Metzinger · Subjekt und Selbstmodell - Cogprints
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5. Kapitel<br />
wir die entsprechenden repräsentationalen Gesamtzustände nicht <strong>und</strong> kön<br />
nen sie uns auch nicht vorstellen. Die Tatsache, daß die meisten von uns<br />
gewisse mentale Simulationen nicht durchführen können, sagt aber nichts<br />
über den analytischen Status der Sätze aus, mit denen wir uns extern auf die<br />
entsprechenden mentalen Modelle beziehen könnten. Das gilt auch mit Blick<br />
auf die von Thomas Nagel so eindrücklich explizierte Kontingenz Intuition,<br />
die uns glauben läßt: „Ich hätte auch ein(e)ganz andere(r) sein können!“ Der<br />
von Vertretern eines essentialistischen <strong>Subjekt</strong>begriffs immer wieder nahege<br />
legte Fehlschluß beruht nämlich auf einer Verwechslung von mentaler Simu<br />
lation oder repräsentationalem Gesamtzustand einerseits <strong>und</strong> philosophi<br />
scher Ontologie andererseits. Die unbestrittene Tatsache ist, daß wir alle uns<br />
sehr wohl vorstellen können, ganz andere öffentliche <strong>und</strong> private Eigenschaf<br />
tenzubesitzen etwa die von Immanuel Kant. Das heißt aber nichts anderes<br />
als das Folgende: Unsere Gehirne können in einer bestimmten Partition des<br />
von ihnen geöffneten phänomenalen Raumes ein fiktives Selbstsimulat akti<br />
vieren, das die uns bekannten Eigenschaften von Immanuel Kant mehr oder<br />
weniger gut abbildet. Um den entsprechenden fiktiven Bewußtseinzustand<br />
zu erzeugen, müßte allerdings das alte Selbst vollkommen verloren gehen<br />
<strong>und</strong> ein entsprechender repräsentationaler Gesamtzustand aktiviert werden.<br />
Wir wären dann Systeme, die aufgr<strong>und</strong> eines hochgradig afunktionalen<br />
Selbstsimulats glauben, sie seien Immanuel Kant <strong>und</strong> sich selbst auch ent<br />
sprechend erleben. Wie die meisten meiner Kollegen wissen, treten solche<br />
Systeme tatsächlich immer wieder einmal auf. Aber gerade solche wahnarti<br />
gen, auf außer Kontrolle geratenen mentalen Simulationsversuchen beru<br />
henden Zustände zeigen ja, daß es eben keinen essentiellen Wesenskern des<br />
phänomenalen Ich mehr gibt. Aus der intendierten Erzeugung von Selbstsi<br />
mulaten dagegen kann man keine Schlüsse auf die ontologische Struktur der<br />
Welt oder die Analytizität der diese Simulate extern indizierenden Sätze<br />
ziehen: Repräsentationale Möglichkeiten rechtfertigen weder Existenzan<br />
nahmen noch Aussagen über logisch mögliche Welten (auf das, was Nagel<br />
„den Übergang von einem objektiven in ein subjektives Weltbild“ nennt,<br />
gehe ich weiter unten ein). Was in allen subjektiven repräsentationalen Ge<br />
samtzuständen auch dann, wenn sie zusätzliche simulierte <strong>Selbstmodell</strong>e<br />
enthalten gleich bleibt, ist ihre Zentriertheit. Die phänomenale Perspektivi<br />
tät des entsprechenden Bewußtseinszustands ist aber kein perspectival fact<br />
im ontologisierten Nagelschen Sinne, sondern einfach eine psychologische<br />
Eigenschaft, die von einem System durch die Aktivierung eines zentrierten<br />
Realitätsmodells instantiiert wird.<br />
Werfen wir abschließend auch einen kurzen Blick auf die mythologische<br />
Intuition bezüglich der nicht derivativen Gegebenheit subjektiver Inhalte.<br />
Mentale Präsentate werden so schnell <strong>und</strong> zuverlässig aktiviert, daß die sie<br />
darstellende <strong>und</strong> zu Bewußtseinsinhalten machende Metarepräsentations<br />
funktion ihren Konstruktionsprozeß nicht mehr erfaßt. 6 Dadurch werden<br />
6 Es mag auch sein, daß diese metarepräsentationale Erfassung deswegen nicht gelingt, weil<br />
sie bereits in der funktionalen Architektur des Gehirns nicht „vorgesehen“ ist.