Metzinger · Subjekt und Selbstmodell - Cogprints
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182<br />
3. Kapitel<br />
Halluzinationen gesagt habe. Man kann vielleicht sagen: Denkstörungen<br />
sind semantische Halluzinationen. Natürlich sind die tatsächlichen Fälle<br />
pathologischer Selbstsimulation wesentlich komplizierter, zumal die Stö<br />
rungsbilder selten so scharf umrissen sind, wie die von mir ausgewählten<br />
Beispiele suggerieren könnten. Zum Beispiel können scheinbar sinnlose<br />
Äußerungen von Psychotikern auch mit Konfabulationen durchsetzt sein,<br />
das heißt mit den externen Resultaten von verzweifelten Versuchen des<br />
Gehirns, alle durch es erzeugten mentalen Modelle (auch die „nicht inten<br />
dierten“) doch noch zu einem möglichst konsistenten Modell der Welt<br />
<strong>und</strong> des Selbst in ihr zusammenzufügen. Die Konfabulationen zugr<strong>und</strong>e<br />
liegenden mentalen Modelle sind schlechte Modelle, mit denen sich das<br />
System seinen schon als pathologisch erkannten Gesamtzustand erklären<br />
will.<br />
Betrachten wir nun Fälle, in denen sich das <strong>Selbstmodell</strong> von Menschen<br />
nicht nur teilweise, sondern sehr weitgehend auflöst. Adolf Dittrich hat in<br />
einer sorgfältig durchgeführten empirischen Untersuchung 53 an insgesamt<br />
393 Versuchspersonen gute Belege für die Hypothese gef<strong>und</strong>en, daß es<br />
ätiologie unabhängige Strukturen veränderter Wachbewußtseinszustände<br />
gibt, die bei durch unterschiedliche Stimuli ausgelösten veränderten Be<br />
wußtseinszuständen erhalten bleiben. Zur Auslösung der veränderten Zu<br />
stände dienten Halluzinogene I. Ordnung, Lachgas, sensorische Depriva<br />
tion, die Einleitung hypnagoger Zustände, Hypnose, Autogenes Training<br />
<strong>und</strong> Reizüberflutung durch künstlich erhöhte Rhythmizität des Wahrneh<br />
mungsfeldes bzw. erhöhte Stimulusvariabilität.<br />
Ein speziell entwickelter Fragebogen für die Auswertung der bei den<br />
Experimenten auftretenden <strong>und</strong> meist nur wenige St<strong>und</strong>en andauernden<br />
Episoden abweichender repräsentationaler Gesamtzustände wurde einge<br />
setzt, um deren phänomenologische Merkmale zu erfassen. Entsprechend<br />
der zentralen Ausgangshypothese des Projekts blieben die Interkorrelatio<br />
nen zwischen den durch einzelne Items erfaßten Merkmalen der durch<br />
verschiedene Auslösemechanismen entstandenen veränderten Bewußt<br />
seinszustände stabil. Dimensionsanalysen ergaben, daß es eine sek<strong>und</strong>äre<br />
<strong>und</strong> drei primäre Dimensionen gab, die ätiologie unabhängig in allen un<br />
tersuchten Zuständen aufzuweisen waren. Nach Verfahren der klassischen<br />
Testtheorie konnten drei zuverlässige, positiv miteinander korrelierende<br />
primäre Skalen konstruiert werden, denen gegenüber den jeweiligen kau<br />
salen Antezedentien invariante phänomenale Gr<strong>und</strong>typen solcher verän<br />
derter mentaler Realitäts <strong>und</strong> <strong>Selbstmodell</strong>e entsprechen.<br />
Vielsagend sind nun in unserem Zusammenhang die nach Kriterien des<br />
phänomenalen Gehalts gewählten Benennungen der drei Skalen. Sie lauten<br />
„Ozeanische Selbstentgrenzung“ (OSE), „Angstvolle Ichauflösung“ (AIA)<br />
<strong>und</strong> „Visionäre Umstrukturierung“(VUS). Die Items der zuletzt genannten<br />
Skala erfassen solche Veränderungen, die sich im mentalen Modell der ex<br />
53 Vgl. Dittrich 1985.