Metzinger · Subjekt und Selbstmodell - Cogprints
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3. Kapitel<br />
Von den Bildern an den Wänden unserer Wohnungen unterscheiden sich<br />
die von unseren Gehirnen gezeichneten Bilder dadurch, daß sie mehrere<br />
Modalitäten umfassen <strong>und</strong> von dem sie erzeugenden Künstler in Abstän<br />
den von wenigen Millisek<strong>und</strong>en ständig verbessert <strong>und</strong> revidiert werden.<br />
Sie sind auch dadurch gekennzeichnet, daß sie in komplexe mentale Simu<br />
lationen eingehen können <strong>und</strong> daß sie in unserem eigenen Fall in<br />
regelmäßigen Zeitabständen vollkommen verschwinden.<br />
<strong>Selbstmodell</strong>e ermöglichen einem System eine ganz spezifische Form<br />
von Selbsterkenntnis. Sie verhelfen dem System zu analogem Wissen über<br />
sich selbst. Ein solches analoges Selbstwissen beruht mutatis mutandis<br />
gelten hier die meisten meiner in Abschnitt 2.2.1 über den Unterschied<br />
zwischen analogem <strong>und</strong> digitalem Wissen gemachten Bemerkungen auf<br />
einem epistemischen Vorgang des Typs „Simulation durch interne Model<br />
le“. Dieser Vorgang ist gr<strong>und</strong>verschieden von demjenigen, bei dem Spre<br />
cher natürlicher Sprachen Selbsterkenntnis in Form von wahren Sätzen<br />
über sich selbst zu erreichen versuchen.<br />
Ein <strong>Selbstmodell</strong> ist ein gutes mentales Modell des es konstruierenden<br />
Systems, wenn es eine hohe Funktionalität für dieses System besitzt. Für<br />
biologische Organismen besteht diese Funktionalität in Überlebenssiche<br />
rung <strong>und</strong> hohem Fortpflanzungserfolg. Von biologischen Systemen wie uns<br />
selbst entworfene künstliche <strong>Selbstmodell</strong>erzeuger könnten sich da sie<br />
einer anders definierten Umwelt entstammen mit ganz anderen Zielen<br />
selbst modellieren. Die Funktionalität eines <strong>Selbstmodell</strong>s ist jedoch nicht<br />
gleichbedeutend mit epistemischem Reichtum 31 , sie manifestiert sich näm<br />
lich in optimaler Verhaltenssteuerung relativ zu einer gegebenen Umwelt.<br />
Weil die von menschlichen Gehirnen erzeugten <strong>Selbstmodell</strong>e einem Mil<br />
lionen Jahre dauernden „kognitiven Wettrüsten“ 32 auf unserem Planeten<br />
entstammen, das relativ zu der spezifischen biologischen Umwelt des Men<br />
schen auf diesem Planeten zu einer Optimierung von Funktionalität führte,<br />
kann man nicht davon ausgehen, daß sie gr<strong>und</strong>sätzlich einen größeren<br />
epistemischen Gehalt besitzen als die Ergebnisse anderer Selbstrepräsenta<br />
tionsprozesse etwa Beschreibungen unserer selbst durch wissenschaftli<br />
che Theorien. Wenn sie jedoch einen hohen Wissensgehalt besitzen, dann<br />
dadurch, daß sie einen optimalen Grad von Ähnlichkeit erreichen. Wir<br />
erinnern uns: Ein gutes internes Simulat ist im Normalfall durch seine<br />
problemlose Einbettbarkeit in das aktuelle Weltmodell charakterisiert.<br />
Auch für <strong>Selbstmodell</strong>e gilt, daß das System die Tatsache, daß sie sich<br />
problemlos in die relationale Gesamtstruktur des internen Realitätsmo<br />
dells einfügen lassen, als Indiz für eine weitgehende Isomorphie zwischen<br />
innerer Struktur <strong>und</strong> Repräsentandum wertet.<br />
31 In den Worten von Marcel Kinsbourne: „Iftheconceptofselfevolved,itdidsoonaccount<br />
of adaptive advantage, not because it reflects some objective truth. The concept of self reifies the<br />
organizing activity of a cybernetic device that incorporates its history (,experience‘) into the basis<br />
for its actions. It is the construct aro<strong>und</strong> which are organized impressions and intentions that<br />
reach awareness.“ (Kinsbourne 1988: 249)<br />
32 Diese Metapher stammt von Andy Clark. Vgl. Clark 1989: 62.