Metzinger · Subjekt und Selbstmodell - Cogprints
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202<br />
3. Kapitel<br />
verändert sich sehr stark, in gewissem Sinne entsteht es im Augenblick des<br />
Luzidewerdens überhaupt erst. Im normalen Traum wissen wir nicht, wer<br />
wir sind, wir kennen unseren Namen nicht, wissen meist auch nicht, an<br />
welchem Ort wir uns befinden <strong>und</strong> welcher Tag heute ist. Häufig handeln<br />
wir nicht, sondern reagieren nur auf eine sich ständig verändernde Umwelt<br />
voller Überraschungen <strong>und</strong> Bedrohungen. Wenn wir Glück haben, kommt<br />
es dazu, daß die Trauminhalte so bizarr werden, daß wir „gezwungenerma<br />
ßen“ eine Zustandskontrolle durchführen („Das kann doch nicht wahr sein<br />
. . .!“). Oder ein gut bekannter <strong>und</strong> sich wiederholender Trauminhalt akti<br />
viert unser Gedächtnis <strong>und</strong> uns fällt ein, wer wir im Wachleben sind<br />
(„Wieso ist der Universitätspräsident eigentlich mein HiWi?“). Oder das<br />
Motiv des Traums selbst taucht durch einen glücklichen Zufall im Traum<br />
auf („Jetzt sitze ich schon eine halbe St<strong>und</strong>e hier im Kino <strong>und</strong> warte darauf,<br />
daß der Film über die Traumzeit der australischen Ureinwohner anfängt!<br />
Irgend etwas stimmt doch hier nicht . . .“). In jedem Fall werden die Daten<br />
banken des Wachlebens wieder zugänglich <strong>und</strong> damit wird das Selbstmo<br />
dell stabil. Es wird aber nicht nur durch ein Mehr an Information stabili<br />
siert, es wird auch inhaltlich verändert: Es ist ab jetzt die Repräsentation<br />
des Selbst als eines Träumers oder einer Träumerin obwohl auch das nicht<br />
notwendigerweise so sein muß. 102<br />
Die philosophische Interpretation dieses Prozesses wird entscheidend<br />
von der zugr<strong>und</strong>e gelegten Theorie über die kausale Relation zwischen<br />
mentalen <strong>und</strong> neurophysiologischen Ereignissen abhängen. Nimmt man im<br />
Sinne eines Minimal Materialism an, daß mentale Vorgänge superve<br />
nient 103 gegenüber physischen Prozessen sind (daß es also nicht möglich ist,<br />
präzise gesetzesartige Korrelationen über die Kluft zwischen der subperso<br />
nalen <strong>und</strong> der personalen Beschreibungsebene hinweg zu formulieren, daß<br />
aber dennoch alle psychologischen Eigenschaften eines Systems feststehen,<br />
wenn auch seine biologischen Eigenschaften fixiert sind 104 ), dann ist es<br />
natürlich nicht der Träumer, der Zustandsklarheit erzeugt indem er die<br />
Datenbanken der Erinnerung öffnet. Da es „Verursachung von oben“ im<br />
Gehirns bei gleichzeitiger Blockade der Sinnesmodule ansteigt, aber für das Entstehen norma<br />
ler Erinnerungsleistungen noch nicht ausreicht. Die in einer solchen Situation entstehenden<br />
Modelle können sehr komplex (d. h. erlebnismäßig realistisch) sein, sind aber instabil (d. h.<br />
die Traumrealität verändert sich häufig, plötzlich <strong>und</strong> unvorhersehbar) <strong>und</strong> können nur<br />
schwer mit früher aufgetretenen Modellen verknüpft (erinnert, wiedererkannt) werden.<br />
102 Beim sogenannten „falschen Erwachen“ kann auch ein Modell des Selbst als gerade aus<br />
dem Traum in den Wachzustand übergegangenem erzeugt werden. Wenn es nun nicht zu<br />
einem Rückfall in einen gewöhnlichen Traum kommt, führt die Instabilität der Traumrealität<br />
meist schnell ihrerseits zu Luzidität bzw. einem „wirklichen“ Erwachen. Wenn man allerdings<br />
erst einmal geträumt hat, daß manwachist,dannkannmansichineinemzukünftigen<br />
Klartraum an diese Erfahrungerinnern. Das kann zu der unangenehmen Frage führen, ob man<br />
jetzt gerade vielleicht nur träumt, daß man klarträumt.<br />
103 Ich habe Vor <strong>und</strong> Nachteile der Supervenienz These an anderer Stelle diskutiert <strong>und</strong><br />
möchte mich hier nicht auf diese Position festlegen, obwohl sie derzeit als eine der vielverspre<br />
chendsten Optionen im psychophysischen Problemkreis gelten darf. Vgl. <strong>Metzinger</strong> 1985,<br />
1990.<br />
104 Vgl. Kim 1974, 1978, 1982; Haugeland 1982; Stoecker 1992.