenale Realität erzeugen, besitzen einen Komplexitätsgrad,<br />
den wir subjektiv auch nicht ansatzweise erfassen können. Die Anzahl der<br />
ihnen möglichen Zustände ist gigantisch, zu groß um in der Periode eines<br />
einzigen Menschenlebens durchlaufen zu werden. Ich habe bereits früher<br />
45 Vgl. etwa Edelman 1989 <strong>und</strong> die bereits zitierten Arbeiten von Libet.