Metzinger · Subjekt und Selbstmodell - Cogprints
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Die <strong>Selbstmodell</strong> Theorie der <strong>Subjekt</strong>ivität 181<br />
Bei Denkstörungen, die in Psychosen der verschiedensten Form auftre<br />
ten, wird das phänomenale Ich intellektuell inkonsistent. Das geschieht<br />
dadurch, daß eine gewisse Klasse von mentalen Modellen mehr oder weni<br />
ger chaotisch <strong>und</strong> unkoordiniert aktiviert <strong>und</strong> in das <strong>Selbstmodell</strong> einge<br />
b<strong>und</strong>en wird. Lesen wir kurz das Protokoll einer experimentell ausgelösten<br />
Psychose:<br />
„...daisteinPfarrernebenmirgestanden, derhalbimRuhestandist.Sie haben mich unterbrochen. Die Reden von Pulver sind vorbereitet, der Pfarrer<br />
tut Medikamente <strong>und</strong> Musik vorbereiten. Nehmen Sie noch jemanden dran<br />
heute, aha, jetzt dachte ich soeben, es sei Vormittag. Ich bin in der Kappelen<br />
brückegewesen, habe einen großen Hecht gefangen. (Draußen hört man etwas.)<br />
Aha, das ist der Opthalmologe. Er ist gekommen, wegen der Waschmaschine,<br />
das ist sicher. Fräulein X. ist im Bad am hellen Tag, sie wollte mich aber nicht<br />
beleidigen. Die Mutter hat gesagt, der Sohn sei schlechter geworden in M., <strong>und</strong><br />
derPulverwolltedenP.nichtbeleidigen.AberKlagessagtimmersopseudo<br />
wissenschaftliche Sachen, <strong>und</strong> deswegen ist er zur Graphologie gegangen.“ 51<br />
Lockerungen des Assoziationsflusses52 <strong>und</strong> formale Denkstörungen, die<br />
sich hier so deutlich in den Äußerungen der Versuchspersonwiderspiegeln, bestehen in einer internen Überschwemmung des Repäsentationsraumes<br />
mit nur noch schwach verknüpften mentalen Modellen. Werden sie, wie<br />
häufig in Fällen von Schizophrenie, nicht in das <strong>Selbstmodell</strong> eingeb<strong>und</strong>en,<br />
dann entsteht ein erlebtes Realitätsmodell des Typs „Die Welt ist voller<br />
fremder Gedanken“ oder „Mir werden fremde Gedanken gesendet“. Findet<br />
eine Einbettung der zugr<strong>und</strong>eliegenden Datenstrukturen statt, dann zerfällt<br />
der entsprechende Teil des intellektuellen <strong>Selbstmodell</strong>s. Je nachdem wie<br />
stark die Störung ist, kann sie von einer noch subjektiv erlebbaren (mental<br />
modellierten) <strong>und</strong> sprachlich kommunizierbaren geistigen Verwirrtheit bis<br />
hin zur völligen Desorientiertheit reichen. Ist eine solche Desorientiertheit<br />
nicht nur funktional sondern auch phänomenal maximal ausgeprägt, dann<br />
kann man sagen, daß solche Personen keine geistigen <strong>Subjekt</strong>e im Sinne<br />
von selbstbewußten Denkern mehr sind.<br />
Die chaotisch aktivierten mentalen Modelle sind in diesem Fall afunktio<br />
nale mentale Simulate, weil sie keine Funktion für das System mehr erfül<br />
len. Sie stehen in keiner Repräsentationsbeziehung zu internen oder exter<br />
nen Repräsentanda, insofern gilt hier vieles, was ich in Abschnitt 2.3.2 über<br />
51 Es handelt sich hier um ein Skopolamin Experiment, zitiert nach Heimann 1989 (in<br />
Pöppel 1989: 34f.).<br />
52 Die Lockerung des Assoziationsflusses kann man vielleicht als allgemeine Geschwindig<br />
keitserhöhung innerhalb eines „aufgeheizten“ Systems auf dem Weg durch eine Sequenz<br />
weniger stabiler Zustände beschreiben. Zwischen einem Hopfield Netz (vgl. Hopfield 1982)<br />
<strong>und</strong> einem physikalischen System kann man eine Analogie herstellen, die auf einer mathema<br />
tischen Äquivalenz zwischen dem vom Netzwerk angestrebten Gleichgewichtszustand <strong>und</strong><br />
dem energieärmsten Zustand in einem thermodynamischen System beruht. Jeder neue Akti<br />
vierungszustand eines solchen konnektionistischen Systems stellt einen „energieärmeren“<br />
Gesamtzustand des Systems dar; eine Erhöhung des energetischen Niveaus führt zu instabile<br />
ren Zuständen.