Metzinger · Subjekt und Selbstmodell - Cogprints
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Auf dem Weg zu einer neuen Theorie des Geistes 23<br />
Dieses relationale Merkmal phänomenaler Zustände kann man aus der<br />
Perspektive der ersten Person (die sie durchlebt <strong>und</strong> deren Zustände es<br />
sind) als ihre „Meinigkeit“bezeichnen. Mein bewußtes Leben baut sich aus<br />
einer ständigen <strong>und</strong> unvorhersehbaren Verkettung von Zuständen der Welt<br />
auf <strong>und</strong> ein Teil dieser Zustände sind meineErlebnisse. Diese Serie meiner<br />
Erlebnisse wird scheinbar ganz ohne mein eigenes Zutun zu einer solchen,<br />
denn meine subjektiven Erlebnisse bilden wie die Perlen einer Kette eine<br />
neue, größere Gestalt. Diese Gestalt bin ich selbst, <strong>und</strong> die Gestalt aus<br />
Erlebnisperlen verleiht mir auch durch ihre Geschichtlichkeit ein Gefühl<br />
von Identität (eine zeitliche Gestalt). Ob es einen Faden gibt, der all die<br />
Perlen zusammenhält, weiß ich nicht aber vor aller philosophischen<br />
Reflexion scheint eines gewiß: Jede einzelne Perle auf der Erlebniskette<br />
gehört zu mir. Ich selbst kann <strong>und</strong> muß dazu nichts tun. Es scheint nichts<br />
GewisseresinderWeltzugeben,alsdaßmeineErlebnissemeineErlebnisse<br />
sind.<br />
Aus der externen Perspektive werde ich dieses eben angesprochene<br />
relationale Merkmal unserer inneren Zustände ab jetzt auch als ihre „Sub<br />
jektgeb<strong>und</strong>enheit“ oder ihre „<strong>Subjekt</strong>zentriertheit“ bezeichnen: In Stan<br />
dardsituationen sind mentale Zustände immer die Zustände eines phäno<br />
menalen Ich. Es ist dieser strukturelle Aspekt unseres Innenlebens, auf<br />
den ich mich in dieser Arbeit konzentrieren werde, weil er, wie ich glaube,<br />
denKerndesphilosophischenProblemsdarstellt.Daseigentlichephäno<br />
menologische Rätsel ist nämlich die Tatsache, daß wir ein zentriertes<br />
Bewußtsein besitzen einen um einen Brennpunkt herum aufgebauten<br />
inneren Erlebnisraum.<br />
Diesem phänomenologischen Kern des Rätsels entspricht eine logische<br />
Problemdimension: Es hat den Anschein, als ob sich die <strong>Subjekt</strong><br />
Argumentstelle 1 aus Beschreibungen mentaler Zustände prinzipiell nicht<br />
eliminieren läßt. Diese semantische Annahme liegt auch einem einflußrei<br />
1 Ulrich Blau hat die Paradoxien untersucht, die durch das Selbst als fiktivem Fixpunkt in<br />
unserer fließenden Ontologie erzeugt werden. Er lokalisiert das Gr<strong>und</strong>problem in dem für uns<br />
unhintergehbaren Mechanismus der Objekt <strong>und</strong> Begriffsbildung, der ständig neue Objekte<br />
erzeugt, die sich bei genauem Hinsehen als unterbestimmt erweisen, d. h. ihre scharfe Identi<br />
tät einbüßen. Besonders interessant erscheint mir sein Hinweis, daß das Proto Objekt der<br />
klassischen Logik eben genau das Selbst ist: „Solange die Mathematik die klassische Identitäts<br />
logik verwendet, kommt sie von ihrem ersten Bild nicht los: dem scharf individuierten Objekt.<br />
Das Urbild bin ich selbst, <strong>und</strong> praktisch komme ich nicht davon los, E[derEssentialist;<br />
Anmerkung TM] hat recht. Bei kritischer Betrachtung werde ich unscharf <strong>und</strong> löse mich auf, S<br />
[der Skeptiker; Anmerkung TM] hat recht. Aber in was löse ich mich auf?Seine Objekte sind bei<br />
kritischer Betrachtung genauso fiktiv, <strong>und</strong> praktisch ist er genauso real wie E. Die Paradoxie hat<br />
keine natürliche Lösung.“(Blau 1986: 194) Blau zeigt ebenfalls, daß selbst beim Übergang zur<br />
Betrachtung absolut scharf individuierter Objekte also zu Mengentheorie der andauernde<br />
Transformationsprozeß der Objekt <strong>und</strong> Begriffsbildung ein Gr<strong>und</strong>merkmal der Perspektivität<br />
nicht verliert: „Viele Mengenbezeichnungen <strong>und</strong> alle echten Klassenbezeichnungen sind nur<br />
eindeutig relativ zum kontextuellen Mengenuniversum, das immer wieder erweitert werden<br />
kann <strong>und</strong> muß.“(Blau 1986: 193, dazu auch 1985: 369 459, 1986b) Dieser Gedanke erscheint<br />
mir von großer Bedeutung in Zusammenhang mit der Nagelschen These bezüglich der Exi<br />
stenz von perspectival facts, vgl.Kapitel4.