Metzinger · Subjekt und Selbstmodell - Cogprints

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23.10.2012 Aufrufe

28 1. Kapitel Ereignissen korreliert, andererseits scheint eine physikalistische Reduktion oder eine funktionale Analyse dieses Phänomens unmöglich. Selbst wenn es uns gelänge, einer Maschine all die funktionalen Eigen schaften zu verleihen, die wir bei einem Menschen als Merkmale von Be wußtheit ansehen, würden wir deshalb noch lange nicht glauben, daß diese Maschine auch bewußt ist. Angenommen, wir programmieren ein künstli ches System auf eine Weise (oder bringen ihm bei, wie es sich selbst pro grammiert), die es ihm ermöglicht, sich intelligent und zielgerichtet zu verhalten und sich erfolgreich in der Welt zu bewegen wer von uns würde glauben, daß wir Künstliches Bewußtsein realisiert hätten und nicht bloß Künstliche Intelligenz? Wären wir mit einem natürlichsprachigen System konfrontiert, welches auf eine derart umfangreiche Wissensbasis zugreifen könnte und über ein so reiches implizites Hintergrundwissen bezüglich unserer Lebensform verfügen würde, daß es den Turing Test 9 bestünde und für beliebige menschliche Kommunikationspartner nicht mehr aufgrund von Defiziten in der Fähigkeit, ein intelligentes Gespräch mit ihnen zu führen, als künstliches System zu entlarven wäre: Hätten wir nicht immer noch starke Zweifel daran, daß in einem solchen künstlichen System das Licht der Bewußtheit scheint? Wenn ein sprachbegabter Roboter der Zu kunft durch ein so komplexes und subtiles Netz von Kausalketten und funktionalen Zuständen mit seiner Umwelt verwoben wäre, daß wir bei der Vorhersage und Erklärung seiner Handlungen nicht umhin könnten, ihn als intentionales System 10 zu beschreiben, als ein solches System, dessen innere Zustände wir als Zustände mit intentionalem Gehalt analysieren müssen, wenn wir seine Verhaltensmuster überhaupt noch verstehen wollen wür den wir deshalb annehmen, daß wir nun auch ein phänomenales System konstruiert haben? Sicher nicht. Wir können vielleicht kognitiveAgenten konstruieren, han delnde Systeme, die aktiv Wissen über die Welt aufbauen und für gewisse Zwecke einsetzen. Es mag auch sein, daß solche technischen Dämonen uns recht bald durch die Komplexität ihres behavioralen Profils und durch den repräsentationalen Reichtum ihrer internen Zustände verblüffen werden. Aber solange wir diese internen Zustände durch Turing Maschinentafeln, Blockschaltbilder oder Flußdiagramme erläutern können, solange können wir immer sagen: „All dies ist vollkommen ohne Bewußtsein möglich! Wir haben es mit einem mechanischen System zu tun, alle seine Eigenschaften sind aus den Eigenschaften seiner Teile und ihren Beziehungen untereinan der abzuleiten. Selbst wenn es dem System gelingt, durch sein enormes Wissen, seine Flexibilität und seine beeindruckenden Fähigkeiten auf der 9 Vgl. Turing 1950; dazu auch Beckermann 1988, 1990, Boden 1990a, Davidson 1990, Narayan 1990, Putnam 1987, Rheinwald 1991, Searle 1980, 1986. Alan Turings bahnbrechen der Aufsatz über berechenbare Zahlen und das Entscheidungsproblem (Turing 1937) darf als der theoretische Eintritt der Menschheit in das Computerzeitalter gelten. Einen guten Über blick über die Entwicklung in dem seitdem vergangenen halben Jahrhundert gibt der von Rolf Herken zusammengestellte Sammelband; vgl. Herken 1988. 10 Vgl. Dennett 1981, 1987.

Auf dem Weg zu einer neuen Theorie des Geistes 29 Performanzebene unsere Intuitionen ins Wackeln zu bringen, dürfen wir eines nicht vergessen: Das System wird niemals wirklich verstehen, was der Unterschied zwischen Wachen und Schlafen ist . . .“ Unangenehm würde die Situation erst, wenn einer unserer künstlichen kognitiven Agenten (in der ihm eigenen sachlichen Art und Weise) erwi dert:„Aberihrwißtesjaselbst gar nicht!“ Wenn ein künstliches System uns in eine Diskurssituation zwingt und rational für seine eigene Theorie des Geistes zu argumentieren beginnt, dann wären wir gezwungen, ihm zu zeigen, daß der Term „Bewußtsein“ einen sinnvollen Platz in einer wissen schaftlichen Taxonomie psychischer Zustände einnimmt, die der seinigen überlegen ist. Sollte uns dies nicht gelingen 11 , müßten wir uns auf außerwis senschaftliche Erkenntnisquellen berufen und sagen: „Was Bewußtsein ist, ist evident. Alle bewußten Wesen zu denen Du nicht gehörst wissen,daß sie bewußt sind und verstehen sofort, was mit diesem Ausdruck gemeint ist.“ Bestimmt würden an diesem Punkt eine Reihe materialistischer Philo sophen die Solidarität aller biologischen Wesen durchbrechen und mit dem Stolz der Ketzer verkünden, daß auch sie noch nie verstehen konnten, was es eigentlich heißt, daß sie „Bewußtsein“ besitzen sollen. Wollte man eine solche unheilige anti cartesianische Allianz erfolgreich zurückschlagen, so müßte man überzeugend darlegen können, daß das, was wir alle immer schon ganz selbstverständlich als unser Bewußtsein bezeichnen, ein reales Phänomen ist, dem eine präzise Position innerhalb einer naturalistischen Theorie des Geistes zugewiesen werden kann. Dies mag sich als ein schwieriges Projekt herausstellen. Wenn wirklich ist, was wirkt, dann könnte sich herausstellen, daß Bewußtsein bestenfalls ein Epiphänomen 12 ohne kausale Wirksamkeit ist. Denn kausale Erklärun 11 Wenn es uns (bereits vorher)gelingt, dann werden wir diese wissenschaftliche Einsicht in das Wesen der Bewußtheit prinzipiell auch technologisch umsetzen können. Karl Popper verleiht dem mit dieser Einsicht verbundenen konservativen Unbehagen Ausdruck, indem er schreibt: „Turing (1950) sagte es einmal ungefähr so: Gib genau an, worin deiner Meinung nach ein Mensch einem Computer überlegen sein soll, und ich werde dir einen Computer bauen, der deinen Glauben widerlegt. Wir sollten Turings Herausforderung nicht annehmen, denn jede hinreichend genaue Bestimmung könnte prinzipiell zur Programmierung eines Computers verwendet werden.“ (Popper ⁄ Eccles 1982: 257) 12 Eine gute Analyse der Problematik bietet Peter Bieri in „Trying out Epiphenomenalism“ an; vgl. Bieri 1990. Eines der zentralen Probleme ist in diesem Zusammenhang die Frage, ob der intentionale Gehalt mentaler Zustände (bzw. ihre fragliche Bewußtheit) eine kausale Rolle bei der Genese von Verhalten spielen muß, um dieses in manchen Fällen als rationales Verhalten bezeichnen zu können. Mir scheint, daß wir, um noch wirklich an unsere eigene Vernünftigkeit als auch introspektiv erlebtes Phänomen glauben zu können, dezidierte Realisten bezüglich der Rationalität mancher unserer inneren Operationen sein müßten. Bieri glaubt dies nicht, weil für ihn Rationalitätszuschreibungen auf abstrakte Entitäten Bezug nehmen (vgl. hierzu Dennett 1987) und mit einem empirisch methodologisch fundierten Epiphänomenalismus verträglich sind. „On the contrary, rationalizing explanations proceed and can succeed independently of any questions regarding internal mechanisms. It is not the causal properties of reasons which are invoked but the content properties pertinent to the possibility of justifying behavior. Thus, it doesn’t matter that rationalizing explanations are not extendible like causal explanations. They are not supposed to be (. . .). So epiphenomenalism does not endanger psychological understan ding as a rationalistic hermeneutics.“ (Bieri 1990: 34)

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1. Kapitel<br />

Ereignissen korreliert, andererseits scheint eine physikalistische Reduktion<br />

oder eine funktionale Analyse dieses Phänomens unmöglich.<br />

Selbst wenn es uns gelänge, einer Maschine all die funktionalen Eigen<br />

schaften zu verleihen, die wir bei einem Menschen als Merkmale von Be<br />

wußtheit ansehen, würden wir deshalb noch lange nicht glauben, daß diese<br />

Maschine auch bewußt ist. Angenommen, wir programmieren ein künstli<br />

ches System auf eine Weise (oder bringen ihm bei, wie es sich selbst pro<br />

grammiert), die es ihm ermöglicht, sich intelligent <strong>und</strong> zielgerichtet zu<br />

verhalten <strong>und</strong> sich erfolgreich in der Welt zu bewegen wer von uns würde<br />

glauben, daß wir Künstliches Bewußtsein realisiert hätten <strong>und</strong> nicht bloß<br />

Künstliche Intelligenz? Wären wir mit einem natürlichsprachigen System<br />

konfrontiert, welches auf eine derart umfangreiche Wissensbasis zugreifen<br />

könnte <strong>und</strong> über ein so reiches implizites Hintergr<strong>und</strong>wissen bezüglich<br />

unserer Lebensform verfügen würde, daß es den Turing Test 9 bestünde <strong>und</strong><br />

für beliebige menschliche Kommunikationspartner nicht mehr aufgr<strong>und</strong><br />

von Defiziten in der Fähigkeit, ein intelligentes Gespräch mit ihnen zu<br />

führen, als künstliches System zu entlarven wäre: Hätten wir nicht immer<br />

noch starke Zweifel daran, daß in einem solchen künstlichen System das<br />

Licht der Bewußtheit scheint? Wenn ein sprachbegabter Roboter der Zu<br />

kunft durch ein so komplexes <strong>und</strong> subtiles Netz von Kausalketten <strong>und</strong><br />

funktionalen Zuständen mit seiner Umwelt verwoben wäre, daß wir bei der<br />

Vorhersage <strong>und</strong> Erklärung seiner Handlungen nicht umhin könnten, ihn als<br />

intentionales System 10 zu beschreiben, als ein solches System, dessen innere<br />

Zustände wir als Zustände mit intentionalem Gehalt analysieren müssen,<br />

wenn wir seine Verhaltensmuster überhaupt noch verstehen wollen wür<br />

den wir deshalb annehmen, daß wir nun auch ein phänomenales System<br />

konstruiert haben?<br />

Sicher nicht. Wir können vielleicht kognitiveAgenten konstruieren, han<br />

delnde Systeme, die aktiv Wissen über die Welt aufbauen <strong>und</strong> für gewisse<br />

Zwecke einsetzen. Es mag auch sein, daß solche technischen Dämonen uns<br />

recht bald durch die Komplexität ihres behavioralen Profils <strong>und</strong> durch den<br />

repräsentationalen Reichtum ihrer internen Zustände verblüffen werden.<br />

Aber solange wir diese internen Zustände durch Turing Maschinentafeln,<br />

Blockschaltbilder oder Flußdiagramme erläutern können, solange können<br />

wir immer sagen: „All dies ist vollkommen ohne Bewußtsein möglich! Wir<br />

haben es mit einem mechanischen System zu tun, alle seine Eigenschaften<br />

sind aus den Eigenschaften seiner Teile <strong>und</strong> ihren Beziehungen untereinan<br />

der abzuleiten. Selbst wenn es dem System gelingt, durch sein enormes<br />

Wissen, seine Flexibilität <strong>und</strong> seine beeindruckenden Fähigkeiten auf der<br />

9 Vgl. Turing 1950; dazu auch Beckermann 1988, 1990, Boden 1990a, Davidson 1990,<br />

Narayan 1990, Putnam 1987, Rheinwald 1991, Searle 1980, 1986. Alan Turings bahnbrechen<br />

der Aufsatz über berechenbare Zahlen <strong>und</strong> das Entscheidungsproblem (Turing 1937) darf als<br />

der theoretische Eintritt der Menschheit in das Computerzeitalter gelten. Einen guten Über<br />

blick über die Entwicklung in dem seitdem vergangenen halben Jahrh<strong>und</strong>ert gibt der von Rolf<br />

Herken zusammengestellte Sammelband; vgl. Herken 1988.<br />

10 Vgl. Dennett 1981, 1987.

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