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Metzinger · Subjekt und Selbstmodell - Cogprints

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188<br />

3. Kapitel<br />

Geistes als einer noch sinnlich konkreten Seele in Gestalt einer räumlichen,<br />

halbstofflichen Form, die den Körper beim Tod, im Schlaf <strong>und</strong> bei Ohn<br />

machten verläßt. In den letzten zwei Jahrzehnten sind nun die ersten wis<br />

senschaftlichen Theorien über diese Zustände veröffentlicht worden, die<br />

testbare Voraussagen machen <strong>und</strong> sich auf empirische Untersuchungen<br />

stützen. All diese Theorien sind letztlich psychologische Theorien, die an<br />

nehmen, daß es sich bei diesen Erlebnissen um komplexe Halluzinationen<br />

handelt. In den drei interessantesten Hypothesen spielt das körperliche<br />

Modell des Selbst während einer psychischen Ausnahmesituation die<br />

Hauptrolle.<br />

Harvey Irwin geht von einer Verschiebung von Aufmerksamkeitsprozes<br />

sen bei abgeschwächtem somatosensorischem Input <strong>und</strong> einer synästheti<br />

schen Ergänzung des somästhetischen Bildes durch ein aus den Daten<br />

banken der Erinnerung aufgebautes visuelles Modell der Umgebung<br />

aus. 65 John Palmer sieht außerkörperliche Erfahrungen als kompensatori<br />

sche Prozesse nach die Integrität des <strong>Selbstmodell</strong>s bedrohenden Verände<br />

rungen des Körperschemas. 66 Susan Blackmore dagegen verwendet sogar<br />

explizit den Begriff des „Realitätsmodells“, um solche außergewöhnlichen<br />

Zustände aus der Perspektive des Informationsverabeitungsansatzes zu<br />

erklären. Für sie sind außerkörperliche Erfahrungen episodische Modelle<br />

der Realität, die von Gehirnen konstruiert werden, welche in Streßsituatio<br />

nen vom sensorischen Input abgeschnitten sind <strong>und</strong> auf interne Informa<br />

tionsquellen zurückgreifen müssen (etwa visuelle „kognitive Landkarten“<br />

aus dem Gedächtnis, die interessanterweise bei der Mehrzahl der Men<br />

schen aus der Vogelperspektive organisiert sind). Dabei entsteht vorüberge<br />

hend eine sehr realistische weil einen phänomenalen Körper mit<br />

einschließende visuell komplettierte <strong>und</strong> erlebnismäßig unhintergehbare<br />

mentale Simulation der Welt von einer Perspektive außerhalb des physi<br />

schen Körpers. 67 Es ist noch nicht geklärt, ob es sich bei diesen Zuständen<br />

um einen diskreten, durch einen spezifischen Set psychophysiologischer<br />

Merkmale charakterisierten Typus repräsentationaler Gesamtzustände<br />

handelt oder um eine Sonderform des luziden Traums auf den wir im<br />

übernächsten Abschnitt einen kurzen Blick werfen werden. Wenn die eben<br />

erwähnten Theorien in die richtige Richtung deuten, dann zeigt dies, wie<br />

menschliche Gehirne in ihrem Bestreben, auch unter Bedingungen einge<br />

schem Pneuma (die vielleicht als der erste Naturalisierungsversuch im Okzident gelten darf)<br />

eine lange Geschichte durchlaufen. Diese Geschichte führte weiter über alchemistische Theo<br />

rien der Beherrschung der Natur durch die Beherrschung des Geistes <strong>und</strong> die Neuplatoniker,<br />

fürdiedasPneumaeinedieSeeleumhüllendeLichtaureolewar(diesievoreinerBerührung<br />

<strong>und</strong> Befleckung durch materielle Gegenstände schützen sollte) bis hin zur christlichen Philoso<br />

phie, die den Geist schließlich personalisierte <strong>und</strong> denaturalisierte. Die abendländische Ge<br />

schichte des Geistbegriffs ist somit auch die Geschichte einer bis zum Hegelschen System<br />

immer weiter fortschreitenden Differenzierung der traditionalistisch mythisch sinnlichen<br />

Prototheorie des Geistes.<br />

65 Vgl. Irwin 1985: 306.<br />

66 Vgl. Palmer 1978.<br />

67 Vgl. Blackmore 1984b, 1987.

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