Metzinger · Subjekt und Selbstmodell - Cogprints
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3. Kapitel<br />
NunkanneinMenschimLaufeseinesLebens vor allem seines frühen<br />
Lebens mit „inkonsistenten gesellschaftlichen Datenmengen“ konfron<br />
tiert werden, also mit zwischenmenschlichen Situationen, die es ihm un<br />
möglich machen, sie durch die Erzeugung eines einzigen inneren Selbst<br />
bilds psychisch <strong>und</strong> funktional zu bewältigen. Die interessante Entdeckung,<br />
auf die ich in diesem Abschnitt das Augenmerk meiner Leser lenken möch<br />
te, ist nun, daß menschliche Gehirne scheinbar, wenn sie in bestimmten<br />
frühen Phasen ihrer Entwicklung mit nicht zu bewältigenden, inkompati<br />
blen sozialen Situationen konfrontiert werden, auch mehrere<strong>Selbstmodell</strong>e<br />
„zu verschiedenen Zwecken“ erzeugen können. Manchmal erlangen diese<br />
multiplen <strong>Selbstmodell</strong>e eine weitgehende Autonomie <strong>und</strong> werden zu per<br />
manenten Bestandteilen des Innenlebens der betreffenden Person. In unse<br />
rem theoretischen Zusammenhang sind diese (gar nicht so seltenen <strong>und</strong> gut<br />
dokumentierten) Phänomene deshalb von Interesse, weil sie multiple bzw.<br />
alternierende phänomenale Perspektiven inein<strong>und</strong>demselbenRepräsenta<br />
tionssystem mit sich bringen.<br />
Wovon ich hier spreche, sind sogenannte Dissociative Identity Disorders<br />
(DIDs). Hierbei handelt es sich um einen Typ von psychiatrischen Stö<br />
rungsbildern, der sehr häufig auf extreme frühkindliche Traumata zurück<br />
zuführen ist (in den allermeisten Fällen ist das sexueller Mißbrauch durch<br />
ein Elternteil, überwiegend den Vater). Nach offiziellen diagnostischen<br />
Definitionen sind Fälle multipler Persönlichkeit dadurch gekennzeichnet,<br />
daß innerhalb eines Individuums zwei oder mehr 69 Persönlichkeiten exi<br />
stieren, die zu unterschiedlichen Zeiten dominant werden <strong>und</strong> dann das<br />
Verhalten des Individuums bestimmen. Jede dieser Unterpersönlichkeiten<br />
besitzt eine komplexe Struktur sowie eigene, unverwechselbare Verhaltens<br />
muster <strong>und</strong> soziale Beziehungen. Meistens gibt es eine „Gastgeberpersön<br />
lichkeit“ (die gewöhnlich amnestisch bezüglich der Episoden ist, in denen<br />
andere Persönlichkeiten die Bühne betreten) <strong>und</strong> eine Reihe von „Alter<br />
Egos“, die sich normalerweise mit je eigenen Namen benennen. Keine der<br />
Persönlichkeiten scheint über ein volles emotionales Spektrum zu verfü<br />
gen. Häufig ist die Gastgeberpersönlichkeit affektiv <strong>und</strong>ifferenziert, wäh<br />
rend die Gastpersönlichkeiten ein in verschiedenen Richtungen übertriebe<br />
nes affektives Profil besitzen das sie dadurch für bestimmte soziale<br />
Situationen „geeignet“ macht. Die verschiedenen Subpersönlichkeiten<br />
scheinen ein allgemeines Hintergr<strong>und</strong>wissen über die Welt miteinander zu<br />
teilen, aber eine eigene Lebenserfahrung <strong>und</strong> ein spezifisches Selbstgefühl<br />
Begriff des „mentalen Modells“: „It seems likely that Vygotskyan and Meadean abilities have<br />
evolved from abilites to construct Craikian models (. . .). It may be, however, that although the<br />
mechanisms have evolved in this way, what we experience as consciousness, the phenomenology<br />
of explicitly knowing, and knowing that we know, derives from the socially derived sense of the<br />
self as director and as part of the comparison processes of consciousness. If so, the phenomenolo<br />
gy would be affected by, and derivative from, this sense.“ (Oatley 1988: 378; vgl. dazu auch<br />
Oatley 1985)<br />
69 Statistisch gesehen, legt sich eine durchschnittliche Anzahl von elf Subpersönlichkeiten<br />
nahe.Vgl.Dennett⁄ Humphrey 1989: 70.