Metzinger · Subjekt und Selbstmodell - Cogprints
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Fledermäuse, objektive Selbste <strong>und</strong> die Irreduzibilität der Innenperspektive 237<br />
Neuere Forschungsergebnisse zeigen, daß die <strong>Subjekt</strong>geb<strong>und</strong>enheit men<br />
taler Repräsentate genetisch stark durch bewußtseinsexterne Faktoren be<br />
dingt ist. Allerdings sind solche Einsichten erstens demütigend <strong>und</strong> emotio<br />
nal unattraktiv, zweitens kollidieren sie frontal mit unserem Erleben, mit<br />
unserer vorphilosophisch lebensweltlichen Selbsterfahrung. Wie könnten<br />
meine Gedanken <strong>und</strong> Gefühle jemals 54 etwas anderes sein oder gewesen<br />
sein, als meine Gedanken <strong>und</strong> Gefühle? Für die meisten von uns scheint<br />
eines sicher: Meine mentalen Zustände sind <strong>und</strong> werden immer an mein<br />
Ich geb<strong>und</strong>en sein, mein Bewußtsein hat ein Zentrum <strong>und</strong> dieses Zentrum<br />
kann es nicht verlieren. Es ist diese scheinbare innere Gewißheit, die Na<br />
gels Argumenten einen Großteil ihrer Plausibilität verleiht <strong>und</strong> anti essen<br />
tialistischen Einwänden sofort das Handikap der Kontraintuitivität. Ich<br />
werde diese dritte Intuition ab jetzt die „Zentriertheits Intuition“ nennen.<br />
Sie erzeugt unter anderem das Problem, wie in einem physikalischen Uni<br />
versum phänomenale Standpunkte entstehen können, beziehungsweise: in<br />
parallel distribuiert arbeitenden Gehirnen ein zentriertes Bewußtsein.<br />
Daniel Dennett hat darauf hingewiesen, daß jede Theorie, die einen<br />
Fortschritt erzielt, anfänglich kontraintuitiv sein wird. 55 Die Zentriertheits<br />
Intuition ist eine spezifisch abendländische Erscheinung <strong>und</strong> zeigt, wie<br />
stark kulturelle Hintergr<strong>und</strong>annahmen inneres Erleben formen können. 56<br />
Bei näherem Hinsehen zeigt sich jedoch, daß es auch in der westlichen<br />
Kultur viele Menschen gibt, denen diese von Nagel ausgebeutete Intuition<br />
verlorengegangen ist. Es gibt nämlich viele Menschen, die Epsioden dezen<br />
trierten Bewußtseins erlebt haben. Solche Episoden können das Ergebnis<br />
von Hirntumoren oder Läsionen bestimmter Hirnbereiche sein, von schi<br />
zophrenen Schüben oder das Resultat der Einnahme psychoaktiver Sub<br />
stanzen. Es gibt sogar Menschen, die sich absichtlich um das Erzeugen<br />
nicht zentrierter Bewußtseinszustände bemühen, etwa durch Meditation<br />
oder archaische Ekstasetechniken. Schließlich kennen wir die verschiede<br />
nen Fälle von Persönlichkeitsspaltung <strong>und</strong> von multiplen Persönlichkeiten,<br />
welche sich gewissermaßen „ein Gehirn teilen“. Wir verfügen über reich<br />
haltiges <strong>und</strong> nicht mehr bloß anekdotisches Material, das uns die Möglich<br />
keit von nicht zentriertem, multi zentriertem <strong>und</strong> sogar erlebnismäßig<br />
fremd zentriertem Bewußtsein zeigt. Dieses Material demonstriert, daß der<br />
fragliche Aspekt der <strong>Subjekt</strong>zentriertheit mentaler Zustände einer Natura<br />
lisierung zugänglich ist <strong>und</strong> daß seine essentialistische Überhöhung keines<br />
54 Saul Kripke hat mit einer subtilen Argumentation diesen modalen Intuitionen Ausdruck<br />
verliehen; vgl. Kripke 1971, 1972. Er ist darauf häufig mit anti essentialistischen Argumenten<br />
<strong>und</strong> Verteidigungen der Identitätsthese als einer möglichen kontingenten Wahrheit angegriffen<br />
worden. Vgl. Bartels 1984, Lycan 1987 (Kapitel 2), McGinn 1980 (bzw. 1981), <strong>Metzinger</strong><br />
1985: 213ff; ferner Sher 1977, Leplin 1979, Levin 1979, 1985, Hill 1981, McGinn 1981,<br />
McMullen 1985.<br />
55 Vgl. Dennett 1987: 6.<br />
56 Vgl. etwa Taylor 1987 <strong>und</strong> die „konnektionistische“ Antwort auf den Vorwurf der<br />
irreduziblen Plastizität <strong>und</strong> kulturellen Einbettung des menschlichen Bewußtseins von<br />
Churchland 1989: 129ff.