Metzinger · Subjekt und Selbstmodell - Cogprints

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23.10.2012 Aufrufe

230 4. Kapitel bemerkenswerte Zusammenhang, der in einer materialistisch objektiven Kosmologie nicht untergehen darf. Ob eine naturalistische Anthropologie vor dem Hintergrund einer physikalistischen Kosmologie Nagels Thema in der hier vorliegenden Formulierung retten kann, scheint allerdings äußerst fraglich. Zu unklar ist der Status eines transzendentalen Ichs außerhalb einer idealistischen Rahmentheorie, zu sehr erinnert die historische Person als „Fenster zur Welt“ an Entelechien oder die Drei Welten Lehre von Popper und Eccles 40 , zu unklar ist eine Identitätsaussage auf deren einer Seite mit dem objective self eine eigenschaftslose Entität 41 steht. In einer solchen Situation kann man nur versuchen, über eine Kritik der fraglichen Position zu einem besseren Verständnis des philosophischen Problems und der psychischen Phänomene, in denen es gründet, zu gelangen. Man kann dann überprüfen, ob die so entstehende neue Theorie kompatibel mit ei nem wissenschaftlichen Weltbild ist oder ob auch in ihr das ursprüngliche philosophische Rätsel wieder auftaucht. 4.3 Schwierigkeiten der Nagelschen Subjektphilosophie Ich werde nun einige mögliche Einwändegegen die Nagelschen Thesen zum phänomenalen Gehalt mentaler Zustände, zu ihrer Subjektzentriertheit und zur Existenz irreduzibler Erste Person Fakten betrachten. Dabei werde ich mich zuerst dem zuletzt diskutierten Aspekt zuwenden, der mit der Annahme eines objektiven Selbst zusammenhängt. Nagel stellt eine Behauptung bezüglich einer bestimmten Klasse von Sätzen auf, Sätzen vom Typ „Ich bin TM“. Diese Sätze sind ihrer logischen Form nach Identitätsaussagen und sie enthalten einen indexikalischen Aus druck, nämlich das Wort „Ich“. In ihrem Gehalt beziehen sich solche Sätze auf diejenige Person, die sie äußert: Es sind Fälle von Selbstreferenz.Nagel behauptet nun zweierlei: Erstens sind Sätze, in denen solche indexikali schen Ausdrücke vorkommen, nicht übersetzbar in objektive Aussagen, die von der dritten Person Gebrauch machen. Zweitens drücken diese Sätze eine nicht triviale Wahrheit über uns alle aus, eine Wahrheit, die nicht in der Bezugnahme auf einen Sprecher mit einer bestimmten Geschichte und bestimmten öffentlichen Eigenschaften besteht. 40 Vgl. Popper ⁄ Eccles 1982. 41 Auch Norman Malcolm weist darauf hin, daß es keinerlei Identitätskriterien für das objektive Selbst gibt. Er schreibt: „But in regard to the identity of an I that supposedly occupies the point of view of a person, we could be neither right nor wrong. After a bout of severe amnesia Nagel might be able to identify himself as TN but not as I. ,I am TN‘ could announce a discovery but not ,I am I‘.“ (Malcolm 1988: 160) Malcolm weist auch auf die frappierende Ähnlichkeit zwischen dem cartesianischen moi und dem Nagelschen objective self hin wobei das letztere, wenn man Nagel ernst nimmt, auch keine psychologischen Eigenschaften besitzt. Vgl. Malcolm 1988: 154 und 159; dazu auch Metzinger 1995 d.

Fledermäuse, objektive Selbste und die Irreduzibilität der Innenperspektive 231 Wenn das wahr ist, dann muß es einen Typ von Faktum in der Welt geben, der das Referenzobjekt für den zweiten inhaltlichen Aspekt der fraglichen Identitätsaussagen darstellt (sie besäßen demnach einen „dop pelten Set von Wahrheitsbedingungen“). Dieser Typ von Tatsache könnte sich nicht in aus objektiven Aussagen bestehenden Beschreibungen der Welt wie sie die Wissenschaft liefert wiederfinden. Nagel behauptet also für die fraglichen Sätze eine doppelte Referenz. Er tut dies aber, ohne die logische Struktur der von ihm postulierten Tatsachen anzugeben. Man könnte jetzt die doppelte Referenz auch als eine doppelte Relation des Subjekts zur Welt zu verstehen versuchen, der erste Ansatzpunkt einer Kritik wird trotzdem ein semantischer sein müssen. Die offensichtlichen Wahrheitsbedingungen des Satzes „Ich bin TM“ bestehen in einer Anzahl von Wahrheiten über die historische Person des Sprechers und in einem simplen Kontext der Äußerung: „Ich bin TM“ ist nämlich genau dann wahr, wenn er von TM geäußert wird. 42 Er kann nicht substituiert werden durch eine Dritte Person Aussage, aber die seine Wahr heitsbedingungen ausmachenden Fakten können alle ausgedrückt werden durch solche Aussagen. Indexikalische Ausdrücke wie „Hier“, „Jetzt“ oder „Ich“ referieren auf einem bestimmten räumlichen, zeitlichen oder psychischen Standpunkt in der Welt, ohne daß der jeweilige Sprecher notwendigerweise auch ein Wis sen über seine jeweilige Position besitzt: Man kann sich darüber irren, wer man ist, und selbstverständlich kann man sich auch über seine räumliche oder zeitliche Position im Universum täuschen. Die Tatsache, daß wir uns darüber täuschen können, wer wir sind, ist philosophisch nicht uninteres sant. Denn ähnlich wie aus einer Totalbeschreibung des Universums durch eine an ihr Ende gekommene Physik nicht hervorginge, welcher Ort „hier“ ist und welche Zeit „jetzt“ ist, schiene aus einer vollständigen psychologi schen Kosmologie für jeden einzelnen von uns nicht hervorzugehen, wel ches der vielen Systeme mit mentalen Zuständen ich bin. 43 Daß wir alle uns zum Beispiel während endogener Psychosen, unter Einfluß psychoaktiver Substanzen oder nach Amnesien darüber täuschen können, wer wir sind, zeigt, daß wir es in solchen Situationen mit einem gescheiterten Zugriff auf öffentliche Eigenschaften zu tun haben. Öffentliche Eigenschaften erzeugen 42 Wenn TN unter dem Syndrom der multiplen Persönlichkeit (DID) leidet und eine seiner Subpersönlichkeiten den fraglichen Satz ausspricht, wodurch genau wird er dann falsch? Vgl. Abschnitt 3.2.2. 43 In einer solchen „psychischen Landkarte“ der Welt würde das fehlen, was viele zum Beispiel an den Wänden von U Bahnhöfen fest installierte Stadtpläne von tragbaren (also in einer unendlichen Anzahl möglicher Situationen anwendbaren) Stadtplänen unterscheidet: ein kleiner roter Pfeil mit dem Hinweis „SIE SIND HIER“ (vgl. Abschnitt 5.1). Die Stärke wissenschaftlicher Theorien besteht darin, daß sie universelle und nicht zentrierte Repräsen tationssysteme sind, die die Interessen individueller Benutzer außer acht lassen. „The addition YOU ARE HERE to a map is, evidently, not the cartographer’s business, and such maps could not be sold at bookstores; similarly the addendum THIS IS YOU to a completed psycho physical account is not a proper part of the scientist’s concern.“ (Wilkes 1984: 241)

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4. Kapitel<br />

bemerkenswerte Zusammenhang, der in einer materialistisch objektiven<br />

Kosmologie nicht untergehen darf. Ob eine naturalistische Anthropologie<br />

vor dem Hintergr<strong>und</strong> einer physikalistischen Kosmologie Nagels Thema in<br />

der hier vorliegenden Formulierung retten kann, scheint allerdings äußerst<br />

fraglich. Zu unklar ist der Status eines transzendentalen Ichs außerhalb<br />

einer idealistischen Rahmentheorie, zu sehr erinnert die historische Person<br />

als „Fenster zur Welt“ an Entelechien oder die Drei Welten Lehre von<br />

Popper <strong>und</strong> Eccles 40 , zu unklar ist eine Identitätsaussage auf deren einer<br />

Seite mit dem objective self eine eigenschaftslose Entität 41 steht. In einer<br />

solchen Situation kann man nur versuchen, über eine Kritik der fraglichen<br />

Position zu einem besseren Verständnis des philosophischen Problems <strong>und</strong><br />

der psychischen Phänomene, in denen es gründet, zu gelangen. Man kann<br />

dann überprüfen, ob die so entstehende neue Theorie kompatibel mit ei<br />

nem wissenschaftlichen Weltbild ist oder ob auch in ihr das ursprüngliche<br />

philosophische Rätsel wieder auftaucht.<br />

4.3 Schwierigkeiten der Nagelschen <strong>Subjekt</strong>philosophie<br />

Ich werde nun einige mögliche Einwändegegen die Nagelschen Thesen zum<br />

phänomenalen Gehalt mentaler Zustände, zu ihrer <strong>Subjekt</strong>zentriertheit<br />

<strong>und</strong> zur Existenz irreduzibler Erste Person Fakten betrachten. Dabei<br />

werde ich mich zuerst dem zuletzt diskutierten Aspekt zuwenden, der mit<br />

der Annahme eines objektiven Selbst zusammenhängt.<br />

Nagel stellt eine Behauptung bezüglich einer bestimmten Klasse von<br />

Sätzen auf, Sätzen vom Typ „Ich bin TM“. Diese Sätze sind ihrer logischen<br />

Form nach Identitätsaussagen <strong>und</strong> sie enthalten einen indexikalischen Aus<br />

druck, nämlich das Wort „Ich“. In ihrem Gehalt beziehen sich solche Sätze<br />

auf diejenige Person, die sie äußert: Es sind Fälle von Selbstreferenz.Nagel<br />

behauptet nun zweierlei: Erstens sind Sätze, in denen solche indexikali<br />

schen Ausdrücke vorkommen, nicht übersetzbar in objektive Aussagen, die<br />

von der dritten Person Gebrauch machen. Zweitens drücken diese Sätze<br />

eine nicht triviale Wahrheit über uns alle aus, eine Wahrheit, die nicht in<br />

der Bezugnahme auf einen Sprecher mit einer bestimmten Geschichte <strong>und</strong><br />

bestimmten öffentlichen Eigenschaften besteht.<br />

40 Vgl. Popper ⁄ Eccles 1982.<br />

41 Auch Norman Malcolm weist darauf hin, daß es keinerlei Identitätskriterien für das<br />

objektive Selbst gibt. Er schreibt: „But in regard to the identity of an I that supposedly occupies<br />

the point of view of a person, we could be neither right nor wrong. After a bout of severe amnesia<br />

Nagel might be able to identify himself as TN but not as I. ,I am TN‘ could announce a<br />

discovery but not ,I am I‘.“ (Malcolm 1988: 160) Malcolm weist auch auf die frappierende<br />

Ähnlichkeit zwischen dem cartesianischen moi <strong>und</strong> dem Nagelschen objective self hin wobei<br />

das letztere, wenn man Nagel ernst nimmt, auch keine psychologischen Eigenschaften besitzt.<br />

Vgl. Malcolm 1988: 154 <strong>und</strong> 159; dazu auch <strong>Metzinger</strong> 1995 d.

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