Metzinger · Subjekt und Selbstmodell - Cogprints
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186<br />
3. Kapitel<br />
Zug, in dem Sie sitzen, setzt sich in Bewegung. Das visuelle Modell der<br />
Realität war unterdeterminiert, die sinnlich gegebene Information unter<br />
stützte selbst auf der höchsten Ebene mentaler Modellierung noch zwei<br />
gleichwertige Interpretationen. Auf der phänomenalen Ebene sind mentale<br />
Modelle in Standardsituationen jedoch immer eindeutig interpretiert (ganz<br />
ähnlich wie bei dem bekannten Bild des Neckerschen Würfels, der zu einem<br />
gegebenen Zeitpunkt t immer nur in einer der drei möglichen Interpretatio<br />
nen subjektiv erlebt werden kann). Deshalb hat sich das informationsverar<br />
beitende System, das Sie sind (vielleicht aufgr<strong>und</strong> einer unbewußten Er<br />
wartungshaltung), „entschieden“, eines der beiden Modelle zu favorisieren<br />
<strong>und</strong> gleich ein zu ihm konsistentes, also problemlos in das interne Weltmo<br />
dell einbettbares, <strong>Selbstmodell</strong> mitzuaktivieren leider war dabei das vom<br />
System ausgewählte Weltmodell das falsche. Und deshalb führte die Akti<br />
vierung des kinästhetisch propriozeptiven <strong>Selbstmodell</strong>s zu einer halluzi<br />
natorischen Episode. Diese für das Erlebnissubjekt unhintergehbare Epi<br />
sode beruhte darauf, daß durch einen in die Irre gehenden Automatismus<br />
kurzzeitig ein mentales Selbstsimulat aktiviert <strong>und</strong> nicht als solches erkannt<br />
wurde. Mit der Korrektur des visuellen Modells einige Sek<strong>und</strong>en nach dem<br />
Anfahren des Zuges wird dann aber sofort das zu der phänomenalen Erfah<br />
rung eines Körpers, der sanft beschleunigt wird, führende <strong>Selbstmodell</strong><br />
deaktiviert <strong>und</strong> wir stellen amüsiert oder leicht verärgert fest, daß wir uns<br />
getäuscht haben.<br />
Dies ist sozusagen der „Minimalfall“ einer afunktionalen Selbstsimula<br />
tion, der hier zu einem partiell leeren oder illusionären Leiberleben führt.<br />
Man könnte solche voreiligen Komplettierungen von Realitätsmodellen<br />
durch repräsentational passende das heißt: durch ihre relationale Struk<br />
tur problemlos in die gegebene höherstufige mentale Struktur einbettbare<br />
<strong>Selbstmodell</strong>e auch als interne Konfabulationen bezeichnen. Denn es<br />
scheint eine der höchsten Prioritäten biologischer Repräsentationssysteme<br />
zu sein, auch ambige <strong>und</strong> unvollständige Datenmengen so schnell wie mög<br />
lich zu in sich stimmigen mentalen Realitätsmodellen zu komplettieren.<br />
Diese biologisch zweifellos nützliche Fähigkeit bringt manchmal Fehllei<br />
stungen mit sich, die phänomenal erst im Nachhinein als solche dargestellt<br />
werden können.<br />
Es gibt natürlich wesentlich komplexere Selbst Halluzinationen. Denken<br />
wir nur an Träume, in denen wir die bizarrsten psychologischen <strong>und</strong> physi<br />
schen Eigenschaften besitzen können, ohne in eine kritische Distanz zu uns<br />
selbst zu gelangen. 61 Da das Traum Ich ein komplexes (wenn auch instabi<br />
les) Selbstsimulat ist, das nicht als solches erkannt wird, sondern in einem<br />
naiv realistischen Selbstmißverständnis durch inkonsistente innere Welten<br />
taumelt, kann man Träume als Zustände phänomenaler Selbstverlorenheit<br />
charakterisieren. Ein skeptischer Phänomenologe könnte dafür argumen<br />
61 Im übernächsten Abschnitt werde ich solche Träume diskutieren, die durch das Entste<br />
hen einer kritischen Meta Perspektive von komplexen Halluzinationen zu steuerbaren Pseu<br />
do Halluzinationen geworden sind.