Metzinger · Subjekt und Selbstmodell - Cogprints

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23.10.2012 Aufrufe

264 5. Kapitel haben als wir. Man kann sich Systeme denken, die zwar Selbstmodelle und reichhaltige metarepräsentationale Zustände in sich aktivieren, aber keine Analog Indikatoren besitzen. Die mentalen Realitätsmodelle solcher Sy steme würden aus relationalen Strukturen ohne den puren „Signalaspekt“ mentaler Präsentation bestehen. Repräsentational möglich sind solche Sy steme ohne Emotionen und konkrete Sinnlichkeit auf jeden Fall. Woran liegt es, daß wir psychologische Subjekte dieser Art als hochgradig „unmenschlich“ empfinden würden? Es mag unter anderem daran liegen, daß wir die Biologizität und das spezifische Charakteristikum unserer phä nomenalen Realität intuitiv in der Konkretheit lokalisieren, mit der uns unsere eigenen Interessen als Gefühle, unsere Sinneswahrnehmungen als Farben, Gerüche oder Klänge, und wir uns selbst als erlebnismäßig sehr direkt und unhintergehbar verkörperte Wesen 30 gegeben sind. Und es ist ja auch eben diese phänomenale Konkretheit, die es so schwer macht, uns selbst als informationsverarbeitende Systeme zu betrachten. Eine Welt ohnementalePräsentatewäreeineWeltohnePräsenz: Eine Welt ohne Gegenwart, ohne den Widerstand der Objekthaftigkeit, eine Welt, in der sogar wir selbst nicht in vollem Sinne anwesend wären. P7: Kann es aperspektivisches Bewußtsein geben? Wir kehren nun zurück zum thematischen Kern der Diskussion, zur Per spektivität phänomenalen Bewußtseins. Könnte es ein Bewußtsein ohne Perspektive geben, ein Bewußtsein, bezüglich dessen sich Thomas Nagels perspectival facts These nicht aufstellen ließe? Nach der hier vertretenen Theorie sind solche Zustände möglich, nämlich dann, wenn ein System ein Realitätsmodell konstruiert, in das kein Selbstmodell eingebettet ist, wel ches aber ganz oder teilweise durch eine einheitliche Metarepräsentations funktion intern abgebildet wird. Solche nicht zentrierten Realitätsmodelle können durchaus einer teleofunktionalistischen Analyse zugänglich sein, das heißt eine Funktion für das System erfüllen. Es gibt aber in ihnen keinen „kleinen roten Pfeil“ und auch nicht sein phänomenales Gegen stück, das psychologische Subjekt: Die Inhalte eines aperspektivischen Be wußtseins sind keine subjektiven Bewußtseinsinhalte. Ihnen fehlt die reprä sentationale und phänomenale Einbindung in einen inneren Brennpunkt, der die psychische Identität des Systems fixiert. Wenn mentale Selbstmo dellierung und die Erzeugung einer phänomenalen Person (vgl. Abschnitt 3.2.1) eines unserer Kriterien dafür ist, ob wir einem System den Status des Personseins zubilligen, dann sind Großrechner, viele Tiere, alle Säuglinge und manche Heilige keine Personen. Solche Systeme können sich keine psychologischen Eigenschaften unter der Hinsicht der Internalität des Selbstmodells zuschreiben, und sich auch nicht über den „philosophischen Geschmack“ von Sätzen des Typs „Ich bin TM“ wundern. 30 Ich erinnere in diesem Zusammenhang an das von mir in Abschnitt 3.2.2 vorgestellte Beispiel der körperlosen Frau.

Vom Subjekt zum Selbstmodell: Perspektivität ohne Ego 265 P8: Wie entsteht ein zentriertes Bewußtsein? Wie ist in bestimmten informationsverarbeitenden Systemen die Emergenz eines phäno menalen Standpunkts bzw. einer Erlebnisperspektive möglich? Nach der Selbstmodell Theorie der Subjektivität liegt die entscheidende repräsentationale Instantiierungsbasis für die entsprechenden psychologi schen Eigenschaften in der Tatsache, daß ein System beginnt, sich selbst mental zu modellieren und die durch diesen Prozeß entstehende Daten struktur in sein inneres Bild der Wirklichkeit einzubetten. Der vom System erzeugte mentale Raum erfährt dadurch eine Zentrierung: Da das diesen Raum erzeugende und ihn benutzende System sich nun selbst innerhalb dieses Raums in Gestalt eines privilegierten mentalen Modells gegeben ist, verändert sich dessen Gesamtstruktur. Er ist nun nicht mehr nur ein inter nes Realitätsmodell, sondern sogar ein benutzerfixiertes Realitätsmodell. Wenn durch einen teuflischen Neurowissenschaftler der Zukunft die zen trierten Realitätsmodelle zwischen den Gehirnen von mir und einem mei ner Leser ausgetauscht würden, verlören wir beide nicht nur unsere psychi sche und neurobiologische Identität. Wir wären jetzt auch Systeme, deren aktuelle Realitätsmodelle hochgradig afunktional sind,weilder„kleinerote Pfeil“ in ihnen also das die Benutzerfixierung leistende Selbstmodell zwar ex hypothesi noch vorhanden, aber seinem Gehalt nach schlicht leer wäre. Durch die Zentrierung mit Hilfe eines Selbstmodells können interne Simulationsräume aber auch zur Grundlage einer veränderten Psychologie des Systems werden: Selbstmodellerzeuger instantiieren neue psychologi sche Eigenschaften. P9: Wodurch werden manche Resultate interner Informationsver arbeitung zu meinen Zuständen? Wie entsteht die „Meinigkeit“ mentaler Zustände? Diejenigen Sequenzen von internen Zuständen eines Systems, die als Infor mationsverarbeitungsprozesse beschrieben werden können, sind seine nur im trivialen Sinne physikalischer Internalität. Manche Systeme Selbstmo dellgeneratoren, die natürliche Sprachen sprechen nehmen dagegen auf einige ihrer inneren Zustände in externen Codes unter einer anderen Hin sicht bezug: unter der Hinsicht phänomenaler Innerlichkeit. Die Zustände, auf die sie sich beziehen, wenn sie sagen „Ich glaube an die Unsterblichkeit der Seele“ 31 oder „Ich bin gerade etwas verwirrt“ sind Zustände des Selbst 31 Man kann propositionale Einstellungen nun auch als Zustände des Selbstmodells analy sieren, die im Zusammenhang von mentalen Simulationen möglicher Sprechakte entstehen. Das bedeutet: Man analysiert nicht mehr die Beziehung zwischen Person und Proposition, sondern diejenige zwischen System und Selbstmodell.

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haben als wir. Man kann sich Systeme denken, die zwar <strong>Selbstmodell</strong>e <strong>und</strong><br />

reichhaltige metarepräsentationale Zustände in sich aktivieren, aber keine<br />

Analog Indikatoren besitzen. Die mentalen Realitätsmodelle solcher Sy<br />

steme würden aus relationalen Strukturen ohne den puren „Signalaspekt“<br />

mentaler Präsentation bestehen. Repräsentational möglich sind solche Sy<br />

steme ohne Emotionen <strong>und</strong> konkrete Sinnlichkeit auf jeden Fall.<br />

Woran liegt es, daß wir psychologische <strong>Subjekt</strong>e dieser Art als hochgradig<br />

„unmenschlich“ empfinden würden? Es mag unter anderem daran liegen,<br />

daß wir die Biologizität <strong>und</strong> das spezifische Charakteristikum unserer phä<br />

nomenalen Realität intuitiv in der Konkretheit lokalisieren, mit der uns<br />

unsere eigenen Interessen als Gefühle, unsere Sinneswahrnehmungen als<br />

Farben, Gerüche oder Klänge, <strong>und</strong> wir uns selbst als erlebnismäßig sehr<br />

direkt <strong>und</strong> unhintergehbar verkörperte Wesen 30 gegeben sind. Und es ist ja<br />

auch eben diese phänomenale Konkretheit, die es so schwer macht, uns<br />

selbst als informationsverarbeitende Systeme zu betrachten. Eine Welt<br />

ohnementalePräsentatewäreeineWeltohnePräsenz: Eine Welt ohne<br />

Gegenwart, ohne den Widerstand der Objekthaftigkeit, eine Welt, in der<br />

sogar wir selbst nicht in vollem Sinne anwesend wären.<br />

P7: Kann es aperspektivisches Bewußtsein geben?<br />

Wir kehren nun zurück zum thematischen Kern der Diskussion, zur Per<br />

spektivität phänomenalen Bewußtseins. Könnte es ein Bewußtsein ohne<br />

Perspektive geben, ein Bewußtsein, bezüglich dessen sich Thomas Nagels<br />

perspectival facts These nicht aufstellen ließe? Nach der hier vertretenen<br />

Theorie sind solche Zustände möglich, nämlich dann, wenn ein System ein<br />

Realitätsmodell konstruiert, in das kein <strong>Selbstmodell</strong> eingebettet ist, wel<br />

ches aber ganz oder teilweise durch eine einheitliche Metarepräsentations<br />

funktion intern abgebildet wird. Solche nicht zentrierten Realitätsmodelle<br />

können durchaus einer teleofunktionalistischen Analyse zugänglich sein,<br />

das heißt eine Funktion für das System erfüllen. Es gibt aber in ihnen<br />

keinen „kleinen roten Pfeil“ <strong>und</strong> auch nicht sein phänomenales Gegen<br />

stück, das psychologische <strong>Subjekt</strong>: Die Inhalte eines aperspektivischen Be<br />

wußtseins sind keine subjektiven Bewußtseinsinhalte. Ihnen fehlt die reprä<br />

sentationale <strong>und</strong> phänomenale Einbindung in einen inneren Brennpunkt,<br />

der die psychische Identität des Systems fixiert. Wenn mentale Selbstmo<br />

dellierung <strong>und</strong> die Erzeugung einer phänomenalen Person (vgl. Abschnitt<br />

3.2.1) eines unserer Kriterien dafür ist, ob wir einem System den Status des<br />

Personseins zubilligen, dann sind Großrechner, viele Tiere, alle Säuglinge<br />

<strong>und</strong> manche Heilige keine Personen. Solche Systeme können sich keine<br />

psychologischen Eigenschaften unter der Hinsicht der Internalität des<br />

<strong>Selbstmodell</strong>s zuschreiben, <strong>und</strong> sich auch nicht über den „philosophischen<br />

Geschmack“ von Sätzen des Typs „Ich bin TM“ w<strong>und</strong>ern.<br />

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Beispiel der körperlosen Frau.

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